Jean Baptiste Molière
Der Geizige
Jean Baptiste Molière

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Zweiter Akt

Erste Scene

Cléanthe. La Fléche.

Cléanthe. Sage mir, du Erztaugenichts, wo hast du denn gesteckt? Hatte ich dir nicht befohlen …

La Fléche. Ja, gnädiger Herr, ich hatte mich auch hier eingefunden; aber Euer Vater, der ungnädigste aller Menschen, hat mich sehr wider meinen Willen aus dem Hause gejagt, und mich beinahe geprügelt.

Cléanthe. Wie steht's mit unserm Geschäft? Es ist die höchste Zeit, denn ich habe inzwischen die Entdeckung gemacht, daß mein Vater mein Nebenbuhler ist.

La Fléche. Euer Vater ist verliebt?

Cléanthe. Ja, und ich habe alle mögliche Mühe gehabt, ihm meine Bestürzung zu verbergen.

La Fléche. Der will sich noch mit Liebeshändeln abgeben? Was Teufel fällt ihm denn ein! – Ist er nicht gescheidt! – Als ob die Liebe für seinesgleichen erfunden wäre!

Cléanthe. Zur Strafe meiner Sünden hat er auf den Einfall kommen müssen!

La Fléche. Warum habt Ihr ihm auch auch aus Eurer Liebe ein Geheimnis gemacht?

Cléanthe. Um weniger Verdacht bei ihm zu erregen, und um mir für den Notfall noch Mittel und Wege offen zu halten, wie ich diese Heirat verhindern könne. Was hat man dir geantwortet?

La Fléche. Meiner Treu, gnädiger Herr, wer borgen will, ist schlimm dran, und man muß sich wunderliche Zumutungen gefallen lassen, wenn man so wie Ihr in die Hände der Pfandwucherer geraten ist.

Cléanthe. Also wird nichts aus der Sache?

La Fléche. Bitte um Vergebung. Unser Meister Simon, der Mäkler, den man uns empfohlen hat, ist ein rühriger, eifriger Mann; er versichert, er habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, und schwört, schon allein Eure Physiognomie habe sein Herz gewonnen.

Cléanthe. Also schafft er mir die fünfzehntausend Livres? –

La Fléche. Ja; aber unter gewissen kleinen Bedingungen, die Ihr Euch gefallen lassen müßt, wenn Ihr so wollt, daß die Sache zu stande komme.

Cléanthe. Hast du mit dem Menschen gesprochen, der das Geld hergeben soll?

La Fléche. Ach, gnädiger Herr, so leicht geht das nicht. Der ist noch viel mehr darauf erpicht, seinen Namen geheim zu halten, als Ihr, und es stecken viel größere Mysterien dahinter, als Ihr Euch vorstellen könnt. Wie er heißt, sollt Ihr schlechterdings nicht erfahren; er will heut mit Euch in einem eigens dazu gemieteten Zimmer zusammenkommen, um von Euch das Nähere über Euer Vermögen und Eure Familie zu erfragen. Ich zweifle aber nicht, daß die Sache sich machen wird, wenn Ihr ihm Euren Vater nennt.

Cléanthe. Und besonders, wenn ich ihm sage, daß meine Mutter gestorben ist, deren Vermögen mir niemand nehmen kann.

La Fléche. Hier sind einige Artikel, die er unserem Mäkler selbst diktiert hat, und die Euch mitgeteilt werden sollen, ehe er sich auf etwas einläßt. "Vorausgesetzt, daß der Darleiher sich von der gehörigen Sicherheit überzeuge, und der Borger mündig und aus einer Familie sei, deren Vermögen ansehnlich, solid, gesichert und dabei schulden- und prozeßfrei ist; soll eine rechtsgültige bündige Obligation von einem Notar aufgesetzt werden, der ein möglichst ehrlicher Mann sein muß, und den der Darleiher, als welchem am meisten daran liegt, daß besagtes Dokument in gehöriger Form verfaßt sei, selbst aussuchen wird."

Cléanthe. Dagegen ist nichts zu sagen.

La Fléche. Der Darleiher, der sein Gewissen nicht beschweren will, erklärt, sein Geld nur zum achtzehnten Pfennig ausleihen zu wollen.

