Theodor Mommsen
Römische Geschichte
Theodor Mommsen

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12. Kapitel

Ägypten

Die beiden Reiche von Ägypten und Syrien, die so lange in jeder Hinsicht miteinander gerungen und rivalisiert hatten, fielen ungefähr um die gleiche Zeit widerstandslos in die Gewalt der Römer. Wenn dieselben auch von dem angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders II. († 673 81) keinen Gebrauch machten und das Land damals nicht einzogen, so standen doch die letzten Herrscher des Lagidenhauses anerkanntermaßen in römischer Klientel; bei Thronstreitigkeiten entschied der Senat, und seit der römische Statthalter von Syrien, Aulus Gabinius, den König Ptolemaeos Auletes mit seinen Truppen nach Ägypten zurückgeführt hatte (699 55; vgl. 4, 160), haben die römischen Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die übrigen Klientelkönige nahmen auch die Herrscher Ägyptens an den Bürgerkriegen auf Mahnung der von ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponierenden Regierung teil; und wenn es unentschieden bleiben muß, welche Rolle Antonius in dem phantastischen Ostreich seiner Träume dem Heimatland des allzu sehr von ihm geliebten Weibes zugedacht hat, so gehört doch Antonius' Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte Kampf in dem letzten Bürgerkrieg vor den Toren dieser Stadt ebensowenig zu der Spezialgeschichte Ägyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von Epirus. Wohl aber gab diese Katastrophe und der damit verknüpfte Tod der letzten Fürstin der Lagidendynastie den Anlaß dazu, daß Augustus den erledigten Thron nicht wieder besetzte, sondern das Königreich Ägypten in eigene Verwaltung nahm. Diese Einziehung des letzten Stückes der Küste des Mittelmeeres in die unmittelbare römische Administration und der zeitlich und pragmatisch damit zusammenfallende Abschluß der neuen Monarchie bezeichnen dieser für die Verfassung, jene für die Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das Ende der alten und den Anfang einer neuen Epoche.

Die Einverleibung Ägyptens in das Römische Reich vollzog sich insofern in abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Prinzip der Dyarchie, das heißt des gemeinschaftlichen Regiments der beiden höchsten Reichsgewalten, des Prinzeps und des Senats, von einigen untergeordneten Bezirken abgesehen, allein auf Ägypten keine Anwendung fand, sondern in diesem LandeDiesen Ausschluß des Mitregiments des Senats wie der Senatoren bezeichnet Tacitus (hist. 1, 11) mit den Worten, daß Augustus Ägypten ausschließlich durch seine persönlichen Diener verwalten lassen wollte (domi retinere; vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 963). Prinzipiell gilt diese abweichende Gestaltung des Regiments für die sämtlichen nicht von Senatoren verwalteten Provinzen, deren Vorsteher auch anfänglich vorzugsweise praefecti hießen (CIL V, p. 809, 902). Aber bei der ersten Teilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat gab es deren wahrscheinlich keine andere als eben Ägypten; und auch nachher trat der Unterschied hier insofern schärfer hervor, als die sämtlichen übrigen Provinzen dieser Kategorie keine Legionen erhielten. Denn in dem Eintreten der ritterlichen Legionskommandanten statt der senatorischen, wie es in Ägypten Regel war, findet der Ausschluß des Senatorenregiments den greifbarsten Ausdruck. dem Senat als solchem sowie jedem einzelnen seiner Mitglieder jede Beteiligung bei dem Regiment abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt wardDiese Bestimmung gilt nur für Ägypten, nicht für die übrigen von Nichtsenatoren verwalteten Gebiete. Wie wesentlich sie der Regierung erschien, erkennt man aus dem zu ihrer Sicherung aufgebotenen konstitutionellen und religiösen Apparat (vit. trig. tyr. c. 22).. Man darf dies nicht etwa in der Art auffassen, als wäre Ägypten mit dem übrigen Reich nur durch eine Personalunion verknüpft; der Prinzeps ist nach dem Sinn und Geist der Augustischen Ordnung ein integrierendes und dauernd funktionierendes Element des römischen Staatswesens ebenso wie der Senat, und seine Herrschaft über Ägypten geradeso ein Teil der Reichsherrschaft wie die Herrschaft des Prokonsuls von AfrikaDie gangbare Behauptung, daß provincia für die nicht von Senatoren verwalteten Distrikte nur abusiv gesetzt werde, ist nicht begründet. Privateigentum des Kaisers war Ägypten ebensosehr oder ebensowenig wie Gallien und Syrien – sagt doch Augustus selber (Mon. Ancyr. 5, 24): Aegyptum imperio populi Romani adieci und legte dem Statthalter, da er als Ritter nicht pro praetore sein konnte, durch besonderes Gesetz die gleiche prozessualische Kompetenz bei, wie sie die römischen Prätoren hatten (Tac. ann. 12, 60).. Eher mag man sich das staatsrechtliche Verhältnis in der Weise verdeutlichen, daß das britische Reich in derselben Verfassung sich befinden würde, wenn Ministerium und Parlament nur für das Mutterland in Betracht kämen, die Kolonien dagegen dem absoluten Regiment der Kaiserin von Indien zu gehorchen hätten. Welche Motive den neuen Monarchen dazu bestimmten, gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft diese tief einschneidende und zu keiner Zeit angefochtene Einrichtung zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen politischen Verhältnisse eingegriffen hat, gehört der allgemeinen Geschichte des Reiches an; hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die inneren Verhältnisse Ägyptens sich gestalteten.

Was im allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisierten Gebieten gilt, daß die Römer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal bestehenden Einrichtungen konservierten und nur, wo es schlechterdings notwendig erschien, Modifikationen eintreten ließen, das findet in vollem Umfang Anwendung auf Ägypten.

Wie Syrien so war Ägypten, als es römisch ward, ein Land zwiefacher Nationalität; auch hier stand neben und über dem Einheimischen der Grieche, jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und tatsächlich waren die Verhältnisse der beiden Nationen in Ägypten von denen Syriens völlig verschieden.

Syrien stand wesentlich schon in der vorrömischen und durchaus in der römischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel teils in Fürstentümer, teils in autonome Stadtbezirke und wurde zunächst von den Landesherren oder Gemeindebehörden verwaltet. In ÄgyptenSelbstverständlich ist hier das Land Ägypten gemeint, nicht die den Lagiden unterworfenen Besitzungen. Kyrene war ähnlich geordnet. Aber auf das südliche Syrien und die übrigen, längere oder kürzere Zeit in ägyptischer Gewalt stehenden Territorien ist das eigentlich ägyptische Regiment niemals angewandt worden. dagegen gibt es weder Landesfürsten noch Reichsstädte nach griechischer Art. Die beiden Verwaltungskreise, in welche Ägypten zerfällt, das "Land" (η χώρα) der Ägypter mit seinen ursprünglich sechsunddreißig Bezirken (νομοί) und die beiden griechischen Städte Alexandreia in Unter- und Ptolemais in OberägyptenDazu kommt weiter Naukratis, die älteste schon vor den Ptolemäern in Ägypten gegründete Griechenstadt; ferner Paraetonion, das freilich gewissermaßen schon außerhalb der Grenzen Ägyptens liegt. sind streng gesondert und scharf sich entgegengesetzt und doch eigentlich kaum verschieden. Der Land- wie der Stadtbezirk ist nicht bloß territorial abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimatbezirk; die Zugehörigkeit zu einem jeden ist unabhängig vom Wohnort und erblich. Der Ägypter aus dem chemmitischen Nomos gehört demselben mit den Seinigen ebenso an, wenn er seinen Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der in Chemmis wohnende Alexandriner der Bürgerschaft von Alexandreia. Der Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer eine städtische Ansiedlung, der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des Chemmis oder des Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer Auffassung ausgedrückt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis; insofern kann jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die Städte sind auch die Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der episkopalen Sprengel geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Ägypten alles beherrschenden Kultusordnungen; Mittelpunkt für einen jeden ist das Heiligtum einer bestimmten Gottheit und gewöhnlich führt er von dieser oder von dem heiligen Tier derselben den Namen; so heißt der chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis oder nach griechischer Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem Löwen, dem Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religiöse Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der Schutzgott von Ptolemais der erste Ptolemaeos, und die Priester, die dort wie hier für diesen Kult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind, sind für beide Städte die Eponymen. Dem Landbezirk fehlt völlig die Autonomie: die Verwaltung, die Besteuerung, die Rechtspflege liegen in der Hand der königlichen BeamtenEine gewisse gemeinschaftliche Aktion, ähnlich derjenigen; wie sie auch von den Regionen und den vici der sich selbst verwaltenden Stadtgemeinden geübt wird hat natürlich nicht gefehlt: dahin gehört, was von Agoranomie und Gymnasiarchie in den Nomen begegnet, ebenso die Setzung von Ehrendenkmälern und dergleichen mehr, was übrigens alles nur in geringem Umfang und meist erst spät sich zeigt. Nach dem Edikt des Alexander (CIG 4957, Z. 34) scheinen die Strategen von dem Statthalter nicht eigentlich ernannt, sondern nur nach angestellter Prüfung bestätigt worden zu sein; wer den Vorschlag gehabt hat, wissen wir nicht. und die Kollegialität, das Palladium des griechischen wie des römischen Gemeinwesens, ist hier in allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. Aber in den beiden griechischen Städten ist es auch nicht viel anders. Es gibt wohl eine in Phylen und Demen eingeteilte Bürgerschaft, aber keinen GemeinderatDeutlich treten die Verhältnisse hervor in der im Anfang der Regierung des Pius dem bekannten Redner Aristeides von den ägyptischen Griechen gesetzten Inschrift (CIG 4679); als Dedikanten werden genannt η πόλις τών Αλεξανδρέων καί Ερμούπολις η μεγάλη καί η βουλή η Αντινοέων νέων Έλληνων καί οι εν τώ Δέλτα τής Αιγύπτου καί οι τόν Θηβαικόν νομόν οικούντεσ Έλληνες. Also nur Antinoopolis, die Stadt der "neuen Hellenen", hat eine Bule; Alexandreia erscheint ohne diese, aber als griechische Stadt in der Gesamtheit. Außerdem beteiligten sich bei dieser Widmung die im Delta und die in Thebae lebenden Griechen, von den ägyptischen Städten einzig Groß-Hermopolis, wobei wahrscheinlich die unmittelbare Nachbarschaft von Antinoopolis eingewirkt hat. Ptolemais legt Strabon (17, 1, 42 p. 813) ein σύστημα πολιτικόν εν τώ Ελληνικώ τρόπω bei; aber schwerlich darf man dabei an mehr denken, als was der Hauptstadt nach ihrer uns genauer bekannten Verfassung zustand, also namentlich an die Teilung der Bürgerschaft in Phylen. Daß die vorptolemäische Griechenstadt Naukratis die Bule, die sie ohne Zweifel gehabt hat, in ptolemäischer Zeit behalten hat, ist möglich, kann aber für die Ptolemäischen Ordnungen nicht entscheiden.

Dios Angabe (51, 17), daß Augustus die übrigen ägyptischen Städte bei ihrer Ordnung beließ, den Alexandrinern aber wegen ihrer Unzuverlässigkeit den Gemeinderat nahm, beruht wohl auf Mißverständnis, um so mehr, als danach Alexandreia zurückgesetzt erscheint gegen die sonstigen ägyptischen Gemeinden, was durchaus nicht zutrifft.

; die Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen, aber auch durchaus Beamte königlicher Ernennung und ebenfalls ohne kollegialische Einrichtung. Erst Hadrian hat einer ägyptischen Ortschaft, dem von ihm zum Andenken an seinen im Nil ertrunkenen Liebling angelegten Antinoopolis, Stadtrecht nach griechischer Art gegeben und späterhin Severus, vielleicht ebensosehr den Antiochenern zum Trutz als zu Nutz der Ägypter, der Hauptstadt Ägyptens und der Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen ägyptischen Gemeinden zwar keine städtischen Magistrate, aber doch einen städtischen Rat bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im offiziellen Sprachgebrauch die ägyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne Archonten und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der Prägung. Die ägyptischen Nomen haben das Prägerecht nicht gehabt; aber noch weniger hat Alexandreia jemals Münzen geschlagen. Ägypten ist unter allen Provinzen der griechischen Reichshälfte die einzige, welche keine andere Münze als Königsmünze kennt. Auch in römischer Zeit war dies nicht anders. Die Kaiser stellten die unter den letzten Lagiden eingerissenen Mißbräuche ab: Augustus beseitigte die unreelle Kupferprägung derselben, und als Tiberius die Silberprägung wieder aufnahm, gab er dem ägyptischen Silbergeld ebenso reellen Wert wie dem übrigen Provinzialcourant des ReichesDie ägyptische Goldprägung hörte natürlich mit der Einziehung des Landes auf, da es im Römischen Reiche nur Reichsgold gibt. Auch mit dem Silber hat Augustus es ebenso gehalten und als Herr von Ägypten lediglich Kupfer und auch dies nur in mäßigen Quantitäten schlagen lassen. Zuerst Tiberius prägte seit 27/28 n. Chr. Silbermünze für die ägyptische Zirkulation, dem Anschein nach als Zeichengeld, da die Stücke ungefähr dem Gewicht nach 4, dem Silbergehalt nach 1 römischen Denar entsprechen (Feuardent, Numismatique de la Égypte ancienne. Bd. 2, S. XI). Aber da im legalen Kurs die alexandrinische Drachme als Obolus (also als Sechstel, nicht als Viertel; vergleiche Römisches Münzwesen, S. 43, 723) des römischen Denars angesetzt wurde (Hermes 5, 1870, S. 136) und das provinziale Silber gegenüber dem Reichssilber immer verlor, ist vielmehr das alexandrinische Tetradrachmon vom Silberwert eines Denars zum Kurswert von 2s Denar angesetzt worden. Demnach ist bis auf Commodus, von wo ab das alexandrinische Tetradrachmon wesentlich Kupfermünze ist, dasselbe gerade ebenso Wertmünze gewesen wie das syrische Tetradrachmon und die kappadokische Drachme; man hat nur jenem den alten Namen und das alte Gewicht gelassen.. Aber der Charakter der Prägung blieb im wesentlichen der gleicheDaß Kaiser Hadrianus unter anderen seiner ägyptisierenden Launen auch den Nomen so wie seiner neuen Antinoopolis für einmal das Prägerecht gab, was dann nachher noch ein paar Mal geschehen ist, ändert an der Regel nichts.. Es ist ein Unterschied zwischen Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott Alexander; in administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht da. Ägypten bestand aus einer Mehrzahl ägyptischer und einer Minderzahl griechischer Ortschaften, welche sämtlich der Autonomie entbehrten und sämtlich unter unmittelbarer und absoluter Verwaltung des Königs und der von diesem ernannten Beamten standen.

Es war hiervon eine Folge, daß Ägypten allein unter allen römischen Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die Gesamtrepräsentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der Provinz. In Ägypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich kaiserliche oder vielmehr königliche Verwaltungsbezirke, und Alexandreia stand nicht bloß so gut wie allein, sondern war ebenfalls ohne eigentliche munizipale Organisation. Der an der Spitze der Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich "Oberpriester von Alexandreia und ganz Ägypten" nennen und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt.

Die Herrschaft trägt dementsprechend in Ägypten einen ganz anderen Charakter als in dem übrigen schließlich unter dem Kaiserregiment zusammengefaßten Gebiet der griechischen und der römischen Zivilisation. In diesem verwaltet durchgängig die Gemeinde; der Herrscher des Reiches ist genau genommen nur der gemeinsame Vorsteher der zahlreichen mehr oder minder autonomen Bürgerschaften, und neben den Vorzügen der Selbstverwaltung treten ihre Nachteile und Gefahren überall hervor. In Ägypten ist der Herrscher König, der Landesbewohner sein Untertan, die Verwaltung die der Domäne. Diese prinzipiell ebenso von oben herab absolut geführte wie auf das gleiche Wohlergehen aller Untertanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermögens gerichtete Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt wahrscheinlich mehr aus der Hellenisierung der alten Pharaonenherrschaft als aus der städtisch geordneten Weltherrschaft, wie der große Makedonier sie gedacht hatte und wie sie am vollkommensten in dem syrischen Neu-Makedonien zur Durchführung gelangte. Das System forderte einen in eigener Person nicht bloß heerführenden, sondern in täglicher Arbeit verwaltenden König, eine entwickelte und streng disziplinierte Beamtenhierarchie, rücksichtslose Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht durchaus ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohltäters (ευεργέτης) beilegten, so darf die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden mit der friderizianischen, von der sie in den Grundzügen sich nicht entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite, das unvermeidliche Zusammenbrechen des Systems in unfähiger Hand, auch Ägypten erfahren. Aber die Norm blieb; und der augustische Prinzipat neben der Senatsherrschaft ist nichts als die Vermählung des Lagidenregiments mit der alten städtischen und bündischen Entwicklung.

Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Überlegenheit der ägyptischen Verwaltung über diejenige der übrigen Provinzen. Man kann die vorrömische Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell dominierenden Macht Ägyptens mit dem räumlich den übrigen Osten erfüllenden asiatischen Reich; in der römischen setzt sich dies in gewissem Sinn darin fort, daß die kaiserlichen Finanzen insbesondere durch den ausschließlichen Besitz Ägyptens denen des Senats überlegen gegenüberstehen. Wenn es der Zweck des Staates ist, den möglichst großen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirtschaften, so sind in der alten Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen. Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die Vorbilder der Caesaren. Wie viel die Römer aus Ägypten zogen, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte Ägypten einen Jahrestribut von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa 4 Mill. Mark entrichtet; die Jahreseinnahme der Ptolemäer aus Ägypten oder vielmehr aus ihren Besitzungen überhaupt betrug in ihrer glänzendsten Periode 12800 ägyptische Silbertalente oder 57 Mill. Mark und außerdem 1½ Mill. Artaben = 591000 Hektoliter Weizen; am Ende ihrer Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Mill. Mark. Die Römer bezogen aus Ägypten jährlich den dritten Teil des für den Konsum von Rom erforderlichen Korns, 20 Mill. römische ScheffelDiese Ziffer gibt die sogenannte Epitome Victors c. 1 für die Zeit Augusts. Nachdem diese Abgabe auf Konstantinopel übergegangen war, gingen dahin unter Justinian (ed. 13 c. 8) jährlich 8 Mill. Artaben (denn diese sind nach c. 6 zu verstehen) oder 26 2/3 Mill. römischer Scheffel (Hultsch, Metrologie, S. 628), wozu dann noch die von Diocletian eingeführte gleichartige Abgabe an die Stadt Alexandreia hinzutritt. Den Schiffern wurden für den Transport nach Konstantinopel jährlich 8000 Solidi = 100000 Mark aus der Staatskasse gezahlt. = 1740000 Hektoliter; indes ist ein Teil davon sicher aus den eigentlichen Domänen geflossen, ein anderer vielleicht gegen Entschädigung geliefert worden, während andererseits die ägyptischen Steuern wenigstens zu einem großen Teil in Geld angesetzt waren, so daß wir nicht imstande sind, die ägyptische Einnahme der römischen Reichskasse auch nur annähernd zu bestimmen. Aber nicht bloß durch ihre Höhe ist sie für die römische Staatswirtschaft von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern weil sie als Vorbild diente zunächst für den kaiserlichen Domanialbesitz in den übrigen Provinzen, überhaupt aber für die gesamte Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist.

Aber wenn die kommunale Selbstverwaltung in Ägypten keine Stätte hat und in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser Staat ebenso wie der syrische sich zusammensetzt, eine reale Verschiedenheit nicht besteht, so ist zwischen ihnen in anderer Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu Syrien keine Parallele bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer disqualifizierte die ägyptische Ortsangehörigkeit für sämtliche öffentliche Ämter und für den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Bürgern Zuwendungen machte, beschränkten sich diese auf die der griechischen GemeindenWenigstens schloß Kleopatra bei einer Getreideverteilung in Alexandreia die Juden aus (Ios. c. Ap. 2, 5), um so viel mehr also die Ägypter.; die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Ägypter, und auch von den Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen ägyptischen Bezirkes treffen, sind die daselbst ansässigen Alexandriner befreitDas Edikt des Alexander (CIG 4957) Z. 33 f. befreit die εν τή χώρα (nicht εν τή πόλει) ihrer Geschäfte wegen wohnhaften εγγενείς Αλεξανδρεις von den λειτουργίαι χωρικαί.. Obwohl im Fall des Vergehens der Rücken des Ägypters wie des Alexandriners büßte, so durfte doch dieser sich rühmen, und tat es auch, daß ihn der Stock treffe und nicht wie jenen die Peitsche"Es bestehen", sagt der alexandrinische Jude Philon (in Flacc. 10), "hinsichtlich der körperlichen Züchtigung (τών μαστίγων) Unterschiede in unserer Stadt nach dem Stande der zu Züchtigenden: die Ägypter werden mit anderer Geißel gezüchtigt und von anderen, die Alexandriner aber mit Stöcken (σπάθαις; σπάθη ist die Rispe des Palmblatts) und von den alexandrinischen Stockträgern" (σπαθηφόροι, etwa bacillarius). Er beklagt sich nachher bitter, daß die Ältesten seiner Gemeinde, wenn sie einmal gehauen werden sollten, nicht wenigstens mit den anständigen Bürgerprügeln (ταίς ελευθεριωτέραις καί πολιτικωτέραις μάστιξιν) bedacht worden seien.. Sogar die Gewinnung des besseren Bürgerrechts war den Ägyptern untersagtIos. c. Ap. 2, 4: μόνοις Αιγυπτίοις οι κύριοι νύν Ρωμαίοι τής οικουμένης μεταλαμβάνειν ηστινοσούν πολιτείας απειρήκασιν. 6: Aegyptiis neque regum quisquam videtur ius civitatis fuisse largitus neque nunc quilibet imperatorum (vgl. Eph. epigr. V, p. 13). Derselbe rückt seinem Widersacher vor (2, 3, 4), daß er, ein geborener Ägypter, seine Heimat verleugnet und sich für einen Alexandriner ausgegeben habe. Einzelausnahmen werden dadurch nicht ausgeschlossen.. Die Bürgerverzeichnisse der zwei großen von den beiden Reichsgründern geordneten und benannten Griechenstädte in Unter- und Oberägypten faßten die herrschende Bevölkerung in sich, und der Besitz des Bürgerrechts einer dieser Städte war in dem Ägypten der Ptolemäer dasselbe, was der Besitz des römischen Bürgerrechts im Römischen Reich. Was Aristoteles dem Alexander empfahl, den Hellenen ein Herrscher (ηγεμών), den Barbaren ein Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen zu versorgen, diese wie die Tiere und die Pflanzen zu nutzen, das haben die Ptolemäer in vollem Umfang praktisch durchgeführt. Der König, größer und freier als sein Lehrmeister, trug den höheren Gedanken im Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder wenigstens der Ersetzung der barbarischen Ansiedlungen durch hellenische, und diesem gewährten die Nachfolger fast überall und namentlich in Syrien breiten SpielraumAuch die alexandrinische Wissenschaft hat im Sinne des Königs gegen diesen Satz (Plut. de fort. Alex. 1, 6) protestiert; Eratosthenes bezeichnete die Zivilisation als nicht den Hellenen allein eigen und nicht allen Barbaren abzusprechen, zum Beispiel nicht den Indern, den Arianern, den Römern, den Karthagern; die Menschen seien vielmehr zu teilen in "gute" und "schlechte" (Strabon 1. fin. p. 66). Aber von dieser Theorie ist auf die ägyptische Rasse auch unter den Lagiden keine praktische Anwendung gemacht worden.. In Ägypten geschah das gleiche nicht. Wohl suchten dessen Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religiösen Gebiet Fühlung zu halten und wollten nicht als Griechen über die Ägypter, viel eher als irdische Götter über die Untertanen insgemein herrschen; aber damit vertrug sich die ungleiche Berechtigung der Untertanen durchaus, eben wie die rechtliche und faktische Bevorzugung des Adels ein ebenso wesentlicher Teil des friderizianischen Regiments war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe.

Wie die Römer im Orient überhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so blieb auch die Ausschließung der einheimischen Ägypter von der Gewinnung des griechischen Bürgerrechts nicht bloß bestehen, sondern wurde auf das römische Bürgerrecht ausgedehnt. Der ägyptische Grieche dagegen konnte das letztere ebenso wie jeder andere Nichtbürger gewinnen. Der Eintritt freilich in den Senat wurde ihm so wenig gestattet wie dem römischen Bürger aus Gallien, und diese Beschränkung ist viel länger für Ägypten als für Gallien in Kraft gebliebenAuch die Zulassung zu den ritterlichen Stellungen war wenigstens erschwert: non est ex albo iudex patre Aegyptio (CIL IV, 1943; vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 919, A. 2; Eph. epigr. V, p. 13 n. 2). Doch begegnen früh einzelne Alexandriner in ritterlichen Ämtern wie Tiberius Julius Alexander (Anm. 474).; erst im Anfang des dritten Jahrhunderts wurde in einzelnen Fällen davon abgesehen, und als Regel hat sie noch im fünften gegolten. In Ägypten selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das heißt der für die ganze Provinz fungierenden, und ebenso die Offizierstellen den römischen Bürgern in der Form vorbehalten, daß als Qualifikation dafür das Ritterpferd verlangt ward; es war dies durch die allgemeine Reichsordnung gegeben, und ähnliche Privilegien hatten ja in Ägypten unter den früheren Lagiden die Makedonier gegenüber den sonstigen Griechen besessen. Die Ämter zweiten Ranges blieben unter römischer Herrschaft wie bisher den ägyptischen Ägyptern verschlossen und wurden mit Griechen besetzt, zunächst den Bürgern von Alexandreia und Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst für die erste Klasse das römische Bürgerrecht gefordert wurde, so ließ man doch bei den in Ägypten selbst stationierten Legionen auch den ägyptischen Griechen nicht selten in der Weise zu, daß ihm bei der Aushebung das römische Bürgerrecht verliehen ward. Für die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die Zulassung der Griechen keiner Beschränkung; die Ägypter aber sind auch hierfür wenig oder gar nicht, dagegen für die unterste Klasse, die in der ersten Kaiserzeit noch aus Sklaven gebildete Flottenmannschaft, späterhin in beträchtlicher Zahl verwendet worden. Im Lauf der Zeit hat die Zurücksetzung der eingeborenen Ägypter wohl in ihrer Strenge nachgelassen und sind dieselben öfter zum griechischen und mittels dessen auch zum römischen Bürgerrecht gelangt; im ganzen aber ist das römische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen Herrschaft so auch der griechischen Exklusivität gewesen. Wie das makedonische Regiment sich mit Alexandreia und Ptolemais begnügt hatte, so hat auch das römische einzig in dieser Provinz nicht eine einzige Kolonie gegründetWenn die Worte des Plinius (nat. 5, 31, 128) genau sind, daß die Pharos-Insel vor dem Hafen von Alexandreia eine colonia Caesaris dictatoris sei (vgl. 5, 221), so hat der Diktator auch hier über Aristoteles hinaus wie Alexander gedacht. Darüber aber kann kein Zweifel sein, daß nach der Einziehung Ägyptens es dort nie eine römische Kolonie gegeben hat..

Auch die Sprachordnung ist in Ägypten wesentlich unter den Römern geblieben, wie die Ptolemäer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem Militär, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist für den Verkehr der oberen Stellen die Geschäftssprache die griechische. Der einheimischen Sprache, die von den semitischen wie von den arischen Sprachen radikal verschieden, am nächsten vielleicht derjenigen der Berber in Nordafrika verwandt ist, und der einheimischen Schrift haben die römischen Herrscher und ihre Statthalter sich nie bedient, und wenn schon unter den Ptolemäern den ägyptisch geschriebenen Aktenstücken griechische Übersetzung beigefügt werden mußte, so gilt für diese ihre Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Ägyptern unverwehrt, soweit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst zweckmäßig erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten Schriftzeichen zu bedienen; es mußte auch in diesem alten Heim des Schriftgebrauchs im gewöhnlichen Verkehr nicht bloß bei Privatkontrakten, sondern selbst bei Steuerquittungen und ähnlichen Schriftstücken die dem großen Publikum allein geläufige Landessprache und die übliche Schrift zugelassen werden. Aber es war dies eine Konzession und der herrschende Hellenismus bemüht, sein Reich zu erweitern. Das Bestreben, den im Lande herrschenden Anschauungen und Überlieferungen auch im Griechischen einen allgemein gültigen Ausdruck zu schaffen, hat der Doppelnamigkeit in Ägypten eine Ausdehnung gegeben wie nirgend sonst. Alle ägyptischen Götter, deren Namen nicht selbst den Griechen geläufig wurden, wie der der Isis, wurden mit entsprechenden oder auch nicht entsprechenden griechischen geglichen; vielleicht die Hälfte der Ortschaften, eine Menge von Personen führen sowohl eine einheimische wie eine griechische Benennung. Allmählich drang hierin die Hellenisierung durch. Die alte heilige Schrift begegnet auf den erhaltenen Denkmälern zuletzt unter Kaiser Decius um die Mitte des 3., ihre geläufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5. Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide beträchtlich früher verschwunden. Die Vernachlässigung und der Verfall der einheimischen Elemente der Zivilisation drückt sich darin aus. Die Landessprache selbst behauptete sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und den niederen Schichten und ist erst im 17. Jahrhundert völlig erloschen, nachdem sie, die Sprache der Kopten, gleich wie die syrische, infolge der Einführung des Christentums und der auf die Hervorrufung einer volkstümlich-christlichen Literatur gerichteten Bemühungen, in der späteren Kaiserzeit eine beschränkte Regeneration erfahren hatte.

In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrückung des Hofes und der Residenz, die notwendige Folge der Einziehung des Landes durch Augustus. Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der Landessprache, also bloß für Ägypter geschriebenen Inschriften heißen die Kaiser wie die Ptolemäer Könige von Ober- und Unterägypten und die Auserwählten der ägyptischen Landesgötter, daneben freilich auch, was bei den Ptolemäern nicht geschehen war, GroßkönigeAugustus' Titulatur lautet bei den ägyptischen Priestern folgendermaßen: "Der schöne Knabe, lieblich durch Liebenswürdigkeit, der Fürst der Fürsten, auserwählt von Ptah und Nun dem Vater der Götter, König von Oberägypten und König von Unterägypten, Herr der beiden Länder, Autokrator, Sohn der Sonne, Herr der Diademe, Kaisar, ewig lebend, geliebt von Ptah und Isis"; wobei die beiden Eigennamen Autokrator Kaisar aus dem Griechischen beibehalten sind. Der Augustustitel kommt zuerst bei Tiberius in ägyptischer Übersetzung (ntixu), mit beibehaltenem griechischem Σεβαστός zuerst unter Domitian vor. Die Titulatur des schönen lieblichen Knaben, welche in besserer Zeit nur den zu Mitregenten erklärten Kindern gegeben zu werden pflegt, ist späterhin stereotyp geworden und findet sich wie für Caesarion und Augustus, so auch für Tiberius, Claudius, Titus, Domitian verwendet. Wichtiger ist es, daß abweichend von der älteren Titulatur, wie sie zum Beispiel griechisch auf der Inschrift von Rosette sich findet (CIG 4697), bei den Caesaren von Augustus an der Titel hinzutritt "Fürst der Fürsten", womit ohne Zweifel deren, den früheren Königen fehlende Großkönigstellung ausgedrückt werden soll.. Die Zeiten zählte man in Ägypten wie bisher nach dem landüblichen Kalender und seinem auf die römischen Herrscher übergehenden Königsjahr; den goldenen Becher, den in jedem Juni der König in den schwellenden Nil warf, warf jetzt der römische Vizekönig. Aber damit reichte man nicht weit. Der römische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung unvereinbare Rolle des ägyptischen Königs nicht durchführen. Mit der Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich bei dem ersten nach Ägypten gesandten Statthalter unbequeme Erfahrungen; der tüchtige Offizier und talentvolle Poet, der es nicht hatte lassen können, auch seinen Namen den Pyramiden einzuschreiben, wurde deswegen abgesetzt und ging daran zugrunde. Es war unvermeidlich, hier Schranken zu setzen. Die Geschäfte, deren Erledigung nach dem Alexandersystem nicht minder dem Fürsten persönlich oblagWenn die Leute wüßten, pflegte König Seleukos zu sagen (Plus. an seni 11), was es für eine Last ist, so viele Briefe zu schreiben und zu lesen, so würden sie das Diadem, wenn es zu ihren Füßen läge, nicht aufheben. wie nach der Ordnung des römischen Prinzipats, mochte der römische Statthalter führen wie der einheimische König; König durfte er weder sein noch scheinenDaß derselbe andere Abzeichen trug als die Offiziere überhaupt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 271), wird aus vita Hadr. 4 schwerlich gefolgert werden dürfen.. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und schwer empfunden. Der bloße Wechsel der Dynastie wäre nicht allzu sehr ins Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemäer, geordnet nach dem Zeremoniell der Pharaonen, König und Königin in ihrer Göttertracht, der Pomp der Festzüge, der Empfang der Priesterschaften und der Gesandten, die Hofbankette, die großen Zeremonien der Krönung, der Eidesleistung, der Vermählung, der Bestattung, die Hofämter der Leibwächter und des Oberleibwächters (αρχισωματοφύλαξ), des einführenden Kammerherrn (εισανγγελεύς), des Obertafelmeisters (αρχεδέατρος), des Oberjägermeisters (αρχικυνηγός), die Vettern und Freunde des Königs, die Dekorierten – das alles ging für die Alexandriner ein für alle Mal unter mit der Verlegung des Herrschersitzes vom Nil an den Tiber. Nur die beiden berühmten alexandrinischen Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehör und Personal als Rest der alten königlichen Herrlichkeit. Ohne Frage büßte Ägypten bei der Depossedierung seiner Regenten sehr viel mehr ein als Syrien; freilich waren beide Völkerschaften in der machtlosen Lage, daß sie hinnehmen mußten, was ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung für die verlorene Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur gedacht worden.

Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Händen des "Stellvertreters", das heißt des Vizekönigs; denn obwohl der neue Landesherr, mit Rücksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl für sich wie für seine höher gestellten Vertreter der königlichen Benennungen auch in Ägypten sich enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus als Nachfolger der Ptolemäer die Herrschaft geführt, und die gesamte zivile wie militärische Obergewalt ist in seiner und seines Vertreters Hand vereinigt. Daß weder Nichtbürger noch Senatoren diese Stellung bekleiden durften, ist schon bemerkt worden; Alexandrinern, wenn sie zum Bürgerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd gelangt waren, ist sie zuweilen übertragen wordenSo hat Tiberius Julius Alexander, ein alexandrinischer Jude, in den letzten Jahren Neros diese Statthalterschaft geführt; allerdings gehörte er einer sehr reichen und vornehmen, selbst mit dem kaiserlichen Hause verschwägerten Familie an und hatte im Partherkrieg sich als Generalstabschef Corbulos ausgezeichnet, welche Stellung er bald nachher in dem Jüdischen Krieg des Titus abermals übernahm. Er muß einer der tüchtigsten Offiziere dieser Epoche gewesen sein. Ihm ist die pseudo-aristotelische, offenbar von einem andern alexandrinischen Juden verfaßte Schrift περί κοσμού gewidmet (J. Bernays, Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2, S. 278).. Im übrigen stand dieses Amt unter den nicht senatorischen an Rang und Einfluß anfänglich allen übrigen voran und späterhin einzig der Kommandantur der kaiserlichen Garde nach. Außer den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluß des Senators und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des Legionskommandanten (praefectus statt legatus) von der allgemeinen Ordnung sich entfernt, fungieren neben und unter dem Statthalter und gleichfalls für ganz Ägypten ein oberster Beamter für die Justiz und ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls römische Bürger vom Ritterrang und, wie es scheint, nicht dem Verwaltungsschema der Ptolemäer entlehnt, sondern nach einem auch in anderen kaiserlichen Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zu- und untergeordnetUnverkennbar sind der iuridicus Aegypti (CIL X, 6976; auch missus in Aegyptum ad iurisdictionem Bull. dell' Inst. 1856, S. 142; iuridicus Alexandreae CIL VI, 1564; VIII, 8925, 8934; Dig. 1, 20, 2) und der idiologus ad Aegyptum (CIL X, 4862; procurator ducenarius Alexandriae idiulogu Eph. epigr. V, p. 30 und CIG 3751; ο γνώμων τού ιδίου λόγου CIG 4957 v. 44 vgl. v. 39) den neben den Legaten der kaiserlichen Provinzen stehenden Hilfsbeamten für die Rechtspflege (legati iuridici) und die Finanzen (procuratores provinciae) nachgebildet (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 223, A. 5). Daß sie für das ganze Land bestellt und dem praefectus Aegypti untergeordnet waren, sagt Strabon (17, 1, 12 p. 797) ausdrücklich und fordert auch die öftere Erwähnung Ägyptens in der Titulatur sowie die Wendung in dem Edikt CIG 4957 v. 39. Ausschließlich aber war ihre Kompetenz nicht; "viele Prozesse", sagt Strabon, "entscheidet der rechtsprechende Beamte" (daß es Vormünder gab, lehrt Dig. 1, 20, 2), und nach demselben liegt es dem Idiologos namentlich ob, die bona vacantia et caduca für den Fiskus einzuziehen.

Dies schließt nicht aus, daß der römische iuridicus an die Stelle des älteren Dreißigergerichts mit dem αρχιδικαστής an der Spitze (Diodor 1, 75) getreten ist, welcher ägyptisch ist und nicht mit dem alexandrinischen αρχιδικαστής verwechselt werden darf, übrigens vielleicht schon vor der römischen Zeit beseitigt worden ist, und daß der Idiologos hervorgegangen ist aus einem in Ägypten bestehenden Anrecht des Königs auf die Erbschaften, wie es im übrigen Reiche in gleicher Ausdehnung nicht vorkam; welches letztere Lumbroso (Recherchen, S. 285) sehr wahrscheinlich gemacht hat.

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Alle übrigen Beamten fungieren nur für einzelne Bezirke und sind in der Hauptsache aus der ptolemäischen Ordnung übernommen. Daß die Vorsteher der drei Provinzen Unter-, Mittel- und Oberägypten, abgesehen vom Kommando mit dem gleichen Geschäftskreis, wie der Statthalter ausgestattet, in augustischer Zeit aus den ägyptischen Griechen, späterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus der römischen Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswert als ein Symptom der im Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurückdrängung des einheimischen Elements in der Magistratur.

Unter diesen oberen und mittleren Behörden stehen die Lokalbeamten, die Vorsteher der ägyptischen wie der griechischen Städte nebst den sehr zahlreichen, bei dem Hebungswesen und den mannigfaltigen, auf den Geschäftsverkehr gelegten Abgaben beschäftigten Subalternen und wieder in dem einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Dörfer, welche Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den Ortsangehörigen oder Ortsansässigen, jedoch mit Ausschluß der Alexandriner, durch den Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste darunter, die Vorstandschaft des Nomos, wird auf je drei Jahre von dem Statthalter besetzt. Die örtlichen Behörden der griechischen Städte waren der Anzahl wie der Titulatur nach andere; in Alexandreia namentlich fungierten vier Oberbeamten, der Priester AlexandersDer εκηγητής, nach Strabon (17, 1, 12 p. 797) der erste städtische Beamte in Alexandreia unter den Ptolemäern wie unter den Römern und berechtigt, den Purpur zu tragen, ist sicher identisch mit dem Jahrpriester in dem Testament Alexanders des in solchen Dingen sehr wohl unterrichteten Alexanderromans (3, 33 p. 149 Müller). Wie der Exegetes neben seiner wohl im religiösen Sinn zu fassenden Titulatur die επιμέλεια τών τή πόλει χρησίμων hat, so ist jener Priester des Romans επιμελιστής τής πόλεως. So wenig wie den Purpur und den goldenen Kranz wird der Romanschreiber auch die Besoldung von einem Talent und die Erblichkeit erfunden haben; die letztere, bei welcher auch Lumbroso (L'Egitto al tempo dei Greci e Romani. 1882, S. 152) an den εξηγητής έναρχος der alexandrinischen Inschriften (CIG 4688, 4976 c) erinnert, ist vermutlich in der Weise zu denken, daß ein gewisser Kreis von Personen durch Erbrecht berufen war und der Statthalter aus diesen den Jahrpriester bestellte. Dieser Priester Alexanders (sowie der folgenden ägyptischen Könige, nach dem Stein von Kanopos und dem von Rosette CIG 4697) war unter den früheren Lagiden für die alexandrinischen Akte eponym, während später wie unter den Römern dafür die Königsnamen eintreten. Nicht verschieden von ihm ist wohl auch der "Oberpriester von Alexandreia und ganz Ägypten" einer stadtrömischen Inschrift aus hadrianischer Zeit (CIG 5900: αρχιερεί Αλεξανδρείας καί Αιγύπτου πάσης Δευκίω Ιουλίω Ουηστίνω καί επιστάτει τού μουσείου καί επί τών εν Ρώμη βιβλιοσθηκών Ρωμαικών τε καί Ελληνικών καί επί τής παιδείας Αδριανού, επιστολεί τοί αυτού αυτοκράτορος); die eigentliche Titulatur εξηγητής wurde, da sie gewöhnlich den Küster bezeichnet, außerhalb Ägyptens vermieden. Sollte, was die Fassung der Inschrift nahe legt, das Oberpriestertum damals dauernd gewesen sein, so wiederholt sich bekanntlich der Übergang von der Jährigkeit zu der wenigstens titularen, nicht selten auch reellen Lebenslänglichkeit überhaupt bei den Sacerdotien der Provinzen, zu denen dieses alexandrinische zwar nicht gehört, aber deren Stelle es in Ägypten vertritt. Daß das Priestertum und die Vorstandschaft des Museums zwei verschiedene Ämter sind, zeigt die Inschrift selbst. Dasselbe lehrt die Inschrift eines königlichen Oberarztes aus guter Lagidenzeit, der daneben sowohl Exeget ist wie Vorsteher des Museums (Χρύσερμον Ηρακλείτου Αλεξανδρέα τόν σθγγενή βασιλέως Πτολεμαίου καί εξηγητήν καί επί τών ιατρών καί επιστάτην τού Μούσείου). Aber beide Denkmäler legen zugleich nahe, daß die Stellung des ersten Beamten von Alexandreia und die Vorstandschaft des Museums häufig demselben Manne übertragen worden sind, obwohl in römischer Zeit jene vom Präfekten, diese vom Kaiser vergeben ward., der Stadtschreiber (θπομνηματογράφος)Nicht zu verwechseln mit dem gleichartigen Amt, das Philon (in Flacc. 16) erwähnt und Lukianos (apolog. 12) bekleidete; dies ist kein städtisches, sondern eine Subalternstelle bei der Präfektur von Ägypten, lateinisch a commentariis oder ab actis., der Oberrichter (αρχιδικαστής) und der Nachtwächtermeister (νυκτερινός στρατηγός). Daß sie angesehener waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und zeigt deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende Purpurgewand. Übrigens rühren sie ebenfalls aus der Ptolemäerzeit her und werden wie die Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der römischen Regierung auf Zeit ernannt. Römische Beamte kaiserlicher Ernennung finden sich unter diesen städtischen Vorstehern nicht. Aber der Priester des Museion, der zugleich der Präsident der alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch über die bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfügt, wird vom Kaiser ernannt; ebenso werden die Aufsicht über das Alexandergrab und die damit verbundenen Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der Hauptstadt Ägyptens von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang besetztDies ist der procurator Neaspoleos et mausolei Alexandriae (CIL VIII, 8934; Henzen 6929). Beamte gleicher Art und gleichen Ranges, deren Kompetenz aber nicht klar erhellt, sind der procurator ad Mercurium Alexandreae (CIL X, 3847) und der procurator Alexandreae Pelusii (CIL VI, 1624). Auch der Pharus steht unter einem kaiserlichen Freigelassenen (CIL VI, 8582)..

Selbstverständlich sind Alexandriner und Ägypter in diejenigen Prätendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen, und haben dabei regelmäßig mitgemacht; auf diese Weise sind hier Vespasian, Cassius, Niger, Macrianus, Vaballathus, der Sohn der Zenobia, Probus zu Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber haben in allen diesen Fällen weder die Bürger von Alexandreia ergriffen noch die wenig angesehenen ägyptischen Truppen, und die meisten dieser Revolutionen, auch die mißlungenen, haben für Ägypten keine besonders empfindlichen Folgen gehabt. Aber die an den Namen der Zenobia sich knüpfende Bewegung ist für Alexandreia und für ganz Ägypten fast ebenso verhängnisvoll geworden wie für Palmyra. In Stadt und Land standen die palmyrenisch und römisch Gesinnten mit den Waffen und der Brandfackel in der Hand sich gegenüber. An der Südgrenze rückten die barbarischen Blemyer ein, wie es scheint im Einverständnis mit dem palmyrenisch gesinnten Teil der Bewohner Ägyptens, und bemächtigten sich eines großen Teils von OberägyptenAuf die Allianz der Palmyrener und der Blemyer deutet die Notiz der vita Firmi c. 3 und daß nach Zosimus (hist. 1, 71) Ptolemais zu den Blemyern abfiel (vgl. Eus. hist. eccl. 7, 32). Aurelian hat mit diesen nur verhandelt (vita 34. 41); Probus erst warf sie wieder aus Ägypten (Zos. a. a. O.; vita 17).. In Alexandreia war der Verkehr zwischen den beiden feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu befördern, war schwierig und gefährlichWir besitzen noch dergleichen Briefe, von dem damaligen Bischof der Stadt Dionysios († 265), an die in der feindlichen Stadthälfte abgesperrten Gemeindeglieder gerichtet (Eus. hist. eccl. 7, 21, 22 vgl. 32). Wenn es darin heißt: "leichter kommt man vom Orient in den Okzident als von Alexandreia nach Alexandreia" und η μεσαιτάτη τής πόλεως οδός, also die von der Lochiasspitze quer durch die Stadt laufende, mit Säulenhallen besetzte Straße (vgl. Lumbroso, L'Egitto, S. 137) mit der Wüste zwischen Ägypten und dem Gelobten Lande verglichen wird, so scheint es fast, als habe Severus Antoninus seine Drohung ausgeführt, eine Mauer quer durch die Stadt zu ziehen und militärisch zu besetzen (Dio 77, 23). Die Schleifung der Mauern nach der Niederwerfung des Aufstandes (Amm. 22,16,15) würde dann auf ebendiesen Bau zu beziehen sein.. Die Gassen starrten von Blut und von unbegrabenen Leichen. Die dadurch erzeugten Seuchen wüteten noch ärger als das Schwert; und damit keines der vier Rosse des Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte sich die Hungersnot zu den übrigen Geißeln. Die Bevölkerung schmolz in der Weise zusammen, daß, wie ein Zeitgenosse sagt, es früher in Alexandreia mehr Greise gab als nachher Bürger. Als der von Claudius gesandte Feldherr Probus endlich die Oberhand gewann, warfen sich die palmyrenisch Gesinnten, darunter die Mehrzahl der Ratsmitglieder, in das feste Kastell Prucheion in der unmittelbaren Nähe der Stadt; und obwohl, als Probus den Austretenden Schonung des Lebens verhieß, die große Mehrzahl sich unterwarf, harrte doch ein beträchtlicher Teil der Bürgerschaft bis zum Äußersten aus in dem Kampf der Verzweiflung. Die Festung, endlich durch Hunger bezwungen (270), wurde geschleift und lag seitdem öde; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande haben die Blemyer sich noch jahrelang behauptet; erst Kaiser Probus hat Ptolemais und Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande hinausgeschlagen. Der Notstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich hinziehenden Unruhen hervorgerufen haben müssen, mag dann wohl die einzige nachweislich in Ägypten entstandene RevolutionDie angeblich ägyptischen Tyrannen Aemilianus, Firmus, Saturninus sind als solche wenigstens nicht beglaubigt. Die sogenannte Lebensbeschreibung des zweiten ist nichts als die arg entstellte Katastrophe des Prucheion. zum Ausbruch gebracht haben. Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir wissen nicht warum und wozu, sowohl die eingeborenen Ägypter wie die Bürgerschaft von Alexandreia gegen die bestehende Regierung auf. Es wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius Domitianus und Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persönlichkeit bezeichnen; die Empörung währte drei bis vier Jahre; die Städte Busiris im Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung zerstört und schließlich unter der eigenen Führung Diocletians im Frühjahr 297 die Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen. Von dem Herunterkommen des reichen, aber durchaus auf den inneren und äußeren Frieden angewiesenen Landes zeugt nichts so deutlich wie die im Jahre 302 erlassene Verfügung desselben Diocletian, daß ein Teil des bisher nach Rom gesandten ägyptischen Getreides in Zukunft der alexandrinischen Bürgerschaft zugute kommen solleChr. Pasch. p. 514; Prok. hist. 26; Gothofred zu Cod. Theod. 14, 26, 2. Ständige Kornverteilungen sind schon früher in Alexandreia eingerichtet worden, aber, wie es scheint, nur für altersschwache Personen, und vermutlich für Rechnung der Stadt, nicht des Staats (Eus. hist. eccl. 7, 21).. Allerdings gehört dies zu den Maßregeln, welche die Dekapitalisierung Roms bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu begünstigen dieser Kaiser wahrlich keine Ursache hatte, wäre die Lieferung nicht zugewandt worden, wenn sie sie nicht dringend gebraucht hätten.

Wirtschaftlich ist Ägypten bekanntlich vor allem das Land des Ackerbaues. Zwar ist die "schwarze Erde" – das bezeichnet der einheimische Landesname Chemi – nur ein schmaler Doppelstreifen zu beiden Seiten des mächtigen, von der letzten Stromschnelle bei Syene, der Südgrenze des eigentlichen Ägyptens, auf 120 Meilen in breiter Fülle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe Wüste zum Mittelländischen Meer strömenden Nils; nur an seinem letzten Ende breitet die "Gabe des Flusses", das Nildelta, zwischen den mannigfaltigen Armen seiner Mündung sich zu beiden Seiten weiter aus. Auch der Ertrag dieser Strecken hängt Jahr für Jahr ab von dem Nil und den sechzehn Ellen seiner Schwelle, den den Vater umspielenden sechzehn Kindern, wie die Kunst der Griechen den Flußgott darstellt; mit gutem Grund nennen die Araber die niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des Todes, denn erreicht der Fluß die volle Höhe nicht, so trifft das ganze ägyptische Land Hunger und Verderben. Im allgemeinen aber vermag Ägypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig sind, der Weizen hundertfältig trägt und auch die Gemüsezucht, der Weinbau, die Baumkultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag bringen, nicht bloß eine dichte Bevölkerung zu ernähren, sondern auch reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies führte dazu, daß nach der Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichtum nicht viel verblieb. Ungefähr wie in persischer Zeit und wie heutzutage schwoll damals der Nil und fronten die Ägypter hauptsächlich für das Ausland, und zunächst dadurch spielt Ägypten in der Geschichte des kaiserlichen Rom eine wichtige Rolle. Nachdem Italiens eigener Getreidebau gesunken und Rom die größte Stadt der Welt geworden war, bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen überseeischen Getreides; und vor allem durch die Lösung der nicht leichten wirtschaftlichen Aufgabe, die hauptstädtische Zufuhr finanziell möglich zu machen und sicherzustellen hat der Prinzipat sich befestigt. Diese Lösung ruhte auf dem Besitz Ägyptens, und insofern hier der Kaiser ausschließlich gebot, hielt er durch Ägypten das Land Italien mit seinen Dependenzen in Schach. Als Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine Truppen nach Italien, er selbst aber ging nach Ägypten und bemächtigte sich Roms durch die Kornflotte. Wo immer ein römischer Regent daran gedacht hat oder haben soll, den Sitz der Regierung nach dem Osten zu verlegen, wie uns von Caesar, Antonius, Nero, Geta erzählt wird, da richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach Antiocheia, obwohl dies damals die regelmäßige Residenz des Ostens war, sondern nach der Geburtsstätte und der festen Burg des Prinzipats, nach Alexandreia.

Deshalb war denn auch die römische Regierung auf die Hebung des Feldbaues in Ägypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe von der Nilüberschwemmung abhängig ist, ward es möglich, durch systematisch durchgeführte Wasserbau ten, künstliche Kanäle, Dämme, Reservoirs die für den Feldbau geeignete Fläche bedeutend zu erweitern. In den guten Zeiten Ägyptens, des Heimatlandes der Meßschnur und des Kunstbaus, war dafür viel geschehen, aber diese segensreichen Anlagen unter den letzten elenden und finanziell bedrängten Regierungen in argen Verfall geraten. So führte die römische Besitznahme sich würdig damit ein, daß Augustus durch die in Ägypten stehenden Truppen die Nilkanäle einer durchgreifenden Reinigung und Erneuerung unterwarf. Wenn zur Zeit der römischen Besitzergreifung die volle Ernte einen Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei acht Ellen Mißernte eintrat, so genügten später, nachdem die Kanäle in Stand gesetzt waren, schon zwölf Ellen für eine volle Ernte und gaben acht Ellen noch einen genügenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser Probus Ägypten nicht bloß von den Äthiopen befreit, sondern auch die Wasserbauten am Nil wieder instand gesetzt. Es darf überhaupt angenommen werden, daß die besseren Nachfolger Augusts in ähnlichem Sinne administrierten und daß, zumal bei der durch Jahrhunderte kaum unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der ägyptische Ackerbau unter dem römischen Prinzipat in dauerndem Flor gestanden hat. Welche Rückwirkung diese Verhältnisse auf die Ägypter selbst hatten, vermögen wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem großen Teil beruhten die Einkünfte aus Ägypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in römischer wie in früherer Zeit einen beträchtlichen Teil des ganzen Areals ausmachteIn der Stadt Alexandreia scheint es kein eigentliches Grundeigentum gegeben zu haben, sondern nur eine Art Erbmiete (Amm. 22, 11, 6; Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 963, A. 1); im übrigen aber hat das Privateigentum am Boden in dem Sinn, wie das Provinzialrecht überhaupt ein solches kennt, auch in Ägypten gegolten. Von Domanialbesitz ist oft die Rede, zum Beispiel sagt Strabon (17, 1, 51 p. 828), daß die besten ägyptischen Datteln auf einer Insel wachsen, auf der Private kein Land besitzen dürften, sondern sie sei früher königlich, jetzt kaiserlich und bringe eine große Einnahme. Vespasian verkaufte einen Teil der ägyptischen Domänen und erbitterte dadurch die Alexandriner (Dio 66, 8), ohne Zweifel die Großpächter, die dann das Land an die eigentlichen Bauern in Unterpacht gaben. Ob der Grundbesitz in toter Hand, insbesondere der Priesterkollegien, in der römischen Zeit noch so ausgedehnt war wie früher, kann in Zweifel gezogen werden; ebenso ob im übrigen der Großgrundbesitz oder das Kleineigentum überwog; die Kleinwirtschaft war sicher allgemein. Ziffern besitzen wir weder für die Domanial- noch für die Grundsteuerquote; daß die fünfte Garbe bei Orosius (hist. 1, 8, 9) mit Einschluß des usque ad nunc aus der Genesis abgeschrieben ist, hat Lumbroso, Recherches, S. 94, mit Recht bemerkt. Die Domanialrente kann nicht unter der Hälfte betragen haben; auch für die Grundsteuer möchte der Zehnte (Lumbroso a. a. O., S. 289, 293) kaum genügen.

Anderweitige Ausfuhr des Getreides aus Ägypten bedurfte der Bewilligung des Statthalters (Hirschfeld, Annona, S. 23), ohne Zweifel weil sonst in dem dichtbevölkerten Lande leicht Mangel hätte eintreten können. Doch ist diese Einrichtung sicher mehr kontrollierend gewesen als prohibitiv; in dem Periplus des Ägypters wird mehrfach (c. 7, 17, 24, 28 vgl. 56) Getreide unter den Exportartikeln aufgeführt. Auch die Bestellung der Äcker scheint ähnlich kontrolliert worden zu sein; "die Ägypter", heißt es, "bauen lieber Rüben als Getreide, soweit sie dürfen, wegen des Rüböls" (Plin. nat. 19, 5, 79).

; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen Bestellung, den Kleinpächtern, die dieselbe beschafften, nur eine mäßige Quote des Ertrags geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt worden sein. Aber auch die zahlreichen und durchgängig kleineren Eigentümer werden eine hohe Grundsteuer in Getreide oder in Geld entrichtet haben. Die ackerbauende Bevölkerung, genügsam wie sie war, blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher lastete der Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrags im Ausland, schwerer auf Ägypten unter der römischen Fremdherrschaft als unter dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemäer.

Von der Wirtschaft Ägyptens bildete der Ackerbau nur einen Teil; wie dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem wesentlich agrikolen Afrika die hohe Blüte der Fabriken und des Handels voraus. Die Linnenfabrikation in Ägypten steht an Alter und Umfang und Ruhm der syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren Sorten in dieser Epoche vorzugsweise in Syrien und Phönizien fabriziert wurdenIm Diocletianischen Edikt sind unter den fünf feinen Linnensorten die vier ersten syrisch oder kilikisch (tarsisch), und das ägyptische Leinen erscheint nicht bloß an letzter Stelle, sondern wird auch bezeichnet als tarsisches alexandrinisches, das heißt nach tarsischem Muster in Alexandreia verfertigtes., sich durch die ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die Lieferungen aus Ägypten an die Reichshauptstadt auf andere Gegenstände als Getreide erstreckte, fehlten unter diesen die Leinwand und der Werg nicht. In feinen Glaswaren behaupteten, sowohl in der Färbung wie in der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten Platz, ja, wie sie meinten insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur mit ägyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Altertum massenweise auf den Flüssen und Seen Unterägyptens kultiviert ward und sonst nirgends gedieh, lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material für Stricke, Körbe und Kähne, das Schreibmaterial aber damals für die ganze schreibende Welt. Welchen Ertrag sie gebracht haben muß, ermißt man aus den Maßregeln, die der römische Senat ergriff, als einmal auf dem römischen Platz der Papyrus knapp ward und zu fehlen drohte; und da die mühsame Zubereitung nur an Ort und Stelle erfolgen kann, müssen zahllose Menschen davon in Ägypten gelebt haben. Auf Glas und PapyrusEinem reichen Mann in Ägypten wurde nachgesagt, daß er seinen Palast mit Glas statt mit Marmor getäfelt habe und Papyrus und Leim genug besitze, um ein Heer damit zu füttern (vita Firmi 3). erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zu Gunsten der Reichshauptstadt eingeführten alexandrinischen Warenlieferungen. Vielfach muß der Verkehr mit dem Osten auf die ägyptische Fabrikation bietend und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst für den Export nach dem Orient fabriziert und zwar in der durch den Landesgebrauch geforderten Weise: die gewöhnlichen Kleider der Bewohner von Habesch waren ägyptisches Fabrikat; nach Arabien und Indien gingen die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia kunstvoll betriebenen Bunt- und Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Ägypten angefertigten Glaskorallen in dem Handel der afrikanischen Küste dieselbe Rolle wie heutzutage. Indien bezog teils Glasbecher, teils unverarbeitetes Glas zur eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die Glasgefäße, mit welchen die römischen Fremden dem Kaiser huldigten, hohe Bewunderung erregt haben. Ägyptische Kaufleute brachten dem König der Axomiten (Habesch) als stehende Geschenke nach dortiger Landesart angefertigte Gold- und Silbergefäße, den zivilisierten Herrschern der südarabischen und der indischen Küste unter anderen Gaben auch Statuen, wohl von Bronze, und musikalische Instrumente. Dagegen sind die Materialien der Luxusfabrikation, die aus dem Orient kamen, insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich vorzugsweise in Ägypten, hauptsächlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich kam in einer Epoche, welche in öffentlichen Prachtbauten ihresgleichen niemals in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die ägyptischen Steinbrüche lieferten, in ungeheuren Massen auch außerhalb Ägyptens zur Verwendung: der schöne rote Granit von Syene, die Breccia verde aus der Gegend von Kosêr, der Basalt, der Alabaster, seit Claudius der graue Granit und besonders der Porphyr der Berge oberhalb Myos Hormos. Die Gewinnung derselben ward allerdings größtenteils für kaiserliche Rechnung durch Strafkolonisten bewirkt; aber wenigstens der Transport muß dem ganzen Lande und namentlich der Stadt Alexandreia zugute gekommen sein. Welchen Umfang der ägyptische Verkehr und die ägyptische Fabrikation gehabt hat, zeigt eine zufällig erhaltene Notiz über die Ladung eines durch seine Größe ausgezeichneten Lastschiffes (άκατος), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo stehenden Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es führte außerdem 200 Matrosen, 1200 Passagiere, 400000 röm. Scheffel (34000 Hektoliter) Weizen und eine Ladung von Leinwand, Glas, Papier und Pfeffer. "Alexandreia", sagt ein römischer Schriftsteller des 3. JahrhundertsDaß der angebliche Brief Hadrians (vita Saturnini 8) ein spätes Machwerk ist, zeigt zum Beispiel, daß der Kaiser sich in diesem an seinen Schwager Servianus gerichteten, höchst freundschaftlichen Brief beklagt über die Injurien, mit denen die Alexandriner bei seiner ersten Abreise seinen Sohn Verus überhäuft hätten, während andererseits feststeht, daß dieser Servianus neunzigjährig im Jahre 136 hingerichtet ward, weil er die kurz zuvor erfolgte Adoption des Verus gemißbilligt hatte., "ist eine Stadt der Fülle, des Reichtums und der Üppigkeit, in der niemand müßig geht; dieser ist Glasarbeiter, jener Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist das Geld." Es gilt dies verhältnismäßig von dem ganzen Lande.

Von dem Handelsverkehr Ägyptens mit den südlich angrenzenden Landschaften sowie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die Rede sein. Derjenige mit den Ländern des Mittelmeers tritt in der Überlieferung weniger hervor, zum Teil wohl, weil er zu dem gewöhnlichen Gang der Dinge gehörte und nicht oft sich Veranlassung fand, seiner besonders zu gedenken. Das ägyptische Getreide wurde von alexandrinischen Schiffern nach Italien geführt und infolgedessen entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel nachgebildetes Heiligtum mit seiner SchiffergemeindeDie ναύκληροι τού πορεύτικου Αλεξανδρινού στόλου, die den ohne Zweifel nach Portus gehörigen Stein CIG 5889 gesetzt haben, sind die Kapitäne dieser Getreideschiffe. Aus dem Serapeum von Ostia besitzen wir eine Reihe von Inschriften (CIL XIV, 47), wonach dasselbe in allen Stücken die Kopie des alexandrinischen war; der Vorsteher ist zugleich επιμελητής παντός τού Αλεξανδρείνου στόλου (CIG 5973). Wahrscheinlich waren diese Fahrzeuge wesentlich mit dem Korntransport beschäftigt und erfolgte dieser also sukzessiv, worauf auch die von Kaiser Gaius in der Meerenge von Reggio getroffenen Vorkehrungen (Ios. ant. Iud. 19, 2, 5) hinweisen. Damit ist wohl vereinbar, daß das erste Erscheinen der alexandrinischen Flotte im Frühjahr für Puteoli ein Fest war (Sen. epist. 77, 1).; aber an dem Vertrieb der aus Ägypten nach dem Westen gehenden Waren werden diese Lastschiffe schwerlich in bedeutendem Umfang beteiligt gewesen sein. Dieser lag wahrscheinlich ebenso sehr und vielleicht mehr in der Hand der italischen Reeder und Kapitäne als der ägyptischen; wenigstens gab es schon unter den Lagiden eine ansehnliche italische Niederlassung in AlexandreiaDies zeigen die merkwürdigen delischen Inschriften Eph. epigr. V, p. 600, 602. und haben im Okzident die ägyptischen Kaufleute nicht die gleiche Verbreitung gehabt wie die syrischenSchon in den delischen Inschriften des letzten Jahrhunderts der Republik wiegen die Syrer vor. Die ägyptischen Gottheiten haben dort wohl ein viel verehrtes Heiligtum gehabt, aber unter den zahlreichen Priestern und Dedikanten begegnet nur ein einziger Alexandriner (Hauvette-Besnault, BCH 6, 1882, S. 316 f.). Gilden alexandrinischer Kaufleute kennen wir von Tomi und von Perinthos (CIG 2024).. Die später zu erwähnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem Arabischen und dem Indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf die Schiffahrt des Mittelländischen keine Anwendung; die Regierung hatte kein Interesse daran, hier die ägyptischen Kaufleute vor den übrigen zu begünstigen. Es blieb dort der Verkehr vermutlich wie er war.

