Jean Baptiste Molière
George Dandin
Jean Baptiste Molière

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Dritter Akt

Erster Auftritt

Clitander. Lubin.

Clitander. Es geht auf Mitternacht, und ich fürchte, wir kommen zu spät. – Ich kann nicht die Hand vor den Augen sehen. Lubin!

Lubin. Gnädiger Herr?

Clitander. Sind wir zur Stelle?

Lubin. Ich denke, ja. Sackerlott, ist das dumm von dieser Nacht, so rabenschwarz zu sein!

Clitander. Gewiß, das ist nicht schön von ihr; aber wenn sie uns einerseits verhindert, zu sehen, so verhindert sie anderseits auch, daß wir gesehen werden.

Lubin. Das stimmt; so ganz Unrecht hat sie also nicht. Ich möchte wohl wissen, da Sie doch so ein gescheiter Herr sind: Warum ist es bei Nacht nicht Tag?

Clitander. Das ist eine höchst verwickelte Frage. Ich hätte dich nicht für so wißbegierig gehalten, Lubin.

Lubin. Ja, hätt' ich nur studiert, ich wär' Ihnen auf Dinge gekommen, auf die noch kein Mensch gekommen ist.

Clitander. Das will ich glauben. Man sieht es dir an, du hast einen feinen und durchdringenden Verstand.

Lubin. Ja, wirklich. Zum Beispiel, ich verstehe Latein, ohne daß ich's je gelernt habe. Als ich neulich über einem großen Tor angeschrieben las: Universitas, da dachte ich mir gleich, das ist die Universität.

Clitander. Es ist fabelhaft! Du kannst also lesen, Lubin?

Lubin. Ja, gedruckte Buchstaben kann ich lesen; aber mit den geschriebenen, da hapert's noch immer.

Clitander. Da sind wir am Hause. (Er klatscht die Hände) Dies ist das Zeichen, das Claudine mit mir ausgemacht hat.

Lubin. Meiner Treu, das Mädel ist Goldes wert, und ich bin bis über die Ohren in sie verliebt.

Clitander. Deswegen hab' ich dich auch mitgenommen, damit du dich mit ihr unterhalten kannst.

Lubin. Gnädiger Herr, ich bin Ihnen . . .

Clitander. Still! Ich höre Geräusch.

Zweiter Auftritt

Vorige. Angelique. Claudine.

Angelique. Claudine!

Claudine. Ja!

Angelique. Laß die Tür halb offen.

Claudine. Schon gemacht.

(Es beginnt ein wechselseitiges Suchen in der Dunkelheit)

Clitander (zu Lubin). Sie sind es. – Pst!

Angelique. Pst!

Lubin. Pst!

Claudine. Pst!

Clitander (zu Claudine, die er für Angelique hält). Gnädige Frau!

Angelique (zu Lubin, den sie für Clitander hält). Wie?

Lubin (zu Angelique, die er für Claudine hält). Claudine!

Claudine (zu Clitander, den sie für Lubin hält). Was gibt's?

Clitander (wie oben). Ach, schönste Frau, wie bin ich froh . . .

Lubin (wie oben). Ach, mein allerliebstes Claudinchen . . .

Claudine (zu Clitander). Nur langsam, gnädiger Herr!

Angelique (zu Lubin). Sachte, Lubin; sachte!

Clitander. Bist du's, Claudine?

Claudine. Ja.

Lubin. Sind Sie's, gnädige Frau?

Angelique. Ja.

Claudine (zu Clitander). Ihr habt uns verwechselt.

Lubin (zu Angelique). Meiner Treu, bei Nacht sind alle Kühe schwarz.

Angelique. Sind Sie's jetzt, Clitander?

Clitander. Ja, ich bin's.

Angelique. Mein Mann schnarcht, wie man's nur verlangen kann; benutzen wir die Zeit, um hier ein wenig zu plaudern.

Clitander. Suchen wir ein Plätzchen, wo wir uns setzen können.

Claudine. Ein vortrefflicher Gedanke.