Cléanthe. Nur zum achtzehnten Pfennig? Bei Gott, das ist ja sehr honnett; darüber darf man nicht klagen.

La Fléche. Das ist wahr. "Aber das besagter Darleiher die verlangte Summe nicht in Cassa hat, und um dem Borger gefällig zu sein sich genötigt sieht, selbige von einem andern zu entnehmen und mit dem fünften Pfennig zu verzinsen; so wird der vorgedachte erste Borger sich dazu verstehen müssen, diesen Zins, ohne Präjudiz des andern, zu bezahlen; maßen besagter Darleiher nur ihm zu Gefallen diese Anleihe kontrahiert."

Cléanthe. Was Teufel! Der Kerl ist ja ein Jude, ein wahrer Türke! Das kommt ja auf mehr als den vierten Pfennig!

La Fléche. Sehr richtig; das habe ich auch gesagt. Ihr mögt es Euch nun überlegen.

Cléanthe. Was ist da noch viel zu überlegen? Ich brauche das Geld und muß mich wohl in alles fügen.

La Fléche. Das war auch meine Antwort.

Cléanthe. Ist sonst noch etwas?

La Fléche. Nur noch ein kleiner Artikel. "Von den verlangten fünfzehntausend Livres kann der Darleiher in barem Gelde nur zwölftausend zahlen, und muß für die fehlenden dreitausend der Borger die nachstehend verzeichneten Mobilien, Schmucksachen, Kostbarkeiten und Geschmeide annehmen, die gedachter Darleiher auf Treu und Glauben zu den erdenklichst mäßigen Preisen notiert hat."

Cléanthe. Was soll das heißen?

La Fléche. Nun hört nur das Verzeichnis! "Primo, eine Bettstelle mit vier Füßen und olivenfarbigen Gardinen, auf welche Streifen von ungarischen Kirchenspitzen sehr sauber aufgenäht sind, nebst sechs Stühlen, und einer Paradedecke vom nämlichen Stoff: alles wohl konditioniert, und mit rot und blau schillerndem Taft gefüttert; Item, ein Betthimmel von gutem, trocknen rosenblätterfarbnen Serge d'Aumale, nebst Garnierung und Franzen von Seide."

Cléanthe. Was denkt er sich, daß ich mit dem Zeuge anfangen soll? –

La Fléche. Wartet nur! – "Item, ein Gehänge von gewirkten Tapeten, auf welchen die Geschichte vom Gombaud und der schönen Macée vorgestellt ist; Item, ein großer Tisch von Nußbaumholz, mit zwölf Füßen oder gedrehten Pfeilern, der an beiden Enden ausgezogen werden kann und unten mit sechs Fußbrettern versehen ist."

Cléanthe. Was Teufel soll mir denn der Plunder?

La Fléche. Nur Geduld! – " Item, drei große Musketen, ganz mit Perlmutter eingelegt, nebst den dazu gehörigen Gabeln; Item, ein Ofen von Ziegelsteinen, nebst zwei Retorten und drei Recipienten; sehr nützlich für solche, die Vergnügen daran finden, zu destillieren."

Cléanthe. Ich möchte rasend werden! –

La Fléche. Nur ganz still! – "Item, eine Bologneser Laute mit allen Saiten, bis auf wenige fehlende; Item, ein Trou-Madamespiel und ein Damenbrett nebst einem Zänkespiel, wie es von den Griechen entlehnt ist; sehr gut um die Zeit zu vertreiben, wenn man sonst nichts zu thun hat; Item, eine Eidechsenhaut, viertelhalb Fuß lang und mit Heu ausgestopft; sehr angenehme Kuriosität, um sie an der Decke eines Zimmers aufzuhängen. Alles hier Benannte, unter Brüdern allerwenigstens auf viertausend fünfhundert Livres geschätzt, ist aus besonderer Billigkeit des Verleihers nur zu einem Taxationswert von dreitausend Livres angenommen."