Ägypten war also nicht bloß in seinen anbaufähigen Teilen mit einer dichten ackerbauenden Bevölkerung besetzt, sondern auch, wie schon die zahlreichen und zum Teil sehr ansehnlichen Flecken und Städte dies erkennen lassen, ein Fabrikland und daher denn auch weitaus die am stärksten bevölkerte Provinz des Römischen Reiches. Das alte Ägypten soll eine Bevölkerung von 7 Millionen gehabt haben; unter Vespasian zählte man in den offiziellen Listen 7½ Millionen kopfsteuerpflichtiger Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten Alexandriner und sonstigen Griechen, sowie die wahrscheinlich nicht sehr zahlreichen Sklaven hinzutreten, so daß die Bevölkerung mindestens auf 8 Millionen Köpfe anzusetzen ist. Da das anbaufähige Areal heutzutage auf 500 deutsche Quadratmeilen, für die römische Zeit höchstens auf 700 veranschlagt werden kann, so wohnten damals in Ägypten auf der Quadratmeile durchschnittlich etwa 11000 Menschen.

Wenn wir den Blick auf die Bewohner Ägyptens richten, so sind die beiden das Land bewohnenden Nationen, die große Masse der Ägypter und die kleine Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene KreiseNachdem Juvenal die wüsten Zechgelage der eingeborenen Ägypter zu Ehren der Lokalgötter der einzelnen Nomen geschildert hat, fügt er hinzu, daß darin die Eingeborenen dem Kanopos, das heißt dem durch seine zügellose Ausgelassenheit berüchtigten alexandrinischen Sarapisfest (Strab. 17, 1, 17 p. 801) in keiner Hinsicht nachständen: horrida sane Aegyptus, sed luxuria, quantum ipse notavi, barbara famoso non cedit turba Canopo (sat. 15, 44)., wenngleich zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und die allem Laster eigene Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des Bösen gestiftet hat.

Die eingeborenen Ägypter werden von ihren heutigen Nachkommen weder in der Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genügsam, nüchtern, arbeitsfähig und tätig, geschickte Handwerker und Schiffer und gewandte Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten Glauben. Wenn die Römer versichern, daß die Ägypter stolz seien auf die Geißelmale wegen begangener SteuerdefraudenAmm. 22, 16, 23: erubescit apud (Aegyptios), si qui non infitiando tributa plurimas in corpore vibices ostendat., so sind dies Anschauungen vom Standpunkt aus des Steuerbeamten. Es fehlte in der nationalen Kultur nicht an guten Keimen; bei aller Überlegenheit der Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so völlig verschiedenen Rassen hatten die Ägypter wieder manche und wesentliche Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist schließlich doch der Rückschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die ägyptischen Priester der griechischen Unterhaltungsliteratur die von den Hellenen sogenannte Geschichtsforschung und ihre Behandlung poetischer Märchen als wirklicher Überlieferung aus vergangenen Urzeiten verspotten; in Ägypten mache man keine Verse, aber ihre ganze alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und Gedächtnissteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben kundig, da viele Denkmale zerstört seien und die Überlieferung zugrunde gehe durch die Unwissenheit und die Gleichgültigkeit der Späteren. Aber diese berechtigte Klage trägt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit; der ehrwürdige Baum der ägyptischen Zivilisation war längst zum Niederschlagen gezeichnet. Der Hellenismus drang zersetzend bis an die Priesterschaft selbst. Ein ägyptischer Tempelschreiber, Chaeremon, der als Lehrer der griechischen Philosophie an den Hof des Claudius für den Kronprinzen berufen ward, legte in seiner 'Ägyptischen Geschichte' den alten Landesgöttern die Elemente der stoischen Physik unter und die in der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne aus. In dem praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte ägyptische Wesen fast nur noch in Betracht auf dem religiösen Gebiet. Religion war diesem Volke eins und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man möchte sagen kaum empfunden, solange sie die heiligen Gebräuche des Landes und was damit zusammenhing nicht antastete. Freilich hing damit in dem inneren Landesregiment so ziemlich alles zusammen, Schrift und Sprache, Priesterprivilegien und Priesterhoffart, Hofsitte und Landesart; die Fürsorge der Regierung für den derzeit lebenden heiligen Ochsen, die Leistungen für dessen Bestattung bei seinem Ableben und für die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen Priestern und diesem Volke als das Kriterium der Tüchtigkeit des jedesmaligen Landesherrn und als der Maßstab für die ihm schuldige Achtung und Treue. Der erste Perserkönig führte sich damit in Ägypten ein, daß er das Heiligtum der Neith in Sais seiner Bestimmung, das heißt den Priestern zurückgab; der erste Ptolemaeos brachte, noch als makedonischer Statthalter, die nach Asien entführten ägyptischen Götterbilder an ihre alte Stätte zurück und restituierte den Göttern von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen; für die bei dem großen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten heiligen Tempelbilder statten die Landespriester in dem berühmten Kanopischen Dekret vom Jahre 238 v. Chr. dem König ihren Dank ab; die landübliche Einreihung der lebenden Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der Landesgötter haben diese Ausländer ebenso mit sich vornehmen lassen wie die ägyptischen Pharaonen. Die römischen Herrscher sind diesem Beispiel nur in beschränktem Maße gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie wir sahen, einigermaßen auf den Landeskultus ein, vermieden aber doch, selbst in ägyptischer Fassung, die mit den okzidentalischen Anschauungen in allzu grellem Kontrast stehenden landüblichen Prädikate. Da diese Lieblinge des Ptah und der Isis in Italien gegen die ägyptische Götterverehrung ähnlich wie gegen die jüdische einschritten, ließen sie von solcher Liebe sich erklärlicherweise außerhalb der Hieroglyphen nichts merken und beteiligten sich auch in Ägypten in keiner Weise an dem Dienst der Landesgötter. Wie hartnäckig immer die Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den eigentlichen Ägyptern festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher diese selbst neben den herrschenden Griechen und Römern sich befanden, drückte notwendig auf den Kultus und die Priester, und von der führenden Stellung, dem Einflusse, der Bildung des alten ägyptischen Priesterstandes sind unter dem römischen Regiment nur dürftige Reste wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus schöner Gestaltung und geistiger Verklärung abgewandte Landesreligion in und außer Ägypten als Ausgangs- und Mittelpunkt für allen erdenklichen frommen Zauber und heiligen Schwindel – es genügt dafür zu erinnern an den in Ägypten heimischen dreimal größten Hermes mit der an seinen Namen sich knüpfenden Literatur von Traktätchen und Wunderbüchern sowie der entsprechenden weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der Eingeborenen knüpften sich in dieser Epoche an den Kultus die ärgsten Mißbräuche – nicht bloß viele Tage hindurch fortgesetzte Zechgelage zu Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der dazu gehörigen Unzucht, sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den einzelnen Sprengeln um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem Pavian. Im Jahre 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im südlichen Ägypten von einer benachbarten GemeindeDies ist nach Juvenal Tentyra, was ein Fehler sein muß, wenn das bekannte gemeint ist; aber auch die Liste des Ravennaten 3, 2 nennt beide Orte zusammen. bei einem Festgelage überfallen und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen gefressen haben. Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht und diese jener zum Trotze einen Hund, und es brach darüber zwischen diesen beiden Nomen ein Krieg aus, bis die Römer einschritten und beide Parteien abstraften. Dergleichen Vorgänge waren in Ägypten an der Tagesordnung. Auch sonst fehlte es an Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus bestellte Vizekönig von Ägypten mußte wegen vermehrter Steuern Truppen nach Oberägypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls infolge des Steuerdrucks, nach Heroonpolis am oberen Ende des Arabischen Meerbusens. Einmal, unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der eingeborenen Ägypter sogar einen bedrohlichen Charakter an. Als in den schwer zugänglichen Küstensümpfen ostwärts von Alexandreia, der sogenannten "Rinderweide" (bucolia), welche den Verbrechern und den Räubern als Zufluchtsort diente und eine Art Kolonie derselben bildete, einige Leute von einer römischen Truppenabteilung aufgegriffen wurden, erhob sich zu deren Befreiung die ganze Räuberschaft, und die Landbevölkerung schloß sich an. Die römische Legion aus Alexandreia ging ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen und fast wäre Alexandreia selbst den Aufständischen in die Hände gefallen. Der Statthalter des Ostens, Avidius Cassius, rückte wohl mit seinen Truppen ein, wagte aber auch nicht gegen die Überzahl den Kampf, sondern zog es vor, in dem Bunde der Aufständischen Zwietracht hervorzurufen; nachdem die eine Bande gegen die andere stand, wurde die Regierung leicht ihrer aller Herr. Auch dieser sogenannte Rinderhirtenaufstand hat wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens, einen religiösen Charakter getragen; der Führer Isidoros, der tapferste Mann Ägyptens, war seinem Stande nach ein Priester, und daß zur Bundesweihe nach Ableistung des Eides ein gefangener römischer Offizier geopfert und von den Schwörenden gegessen ward, paßt sowohl dazu wie zu dem Kannibalismus des Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgänge bewahren die ägyptischen Räubergeschichten der spätgriechischen untergeordneten Literatur. Wie sehr übrigens dieselben der römischen Verwaltung zu schaffen gemacht haben mögen, einen politischen Zweck haben sie nicht gehabt und auch die allgemeine Ruhe des Landes nur partiell und temporär unterbrochen.

Neben den Ägyptern stehen die Alexandriner, einigermaßen wie in Ostindien die Engländer neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt Alexandreia in der vorkonstantinischen Kaiserzeit als die zweite Stadt des Römischen Reiches und die erste Handelsstadt der Welt. Sie zählte am Ende der Lagidenherrschaft über 300000 freie Einwohner, in der Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die Vergleichung der beiden großen, im Wetteifer miteinander erwachsenen Kapitalen am Nil und am Orontes ergibt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensätze. Beides sind verhältnismäßig neue Städte, monarchische Schöpfungen aus dem Nichts, von planmäßiger Anlage und regelmäßiger städtischer Einrichtung; das Wasser läuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia. An Schönheit der Lage und Pracht der Gebäude war die Stadt im Orontestal der Rivalin ebenso überlegen wie diese ihr in der Gunst der Örtlichkeit für den Großhandel und an Volkszahl. Die großen öffentlichen Bauten der ägyptischen Hauptstadt, der königliche Palast, das der Akademie gewidmete Museion, vor allem der Tempel des Sarapis waren Wunderwerke einer früheren, architektonisch hoch entwickelten Epoche; aber der großen Zahl kaiserlicher Anlagen in der syrischen Residenz hat die von wenigen der Caesaren betretene ägyptische Hauptstadt nichts Entsprechendes entgegenzustellen.

In der Unbotmäßigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen, auch darin, daß beide Städte, und namentlich Alexandreia, eben unter der römischen Regierung und durch dieselbe blühten und viel mehr Ursache hatten zu danken als zu frondieren. Wie die Alexandriner sich zu ihren hellenischen Regenten verhielten, davon zeugt die lange Reihe zum Teil noch heute gebräuchlicher Spottnamen, welche die königlichen Ptolemäer ohne Ausnahme dem Publikum ihrer Hauptstadt verdankten. Auch Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern für die Einführung einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensäcklers (Κυβιοσάκτης), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber die Kaiser kamen selten nach Ägypten und die fernen und fremden Herrscher boten diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer Abwesenheit widmete das Publikum wenigstens den Vizekönigen die gleiche Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer; selbst die Aussicht auf unausbleibliche Züchtigung vermochte die oft witzige und immer freche Zunge dieser Städter nicht zum Schweigen zu bringenSen. dial. 19, 6: loquax et in contumelias praefectorum irgeniosa provincia ... etiam periculosi sales placent.. Vespasian begnügte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit, die Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhöhen, und bekam dafür den weiteren Namen des Sechspfennigmanns; aber ihre Reden über Severus Antoninus, den kleinen Affen des großen Alexander und den Geliebten der Mutter Iokaste, sollten ihnen teuer zu stehen kommen. Der tückische Herrscher erschien in aller Freundschaft und ließ sich vom Volke feiern, dann aber seine Soldaten auf die festliche Menge einhauen, so daß Tage lang die Plätze und Straßen der großen Stadt im Blute schwammen; ja er ordnete die Auflösung der Akademie an und die Verlegung der Legion in die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausführung kam. Aber wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff der alexandrinische Pöbel bei dem geringsten Anlaß zum Stein und zum Knittel. Im Krawallieren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewährsmann, sind die Ägypter allen anderen voraus; der kleinste Funken genügt hier, um einen Tumult zu entfachen. Wegen versäumter Visiten, wegen Konfiskation verdorbener Lebensmittel, wegen Ausschließung aus einer Badeanstalt, wegen eines Streites zwischen dem Sklaven eines vornehmen Alexandriners und einem römischen Infanteristen über den Wert oder Unwert der beiderseitigen Pantoffel haben die Legionen auf die Bürgerschaft von Alexandreia einhauen müssen. Es kam hier zum Vorschein, daß die niedere Schicht der alexandrinischen Bevölkerung zum größeren Teil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Aufläufen spielten die Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heißt hier die Hetzredner, dabei ausdrücklich erwähnt werdenDion Chrysostomos sagt in seiner Ansprache an die Alexandriner (or. 32 p. 663 Reiske): "Weil nun (die Verständigen) zurücktreten und schweigen, daher entstehen bei euch die ewigen Streitigkeiten und Händel und das wüste Geschrei und die schlimmen und zügellosen Reden, die Ankläger, die Verdächtigungen, die Prozesse, der Rednerpöbel." In der alexandrinischen Judenhetze, die Philon so drastisch schildert, sieht man diese Volksredner an der Arbeit., aber im weiteren Verlauf tritt dann die Tücke und die Wildheit des eigentlichen Ägypters ins Gefecht. Die Syrer sind feige und als Soldaten sind es die Ägypter auch; aber im Straßentumult sind sie imstande, einen Mut zu entwickeln, der eines besseren Zieles würdig wäreDio Cass. 39, 58: "Die Alexandriner leisten in aller Hinsicht das Mögliche an Dreistigkeit und reden heraus, was ihnen in den Mund kommt. Im Krieg und seinen Schrecken benehmen sie sich feige; bei den Aufläufen aber, die bei ihnen sehr häufig und sehr ernst sind, greifen sie ohne weiteres zum Totschlagen und achten um des augenblicklichen Erfolgs willen das Leben für nichts, ja sie gehen in ihr Verderben, als handelte es sich um die höchsten Dinge.". An den Rennpferden ergötzten sich die Antiochener wie die Alexandriner; aber hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwürfe und Messerstiche. Von der Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Städte ergriffen; aber in Antiocheia genügte ein ernstes Wort der Behörde, um ihr ein Ende zu machen, während der alexandrinischen, von einigen Bengeln durch eine Puppenparade angezettelten Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen. Die Alexandriner, heißt es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht Frieden, bevor sie Blut gesehen hatten. Die römischen Beamten und Offiziere hatten daselbst einen schweren Stand. "Alexandreia", sagt ein Berichterstatter aus dem 4. Jahrhundert, "betreten die Statthalter mit Zittern und Zagen, denn sie fürchten die Volksjustiz; wo ein Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das Anstecken des Palastes und die Steinigung." Das naive Vertrauen auf die Gerechtigkeit dieser Prozedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu diesem "Volke" gehört hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte Kirchengeschichte, die Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen gleich mißliebigen Bischofs Georgios und seiner Genossen unter Julian und die der schönen Freidenkerin Hypatia durch die fromme Gemeinde des Bischofs Kyrillos unter Theodosius II. Tückischer, unberechenbarer, gewalttätiger waren diese alexandrinischen Aufläufe als die antiochenischen, aber ebenso wie diese weder für den Bestand des Reiches gefährlich noch auch nur für die einzelne Regierung. Leichtfertige und bösartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur unbequem, im Hause wie im Gemeinwesen.

Auch in dem religiösen Wesen haben beide Städte eine analoge Stellung. Den Landeskultus, wie die einheimische Bevölkerung ihn in Syrien wie in Ägypten festhielt, haben in seiner ursprünglichen Gestalt wie die Antiochener so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die Seleukiden, so haben auch die Lagiden sich wohl gehütet, an den Grundlagen der alten Landesreligion zu rütteln, und nur, die älteren nationalen Anschauungen und Heiligtümer mit den schmiegsamen Gestalten des griechischen Olymp verquickend, sie äußerlich einigermaßen hellenisiert, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt, den Pluton, unter dem bis dahin wenig genannten ägyptischen Götternamen Sarapis in den Landeskultus eingeführt und auf diesen dann den alten Osiriskult allmählich übertragenDie "frommen Ägypter" wehrten sich dagegen, wie Macrobius (Sat. 1, 7, 14) berichtet, aber tyrannide Ptolemaeorum pressi hos quoque deos (Sarapis und Saturnus) in cultum recipere Alexandrinorum more, apud quos potissimum colebantur, coacti sunt. Da sie also blutige Opfer darbringen mußten, was gegen ihr Ritual war, ließen sie diese Götter wenigstens in den Städten nicht zu: nullum Aegypti oppidum intra muros suos aut Saturni aut Sarapis fanum recepit.. So spielten die echt ägyptische Isis und der pseudo-ägyptische Sarapis in Alexandreia eine ähnliche Rolle wie in Syrien der Belos und der Elagabalos, und drangen auch in ähnlicher Weise wie diese, wenngleich weniger mächtig und heftiger angefochten, in der Kaiserzeit allmählich in den okzidentalischen Kultus ein. In der bei Gelegenheit dieser religiösen Gebräuche und Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch priesterlichen Segen approbierten und stimulierten Unzucht hatten beide Städte sich einander nichts vorzuwerfen.

Bis in späte Zeit hinab hat der alte Kultus in dem frommen Lande Ägypten seine festeste Burg behauptetDer oft angeführte anonyme Verfasser einer Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius, ein guter Heide, preist Ägypten namentlich auch wegen seiner musterhaften Frömmigkeit: "Nirgends werden die Mysterien der Götter so gut gefeiert wie dort von alters her und noch heute." Freilich, fügt er hinzu, meinten einige, daß die Chaldäer – er meint den syrischen Kult – die Götter besser verehrten; aber er halte sich an das, was er mit Augen gesehen. "Hier gibt es Heiligtümer aller Art und prächtig geschmückte Tempel, und in Menge finden sich Küster und Priester und Propheten und Gläubige und treffliche Theologen, und alles geht nach seiner Ordnung; du findest die Altäre immer von Flammen lodern und die Priester mit ihren Binden und die Weihrauchfässer mit herrlich duftenden Spezereien." Aus derselben Zeit etwa (nicht vor Hadrian) und offenbar auch von kundiger Hand rührt eine andere boshaftere Schilderung her (vita Saturnini 8): "Wer in Ägypten den Sarapis verehrt, ist auch Christ, und die sich christliche Bischöfe nennen, verehren gleichfalls den Sarapis; jeder Großrabbi der Juden, jeder Samariter, jeder christliche Geistliche ist da zugleich ein Zauberer, ein Prophet, ein Quacksalber (aliptes). Selbst wenn der Patriarch nach Ägypten kommt, fordern die einen, daß er zum Sarapis, die andern, daß er zu Christus beten." Diese Diatribe hängt sicher damit zusammen, daß die Christen den ägyptischen Gott für den Joseph der Bibel erklärten, den Urenkel der Sara und mit Recht den Scheffel tragend. In ernsterem Sinn faßt die Lage der ägyptischen Altgläubigen der vermutlich dem 3. Jahrhundert angehörige Verfasser des in lateinischer Übersetzung unter den dem Apuleius beigelegten Schriften erhaltenen Göttergesprächs, in welchem der dreimal größte Hermes dem Asklepios die zukünftigen Dinge verkündet: "Du weißt doch, Asklepios, daß Ägypten ein Abbild des Himmels oder, um richtiger zu reden, eine Übersiedelung und Niederfahrt der ganzen himmlischen Waltung und Tätigkeit ist; ja, um noch richtiger zu reden, unser Vaterland ist der Tempel des gesamten Weltalls. Und dennoch: eintreten wird eine Zeit, wo es den Anschein gewinnt, als hätte Ägypten vergeblich mit frommem Sinn in emsigem Dienst das Göttliche gehegt, wo alle heilige Verehrung der Götter erfolglos und verfehlt sein wird. Denn die Gottheit wird zurück in den Himmel sich begeben, Ägypten wird verlassen und das Land, welches der Sitz der Götterdienste war, wird der Anwesenheit göttlicher Macht beraubt und auf sich selbst angewiesen sein. Dann wird dieses geweihte Land, die Stätte der Heiligtümer und Tempel, dicht mit Gräbern und Leichen angefüllt sein. O Ägypten, Ägypten, von deinen Götterdiensten werden nur Gerüchte sich erhalten, und auch diese werden deinen kommenden Geschlechtern unglaublich dünken, nur Worte werden sich erhalten auf den Steinen, die von deinen frommen Taten erzählen, und bewohnen wird Ägypten der Skythe oder Inder oder sonst einer aus dem benachbarten Barbarenland. Neue Rechte werden eingeführt werden, neues Gesetz, nichts heiliges, nichts gottesfürchtiges, nichts des Himmels und der Himmlischen Würdiges wird gehört noch im Geiste geglaubt werden. Eine schmerzliche Trennung der Götter von den Menschen tritt ein; nur die bösen Engel bleiben da, die unter die Menschheit sich mengen." (Nach J. Bernays' Übersetzung, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1, S. 330).. Die Restauration des alten Glaubens, sowohl wissenschaftlich in der an denselben sich anlehnenden Philosophie wie auch praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen den Polytheismus gerichteten Angriffe, und in der Wiederbelebung des heidnischen Tempeldienstes und der heidnischen Mantik, hat ihren rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der neue Glaube auch diese Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die Wiege des Christentums ist Syrien, die des Mönchtums Ägypten. Von der Bedeutung und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Städte sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen. Von der Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen sie wohl diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Ägypter, aber hielten sich und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter Vespasian eine Million, etwa den achten Teil der Gesamtbevölkerung Ägyptens, und wie die Hellenen wohnten sie vorzugsweise in der Hauptstadt, von deren fünf Vierteln zwei jüdisch waren. An anerkannter Selbständigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichtum war die alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems die erste der Welt; und infolgedessen hat ein guter Teil der letzten Akte der jüdischen Tragödie, wie dies früher dargelegt worden ist, auf ägyptischem Boden sich abgespielt.

Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden Handel- und Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen und was daran hängt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie hielten doch keinen Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der alexandrinischen Fabrikarbeiter und Matrosen. Dagegen hatte für den Lebensgenuß, das Schauspiel, das Diner, die Liebesfreuden Antiocheia mehr zu bieten als die Stadt, in der "niemand müßig ging". Auch das eigentliche, vorzugsweise an die rhetorischen Exhibitionen anknüpfende Literatentreiben, welches wir in der Schilderung Kleinasiens skizzierten, trat in Ägypten zurückAls die Römer von dem berühmten Rhetor Proaeresios (Ende 3., Anfang 4. Jahrhundert) einen seiner Schüler für einen Lehrstuhl erbitten, sendet er ihnen den Eusebios aus Alexandreia; "hinsichtlich der Rhetorik", heißt es von diesem (Eun. proaer. p. 92 Boiss.), "genügt es zu sagen, daß er ein Ägypter war; denn dieses Volk treibt zwar mit Leidenschaft das Versemachen, aber die ernste Redekunst (ο σπουδαίος Έρμης) ist bei ihnen nicht zu Hause". Die merkwürdige Wiederaufnahme der griechischen Poesie in Ägypten, der zum Beispiel das Epos des Nonnos angehört, liegt jenseits der Grenzen unserer Darstellung., wohl mehr im Drang der Geschäfte des Tages als durch den Einfluß der zahlreichen und gut bezahlten, in Alexandreia lebenden und großenteils auch dort heimischen Gelehrten. Für den Gesamtcharakter der Stadt kamen diese Männer des Museums, von denen noch weiter die Rede sein wird, vor allem, wenn sie in fleißiger Arbeit ihre Schuldigkeit taten, nicht in hervorragender Weise in Betracht. Die alexandrinischen Ärzte aber galten als die besten im ganzen Reich; freilich war Ägypten nicht minder die rechte Heimstätte der Quacksalber und der Geheimmittel und jener wunderlichen zivilisierten Form der Schäfermedizin, in welcher fromme Einfalt und spekulierender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft drapieren. Des dreimal größten Hermes haben wir schon gedacht; auch der alexandrinische Sarapis hat im Altertum mehr Wunderkuren verrichtet als irgendeiner seiner Kollegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian angesteckt, daß auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in Alexandreia.

Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und literarischen Entwicklung des späteren Griechenlands und der okzidentalischen Kultur überhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint, nicht in einer Schilderung der örtlichen Zustände Ägyptens, sondern nur in derjenigen dieser Entwicklung selbst entsprechend gewürdigt werden kann, ist das alexandrinische Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter dem römischen Regiment eine allzu merkwürdige Erscheinung, um nicht auch in dieser Verbindung in seiner allgemeinen Stellung berührt zu werden. Daß die Verschmelzung der orientalischen und der hellenischen Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in Ägypten sich vollzog, wurde schon bemerkt; und wenn der neue Glaube, der den Okzident erobern sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene Wissenschaft, diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und außerhalb desselben den überweltlichen Gott und die göttliche Offenbarung anerkennt und verkündet, vorzugsweise aus Ägypten, wahrscheinlich schon der neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudentum, von dem früher die Rede war, sowie der neue Platonismus, dessen Begründer, der Ägypter Plotinos, ebenfalls schon erwähnt ward. Auf dieser vorzugsweise in Alexandreia sich vollziehenden Durchdringung der hellenischen und der orientalischen Elemente beruht es hauptsächlich, daß, wie dies in der Darstellung der italischen Verhältnisse näher darzulegen ist, der dortige Hellenismus in der früheren Kaiserzeit vorzugsweise ägyptische Form trägt. Wie die an Pythagoras, Moses, Platon anknüpfenden altneuen Weisheiten von Alexandreia aus in Italien eindrangen, so spielte die Isis und was dazu gehört die erste Rolle in der bequemen Modefrömmigkeit, welche die römischen Poeten der augustischen Zeit und die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die ägyptische Kunstübung herrscht vor in den kampanischen Fresken derselben Epoche wie in der tiburtinischen Villa Hadrians. Dem entspricht die Stellung, welche das alexandrinische Gelehrtenwesen in dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt. Nach außen hin beruht dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen Interessen und würde mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknüpfen als an den Alexandreias; es ist die Realisierung des Gedankens, daß in einem gewissen Stadium der Zivilisation Kunst und Wissenschaft durch das Ansehen und die Machtmittel des Staats gestützt und gefördert werden müssen, die Konsequenz des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher Alexander und Aristoteles nebeneinander stellte. Es soll hier nicht gefragt werden, wie in dieser mächtigen Konzeption Wahrheit und Irrtum, Beschädigung und Hebung des geistigen Lebens sich miteinander mischen, nicht die dürftige Nachblüte des göttlichen Singens und des hohen Denkens der freien Hellenen einmal mehr gestellt werden neben den üppigen und doch auch großartigen Ertrag des späteren Sammelns, Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche diesem Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so haben sie ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den einzig möglichen und auch einen herrlichen Ersatz gewährt. Für unsere Erwägung kommen vor allem die örtlichen Verhältnisse in Betracht. Kunstgärten sind einigermaßen unabhängig vom Boden, und nicht anders ist es mit diesen wissenschaftlichen Institutionen, nur daß sie ihrem Wesen nach an die Höfe gewiesen sind. Die materielle Unterstützung kann ihnen auch anderswo zuteil werden; aber wichtiger als diese ist die Gunst der höchsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und die Verbindungen, welche, in den großen Zentren zusammenlaufend, diese Kreise der Wissenschaft füllen und erweitern. In der besseren Zeit der Alexandermonarchien hatte es solcher Zentren so viele gegeben als es Staaten gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste unter ihnen gewesen. Die römische Republik hatte die übrigen eines nach dem andern in ihre Gewalt gebracht und mit den Höfen auch die dazugehörigen wissenschaftlichen Anstalten und Kreise beseitigt. Daß der künftige Augustus, als er den letzten dieser Höfe aufhob, die damit verknüpften gelehrten Institute bestehen ließ, ist die rechte und nicht die schlechteste Signatur der veränderten Zeit. Der energischere und höhere Philhellenismus des Caesarenregiments unterschied sich zu seinem Vorteil von dem republikanischen dadurch, daß er nicht bloß griechischen Literaten in Rom zu verdienen gab, sondern die große Tutel der griechischen Wissenschaft als einen Teil der Alexanderherrschaft betrachtete und behandelte. Freilich war, wie in dieser gesamten Regeneration des Reiches, der Bauplan großartiger als der Bau. Die königlich patentierten und pensionierten Musen, welche die Lagiden nach Alexandreia gerufen hatten, verschmähten es nicht, die gleichen Bezüge auch von den Römern anzunehmen; und die kaiserliche Munifizenz stand hinter der früheren königlichen nicht zurück. Der Bibliothekfonds von Alexandreia und der Fonds der Freistellen für Philosophen, Poeten, Ärzte und Ge lehrte aller ArtEin "homerischer Poet" εκ Μουσείου bringt es fertig, den Memnon in vier homerischen Versen anzusingen, ohne ein Wort von dem Seinen hinzuzutun (CIG 4748). Hadrian macht einen alexandrinischen Poeten zum Lohn für ein loyales Epigramm zum Mitglied (Athenaeos 15 p. 677 e). Beispiele von Rhetoren aus hadrianischer Zeit bei Philostratos vit. soph. 1, 22, 3. c. 25, 3. Ein φιλοσόφος από Μουσείου in Halikarnassos (BCH 4, 1880, S. 405). In späterer Zeit, wo der Circus alles ist, finden wir einen namhaften Ringkämpfer – vielleicht darf man sagen, als Ehrenmitglied der philosophischen Klasse (Inschrift aus Rom CIG 5914: νεωκόρος τού μεγάλου Σαράπιδος καί τών εν τώ Μουσείω σειτουμένων ατελών φιλοσόφων; vgl. das. 4724 und Firm. err. 13,3). Οι εν Εφέσω από τού Μουσείου ιατροί (Wood, Ephesus. Inscriptions from tombs, n. 7), eine Gesellschaft ephesischer Ärzte, beziehen sich wohl auch auf das Museum von Alexandreia, aber sind schwerlich Mitglieder desselben, sondern in demselben gebildet. sowie die diesen gewährten Immunitäten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius vermehrt, freilich mit der Auflage, daß die neuen Claudischen Akademiker die griechischen Geschichtswerke des wunderlichen Stifters Jahr für Jahr in ihren Sitzungen zum Vortrag zu bringen hatten. Mit der ersten Bibliothek der Welt behielt Alexandreia zugleich durch die ganze Kaiserzeit einen gewissen Primat der wissenschaftlichen Arbeit, bis das Museion zugrunde ging und der Islam die antike Zivilisation erschlug. Es war auch nicht bloß die damit gebotene Gelegenheit, sondern zugleich die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser Hellenen, welche der Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten die geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in dieser Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten, namentlich philologische und physikalische, aus dem Kreise der Gelehrten "vom Museum", wie sie gleich den Parisern "vom Institut" sich titulierten, hervorgegangen; aber die literarische Bedeutung, welche die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und Hofkunst in der besseren Epoche des Hellenismus für die gesamte hellenische und hellenisierende Welt gehabt hat, knüpfte nie auch nur entfernt sich an die römisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an Talenten oder anderen Zufälligkeiten, am wenigsten daran, daß der Platz im Museum vom Kaiser zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben ward und die Regierung damit völlig schaltete wie mit dem Ritterpferd und den Hausbeamtenstellungen; das war auch an den älteren Höfen nicht anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten blieben in Alexandreia, aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich, daß es nicht auf die Pensionen und Gratifikationen ankam, sondern auf die für beide Teile belebende Berührung der großen politischen und der großen wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl für die neue Monarchie sich ein und damit auch ihre Konsequenzen; aber die Stätte dafür war nicht Alexandreia: diese Blüte der politischen Entwicklung gehörte billig den Lateinern und der lateinischen Hauptstadt. Die augustische Poesie und die augustische Wissenschaft sind unter ähnlichen Verhältnissen zu ähnlicher bedeutender und erfreulicher Entwicklung gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der früheren Ptolemäer. Sogar indem griechischen Kreise knüpfte, soweit die römische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr als an Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken der Hauptstadt standen freilich der alexandrinischen nicht gleich und ein dem alexandrinischen Museum vergleichbares Institut gab es in Rom nicht. Aber die Stellung an den römischen Bibliotheken öffnete die Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von Vespasian eingerichtete, von der Regierung besetzte und besoldete hauptstädtische Professur der griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er gleich nicht in dem Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine ähnliche Stellung und galt, ohne Zweifel deswegen, als der vornehmste Lehrstuhl des ReichesΟ άνω θρόνος bei Philostratos vit. soph. 2, 10, 5.. Vor allem aber war das kaiserliche Kabinettssekretariat in seiner griechischen Abteilung die angesehenste und einflußreichste Stellung, zu der ein griechischer Literat überhaupt gelangen konnte. Versetzung von der alexandrinischen Akademie in ein derartiges hauptstädtisches Amt war nachweislich BeförderungBeispiele sind Chaeremon, der Lehrer Neros, vorher angestellt in Alexandreia (Suidas Διονύσιος Αλεξανδρεύς; vgl. Zeller, Hermes 11, 1876, S. 430 und oben 7, 275); Dionysios, des Glaukos Sohn, zuerst in Alexandreia Nachfolger Chaeremons, dann von Nero bis auf Traian Bibliothekar in Rom und kaiserlicher Kabinettssekretär (Suidas. a. a. O.); L. Julius Vestinus unter Hadrian, der sogar nach der Vorstandschaft des Museums dieselben Stellungen wie Dionysios in Rom bekleidete, auch als philologischer Schriftsteller bekannt.. Auch abgesehen von allem, was die griechischen Literaten sonst allein in Rom fanden, genügten die Hofstellungen und die Hofämter, um den angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an den ägyptischen "Freitisch". Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine Art Witwensitz der griechischen Wissenschaft, achtungswert und nützlich, aber auf den großen Zug der Bildung wie der Verbildung der Kaiserzeit von keinem durchschlagenden Einfluß; die Plätze im Museum wurden, wie billig, nicht selten an namhafte Gelehrte von auswärts vergeben, und für das Institut selbst kamen die Bücher der Bibliothek mehr in Betracht als die Bürger der großen Handels- und Fabrikstadt.

