Jean Baptiste Molière
Die Zierpuppen
Jean Baptiste Molière

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Erster Auftritt

La Grange. Du Croisy.

Du Croisy. Herr La Grange . . .

La Grange. Was?

Du Croisy. Sehen Sie mich einmal an, ohne zu lachen.

La Grange. Nun?

Du Croisy. Was sagen Sie zu unserm Besuch? Sind Sie besonders erbaut davon?

La Grange. Meinen Sie, wir hätten Grund, es zu sein?

Du Croisy. Ehrlich gesagt, kaum.

La Grange. Ich, das gesteh' ich Ihnen, bin einfach außer mir. Hat man je vorher zwei dumme Gänse aus der Provinz gesehen, die solche Faxen machen und zwei Männer so von oben herab behandeln wie diese da uns? Noch ein Wunder, daß sie die Gnade hatten, uns Stühle anzubieten. Niemals hab' ich ein derartiges Getuschel erlebt, ein derartiges Gähnen, ein derartiges Augenreiben, ein derartiges beständiges Gefrage, wieviel Uhr es ist. Haben sie auf alles, was wir vorbrachten, etwas anderes geantwortet als Ja und Nein? Kurzum, läßt es sich bestreiten, daß sie uns nicht schlechter hätten empfangen können, wenn wir Menschen der niedrigsten Sorte wären?

Du Croisy. Sie nehmen sich offenbar die Sache sehr zu Herzen.

La Grange. Jawohl, das tu' ich, und zwar in solchem Grade, daß ich mich für diese Unverschämtheit rächen will. O, ich weiß nur zu gut, weshalb sie uns geringschätzen. Die modische Geziertheit hat nicht nur Paris verseucht; auch die Provinz ist bereits von ihr angesteckt, und diese zwei albernen Mamsellen haben eine tüchtige Dosis davon verschluckt. Mit einem Wort, sie verkörpern ein Gemisch von Ziererei und Gefallsucht. Ich kenne genau die Manier, die man zur Schau tragen muß, um von ihnen gut aufgenommen zu werden, und wenn Sie einverstanden sind, wollen wir ihnen einen Possen spielen, der ihnen über ihre Dummheit ein Licht aufsteckt und sie besser beurteilen lehrt, wen sie vor sich haben.

Du Croisy. Wie denken Sie sich das?

La Grange. Mein Diener Mascarill gilt bei vielen Leuten für eine Art von Schöngeist; heutzutag gelangt man ja äußerst billig zu diesem Ruf. Er ist ein Geck, der durchaus den Kavalier spielen will. Er tut sich was zugut auf seine feinen Umgangsformen und seine Verse, und andere Diener schaut er über die Achsel an, ja, erklärt sie rundweg für Banausen.

Du Croisy. Nun also, was haben Sie mit ihm vor?

La Grange. Was ich mit ihm vorhabe? Er soll . . . Aber lassen Sie uns erst von hier fort sein.

 

Zweiter Auftritt

Vorige. Gorgibus.

Gorgibus. Nun, meine Herren? Haben Sie meine Nichte und meine Tochter gesprochen? Wie stehn die Dinge? Wie hat Ihr Besuch gewirkt?

La Grange. Das werden Sie von ihnen besser erfahren als von uns. Alles, was wir Ihnen sagen können, ist, daß wir Ihnen danken für die uns erwiesene Gunst und Ihre gehorsamsten Diener sind.

Du Croisy. Ihre gehorsamsten Diener. (Beide ab)

Gorgibus (allein). O je! Die scheinen mir nicht sehr zufrieden. Was mag sie verdrossen haben? Das wollen wir doch einmal feststellen. Holla!

 

Dritter Auftritt

Gorgibus. Marotte.

Marotte. Der gnädige Herr befehlen?

Gorgibus. Wo sind deine beiden Fräulein?

Marotte. In ihrem Zimmer.

Gorgibus. Was machen sie dort?

Marotte. Lippenpomade.

Gorgibus. Zum Henker mit der ewigen Pomade! Sag ihnen, sie sollen hereinkommen.

 

Vierter Auftritt

Gorgibus (allein).

Gorgibus. Ich glaube, diese Racker legen es darauf an, mich mit ihrer Pomade zu ruinieren. Wo ich hinsehe, nichts als Eiweiß, Jungfernmilch und tausend andere Firlefanzereien, worin ich mich nicht auskenne. Sie haben, seit wir hier sind, den Speck von wenigstens einem Dutzend Schweinen verbraucht, und vier Bediente könnten täglich satt werden von den Hammelfüßen, die sie verwenden.

 

Fünfter Auftritt

Gorgibus. Madelon. Cathos.

Gorgibus. Meiner Seel', es ist wohl höchst notwendig, daß ihr so viel Geld hinauswerft, um eure Mäuler zu schmieren! Sagt mir doch mal: Was habt ihr mit den beiden Herren angefangen, die eben sich so frostig von mir verabschiedeten? Hab' ich euch nicht anempfohlen, sie als Freier aufzunehmen, mit denen ich euch verheiraten will?

Madelon. Welchen Respekt, lieber Vater, soll uns das geschmackswidrige Benehmen dieser Leute einflößen?

Cathos. Halten Sie es für möglich, lieber Onkel, daß eine einigermaßen kultivierte junge Dame sich mit Wesen dieser Art befreunden kann?

Gorgibus. Was habt ihr denn an ihnen auszusetzen?

Madelon. Eine nette Sorte von Galanterie, wahrhaftig, uns ohne weiteres eine Heirat anzutragen!

Gorgibus. Was denn sonst sollten sie euch antragen? Ein Verhältnis? War das nicht ein Benehmen, das eure Anerkennung verdient, ebensogut wie die meine? Kann man artiger sein? Und ist der geweihte Bund, nach dem sie trachten, nicht der beste Beweis für die Redlichkeit ihrer Absichten?

Madelon. O, was Sie da sagen, lieber Vater, ist der Gipfel der Spießbürgerlichkeit. Ich schäme mich geradezu, Sie so reden zu hören, und Sie sollten sich endlich angewöhnen, die ästhetische Note der Dinge zu berücksichtigen.

Gorgibus. Hier handelt sich's weder um Noten noch um Gesang. Ich wiederhole dir, daß die Ehe eine heilige und gottgefällige Sache ist, und daß sich als Ehrenmann benimmt, wer ohne weiteres auf sie zu sprechen kommt.

Madelon. Himmel! Wenn jeder dächte wie Sie, dann wäre ein Roman schnell zu Ende! Das könnte ja hübsch werden, wenn Cyrus gleich im Anfang Mandane heiraten wollte und Aronce sich mit Clelia schon im ersten Kapitel trauen ließe!