(Angelique, Clitander und Claudine setzen sich im Hintergrund)

Lubin (suchend). Claudine, wo steckst du denn?

Dritter Auftritt

Vorige. Dandin (nur halb angekleidet).

Dandin (für sich). Ich habe meine Frau die Treppe hinuntersteigen hören und mich geschwind angezogen, um ihr nachzugehen. Wo mag sie hin sein? Ist sie mir am Ende durchgebrannt?

Lubin (zu Dandin, den er für Claudine hält). Wo bist du denn nur, Claudine? – Aha, dort! Meiner Treu, dein Herr ist schön angeführt, und ich finde das nicht weniger spaßhaft als die Sache von vorhin mit den Stockschlägen, von der mein Herr mir erzählt hat. Deine Gnädige sagt, daß er jetzt schnarcht wie ein Menschenfresser; er läßt sich nicht träumen, daß mittlerweile der Herr Vicomte mit ihr ein Stelldichein hat. Was er wohl jetzt für einen Traum hat? Ich gäb' was drum, wenn ich das wüßte! Es ist ja zum Wälzen. Warum muß er sich's auch in den Kopf setzen, auf seine Frau eifersüchtig zu sein und sie für sich allein haben zu wollen? So eine Unverschämtheit! Der Herr Vicomte tut ihm noch zu viel Ehre an. – Bist du stumm geworden, Claudinchen? Komm; wir wollen uns zu ihnen setzen, und gib mir dein Patschhändchen, daß ich's küssen kann. Ach, wie schmeckt das süß! Das reine Zuckerwerk! (Dandin stößt ihn derb zurück) Wetter noch mal! Was fällt dir denn ein? Das Patschhändchen ist verflucht kräftig!

Dandin. Wer da?

Lubin. Niemand. (Er eilt nach dem Hintergrund)

Dandin. Er ist mir entwischt; aber ich weiß nun wenigstens, welch neue Niederträchtigkeit das Satansweib verübt hat. Jetzt nur kein Zögern! Auf der Stelle lass ich ihre Eltern herbeirufen. Dieser Streich soll mir dazu verhelfen, daß ich von ihr getrennt werde! He, holla! Colin! Colin!

Vierter Auftritt

Vorige. Colin.

Colin (am Fenster). Gnädiger Herr!

Dandin. Geschwind, komm herunter!

Colin (springt zum Fenster heraus). Da bin ich. Geschwinder geht's nicht.

Dandin. Bist du da?

Colin. Ja, gnädiger Herr.

(Während Dandin ihn auf der Seite sucht, von der aus er seine Stimme gehört hat, geht Colin auf die andere Seite und schläft dort ein)

Dandin. Vorsicht! Sprich leise! – Hör zu! Geh sofort zu meinen Schwiegereltern und sag ihnen, ich ließe sie inständigst ersuchen, so schnell wie möglich hierherzukommen. Hast du verstanden? – He! Colin! Colin!

Colin (von der anderen Seite, aufwachend). Gnädiger Herr!

Dandin. Wo zum Teufel steckst du?

Colin. Hier.

Dandin. Verdammter Lümmel, warum läufst du mir denn weg? (Während er zu ihm hinübergeht, lehrt Colin schlaftrunken wieder auf die entgegengesetzte Seite zurück und schläft abermals ein) Ich sage dir, du sollst augenblicklich zu meinen Schwiegereltern gehen und ihnen bestellen, daß ich sie beschwören lasse, gleich herzukommen. Hast du's gehört? Gib Antwort! Colin! Colin!

Colin (von der anderen Seite, aufwachend). Gnädiger Herr!

Dandin. Du Schuft, willst du mich rasend machen? Her zu mir! (Sie stoßen zusammen und fallen beide hin) O, dieser Halunke! Die Knochen im Leibe bricht er mir entzwei. Wo bist du? Komm her, damit ich dich braun und blau schlagen kann! Ich glaube gar, der Strolch weicht mir aus.

Colin. Selbstverständlich.

Dandin. Wirst du gleich herkommen?