Die militärischen Verhältnisse Ägyptens stellten, eben wie in Syrien, den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Südgrenze und der Ostküste, der freilich mit dem für die Euphratlinie erforderlichen nicht entfernt verglichen werden kann, und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im Lande wie in der Hauptstadt. Die römische Besatzung bestand, abgesehen von den bei Alexandreia und auf dem Nil stationierten Schiffen, die hauptsächlich für die Zollkontrolle gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei Legionen nebst den dazugehörigen, nicht zahlreichen Hilfstruppen, zusammen etwa 20000 Mann. Es war dies etwa halb soviel, als er für die sämtlichen asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser Provinz für die neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber wahrscheinlich noch unter Augustus selbst um ein Drittel und dann unter Domitian um ein weiteres Drittel vermindert. Anfänglich waren zwei Legionen außerhalb der Hauptstadt stationiert; das Hauptlager aber und bald das einzige lag vor den Toren derselben, da wo Caesar der Sohn den letzten Kampf mit Antonius ausgefochten hatte, in der danach benannten Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes Amphitheater und ihr eigenes kaiserliches Volksfest und war völlig selbständig eingerichtet, so daß eine Zeitlang die öffentlichen Lustbarkeiten von Alexandreia durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also, welche in Syrien die Disziplin lockerten, die zunächst polizeiliche Aufgabe und die unmittelbare Berührung mit der großen Hauptstadt, kamen auch für die ägyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, daß die üble Gewohnheit, den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder doch ein Surrogat desselben zu gestatten und die Truppe aus diesen Lagerkindern zu ergänzen, bei den makedonischen Regimentern der Ptolemäer seit langem einheimisch war und rasch auch bei den Römern sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbürgerte. Dem entsprechend scheint das ägyptische Korps, in welchem die Okzidentalen noch seltener dienten als in den übrigen Armeen des Ostens und das zum großen Teil aus der Bürgerschaft und dem Lager von Alexandreia sich rekrutierte, unter allen Armeekorps das am wenigstens angesehene gewesen zu sein, wie denn auch die Offiziere dieser Legion, wie schon bemerkt ward, im Rang denen der übrigen nachstanden.

Die eigentlich militärische Aufgabe der ägyptischen Truppen hängt eng zusammen mit den Maßregeln für die Hebung des ägyptischen Handels. Es wird angemessen sein, beides zusammenzufassen und zunächst die Beziehungen zu den kontinentalen Nachbarn im Süden, sodann diejenigen zu Arabien und Indien im Zusammenhang darzulegen.

Ägypten reicht nach Süden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke, welche der letzte Katarakt unweit Syene (Assuân) der Schiffahrt entgegenstellt. Jenseits Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die Ägypter sie nennen, oder, wie die Griechen übersetzen, der Dunkelfarbigen, der Äthiopen, wahrscheinlich den später zu erwähnenden Urbewohnern Abessiniens stammverwandt, und, wenn auch vielleicht aus der gleichen Wurzel wie die Ägypter entsprungen, doch in der geschichtlichen Entwicklung als fremdes Volk ihnen gegenüberstehend. Weiter südwärts folgen die Nahsiu der Ägypter, das heißt die Schwarzen, die Nubier der Griechen, die heutigen Neger. Die Könige Ägyptens hatten in besseren Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein ausgedehnt oder es hatten wenigstens auswandernde Ägypter hier sich eigene Herrschaften gegründet; die schriftlichen Denkmäler des pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des dritten Katarakts nach Dongola hinein, wo Nabata (bei Nûri) der Mittelpunkt ihrer Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch beträchtlich weiter stromaufwärts, etwa sechs Tagereisen nördlich von Khartum, bei Schendi im Sennaar, in der Nähe der früh verschollenen Äthiopenstadt Meroë finden sich Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als Ägypten römisch ward, war es mit dieser Machtentwicklung längst vorbei und herrschte jenseits Syene ein äthiopischer Stamm unter Königinnen, die stehend den Namen oder den Titel Kandake führtenDer Eunuch der Kandake, der im Jesaias liest (Apostelgeschichte 8, 27), ist bekannt; eine Kandake regiert auch zu Neros Zeit (Plin. nat. 6, 29, 182) und spiele eine Rolle im Alexanderroman (3, 18 f.). und in jenem einst ägyptischen Nabata in Dongola residierten; ein Volk auf niedriger Stufe der Zivilisation, überwiegend Hirten, imstande, ein Heer von 30000 Mann aufzubringen, aber gerüstet mit Schilden von Rindshäuten, bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen und eisenbeschlagenen Keulen; räuberische Nachbarn, im Gefecht den Römern nicht gewachsen. Diese fielen im Jahre 730 (24) oder 731 (23) in das römische Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der nächsten Nomen sie geschädigt hätten, wie die Römer meinten, weil die ägyptischen Truppen damals großenteils in Arabien beschäftigt waren und sie hofften, ungestraft plündern zu können. In der Tat überwanden sie die drei Kohorten, die die Grenze deckten, und schleppten aus den nächsten ägyptischen Distrikten Philae, Elephantine, Syene die Bewohner als Sklaven fort und als Siegeszeichen die Statuen des Kaisers, die sie dort vorfanden. Aber der Statthalter, der eben damals die Verwaltung des Landes übernahm, Gaius Petronius, vergalt den Angriff rasch; mit 10000 Mann zu Fuß und 800 Reitern trieb er sie nicht bloß zum Lande hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land, schlug sie nachdrücklich bei Pselchis (Dakke) und erstürmte ihre feste Burg Premis (Ibrim) so wie die Hauptstadt selbst, die er zerstörte. Zwar erneuerte die Königin, ein tapferes Weib, im nächsten Jahre den Angriff und versuchte Premis, wo römische Besatzung geblieben war, zu erstürmen; aber Petronius brachte rechtzeitig Ersatz, und so entschloß sich die Äthiopin, Gesandte zu senden und um Frieden zu bitten. Der Kaiser gewährte ihn nicht bloß, sondern befahl, das unterworfene Gebiet zu räumen, und wies den Vorschlag seines Statthalters ab, die Besiegten tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser sonst nicht bedeutende Vorgang bemerkenswert, als gleich damals der bestimmte Entschluß der römischen Regierung sich zeigte, zwar das Niltal, soweit der Fluß schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der weiten Landschaften am oberen Nil ein für allemal abzusehen. Nur die Strecke von Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach Hiera Sykaminos (Maharraka), das sogenannte Zwölfmeilenland (Δωδεκάσχοινος) ist zwar niemals als Nomos eingerichtet und nie als ein Teil Ägyptens, aber doch als zum Reiche gehörig betrachtet worden; und spätestens unter Domitian wurden selbst die Posten bis nach Hiera Sykaminos vorgerücktDaß die Reichsgrenze bis Hiera Sykaminos reichte, ergibt sich für das 2. Jahrhundert aus Ptol. geogr. 5, 5, 74, für die Zeit Diocletians aus den die Reichsstraßen bis dahin führenden Itinerarien. In der ein Jahrhundert jüngeren Notitia dignitatum reichen die Posten wieder nicht hinaus über Syene, Philae, Elephantine. In der Strecke von Philae nach Hiera Sykaminos, der Dodekaschoenos Herodots (2, 29), scheinen schon in früher Zeit für die Ägyptern und Äthiopen immer gemeinschaftliche Isis von Philae Tempelabgaben erhoben worden zu sein; aber griechische Inschriften aus der Lagidenzeit haben sich hier nicht gefunden, dagegen zahlreiche datierte aus römischer, die ältesten aus der des Augustus (Pselchis, 2 n. Chr.: CIG 5086) und des Tiberius (ebenda, J. 26: 5104; J. 33: 5101), die jüngste aus der des Philippus (Kardassi, J. 248: 5010). Diese beweisen nicht unbedingt für die Reichsangehörigkeit des betreffenden Fundorts; aber die eines landvermessenden Soldaten vom Jahre 33 (5101) und die eines praesidium vom Jahre 84 (Talmis, 5042 f.), sowie zahlreiche andere setzen dieselbe allerdings voraus. Jenseits der bezeichneten Grenze hat sich nie ein ähnlicher Stein gefunden; denn die merkwürdige Inschrift der regina (CIL III, 83), bei Messaurât, südlich von Schendi (16° 25' Breite, 5 Lieues nördlich von den Ruinen von Naga) gefunden, die südlichste aller bekannten lateinischen Inschriften, jetzt im Berliner Museum, hat nicht ein römischer Untertan gesetzt, sondern vermutlich ein aus Rom zurückkehrender Abgesandter einer afrikanischen Königin, der lateinisch redet, vielleicht nur, um zu zeigen, daß er in Rom gewesen sei.. Dabei ist es im wesentlichen geblieben. Die von Nero geplante orientalische Expedition sollte allerdings auch Äthiopien umfassen; aber es blieb bei der vorläufigen Erkundung des Landes durch römische Offiziere bis über Meroë hinauf. Das nachbarliche Verhältnis muß an der ägyptischen Südgrenze bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es auch an kleineren Händeln mit jener Kandake und mit ihren Nachfolgerinnen, die längere Zeit sich behauptet zu haben scheinen, später vielleicht mit anderen, jenseits der Reichsgrenze zur Vormacht gelangenden Stämmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als das Reich in der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die Nachbarn auch über diese Grenze. Es ist schon erwähnt worden, daß die in den Gebirgen an der Südostgrenze ansässigen, früher den Äthiopen gehorchenden Blemyer, ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit, welches noch Jahrhunderte später sich der Menschenopfer nicht entwöhnt hatte, in dieser Epoche selbständig gegen Ägypten vorging und im Einverständnis mit den Palmyrenern einen guten Teil Oberägyptens besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tüchtige Kaiser Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfälle hörten nicht aufDie tropaea Niliaca, sub quibus Aethiops et Indus intremuit, in einer wahrscheinlich im Jahre 296 gehaltenen Rede (Paneg. 5, 5) gehen auf ein derartiges Rencontre, nicht auf die ägyptische Insurrektion; von Angriffen der Blemyer spricht eine andere Rede vom Jahre 289 (Paneg. 3, 17).

Über die Abtretung des Zwölfmeilengebiets an die Nubier berichtet Prok. Pers. 1, 19. Als unter der Herrschaft nicht der Nubier, sondern der Blemyer stehend erwähnen dasselbe Olympiodorus (fr. 37 Müller) und die Inschrift des Silko CIG 5072. Das kürzlich zum Vorschein gekommene Fragment eines griechischen Heldengedichts auf den Blemyersieg eines spätrömischen Kaisers bezieht Bücheler (Rheinisches Museum N. F. 39, 1880, S. 279 f.) auf den des Marcianus im Jahre 451 (vgl. Priscus fr. 21).

, und Kaiser Diocletianus entschloß sich, die Grenze zurückzunehmen. Das schmale Zwölfmeilenland forderte starke Besatzung und trug dem Staate wenig ein. Die Nubier, welche in der libyschen Wüste hausten und besonders die große Oase stetig heimsuchten, gingen darauf ein, ihre alten Sitze aufzugeben und sich in dieser Landschaft anzusiedeln, die ihnen förmlich abgetreten ward; zugleich wurden ihnen sowohl wie ihren östlichen Nachbarn, den Blemyern, feste Jahrgelder ausgesetzt, dem Namen nach, um sie für die Grenzbewachung zu entschädigen, in der Tat ohne Zweifel als Abkaufsgelder für ihre Plünderzüge, die natürlich dennoch nicht aufhörten. Es war ein Schritt zurück, der erste, seit Ägypten römisch war.

Von dem kaufmännischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Altertum wenig überliefert. Da die Katarakte des oberen Nils den unmittelbaren Wasserweg sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Afrika und den Ägyptern, namentlich der Elfenbeinhandel in römischer Zeit mehr über die abessinischen Häfen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er auch in dieser Richtung nichtJuvenal erwähnt sat. 11, 124 die Elefantenzähne, quos mittit porta Syenes.. Die auf der Insel Philae zahlreich neben den Ägyptern wohnenden Äthiopen sind offenbar meistens Kaufleute gewesen, und der hier vorwaltende Grenzfrieden wird das Seinige beigetragen haben zum Aufblühen der oberägyptischen Grenzstädte und des ägyptischen Handels überhaupt.

Die Ostküste Ägyptens stellt der Entwicklung des Weltverkehrs eine schwer zu lösende Aufgabe. Der durchgängig öde und felsige Strand ist eigentlicher Kultur unfähig und in alter wie in neuer Zeit eine WüsteNach der Art, wie Ptolemaeos 4, 5, 14 u. 15 diese Küste behandelt, scheint sie, eben wie das Zwölfmeilenland, außerhalb der Nomeneinteilung gestanden zu haben.. Dagegen nähern die beiden für die Kulturentwicklung der alten Welt vorzugsweise wichtigen Meere, das Mittelländische und das Rote oder Indische sich einander am meisten an den beiden nördlichsten Spitzen des letzteren, dem Persischen und dem Arabischen Golf; jener nimmt den Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren Lauf dem Mittelländischen Meere nahekommt; dieser ist nur wenige Tagemärsche entfernt von dem in dasselbe Meer fließenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen überwiegend entweder die Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Küste oder er wendet sich von der Ostküste Ägyptens nach dem Nil. Die Verkehrswege vom Euphrat her sind älter als die über den Nil; aber die letzteren haben den Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und des kürzeren Landtransports; Die Beseitigung des letzteren durch Herstellung einer künstlichen Wasserstraße ist bei dem Euphratweg ausgeschlossen, bei dem ägyptischen in alter wie in neuer Zeit wohl schwierig, aber nicht unmöglich befunden. Sonach ist dem Land Ägypten von der Natur selbst vorgeschrieben, die Ostküste mit dem Nillauf und der nördlichen Küste durch Land- oder Wasserstraßen zu verbinden; und es gehen auch die Anfänge derartiger Anlagen bis zurück in die Zeit derjenigen einheimischen Herrscher, welche zuerst Ägypten dem Ausland und dem großen Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es scheint, älterer Anlagen der großen Regenten Ägyptens, Sethi I. und Rhamses II., begann der Sohn Psammetichs, König Necho (610-594 v. Chr.), den Bau eines Kanals, der in der Nähe von Kairo vom Nil abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei Ismailia und durch diese mit dem Roten Meer herstellen sollte, ohne indes das Werk vollenden zu können. Daß er dabei nicht bloß die Beherrschung des Arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge faßte, sondern das Persische und das Indische Meer und der entlegenere Osten bereits in den Horizont dieses Ägypterkönigs getreten waren, ist deswegen wahrscheinlich, weil derselbe Herrscher die einzige im Altertum ausgeführte Umschiffung Afrikas veranlaßt hat. Außer Zweifel ist dies für König Dareios I., den Herrn sowohl Persiens wie Ägyptens; er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und Stelle aufgefundenen Denksteine melden, ließ er ihn selbst wieder verschütten, wahrscheinlich weil seine Ingenieure befürchteten, daß das Meerwasser, eingelassen in den Kanal, die Gefilde Ägyptens überschwemmen werde.

Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die Politik der nachalexandrischen Zeit überhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf zwischen dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der Prätendent; und in der besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche Offensive mit großer Energie geführt worden. Nicht bloß wurde jener von Necho und Dareios unternommene Kanal, jetzt der "Fluß Ptolemaeos" genannt, durch den zweiten Ptolemäer Philadelphos († 247 v. Chr.) zum ersten Mal der Schiffahrt eröffnet, sondern es wurden auch an den für die Sicherheit der Schiffe und für die Verbindung mit dem Nil am besten geeigneten Punkten der schwierigen Ostküste umfassende Hafenbauten ausgeführt. Vor allem geschah dies an der Mündung des zum Nil führenden Kanals, bei den Ortschaften Arsinoe, Kleopatris, Klysma, alle drei in der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwärts entstanden außer manchen kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas oberhalb des heutigen Kosêr, und Berenike im Trogodytenland, ungefähr in gleicher Breite mit Syene am Nil sowie mit dem arabischen Hafen Leuke Kome, von der Stadt Koptos, bei der der Nil am weitesten östlich vorspringt, jenes sechs bis sieben, dieses elf Tagemärsche entfernt und durch quer durch die Wüste angelegte, mit großen Zisternen versehene Straßen mit diesem Hauptemporium am Nil verbunden. Der Warenverkehr der Ptolemäerzeit ist wahrscheinlich weniger durch den Kanal gegangen als über diese Landwege nach Koptos.

Über jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche Ägypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Süden liegenden Ansiedlungen Ptolemais "für die Jagd" unterhalb Suâkin und die südlichste Ortschaft des Lagidenreichs, das spätere Adulis, damals vielleicht "Berenike die goldene" oder "bei Saba" genannt, Zula unweit des heutigen Massaua, bei weitem der beste Hafen an dieser ganzen Küste, sind nicht mehr gewesen als Küstenforts und haben mit Ägypten nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind diese entlegenen Ansiedlungen ohne Zweifel unter den späteren Lagiden entweder verlorengegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der Epoche, wo die römische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene, so an der Küste das trogodytische Berenike die Reichsgrenze.

In diesem von den Ägyptern nie besetzten oder früh geräumten Gebiet bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten Kaiserzeit, ein unabhängiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung, derjenige der AxomitenDas Beste, was wir über das Reich von Axomis wissen, lehrt der von einem ihrer Könige ohne Zweifel in der besseren Kaiserzeit in Adulis gesetzte Stein (CIG 5127b), eine Art von Denkschrift über die Taten dieses anscheinenden Reichsgründers im Stil der persepolitanischen des Dareios oder der ancyranischen des Augustus und angebracht an dem Königsthron, vor welchem bis in das 6. Jahrhundert hinein die Verbrecher hingerichtet wurden. Die sachkundige Erörterung Dillmanns (Abhandlungen der Berliner Akademie, 1877, S. 195 f.) erklärt, was davon erklärbar ist. Vom römischen Standpunkt aus ist hervorzuheben, daß der König zwar die Römer nicht nennt, aber deutlich auf ihre Reichsgrenzen Rücksicht nimmt, indem er die Tangaiten unterwirft μέχρι τών τής Αιγύπτου ορίων und eine Straße anlegt από τών τής εμής βασιλείας τόπων μέχρι Αιγύπτου, ferner als Nordgrenze seiner arabischen Expedition Leuke Kome nennt, die letzte römische Station an der arabischen Westküste. Daraus folgt weiter, daß diese Inschrift jünger ist als der unter Vespasian geschriebene Periplus des Roten Meeres; denn nach diesem (c. 5) herrscht der König von Axomis από τών Μοσχοφάγων μέχρι τής άλλης βαρβαρίας, und zwar ist dies ausschließlich zu verstehen, da er c. 2 die τύραννοι der Moschophagen nennt und ebenso c. 14 bemerkt, daß jenseits der Straße Bab el Mandeb kein "König" sei, sondern nur "Tyrannen". Also reichte damals das Axomitanische Reich noch nicht bis zur römischen Grenze, sondern nur bis etwa nach Ptolemais "der Jagd", ebenso nach der anderen Richtung nicht bis zum Kap Guardafui, sondern nur bis zur Straße Bab el Mandeb. Auch an der arabischen Küste spricht der Periplus von Besitzungen des Königs von Axomis nicht, obwohl er mehrfach der Dynasten daselbst gedenkt., entsprechend dem heutigen Habesch. Er führt seinen Namen von der im Herzen dieses Alpenlandes, acht Tagereisen vom Meer in der heutigen Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axomis, dem heutigen Aksum; als Hafen dient ihm das schon erwähnte beste Emporium an dieser Küste, Adulis in der Bucht von Massaua. Die ursprüngliche Bevölkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau gesprochen haben, von welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des Südens reine Überreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit den heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehört; der ägyptischen Bevölkerung scheint dieser Sprachkreis in ähnlicher Weise verwandt wie die Griechen mit den Kelten und den Slaven, so daß hier wohl für die Forschung eine Verwandtschaft, für das geschichtliche Dasein aber vielmehr allein der Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von diesem Lande auch nur beginnt, müssen überlegene Semitische, zu den himjaritischen Stämmen des südlichen Arabiens gehörige Einwanderer den schmalen Meerbusen überschritten und ihre Sprache wie ihre Schrift dort einheimisch gemacht haben. Die alte, erst lange nach römischer Zeit im Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das Ge'ez oder, wie sie fälschlich meist genannt wird, die äthiopischeDer Name der Äthiopen haftet in besserer Zeit an dem Land am oberen Nil, insbesondere den Reichen von Meroë und Nabata, also an dem Gebiet, das wir jetzt Nubien nennen. Im späteren Altertum, zum Beispiel von Prokopios, wird die Benennung auf den Staat von Axomis bezogen, und daher bezeichnen die Abessinier seit langem ihr Reich mit diesem Namen., ist rein semitischDaher die Legende, daß die Axomiten von Alexander in Afrika angesiedelte Syrer seien und noch syrisch sprächen (Philostorgius hist. eccl. 3, 6)., und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das Tigrina, sind es im wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des älteren Agau getrübt.

Über die Anfänge dieses Gemeinwesens hat sich keine Überlieferung erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange vorher herrschte der König der Axomiten an der afrikanischen Küste etwa von Suâkin bis zur Straße Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf – näher läßt sich die Epoche nicht bestimmen – finden wir ihn als Grenznachbarn der Römer an der Südgrenze Ägyptens, auch an der anderen Küste des Arabischen Meerbusens in dem Zwischengebiet zwischen dem römischen Besitz und dem der Sabäer in kriegerischer Tätigkeit, also nach Norden mit dem römischen Gebiet auch in Arabien sich unmittelbar berührend, überdies die afrikanische Küste außerhalb des Busens vielleicht bis zum Kap Guardafui beherrschend. Wie weit sich sein Gebiet von Axomis landeinwärts erstreckt hat, erhellt nicht; Äthiopien, das heißt Sennaar und Dongola, haben wenigstens in der früheren Kaiserzeit schwerlich dazu gehört; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von Nabata neben dem axomitischen bestanden haben. Wo uns die Axomiten entgegentreten, finden wir sie auf einer verhältnismäßig vorgeschrittenen Stufe der Entwicklung. Unter Augustus hob sich der ägyptische Handelsverkehr nicht minder wie mit Indien so mit diesen afrikanischen Häfen. Der König gebot nicht bloß über ein Heer, sondern, wie dies schon seine Beziehungen zu Arabien voraussetzen, auch über eine Flotte. Den König Zoskales, der in Vespasians Zeit in Axomis regierte, nennt ein griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen war, einen rechtschaffenen und der griechischen Schrift kundigen Mann; einer seiner Nachfolger hat an Ort und Stelle eine in geläufigem Griechisch verfaßte Denkschrift aufgestellt, die seine Taten den Fremden erzählte; er selbst nennt sich in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Könige der Axomiten bis in das vierte Jahrhundert hinab beibehielten, und widmet den Thron, der jene Denkschrift trägt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon zu Zoskales' Zeit nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten Handelsplatz; seine Nachfolger nötigten die schweifenden Stämme der arabischen Küste, zu Lande wie zur See Frieden zu halten, und stellten eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis an die römische Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunächst auf Seeverbindung angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter Vespasian dienten Messingstücke, die nach Bedürfnis geteilt wurden, den Eingeborenen statt des Geldes und zirkulierte die römische Münze nur bei den Adulis ansässigen Fremden; in der späteren Kaiserzeit haben die Könige selber geprägt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich König der Könige, und keine Spur deutet auf römische Klientel; er übt die Prägung in Gold, was die Römer nicht bloß in ihrem Gebiet, sondern auch in ihrem Machtbereich nicht zuließen. Es gibt in der Kaiserzeit außerhalb der römisch-hellenischen Grenzen kaum ein anderes Land, welches in gleicher Selbständigkeit dem hellenischen Wesen bei sich eine Stätte bereitet hätte wie der Staat von Habesch. Daß im Lauf der Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien eingebürgerte Volkssprache die Alleinherrschaft zurückgewann und das Griechische verdrängte, ist wahrscheinlich teils auf arabischen Einfluß zurückzuführen, teils auf den des Christentums und die damit zusammenhängende Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in Syrien und in Ägypten fanden, und schließt nicht aus, daß die griechische Sprache in Axomis und Adulis im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine ähnliche Stellung gehabt hat wie in Syrien und in Ägypten, soweit es eben gestattet ist, Kleines mit Großem zu vergleichen.

Von politischen Beziehungen der Römer zu dem Staat von Axomis wird aus den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere Erzählung sich beschränkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem übrigen Ägypten nahmen sie auch die Häfen der Ostküste in Besitz bis hinab zu dem abgelegenen und darum in römischer Zeit unter einen eigenen Kommandanten gestellten trogodytischen BerenikeDies ist der praefectus praesidiorum et montis Beronices (CIL IX, 3083), praefectus montis Berenicidis (Orelli 3881), praefectus Bernicidis (CIL X, 1129), ein Offizier von Ritterrang, analog den oben angeführten, in Alexandreia stationierten.. An Gebietserweiterung in die unwirtlichen und wertlosen Küstengebirge hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die dünne und auf der niedrigsten Stufe der Entwicklung stehende Bevölkerung des nächst angrenzenden Gebiets den Römern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht haben. Ebensowenig haben die Caesaren so, wie es die früheren Lagiden getan hatten, sich der Emporien der axomitanischen Küste zu bemächtigen versucht. Ausdrücklich gemeldet wird nur, daß Gesandte des Axomitenkönigs mit Kaiser Aurelian verhandelten. Aber eben dieses Stillschweigen sowie die früher bezeichnete unabhängige Stellung des HerrschersAuch das Schreiben, das Kaiser Constantius im Jahre 356 an den damaligen König von Axomis, Aeizanas, richtet, ist das eines Herrschers an einen anderen gleichgestellten: er ersucht ihn um freundnachbarlichen Beistand gegen die Ausbreitung der athanasischen Ketzerei und um Absetzung und Auslieferung eines derselben verdächtigen axomitischen Geistlichen. Die Kulturgemeinschaft tritt hier nur um so bestimmter hervor, als der Christ gegen den Christen den Arm des Heiden anruft. führen darauf, daß hier die geltenden Grenzen beiderseits dauernd respektiert wurden und ein gutes nachbarliches Verhältnis bestand, welches den Interessen des Friedens und vornehmlich dem ägyptischen Handelsverkehr zugute kam. Daß dieser, insbesondere der wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis für das innere Afrika das hauptsächliche Entrepôt war, überwiegend von Ägypten aus und auf ägyptischen Schiffen geführt worden ist, kann bei der überlegenen Zivilisation Ägyptens schon für die Lagidenzeit keinem Zweifel unterliegen, und auch in römischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl nur gesteigert, nicht weiter geändert.

Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem afrikanischen Süden war für Ägypten und das Römische Reich überhaupt der Verkehr mit Arabien und den weiter östlich gelegenen Küsten. Die arabische Halbinsel ist dem hellenischen Kulturkreise ferngeblieben. Es wäre wohl anders gekommen, wenn König Alexander ein Jahr länger gelebt hätte; der Tod raffte ihn weg mitten in den Vorbereitungen, die bereits erkundete arabische Südküste vom Persischen Meerbusen aus zu umfahren und zu besetzen. Aber die Fahrt, die der große König nicht hatte antreten können, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit fernster Zeit hat dagegen zwischen den beiden Küsten des Arabischen Meerbusens ein lebhafter Verkehr über das mäßig breite Wasser hinüber stattgefunden. In den ägyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die Seefahrten nach dem Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an Weihrauch, Ebenholz, Smaragden, Leopardenfellen eine bedeutende Rolle. Daß späterhin der nördliche Teil der arabischen Westküste zu dem Gebiet der Nabatäer gehörte und mit diesem in die Gewalt der Römer kam, ist schon angegeben worden. Es war dies ein ödes GestadeLandeinwärts liegt das uralte Teimâ, der Sohn Ismaels der Genesis, von dem assyrischen König Tiglatpilesar im achten Jahrhundert vor Chr. unter seinen Eroberungen aufgezählt, von dem Propheten Jeremias zusammen mit Sidon genannt, ein merkwürdiger Knotenpunkt assyrischer, ägyptischer, arabischer Beziehungen, dessen weitere Entfaltung, nachdem kühne Reisende ihn erschlossen haben, wir von der orientalischen Forschung erwarten dürfen. In Teimâ selbst fand kürzlich Euting aramäische Inschriften ältester Epoche (Nöldeke, SB Berlin 1884, S. 813 f.) Aus dem nicht weit entfernten Orte Medâin-Sâlih (Hidjr) stammen gewisse, den attischen nachgeprägte Münzen, welche zum Teil die Eule der Pallas durch dasjenige Götterbild ersetzen, das die Ägypter bezeichnen als Besa, den Herrn von Punt, das heißt von Arabien (Erman, Zeitschrift für Numismatik 9, 1880, S. 296f.). Der ebendaselbst gefundenen nabatäischen Inschriften wurde schon gedacht Nicht weit von da bei 'Ola (el-Ally) haben sich Inschriften gefunden, die in der Schrift und in den Götter- und Königsnamen denen der südarabischen Minäer entsprechen und zeigen, daß diese hier, sechzig Tagereisen von ihrer Heimat, aber auf der von Eratosthenes erwähnten Weihrauchstraße von Minaea nach Aelana, eine bedeutende Station gehabt haben; daneben andere eines verwandten, aber nicht identischen südarabischen Stammes (D. H. Müller in den Berichten der Wiener Akademie vom 17. Dezember 1884). Die minäischen Inschriften gehören ohne Zweifel der vorrömischen Zeit an. Da bei der Einziehung des nabatäischen Königreichs durch Traian diese Landstriche aufgegeben wurden, so mag von da an ein anderer südarabischer Stamm dort geherrscht haben.; nur das Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabatäer und insofern auch des Römischen Reiches, stand nicht bloß mit dem gegenüberliegenden Berenike in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach Petra und von da zu den Häfen des südlichen Syriens führenden Karawanenstraße und insofern einer der Knotenpunkte des orientalisch-okzidentalischen Handels. Die südlich angrenzenden Gebiete, nord- und südwärts von dem heutigen Mekka, entsprachen in ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenüberliegenden Trogodytenland und sind gleich diesem im Altertum weder politisch noch kommerziell von Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Szepter geeinigt, sondern von schweifenden Stämmen besetzt gewesen. Aber am Südende des Busens ist der einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der vorislamischen Zeit zu größerer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und die Römer nennen diese Araber in älterer Zeit nach der damals am meisten hervortretenden Völkerschaft Sabäer, in späterer nach einer anderen gewöhnlich Homeriten, wir nach der neu-arabischen Form des letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die Entwicklung dieses merkwürdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der römischen Herrschaft über Ägypten eine bedeutende Stufe erreichtDie an den Weihrauchhandel anknüpfenden Nachrichten bei Theophrastos († 287 vor Chr.; hist. plant. 9, 4) und vollständiger bei Eratosthenes (t 194 vor Chr.; bei Strabon 16, 4, 2 p. 768) von den vier großen Völkerschaften der Minäer (Mamali Theophr.?) mit der Hauptstadt Karna; der Sabäer (Saba Theophr.) mit der Hauptstadt Mariaba; der Kattabanen (Kitibaena Theophr.) mit der Hauptstadt Tamna; der Chatramotiten (Hadramyta Theophr.) mit der Hauptstadt Sabata umschreiben eben den Kreis, aus dem das Homeritenreich sich entwickelt hat, und bezeichnen seine Anfänge. Die viel gesuchten Minäer sind jetzt mit Sicherheit nachgewiesen in Ma'in im Binnenland oberhalb Marib und Hadramaut, wo Hunderte von Inschriften sich gefunden und schon nicht weniger als 26 Königsnamen ergeben haben. Mariaba heißt heute noch Marib. Die Landschaft Chatramotitis oder Chatramitis ist Hadramaut.. Seine Heimstatt, das "glückliche Arabien" der Alten, die Gegend von Mocha und Aden, ist von einer schmalen, glühend heißen und öden Strandebene umsäumt, aber das gesunde und temperierte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den Gebirgshängen und in den Tälern eine üppige Vegetation, und die zahlreichen Bergwässer gestatten bei sorgfältiger Wirtschaft vielfach eine gartenartige Kultur. Von der reichen und eigenartigen Zivilisation dieser Landschaft geben noch heute ein redendes Zeugnis die Reste von Stadtmauern und Türmen, von Nutz-, namentlich Wasserbauten und mit Inschriften bedeckten Tempeln, welche die Schilderung der alten Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser Landschaft vollkommen bestätigen; über die Burgen und Schlösser der zahlreichen Kleinfürsten Jemens haben die arabischen Geographen Bücher geschrieben. Berühmt sind die Trümmer des mächtigen Dammes, welcher einst in dem Tal bei Mariaba den Danafluß staute und es möglich machte, die Fluren aufwärts zu bewässernDie merkwürdigen Reste dieses mit größter Präzision und Geschicklichkeit ausgeführten Bauwerks sind beschrieben von Arnaud (Journal Asiatique, 7. série, tome 3 a. 1874, S. 3 f. mit Plänen; vgl. Ritter, Erdkunde, Bd. 12, S. 861). Zu beiden Seiten des jetzt fast ganz verschwundenen Dammes stehen je zwei aus Quadern aufgeführte Steinbauten von konischer, fast zylindrischer Form, zwischen denen eine schmale Öffnung für das aus dem Bassin ausfließende Wasser sich befindet; wenigstens auf der einen Seite führt ein mit Kieseln ausgelegter Kanal dasselbe an diese Pforte. Dieselbe war einstmals mit übereinander gesetzten Bohlen geschlossen, welche einzeln entfernt werden konnten, um das Wasser nach Bedürfnis abzuführen. Der eine dieser Steinzylinder trägt die folgende Inschrift (nach der allerdings nicht in allen Einzelheiten gesicherten Übersetzung von D. H. Müller, SB Wien 97, 1880, S. 965): "Jata'amar der Herrliche, Sohn des Samah'ali des Erhabenen, Fürst von Saba, ließ den Balap[berg] durchstechen [und errichtete] den Schleusenbau, genannt Rahab, zur leichteren Bewässerung." Für die chronologische Fixierung dieses und zahlreicher anderer Königsnamen der sabäischen Inschriften fehlt es an sicheren Anhaltspunkten. Der assyrische König Sargon sagt in der Khorsabad-Inschrift, nachdem er die Überwindung des Königs von Gaza, Hanno, im Jahre 716 vor Chr. erzählt hat: "ich empfing den Tribut des Pharao, des Königs von Ägypten, der Schamsijja, der Königin von Arabien, und des Ithamara, des Sabäers: Gold, Kräuter des Ostlandes, Sklaven, Pferde und Kamele" (Müller, a. a. O., S. 988; M. Duncker, Geschichte des Altertums. 5. Aufl. Berlin 1878-83. Bd. 2, S. 327., und von dessen Durchbruch und der dadurch angeblich veranlaßten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden die Araber lange Zeit ihre Jahre gezählt haben. Vor allem aber ist dieser Bezirk einer der Ursitze des Großhandels zu Lande wie zur See, nicht bloß weil seine Produkte, der Weihrauch, die Edelsteine, das Gummi, die Kassia, Aloe, Senna, Myrrhe und zahlreiche andere Drogen den Export hervorrufen, sondern auch weil dieser semitische Stamm, ähnlich wie der der Phöniker, seiner ganzen Art nach für den Handel geschaffen ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon, daß die Araber alle Händler und Kaufleute sind. Die Silberprägung ist hier alt und eigenartig; die Münzen sind anfänglich athenischen Stempeln, später römischen des Augustus nachgeprägt, aber auf einen selbständigen, wahrscheinlich babylonischen FußSallet in der Berliner Zeitschrift für Numismatik 8, 1881, S. 243. J. H. Mordtmann in der Wiener numismatischen Zeitschrift 12, S. 289.. Aus dem Land dieser Araber führten die uralten Weihrauchstraßen quer durch die Wüste nach den Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen Aelana und dem schon genannten Leuke Kome und den Emporien Syriens, Petra und GazaPlinius (nat. 12, 14, 65) berechnet die Kosten einer Kamellast Weihrauch auf dem Landweg von der arabischen Küste bis nach Gaza auf 688 Denare (= 600 Mark). "Auf der ganzen Strecke", sagt er, "ist zu zahlen für Futter und Wasser und Unterkunft und für verschiedene Zölle; dann fordern die Priester gewisse Anteile und die Schreiber der Könige; außerdem erpressen die Wachen und die Trabanten und die Leibwächter und Diener; dazu kommen dann unsere Reichszölle." Bei dem Wassertransport fielen diese Zwischenkosten weg.; diese Wege des Landhandels, welche neben denen des Euphrat und des Nil den Verkehr zwischen Orient und Okzident seit ältester Zeit vermitteln, sind vermutlich die eigentliche Grundlage des Aufblühens von Jemen. Aber der Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der große Stapelplatz dafür ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waren zu Wasser, sicher überwiegend auf arabischen Schiffen, entweder nach eben jenen Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen und also nach den syrischen Häfen oder nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und Alexandreia. Daß dieselben Araber ebenfalls in sehr früher Zeit sich der gegenüberliegenden Küste bemächtigten und ihre Sprache und Schrift und ihre Zivilisation nach Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt. Wenn Koptos, das Nil-Emporium für den östlichen Handel, ebenso viel Araber wie Ägypter zu Bewohnern hatte, wenn sogar die Smaragdgruben oberhalb Berenike (bei Djebel Zebâra) von den Arabern ausgebeutet wurden, so zeigt dies, daß sie im Lagidenstaat selbst den Handel bis zu einem gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten in Betreff des Verkehrs auf dem Arabischen Meer, wohin höchstens einmal ein Zug gegen die Piraten unternommen wurdeDie Züchtigung der Piraten berichtet Agatharchides bei Diod. 3, 43 und Strab. 16, 4, 18 p. 777. Ezion Geber aber in Palästina am aelanitischen Meerbusen, ή νύν Βερενίκη καλείται (Ios. ant. Iud. 8, 6, 4), heißt sicher so nicht von einer Ägypterin (J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus, Bd. 3, 2, S. 349), sondern von der Jüdin des Tims., wird eher begreiflich, wenn ein seemächtiger und geordneter Staat diese Gewässer beherrschte. Auch außerhalb ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen. Adane blieb bis in die römische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des Verkehrs einerseits mit Indien, andererseits mit Ägypten und gedieh trotz seiner eigenen ungünstigen Lage an dem baumlosen Strand zu solcher Blüte, daß die Benennung des "glücklichen Arabien" zunächst auf diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren Tagen der Imam von Maskat im Südosten der Halbinsel über die Inseln Sokotra und Sansibar und die afrikanische Ostküste vom Kap Guardafui südlich ausgeübt hat, stand in vespasianischer Zeit "von alters her" den Fürsten Arabiens zu: die Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra, gehorchte damals dem König von Hadramaut, Azania, das heißt die Küste Somal und weiter südlich einem der Unterkönige seines westlichen Nachbarn, des Königs der Homeriten. Die südlichste Station an der ostafrikanischen Küste, von welcher die ägyptischen Kaufleute wußten, Rhapta in der Gegend von Sansibar, pachteten von diesem Scheich die Kaufleute von Muza, das ist ungefähr das heutige Mocha, "und senden dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Kapitänen und Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft durch Heirat verknüpft und der Örtlichkeiten und der Landessprachen kundig sind". Die Bodenkultur und die Industrie reichten dem Handel die Hand: in den vornehmen Häusern Indiens trank man neben dem italischen Falerner und dem syrischen Laodikener auch arabischen Wein; und die Lanzen und die Schusterpfriemen, welche die Eingeborenen der Küste von Sansibar von den fremden Händlern kauften, waren Fabrikat von Muza. So ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und wenig kaufte, eine der reichsten der Welt.

Wie weit die politische Entwicklung derselben mit der wirtschaftlichen Schritt gehalten hatte, läßt sich für die vorrömische und die frühere Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den Berichten der Okzidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich zu ergeben, daß diese Südwestspitze Arabiens unter mehrere selbständige Herrscher mit Gebieten von mäßiger Größe geteilt war. Es standen dort neben den am meisten hervortretenden Sabäern und Homeriten die schon genannten Chatramotiten in Hadramaut und nördlich im Binnenland die Minäer, alle unter eigenen Fürsten.

Den Arabern Jemens gegenüber haben die Römer die gerade entgegengesetzte Politik befolgt wie gegenüber den Axomiten. Augustus, für den die Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunkt des Reichsregiments war, und der die Eroberungspläne seines Vaters und Meisters beinahe alle fallenließ, hat eine Ausnahme mit der arabischen Südwestküste gemacht und ist hier nach freiem Entschluß angreifend vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche diese Völkergruppe in dem indisch-ägyptischen Handelsverkehr damals einnahm. Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines Herrschaftsgebiets wirtschaftlich auf die Höhe zu bringen, welche seine Vorherrschen herzustellen versäumt hatten oder hatten verfallen lassen, bedurfte er vor allem der Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen Arabien und Indien einer- und Europa andererseits. Der Nilweg konkurrierte seit langem erfolgreich mit den arabischen und den Euphratstraßen; aber Ägypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens unter den späteren Lagiden eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den Axomiten, aber wohl mit den Arabern bestand Handelskonkurrenz; sollte der ägyptische Verkehr aus einem passiven ein aktiver, aus einem indirekten ein direkter werden, so mußten die Araber niedergeworfen werden; und dies ist es, was Augustus gewollt und das römische Regiment einigermaßen auch erreicht hat.

Im sechsten Jahre seiner Regierung in Ägypten (Ende 729 25) entsandte Augustus eine eigens für diese Expedition hergestellte Flotte von 80 Kriegs- und 130 Transportschiffen und die Hälfte der ägyptischen Armee, ein Korps von 10000 Mann, ungerechnet die Zuzüge der beiden nächsten Klientelkönige, des Nabatäers Obodas und des Juden Herodes, gegen die Staaten der Jemen, um dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens zugrunde zu richtenDies (προσοικειούσθαι τούτους – τούς Άραβας – ή καταστρέφεσθαι: Strab. 16, 4, 22 p. 780; ει μή ο Συλλαίος αυτόν – τόν Γάλλον – προυδίδου, κάν κατεστρέψατο τήν Ευδαίμονα πάσαν: ders. 17, 1, 53 p. 819) war der eigentliche Zweck der Expedition, obwohl auch die Hoffnung auf die für das Aerarium eben damals sehr willkommene Beute ausdrücklich erwähnt wird., woneben die dort aufgehäuften Schätze sicher auch in Rechnung kamen. Aber das Unternehmen schlug vollständig fehl, und zwar durch die Unfähigkeit des Führers, des damaligen Statthalters von Ägypten, Gaius Aelius GallusDer Bericht Strabons (16, 4, 22 f. p. 780) über die arabische Expedition seines "Freundes" Gallus (φίλος αμίν καί εταίρος Strab. 2, 5, 12 p. 118), in dessen Gefolge er Ägypten bereiste, ist zwar zuverlässig und ehrlich wie alle seine Meldungen, aber augenscheinlich von diesem Freunde ohne jede Kritik übernommen. Die Schlacht, in der 10000 Feinde und zwei Römer fielen, und die Gesamtzahl der in diesem Feldzug Gefallenen, welche sieben ist, richten sich selbst; aber nicht besser ist der Versuch, den Mißerfolg auf den nabatäischen Wesir Syllaeos abzuwälzen durch einen "Verrat", wie er geschlagenen Generalen geläufig ist. Allerdings eignete sich dieser insofern zum Sündenbock, als er einige Jahre nachher auf Betreiben des Herodes von Augustus in Untersuchung gezogen und verurteilt und hingerichtet ward (Ios. ant. Iud. 16, 10); aber obwohl wir den Bericht des Agenten besitzen, der diese Sache für Herodes in Rom geführt hat, ist darin von diesem Verrat kein Wort zu finden. Daß Syllaeos die Absicht gehabt haben soll, erst die Araber durch die Römer und dann diese selbst zugrunde zu richten, wie Strabo "meint", ist bei der Stellung der Klientelstaaten Roms geradezu unvernünftig. Eher ließe sich denken, daß Syllaeos der Expedition deshalb abgeneigt war, weil der Handelsverkehr durch das Nabatäerland durch sie beeinträchtigt werden konnte. Aber den arabischen Minister deswegen des Verrats zu beschuldigen, weil die römischen Fahrzeuge für die arabische Küstenfahrt ungeeignet waren oder weil das römische Heer genötigt war, das Wasser auf Kamelen mitzuführen, Durra und Datteln statt Brot und Fleisch, Butter statt öl zu essen; als Entschuldigung dafür, daß auf die bei dem Rückmarsch in 60 Tagen zurückgelegte Strecke für den Hinmarsch 180 verwendet wurden, die betrügerische Wegweisung vorzuführen; endlich die vollkommen richtige Bemerkung des Syllaeos, daß ein Landmarsch von Arsinoe nach Leuke Kome untunlich sei, damit zu kritisieren, daß von da nach Petra eine Karawanenstraße gehe, zeigt nur, was ein vornehmer Römer einem griechischen Literaten aufzubinden vermochte.. Da auf die Besetzung und den Besitz der öden Küste von Leuke Kome abwärts bis an die Grenze des feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so mußte die Expedition unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem südlichsten ägyptischen Hafen die Armee sofort in das glückliche Arabien geführt werdenDie schärfste Kritik des Feldzugs gibt die Auseinandersetzung des ägyptischen Kaufmanns über die Zustände auf der arabischen Küste von Leuke Kome (el-Haura, nördlich von Janbô, der Hafenstadt von Medina) bis zur Katakekaumene-Insel (Djebel Tair bei Lohaia). "Verschiedene Völker bewohnen sie, die teils etwas, teils völlig verschiedene Sprachen reden. Die Bewohner der Küste leben in Hürden wie die 'Fischesser' auf dem entgegengesetzten Ufer" (diese Hürden beschreibt er c. 2 als vereinzelt liegend und in die Felsspalten, eingebaut), "die des Binnenlandes in Dörfern und Weidegemeinschaften; es sind bösartige zwiesprachige Menschen, welche die aus der Fahrstraße verschlagenen Seefahrer plündern und die Schiffbrüchigen in die Sklaverei schleppen. Deshalb wird von den Unter- und den Oberkönigen Arabiens beständig auf sie Jagd gemacht; sie heißen Kanraiten (oder Kassaviten). überhaupt ist die Schiffahrt an dieser ganzen Küste gefährlich, der Strand hafenlos und unzugänglich, von böser Brandung, klippig und überhaupt sehr schlimm. Darum halten wir, wenn wir in diese Gewässer einfahren, uns in der Mitte und eilen, in das arabische Gebiet zu kommen zur Insel Katakekaumene; von da an sind die Bewohner gastlich und begegnen zahlreiche Herden von Schafen und Kamelen." Dieselbe Gegend zwischen der römischen und der homeritischen Grenze und dieselben Zustände hat auch der axomitische König im Sinn, wenn er schreibt: πέραν δέ τής ερυθράς θαλάσσης οικούντας Αρραβίτας καί Κιναιδοκολπίτας (vgl. Ptol. geogr. 6, 7, 20), σράτευμα ναυτικόν καί πεζικόν διαπεμψάμενος καί υποτάξας αυτών τούς βασιλείας, φόρους τής γής τελείν εκέλυσα καί οδεύεσθαι μετ' ειρήνης καί πλέεσθαι, από τε Δευκής κώμης έως τών Σαβαίων χώρας επολέμησα.. Stattdessen wurde die Flotte in dem nördlichsten, dem von Arsinoe (Suez) fertiggestellt und das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt, gleich als wäre es darauf angekommen, die Fahrt der Flotte und den Marsch der Truppen möglichst zu verlängern. Überdies waren die Kriegsschiffe überflüssig, da die Araber keine Kriegsflotte besaßen, die römischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen Küste unbekannt und die Fahrzeuge, obwohl besonders für diese Expedition gebaut, für ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den römischen Gewässern von Arsinoe nach Leuke Kome kostete viele Schiffe und Leute. Hier wurde überwintert; im Frühjahr 730 (24) begann der Zug in Feindesland. Die Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo einmal die Doppeläxte und die Schleudern und Bogen mit dem Pilum und dem Schwert zusammenstießen, stoben die Eingeborenen auseinander wie die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die im Lande endemisch sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlähmung dezimierten die Soldaten ärger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als der Feldherr es nicht verstand, die schwerfällige Heermasse rasch vorwärts zu bringen. Dennoch gelangte die römische Armee bis vor die Mauern der Hauptstadt der zunächst von dem Angriff betroffenen Sabäer, Mariaba. Aber da die Einwohner die Tore ihrer mächtigen, heute noch stehenden MauernDiese Mauern, von Bruchstein erbaut, bilden einen Kreis von einer Viertelstunde im Durchmesser. Sie sind beschrieben von Arnaud, a. a. O. (vgl. Anm. 514). schlossen und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte der römische Feldherr an der Lösung der ihm gestellten Aufgabe und trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt gelegen hatte, den Rückzug an, den die Araber kaum ernstlich störten und der im Drang der Not, freilich unter schlimmer Einbuße an Mannschaften, verhältnismäßig schnell gelang.

Es war ein übler Mißerfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens nicht auf. Es ist schon erzählt worden, daß die Orientfahrt, die der Kronprinz Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war diesmal im Plan, nach der Unterwerfung Armeniens im Einverständnis mit der parthischen Regierung, oder nötigenfalls nach Niederwerfung ihrer Armeen, an die Euphratmündung zu gelangen und von da aus den Seeweg, den einst der Admiral Nearchos für Alexander erkundet hatte, nach dem glücklichen Arabien zu nehmenDaß die orientalische Expedition des Gaius zum Endziel Arabien hatte, sagt Plinius (namentlich nat. 12, 14, 55, 56; vgl. 2, 67, 168; 6, 27, 141; c. 28, 160; 32, 1, 10) ausdrücklich. Daß sie von der Euphratmündung ausgehen sollte, folgt daraus, daß die Expedition nach Armenien und Verhandlungen mit der parthischen Regierung ihr vorausgingen. Darum lagen auch den Kollektaneen Jubas über die bevorstehende Expedition die Berichte der Feldherren Alexanders über ihre Erkundung Arabiens zu Grunde.. In anderer, aber nicht minder unglücklicher Weise endigten diese Hoffnungen durch den parthischen Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von Artageira traf. Mit ihm ward der arabische Eroberungsplan für alle Zukunft begraben. Die große Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem nördlichen und nordwestlichen Küstenstriche, in derjenigen Freiheit verblieben, aus welcher seinerzeit der Henker des Hellenentums, der Islam hervorgehen sollte.

Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, teils durch die weiterhin zu erörternden Maßregeln der römischen Regierung zum Schutz der ägyptischen Schiffahrt, teils durch einen gegen den Hauptstapelplatz des indisch-arabischen Verkehrs von den Römern geführten Schlag. Sei es unter Augustus selbst, möglicherweise bei den Vorbereitungen zu der von Gaius auszuführenden Invasion, sei es unter einem seiner nächsten Nachfolger, es erschien eine römische Flotte vor Adane und zerstörte den Platz; in Vespasians Zeit war er ein Dorf und seine Blüte vorüber. Wir kennen nur die nackte TatsacheDie einzige Kunde von dieser merkwürdigen Expedition hat der ägyptische Kapitän aufbewahrt der um das Jahr 75 die Fahrt an den Küsten des Roten Meeres beschrieben hat. Er kennt (c. 26) das Adane der Späteren, das heutige Aden, als ein Dorf an der Küste (κώμη παραθαλάσσιος), das zum Reiche des Königs der Homeriten Charibael gehört, aber früher eine blühende Stadt war und davon heißt (ευδαίμων δ' επεκλήθη πρότερον ούσα πόλις), weil vor der Einrichtung des unmittelbaren indisch-ägyptischen Verkehrs dieser Ort als Stapelplatz diente: νύν δέ ου πρό πολλού τών ημετέρων χρόνων Καίσαρ αυτήν κατεστρέψατο. Das letzte Wort kann hier nur "zerstören" heißen, nicht, wie häufiger, "unterwerfen", weil die Umwandlung der Stadt in ein Dorf motiviert werden soll. Für Καίσαρ hat Schwanbeck (Rheinisches Museum N. F. 7, 1848, S. 353) Χαριβαήλ, C. Müller Ιλασάρ (wegen Strab. 16, 4, 21 p. 782) vorgeschlagen; beides ist nicht möglich, dieses nicht, weil dieser arabische Dynast in einem weit entlegenen Distrikt herrschte, auch unmöglich als bekannt vorausgesetzt werden konnte, jenes nicht, weil Charibael Zeitgenosse des Schreibers war und hier ein vor der Zeit desselben vorgefallenes Ereignis berichtet wird. An der Überlieferung wird man nicht Anstoß nehmen, wenn man überlegt, welches Interesse die Römer daran haben mußten, den arabischen Stapelplatz zwischen Indien und Ägypten zu beseitigen und den direkten Verkehr herbeizuführen. Daß die römischen Berichte von diesem Vorgang schweigen, ist ihrem Wesen angemessen; die Expedition, welche ohne Zweifel durch eine ägyptische Flotte ausgeführt ward und lediglich in der Zerstörung eines vermutlich wehrlosen Küstenplatzes bestand, wird vermutlich von keinem Belang gewesen sein; um den großen Handelsverkehr haben die Annalisten sich nie gekümmert, und überhaupt sind die Vorgänge in Ägypten noch weniger als die in den andern kaiserlichen Provinzen zur Kenntnis des Senats und damit der Annalisten gekommen. Die nackte Bezeichnung Καίσαρ, wobei nach Lage der Sache der damals regierende ausgeschlossen ist, erklärt sich wohl daraus, daß der berichtende Kapitän wohl die Tatsache der Zerstörung durch die Römer, aber Zeit und Urheber nicht kannte.

Möglich ist es, daß hierauf die Notiz bei Plinius (nat. 2, 67, 168) zu beziehen ist: maiorem (oceana) partem et orientis victoriae magni Alexandri lustravere usque in Arabicum sinum, in quo res gerente C. Caesare Aug. f. signa navium ex Hispaniensibus naufragiis feruntur agnita. Gaius kam nicht nach Arabien (Plin. nat. 6, 28, 160); aber recht wohl kann während der armenischen Expedition von Ägypten aus ein römisches Geschwader von einem seiner Unterbefehlshaber an diese Küste geführt worden sein, um die Hauptexpedition vorzubereiten. Daß darüber sonst Stillschweigen herrscht, kann auch nicht befremden. Die arabische Expedition des Gaius war so feierlich angekündigt und dann in so übler Weise aufgegeben worden, daß loyale Berichterstatter alle Ursache hatten, eine Tatsache zu verwischen, die nicht wohl erwähnt werden konnte, ohne auch das Scheitern des größeren Planes zu berichten.

, aber sie spricht für sich selber. Ein Seitenstück zu der Zerstörung Korinths und Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren Zweck erreicht und dem römisch-ägyptischen Handel die Suprematie im Arabischen Meerbusen und im Indischen Meere gesichert.

Indes die Blüte des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begründet, um diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in dieser Epoche sich straffer zusammengefaßt. Mariaba war, als die Waffen des Gallus an seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die Hauptstadt der Sabäer; aber schon damals war die Völkerschaft der Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar etwas südlich von Mariaba auch im Binnenland liegt, die stärkste des glücklichen Arabiens. Ein Jahrhundert später finden wir beide vereinigt unter einem in Sapphar regierenden König der Homeriten und der Sabäer, dessen Herrschaft bis Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, über die Insel Sokotra und die Küste von Somal und Sansibar sich erstreckt; und wenigstens von dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten die Rede sein. Die Wüstenei nördlich von Mariaba bis zur römischen Grenze gehörte damals nicht dazu und stand überhaupt unter keiner geordneten GewaltDer ägyptische Kaufmann unterscheidet den ένθεσμος βασιλεύς der Homeriten (c. 23) scharf von den τύραννοι, den bald unter ihm stehenden, bald unabhängigen (c. 14) Stammhäuptern, und ebenso scharf diese geordneten Zustände von der Rechtlosigkeit der Wüstenbewohner (c. 2). Wenn Strabon und Tacitus für diese Dinge so offene Augen gehabt hätten wie jener praktische Mann, so wüßten wir etwas mehr vom Altertum.; die Fürstentümer der Minäer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter eigenen Landesherren. Die östliche Hälfte Arabiens hat beständig einen Teil des Persischen Reiches gebildet und niemals unter dem Szepter der Beherrscher des glücklichen Arabien gestanden. Auch jetzt also waren die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es ist wenig über die weitere Entwicklung der Verhältnisse bekanntDer Krieg des Macrinus gegen die Arabes eudaemones (vita 12) und die an Aurelian geschickten Boten derselben (vita 33), die neben denen der Axomiten genannt werden, würden deren damals fortdauernde Selbständigkeit beweisen, wenn auf diese Angaben Verlaß wäre.. In der Mitte des 4. Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten vereinigt und wurde von Axomis aus beherrschtDer König nennt sich um das Jahr 356 (Anm. 511) in einer Urkunde (CIG 5128) βασιλεύς Αξωμιτών καί Ομηριτών καί τού Ραειδάν (Schloß in Sapphar, der Hauptstadt der Homeriten: Dillmann, Abhandlungen der Berliner Akademie, 1878, S. 207) ... καί Σαβαειτών καί τού Σιλεή (Schloß in Mariaba, der Hauptstadt der Sabäer: Dillmann a. a. O.). Dazu stimmt die gleichzeitige Sendung von Gesandten ad gentem Axumitarum et Homerita[rum] (Cod. Theod. 12, 12, 2). Über die späteren Verhältnisse vgl. besonders Nonnosus (FEIG 4 p. 179 Müller) und Prok. Pers. 1, 20., welche Untertänigkeit indes späterhin sich wieder gelöst hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie das vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhängiger Staat in der späteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag.

In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Südwestens der Halbinsel auch später noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht, doch die ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle eingenommen. Nach der Zerstörung von Adane ist Muza die Handelsmetropole dieser Landschaft geworden. Noch für die vespasianische Zeit trifft die früher gegebene Darstellung im wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als ausschließlich arabisch, bewohnt von Reedern und Seeleuten und voll rührigen kaufmännischen Treibens; mit ihren eigenen Schiffen befahren die Muzaiten die ganze afrikanische Ost- und die indische Westküste und verfrachten nicht bloß die Waren des eigenen Landes, sondern bringen auch die nach orientalischem Geschmack in den Fabriken des Okzidents gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und die feinen Weine Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den Westländern die edlen Waren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen Aromen müssen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut, Kane, östlich von Aden, eine Art tatsächlichen Monopols immer behalten haben; erzeugt wurde diese im Altertum sehr viel mehr als heute gebrauchte Ware wie auf der südlichen arabischen, so auch auf der afrikanischen Küste von Adulis bis zum "Vorgebirge der Arome", dem Kap Guardafui, aber von hier holten sie die Kaufleute von Muza, und sie brachten sie in den Welthandel. Auf der schon erwähnten Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der drei großen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heißt der Ägypter, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum Hellenismus, wie wir sie auf der gegenüberliegenden Küste bei den Axomiten fanden, begegnet im Lande Jemen keine Spur; wenn die Münzprägung durch okzidentalische Stempel bestimmt ist, so waren diese eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich Schrift und Sprache und Kunstübung, soweit wir zu urteilen vermögen, hier ebenso selbständig entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es dadurch mit bewirkt worden, daß die Axomiten, während sie politisch die Homeriten sich unterwarfen, später aus der hellenischen Bahn in die arabische zurücklenkten.