Cléanthe. So wollte ich doch, daß die Pest den Schurken, den Blutsauger mitsamt seiner besonderen Billigkeit holte! – Hat man wohl je von einem solchen Wucher gehört? und kann er nicht mit den haarsträubenden Zinsen zufrieden sein, die er verlangt, – muß er mich noch zwingen für dreitausend Livres altes Gerümpel anzunehmen? Nicht fünfhundert Livres bekomme ich dafür, und doch werde ich mich entschließen müssen in alles zu willigen, was er verlangt; denn er hat es jetzt in der Hand, mich zu allem zu zwingen; der Bösewicht setzt mir das Messer an die Kehle und ich muß mich fügen.

La Fléche. Nehmt mir's nicht übel, gnädiger Herr; aber Ihr seid genau auf derselben großen Heerstraße, auf der Panurge zu seinem Ruin gelangte. Ihr nehmt Geld voraus, kauft teuer, verkauft wohlfeil, und verzehrt Euren Weizen auf dem Halm.

Cléanthe. Was soll ich aber machen? – Dahin führt der verdammte Geiz der Väter die jungen Leute; und dann wundert man sich noch, wenn es Söhne giebt, die ihren Tod wünschen! –

La Fléche. So viel ist gewiß, die Knauserei des Eurigen könnte den ruhigsten Menschen von der Welt wild machen. Der Galgen, Gott sei's gedankt, hat seine sonderliche Attraktion für mich, und ich weiß auch unter meinen Kameraden, die sich mitunter allerlei Schmuggel erlauben, meinen Einsatz immer genau zur rechten Zeit zurückzuziehn, und nehme mich wohl in acht vor allen Kunststücken, die nach dem Strick schmecken. Aber das muß ich sagen, Euer Vater mit seinem Geiz könnte mir Lust machen ihn zu bestehlen, und wenn mir's glückte, würde ich glauben ein gutes Werk gethan zu haben.

Zweite Scene

Harpagon. Meister Simon. Cléanthe und La Fléche (im Hintergrunde der Bühne).

Meister Simon. Ja, mein Herr, es ist ein junger Mensch, der Geld braucht; er steht bis an den Hals im Wasser und wird sich alles gefallen lassen, was Ihr ihm vorschreibt.

Harpagon. Seid Ihr aber auch sicher, Meister Simon, daß nichts zu wagen ist? – Und kennt Ihr den Namen, das Vermögen und die Familie des jungen Menschen?

Meister Simon. Nein. Gründlichen Bescheid kann ich Euch über das alles noch nicht geben, denn ich bin nur ganz zufällig an ihn gekommen; aber er selbst wird Euch jede Auskunft erteilen, und sein Diener versichert mir, Ihr werdet vollkommen zufrieden sein, wenn Ihr seine Bekanntschaft gemacht habt. Alles was ich Euch sagen kann, ist, daß seine Familie sehr reich ist, und daß er seine Mutter nicht mehr hat. Auch kann er dafür einstehn, wenn Ihr's verlangt, daß sein Vater höchstens noch acht Monate zu leben habe.

Harpagon. Das läßt sich hören. Die christliche Liebe, Meister Simon, befiehlt uns unsern Nebenmenschen gefällig zu sein, wo wir können.

Meister Simon. Versteht sich.

La Fléche. (Leise zu Cléanthe). Aber was soll das heißen? Unser Meister Simon, der mit Eurem Vater spricht? –

Cléanthe. (Leise zu La Fléche). Sollte er vielleicht gar erfahren haben, daß ich's bin? – Du hast mich doch nicht verraten?

Meister Simon. (Zu La Fléche). Ei, ei, Ihr seid ja sehr pressiert! Wer hat Euch denn schon gesagt, wo Ihr uns finden würdet? (Zu Harpagon). Glaubt wenigstens nicht, gnädiger Herr, daß ich ihm Euer Haus und Euren Namen verraten habe; aber, wie mir scheint, hat es nicht viel zu bedeuten; es sind verschwiegene Leute und Ihr könnt Euch recht gut hier mit ihnen besprechen.

Harpagon. Was? –

Meister Simon. (Zeigt zu Cléanthe). Das ist der junge Herr, der die fünfzehntausend Livres von Euch borgen will; derselbe, von dem ich Euch gesagt habe.