Colin. Nicht um die Welt.

Dandin. Komm, sag' ich dir.

Colin. Ich mag nicht. Sie wollen mich prügeln.

Dandin. Nun gut, ich tu' dir nichts.

Colin. Bestimmt?

Dandin. Ja. – Also komm! (Er hält ihn beim Arm) Du kannst von Glück sagen, daß ich dich nötig habe. Lauf zu meinen Schwiegereltern, bitte sie in meinem Namen, mit der größtmöglichen Eile hierherzukommen; sag ihnen, es handle sich um eine Sache von der äußersten Wichtigkeit; und sollten sie sich weigern, weil es schon so spät ist, dann laß nicht locker und gib ihnen eindringlich zu verstehen, ihre Anwesenheit sei hier unerläßlich, und sie möchten kommen, wie sie sind. Hast du mich jetzt verstanden?

Colin. Jawohl.

Dandin. Dann spute dich und komm gleich wieder. (Sich allein glaubend) Ich will inzwischen wieder hineingehen, bis . . . Aber da hör' ich jemand. Sollte das meine Frau sein? Ich muß horchen und mir die Dunkelheit zunutze machen. (Er verbirgt sich neben bei Haustür)

Fünfter Auftritt

Vorige ohne Colin.

Angelique (zu Clitander). Gute Nacht! Es ist Zeit, daß wir auseinandergehen.

Clitander. Wie? Schon so bald?

Angelique. Haben wir uns nicht lange genug unterhalten?

Clitander. Ach, nicht lange genug für mich! Denn wie könnt' ich in so kurzer Zeit all die Worte finden, die mir jetzt zu Gebote stehen müßten? Ganze Tage würd' ich brauchen, um Ihnen all das auszudrücken, was ich für Sie empfinde, und ich hab' Ihnen noch nicht den kleinsten Teil von dem gesagt, was ich auf dem Herzen habe.

Angelique. Ein andermal mehr davon.

Clitander. Sie geben mir den Todesstreich, wenn Sie von Auseinandergehen reden; Sie foltern mich, wenn Sie mich jetzt verlassen.

Angelique. Wir werden Mittel finden, uns wiederzusehen.

Clitander. Ja. Aber der Gedanke, daß Sie von mir zu Ihrem Gatten zurückkehren – dieser Gedanke erwürgt mich. Die Vorrechte des Ehemanns sind für einen wahrhaft Liebenden eine grausame Marter.

Angelique. Haben Sie wirklich die Schwachheit, sich darüber zu beunruhigen? Und glauben Sie, daß man gewisse Männer zu lieben überhaupt imstande ist? Man heiratet sie, weil man's nicht ändern kann; weil man von Eltern abhängig ist, die nur auf das Geld sehen. Aber man weiß sie richtig einzuschätzen und denkt nicht daran, sie für mehr zu halten, als sie wert sind.

Dandin (für sich). Ein Ludervolk, diese Weiber!

Clitander. Allerdings, man hat Ihnen einen Gatten gegeben, der einer solchen Ehre nicht würdig war, und es ist ein betrübendes Schauspiel, eine Frau wie Sie gefesselt zu sehen an einen Menschen wie er!

Dandin (beiseite). Arme Ehemänner! So werdet ihr behandelt.

Clitander. Sie hätten wahrlich ein anderes Los verdient. Der Himmel hat Sie nicht dazu geschaffen, die Frau eines Bauern zu werden.

Dandin. Wollte doch der Himmel, sie gehörte dir! Dann würdest du bald anders sprechen. – Ich geh' hinein; ich habe genug. (Er geht ins Haus und schließt von innen zu)

Sechster Auftritt

Vorige ohne Dandin.

Claudine. Gnädige Frau, wenn Sie noch mehr Schlechtes über Ihren Mann sagen wollen, dann beeilen Sie sich; denn es ist spät.

Clitander. Ach, Claudine, wie grausam bist du!

Angelique (zu Clitander). Sie hat Recht. Wir müssen Abschied nehmen.