In dem gleichen Sinn wie für die Beziehungen zu dem südlichen Afrika und zu den arabischen Staaten und in erfreulicherer Weise ist in Ägypten selbst für die Wege des Handelsverkehrs zunächst von Augustus und ohne Zweifel von allen verständigen Regenten gesorgt worden. Das von den früheren Ptolemäern auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete Straßen- und Hafensystem war, wie die gesamte Verwaltung, in den Wirren der letzten Lagidenzeit arg heruntergekommen. Es wird nicht ausdrücklich gemeldet, daß Augustus die Land- und die Wasserwege und die Häfen Ägyptens wieder instand gesetzt hat; aber daß es geschehen, ist darum nicht minder gewiß. Koptos ist die ganze Kaiserzeit hindurch der Knotenpunkt dieses Verkehrs gebliebenAristeides (or. 48 p. 485 Dind.) nennt Koptos den indischen und arabischen Stapelplatz. In dem Roman des Ephesiers Xenophon (4, 1) begeben sich die syrischen Räuber nach Koptos; "denn dort passieren eine Menge von Kaufleuten durch, die nach Äthiopien und Indien reisen.". Aus einer kürzlich aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, daß in der ersten Kaiserzeit die beiden von danach den Häfen von Myos Hormos und von Berenike führenden Straßen durch die römischen Soldaten repariert und an den geeigneten Stellen mit den erforderlichen Zisternen versehen worden sindAristeides (or. 48 p. 485 Dind.) nennt Koptos den indischen und arabischen Stapelplatz. In dem Roman des Ephesiers Xenophon (4, 1) begeben sich die syrischen Räuber nach Koptos; "denn dort passieren eine Menge von Kaufleuten durch, die nach Äthiopien und Indien reisen.". Der Kanal, der das Rote Meer mit dem Nil und also mit dem Mittelländischen Meer verband, ist auch in römischer Zeit nur in zweiter Reihe, hauptsächlich vielleicht für den Transport der Marmor- und Porphyrblöcke von der ägyptischen Ostküste an das Mittelmeer benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit. Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert – vielleicht ist er es gewesen, der ihn mit dem noch ungeteilten Nil bei Babylon (unweit Kairo) in Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge verstärkt hat – und ihm den Namen des Traianus- oder des Kaiserflusses (Augustus amnis) beigelegt, von welchem in späterer Zeit dieser Teil Ägyptens benannt wurde (Augustamnica).

Auch für die Unterdrückung der Piraterie auf dem Roten und dem Indischen Meer ist Augustus ernstlich tätig gewesen; die Ägypter dankten es ihm noch lange nach seinem Tode, daß durch ihn die Piratensegel vom Meer verschwanden und den Handelsschiffen wichen. Freilich geschah dafür bei weitem nicht genug. Daß die Regierung in diesen Gewässern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader in Tätigkeit setzte, aber eine ständige Kriegsflotte nicht daselbst stationierte; daß die römischen Kauffahrer regelmäßig im Indischen Meer Schützen an Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, würde befremden, wenn nicht die relative Gleichgültigkeit gegen die Unsicherheit der Meere überall, hier so gut wie an der belgischen Küste und an denen des Schwarzen Meeres, wie eine Erbsünde dem römischen Kaiserregiment oder vielmehr dem römischen Regiment überhaupt anhaftete. Freilich waren die Regierungen von Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage noch mehr als die Römer in Berenike und Leuke Kome dazu berufen, der Piraterie zu steuern, und es mag diesem Umstand mit zuzuschreiben sein, daß die Römer mit diesen teils schwächeren, teils unentbehrlichen Nachbarn im ganzen in gutem Einvernehmen geblieben sind.

Daß der Seeverkehr Ägyptens, wenn nicht mit Adulis, so doch mit Arabien und Indien in derjenigen Epoche, welche der Römerherrschaft unmittelbar vorherging, in der Hauptsache nicht durch die Ägypter vermittelt ward, ist früher gezeigt worden. Den großen Seeverkehr nach Osten erhielt Ägypten erst durch die Römer. "Nicht zwanzig ägyptische Schiffe im Jahr", sagt ein Zeitgenosse des Augustus, "wagten unter den Ptolemäern sich aus dem Arabischen Golf hinaus; jetzt fahren jährlich 120 Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos Hormos nach Indien." Der Handelsgewinn, den der römische Kaufmann bis dahin mit dem persischen oder arabischen Zwischenhändler hatte teilen müssen, floß seit der Eröffnung der direkten Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunächst dadurch erreicht worden, daß den arabischen und indischen Fahrzeugen die ägyptischen Häfen wenn nicht geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzölle tatsächlich geschlossen wurdenAusdrücklich gesagt wird dies nirgends, aber es geht deutlich aus dem Periplus des Ägypters hervor. Er spricht an zahlreichen Stellen von dem Verkehr des nicht römischen Afrika mit Arabien (c. 7. 8) und umgekehrt der Araber mit dem nicht römischen Afrika (c. 17. 21. 31; danach Ptol. geogr. 1, 17, 6) und mit Persien (c. 27. 33) und Indien (c. 21. 27. 49); ebenso von dem der Perser mit Indien (c. 36) so wie der indischen Kauffahrer mit dem nicht römischen Afrika (c. 14. 31. 32) und mit Persien (c. 36) und Arabien (c. 32). Aber mit keinem Worte deutet er an, daß diese fremden Kaufleute auch nach Berenike, Myos Hormos, Leuke Kome kämen; ja wenn er bei dem wichtigsten Handelsplatz dieses ganzen Kreises, bei Muza bemerkt, daß diese Kaufleute mit ihren eigenen Schiffen nach der afrikanischen Küste außerhalb der Straße Bab el Mandeb (denn das ist ihm τό πέραν) und nach Indien fahren, so kann Ägypten unmöglich zufällig fehlen.; nur durch die Voraussetzung einer solchen Navigationsakte zu Gunsten der eigenen Schiffahrt konnte diese plötzliche Umgestaltung der Handelsverhältnisse herbeigeführt werden. Aber der Verkehr wurde nicht bloß gewaltsam aus einem passiven in einen aktiven umgewandelt; er wurde auch absolut gesteigert, teils infolge der vermehrten Nachfrage im Okzident nach den Waren des Ostens, teils auf Kosten der übrigen Verkehrsstraßen durch Arabien und Syrien. Für den arabischen und den indischen Handel mit dem Okzident erwies sich der Weg über Ägypten mehr und mehr als der kürzeste und der billigste. Der Weihrauch, der in älterer Zeit großenteils auf dem Landweg durch das innere Arabien nach Gaza ging, kam späterhin meistens zu Wasser über Ägypten. Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der indische Verkehr, indem ein kundiger und mutiger ägyptischer Kapitän, Hippalos, es wagte, statt an der langgestreckten Küste hin vielmehr vom Ausgang des Arabischen Golfs durch das offene Meer geradewegs nach Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem die Schiffer, die nach ihm diese Straße befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem war die Fahrt nicht bloß wesentlich kürzer, sondern auch den Land- und den Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere Friedensstand und der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer Waren im Okzident steigerte, lassen einigermaßen die Klagen erkennen, welche in der Zeit Vespasians laut wurden über die ungeheuren Summen, welche dafür aus dem Reiche hinausgingen. Den Gesamtbetrag der jährlich den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder schlägt Plinius auf 100 (= 22 Mill. Mark), für Arabien allein auf 55 Mill. Sesterzen (= 12 Mill. Mark) an, wovon freilich ein Teil durch Warenexport gedeckt ward. Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Okzidents, Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die früher erwähnten ägyptischen Artikel, den Wein, den Purpur, das Gold- und Silbergerät, auch Edelsteine, Korallen, Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit mehr zu bieten, als für ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den großen arabischen und indischen Emporien das römische Gold- und Silbergeld in ansehnlichen Quantitäten. In Indien hatte dasselbe schon unter Vespasian sich so eingebürgert, daß man es mit Vorteil dort ausgab. Von diesem orientalischen Verkehr kam der größte Teil auf Ägypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs durch die vermehrten Zolleinnahmen der Regierungskasse zugute kam, so hob die Nötigung zu eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten.

Während also die römische Regierung ihre Herrschaft in Ägypten auf den engen Raum beschränkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt, und sei es nun in Kleinmut oder in Weisheit, auf jeden Fall mit folgerichtiger Energie weder Nubien noch Arabien jemals zu erobern versuchte, erstrebte sie mit gleicher Energie den Besitz des arabischen und des indischen Großverkehrs und erreichte wenigstens eine bedeutende Beschränkung der Konkurrenten. Die rücksichtslose Verfolgung der Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik so nicht minder, und vor allem in Ägypten, die des Prinzipats.

Wie weit überhaupt gegen Osten der direkte römische Seeverkehr gegangen ist, läßt sich nur annähernd bestimmen. Zunächst nahm er die Richtung auf Barygaza (Barôtsch am Meerbusen von Cambay, oberhalb Bombay), welcher große Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunkt des ägyptisch-indischen Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf der Halbinsel Gudjarat führen bei den Griechen griechische Benennungen, wie Naustathmos und Theophila. In der flavischen Zeit, in welcher die Monsunfahrten schon stehend geworden waren, ist die ganze Westküste Vorderindiens den römischen Kaufleuten erschlossen bis hinab zu der Küste von Malabar, der Heimat des hoch geschätzten und teuer bezahlten Pfeffers, dessen wegen sie die Häfen von Muziris (wahrscheinlich Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nîlakantha, von einem der Beinamen des Gottes Schiwa; wahrscheinlich das heutige Nîlêswara) besuchten; etwas weiter südlich bei Kananor haben sich zahlreiche römische Goldmünzen der julisch-claudischen Epoche gefunden, einst eingetauscht gegen die für die römischen Küchen bestimmten Gewürze. Auf der Insel Salike, der Taprobane der älteren griechischen Schiffer, dem heutigen Ceylon, hatte in Claudius' Zeit ein römischer Angestellter, der von der arabischen Küste durch Stürme dorthin verschlagen worden war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden, und es hatte dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, über das gleichmäßige Gewicht der römischen Münzstücke trotz der Verschiedenheit der Kaiserköpfe, mit dem Schiffbrüchigen zugleich Gesandte an seinen römischen Kollegen geschickt. Dadurch erweiterte sich zunächst nur der Kreis der geographischen Kunde; erst später, wie es scheint, wurde die Schiffahrt bis nach jener großen und produktenreichen Insel ausgedehnt, auf der auch mehrfach römische Münzen zum Vorschein gekommen sind. Aber über das Kap Komorin und Ceylon gehen die Münzfunde nur ausnahmsweise hinausIn Bâmanghati (Distrikt Singhbhum) westlich von Kalkutta soll ein großer Schatz Goldmünzen römischer Kaiser (genannt werden Gordian und Konstantin) zum Vorschein gekommen sein (Beglar bei A. Cunningham, Archaeological survey of India, Bd. 13, S. 72); aber ein solcher vereinzelter Fund beweist nicht, daß der ständige Verkehr sich so weit erstreckt hat. Im nördlichen China in der Provinz Schensi westlich von Peking sollen neuerlichst römische Münzen von Nero an bis hinab auf Aurelian zum Vorschein gekommen sein, sonst sind weder aus Hinterindien noch aus China dergleichen Funde bekannt., und schwerlich hat auch nur die Küste von Kornmandel und die Gangesmündung, geschweige denn die hinterindische Halbinsel und China ständigen Handelsverkehr mit den Okzidentalen unterhalten. Die chinesische Seide ist allerdings schon früh regelmäßig nach dem Westen vertrieben worden, aber, wie es scheint, ausschließlich auf dem Landweg und durch Vermittlung teils der Inder von Barygaza, teils und vornehmlich der Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem chinesischen Namen der Seide, Ser) der Okzidentalen sind die Bewohner des Tarim-Beckens, nordwestlich von Tibet, wohin die Chinesen ihre Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin hüteten eifersüchtig die parthischen Zwischenhändler. Zur See sind allerdings einzelne Schiffer zufällig oder erkundend wenigstens an die hinterindische Ostküste und vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. den Römern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der chinesischen Küstenstädte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Mündung des Yang-tse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, daß im Jahre 166 n. Chr. eine Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Groß) Tsin (Rom) in Ji-Nan (Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in die Hauptstadt Lo-yang (oder Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht auf Rom und den Kaiser Marcus Antoninus bezogen werden. Indes dieser Vorfall und was die chinesischen Quellen von ähnlichem Auftreten der Römer in ihrem Lande im Lauf des 3. Jahrhunderts melden, wird kaum von öffentlichen Sendungen verstanden werden können, da hierüber römische Angaben schwerlich fehlen würden; wohl aber mögen einzelne Kapitäne dem chinesischen Hof als Boten ihrer Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen nur insofern gehabt, als über die Gewinnung der Seide die früheren Märchen allmählich besserer Kunde wichen.

Boden- und Geldwirtschaft der römischen Kaiserzeit

Die ökonomische Herrschaftsstellung Italiens, wie sie in den letzten Jahrhunderten der Republik sich festgestellt hatte, zeigt sich in dieser Epoche und über dieselbe hinaus im Stande des Beharrens und fester noch gegründet als die politische Prärogative. Wenn der reichste Mann der caesarischen Zeit, Marcus Crassus, auf 170 Millionen Sesterzen geschätzt worden war, so sahen die folgenden Generationen darauf zurück wie auf eine Zeit der ArmutPlin. 13, 92.. Mit dem Frieden, der auf die Bürgerkriege folgte, kam eine Epoche der Fülle und des Reichtums, wie die Republik sie nicht gekannt hatte. Als der Reichste unter Augustus wird genannt Gnaeus Lentulus der Augur (Konsul 740 14) mit einem Vermögen von 400 Mill. SesterzenSen. benef. 2, 27.. Das gleiche wird dem mächtigen Freigelassenen des Claudius, Narcissus, zugeschriebenDio 60, 34.. Das Vermögen des Ministers Neros, Seneca, wird, allerdings von seinen Feinden, auf 300 Mill. geschätztTac. ann. 13, 42; Dio 61, 10., ebenso hoch das des gefeierten Sachwalters unter Nero und Vespasian, Vibius Crispus, dessen Reichtum lange sprichwörtlich bliebMart. epigr. 4, 54, 7.. Am Ende des 3. Jahrhunderts warf Kaiser Tacitus bei seiner Thronbesteigung sein fundiertes Privatvermögen von 280 Mill. Sesterzen in den Staatsschatz einvita 10.. Noch am Anfang des 5. Jahrhunderts bezogen die ersten senatorischen Häuser in der alten Reichshauptstadt eine Jahresrente, die einem Kapital von mindestens 400 Mill. Sesterzen nach der älteren Rechnung gleichkamDie Angabe Olympiodors (p. 44 Müller), daß zahlreiche Häuser Roms je 4000 Pfund Gold (ανά τεσσαράκοντα χρυσού κεντηνάρια), ungerechnet die etwa ein Drittel der Summe erreichenden Naturallieferungen, die Häuser zweiten Ranges 1500 bis 1000 Pfund Gold an Einkünften bezogen hätten, kann nur in der oben angegebenen Beschränkung richtig sein, da die Einkünfte doch nicht von 1500 auf 4000 gesprungen sein werden. 4000 Pfund Gold Einkünfte geben nach alter Rechnung, das Goldpfund zu 4000 Sesterzen gerechnet und mit 5 Prozent kapitalisiert, ein Vermögen von 320 Mill. Sesterzen, wozu dann die Naturalabgaben kommen.. Wichtiger als diese Angaben über ausnahmsweise große Vermögen sind einige andere, welche die Mittelklasse der Aristokratie betreffen: ein Vermögen von 20 Mill. Sesterzen gilt unter Marcus als mäßiger ReichtumIn der lustigen Geschichte, die der Arzt Galenus (13 p. 636 Kühn) "ohne Namen zu nennen" erzählt, von dem Römer, "der nicht mehr als 5 Mill. Denare Vermögen hat", wird dieser medizinische Amateur, der es unter seiner Würde hält, sich billiger Rezepte zu bedienen, keineswegs als ein armer Mann bezeichnet, sondern vielmehr immer "der Reiche" genannt, aber wohl entgegengesetzt den "noch viel Reicheren oder den Königen", welche mit recht teuren Rezepten zu versehen hier Galenus seine Kollegen instandsetzt. Noch weniger dürfte aus der Anekdote bei Epiktetos (diss. 1, 26, 11) gefolgert werden, daß ein Vermögen von 1½ Mill. Denaren jemals ernsthaft als Armut betrachtet worden ist. Ebenso wird, wenn der jüngere Plinius (epist. 2, 4) von seinen modicae facultates spricht, in Anschlag zu bringen sein, daß der gebildete Reiche sich nicht gern selbst so nennt.; Familien mit einem Vermögen von 100 Mill. Sesterzen werden im 5. Jahrhundert als reiche zweiten Ranges betrachtet. Der senatorische Zensus von einer Mill. Sesterzen ist also offenbar eine äußerste Grenze, welche bei der Mehrzahl sicher ansehnlich überschritten ward. In den Angaben über das im Jahre 746 (8) errichtete Testament eines begüterten Freigelassenen, welcher außer seinen Liegenschaften über 4116 Sklaven, 3600 Paar Ochsen, 257000 Schafe und 60 Mill. Sesterzen bar verfügt, treten die einzelnen Bestandteile eines solchen Großvermögens an Ackerland, Weide und Kapitaliengeschäft deutlich hervorPlin. epist. 33, 135. Ähnlich läßt Martialis (epigr. 4, 37) den reichen Mann, der seine Gäste mit der Aufzählung seiner Reichtümer langweilt, erst die an verschiedene Leute ausgeliehenen Summen, zusammen etwa 3 Mill., aufführen, dann die Renten aus Häusern und Grundstücken mit 3 Mill., dann die der Weiden von Parma mit 600000 Sesterzen. In einem anderen Epigramm 5, 13 vergleicht er sein bescheidenes Dichterlos mit dem eines Reichen, dem die Kasten der Freigelassenen, das heißt der städtischen Geschäftsleute, der Boden Ägyptens und die Weiden von Parma zinsen.. Daß bei solchen Vermögensbeständen die Reichen der oberen Klassen eine Herrenstellung in den Ortschaften einnahmen, aus denen sie hervorgingen, und eine Art von Hof und Gefolge sich um jeden von ihnen sammelte, ist erklärlich. Sie stellen zum guten Teil durch ihre Freigebigkeit die öffentlichen Gebäude, namentlich die Luxusanlagen, wie Theater, Bäder, Hallen her; auf ihre Kosten schmausen die Bürgerschaften und leben die Klienten, und auch in die besseren Kreise hinein reichen dergleichen Spenden. Der jüngere Plinius unter Traianus, ein vermögender Senator, aber keineswegs in dieser Hinsicht hervorragend, hat seiner Vaterstadt Comum für die Gründung und Vermehrung einer öffentlichen Bibliothek, für die Anlage und die Ausstattung eines Warmbades, zur Alimentation von Kindern und zu öffentlichen Schmäusen teils bei Lebzeiten, teils im Testament Zuwendungen im Gesamtbetrag von mindestens 5 Mill. Sesterzen gemacht, außerdem in anderen Städten, zu denen er Beziehungen hatte, Tempel und Hallen auf seine. Kosten gebaut und seinen Freunden, dem einen zur Ausstattung der Tochter, dem andern zur Equipierung für den Unteroffiziersdienst, dem dritten, um ihm den Eintritt in den Ritterstand möglich zu machen, persönliche Geschenke bis zu 300000 Sesterzen gemacht. Diese durch die Individualität des Charakters und der Beziehungen vielfach bedingte, aber im Wesen nicht persönliche, sondern standesmäßig geforderte Liberalität ist für alle Zeiten von dem vornehmen Römer und vor allem von dem Senator des Reiches geübt worden, aber keineswegs zu allen Zeiten in gleicher Weise. Mit Sehnsucht gedachten die Klienten der domitianischen Epoche der bessern Zeiten, wo unter den Spenden dieser Art der Ritterring nichts Seltenes warMart. 14, 122.; Gaius Piso, der Rivale Neros, dessen königliche Freigebigkeit seinesgleichen nicht hatte, war gewohnt, jährlich einer gewissen Zahl seiner Freunde den Ritterzensus zu schenken, so wie die Kaiser in gleicher Weise senatorische Vermögen zu schenken pflegtenschol. Iuv. zu V, 109.. "Es war früher Sitte", schreibt Pliniusepist. 3, 21. unter Traian, "daß wem ein Poet ein Carmen widmete, ihm dafür eine Verehrung machte; jetzt aber ist mit anderen stattlichen Dingen vor allem auch dies abgekommen, und es kommt uns albern vor, uns feiern zu lassen." Dies ist nur eine einzelne Konsequenz einer tiefgreifenden sozialen RevolutionTac. ann. 3, 55.. Die Diarchie, die Augustus begründet, die Samtherrschaft des Kaisers und des Senats, offenbart sich auf diesem Gebiet noch energischer als in der eigentlichen Politik. Die Epoche von der Actischen Schlacht bis zum Vierkaiserjahr, das julisch-claudische Saeculum, bezeichnet Tacitus als die Glanzzeit der römischen Aristokratie. Die alten reichen oder erlauchten Häuser wetteiferten in großartigem Prunk; man warb noch um die Stimmen der Bürgerschaft, um die Ehrenbezeugungen der Provinzen und der abhängigen Könige, um eine stattliche Klientel. Das Rom der augustischen und der claudischen Zeit erinnert vielfach an das der Päpste und der Kardinäle des sechzehnten Jahrhunderts; das Kaiserhaus war in der Tat nur das erste unter vielen strahlenden Gestirnen. Aber dieser Wetteifer hatte vielfach den ökonomischen Ruin im Gefolge; die Dezimierung der Aristokratie unter den nächsten Nachfolgern des Augustus traf vorzugsweise die großen Vermögen und führte zu deren Zertrümmerung; die neuen durch Vespasian aus den Landstädten nach Rom verpflanzten Senatoren brachten die bürgerliche Sparsamkeit mit sich, und die alten glänzenden Traditionen der Lentuler und der Pisonen ersetzten sich nicht. Der Senat, dem Plinius und Tacitus angehörten, ist wohl nicht minder reich gewesen wie derjenige, in dem Piso und Seneca saßen; aber wie das Bewußtsein oder, wenn man will, die Illusion des Mitregiments allmählich schwand und die Monarchie in allen ihren Konsequenzen sich geltend machte, so kam auch die Vermögensverwaltung der vornehmen Welt von fürstlicher Freigebigkeit und fürstlicher Verschuldung zu dem gewöhnlichen bequemen und soliden Lebensgenuß des festbegründeten Reichtums.

Wenngleich bei der Ausdehnung des römischen Staates unter den Kaisern und bei der Mannigfaltigkeit seiner Bestandteile die wirtschaftlichen Fragen im besonderen nur nach diesen Bestandteilen einigermaßen genügend gewürdigt werden können, so bleibt doch einmal auch noch in dieser Periode Italien so sehr das herrschende Gebiet, daß dessen wirtschaftliche Verhältnisse in gewissem Sinne immer noch die des Reiches sind; andererseits aber sind doch als Ursache wie als Ergebnis eine Reihe von Momenten hier zu verzeichnen, welche nur in einer allgemeinen, Italien vorzugsweise, aber daneben das Reich überhaupt berücksichtigenden Erörterung zu ihrem Rechte gelangen.

In erster Reihe steht hier der Gegensatz des großen und des kleinen Bodeneigentums, wobei zunächst abzusehen ist von der wirtschaftlichen Form der Nutzung. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der griechischen wie der römischen Welt gehen vom Kleinbesitz aus und streben zum Großbesitz; außer den allgemeinen, noch heute in gleicher Richtung wirkenden Ursachen kommen hier noch besonders in Betracht die der Bildung des Großkapitals förderliche Sklaveninstitution und die die ganze alte Welt beherrschende Tendenz, die Rentenziehung durch Grundbesitz als die sicherste und anständigste, der freien Entwicklung des Mannes bürgerlich wie intellektuell günstigste zu betrachten. Diese Richtung auf Steigerung des Großbesitzes waltet wie in der Gemeinde der Stadt Rom so auch in der Reichsbürgerschaft der Kaiserzeit ohne Unterschied der Provinzen; die Latifundien, wie die Großbesitzungen in der Kaiserzeit genannt zu werden pflegen, bilden sich in Italien wie in Gallien, Afrika, Syrien mit einer Notwendigkeit, die von dem Naturgesetz sich kaum wesentlich unterscheidet. Daß die hierfür maßgebenden Ursachen in der Kaiserzeit stärker wirkten als früher, wird im allgemeinen nicht behauptet werden können.

Der Konzentrierung der Kapitalien in wenigen Händen war die spätere Epoche der Republik und die augustische Zeit wahrscheinlich günstiger als die folgenden Epochen, und der schnelle Wechsel der großen Häuser, den im Gegensatz zu jener Periode die spätere Kaiserzeit aufweist, muß notwendig eine, man möchte sagen periodische Zerschlagung der großen Vermögen herbeigeführt und eine gewisse, allerdings in hohem Grade bedenkliche Schranke gegen die Akkumulation des Großvermögens und insbesondere des Großeigentums gebildet haben.

Sehr verständig hielt die Regierung daran fest, der faktischen Konzentrierung des Grundbesitzes die rechtliche Geschlossenheit nicht zu gewähren; die Gesetzgebung hielt unentwegt durch alle Krisen und allen Verfall an dem Grundsatze fest, daß der Grundbesitz dem Verkehr nicht auf die Dauer entzogen werden kann, und gibt sich nicht dazu her, der Deszendenz den Grundbesitz des Aszendenten für die Zukunft zu sichern. Daß dieser bei weitem nicht in ihrem vollen Inhalt gewürdigten Aufrechthaltung der freien Veräußerung und der unbedingten Teilbarkeit des Grundbesitzes die mangelhafte Geschlossenheit und die fortdauernde Kleinbewirtschaftung auch des Großgrundbesitzes entgegenkommt, wird weiterhin ausgeführt werden.

Nur in einer Richtung tritt mit der Einführung der Monarchie eine wesentliche Abweichung von dem früher befolgten System ein: es betrifft dies den Grundbesitz in toter Hand. Die Republik, insbesondere die spätere, hat denselben in engen Grenzen gehalten, praktisch eigentlich nur angewandt, um den Stadtgemeinden die ökonomische Existenz dauernd zu sichern. Diese allerdings sind für ihre Ausgaben in republikanischer wie in der Kaiserzeit in erster Reihe angewiesen auf die Liegenschaften, von denen sie entweder einen festen Zins beziehen oder die sie geradezu als Eigentümer im Wege der Verpachtung verwerten; und ein beträchtlicher Teil des Bodeneigentums im ganzen Reich steht also im Eigentum der städtischen Gemeinden oder auch der einzelnen, an diese sich anlehnenden Korporationen. Aber für den Staat selbst besteht diese Einrichtung nicht. Der Grundsatz der römischen Demokratie, daß das Bodeneigentum des Staats wesentlich bestimmt sei, zum Kleinbesitz aufgeteilt zu werden, wird in der Kaiserzeit in Italien vollständig durchgeführt und auch in den Provinzen mehr und mehr realisiert, so daß selbst das in denselben noch nicht aufgeteilte Land mehr als Bittbesitz der zeitigen Inhaber denn als eigentlich auf die Dauer rentierendes Staatsgut angesehen wird; wenigstens tatsächlich erscheinen die von dem Provinzialboden an den Staat fließenden Bezüge nicht mehr als Bodenrente, sondern als Steuer. Dagegen tritt mit der Monarchie sogleich auch die Domäne ein, das heißt, das dem Inhaber des Prinzipats zustehende und von ihm nach den Regeln des Privatrechts genutzte Bodeneigentum wird dem Verkehr entzogen und dem jedesmaligen Nachfolger zu gleichem Recht überwiesen. Den sehr verschlungenen Wegen, auf denen die Umwandlung des Privateigentums des Prinzeps in Krongut herbeigeführt worden ist, kann hier nicht nachgegangen werden; rechtlich und tatsächlich stellt sich dies Verhältnis schon unter Augustus fest und ist wahrscheinlich zunächst daraus hervorgegangen, daß er Ägypten rechtlich als Nachfolger der Ptolemäer übernahm und der hier uralte Begriff des für Rechnung des Landesherrn bewirtschafteten Bodeneigentums sich dann auf das gesamte Reich übertrug.

Ziehen wir für die Großwirtschaft der Kaiserzeit im allgemeinen die Summe, so zeigt diese eine stetige Zunahme derselben, welcher aber das Korrektiv der freien Lösbarkeit nicht fehlt und als neues Moment das Eintreten des "Ersten der Bürger" als des ersten Großgrundbesitzers ein für allemal.

In Italien kamen verschiedene Momente hinzu, die den Großgrundbesitz in besonderer Weise steigerten. Daß die vermögenden Leute von selbst vorzugsweise nach der Hauptstadt oder wenigstens nach Italien zogen, welches an den Annehmlichkeiten der hauptstädtischen Existenz bis zu einem gewissen Grade teilhatte, versteht sich von selbst. Die Bestimmung, daß die politische Laufbahn nur dem in Italien ansässigen Reichsbürger eröffnet wardDa nach republikanischer Ordnung der Senator verpflichtet war, in der Sitzung zu erscheinen, und für die Ladung bestimmte Vorschriften bestanden, so wird die für die Munizipien bestehende Ordnung, daß das Ratsmitglied in der Stadt oder doch innerhalb der Bannmeile wohnen muß (Eph. epigr. II, 134), vermutlich altes Recht sein. Aber direkter Gebrauch ist davon außer in besonders gefährlichen Zeiten (Liv. 36, 3; 43, 11) nicht gemacht worden; und schwerlich trat bei Zuwiderhandeln eine andere Folge ein als die Löschung des Namens von der Liste. Ob diese Bestimmung in der Kaiserzeit wieder aufgenommen ward, ist nicht bekannt. Das Augustische Edikt, das dem Senator vorschrieb, Italien nicht anders als nach eingeholtem Urlaub zu verlassen, welches später zuerst für die aus Sizilien, dann im Jahre 49 auch für die aus der Narbonensis gebürtigen Senatoren außer Kraft gesetzt ward, aber sonst in Geltung blieb (Dio 52, 42; Tac. ann. 12, 23), hat wohl an jene Vorschriften angeknüpft, aber ist rechtlich und mehr noch faktisch auf jeden Fall eine Neuerung.

Daß mit der Erteilung des Ritterpferdes eine ähnliche Verpflichtung verbunden war, ist sehr wahrscheinlich, nicht wegen der Notiz bei Tacitus (ann. 6, 14), sondern wegen der Verwendung derselben bei den Geschworenengerichten.

, mußte, soweit der Provinziale rechtlich zu derselben zugelassen war oder im Laufe der Zeit ward, geradezu als eine an die angesehensten Familien daselbst gerichtete Aufforderung erscheinen, ihren Wohnsitz nach Italien zu verlegen; und es ist davon in immer steigendem Umfang Gebrauch gemacht worden. Daß diese Übersiedelung mehr oder minder mit der Erwerbung italischen Großgrundbesitzes verbunden war, liegt in der Sache; förmlich vorgeschrieben ist es seit Traian, daß wenigstens der Senator den dritten, später den vierten Teil seines Vermögens in italischem Grundbesitz anzulegen hatPlin. epist. 6, 19; vita Marci 11.. Noch unmittelbarer griffen hier die Bestimmungen ein, welche zunächst gerichtet waren gegen den überschuldeten Grundbesitz und dafür den Weg gingen, das nicht fundierte Kapital zur Fundierung zu zwingen, indem die verzinsliche Anlage von Geldern in Rom und Italien nur bis zu einer gewissen Quote des von dem Gläubiger in italischem Grundbesitz angelegten Kapitals verstattet ward. Sie rühren her vom Diktator Caesar; unter Augustus, wie es scheint, außer Anwendung gelassen, sind sie unter Tiberius im Jahre 33 in großem Umfang durchgeführt worden, indem von dem Bankier damals der Nachweis des doppelten fundierten Kapitals gefordert ward und auf diese Weise ungeheure Summen zur Anlage in italischem Grundbesitz genötigt wurdenSuet. Tib. 48. Tac. ann. 6, 17, wo die Interpunktion zu ändern ist: hinc inopia rei nummariae commoto simul omnium aere alienor et quia tot damnatis (nicht infolge der von den Wechslern vorgenommenen Kreditbeschränkung, sondern infolge der Seianischen Prozesse) bonisque eorum divenditis signatum argentum fisco vel aerario attinebatur, ad hoc senatus praescripserat duas quisque fenoris partes in agris per Italiam collocaret (d. h. da das bare Geld augenblicklich knapp war, war das Maß der Possessionen hoch gegriffen, in der Voraussetzung, daß der einzelne verschuldete Besitzer für seine Schulden seine Grundstücke leisten werde), debitores totidem aeris alieni statim solverent (dieser Satz ist sachlich aus Sueton hinzuzunehmen, vielleicht sogar bei Tacitus bloß ausgefallen). Dies schlug aber fehl. Die Kreditoren forderten trotz dessen die vollen Beträge, und ihres Kredits wegen wagten die Schuldner sich nicht auf das Moratorium zu stützen; borgen aber konnten sie nicht, da die Bankiers ihr bares Kapital für die ihnen aufgezwungenen Käufe nötig hatten, und verkaufen nur unter dem Preis, teils da allzu viel Grundstücke zugleich auf den Markt kamen, teils wer verkaufen mußte, schlechte Preise bedang. Da trat der Kaiser ein, indem er den bedrängten Grundbesitzern bei gehöriger Sicherheitsstellung den Betrag von 100 Mill. Sesterzen (22 Mill. Mark) auf drei Jahre unverzinslich hingab.