Gorgibus. Was für Geschwätz!

Madelon. Hier meine Cousine wird Ihnen ebenso wie ich erklären, daß die Heirat immer erst als Schluß auf eine Reihe von Abenteuern folgen darf. Ein Liebhaber, der uns gefallen soll, muß verstehen, seine schönen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, muß die ganze Skala der sanften, der zärtlichen und der leidenschaftlichen Tonart beherrschen und seine Werbung nach allen Regeln der Kunst verzieren. Zuerst muß er die Dame, für die sein Herz entbrennt, in der Kirche erblicken oder auf der Promenade oder bei einer öffentlichen Festlichkeit; oder auch, er wird durch Schicksalsfügung von einem Verwandten oder Freund bei ihr eingeführt und verläßt sie ganz in Träumerei und Schwermut versunken. Er verbirgt eine Zeitlang dem geliebten Gegenstand seine Leidenschaft und stattet ihr inzwischen eine Anzahl von Besuchen ab, wobei er nie vergißt, irgend ein galantes Thema zur Erörterung zu stellen, das die Versammelten geistig anregt. Endlich naht der Tag der Erklärung, die in der Allee eines Gartens vorzugehen pflegt, während die Gesellschaft sich ein wenig entfernt hat. Auf diese Erklärung folgt ein sofortiger Unwille, der sich in unserem Erröten kundgibt und den Geliebten für einige Zeit aus unserer Gegenwart verbannt. Hernach findet er Mittel und Wege, uns zu besänftigen, uns unmerklich an die Sprache seiner Leidenschaft zu gewöhnen und uns das Geständnis zu entlocken, das uns so schwer fällt. Nun beginnen die Abenteuer: Das Eingreifen der Nebenbuhler, die sich einer erwiderten Neigung entgegenstemmen, die Verfolgungen der Väter, die aus falschem Schein entspringenden Ausbrüche der Eifersucht, die Tränen, die Verzweiflung, die Entführung und was dazugehört. Dies ist das Programm einer Liebesgeschichte höheren Stils; dies sind die Vorschriften, ohne deren strenge Beachtung keine wahre Galanterie zu denken ist. Aber geradeswegs auf den Ehebund lossteuern, um Liebe werben mit dem Heiratsvertrag in der Hand und den Roman von hinten anfangen – nein, lieber Vater, es gibt nichts Prosaischeres als das, und schon der Gedanke daran macht mir übel.

Gorgibus. Zum Teufel, was ist das für ein geschwollenes Kauderwelsch!

Cathos. In der Tat, lieber Onkel, meine Cousine trifft den Nagel auf den Kopf. Wie kann man Leute gut aufnehmen, die von Galanterie keine blasse Ahnung haben! Jede Wette geh' ich ein, daß sie nie die Karte vom Lande der Minne gesehen haben, und daß Liebesbriefchen, zarte Aufmerksamkeiten, galante Episteln und Schäfergedichte böhmische Dörfer für sie sind. Merken Sie denn nicht, daß ihre ganze Persönlichkeit dies bezeugt, und daß ihnen jenes gewisse Etwas abgeht, wodurch man beim ersten Blick für sich einnimmt? Zu einem verliebten Besuch in glatten Strümpfen zu kommen, mit einem Hut ohne Federn, einem Kopf ohne künstliche Frisur und in einem Anzug, der an Bändern geradezu Not leidet – mein Gott, was sind das für Liebhaber! Welche Dürftigkeit in der Kleidung, und welche Öde in der Unterhaltung! Man erträgt es nicht, man hält es nicht aus. Überdies fiel mir auf, daß ihre Kragen nicht nach dem neuesten Schnitte sind und ihre Kniehosen mindestens um einen guten halben Fuß zu eng.

Gorgibus. Mir scheint, ihr seid alle beide verrückt, und ich verstehe kein Wort von diesem Gewäsch. Cathos, und du, Madelon . . .

Madelon. O! Bitte, lieber Vater, entwöhnen Sie sich dieser barbarischen Namen und nennen Sie uns anders!

Gorgibus. Was, barbarisch? Sind es nicht die Namen, auf die ihr getauft seid?

Madelon. Schrecklich, wie Sie ungebildet sind! Ich komme nicht aus dem Erstaunen heraus, wie Sie eine so geistreiche Tochter in die Welt setzen konnten! Hat man jemals im höheren Stil von Cathos oder Madelon gesprochen, und würde nicht ein einziger solcher Name genügen, um den besten Roman der Welt in Verruf zu bringen?

Cathos. Wirklich, lieber Onkel, ein feiner organisiertes Ohr leidet Folterqualen, wenn es derartige Laute mitanhören muß, und der Name Polyxena, den sich meine Cousine gewählt hat, oder Amynta, wie ich mich benenne, besitzen einen Wohlklang, den Sie schwerlich leugnen können.

Gorgibus. Hört mein letztes Wort. Es paßt mir nicht, daß ihr andere Namen tragt, als die euch von euren Paten und Patinnen beigelegt worden sind; und was die fraglichen Herren betrifft, so kenne ich ihre Familien und ihr Vermögen und bestehe darauf, daß ihr euch bequemt, sie zu heiraten. Ich bin es satt, euch auf dem Halse zu haben, und die Last, zwei Mädchen hüten zu müssen, ist für einen Mann in meinen Jahren zu schwer.

Cathos. Ich, lieber Onkel, kann darauf nur erwidern, daß ich das Heiraten überhaupt für eine grobe Unanständigkeit halte. Wie kann man nur den Gedanken ertragen, daß man sich mit einem gänzlich unbekleideten Mann schlafen legen soll?

Madelon. Lassen Sie uns doch erst in der schönen Welt von Paris ein wenig Atem holen, nachdem wir kaum hierher übergesiedelt sind. Gönnen Sie uns, den Knoten unseres Romans in Muße zu schürzen, und drängen Sie uns nicht schon zu seiner Lösung.

Gorgibus (für sich). Kein Zweifel mehr, die sind übergeschnappt. (Laut) Noch einmal, ich verstehe keine Silbe von dem ganzen Gefasel; ich will Herr in meinem Hause sein, und um allen Auseinandersetzungen ein Ende zu machen – entweder ihr seid binnen kurzem verheiratet, oder ihr geht ins Kloster: das schwör' ich euch hoch und heilig.

 

Sechster Auftritt

Cathos. Madelon.

Cathos. Ach, meine Teure, wie grundtief steckt dein Vater in der Materie! Wie schwerfällig ist seine Intelligenz, und welche Finsternis herrscht in seiner Seele!