Clitander. So muß ich mich denn darein ergeben, da Sie es wollen. Aber haben Sie wenigstens etwas Mitleid, in dem Gedanken an die trostlosen Stunden, die ich nun zubringen werde.

Angelique. Leben Sie wohl.

Lubin. Wo bist du, Claudine? Ich will dir gute Nacht sagen.

Claudine. Geh nur; geh! Ich nehme sie aus der Entfernung entgegen und erwidere sie ebenso.

Siebenter Auftritt

Angelique. Claudine.

Angelique. Gehen wir ganz leise hinein.

Claudine. Die Tür ist verschlossen.

Angelique. Ich habe den Hausschlüssel.

Claudine. Dann öffnen Sie möglichst geräuschlos.

Angelique. Da ist von innen zugeriegelt! Was fangen wir jetzt an?

Claudine. Rufen Sie den Burschen, der oben schläft.

Angelique. Colin! Colin! Colin! –

Achter Auftritt

Vorige. Dandin.

Dandin (am Fenster). Ja, Colin, Colin! – Ei, meine hochwohlgeborene Frau Gemahlin, hab' ich Sie nun erwischt? Während ich schlafe, machst du Vergnügungsausflüge? Das kommt mir ja sehr gelegen; das paßt mir ausgezeichnet, dich um diese Stunde draußen zu sehen.

Angelique. Nun, was ist denn weiter Schlimmes dabei, wenn ich ein bißchen frische Luft schöpfe?

Dandin. Natürlich, natürlich! Das ist grade die richtige Zeit, um frische Luft zu schöpfen. Sie suchten nicht Abkühlung, sondern Erwärmung, allergnädigste Frau Spitzbübin, und wir wissen die ganze Geschichte von dem Stelldichein und dem noblen Verehrer. Wir haben das ganze verliebte Gespräch mit angehört und die hübschen Loblieder, die ihr alle beide auf mich gesungen habt. Aber mein Trost ist, daß ich mich jetzt rächen kann, und daß deine Eltern sich endlich von der Berechtigung meiner Beschwerden und von der Nichtswürdigkeit deines Betragens überzeugen werden. Ich habe sie rufen lassen, und sie können jeden Augenblick hier sein.

Angelique (für sich). Himmel!

Claudine. Ach Herrje, gnädige Frau!

Dandin. Darauf warst du wohl nicht vorbereitet, mein Herzchen? Nun ist die Reihe zu triumphieren an mir; nun bin ich imstand, deinen Hochmut zu beugen und dein Lügengewebe zu zerreißen. Bis jetzt hast du meine Anschuldigungen verhöhnt, deinen Eltern Sand in die Augen gestreut und deine Schlechtigkeiten überkleistert. Ich konnte sehen und sagen, soviel ich wollte – deine feinen Kniffe haben jedesmal den Sieg davongetragen über mein gutes Recht: jedesmal hast du's zuwege gebracht, daß der Schein für dich sprach. Aber diesmal, Gott sei Dank, wird die Wahrheit sich enthüllen, und deine Unverschämtheit wird gehörig an den Pranger gestellt werden.

Angelique. Ach, bitte, mach mir die Tür auf!

Dandin. Nicht doch, mein Schatz. Wir wollen erst die Ankunft der Zeugen abwarten, die ich geladen habe; mir liegt daran, daß sie dich zu dieser schönen Stunde außer dem Hause finden. Du kannst dir ja mittlerweile Mühe geben, in deinem Kopf irgend eine neue List auszubrüten, die dich aus der Schlinge zieht; irgend ein Mittelchen, um deinen Seitensprung zu bemänteln; irgend einen Kniff, um den Leuten weiszumachen, daß du ein unschuldiges Lämmchen bist; einen glaubhaften Vorwand für deinen nächtlichen Spaziergang; z. B. eine Freundin, der du bei ihrer Niederkunft beistehen wolltest.

Angelique. Nein, ich will dir nichts verbergen. Ich will weder mich verteidigen noch leugnen, da du ja doch alles weißt.