Harpagon. Was, du Galgenstrick! also du bist's, der sich auf solche schändliche letzte Mittel einläßt? –

Cléanthe. Also Ihr seid's, mein Vater, der sich mit solchen ehrlosen Geschäften abgiebt? –

Meister Simon läuft davon. La Fléche versteckt sich.

Dritte Scene

Harpagon., Cléanthe.

Harpagon. Du bist's, der sich durch so lästerliches Borgen ruinieren will?

Cléanthe. Ihr seid's, der Euch durch so verbrecherischen Wucher bereichert? –

Harpagon. Wagst du noch nach dem allen mir unter die Augen zu treten?

Cléanthe. Wagt Ihr noch nach dem allen Euch der Welt zu zeigen? –

Harpagon. Schämst du dich nicht, sage mir, deine heillose Wirtschaft so weit getrieben zu haben? – Dich in so schreckliche Ausgabe zu stürzen und das Vermögen, das deine Eltern mit Schweiß und Mühe zusammenbrachten, so schändlich zu vergeuden? –

Cléanthe. Und Ihr, errötet Ihr nicht, Euren Stand durch solche schmutzige Prellereien zu entehren; Euren Ruf und guten Namen der unersättlichen Begierde, Thaler auf Thaler zusammen zu scharren, zum Opfer zu bringen und die nichtswürdigsten Kniffe, die je von den berüchtigsten Wucherern ersonnen sind, noch zu überbieten?

Harpagon. Fort, aus meinen Augen, du Schurke! Fort, aus meinen Augen! –

Cléanthe. Wer handelt unwürdiger, sagt selbst, derjenige, der Geld kauft, weil er es nötig hat, oder der, der Geld stiehlt, das er nicht brauchen kann?

Harpagon. Geh, sage ich dir und mache mir den Kopf nicht warm. (Allein.) Im Grunde ist mir die Geschichte gar nicht leid; sie soll mir eine Warnung sein, mehr als je auf alle seine Schritte acht zu haben.

Vierte Scene

Frosine. Harpagon.

Frosine. Gnädiger Herr, …

Harpagon. Wartet einen Augenblick; ich komme gleich hieher zurück. (Beiseite). Ich muß nur schnell einmal nach meinem Golde sehn.

Fünfte Scene

La Fléche. Frosine.

La Fléche. (Ohne Frosine zu sehn). Das war ja ein lustiges Abenteuer! Er muß wohl irgendwo einen großen Trödelkram haben, denn auf unserer Liste kam nichts vor, das wir wieder erkannt hätten.

Frosine. Ei, bist du's, mein kleiner La Fléche? – Wie kommst du hierher? –

La Fléche. Ach Frosinchen, du hier? Was hast du hier zu suchen?

Frosine. Was ich allenthalben suche und finde; Gelegenheit den Leuten Dienste zu erweisen; und so viel ich kann von meinen geringen Talenten Nutzen zu ziehn. Du weißt, unsereins muß in dieser Welt von seinem Verstande leben, und hat seine andern Renten geerbt als ein wenig List und Anstelligkeit.

La Fléche. Hast du mit unserm Hausherr etwas im Werk? –

Frosine. Ja. Ich besorge ein kleines Geschäft für ihn und spitze mich auf eine gute Belohnung.

La Fléche. Auf eine Belohnung? Von ihm? – Nun, mein' Seel', wenn du dem etwas ablockst, mußt du früh aufstehn, und ich kann dir versichern, das Geld ist hier im Hause sehr rar.

Frosine. Es giebt gewisse Dienste, die den Leuten ganz besonders angenehm sind.

La Fléche. Dein gehorsamster Knecht! Du kennst unsern Herrn Harpagon noch nicht. Herr Harpagon ist unter allen Menschen der mindest menschliche Mensch, unter allen Sterblichen der härteste und zäheste. Es giebt gar keinen Dienst, der seine Dankbarkeit so weit brächte, die Hand dafür aufzuthun. Lob, Anerkennung, Wohlwollen in Worten, Freundschaftsversicherungen so viel du willst, – aber Geld? – seine Rede! – Ich wüßte nichts so Trocknes und Dürres als seine Liebkosungen und Gunstbezeigungen, und vor dem Wort Geben hat er solchen Abscheu, daß er nie sagt: Ich gebe Euch mein Wort, sondern ich verpfände Euch mein Wort.