Madelon. Was willst du, meine Teure? Ich weiß mir keinen Rat mit ihm. Es kostet mich Überwindung, zu glauben, daß ich tatsächlich seine Tochter bin, und ich bin sicher, daß früher oder später durch irgend ein Abenteuer sich mein vornehmer Ursprung enthüllen wird.

Cathos. Sehr wahrscheinlich; denn alle Anzeichen dafür sind vorhanden. Und auch ich, wenn ich mich bei Licht besehe . . .

 

Siebenter Auftritt

Vorige. Marotte.

Marotte. Draußen ist ein Lakai, der fragt, ob Sie zu Hause sind. Sein Herr, sagt er, will Sie besuchen.

Madelon. Lerne doch, du dummes Ding, dich gebildeter auszudrücken. Sprich: Draußen ist ein dienstbarer Geist, welcher nachfragt, ob Sie sich in der Kondition einer Visite befinden.

Marotte. Herrje, ich kann kein Latein und hab' nicht wie Sie die Philosauferei im großen Cyrus studiert.

Madelon. Pfui, unerträglich! Und wer ist der Herr jenes Lakaien?

Marotte. Er nennt ihn den Marquis von Mascarill.

Madelon. Ach, meine Teure, ein Marquis! Ein Marquis! Ja, geh und sag, daß wir ihn erwarten. Jedenfalls ein Schöngeist, der von uns gehört hat.

Cathos. Offenbar, meine Teure.

Madelon. Wir empfangen ihn besser hier im Gartensaal als in unserem Gemach. Laß uns nur ein wenig unser Haar in Ordnung bringen, damit wir unserem Ruf Ehre machen. (Zu Marotte) Spute dich und befördere zu uns hinein den Berater der Grazien.

Marotte. Meiner Treu, ich weiß nicht, was für ein Tier das ist. Sie müssen in christlicher Sprache mit mir reden, wenn ich Sie verstehen soll.

Cathos. Bring uns den Spiegel, du Ignorantin, und hüte dich, seine Fläche durch die Berührung mit deinem Bilde zu verunreinigen. (Sie gehen ab)

 

Achter Auftritt

Mascarill. Zwei Sänftenträger.

Mascarill. Holla, ihr Träger, holla! He! He! He! Ich glaube, diese Lümmel haben vor, mir die Knochen zu zerbrechen, indem sie mich bald gegen den Boden, bald gegen die Wände stoßen.

Erster Träger. Teufel auch, die Tür ist eng. Sie wollten ja durchaus bis hier herein getragen sein.

Mascarill. Selbstverständlich. Denkt ihr vielleicht, ihr Spitzbuben, ich werde den Schwall meiner Federn den Unbilden der nassen Witterung aussetzen und meine Schuhe im Schlamm der Straße abdrücken? Marsch, tragt eure Sänfte fort!

Zweiter Träger. Zuerst bezahlen Sie uns, wenn's beliebt.

Mascarill. Wie?

Zweiter Träger. Ich sage, Sie sollen uns gefälligst unser Geld geben.

Mascarill (gibt ihm eine Ohrfeige). Was, du Schuft? Von einer Person meines Ranges verlangst du Geld?

Zweiter Träger. Heißt das arme Leute bezahlen? Können wir von Ihrem Rang zu Mittag essen?

Mascarill. Oho, ich werd' euch lehren, wer ihr seid! Dies Gesindel hat die Stirn, mich zu hänseln!

Erster Träger (nimmt eine der Sänftenstangen). Vorwärts, rücken Sie heraus!

Mascarill. Verstehe nicht.

Erster Träger. Ich sage, mein Geld will ich haben, und zwar sofort.

Mascarill. Der Mensch redet vernünftig.

Erster Träger. Geschwind!

Mascarill. Allerdings, du sprichst, wie sich's gebührt; aber der andre ist ein Strolch, der nicht weiß, was er sagt. Da! Bist du zufrieden?

Erster Träger. Nein, ich bin nicht zufrieden. Sie haben meinem Kameraden eine Ohrfeige gegeben, und . . . (Er erhebt drohend die Stange)

Mascarill. Nur sachte! Da, das ist für die Ohrfeige. Man kann alles von mir haben, wenn man's auf die richtige Art einfädelt! Geht jetzt und holt mich nachher wieder ab, um mich in den Louvre zu tragen, zum kleinen Abendempfang.

 

Neunter Auftritt

Marotte. Mascarill.

Marotte. Gnädiger Herr, meine beiden Fräulein werden gleich erscheinen.

Mascarill. Sie sollen sich ja nicht übereilen. Ich habe hier einen bequemen Platz zum Warten.

Marotte. Da kommen sie.

 

Zehnter Auftritt

Mascarill. Cathos. Madelon. Almansor.

Mascarill (nachdem er gegrüßt hat). Meine Damen, Sie werden ohne Zweifel verwundert sein über die Kühnheit meines Besuches; aber Ihr Ruf trägt die Schuld an diesem Überfall; denn das Verdienst hat für mich eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, daß ich ihm überall nachlaufe.

Madelon. Wenn Sie hinter dem Verdienste her sind, dann müssen Sie auf anderen Gefilden jagen als auf den unsrigen.

Cathos. Um Verdienst bei uns zu finden, waren Sie genötigt, es selber mitzubringen.

Mascarill. O, ich protestiere gegen diese Behauptung. Im Ehrenbuche der schönen Welt steht Ihr Wert in bar verzeichnet, und Sie haben alle Trümpfe in der Hand, um dem ganzen galanten Paris das Spiel abzugewinnen.

Cathos. Meine Teure, wollen wir uns nicht Stühle geben lassen?

Madelon. Heda! Almansor!

Almansor. Gnädiges Fräulein?

Madelon. Flink, transportiere uns hierher die Sitzgelegenheiten der Konversation.

Mascarill. Aber vor allem – bin ich hier auch sicher?

(Almansor ab)

Cathos. Was fürchten Sie?

Mascarill. Einen Diebstahl meines Herzens, einen Meuchelmord meiner Gemütsruhe. Ich sehe hier Augen, die ganz den Eindruck machen, als wären sie lose Gesellen, als wollten sie der Freiheit Fallstricke legen und mit einer armen Seele umgehen wie Türken und Mohren. Ei, zum Henker, kaum daß man sich ihnen nähert, unternehmen sie einen zerschmetternden Ausfall. Auf Ehre, ich traue ihnen nicht! Und ich werde mich aus dem Staube machen, wenn sie mir nicht vollgültige Bürgschaft leisten, daß sie mir nichts zuleide tun.