Dandin. Ja, du siehst nun wohl, daß dir kein Ausweg bleibt, und daß du in diesem Fall keine Entschuldigung ersinnen kannst, die ich nicht mit Leichtigkeit Lügen strafen könnte.

Angelique. Ja, ich gestehe; ich tat unrecht, und du hast Grund, dich zu beklagen. Aber ich bitte dich inständig, gib mich jetzt nicht dem Zorn meiner Eltern preis und laß mich hinein.

Dandin. Ergebenster Diener!

Angelique. Ach, mein lieber, guter Mann, ich beschwöre dich . . .

Dandin. »Ach, mein lieber, guter Mann!« Jetzt bin ich dein lieber, guter Mann, weil du dich gefangen siehst. Das tut mir äußerst wohl; denn solche Schmeichelnamen hätt' ich sonst mein Lebtag nicht von dir zu hören gekriegt.

Angelique. Schau, ich verspreche, dir niemals wieder einen Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben und mich . . .

Dandin. Hilft alles nichts. Diese Gelegenheit werd' ich mir nicht entschlüpfen lassen. Einmal soll und muß deine Niedertracht ans Licht gebracht werden.

Angelique. Ich bitte dich, hör mich an. Nur einen Augenblick.

Dandin. Nun, was denn?

Angelique. Es ist wahr, ich habe gefehlt, und ich wiederhole dir, dein Groll ist gerecht. Ich habe die Zeit, während du schliefst, benutzt, um mich fortzuschleichen zu einem Stelldichein, mit dem, den du nanntest. Aber das sind doch schließlich Dinge, die du meinem Alter zugut halten mußt; Vergehungen einer jungen Frau, die das Leben noch nicht kennt, noch kaum in die Welt hineingeblickt hat; Freiheiten, die man sich erlaubt, ohne an was Böses zu denken, und die im Grunde genommen sicherlich nichts . . .

Dandin. Ja, das sagst du. Aber wer's glaubt, wird selig.

Angelique. Ich will meine Schuld deshalb nicht in Abrede stellen; ich will dich nur bewegen, eine Kränkung zu vergessen, wegen deren ich dich von ganzem Herzen um Verzeihung bitte, und mir den Verdruß zu ersparen, den mir die lästigen Vorwürfe meiner Eltern bereiten müßten. Wenn du mir großmütig diese Gunst gewährst, so wird deine Milde, so wird die Güte, die du mir damit beweisest, mich ganz und gar für dich gewinnen; sie wird mein Herz aufs tiefste rühren und darin ein Gefühl für dich erwecken, das alle Gewalt meiner Eltern und die Bande der Ehe ihm nicht einpflanzen konnten. Kurzum, sie wird bewirken, daß ich allen Liebeleien entsagen werde, und daß es keinen andern Mann mehr für mich geben wird als dich. Ja, auf mein Wort, du sollst fortan die beste Frau der Welt an mir besitzen, und ich werde dich so lieb haben – so lieb, daß du mit mir zufrieden sein wirst.

Dandin. Krokodil, das den Leuten schmeichelt, um sie dann aufzufressen.

Angelique. Laß dich erweichen!

Dandin. Nichts zu wollen. Ich bin unerbittlich.

Angelique. Zeige mir dein edles Herz!

Dandin. Nein.

Angelique. Sei barmherzig!

Dandin. Nichts da.

Angelique. Ich flehe dich an!

Dandin. Nein, nein und wieder nein. Entlarvt sollst du werden; zerknirscht sollst du vor ihnen stehen.

Angelique. Gut denn! Wenn du mich zum Äußersten treibst, so wisse, daß eine verzweifelte Frau zu allem fähig ist, und daß ich etwas tun werde, das du bereuen wirst.

Dandin. Ei, was wirst du denn tun – wenn man fragen darf?

Angelique. Ich werde zum letzten Mittel greifen. Mit diesem Messer werd' ich mich töten – hier auf dem Fleck.

Dandin. Haha, um so besser.