Frosine. Laß das gut sein; ich verstehe mich auf die Kunst, die Leute zu rupfen; ich weiß wie man's anfängt, sich ihre Zuneigung zu erwerben, ihr Herz zu kitzeln und ihre schwachen Seiten zu finden.

La Fléche. Ja, schön! Versuch's einmal, unsern Mann in Geldsachen gemütlich zu machen. Da ist er ein Türke; aber von solcher Türkenhaftigkeit, daß er die ganze Welt zur Verzweiflung bringen könnte; er sähe einen sterben, und es würde ihn nicht rühren. Mit einem Wort, er liebt das Geld mehr als guten Namen, Ehre und Tugend; wenn ihn jemand anspricht und ihn um etwas bittet, bekommt er Krämpfe; das ist der Punkt, wo er sterblich ist, das durchbohrt ihm die Brust, das zerreißt ihm das Herz; und wenn … aber da kommt er wieder; ich mache mich aus dem Staube.

Sechste Scene

Harpagon. Frosine.

Harpagon. (Für sich). Alles in Ordnung. – (Laut). Nun, Frosine, wie steht's?

Frosine. Ei du mein Gott, wie gut seht Ihr heut aus! Wahrhaftig, wie die Gesundheit selbst! –

Harpagon. Wer? Ich? –

Frosine. Ich habe Euch noch nie so blühend und frisch von Farbe gefunden.

Harpagon. Im Ernst? –

Frosine. Weiß Gott, Ihr seid in Eurem Leben nie so jung gewesen; und ich kenne Leute von fünfundzwanzig Jahren, die älter sind als Ihr.

Harpagon. Ich habe aber doch bei alledem meine vollgezählten sechzig.

Frosine. Nun, was sind denn sechzig Jahre? Das ist etwas rechtes! Das ist ja die wahre Blüte des Alters, und Ihr tretet jetzt erst in die schönste Zeit des Lebens.

Harpagon. Das mag sein; aber so ein zwanzig Jahre weniger könnten denn doch nicht schaden, sollte ich meinen.

Frosine. Ihr spaßt wohl? Das habt Ihr ja gar nicht nötig. Ihr seid ganz darauf angelegt, hundert Jahre alt zu werden.

Harpagon. Glaubst du?

Frosine. Unbedingt; das geht aus allem hervor. Steht einmal ein wenig still: ach, was sehe ich da zwischen Euren Augen für ein gutes Zeichen eines langen Lebens.

Harpagon. Verstehst du dich darauf?

Frosine. Ja, gewiß. Zeigt mir einmal eure Hand. O du meine Güte! Welche schöne Lebenslinie! –

Harpagon. Wie so?

Frosine. Seht Ihr nicht, wie weit sie geht? –

Harpagon. Nun, und was hat denn das zu bedeuten?

Frosine. Auf Ehre, ich sagte doch, hundert Jahre; aber Ihr bringt es auf hundertundzwanzig.

Harpagon. Wäre das möglich?

Frosine. Ich sage Euch, man wird Euch totschlagen müssen; und Ihr werdet Eure Kinder und Kindeskinder begraben.

Harpagon. Desto besser. Aber wie steht's mit unsrer Sache? –

Frosine. Braucht's da noch einer Frage? und mische ich mich je in so etwas, ohne es durchzusetzen? – Ich habe für die Heiraten eine ganz besonders glückliche Hand. Es giebt keine Partie in der Welt, die ich mir nicht getraute in kurzer Zeit zustande zu bringen; und ich glaube, wenn ich mir's in den Kopf gesetzt hätte, ich verheiratete den Großtürken mit der Republik Venedig. Und in unsrer Sache waren wahrhaftig auch keine großen Schwierigkeiten. Da ich bei ihnen ein- und ausgehe, habe ich mit beiden ausführlich von Euch gesprochen, und der Mutter von Euren Absichten auf Mariannen erzählt, seit Ihr Sie auf der Straße und am Fenster erblickt habt.

Harpagon. Und was hat sie erwidert?