Madelon. Höre nur, meine Teure, wie er sprudelt.

Cathos. Ja, der ganze Amilcar.

Madelon. Seien Sie unbesorgt; unsere Augen haben keine bösen Absichten, und Ihr Herz darf ruhig schlafen im Vertrauen auf deren Rechtschaffenheit.

Cathos. Aber, bitte, Herr Marquis, seien Sie nicht unerweichlich gegen diesen Sessel, der seit einer Viertelstunde die Arme nach Ihnen ausstreckt; sondern stillen Sie die Sehnsucht, die er hegt, Sie an sein Herz zu ziehen.

Mascarill (nachdem er sich gekämmt und seine Kanonen in Ordnung gebracht hat). Nun, meine Damen, wie gefällt Ihnen Paris?

Madelon. Ach, was sollen wir sagen? Man müßte der Antipode der Vernunft sein, um nicht zu bekennen, daß Paris das große Repositorium aller Wunder ist, der Brennpunkt des guten Geschmacks, der Schöngeisterei und der Galanterie.

Mascarill. Ich meinesteils bleibe dabei: Außer in Paris gibt es für anständige Menschen keine Existenzmöglichkeit.

Cathos. Das ist ein unbestreitbares Dogma.

Mascarill. Die Straßenreinigung ist zwar mangelhaft: aber dafür haben wir die Sänften.

Madelon. In Wahrheit, die Sänften sind ein wunderbares Bollwerk gegen die Attacken von Schmutz und Unwetter.

Mascarill. Empfangen Sie viel Besuch? Welche Schöngeister verkehren bei Ihnen?

Madelon. Ach, wir sind leider noch zu wenig bekannt; aber wir haben Aussicht, es zu werden. Wir besitzen eine intime Freundin, die uns versprochen hat, uns die sämtlichen Mitarbeiter der Poetischen Blumenlese zu bringen.

Cathos. Sowie einige andere Herren, die man uns empfohlen hat als die unumschränkten Schiedsrichter im Reiche der schönen Künste.

Mascarill. Dazu könnt' ich Ihnen besser verhelfen als irgendwer; sie gehen alle bei mir ein und aus, und schon beim ersten Frühstück hab' ich Tag für Tag ein halbes Dutzend Schöngeister zur Gesellschaft.

Madelon. O mein Gott! Wir würden Ihnen über alle Maßen dankbar sein, wenn Sie uns diesen Freundschaftsdienst erweisen wollten; denn der Umgang mit all diesen Herren ist ja unerläßlich, wenn man zur schönen Welt gehören will. Ein Name, der in Paris etwas gelten soll, muß von ihnen abgestempelt sein, und wie Sie wissen, braucht so Einer sich mit uns nur sehen zu lassen, um uns den Ruf von Kennerinnen zu verschaffen. Der Punkt aber, auf den ich das Hauptgewicht lege, ist, daß man vermittels solchen geistreichen Umgangs hunderterlei Dinge kennen lernt, die man unbedingt wissen muß, weil sie die Quintessenz der Kultur sind. Nur so erfährt man die kleinen galanten Neuigkeiten, nimmt teil an dem reizenden Gedankenaustausch in Prosa und in Versen. Man weiß genau: Der und der hat das allerliebste Stück über dies oder jenes Problem geschrieben: die und die hat den Text zu der oder jener Melodie verfaßt: der hier hat ein Madrigal auf eine Schäferstunde, der dort eine Ode auf einen Treubruch gedichtet; Herr so und so schrieb gestern abend ein Sonett an Fräulein so und so, worauf sie heut früh um acht Uhr geantwortet hat: der und der Autor hat den und den Plan entworfen; dieser arbeitet am dritten Band seines Romans; jener liest eben die Korrekturbogen. Das ist der Weg, um in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen, und wer in solchen Dingen nicht beschlagen ist, für dessen gesamten Geist geb' ich keinen Pfifferling.

Cathos. In der Tat, es scheint mir der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn jemand auf Geist Anspruch erhebt und nicht jeden kleinen Vierzeiler kennt, der täglich produziert wird. Ich jedenfalls würde vor Scham in die Erde sinken, wenn ich auf die Frage, ob ich schon das Allerneueste gesehen, mit Nein antworten müßte.

Mascarill. Freilich, es ist schmachvoll, nicht von allen Ereignissen den Rahm abzuschöpfen. Aber seien Sie außer Sorge; ich werde bei Ihnen eine Akademie von Schöngeistern einrichten, und ich verspreche Ihnen, es soll in ganz Paris kein Reim geschmiedet werden, den Sie nicht früher auswendig wissen sollen als alle andern. Ich selbst, wie Sie mich da sehen, befasse mich gelegentlich ein wenig damit, und Sie werden aus meiner Feder in den maßgebenden Salons von Paris zweihundert Lieder im Umlauf finden, ebensoviel Sonette, vierhundert Epigramme und mehr als tausend Madrigale, die Charaden und Akrostichons nicht mitgerechnet.

Madelon. Ich gestehe, ich schwärme wahnsinnig für Akrostichons; ich kenne nichts Galanteres.

Mascarill. Die Akrostichons sind sehr schwierig und erfordern besondere Geistestiefe. Ich will Ihnen einige von mir zeigen, die Ihnen nicht mißfallen werden.

Cathos. Ich meinesteils bin toll auf Charaden.

Mascarill. Sie schärfen den Verstand; noch heut morgen hab' ich davon vier gemacht, die ich Ihnen zu raten aufgeben werde.

Madelon. Auch Madrigale sind entzückend, wenn sie eine feine Schlußwendung haben.

Mascarill. Das ist meine Spezialität. Ich bin gerade dabei, die ganze römische Geschichte in Madrigale zu bringen.

Madelon. O, das wird sicher hinreißend. Ich erbitte mir wenigstens ein Exemplar, wenn sie im Druck erscheinen.

Mascarill. Jede von Ihnen soll eines haben, und in einem Prachtband. Diese Beschäftigung ist zwar nicht ganz würdig meines Standes: aber ich will den Buchhändlern was zu verdienen geben, die mich förmlich verfolgen.

Madelon. Es muß doch ein großes Vergnügen sein, sich gedruckt zu sehen.

Mascarill. Unstreitig. Übrigens – ich muß Ihnen eine kleine Stegreifdichtung vortragen, die ich gestern bei einer mir befreundeten Herzogin aus dem Ärmel schüttelte; denn ich bin verteufelt stark im Improvisieren.

Cathos. Die Improvisation ist recht eigentlich der Prüfstein des Geistes.

Mascarill. Hören Sie!