Angelique. Nein, um so schlimmer – und zwar für dich. Man weiß überall, daß wir in Unfrieden leben, und daß du fortwährend gegen mich in Wut bist. Wenn man mich tot findet, dann wird kein Mensch zweifeln, daß du mich umgebracht hast, und meine Eltern sind nicht die Leute, die meinen Tod ungestraft lassen werden! Sie werden dir keine Buße ersparen, die durch die Schärfe des Gesetzes und die Leidenschaft ihres Schmerzes zu erlangen ist. So werde ich das Mittel finden, dir deine Grausamkeit zu vergelten; ich bin die erste nicht, die ein solches Rachewerk durchführt, und die sogar den Tod nicht scheut, um den zu vernichten, dessen Härte sie so weit getrieben hat.

Dandin. Allerhand Achtung! Man tötet sich nicht so eins zwei drei; das ist längst aus der Mode gekommen.

Angelique. Du kannst fest davon überzeugt sein, und wenn du bei deiner Weigerung verharrst, wenn du mir die Tür nicht aufmachst, dann schwör' ich dir, daß du im Augenblick erleben wirst, wie man einen verzweifelten Entschluß ausführt!

Dandin. Flausen! Nichts als Flausen! Du willst mir nur bange machen.

Angelique. Wohlan, weil es denn sein muß – schau her, wie ich uns beide zufriedenstelle und dir zeige, ob es Scherz ist. (Sie tut, als erstäche sie sich) Ah – es ist vollbracht. Gebe der Himmel, daß mein Tod gerächt wird, wie ich's wünsche, und daß den, der ihn auf dem Gewissen hat, die verdiente Strafe für seine Hartherzigkeit ereilt!

Dandin. Holla! Sollte sie ihre Bosheit so weit getrieben haben, sich umzubringen, nur damit ich gehängt werde? – Ich will schnell ein Stümpfchen Licht holen, um nachzusehen.

Neunter Auftritt

Angelique. Claudine.

Angelique. Pst! Still! Geschwind zu beiden Seiten der Tür in Positur gestellt! Ich rechts, du links.

Zehnter Auftritt

Dandin (kommt aus dem Haus, mit einem Licht in der Hand; in demselben Augenblick schlüpfen Angelique und Claudine hinein und schließen die Tür von innen zu).

Dandin (allein). Sollte die Bösartigkeit eines Weibes wirklich sogar dazu fähig sein? (Nachdem er überall umhergeschaut) Niemand hier? Haha, das hab' ich mir wohl gedacht. Die Hexe hat das Weite gesucht, weil sie sah, daß sie bei mir kein Glück hatte, weder mit Bitten noch mit Drohungen. Mir um so lieber! Das macht ihre Sache nur noch schlimmer, und die Eltern werden, wenn sie kommen, ihre Schuld noch deutlicher sehen. (Er geht zur Tür seines Hauses und will hinein) Oho! Was ist denn das? Die Tür ist verschlossen?! – Holla! Heda! Hört mich niemand? Aufmachen – auf der Stelle!

Elfter Auftritt

Dandin. Angelique und Claudine erscheinen am Fenster.

Angelique. Was? Du bist's? Wo kommst du denn her, du Taugenichts? Ist das die Stunde, wo man nach Hause kommt – wenn schon der Morgen dämmert? Schickt sich solch eine Liederlichkeit für einen verheirateten Mann?

Claudine. Ist das in Ordnung, die ganze Nacht in Wirtshäusern herumzulumpen und seine arme junge Frau mutterseelenallein zu Haus zu lassen?

Dandin. Wie?! – Ihr habt . . .

Angelique. Mir aus den Augen, du Vagabund! Ich habe dein Lotterleben satt und werde mich sofort bei meinen Eltern darüber beschweren.

Dandin. Was? Du hast noch die Stirn . . .

Zwölfter Auftritt

Vorige. Herr und Frau von Sotenville (in Nachtkleidern). Colin (mit einer Laterne).