Frosine. Sie war sehr erfreut über Euren Antrag; und als ich ihr mitteilte, Ihr wünschtet, daß das Fräulein heut abend zugegen sein möchte, wenn der Ehekontrakt Eurer Tochter unterschrieben wird, hat sie gleich eingewilligt und will sie mir anvertrauen.

Harpagon. Siehst du, Frosine, ich muß ohnehin Herrn Anselmé auf heut abend einladen, und da wäre mir's ganz lieb, wenn sie sich dazu einfände.

Frosine. Ihr habt ganz recht. Sie soll heut nach Tisch Eurer Tochter einen Besuch machen; von da wollte sie ein wenig auf den Jahrmarkt gehn, und dann zum Abendessen wieder hier sein.

Harpagon. Nun gut; da können sie beide in meiner Kutsche fahren; ich will sie ihnen dazu leihen.

Frosine. Das wird ihr eben recht sein.

Harpagon. Aber Frosine, hast du auch mit der Mutter über die Mitgift gesprochen, die sie ihrer Tochter geben kann? – Hast du ihr begreiflich gemacht, sie müsse sich ein wenig zusammennehmen, müsse sich etwas anstrengen, müsse bei einer Gelegenheit wie diese sich einmal schröpfen? Denn man heiratet doch am Ende auch kein Mädchen, das nicht etwas mitbringt.

Frosine. Aber was wollt Ihr? Zwölftausend Livres jährlicher Rente bringt sie Euch mit.

Harpagon. Zwölftausend Livres jährlicher Rente? –

Frosine. Ja wohl. Für's erste ist sie, was den Tisch betrifft, an die größte Einfachheit gewöhnt: sie lebt von Salat, von Milch, von Käse und Äpfeln, und bedarf deshalb weder einer reichbesetzten Tafel, noch besonders kräftiger Suppen, verlangt auch weder ewig Gräupchenschleim, noch alle sonstigen Delikatessen, die eine andre Frau fordern würde: und das alles beläuft sich nicht auf so wenig, daß es nicht am Ende des Jahrs seine dreitausend Livres austragen sollte. Überdem sieht sie nur auf Reinlichkeit und Einfachheit und fragt nichts nach prächtigen Kleidern, kostbaren Juwelen oder schönen Möbeln, auf die andre Weiber so erpicht sind; das ist wieder ein Artikel, den wir auf viertausend Livres im Jahre anschlagen können. Endlich hat sie einen unüberwindlichen Abscheu vor dem Spiel, der wahrhaftig unter Frauen heutzutage selten ist; ich kenne eine in diesem Viertel, die im Trente et Quarante zwanzigtausend Franken im Jahr verloren hat. Wir wollen aber nur den vierten Teil rechnen. Fünftausend Franks im Spielverlust, viertausend für Kleider und Juwelen, das macht neuntausend Livres; und dreitausend Thaler, auf die ich die Verzehrung anschlage, – haben wir da nicht Eure jährlichen zwölftausend Franks richtig gerechnet? –

Harpagon. Das ist so weit nicht übel; aber ich sehe nichts Positives dabei.

Frosine. Verzeiht mir! – Ist denn das nicht etwas sehr Positives, wenn Euch ein Mädchen als Mitgift eine größte Mäßigkeit, als Erbschaft eine große Vorliebe für Einfachheit, und als Zugabe einen tödlichen Widerwillen gegen das Spiel mitbringt? –

Harpagon. Es ist aber doch nur ein Scherz, ihre Mitgift aus allen den Ausgaben konstituieren zu wollen, die sie nicht macht. Ich werde doch keine Quittungen ausstellen über etwas, das ich nicht empfangen habe, und muß durchaus auf etwas Barschaft bestehn.

Frosine. Mein Gott ja, die wird sich auch finden; sie haben mir von einem Lande gesagt, – ich weiß nicht welchem, – wo sie Güter besitzen, und die werden Euch zufallen.

Harpagon. Das muß ich erst untersuchen. Aber Frosine, dann ist noch ein Umstand, der mich beunruhigt. Das Mädchen, siehst du, ist jung, die Jugend aber liebt in der Regel nur ihresgleichen, und will keinen andern Umgang. Nun fürchte ich, ein Mann in meinen Jahren wird ihr nicht gefallen, und das könnte zu gewissen kleinen Unzuträglichkeiten führen, die mir nicht anstehn würden.