Madelon. Wir sind ganz Ohr.

Mascarill. »O, o, wie unvorsichtig! Als geblendet
Von deinem Blick ich sorglos stehen blieb,
Hat meuchlings mir dein Aug' mein Herz entwendet;
Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!«

Cathos. O Gott! Was für eine Delikatesse des Ausdrucks!

Mascarill. Alles, was ich mache, verrät den Weltmann. Oder duftet das vielleicht nach dem Schulfuchs?

Madelon. Es ist mehr als zweitausend Meilen davon entfernt.

Mascarill. Haben Sie auf den Anfang geachtet? Auf dieses O, o? Ist dieses O, o nicht glänzend? Wie wenn jemand plötzlich etwas inne wird: O, o. Mit dem Ausruf der Überraschung: O, o!

Madelon. Ja, ich finde dieses O, o bewundernswert.

Mascarill. Und sieht dabei aus, als wär' es nichts.

Cathos. Um Gottes willen, was sagen Sie da? In so einem Nichts liegen ja gerade die köstlichsten Feinheiten.

Madelon. Unzweifelhaft. Ich möchte lieber dieses O, o gedichtet haben, als ein ganzes Epos.

Mascarill. Alle Wetter, Sie haben Geschmack.

Madelon. Ja, einigermaßen.

Mascarill. Bewundern Sie aber nicht auch das: »Wie unvorsichtig«? Mein Mangel an Behutsamkeit, mein harmloses Vertrauen ist auf die natürlichste Formel gebracht: »Wie unvorsichtig«. »Als geblendet von deinem Blick«, will sagen, als ohne Schuld, ohne Arg, wie ein armer Hammel »ich sorglos stehen blieb«, das heißt, dich mit Wonne betrachtete, dich musterte, dich anstaunte, »hat meuchlings mir dein Aug' . . .« Wie finden Sie hier das Wort »meuchlings«? Ist es nicht gut gewählt?

Cathos. Großartig.

Mascarill. Meuchlings, im Sinne von hinterrücks. Man glaubt eine Katze zu sehen, die eine Maus gefangen hat – meuchlings.

Madelon. Unübertrefflich.

Mascarill. »Mein Herz entwendet«, es mir entführt, mir geraubt. »Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!« Klingt das nicht, als ob jemand laut schreiend hinter einem Dieb herliefe, um ihn dingfest zu machen? »Haltet den Dieb! Den Dieb! Den Dieb! Den Dieb!«

Madelon. Diese Schlußwendung ist ebenso geistvoll wie galant.

Mascarill. Ich will Ihnen die Melodie singen, die ich dazu komponiert habe.

Cathos. Sie haben auch Musik studiert?

Mascarill. Ich? I bewahre.

Cathos. Wie können Sie dann komponieren?

Mascarill. Leute von Stand können alles, ohne je was gelernt zu haben.

Madelon. Sehr richtig, meine Teure.

Mascarill. Hören Sie, ob die Melodie Ihren Beifall hat. Hm, hm, la, la, la, la, la. Die Brutalität der Jahreszeit hat den Schmelz meiner Stimme erbarmungslos beeinträchtigt; aber einerlei, ich bin ja nicht Sänger, sondern Kavalier. (Er singt)
»O, o, wie unvorsichtig! Als geblendet« usw.

Cathos. Ah, was für eine Leidenschaft in dieser Melodie! Rein zum Sterben!

Madelon. Es ist sehr viel Chromatisches darin.

Mascarill. Finden Sie nicht eine gelungene Tonmalerei bei der Stelle: »Haltet den Dieb! Den Dieb!« Und dann wieder, wie wenn jemand aus Leibeskräften brüllt: »Den Die–ie–ie–ieb!« Und gleich darauf, als ob ihm der Atem ausginge: »Den Dieb!«

Madelon. Das heißt den Nerv der Dinge treffen, den Hauptnerv, den Nerv des Nervs. Das Ganze, glauben Sie mir, ist ein Meisterwerk: ich bin von der Musik ebenso begeistert wie von der Dichtung.

Cathos. Es ist das Vollendetste, was mir je vorgekommen.

Mascarill. Und das alles fällt mir wie von selbst ein, ohne Studium.

Madelon. Die Natur hat Sie als die zärtlichste Mutter behandelt, und Sie sind ihr Schoßkind.

Mascarill. Womit vertreiben Sie sich die Zeit, meine Damen?

Cathos. Mit nichts.

Madelon. Wir haben bis jetzt in bezug auf Zerstreuung jammervoll gefastet.

Mascarill. Ich erbiete mich, Sie demnächst ins Theater zu führen, wenn Sie wünschen; man wird gerade eine Novität geben, die in Ihrer Gesellschaft zu sehen ich mich glücklich schätzen würde.

Madelon. Wer könnte da Nein sagen?

Mascarill. Aber ich bitte Sie, dann auch gehörig zu klatschen; denn ich habe mich verpflichtet, das Stück durchzubringen; noch heute früh kam der Dichter zu mir und bat mich darum. Es ist hier Sitte, daß die Autoren uns Standespersonen ihre neuen Stücke vorlesen, damit wir uns gedrungen fühlen, sie schön zu finden und für sie Stimmung zu machen, und Sie können sich denken, daß, wenn wir eine Bemerkung fallen lassen, das Parterre nicht wagt, sich mit uns in Widerspruch zu setzen! Ich meinesteils nehm' es darin sehr genau, und wenn ich es einem Poeten einmal versprochen habe, dann ruf' ich fortgesetzt Bravo, noch bevor die Lampen angezündet sind.

Madelon. Ohne allen Zweifel, Paris ist eine zauberhafte Stadt. Hier gehen täglich tausend Dinge vor, von denen man sich in der Provinz nichts träumen läßt, mag man auch noch so geistreich sein.

Cathos. Verlassen Sie sich auf uns: wir werden auf Grund Ihrer Instruktionen unsere Pflicht tun und Bewunderungsrufe ausstoßen bei jedem Satz, der gesprochen wird.

Mascarill. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche; aber Sie sehen mir ganz danach aus, als hätten Sie selber schon Stücke geschrieben.

Madelon. Ei, es wäre vielleicht möglich, daß Sie Recht hätten.

Mascarill. Auf Ehre, die müssen Sie mir zu lesen geben. Unter uns, auch ich habe eines verfaßt und will es aufführen lassen.

Cathos. Und welcher Bühne wollen Sie's anvertrauen?