Angelique (zu ihren Eltern). Ich bitte euch, liebe Eltern, kommt heran und verschafft mir Genugtuung gegen die beispiellose Unverschämtheit meines Mannes! Der Wein und die Eifersucht haben ihm den Kopf dermaßen benebelt, daß er nicht mehr weiß, was er sagt, noch was er tut; ja, er selbst hat euch eigens herbeiholen lassen, um euch zu Zeugen des tollsten Aberwitzes zu machen, der je erlebt worden ist. Erst eben kommt er nach Hause, wie ihr seht, nachdem er sich die ganze Nacht herumgetrieben hat, und wenn ihr ihn anhören wollt, dann wird er euch vorerzählen, daß er sich über mich aufs schwerste zu beklagen hat; daß ich von ihm fortgeschlichen bin, während er schlief, und dergleichen aus der Luft gegriffenes Gefasel mehr.

Dandin (für sich). So ein vermaledeites Luder!

Claudine. Ja, er hat uns weismachen wollen, er wäre drinnen im Hause, und wir wären draußen. Von dieser irrsinnigen Idee läßt er sich schlechterdings nicht abbringen.

Herr von Sotenville. Wie? Was soll das heißen?

Frau von Sotenville. Das ist ja eine bodenlose Impertinenz, uns darum aus dem Bett zu holen!

Dandin. Nie in meinem Leben . . .

Angelique. Nein, lieber Vater, ich kann es mit einem solchen Manne nicht mehr aushalten; meine Geduld ist erschöpft. Noch eben hat er mir ein ganzes Schock von Schimpfworten an den Kopf geworfen.

Herr von Sotenville (zu Dandin). Corbleu! Sie sind ja ein entsetzlicher Mensch!

Claudine. Es ist nicht mehr anzusehen, wie er seine arme junge Frau behandelt; es schreit zum Himmel.

Dandin. Ist es denkbar . . .

Herr von Sotenville. Still! Sie sollten sich zu Tode schämen.

Dandin. Hören Sie doch nur zwei Worte!

Angelique. Ja, hört ihn an; er wird euch was Hübsches vorflunkern.

Dandin (für sich). Ich werde verrückt!

Claudine. Er hat so viel getrunken, daß man sich ihn am besten zehn Schritt vom Leibe hält. Man riecht den Weindunst, den er um sich verbreitet, bis hier oben.

Dandin. Herr Schwiegervater, ich beschwöre Sie . . .

Herr von Sotenville. Zurück! Sie duften mir zu sehr nach Wirtshaus.

Dandin. Frau Baronin, ich bitte Sie . . .

Frau von Sotenville. Pfui! Kommen Sie mir nicht nah! Ihr Atem ist verpestet.

Dandin (zu Herr von Sotenville). Lassen Sie mich Ihnen wenigstens . . .

Herr von Sotenville. Zurück, sag' ich Ihnen. Ich kann das nicht vertragen.

Dandin (zu Frau von Sotenville). Gestatten Sie mir, um Himmels willen . . .

Frau von Sotenville. Puh, mir wird übel! Reden Sie meinetwegen aus der Entfernung!

Dandin. Also gut, ich rede aus der Entfernung. Ich schwöre Ihnen, ich bin aus meinem Haus nicht einen Fuß breit gewichen, und sie ist's, die fortgegangen war.

Angelique. Nun, was hab' ich euch gesagt?

Claudine. Urteilen Sie selbst, wieviel Wahrscheinlichkeit das für sich hat.

Herr von Sotenville (zu Dandin). Sie wollen uns wohl zum besten haben? – Komm herunter, mein Kind, komm hierher!

Dreizehnter Auftritt

Dandin. Herr und Frau von Sotenville.

Dandin. Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich im Hause war, während sie . . .

Herr von Sotenville. Schweigen Sie! Dieser Wahnsinn ist unerträglich.

Dandin. Hier auf der Stelle soll mich der Blitz erschlagen, wenn . . .

Herr von Sotenville. Erhitzen Sie uns nicht länger den Kopf, sondern bereiten Sie sich vor, Ihre Frau um Verzeihung zu bitten.