Frosine. Ach, wie schlecht kennt Ihr sie! Da ist noch eine Eigenheit an ihr, die ich Euch nicht genannt habe. Sie hat einen erschrecklichen Abscheu vor allen jungen Leuten, und liebt nur die Alten.

Harpagon. Sie?

Frosine. Ja, sie. Ich wünschte, Ihr hättet sie darüber reden hören. Sie kann den Anblick eines jungen Mannes nicht ausstehn; aber nichts gefällt ihr besser, sagt sie, als ein schöner Greis mit einem majestätischen Bart. Je älter einer ist, je lieber hat sie ihn; und ich rate Euch, gebt Euch ja nicht für jünger als Ihr seid. Sie verlangt zum mindesten einen Sechziger; und es ist noch kein Vierteljahr her, als sie drauf und dran war sich zu verheiraten, und alles kurz abbrach, weil ihr Verlobter fallen ließ, er sei erst sechsundfünfzig Jahr, und weil er den Kontrakt ohne Brille unterschreiben wollte.

Harpagon. Ei! bloß deswegen? –

Frosine. Ja. Sechsundfünfzig Jahr, sagt sie, wären ihr zu wenig; und ganz besonders sind ihr die Nasen zuwider, die keine Brillen tragen.

Harpagon. Nun in der That, da erzählst du mir etwas ganz neues.

Frosine. Das geht noch viel weiter als man's glauben sollte. Sie hat in ihrem Zimmer einige Gemälde und einige Kupferstiche hängen; aber was denkt Ihr wohl daß sie sich ausgesucht hat? Etwa einen Adonis, einen Cephalus, einen Paris, einen Apoll? – Gott bewahre! Nein, lauter schöne Abbildungen vom Saturn, vom König Priamus, vom alten Nestor, und vom ehrwürdigen Vater Anchises, wie Aeneas ihn auf den Schultern trägt.

Harpagon. Das ist ja unvergleichlich; das hätte ich kaum für möglich gehalten und bin ganz erfreut, daß sie so guten Geschmack hat. Aber in der That, wenn ich eine Frau wäre, ich könnte die jungen Männer auch nicht leiden.

Frosine. Das geht mir ebenso. Schöne Apothekerware, wahrhaftig, solches junges Volk für unsern Gaumen! – Solche glatte Milchgesichter, solche eben aufgeschossene Gelbschnäbel sollten mir auch den Mund wäßrig machen? Ich möchte doch wissen, wie man darauf Appetit haben kann? –

Harpagon. Ich muß sagen, ich kann's auch nicht begreifen, und ich verstehe nicht, wie es Frauen giebt, die sie gern haben.

Frosine. Erzverrückt müssen sie sein. Wie kann man nur die Jugend liebenswürdig finden? heißt das seinen gesunden Menschenverstand haben? – Sind denn diese jungen blondköpfigen Burschen richtige Männer, und kann man sich in solche Geschöpfchen vergaffen? –

Harpagon. Das sage ich ja alle Tage! Mit ihrem doppelten Stimmregister, ihren drei Härchen auf der Oberlippe, die sie wie einen Katzenbart in die Höhe drehen, ihren Flachsperücken, ihren ellenweiten Pluderhosen und ihren aufgeknöpften Wämsern, …

Frosine. Wie sich das alles ausnimmt, wenn man solch eine Figur wie Eure damit vergleicht! Da nenn' ich mir ein Mannsbild; daran haben die Augen doch etwas zu sehn; ja, so muß man gebaut sein und sich anziehn, um einem Mädchen zu gefallen.

Harpagon. Du findest mich also leidlich?

Frosine. Was sagt Ihr? … Herzgewinnend; Euer Gesicht ist zum Malen. Dreht Euch doch einmal um, seid so gut! – Vortrefflich. Jetzt laßt mich Euch gehn sehn. Das nenne ich mir einen Wuchs, einen freien, ungezwungenen, feinen Anstand, und eine Haltung, die am besten beweist, daß Ihr von keiner körperlichen Beschwerde etwas wißt.

Harpagon. Davon bin ich auch, Gott sei Dank, so ziemlich frei. Da ist nur mein Brustkatarrh, der mich mitunter heimsucht.