Mascarill. Wie können Sie fragen? Natürlich unserer vornehmsten; denn nur sie besitzt Darsteller, die einer höheren Aufgabe nichts schuldig bleiben. Die anderen sind Stümper, die so deklamieren, wie man im Leben spricht; sie verstehen nicht, die Verse rollen zu lassen und bei den schönen Stellen eine Pause zu machen. Als ob man einen guten Vers würdigen könnte, wenn der Schauspieler nicht auf ihm ausruht und dadurch dem Publikum zu erkennen gibt, daß es anfangen muß zu toben!

Cathos. Ja, wirklich, es gibt Mittel, den Zuschauern die Schönheit eines Werkes zu Gemüte zu führen, und nichts verschafft sich Geltung, wenn man es nicht zur Geltung bringt.

Mascarill. Wie gefällt Ihnen das Gänseklein meiner Bänder und Spitzen? Finden Sie es passend zu meinem Kostüm?

Cathos. Durchaus.

Mascarill. Die Bandfarbe ist wohl gut gewählt?

Madelon. Fabelhaft gut. Man sieht auf zehn Schritte, daß Sie bei Perdrigeon arbeiten lassen.

Mascarill. Was halten Sie von meinen Kanonen?

Madelon. Sie sind tadellos.

Mascarill. Wenigstens kann ich behaupten, daß sie alle übrigen an Umfang um gut eine Viertelelle übertreffen.

Madelon. Ich muß bekennen, ich habe noch niemals einen solchen Grad von Eleganz in der Ausstaffierung gesehen.

Mascarill. Lenken Sie ein wenig auf diese Handschuhe die Aufmerksamkeit Ihres Riechorgans.

Madelon. Sie duften berauschend.

Cathos. Ich habe noch nie einen raffinierteren Wohlgeruch eingesogen.

Mascarill. Aber nun erst dieser! (Er läßt sie an den gepuderten Haaren seiner Perücke riechen)

Madelon. Von äußerster Feinheit. Er wirkt überwältigend auf das Zentralsystem.

Mascarill. Und über meine Federn sagen Sie kein Wort? Wie gefallen sie Ihnen?

Cathos. Unwahrscheinlich gut.

Mascarill. Wissen Sie auch, daß jede Faser daran mich einen Louisdor kostet? Ich habe nun einmal die Manie, mich nur mit den allerauserlesensten Dingen zu umgeben.

Madelon. Darin stimme ich ganz mit Ihnen überein. Ich bin schauderhaft heikel in allem, was ich an mir trage, und bis auf meine Strümpfe dulde ich nur Kleidungsstücke von der feinsten Qualität.

Mascarill (schreit plötzlich auf). Au! Au! Au! Gnade! – Gott verdamm' mich, meine Damen, das ist unverantwortlich. Ihr Verhalten gibt mir Anlaß, mich zu beklagen; denn es verstößt gegen die Ehrlichkeit.

Cathos. Wieso denn? Was haben Sie?

Mascarill. Wie! Zu zweit unternehmen Sie einen gleichzeitigen Angriff auf mein Herz? Laufen Sturm gegen mich von rechts und von links? Ah, das ist gegen alles Kriegsrecht; die Waffen sind zu ungleich, und ich werde laut um Hilfe rufen.

Cathos. Er sagt doch alles auf eine individuelle Manier.

Madelon. Er hat eine beispiellose Grazie des Geistes.

Cathos. Sie empfinden mehr Furcht als Qual, und Ihr Herz wehklagt, noch bevor es durchbohrt wird.

Mascarill. Zum Teufel auch, es ist durch und durch gebohrt.

 

Elfter Auftritt

Vorige. Marotte.

Marotte. Fräulein, draußen ist ein neuer Besuch.

Madelon. Wer?

Marotte. Der Vicomte von Jodelet.

Mascarill. Der Vicomte von Jodelet?

Marotte. Ja, Euer Gnaden.

Cathos. Kennen Sie ihn?

Mascarill. Er ist mein bester Freund.

Madelon. Schnell, führ ihn herein.

Mascarill. Wir haben uns schon seit längerer Zeit nicht gesehen; um so erfreulicher ist mir dieses Zusammentreffen.

Cathos. Da kommt er.

 

Zwölfter Auftritt

Vorige. Jodelet. Almansor.

Mascarill. Ah, Vicomte!

Jodelet. Ah, Marquis! (Sie umarmen sich)

Mascarill. Wie froh bin ich, dir hier zu begegnen!

Jodelet. Wie groß ist mein Vergnügen, dich hier zu finden!

Mascarill. Umarme mich noch einmal, ich bitte dich darum.

Madelon (zu Cathos). Meine Wertgeschätzte, wir fangen an bekannt zu werden. Du siehst, die schöne Welt sucht bereits den Weg zu unserer Tür.

Mascarill. Gestatten Sie, meine Damen, daß ich Ihnen diesen Edelmann vorstelle. Er verdient, auf Ehre, von Ihnen gekannt zu sein.

Jodelet. Es ist geboten, daß man hierherkommt, Ihnen den schuldigen Tribut zu entrichten. Denn Ihre Reize behaupten gegenüber jedermann ein landesherrliches Hoheitsrecht.

Madelon. Sie treiben Ihre Höflichkeit bis an den äußersten Pol der Schmeichelei.

Cathos. Dieser Tag verdient als ein Glückstag in unserem Kalender rot angestrichen zu werden.

Madelon (zu Almansor). Heda, du Kleiner, muß man dir alles zwanzigmal sagen? Siehst du denn nicht, daß wir den Zuwachs eines Lehnsessels benötigen?

Mascarill. Wundern Sie sich nicht über das Aussehen des Herrn Vicomte; er hat eben erst eine Krankheit überstanden, von der sein Gesicht so bleich geworden ist.

Jodelet. Das sind die Früchte der Nachtwachen am Hof und der Strapazen im Krieg.

Mascarill. Wissen Sie auch, meine Damen, daß Sie im Herrn Vicomte einen der tapfersten Helden des Jahrhunderts vor sich haben? Sein Degen ist ebenso schneidig wie seine drei Bartspitzen.

Jodelet. Du stehst mir nicht nach, Marquis; man weiß, welcher Taten auch du fähig bist.

Mascarill. Es ist wahr, mir haben gar manches Mal Schulter an Schulter gekämpft.

Jodelet. Und immer dort, wo es am heißesten herging.

Mascarill. (mit Blick auf Cathos und Madelon). Aber lange nicht so heiß wie hier. Ha, ha, ha!

Jodelet. Wir haben einander bei der Armee kennen gelernt. Als wir uns zum erstenmal sahen, kommandierte er ein Kavallerieregiment auf den Galeeren von Malta.