Übrigens kann die Bestimmung unmöglich allgemein gewesen sein; auf jeden Fall richtete sie sich nicht gegen den Geschäftsmann überhaupt, sondern gegen Senatoren und Ritter und war vielleicht förmlich auf diese beschränkt. Durchführbar war sie insofern, als dem Kläger, dem vor den Geschworenen der Nachweis gelang, daß jemand mehr Geld verborgt als fundiert habe, eine bedeutende Geldbelohnung ausgesetzt war.

. Daß diese Vorschriften späterhin außer Kraft traten, berechtigt nichts anzunehmen; auf die Provinzialen sind sie gewiß nicht erstreckt worden, sondern gehören zu den ökonomischen Privilegien, in welche die alte Vormachtstellung Italiens in der Kaiserzeit sich auflöst.

Wenn also in Italien der Großgrundbesitz früher als in den Provinzen und in stärkerem Verhältnis den Kleinbesitz überwog, so gilt von dem Domanialbesitz das Umgekehrte, sofern darunter das werbende Gut verstanden wird. Die kaiserlichen Luxusbesitzungen finden sich selbstverständlich vorzugsweise in Italien, vor allem natürlich in Rom selbst sowie in der Umgegend der Hauptstadt und in der Badegegend von Baiae, wo kein beliebter Villeggiaturort ohne kaiserliche Villen ist und manche derselben, wie die von Alba, Antium, Tibur, Baiae, an Umfang den Städten, an Pracht dem städtischen Kaiserpalast nicht nachstanden. Aber der eigentlich wirtschaftliche Domanialbesitz ist in Italien wohl auch in stetigem Zunehmen, aber doch verhältnismäßig untergeordnet gewesen und gebliebenWenn Tacitus (ann. 4, 7) für das frühere Regiment des Tiberius rühmend die rari per Italiam Caesaris agri hervorhebt, so ist der Gegensatz dazu wohl weniger der dauernde italische Domanialstand der späteren Zeit als die Epoche der Seianischen Konfiskationen. Es fehlt nicht an vorseverischen Zeugnissen für kaiserliche Domänen in Italien, auch abgesehen von dem Luxusbesitz und den Figlinen. Beide Alimentarurkunden, die von Benevent wie die von Veleia, nennen den Kaiser mehrfach unter den adfines. Die saltus Galliani der achten Region (Plin. nat. 3, 15, 118) sind kaiserlicher Großbesitz und werden von Plinius unter den Gemeinden aufgezählt; sie sind offenbar der Kern der res privata regionis Ariminensium oder Flaminiae, die später in Italien am meisten hervortritt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 45).

Die Sommerweiden in Samnium sowie die darauf befindlichen großen Schafherden standen wenigstens unter Marcus im kaiserlichen Besitz (CIL IX, 2438). Von den dazugehörigen apulischen Winterweiden muß dasselbe gegolten haben, vielleicht bezieht sich darauf der procurator s(altuum?) A(pulorum?) CIL IX, 784 und der procurator regionis Calabricae CIL X, 1795 und ist der spätere procurator rei privatae per Apuliam et Calabriam sive saltus Carminianensis (Not. occ. 12, 18) daraus hervorgegangen; wenigstens gehört der saltus gewiß in ältere Zeit. Überdies war natürlich auch mit den nicht zunächst für den Ertrag eingerichteten Villen immer eine gewisse Wirtschaft verbunden.

. Es muß durch Erbschaft und Konfiskation und sonst eine Masse italischen Großgrundbesitzes vorübergehend kaiserliches Eigentum geworden sein, wie denn auch derartige Massenverwaltungen mehrfach begegnenDer procurator ad bona Plautiani (CIL III, 1464) und später der comes Gildoniaci patrimonii (Not. occ. 12, 5); andere Beispiele bei Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 25 (2. Aufl., S. 126 ff., vgl. Beiträge zur alten Geschichte, Bd. 2, S. 287ff.). Diese Massen werden italischen Grundbesitz wenigstens mit umfaßt haben.; aber allem Anschein nach hat der Fiskus den vermutlich gering rentierenden italischen Großgrundbesitz regelmäßig wiederveräußert. Nur die offenbar sehr einträglichen großen Ziegeleien in der Nähe Roms und an anderen geeigneten Orten Italiens sind allmählich in großem Umfang in kaiserlichen Besitz gekommen und im Domanialgut festgehalten worden. Die relative Geringfügigkeit des Domanialbesitzes in Italien und das Fehlen großer und außerhalb des Munizipalverbandes stehender Domanialverwaltungen darf auch zu den ökonomischen Privilegien gezählt werden, die Italien wenigstens bis auf Severus genoß. Die ungeheure Steigerung, welche die Domanialwirtschaft durch diesen Kaiser erfuhr, hat sich wahrscheinlich auch auf Italien erstreckt, unter dem überhaupt die privilegierte Stellung Italiens anfängt zu schwinden. Im vierten Jahrhundert steht in der Domanialverwaltung Italien auf einer Stufe mit den übrigen Reichsgebieten und zeigt sich auch auf diesem Gebiet dessen Einreihung unter die Provinzen.

Langsamer als in Italien, aber nicht minder stetig steigert sich der Großgrundbesitz in den Provinzen. Was über die einzelnen zu bemerken ist, ist in den betreffenden Abschnitten dargelegt; hier mag nur, um den Umfang derselben, der auch und vor allem ein politischer Faktor ist, einigermaßen zu veranschaulichen, eine der Diatriben stehen, welche einer, der die Dinge kannte und der vor allem sich selber predigte, der Minister Neros, Seneca (epist. 89, 20), in dieser Hinsicht vorbringt: "Vernehmt, ihr reichen Männer, einmal ein ernstes Wort, und weil der einzelne davon nichts hören mag, so sei es öffentlich gesagt. Wo wollt ihr euren Besitzungen die Grenzen setzen? Der Bezirk, der einst eine Gemeinde faßte, dünkt jetzt dem einen Grundherrn eng. Wie weit wollt ihr eure Ackerfluren ausdehnen, wenn für die einzelne Wirtschaft der Raum einer Provinz euch zu klein scheint? Namhafte Flüsse nehmen ihren Lauf durch eine einzige Privatbesitzung und große völkerscheidende Ströme sind von der Quelle bis zur Mündung eines und desselben Eigentümers. Ihr seid nicht zufrieden, wenn euer Grundbesitz nicht Meere umschließt, wenn nicht jenseits des Adriatischen und des Ionischen und des Ägäischen Meeres euer Meier ebenfalls gebietet, wenn nicht die Inseln, die Heimaten der gefeierten Helden der Sage unter euren Besitzungen beiläufig figurieren und was einst ein Reich hieß, jetzt ein Grundstück ist." Das ist wohl Rhetorik, aber auch Wahrheit. Im übrigen soll hier im allgemeinen nur darauf noch hingewiesen werden, daß der Großgrundbesitz nicht bloß das ganze Reich in immer steigendem Maße beherrschte, sondern auch sich zu einer gewissen Gleichartigkeit entwickelte und insofern ohne Zweifel einer der mächtigsten Träger der nivellierenden Zivilisation der Kaiserzeit gewesen ist. Indem teils das italische Großkapital auch in den Provinzen Grundeigentum erwirbt, teils die durch Reichtum hervorragenden provinzialen Familien mehr und mehr nach Rom gezogen werden, stellt sich für den Großgrundbesitz des ganzen Reiches in der Wirtschaft wie im Luxus eine gewisse Gleichförmigkeit ein, die mehr durch die örtliche Bedingtheit als durch die verschiedene Lebensgewohnheit der Besitzer eingeschränkt wird. Das afrikanische Herrenhaus hatte seine Palmen für sich wie das rheinische seine Heizeinrichtungen; aber die Darstellungen des vornehmen Landlebens, wie sie kürzlich im Tal des Rummel in NumidienCIL VIII, 10889-10891. in den Mosaiken des dazugehörigen Badegebäudes zum Vorschein gekommen sind, der prachtvolle getürmte Palast, der schattige Garten, in dem die Dame des Hauses sitzt, der Stall mit edlen Rennpferden, das Jagdgehege, die berittenen Jäger mit ihren Hunden und die zuschauenden Damen, die Fischteiche, die Literaturecke (filosofi locus) gehören nicht der afrikanischen, sondern der gesamten Reichsaristokratie gleichmäßig an, und die Gegenstücke dazu finden sich in allen Provinzen. Ebenso muß, je mehr die Großgrundbesitzer aufhörten, Provinzialen zu sein, auch die Wirtschaftsweise sich ins Gleiche gesetzt haben. Auch die agronomischen Schriften der Epoche zeigen dies; Columella unter Nero schreibt zunächst für das italische Landgut, aber die Abweichungen der Wirtschaft in Baetica, Gallien, Kilikien, Syrien, Ägypten, Numidien sind ihm völlig geläufig und werden öfters erwähnt. Es waren zumeist Fremde, überwiegend Italiener, welche im Auftrag der Eigentümer überall den Betrieb leiteten und mehr oder minder die örtliche Wirtschaftsweise durch die allgemeine, im ganzen wohl rationellere ersetzten. Die unbegreiflich rasche und intensive Romanisierung Afrikas in der Kaiserzeit hängt ohne Zweifel damit zusammen, daß der Großgrundbesitz wohl in keiner zweiten Provinz sich mit gleicher Energie entwickelt hat.

Wie der kaiserliche Großgrundbesitz provinzialen Ursprungs zu sein scheint, so hat er auch hauptsächlich in den Provinzen seinen Sitz gehabt, insbesondere in dem prokonsularischen Afrika, worüber in dem betreffenden Abschnitt gehandelt ist. Dabei spielten in den Provinzen die Bergwerke und die Marmorbrüche dieselbe Rolle wie in Italien die Ziegeleien: sie standen dem Rechte nach unter denselben Regeln wie jedes andre Bodeneigentum, aber die Kaiser strebten dahin, dieselben dem Domanialbesitz einzuverleiben, und es ist dies allmählich in allen Provinzen in weitem Umfang durchgeführt worden. Im allgemeinen ist auch hier hervorzuheben die ungeheure quantitative Ausdehnung des Domanialguts, welche unter Severus eingetreten ist, wozu allerdings die Massenkonfiskation wesentlich beigetragen hat, die der Kaiser der illyricanischen Soldaten gegen die beiden rivalisierenden und überwundenen Militärparteien verfügte, die aber doch in der Hauptsache als eine konstitutive Änderung der Finanzorganisation aufzufassen ist, gewissermaßen als Emanzipation der Regierung von den Steuererträgen durch Ersetzung derselben durch den Ertrag der neu geschaffenen Domänen. In welchem Umfang dies geschehen ist, davon gibt einigermaßen einen Begriff, daß für das neue Domanialgut (res privata principis) ein zweiter dem des bisher bestehenden (patrimonium principis) in der Rangordnung vorgehender Oberdirektor eingesetzt ward, dessen administrative Bedeutung in dem Gehalt von 300000 Sesterzen (65000 Mark), dem höchsten mit einer kaiserlichen Prokuration verbundenen, ihren Ausdruck findet und aus dem in den Ordnungen des 4. Jahrhunderts der eine der beiden Reichsfinanzminister hervorgegangen ist.

Je mehr der Rückgang des Kleinbesitzes im Lauf der natürlichen Entwicklung lag, desto entschiedener ist er zu allen Zeiten als nachteilig für das Gemeinwesen erkannt worden: man sah darin weit mehr den Verfall der guten alten Ordnung als die natürliche Entwicklung der Dinge; und es gilt dies von der Kaiserzeit nicht minder wie von derjenigen der Gracchen. Es ist ein wohlunterrichteter Schriftsteller, ein erfahrener Beamter aus der Zeit Vespasians, der die damaligen Verhältnisse in die Worte zusammenfaßt, daß der Großgrundbesitz Italien zugrunde gerichtet habe und jetzt im Zuge sei, die Provinzen ebenfalls zugrunde zu richten. Inwieweit in dieser Epoche versucht worden ist, das Einschwinden des Kleinbesitzes zu hemmen, ist nur. darzulegen.

Eins der wichtigsten Momente in dieser Hinsicht ist bereits erwähnt worden: die Rückbildung des Großgrundbesitzes zum Kleinbesitz ist nicht bloß gesetzlich offengehalten worden, sondern hat auch auf natürlichem Wege sich in nicht unbedeutendem Maße vollzogen. Der römische Großgrundbesitz ist in weit höherem Grade fluktuierend gewesen als der heutige, nicht bloß weil er nie zu rechtlicher Geschlossenheit und nur annähernd zu örtlicher gelangt ist, sondern auch weil der durch Übertragungssteuern gar nicht und durch die Sitte wenig beschränkte Besitzwechsel und die fortdauernde Kleinwirtschaft in zahlreichen Fällen vom Groß- zum Kleinbesitz führte. Erbteilung und Konkurs, Einzelverkauf und Einzelschenkung müssen häufig die Auflösung bestehender Güterkomplexe oder die Ablösung einzelner Parzellen herbeigeführt haben. Die weit über die heutige Sitte hinausgehende Häufigkeit der Vermächtnisse, namentlich auch zu Gunsten abhängiger Leute, hat vermutlich oft den Kleinbesitz begründet; wenn auch meistenteils dieselben in Geld oder beweglichem Gut gegeben wurden, so wird doch mancher vermögende Mann diesem oder jenem Besitzlosen ein Gütchen hinterlassen habenAuf der Alimentarurkunde von Veleia sind die meisten kleinen Grundeigentümer nicht im Besitz einheitlicher alter Erbgüter, sondern solcher, die aus Mengstücken zusammengesetzt und wahrscheinlich aus einem Großgrundbesitz ausgeschieden sind.. Selbst das bäuerliche Emporarbeiten durch den Fleiß und das Geschick der Hände zu eigenem Besitz ist nicht ausgeschlossen. Ein solcher aus Afrika berichtet uns in ebenso ungeschickten wie ehrlichen VersenEph. epigr. V, p. 277 [CIL VIII, S. n. 118241., wie er erst als gemeiner Schnitter zwölf Jahre, dann elf weitere als Vormann der Schnitterschar unter der glühenden Sonne gearbeitet habe und so dazu gelangt sei, ein eigenes Stadt- und Landhaus in einer der kleinen dortigen Landstädte zu erwerben und sogar in den Rat derselben und zu Ämtern und Würden zu gelangen. Er ist sicher nicht der einzige seines Schlages gewesen. Wenn die römische Demokratie davon ausgegangen ist, die Steigerung des Kleinbesitzes auf mehr oder minder revolutionärem Wege herbeizuführen, so haben wenigstens die Anhänger des Prinzipats dessen demokratische Herkunft nicht verleugnet, ja dergleichen Maßregeln in Italien in einer Weise durchgeführt, vor denen Gaius Gracchus und Caesar selbst erschrocken sein würden.

Die italischen Landanweisungen nach dem Sieg des Dreiherrn Antonius wie des Caesars bei Philippi und weiter nach dem Siege Caesars über Antonius bei Actium erfolgten auf Kosten des Privateigentums und gingen insofern einen sehr verschiedenen Weg; aber das Ergebnis, man darf vielleicht hinzusetzen das Ziel war das der Gracchischen Bewegung: es wurden nicht bloß die Besitzer gewechselt, sondern es trat vielfach an die Stelle des im Laufe der Zeit entwickelten Großgrundbesitzes wiederum der Kleinbesitz der Adsignation. Wenn Augustus in seinem Rechenschaftsbericht mit Stolz hinweist auf die 28 volkreichen und blühenden italischen Städte, die von ihm gegründet seien und zu denen noch zehn bis zwölf andere in der gleichen Zeit anderweitig gegründete hinzutreten, so darf dies allerdings, was auch sonst darüber geurteilt werden möge, als eine wirksame Steigerung des italischen Kleinbesitzes bezeichnet werden.

Aber auf dem gleichen revolutionären Weg konnte Augustus selbst nach der Konstituierung des Prinzipats und konnten die späteren Herrscher nicht fortgehen. Je mehr der Prinzipat aus der Revolution hervorgegangen war, desto mehr war es Lebensbedingung für denselben, die Revolution zu schließen; das Privateigentum ist nie heiliger gehalten worden als in dem Italien des Prinzipats. Nicht einmal die Feldherren, welche mit den provinzialen Heeren sich die Herrschaft in Italien erstritten, Vespasian und Severus, haben daran gerührt. Damit waren umfassende Maßregeln zur Herstellung von Kleinbesitz für Italien ausgeschlossen. Wohl waren bei diesen Adsignationen mehr oder minder bedeutende Stücke nicht zur Verteilung gelangt, andere durch erblosen Abgang des Empfängers erledigt. Grundstücke dieser Art scheinen es gewesen zu sein, welche Nero in Antium und Tarent, Vespasian in Lavinium, Paestum, Reate zur Verteilung gebracht hat. Nachdem dann Vespasian den größten Teil dieser Reste entweder verkauft oder adsigniert und Domitianus endlich alle derartigen noch übrigen meistenteils steinigen Ländereien den Inhabern zu vollem Eigentum überlassen hatte, gab es Staatsländereien, die zur Verteilung hätten gebracht werden können, in Italien überall nicht mehr. Parzellierung der kaiserlichen Domänen oder angekauften Landes wäre möglich gewesen; aber soviel wir wissen, ist dazu nichts geschehen. Die Gründung neuen Kleinbesitzes in Italien durch die Regierung hat damit überhaupt ein Ende.

In den Provinzen dagegen ist das Gracchische System von dem Prinzipat ein für allemal adoptiert und danach stetig neuer Kleinbesitz ins Leben gerufen worden. Unentwegt hielt man fest an der Theorie, daß alles nicht von den römischen Behörden adsignierte Land im Eigentum des Staats oder des Kaisers stehe, und wenn auch dessen Ausübung zunächst praktisch ruhte, die derzeitigen Okkupanten jederzeit ausgetrieben und das Land an Kolonisten adsigniert werden könne. In der praktischen Ausführung ist auf diesem Wege sowohl in der Form der Adsignation innerhalb einer bestehenden Stadtgemeinde, wie im Wege der Koloniegründung in den Provinzen Kleinbesitz in das Leben gerufen worden. Allerdings ist dabei wohl in manchen Fällen nur ein Besitzwechsel eingetreten, insofern der angesiedelte Mann römischen oder latinischen Rechts an die Stelle eines peregrinischen Vorbesitzers trat; aber der Großbesitz und das Ödland, vielleicht auch die Domäne werden doch vielfach für diese Adsignationen den Boden geliefert haben. Wir werden uns aber von der Vermehrung, die durch die provinziale Landanweisung dem Kleinbesitz des Reiches erwuchs, keine allzu übertriebene Vorstellung machen dürfen. Der Gedanke, den Augustus ursprünglich gefaßt zu haben scheint, die Veteranenversorgung namentlich des Legionärs dadurch zu bewirken, daß ihm eine Bauernstelle zugeteilt ward, ist schon von ihm selbst wieder aufgegeben und in eine Geldzahlung umgewandelt worden, die wohl nur in der Minderzahl der Fälle zur Erwerbung von Kleinbesitz geführt hat; es muß sich wohl als unausführbar erwiesen haben, aus dem Veteranen nach dem Ablauf der langen Dienstjahre durchgängig einen existenzfähigen Kleinbesitzer zu machen. Es wird daher die direkte Anweisung von provinzialem Landbesitz wohl nur da mit der Dienstentlassung verbunden gewesen sein, wo ausnahmsweise bessere Bedingungen gewährt werden konnten.

In Ermangelung irgendwelcher anderen Zahlen, die das Verhältnis von Groß- und Kleinbesitz uns veranschaulichen könnten, mag erwähnt werden, daß unter Traian, nach Ausweis der Alimentarurkunden, im Beneventanischen das etwa in augustischer Zeit von 90 Kleinbesitzern bewirtschaftete Ackerland in 50 Händen war, von denen zwei ein Rittervermögen, neun zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, die übrigen ein Vermögen unter 100000 Sesterzen besaßen, soweit dies Vermögen bei jenen Verpfändungen berücksichtigt worden ist. In der Aemilia dagegen stellen sich die Verhältnisse viel ungünstiger: unter 52 Grundbesitzern hat ein Fünftel Ritterzensus oder mehr, ungefähr ein Drittel zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, etwa die Hälfte unter 100000 Sesterzen; auch die Zahl der ursprünglichen Besitzungen, aus welchen jene 52 Besitzkomplexe hervorgegangen waren, muß verhältnismäßig sehr viel größer gewesen sein, als sie in der beneventanischen Tafel sich darstellt. Es zeigt sich hier ein überhaupt sehr beträchtliches, in dem reicheren nördlichen Italien geradezu erdrückendes Übergewicht des Großbesitzes; untergegangen aber ist der Kleinbesitz doch nirgends und in den weniger der Spekulation unterworfenen abgelegenen Landschaften Italiens noch immer ein wesentliches Element der Bevölkerung.

Die Bodennutzung richtet sich in erster Reihe auf den Ackerbau mit Einschluß des Wein- und des Ölbaus und der ähnlichen Nutzungen. Daß in dem mehrhundertjährigen sicheren Frieden, den die Monarchie brachte, der Feldbau, und insbesondere der italische, im großen und ganzen genommen in blühendem Zustande gewesen ist, unterliegt keinem Zweifel. Die Einmischung des Staats in den Verkehr durch die Übernahme der Versorgung der Hauptstadt war ohne Zweifel ein wirtschaftlicher Fehler; Augustus hat dies unumwunden anerkannt und ausdrücklich erklärt, daß nur politische Rücksichten ihn bestimmten, daran festzuhaltenDie merkwürdige Nachricht bei Suet. Aug. 42 darf nicht auf den italischen Ackerbau allein bezogen werden, sondern nur auf den des ganzen Reiches. Wären die frumentationes publicae in Rom aufgehoben worden, so würde dies den Ackerbau nicht bloß in Italien, sondern ebenso und vielleicht mehr in Sizilien, Sardinien, Afrika belebt haben; die Vernachlässigung des Ackerbaus in Verlaß auf den Staat, welche Augustus beklagt, trifft also ebensosehr die Provinzen, und darum nimmt auch Augustus Rücksicht auf die Grundbesitzer und die Kaufleute (negotiantes). Die magna sterilitas, welche Augustus zu diesen Äußerungen veranlaßte, konnte immer wiederkehren, mochte auch der italische Ackerbau noch so sehr gedeihen.; aber wenn der Ackerbau allgemein zunahm und der Verkehr sich frei vollzog, war Hoffnung vorhanden auf Ausgleichung.. Ohne Zweifel wäre Ackerbau und Handel dadurch gefördert worden, wenn die Versorgung Roms mit Getreide dem freien Verkehr wiedergegeben worden wäre. Aber einmal, Rom war doch nicht das Reich, und nicht für den ganzen Staat spielt der Herrscher in dieser Weise die Vorsehung. Andererseits hatte die Einfuhr überseeischen Getreides namentlich nach Rom mit ihren Konsequenzen sich bereits früher festgestellt und war sogar durch die Lage und die Entwicklung der Hauptstadt wenigstens nachträglich bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt; das Korn, das die ackerbauend bleibenden Landschaften der Halbinsel liefern konnten, muß der Konsum des übrigen Italien mehr als absorbiert haben. Wein und Öl waren fortdauernd Quellen reichen Gewinns. Auch der Ackerbau der Provinzen, wo in den sonst fruchtbarsten Gegenden, in Ägypten und Numidien, Wein- und Ölbau zurücktraten, muß immer lohnend gewesen sein: es ist nicht selten von teuren Kornpreisen, nur ausnahmsweise von besonders niedrigen die Rede, so daß im ganzen wohl eher zu wenig als zu viel produziert ward. Die Wirtschaft ist entweder Guts- oder Bauernwirtschaft. Es wird notwendig sein, beide gesondert zu betrachten.

Die von Columella und Varro geschilderte und gepriesene Gutswirtschaft, in unseren Beispielen gestellt auf einen Besitz von 200 Morgen und etwa zehn Feldarbeiter, ist insofern Selbstwirtschaft des Besitzers, als dieser zwar der Regel nach in der Stadt lebt, aber häufig auf das Landgut hinauskommt und den die Wirtschaft unmittelbar leitenden unfreien Meier (vilicus) stetig anweist und beaufsichtigt; die eigentliche Arbeit beschafft dieser mit den vom Eigentümer gestellten Sklaven. Auf größeren Grundbesitz ist diese Wirtschaftsform nicht anwendbar, da der Meier alsdann die Aufsicht nicht in genügender Weise führen kann; es wird in diesem Fall der Besitz in entsprechende Bezirke geteilt und jeder derselben gesondert verwaltetDas Arbeiterpersonal, sagt Columella (1, 9, 7), des einzelnen Gutes, die classis oder die decuria, soll zehn Köpfe nicht übersteigen: itaque si latior est ager, in regiones diducendae sunt eae classes. Allerdings kam in diesem Fall es auch vor, daß die Sklaven in Ketten arbeiteten (Sen. benef. 7, 10, 5: vasta spatia terrarum colenda per vinctos), wo also diese Wirtschaft der Plantagenform sich nähert.. Diese Wirtschaft ist jetzt in vollem und unvermeidlichem Verfall; den Landwirten dieser Zeit, vor allem Columella, erscheint sie allerdings noch als Musterwirtschaft und wird von ihnen zugrunde gelegt, aber in der Tat als eine gewesene Institution oder als ein unerreichbares Ideal. In der Tat ist sie mit den realen Verhältnissen nicht mehr in Einklang zu bringen. Güterkomplexe von der Ausdehnung und Zerstreuung durch ganz Italien und oft genug noch durch manche Provinzen, wie sie in der Kaiserzeit sich gestalteten, ließen diese Art der Selbstbewirtschaftung nicht mehr zu; sie konnte nur fortgeführt werden, indem an die Stelle des Herrn dessen unfreier Geschäftsführer (actor) trat, und damit war ihr Wesen zerstört. "Wer ein entlegenes oder gar ein überseeisches Landgut kauft", sagt Columella1, 1, 20., "der tritt in der Tat sein Hab und Gut seinen Sklaven ab, die durch die Abwesenheit des Herrn notwendig verdorben werden, und wenn sie also verdorben sind und gewechselt werden sollen, das Gut plündern und zugrunde richten." Dazu kam das allgemeine Erschlaffen der Springfedern des menschlichen Daseins. Die vornehme Weit dieser Epoche war sehr viel reicher als die der späteren Republik, und unendlich viel gleichgültiger gegen die Mehrung des Besitzes; der dem gewaltigen Ringen der republikanischen Welt fern liegende Gedanke, daß der Mensch von allem genug haben könne, machte wie im Senatssaal so auch in der Vermögensverwaltung sich geltend; die Ehre und die Freude an der möglichst besten Ausnutzung auch der Glücksgüter, mächtigere Triebe vielleicht im gewerblichen Leben als das unmittelbare Bedürfnis, schwanden aus dieser müden Welt. Von der anerkannten Tatsache des allgemeinen Rückgangs des Bodenertrags in Italien geht Columella aus. Es ist bezeichnend für die unter dem Prinzipat herrschenden Stimmungen, daß bei den Landwirten, wenn sie ihre Bilanzen zogen, die Meinung Geltung gewann von der Erschöpfung des italischen Bodens durch den Erntesegen früherer besserer Zeiten; aber freilich macht Columella mit gutem Recht geltend, daß nicht die Natur Schuld trage, sondern die Menschen. Niemand, meint erpraef. 12., bemüht sich noch um rationelle Kunde des Ackerbaus; man gibt sich nicht einmal die Mühe, einen tüchtigen Ackersmann zum Meier zu bestellen, sondern schickt die Leute aufs Land hinaus, die als Handwerker nicht mehr den Tagelohn abzuliefern vermögen, oder die unbrauchbaren Sänftenträger und Lakaien. Das war zu beklagen, aber nicht zu ändern. Die Gutswirtschaft der früheren Epoche, die übrigens auch in republikanischer Zeit in ihrer vollen Intensität sicher nicht allgemein durchgeführt worden war, stirbt wie die anderen republikanischen Institutionen in der Kaiserzeit ab; nicht einmal in der Form der Vertretung des Herrn durch den Actor scheint sie in großem Umfang sich behauptet zu haben. Die Gutsherren gaben die Selbstwirtschaft auf und beschränkten sich durchgängig auf die Kontrolle der fremden Händen überwiesenen wirtschaftlichen Leitung.

Die Kleinwirtschaft hat in der Kaiserzeit den Ackerbau allem Anschein nach bei weitem mehr beherrscht als unter der Republik. Daß der Kleinbesitz auch Kleinwirtschaft ist, versteht sich von selbst; aber auch der Großbesitz, der auf die Selbstwirtschaft verzichtet, hat im römischen Ackerbau, wie es scheint, so gut wie ausschließlich, die Form der Kleinwirtschaft angenommen; von Großpacht findet auf diesem Gebiet sich kaum eine SpurAuf den großen afrikanischen Domänen erscheinen die conductores, die Pächter des Herrenhauses, und der, es scheint nach Analogie der Munizipalordnung, diesem Quasi-Gemeinwesen zustehenden Fronden, neben den coloni, den Pächtern der Parzellen. Das letztere Wort wird nie vom Großpächter gebraucht.. Die Kleinwirtschaft wird bald durch Freie, bald durch Sklaven beschafft: der Eigentümer kann die einzelne Parzelle, welche er zur Kleinwirtschaft bestimmt, entweder einem freien Zeitpächter (colonus) überweisen, der dann dem Grundherrn nur den bedungenen Pachtzins zu zahlen hat, oder einen unfreien Meier (vilicus) darauf setzen, der dann entweder nach den Regeln der sogenannten Pekuliargeschäfte gleich dem Pächter einen festen Zins zahlt oder auch mit dem Herrn Einnahme und Ausgabe verrechnet; indes scheint die letztere wenig bequeme Form nicht in bedeutendem Umfang vorgekommenBelehrend ist ein von Scaevola referierter Rechtsfall (Dig. 20, 1, 32). Ein Latifundienbesitz wird verkauft. Da ein Teil der Grundstücke ohne Pächter ist, so übergibt der Käufer diese seinem actor zur Bewirtschaftung, und es werden nun der Meier und die weiter erforderlichen Sklaven von diesem darauf gesetzt (Stichus vilicus et ceteri servi ad culturam missi et Stichi vicarii); daß letztere im Peculium des Meiers stehen, ist charakteristisch dafür, daß dieser den Colonus vertritt. Aber deutlich erscheint dies hier als ein exzeptionelles Verfahren und als Regel die Verpachtung. und über den Grundsatz verfahren zu sein, den Columella1 7, 6. ausspricht, daß, wo der Eigentümer die Selbstwirtschaft in der früher bezeichneten Weise nicht ausüben kann oder will, es weniger nachteilig ist, mit freien Pächtern zu wirtschaften als mit unfreien Meiern. Dies Verpachtungssystem ist gewiß auch früher oft genug vorgekommen, aber doch nur nebenher und aushilfsweiseGewiß sind die großen Vermögen der republikanischen Zeit, soweit sie in Ackerland bestanden, auch schon vielfach in der Form der Kleinpacht genutzt worden. Aber normal war die Gutswirtschaft noch am Ende der Republik; aber nicht mehr, als Columella schrieb.; jetzt wird es eigentlich regelmäßige Form der Bodenwirtschaft. Es zeigt sich dies vor allem in der Verschiebung des Sprachgebrauchs: colonus, das heißt der Ackerbauer im Gegensatz zum Hirten, wird noch von Cicero und Varro ohne weiteres von jedem Landwirt gebraucht, sei er Gutsbesitzer oder Bauer oder Pächter, technisch aber in republikanischer Zeit verwendet für den kleinen Grundbesitzer, woraus die politische Verwendung des Wortes sich entwickelt hat, in der Kaiserzeit dagegen für den selbst wirtschaftenden Kleinpächter. Dieser Wechsel in der Beziehung des Schlagwortes hat sich im Anfang der Kaiserzeit entschieden; den Schriftstellern der neronischen Zeit, dem jüngeren Seneca und dem Columella, ist der "Landwirt" bereits synonym mit dem Kleinpächter.