Frosine. Ach, das ist nichts. Euer Brustkatarrh kleidet Euch gar nicht übel; im Gegenteil! Ihr habt einen angenehmen Husten.

Harpagon. Sag' mir doch: hat mich Marianne noch nie gesehn? – hat sie nicht vielleicht im Vorbeigehn auf mich geachtet?

Frosine. Nein; aber wir haben schon viel von Euch gesprochen. Ich habe ihr eine Schilderung von Eurer Person entworfen, und nicht verfehlt Euer Verdienst herauszustreichen, und ihr auseinanderzusetzen, welches Glück es für sie sein würde, einen Mann wie Euch zu bekommen.

Harpagon. Das hast du recht gemacht, und ich danke dir.

Frosine. Ich hätte Euch eine kleine Bitte vorzutragen, mein gnädiger Herr. Ich habe einen Prozeß, den ich auf dem Punkt stehe zu verlieren, weil mir eine geringe Summe fehlt; (Harpagon wird ernsthaft). und Ihr könntet mir mit Leichtigkeit dazu verhelfen ihn zu gewinnen, wenn Ihr so gütig wärt, mir ein wenig beizustehn. – Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie erfreut sie sein wird, Euch zu sehn. (Harpagon's Gesicht erheitert sich). Ach, wie gut werdet Ihr dem lieben Mädchen gefallen; und welchen Eindruck wird Eure ehrwürdige Krause aus der alten guten Zeit auf sie machen! – Aber vor allem wird es ein rechtes Fest für sie sein, zu sehn, daß Ihr Euer Beinkleid noch mit Resteln an das Wams festmacht. Das wird ihr ganz den Kopf verdrehen; ich sage Euch, ein Liebhaber mit Resteln wird ihr ein Festessen sein.

Harpagon. Nun wahrhaftig, es ist mir sehr lieb das zu hören.

Frosine. In der That, gnädiger Herr, der Prozeß ist für mich von der größten Wichtigkeit. (Harpagon wird wieder ernsthaft). Ich bin ruiniert, wenn ich ihn verliere, und eine noch so kleine Unterstützung könnte alles wieder ins Gleis bringen. … Ich wollte nur, Ihr hättet ihre entzückten Mienen gesehn, als ich ihr von Euch erzählte. (Harpagon wird wieder vergnügt). Die Freude glänzte in ihren Augen, als ich von Euren schönen Eigenschaften sprach; und ich habe sie endlich so weit gebracht, daß sie mit wahrer Sehnsucht den Augenblick erwartet, wo Ihr um sie anhalten werdet.

Harpagon. Du hast mir große Freude gemacht, Frosine, und ich bin dir zu unendlichem Dank verpflichtet.

Frosine. Laßt mich Euch also nochmals bitten, mir die kleine Hülfe zu gewähren, um die ich Euch angesprochen habe. (Harpagons Gesicht verfinstert sich wieder). Das wird mir wieder aufhelfen, und ich würde Euch ewig dankbar dafür sein.

Harpagon. Gott befohlen; ich muß meine Briefe fertig machen.

Frosine. Ihr könnt mir's glauben, ich bin nie in so dringender Verlegenheit gewesen, …

Harpagon. Ich werde den Befehl geben, daß angespannt werden soll, um Euch auf den Jahrmarkt zu fahren, …

Frosine. Gewiß würde ich Euch nicht zur Last fallen, wenn ich mich nicht durch die äußerste Not dazu gezwungen sähe, –

Harpagon. Und das Abendbrot recht früh auftragen lassen, damit es niemand schlecht bekomme.

Frosine. Schlagt mir meine inständige Bitte nicht ab. Ihr glaubt nicht, gnädiger Herr, welche Freude, …

Harpagon. Ich muß gehn; man ruft mich. Also auf Wiedersehn! –

Frosine. (Allein). Daß dich das Fieber schüttle, du Hund von einem Geizhals, und der Teufel dich hole! – Der alte Knauser blieb fest bei allen meinen Angriffen; aber ich gebe den Handel drum nicht auf. Im schlimmsten Fall gehe ich ins andre Lager; da kann ich auf eine gute Belohnung rechnen.


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