Mascarill. Jawohl; aber du bist schon lange vor mir im Dienst gewesen. Ich erinnere mich, daß ich noch ein kleiner Leutnant war, als du schon an der Spitze von zweitausend Reitern standest.

Jodelet. Der Krieg ist eine schöne Sache; aber, auf Ehre, der Hof belohnt heutzutag' Leute, die ihm gedient haben wie wir, allzu schäbig.

Mascarill. Deshalb werd' ich auch meinen Degen an den Nagel hängen.

Cathos. Ich hab' eine tolle Schwärmerei fürs Militär.

Madelon. Ich ebenfalls; aber ich lege Wert darauf, daß der Geist die Tapferkeit würze.

Mascarill. Entsinnst du dich noch, Vicomte, wie wir bei der Belagerung von Arras einen Halbmond erstürmten?

Jodelet. Was redest du von einem Halbmond? Ein richtiger Vollmond war's.

Mascarill. Du magst Recht haben.

Jodelet. Ob ich mich entsinne? Wetter auch! Ward ich dabei nicht von einer Granate am Bein verwundet, das noch heute die Spuren davon trägt? Bitte, fühlen Sie nur, meine Damen; dann werden Sie merken, was das für eine Wunde war.

Cathos (nachdem sie die Stelle befühlt hat). In der Tat, eine riesige Narbe.

Mascarill. Geben Sie mir einmal die Hand und fühlen Sie diese hier; genau hier, an meinem Hinterkopf. Haben Sie's?

Madelon. Ja, ich fühle was.

Mascarill. Das ist ein Musketenschuß, den ich in meinem jüngsten Feldzug erhielt.

Jodelet (seine Brust entblößend). Hier ist noch ein Schuß, der mir in der Schlacht von Gravelingen vorn hinein und hinten heraus ging.

Mascarill (macht Miene, seine Kniehosen aufzuknöpfen). Und hier noch eine ganz entsetzliche Narbe . . .

Madelon. Nicht nötig; wir glauben es ohne Besichtigung.

Mascarill. Das sind die Ehrenzeichen, woran man sieht, wer Unsereiner ist.

Cathos. Wir zweifeln ja nicht daran.

Mascarill. Vicomte, hast du deine Kutsche unten?

Jodelet. Warum?

Mascarill. Wir könnten dann die Damen vor die Stadt fahren und ihnen ein ländliches Fest bereiten.

Madelon. Wir müssen heut' zu Hause bleiben.

Mascarill. Dann ein paar Geiger herbei, die uns zum Tanz aufspielen!

Jodelet. Ein vorzügliche Idee, auf Ehre.

Madelon. Damit sind wir einverstanden; aber dann brauchen wir einige Vermehrung der Gesellschaft.

Mascarill. Holla! Champagne, Picard, Bourguignon, Cascaret, Basque, La Verdure, Lorrain, Provençal, La Violette! Zum Teufel mit allen Lakaien! Ich glaube wahrhaftig, es gibt in ganz Frankreich keinen Edelmann, der so schlecht bedient ist wie ich. Dieses Lumpenpack läßt mich fortwährend im Stich.

Madelon. Almansor, sage den Dienern des Herrn Marquis, sie sollen Musikanten bestellen, und bitte etliche Herren und Damen aus der Nachbarschaft hierher, damit sie die Einsamkeit unseres Balles bevölkern. (Almansor ab)

Mascarill. Vicomte, was sagst du zu diesen Augen?

Jodelet. Und du, Marquis, was hältst du davon?

Mascarill. Ich sage, daß es unserer Freiheit schwer fallen wird, mit heiler Haut von hier fortzukommen. Ich wenigstens verspüre heftige Erschütterungen, und mein Herz hängt nur noch an einem Faden.

Madelon. Wie natürlich klingt alles, was er sagt. Seine Redewendungen sind geradezu bestrickend.

Cathos. In der Tat, er wirft mit Geist nur so um sich.

Mascarill. Damit Sie mich auf die Probe stellen, will ich augenblicklich ein Stegreifgedicht darauf machen. (Er denkt nach)

Cathos. Ach, ich beschwöre Sie mit aller Hingebung meines Herzens, lassen Sie uns Versen lauschen, die für uns gedichtet sind!

Jodelet. Ich hätte Lust, es ihm gleichzutun. Aber meine poetische Ader ist etwas angegriffen, infolge der vielen Blutegel, die ich in den letzten Tagen daran sitzen hatte.

Mascarill. Zum Henker, was ist das nur? Den ersten Vers hab' ich immer sofort; aber die folgenden wollen mir nicht einfallen. Auf Ehre, so geschwind geht es nicht. Ich werde Ihnen in aller Ruhe ein Stegreifgedicht ausarbeiten, das Sie hinreißen wird.

Jodelet. Er ist dämonisch geistreich.

Madelon. Und galant und sprühend.

Mascarill. Sag, Vicomte, hast du die Gräfin lang' nicht gesehen?

Jodelet. Es ist schon über drei Wochen her, seit ich sie zum letztenmal besuchte.

Mascarill. Weißt du auch, daß der Herzog heute früh bei mir war und mich auf sein Gut mitnehmen wollte, um einen Hirsch mit ihm zu jagen?

Madelon. Da kommen unsere Freundinnen.

 

Dreizehnter Auftritt

Vorige. Lucile. Celimene. Marotte. Almansor. Musikanten.

Madelon. Ach, meine Teuersten, wir bitten Sie um Vergebung. Diesen Herren flog es in den Sinn, die Seelen unserer Füße beschwingen zu wollen, und wir sandten nach Ihnen aus, um die Lücken unseres Beisammenseins auszufüllen.

Lucile. Wir sind Ihnen äußerst verbunden.

Mascarill. Es handelt sich nur um ein improvisiertes Tänzchen. Aber demnächst werden wir Ihnen einen Ball in aller Form geben. Sind die Musikanten da?

Almansor. Ja, Euer Gnaden, hier sind sie.

Cathos. Wohlan denn, meine Teuren, auf Ihre Plätze.

Mascarill (tanzt allein, wie zum Präludium). La, la, la, la, la, la, la, la.

Madelon. Er hat eine außerordentlich elegante Figur.

Cathos. Und die Erscheinung eines vollendeten Tänzers.

Mascarill (hat Madelon zum Tanz umfaßt). Mein Gemüt wird die Courante ebenso gut tanzen wie meine Füße. Im Takt, Musikanten, im Takt! O, diese Nichtskönner! Wie soll man tanzen zu dieser Musik! Hol' euch der Teufel! Könnt ihr denn keinen Rhythmus einhalten? La, la, la, la, la, la, la, la. Drauf los, Bettelmusikanten, die ihr seid.