Dandin. Um Verzeihung bitten – ich?!

Herr von Sotenville. Ja, um Verzeihung, und zwar augenblicklich.

Dandin. Was? Ich soll . . .

Herr von Sotenville. Corbleu! Wenn Sie noch lange fackeln, dann werd' ich Sie lehren, daß unsereins nicht mit sich spaßen läßt.

Dandin. O George Dandin!

Vierzehnter Auftritt

Vorige. Angelique. Claudine.

Herr von Sotenville. Komm, tritt näher, meine Tochter. Dein Mann will dich um Verzeihung bitten.

Angelique. Ich – ich soll ihm verzeihen, nach allem, was er mir gesagt hat? Nein, nein, lieber Vater, dazu kann ich mich unmöglich herbeilassen, und ich bitte Sie, mich von einem Mann zu trennen, mit dem ich nicht länger leben kann,

Claudine. Das kann niemand aushalten.

Herr von Sotenville. Liebes Kind, solch eine Trennung ist nicht durchführbar, ohne sehr viel Staub aufzuwirbeln. Du mußt die Klügere sein und dies eine Mal noch nachgeben.

Angelique. Nachgeben, angesichts einer solchen Kette von Verleumdungen? Nein, dazu kann ich mich nicht verstehen,

Herr von Sotenville. Es muß sein, liebe Tochter, und ich befehle dir's.

Angelique. Dies Wort macht mich verstummen. Gegen den väterlichen Willen gibt es für mich keinen Widerstand.

Claudine. Eine Mustertochter!

Angelique. Es ist hart, wenn man gezwungen ist, sich über derartige Beschimpfungen hinwegzusetzen; aber wie schwer es mir auch fällt, meine Pflicht gebietet mir, Ihnen zu gehorchen!

Claudine. Armes Opferlamm!

Herr von Sotenville (zu Angelique). Komm zu mir!

Angelique. Aber was Sie mich auch tun heißen, es wird vergeblich sein. Sie werden sehen, morgen fängt alles wieder von vorn an.

Herr von Sotenville. Das laß nur meine Sorge sein. (Zu Dandin) Also vorwärts, tun Sie einen Kniefall!

Dandin. Einen Kniefall?

Herr von Sotenville. Jawohl, einen Kniefall, und zwar unverzüglich.

Dandin (kniet nieder, sein Licht in der Hand; für sich). O du himmlische Güte! – (Zu Herr von Sotenville) Was hab' ich zu sagen?

Herr von Sotenville. Liebe Gattin, ich bitte dich, mir zu verzeihen . . .

Dandin. Liebe Gattin, ich bitte dich, mir zu verzeihen . . .

Herr von Sotenville. Daß ich so verblendet gewesen bin . . .

Dandin. Daß ich so verblendet gewesen bin . . . (für sich) dich zu heiraten.

Herr von Sotenville. Und ich verspreche dir, mich in Zukunft zu bessern.

Dandin. Und ich verspreche dir, mich in Zukunft zu bessern.

Herr von Sotenville (zu Dandin). Nun seien Sie auf Ihrer Hut und merken Sie sich, daß wir uns keine weitere Ungebührlichkeit von Ihnen gefallen lassen werden.

Frau von Sotenville. Ja, das weiß Gott, bei einem nochmaligen Rückfall würden wir Ihnen den Respekt beibringen müssen, den Sie Ihrer Frau schuldig sind und dem Hause, dem sie entstammt.

Herr von Sotenville. Der Tag bricht an. Auf Wiedersehen! (Zu Dandin) Kehren Sie an Ihren häuslichen Herd zurück und denken Sie an meine Worte! Zu Frau von Sotenville) Und wir, meine Teure, wir wollen uns wieder ins Bett legen.

Fünfzehnter Auftritt

Dandin (allein).

Dandin. Jetzt geb' ich' auf; mir ist nicht zu helfen. Wer wie ich eine schlechte Frau geheiratet hat, für den ist das vernünftigste, was er tun kann, sich kopfüber ins Wasser zu stürzen.

 


 


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