Aber auch freigeborene Lohnarbeiter haben nicht gefehlt; die arbeitsfähigen Kinder des Kolonen müssen oft in eine solche Stellung eingetreten und nicht selten auf diesem Wege dem Vater in der Pacht gefolgt sein, wie denn die römischen Landwirte den von Kindesbeinen auf dem Gut beschäftigten Kolonen als besonders geeignet bezeichnen. Die alte Sitte, namentlich für die Ernte freie Lohnarbeiter zuzuziehen, begegnet auch in dieser Epoche, und es ist nicht unmöglich, daß sie in den eigentlichen Hauptsitzen des Ackerbaus bedeutende Ausdehnung gewonnen und einen eigenen Stand von Tagelöhnern entwickelt hatDie merkwürdige Inschrift von Mactar (Eph. epigr. V, n. 279 = CIL VIII, S. n. 11824), welche 7, 345 angeführt ward, rührt von einem solchen Feldarbeiter her falcifera cum turma virum processerat arvis seu Cirtae Nomados seu Iovis arva petens, demessor cunctos anteibam primus in arvis pos tergus linquens densa meum gremia.. Daß das neue Wirtschaftssystem an die Stelle der alten Selbstwirtschaft oder vielmehr der eigenen Direktion des Eigentümers getreten ist, erklärt auch die weitgehende, unter Umständen bis zur Wirtschaftsleitung sich steigernde Beteiligung des Grundherrn an der Wirtschaftsführung. Der Gutsherr liefert regelmäßig das Inventar, das freilich auf die Gefahr des Pächters steht und bei Auflösung der Pacht unbeschädigt zurückgegeben oder zum vollen Wert ersetzt werden mußDig. 19, 2, 54, 2., empfängt nicht selten statt des Pachtzinses eine Fruchtquote und kontrolliert je nach den Pachtbedingungen im einzelnen Fall den Pächter. Die eigentliche Feldarbeit beschaffen regelmäßig die von dem Eigentümer dem Pächter gestellten Sklaven; verständige Grundherren wirken dahin, daß diese sorgfältig ausgewählt und gut behandelt werden, auch dazu gelangen, sich tatsächlich einen Hausstand zu begründen, so daß der Bauer sie ungefesselt kann arbeiten lassen und der Sklavenzwinger, der nirgends fehlt, nur als Strafe zur Anwendung kommt. Die kolossale Ausdehnung dieser Wirtschaftsweise entspricht derjenigen des Großgrundbesitzes; es sind sicher keine Redensarten, wenn Seneca, der Minister Neros, selbst einer der reichsten Männer seiner Zeit und einer der besten Wirte, von den in Italien und in allen Provinzen zugleich wirtschaftenden Besitzern sprichtepist. 87, 7; 89, 20; 114, 26. und von ihren nach Tausenden zählenden, für einen Mann grabenden und pflügenden Kolonen. Es zeigt sich dies weiter darin, daß auch diese Wirtschaft, soweit sie eigene Tätigkeit des Eigentümers erheischt, sich wieder selber aufhebt; bei entwickeltem Großbesitz übt der Herr auch die Kontrolle der Pächter nicht mehr unmittelbar, sondern distriktweise durch seine unfreien Geschäftsführer (actores), in noch weiterer Steigerung des Umfangs durch die diesen vorgesetzten freien Direktoren (procuratores), wovon dann die kaiserliche Domanialverwaltung die höchste Stufe darstellt.

Diese Form der Kleinwirtschaft geht, wie der Großgrundbesitz, zu dem sie gehört, gleichförmig durch das ganze Reich und erstreckt sich auch auf die kaiserlichen Domänen ohne wesentliche rechtliche Abweichung, wenngleich tatsächlich das fiskalische Interesse die Lage der kaiserlichen Kolonen wohl gegenüber denen der Privaten günstiger gestaltet hat. Daß diese Kleinwirtschaft kein voller Ersatz ist für den großenteils durch sie verdrängten Kleinbesitz, bedarf der Ausführung nicht: dasselbe Grundstück, das als Kleinbesitz, sei es in Form des Sammelbesitzes, sei es mit Realteilung, eine Mehrzahl freier Familien ernähren konnte, nährte als Kleinpacht ein für allemal nur die Familie des Pächters; und das Selbstgefühl und die Unabhängigkeit, die auch den kleinen Grundbesitzer wenigstens adeln können, sind dem Zeitpächter notwendig verschlossen. Dennoch darf in der düsteren Geschichte des Prinzipats diese wirtschaftliche Gestaltung des Großbesitzes als eine der lichteren Seiten bezeichnet werden. Die wirtschaftliche Stellung des Kolonen, den die Kapitalkraft des Grundherrn stützte, war weniger unsicher als die des Kleinbesitzers, und wie das Verhältnis sich entwickelt hatte, führte es wenigstens mit wirtschaftlicher Notwendigkeit zur humanen Behandlung der Pächter durch den Grundherrn und der Ackersklaven durch den Pächter, ebenso zu einer gewissen Vereinigung der Betriebsvorzüge der Groß- und der Kleinwirtschaft. Man soll nicht vergessen, daß die alte Bauernwirtschaft erst zur Schuldknechtschaft geführt und dann in sich selbst Bankrott gemacht hat; nicht vergessen die unmenschliche Wirtschaftlichkeit des catonischen Musterguts, das den Sklavenhausstand und die freie Arbeit völlig ausschließt. In dieser Kleinpachtwirtschaft lag für die unfreien Leute eine erträglichere Existenz und eine gewisse Aussicht, durch Wohlverhalten zur Freiheit zu gelangen; es lag ferner in ihr einige Garantie für die Verwendung einer wenn auch beschränkten Zahl freier Familien in einer wirtschaftlich haltbaren Stellung. Die Armee der Kaiserzeit hat allem Anschein nach ganz überwiegend aus diesen Kleinpächterfamilien sich rekrutiert. Die mit der neuen Welt unzufriedene und die Zustände der republikanischen Zeit, eben weil sie unwiederbringlich dahin waren, mehr sehnsüchtig als nachdenklich idealisierende Anschauung der vornehmen Kreise Italiens hat auch für diese Entwicklung der Bodenwirtschaft nichts als Vorwurf und Klage; beide sind nicht unberechtigt, aber hier vor allem gilt das tröstende Evangelium der Geschichte, daß aller Verfall auch wieder Entwicklung ist.

Neben dem Ackerbau bestand die sonstige Bodenwirtschaft wie früher, ohne daß in dieser Hinsicht erhebliche Änderungen zu verzeichnen wären. Daß die unproduktive Verwendung des Bodens zu bloßen Luxusanlagen bei dem Reichtum und der Hoffart der vornehmen Welt in Italien namentlich unter der ersten Dynastie in weitem Umfange stattgefunden hat, ist selbstverständlich; von den Villenanlagen, die den Raum ganzer Städte einnehmen, spricht Senecaepist. 89, 21. so gut wie früher Sallustius, und jener hebt weiter hervor, daß der richtige Reiche nicht zufrieden ist, bis an jedem See, an jedem Strand Italiens, die die Mode konsekriert hat, er seine besondere Villeggiatur besitzt, wie dies an den kaiserlichen Villen sich im einzelnen verfolgen läßt. In diesen Anlagen ist manches große Vermögen verbaut worden; aber daß die Lusthaine und die Villen dem Ackerbau den Platz wegnahmen, ist eine Redensart wie andere auchIn diesem Sinn sagt Tiberius bei Tacitus (ann. 3, 54): nisi provinciarum copiae et dominis et servitiis et agris subvenerint, nostra nos scilicet nemora nostraeque villae tuebuntur. Das läßt sich vertreten, wenn man die Stadt und die Umgegend Roms ins Auge faßt: von Tibur und Tusculum mag es einigermaßen richtig sein, daß die Städte den Landhäusern Platz machten. Aber für das übrige Italien paßt dies um so weniger, als die Prachtanlagen der großen hauptstädtischen Familien auf Latium und einen Teil Kampaniens sich beschränken.. Daß der italische Ackerbau unter der Republik durch die Zerstörung zahlreicher Städte und die Ausdehnung der Weidewirtschaft eine sehr empfindliche Einschränkung erfahren hat, ist früher auseinandergesetzt worden; aber wie die bei dem Beginn der Monarchie vorhandenen Gemeinwesen mit verschwindenden Ausnahmen unter ihr fortbestanden, so hat auch die Bodenwirtschaft, im großen und ganzen genommen, in der Kaiserzeit wahrscheinlich sich in dieser rückgängigen Richtung nicht weiterbewegt, vielmehr eher den umgekehrten Weg eingeschlagenIn der Alimentartafel von Veleia tritt bei den saltus auffallend oft hervor, daß sie mehr oder minder mit Ackerland gemischt sind, was wohl auf späteren partiellen Anbau zurückgehen mag., wenn auch großartige Maßregeln in diesem Sinn, wie die von Caesar in Betreff der Pontinischen Sümpfe geplante, nicht zur Ausführung gelangt sind. In den Provinzen sind die Deduktionen von Kolonisten gewiß vielfältig in der Weise erfolgt, daß dadurch Weide- oder Ödland unter den Pflug kam. Allem Anschein nach ist in der Kaiserzeit der Ackerbau nur da ausgefallen, wo entweder die Beschaffenheit des Bodens oder die Unsicherheit des Besitzes oder der Mangel an Arbeitskräften ihm im Wege stand. Daß die Weidewirtschaft regelmäßig Großwirtschaft ist und also diese Bodenstücke regelmäßig den Reichen gehören, liegt in der Sache und gilt also auch für diese Zeit.

Im Geldgeschäft ist die ältere indirekte Hebung der Staatseinnahmen durch Vermittlung der Kapitalistengesellschaften, eine der hauptsächlichen Burgen der republikanischen Plutokratie, in ihrer verderblichsten Form, der Festsetzung der Abgaben in einer Fruchtquote und der Überlassung dieser Zehnten an eine Gesellschaft gegen eine an die Staatskasse zu zahlende Geldsumme, schon von dem Diktator Caesar beseitigt worden. Bei der Einziehung der für Rom bestimmten Naturallieferungen und der in Geld angesetzten Steuern sind die alten Kompagnien noch eine Zeitlang tätig gewesen; aber teils die Hebung durch die steuerpflichtige Gemeinde, die zum Beispiel für Asia auch von dem Diktator Caesar angeordnet ward, teils die Einsetzung eigener kaiserlicher Finanzverwaltungen für jede Provinz müssen die Macht der Mittelsmänner weiter beschränkt haben, bis dann in den späteren Jahren des Tiberius auch das immer noch wichtige und gewinnbringende Geschäft der Überführung der also gezahlten Gelder und gelieferten Naturalien nach Rom oder an den sonstigen Bestimmungsort den großen Kompagnien genommen wardDie Umgestaltung des Hebewesens liegt sehr im Dunkeln; sicher ist nur, daß die Hebung durch die Gemeinden selbst wenigstens in Asien schon durch den Diktator Caesar eingeführt ward (App. civ. 5, 4), und wahrscheinlich wird dieselbe gleichzeitig wenigstens für die übrigen in Geld steuernden Provinzen angeordnet sein (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 185). Wenn dennoch Tacitus (ann. 4, 6; vgl. Römisches Staatsrecht, 3. Aufl., Bd. 2, S. 1017) zum Jahr 23 sagt: frumenta et pecuniae vectigales, cetera publicorum fructuum societatibus equitum Romanorum agitabantur, so können die pecuniae vectigales eben nur diese in Geld normierten Abgaben der Provinzen sein und den Sozietäten nur noch das Geschäft obgelegen haben, diese von den Gemeinden einzuziehen und an den Bestimmungsort zu übermitteln, so daß sie also in dieser Hinsicht mehr das Bankier- als das Hebegeschäft für den Staat besorgten. Da Tacitus diese Einrichtung unter den in Tiberius' späterer Zeit weggefallenen aufführt, so wird damals wohl auch die Vermittlung zwischen den zahlenden Gemeinden und der Staatskasse auf den Staat übergegangen sein. Von dem nach Rom zu liefernden Getreide ist der Transport immer durch Private beschafft worden (Marquardt, Privatalterthümer, S. 390). und diese aus der provinzialen Grund- und Vermögenssteuer überhaupt verschwinden. Bei anderen Steuern hat sich die indirekte Hebung länger behauptet, so bei der Freilassungs-, der Auktions- und der wichtigen Erbschaftssteuer; doch ist auch für die letztere, wie es scheint unter Hadrian, die direkte Erhebung eingeführt worden, und mehr und mehr werden die Kapitalistengesellschaften auch aus diesen Hebungen verbannt. Am längsten haben sie sich bei den Zöllen und den nutzbaren Bodenrechten des Staats behauptet; und hier ist die Verpachtung auch für Rechnung der kaiserlichen Kasse angewandt wordenDeutlich zeigen dieses Verhältnis die über das Vermögen des Isidorus und der Patrone Martials (Anm. 539) beigebrachten Angaben. Auch Plinius (epist. 3, 19) sagt: sum quidem prope totus in praediis, aliquid tamen fenero.. Wenn unter Nero die Abschaffung der Zölle in Frage kam, so ist dabei ohne Zweifel mit maßgebend gewesen, daß die hier unentbehrlich erscheinende Hebung durch Private mit dem Geiste der neuen Monarchie nicht harmonierte. Indes kam es dazu nicht und begnügte die Regierung damals und später sich mit der Verschärfung der gegen die Zollpächter geübten Kontrolle. Doch scheint, während unter der Republik die Pachtung vom Staat der Regel nach bedeutenden Umfang hatte und einzelne Gesellschaften finanzielle Großmächte waren, unter dem Prinzipat der Umfang der einzelnen Pacht vielmehr beschränkt gewesen zu sein. Auch abgesehen von dem kaiserlichen Kolonat, von dem schon die Rede war, sind die fiskalischen und ärarischen Konduktoren dieser Zeit offenbar nicht entfernt zu vergleichen mit den Publikanen der Republik; und dasselbe gilt von den noch fortbestehenden Kompagnien, denen durchaus kaiserliche Beamte und kaiserliches Gesinde in einer Weise über- und eingeordnet wurden, daß der ganze Betrieb unter stetiger Mitwirkung der Regierungsorgane sich vollzogen haben muß. Auch tritt, ganz im Gegensatz zu dieser, namentlich im fiskalischen Gebiet hier sehr häufig an die Stelle der Verpachtung die eigene Bewirtschaftung unter Aufsicht spezieller Beamter oder Beauftragter: so zum Beispiel sind die kaiserlichen Ziegeleien und Marmorbrüche niemals und in der Regel auch die kaiserlichen Bergwerke nicht verpachtet worden. Dem Eingreifen des Großkapitals in dieses wenigstens halbstaatliche Gebiet ist demnach unter dem Prinzipat eine mächtige Schranke gesetzt worden. Der Anteil an der Herrschaft, den die Geldaristokratie eine Zeitlang faktisch behauptet hatte, war damit gebrochen.

Das gewerbsmäßige Geldverleihen ist jetzt ein regelmäßiger Bestandteil des Haushalts jedes vermögenden Römers geworden. Auch die Vornehmen pflegen den größten Teil ihres Vermögens in Grundbesitz anzulegen, aber daneben ein mehr oder minder beträchtliches Kapital bankiermäßig zu verwerten, indem sie dasselbe teils gegen eigentliche Sicherheiten ausleihen, teils in der Form der Anleihe an Handel und Industrie und Spekulationen aller Art sich beteiligen. Dem kam andrerseits die selbst gesetzlich festgestellte Ordnung entgegen, daß das Verleihen gegen Zinsen nur insoweit gestattet wurde, als der Betreffende den gleichen oder noch einen höheren Betrag in Grundbesitz angelegt hatte. Es ist dies das System, nach dem auch Crassus und Atticus ihr Vermögen verwalteten; mit dem Zurücktreten der Selbstwirtschaft ward in der Gutsverwaltung dasselbe mehr und mehr allgemein. Wenn bei richtiger Führung dabei auch die Bodenwirtschaft gewann, insofern bei eintretendem Bedürfnis sie nicht auf den Kredit, sondern auf das Kapital greifen konnte, so lag hierin andererseits eine Verknüpfung des Grundbesitzes mit der Spekulation, deren Bedenklichkeit durch jene äußerliche Fixierung des Verhältnisses zwischen fundiertem und nicht fundiertem Vermögen mehr anerkannt als abgewandt wurde. Die großen Vermögen dieser Epoche sind hauptsächlich auf diesem Wege gebildet; von Seneca zum Beispiel wird geradezu gesagt, daß er durch die Wucherzinsen ein reicher Mann geworden seiTac. ann. 13, 42., und seine Feinde wenigstens behaupteten, daß er die Eroberung Britanniens dazu benutzt habe, um 40 Mill. Sesterzen den bedrängten Gemeinden dort vorzuschießen, deren Rückforderung dann den gefährlichen Aufstand des Jahres 60 herbeigeführt haben sollDio 60, 2.. Wo einer zum Krösus, da werden viele zu Bettlern. Die namentlich unter der ersten Dynastie stets sich wiederholenden Klagen über Überschuldung und Zusammenbrechen der vornehmen Häuser gehen vermutlich mehr noch auf diese Spekulantengeschäfte zurück als auf die eigentliche Verschwendung; und andererseits wird die mit Vespasian eintretende innerliche Revolution sich in erster Reihe darin gezeigt haben, daß das befestigte Vermögen im Wechselportefeuille Maß hielt und daß wenigstens dem Senator des Reiches die Sitte nicht gestattete, mit seinen Kapitalien zu wuchern. Wie der von Haus aus sehr begüterte spätere Kaiser Pius nie mehr als 4 Prozent Zinsen nahm, so zeigt auch die spätere Gesetzgebung, daß man unterschied zwischen den Zinsen, die der gewöhnliche Geschäftsmann nehmen konnte, und denen, die dem vornehmen Mann zu nehmen geziemte.

Daß Gewerbe und Handel unter der Friedensmacht, wie der römische Staat dieser Epoche sie entwickelte, emporgeblüht sein müssen, ist von vornherein gewiß; mancherlei Einzelheiten zeigen uns die steigende Spezialisierung des Handwerks, die weiten Absatzkreise einzelner Fabrikate, die Bedeutung des Imports wie des Exports über die Reichsgrenze; allgemeine Daten, die ein vergleichendes Urteil gegenüber früheren und späteren Perioden gestatteten, ergibt unsere Überlieferung nicht. Somit beschränkt diese Auseinandersetzung sich darauf, gewisse allgemeine und soziale Verhältnisse kurz zu berühren, die einigermaßen sich fassen lassen.

Wenn einstmals der einzelne Haushalt sich selber genügte, so war mit der steigenden Kultur mehr und mehr die bezahlte Arbeit, die gewerbliche sowohl wie der Handel mit offenem Laden, in die erste Reihe getreten: aber gleich wie in der Epoche, wo Speisen und Kleider lediglich durch das Gesinde bereitet wurden, liegt diese Arbeit jetzt zwar in der Hand der Kapitalisten, wird aber ausgeführt durch ihr unfreies Gesinde. Die großen Vermögen auch der Aristokratie sind allerdings zum guten Teil aus der stillen Beteiligung der Vornehmen an spekulativen Geschäften dieser Art hervorgegangen; aber einen auf das Gewerbe gestützten Mittelstand kennt diese Epoche sowenig wie die frühere; wie der Senat der Hauptstadt aus den Großgrundbesitzern sich zusammensetzt, so bilden in jeder Landstadt die Gutsbesitzer den Gemeinderat und den höheren Stand. Wenn ein Flickschuster sich es gestattet hat, in dem gebildeten Bononia eine Volkslustbarkeit zu geben und in Mutina ein Walker, wo wird, fragt MartialisMart. epigr. 3, 59., der Gastwirt dies tun? So erkauften die Trimalchionen für vieles Geld die Gelegenheit, sich auslachen zu lassen; von der Teilnahme an den Gemeindegeschäften blieben sie nach wie vor von Rechts wegen selbst in der kleinsten Stadt ausgeschlossen. Caesars Anordnung, daß in den Provinzen der Freigelassene in den Gemeinderat gelangen könne, nahm Augustus wieder zurück. Der einzelne Sklave sucht als Lohnknecht, Schuster, Arzt und so ferner seinen Verdienst oder wird auch von seinem Herrn in ein bestimmtes Geschäft hineingesetzt; was er auf diese Weise erwirbt, gehört zwar rechtlich dem Herrn, wird aber sehr häufig nur zum Teil an ihn abgeliefert. Der Sklave hat oft eigenen Haushalt und faktisch eigenen Besitz: die Freilassung erfolgt oft gegen eine aus diesem Besitz dem Herrn zu zahlende Summe, löst aber regelmäßig das Anrecht des Herrn auf einen Teil des Verdienstes des Freigelassenen nicht auf. So werden auch die bedeutenderen Geschäfte betrieben: zum Beispiel selbst die Ladeninhaber (negotiantes, mercatores), die Geldhändler (argentarii), die Händler mit Spezereien (thurarii), vermögende und in ihrer Art angesehene Persönlichkeiten, sind dennoch fast ohne Ausnahme unfrei oder aus der Unfreiheit entlassen. Wirtschaftlich hat dies System seine vorteilhafte Seite: das Fortkommen des einzelnen geschickten Arbeiters und brauchbaren Geschäftsmanns hängt weniger vom Zufall ab als bei völlig freier Konkurrenz, sondern es steht hier, wenn der Herr seinen Vorteil versteht, hinter jedem tüchtigen Mann die Macht des Kapitals. Es wird damit ferner zwischen der Sklavenschaft und der Bürgerschaft eine Brücke geschlagen, welche im allgemeinen wenigstens die besten Elemente aus jener in diese überführt und die, wie nachteilig sie auch vielfach sich erweist, doch im ganzen weniger schadet als die völlige Abschließung der Sklavenwelt gegen die der Freien. Die rechtliche Ausgleichung führt wenigstens in den späteren Generationen auch die nationale und soziale allmählich herbei, und das Zusammenschwinden des Bürgerstandes würde im Römischen Reich sehr viel früher und stärker aufgetreten sein, wenn nicht die außerordentliche, aber zugleich stehende Vermehrung durch die Freilassungen ihm zu Hilfe gekommen wäre. Sie sind auch bei der Bauernwirtschaft vorgekommen, aber überwiegend beruhen sie auf dem Gewerbe- und Handelsverkehr, in dem sie nicht selten sogar eine hervorragende Stellung gewinnen und sich oder doch ihre Nachkommen in die Geld- und weiter in die eigentliche Aristokratie einführen.

Ist in Beziehung auf Handel und Gewerbe nicht viel mehr zu konstatieren, als daß die Dinge auch unter dem Prinzipat beim alten blieben, so erweitert sich dagegen in bemerkenswerter Weise derjenige Kreis, in welchem die Sitte dem anständigen Manne gestattet, Geld zu erwerben. Die strenge Regel, daß der Dienst, der einem Mitbürger oder auch dem Staat geleistet wird, von dem Gentleman umsonst geleistet werden muß und durch Bezahlung wenn nicht unehrlich, so doch unvornehm wird, ist tatsächlich schon unter der Republik nach vielen Seiten hin durchbrochen worden. Aber erst in dieser Zeit bildet sich die öffentliche Laufbahn auch in ökonomischer Hinsicht aus, als hinführend zu einer finanziell und sozial angesehenen Stellung. Es gilt dies für Beamte, Soldaten, Sachwalter, Rechtsgelehrte, also überhaupt für alle mit dem öffentlichen Leben verknüpften Hilfsleistungen, während private Dienste, wie zum Beispiel des Arztes und des Jugendlehrers, sich wenig oder gar nicht über die eigentlichen Gewerbe erheben. Dies geht unmittelbar zurück auf den neuen Prinzipat. Die von diesem neben die alten Staatsbeamten gestellte Kategorie gleichfalls in öffentlichen Geschäften, sei es im Heer oder in der Verwaltung, verwandter persönlicher Diener des Kaisers wurde von Haus aus mit festem und hoch gegriffenen Gehalte ausgestattet und damit von dieser Remuneration der bisherige Makel entfernt. Es war dies um so leichter, als die außerhalb Roms tätigen Staatsbeamten längst eine Vergütung für die Ausrüstungs- und sonstigen Kosten empfangen hatten, die der Sache nach auf eine Besoldung hinauslief; dennoch war die Einführung der förmlichen und direkten Besoldung im Staatsdienst eine eingreifende Neuerung. Sie würde noch tiefer eingegriffen haben, wenn nicht die Kontinuität der amtlichen Stellung gefehlt hätte. Zwar die Unteroffizierstellung war eine dauernde und führte auch eine dauernde Versorgung sowie im günstigen Fall den Eintritt in die höhere Beamtenlaufbahn herbei; aber wenn auch im übrigen die kaiserlichen Diener weit längere Zeit als die Staatsdiener in ihren Stellungen blieben und die amtlichen Intervalle bei ihnen sicher seltener und kürzer eintraten, so ist doch das Amt im allgemeinen auch in der Kaiserzeit nicht eine Lebensstellung und die Gehalte der Regel nach nicht hoch genug, um schon in kürzerer Frist eine solche zu gewähren. Dafür aber traten ergänzend hinzu die Tätigkeiten des rechtskundigen Beirats und vor allem des redekundigen Sachwalters. Zwar unter Augustus ward die alte Vorschrift, daß kein Sachwalter von dem Klienten Geld annehmen dürfe, noch einmal eingeschärftDio 54, 18., und die hervorragenden Redner dieser Epoche, Asinius Pollio, Messalla Corvinus und andere mehr, hielten an der alten Ehrenhaftigkeit um so mehr fest, als sie durchaus reiche und vornehme Männer waren. Aber wenn der Kaiser seine Beamten bezahlte, so konnte der Advokat unmöglich unentgeltlich tätig sein; im allgemeinen kehrten weder Klienten noch Advokaten sich an das Gesetz, und unter Claudius mußten die "Schenkungen" bis zu 10000 Sesterzen gesetzlich freigegeben werdenTac. ann. 11, 5; 13, 5; 42.. Dabei ist es insofern geblieben, als die Advokatenhonorare in gewissen Grenzen nicht bloß erlaubt, sondern bald auch klagbar geworden sindPlin. epist. 5, 9.. Zu diesem legitimen Verdienst tritt noch hinzu ein anderweitig darzustellendes, aber auch in der Ökonomie nicht zu übersehendes Moment, die Durchführung des Strafprozesses mittels der Privatanklage und der gesetzliche Anspruch des siegreichen Privatanklägers auf bedeutende Geldbelohnungen, zum Beispiel bei dem Hochverratsprozeß auf den vierten Teil des Vermögens des Verurteilten, welche Prämien besonders bei den Anklagen vor dem Senat oft noch arbiträr gesteigert wurden. Es lag in der Sache, daß dieser Gewinn größtenteils denjenigen Sachwaltern zufiel, die diesen Weg zu gehen nicht verschmähten: und die großen Vermögen der Advokaten besonders im ersten Jahrhundert sind vorzugsweise auf diesem Wege zusammengekommen. Späterhin ist mit der veränderten Prozeßform diese Mißbildung zurückgetreten, wogegen die Sachwalterstellung überhaupt in ihrer sozialen und ökonomischen Bedeutung sich behauptet. Auch den bei dem Prozeß den Sachwaltern assistierenden Rechtsbeiständen (pragmatici) konnte das gleiche nicht verweigert werden; doch waren diese untergeordneten RangesJuv. sat. 7, 123. und ihr Erwerb nicht beträchtlich. Dagegen wird ihre Beihilfe bei Vollziehung von Rechtsgeschäften, zum Beispiel bei Abfassung von Testamenten, ähnlich, wenn auch niedriger gestanden haben wie heute die der Notare, und nicht minder fanden sie Verwendung als salarierte Privatbegleiter des in die Provinzen zur Rechtsprechung gesandten, der Regel nach selbst rechtsunkundigen hohen Beamten. So bildete sich hier eine Laufbahn für Talente, im allgemeinen jedem zugänglich, der die für die Vorbildung erforderlichen, allerdings nicht ganz unbedeutenden Kosten aufzubringen vermochte und auch in ihrem weiteren Verlauf an Bedingungen geknüpft, die verhältnismäßig leicht zu erfüllen waren. Dem römischen Eupatriden gegenüber macht Juvenal es geltend, daß aus dem Volke der Jüngling kommt, der am Euphrat Waffendienst tut und bei den Adlern Wache hält, die den bezwungenen Bataver bändigen; daß der niedere Quirite den Redner stellt, welcher die Prozesse des ungebildeten Adligen führt; daß der römische Plebejer es ist, der die Knoten des Rechts und die Rätsel der Gesetzgebung löst. Freilich, wer bloß Geld erwerben will, der wird in der Wechselstube oder bei dem Auktionsgeschäft, als Arzt und Baumeister, als Musikus oder Jockey rascher zum Ziel kommen; aber wer ehrgeizig nach einer Stellung strebt, dem ist jetzt auch eine solche nicht mehr verschlossen: der sorgliche Vater besseren Schlages bei demselben DichterJuv. sat. 14, 191; vorher 8, 46. fordert seinen Sohn auf, sich über seinen Lebensberuf zu entscheiden, entweder um den Rebstock des Unteroffiziers einzukommen oder in die Advokatenschule einzutreten oder auch die Gesetze zu studieren. Vielleicht auf keine Weise hat der Prinzipat der republikanischen Aristokratie entschiedener Abbruch getan als durch diese Restitution Gracchischen Geistes, anknüpfend an die Gracchischen Ritterprivilegien, aber doch wesentlich neu und durchaus beruhend einerseits auf der Organisation des stehenden Heeres und besonders der Unteroffizierskarriere, andrerseits auf der Einrichtung der salarierten kaiserlichen Beamten mit ihren weiteren Konsequenzen. Die Einrichtung öffnet die Pforten keineswegs dem Bürger schlechthin; die Freigelassenenwelt bleibt unbedingt ausgeschlossen, und wenn die militärische Laufbahn wenigstens rechtlich jedem Freigeborenen offensteht, so fordert die nicht militärische einen verhältnismäßig hohen und kostspieligen Bildungsgrad und, soweit sie eine amtliche ist, den Besitz des Rittervermögens. Die Einrichtung öffnet ferner ihre Pforten in der Hauptsache nur dem, der der Regierung genehm ist und genehm bleibt; die Aufnahme in das Heer und das Avancement hängt in jedem einzelnen Fall vom kaiserlichen Gutdünken ab, und ebenso verleiht die Regierung allein sowohl das Ritterpferd wie die daran geknüpften Ämter. Aber dennoch ist auf diesem Wege dem Mittelstand und einigermaßen selbst den niederen Schichten des Volkes die zu Reichtum und Ämtern führende Laufbahn eröffnet, während die spätere Republik dem, welcher den Reichtum nicht bereits besitzt, ihre Ämter schlechthin versagt. Auf dem sozialen Gebiet ist diese demokratisch-monarchische Institution der schärfste Ausdruck des Prinzipats und seine rechte treibende Kraft.


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