Jodelet (gleichfalls tanzend). Holla, nicht so schnell im Takt! Ich bin eben erst vom Krankenbett aufgestanden.

 

Vierzehnter Auftritt

Vorige. Du Croisy. La Grange.

La Grange (einen Stock in der Hand). Oho, ihr Halunken, was treibt ihr da? Seit drei Stunden sind wir nach euch auf der Suche. (Er schlägt auf Mascarill los)

Mascarill. Au! Au! Au! Daß es auch Schläge dabei setzen würde, haben Sie mir nicht gesagt.

Jodelet (ebenfalls geschlagen). Au! Au! Au!

La Grange. Du Galgenstrick nimmst dir heraus, hier den großen Herrn zu spielen!

Du Croisy. Das wird euch darüber aufklären, wer ihr seid.

 

Fünfzehnter Auftritt

Vorige (ohne Du Croisy und La Grange).

Madelon. Was heißt denn das?

Jodelet. Es handelt sich um eine Wette.

Cathos. Wie? Deshalb lassen Sie sich derartig durchprügeln?

Mascarill. Mein Gott, ich wollte so tun, als merkt' ich nichts; denn ich bin jähzornig und hätte mich sonst vergessen.

Madelon. Eine solche Beschimpfung stecken Sie ein – in unserer Gegenwart!

Mascarill. Hat nichts zu bedeuten: tanzen wir ruhig weiter. Wir sind alte Bekannte, und unter Freunden nimmt man so eine Bagatelle nicht übel.

 

Sechzehnter Auftritt

Vorige. Du Croisy. La Grange.

La Grange. Wartet, ihr Spitzbuben; ihr sollt uns nicht länger zum besten haben, das versprech' ich euch. (Nach außen sprechend) Ihr da, kommt herein. (Drei oder vier Berufsfechter treten ein)

Madelon. Was ist denn das für eine Dreistigkeit, uns derart in unserem eigenen Hause zu überfallen!

Du Croisy. Ei, meine Damen, sollen wir's uns bieten lassen, daß unsere Lakaien besser aufgenommen werden als wir; daß sie Ihnen auf unsere Kosten den Hof machen und Ihnen einen Ball geben?

Madelon. Ihre Lakaien?!

La Grange. Ja, unsere Lakaien; und es ist weder recht noch billig von Ihnen, sie uns auf solche Weise abspenstig zu machen.

Madelon. O Himmel, welche Unverschämtheit!

La Grange. Aber wenigstens sollen unsere Kleider es den Schlingeln nicht erleichtern, Sie zu blenden, und wenn Sie sich durchaus in sie verlieben wollen, dann soll es nur um ihrer schönen Augen willen sein. (Zu den Fechtern) Flink, zieht ihnen die Kleider aus!

Jodelet. Pomp, fahre wohl!

Mascarill. So fällt der Marquis und der Vicomte Stück für Stück von uns herab.

Du Croisy. Ha, ihr Schurken, ihr habt die Frechheit, uns ins Gehege zu kommen! Ich rat' euch, sucht euch anderswo die Ausstattung, die euch in den Augen eurer Schönen unwiderstehlich macht!

La Grange. Uns in unseren eigenen Kleidern auszustechen – das ist stark!

Mascarill. O Fortuna, wie groß ist deine Unbeständigkeit!

Du Croisy. Vorwärts, zieht sie aus bis auf den kleinsten Fetzen!

La Grange. Fort mit dem ganzen Plunder, sputet euch!
    (Die Fechter gehen mit den Kleidern ab)
So, meine Damen, wie sie jetzt vor Ihnen stehen, mögen Sie mit ihnen kosen, soviel Sie wollen. Wir lassen Ihnen darin volle Freiheit und beteuern Ihnen, Herr Du Croisy und ich, daß wir nicht im geringsten eifersüchtig sind.

 

Siebzehnter Auftritt

Madelon. Cathos. Jodelet. Mascarill. Musikanten.

Cathos. O, welche Demütigung!

Madelon. Ich platze vor Wut.

Ein Musikant (zu Mascarill). Was wird denn nun mit uns? Wer wird uns bezahlen?

Mascarill. Wendet euch an den Herrn Vicomte.

Ein Musikant (zu Jodelet). Wer gibt uns unser Geld?

Jodelet. Wendet euch an den Herrn Marquis.

 

Achtzehnter Auftritt

Vorige. Gorgibus.

Gorgibus. Ha, ihr Racker, einen hübschen Salat habt ihr uns da angerührt, wie ich merke; saubere Geschichten das, die mir die beiden Herren eben im Fortgehen erzählt haben!

Madelon. O, lieber Vater, man hat uns einen himmelschreienden Schabernack zugefügt.

Gorgibus. Ja, himmelschreiend ist er; aber euer Dünkel, ihr Drachen, hat ihn verschuldet! Sie haben euch eure schlechte Behandlung heimgezahlt, und ich muß den Schimpf hinunterschlucken, wie sehr er mich auch wurmt.

Madelon. Wir werden uns rächen, das schwör' ich, oder ich werde sterben daran! Und ihr, Nichtswürdige, ihr wagt noch hier zu verweilen nach einem so schamlosen Betrug?

Mascarill. Ist das die Art, einen Marquis zu behandeln? Aber so geht es in der Welt zu; das kleinste Mißgeschick bewirkt, daß wir Verachtung ernten von denen, die uns vorher vergötterten. Komm, Kamerad, wir wollen anderswo unser Glück versuchen; denn hier liebt man offenbar nur den eitlen Schein und hat für die nackte Wahrheit nichts übrig.

 

Neunzehnter Auftritt

Gorgibus. Madelon. Cathos. Musikanten.

Ein Musikant. Gnädiger Herr, wir erwarten, daß Sie statt der Beiden uns für unsere Tanzmusik entschädigen werden.

Gorgibus (verjagt sie mit Schlägen). Jawohl, ich werd' euch entschädigen, und dies ist die Münze, in der es geschieht. (Zu Madelon und Cathos) Ich hätte nicht übel Lust, euch auf die gleiche Art zu traktieren, ihr verdammten Gänse. Jetzt werden wir weit und breit zum Gespött und Gelächter werden, und das kommt von eurem Blödsinn. Geht und versteckt euch, ihr nichtsnutzigen Dinger, und laßt euch vor niemand mehr blicken. (Allein) Ihr aber, die ihr schuld, an ihrer Überspanntheit seid, alberne Hirngespinste, verderbliche Spielereien der Müßiggänger, Romane, Verse, Lieder, Charaden und Pomaden, hol' euch der Teufel allesamt!

 


 


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