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siehe Bildunterschrift

Salomon August Andrée zum Gedächtnis

Von Överstelöjtnant G. V. E. Svedenborg
Ersatzmann der Andréeschen Polarexpedition 1897.

August Andrée, Gefährte und Freund!

Wie oft habe ich nicht in den vergangenen dreiunddreißig Jahren in Schrift und Wort für dich, für deine kühnen Pläne, für deine Kameraden und deine Expedition Rede und Antwort stehen müssen!

Kein andrer ist hierzu wohl besser berechtigt gewesen als eben der, dem ein freundliches Geschick bescherte, dir helfen zu dürfen in den letzten Monaten und Stunden, bis du dort oben an Spitzbergens Nordküste, deines Vaterlandes Namen auf den Lippen, mit deinem »Örn« aufstiegst, um dein Schicksal zu erfüllen.

Doch noch nie zuvor ist es mir vergönnt gewesen, dich als Menschen zu schildern – oder es wenigstens zu versuchen – deinen Charakter und deine Persönlichkeit in helles Licht zu stellen.

Ergreife ich nun zu diesem Ziele die Feder, so geschieht es mit einem Gefühl der Dankbarkeit gegen die, die mir die Gelegenheit gönnen, einem größeren Leserkreise von dir zu erzählen – doch leider zugleich in dem Bewußtsein: so, wie du in meinem Innern lebst, kann ich dich doch nicht schildern, kann dein Bild nicht so zeichnen.

Du warst ein Mann. Warst eine Herrschernatur. Schwächliche Nachgiebigkeit lag dir nicht. An nichts, sozusagen, glaubtest du als an das, worin Wissen und Erfahrung dich bestärkt hatten.

Aus dem Innersten deines Wesens heraus warst du der freie und freiheitsliebende Mann. Zwang, welcher Art er auch sein mochte, war dir verhaßt.

Mit deiner Kindheit zu beginnen: Man weiß, daß du schon als Knabe begeistert warst für jede Art Sport, für Jagd, Sportfischerei, Rodel und Skilauf. Doch deine Anlagen und Neigungen spürte man in erster Reihe in deinen Studien. Der heranwachsende Ingenieur gab sich zeitig kund in deiner Wißbegier in allen technischen Dingen.

Wie hoch du den Ingenieur stelltest, das spürten wir noch zuletzt in der Auslese, die du trafst, als du dir deine Gefährten für dein großes Vorhaben, die arktische Ballonreise, wähltest. Unter den Zwanzig, die sich für deine Expedition 1897 meldeten, gabst du den Vorrang dem Ingenieur und Sportsmann Fränkel.

siehe Bildunterschrift

Deine Laufbahn ist gekennzeichnet durch die Stufenleiter: Student, dann Assistent, schließlich Leiter im schwedischen technischen Ausbildungswesen.

Dein Interesse für die Probleme der Polarforschung wurde schon 1882-1883 geweckt, als du an der Spitzbergenexpedition teilnahmst. Achtundzwanzig Jahre warst du da alt.

Dein Interesse galt da zunächst der Astronomie und Meteorologie, doch auch die Forschungsgebiete der Luftelektrizität und des Erdmagnetismus fesselten dich.

Als du heimkehrtest von dieser deiner ersten arktischen Expedition, wurden deine »Forschungen über atmosphärische Elektrizität« in den Berichten der Schwedischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht. Ebenso »Einige Untersuchungen über die Schwankungen der Luftelektrizität durch barometrische Minima und Maxima«, »Über den Zusammenhang zwischen Luftelektrizität und Erdmagnetismus« und »Über Schneegestöber in den arktischen Gebieten«.

Dies alles sei betont als Beweis dafür, wie vorzüglich du auch auf den rein wissenschaftlichen Gebieten für deine große Fahrt gerüstet warst.

Als du später in der Technischen Abteilung des Schwedischen Patentamtes als Oberingenieur in deinem eigentlichen Fachgebiete wirken konntest, hattest du reichlich Gelegenheit, deine Begabung in allen technischen Fragen zur Geltung zu bringen.

Dein Lebensstil blieb da eben so äußerst einfach und anspruchslos wie später, als dein Name in aller Munde war.

Auf das Gebiet der Politik rief dich deine Wahl als einer der Stadtverordneten von Stockholm. Wer die Verhandlungsprotokolle der damaligen Stadthäupter von Stockholm liest, wird die Spuren deines Wirkens finden, sowohl auf deinem Sondergebiet, dem Technischen, wie in den sozialen Fragen.

Hätte es nicht im Ratschluß des Schicksals gelegen, daß deine Laufbahn so kurz werden sollte: sicherlich hätte da deine Persönlichkeit tiefe Spuren in der politischen Entwicklung deines Vaterlandes hinterlassen.

Ein Ausspruch, den du einst tatest im Hinblick auf Volksbildungsarbeit, verdient dem Vergessen entrissen zu werden. Du betontest: Wenn die große Menge Einblick erhält in Astronomie, Mechanik, Meteorologie und alles sonstige Wissen und Können, so solle und müsse das Volk den Nutzen daraus haben, zu lernen und zu begreifen, welche Bedeutung der Gebundenheit an Gesetze innewohnt!

Deine ganze Sinnesart war liberal. Freisinnig warst du in des Wortes bester Bedeutung. Als Mensch wie als Führer warst du verständnisvoller Freund allen denen, die unter dir standen.

Viel verlangtest du von einem jeden, am meisten aber von dir selber. Allzeit suchtest du deinen Gefährten den Grundsatz einzuprägen: Ein jeder muß in erster Reihe auf sich selber bauen können.

Nie nahmst du von anderen Rat an, außer du hättest seine Güte selber erproben können. Dies hast du noch zuletzt bewiesen, als du deine Polarexpedition ausrüstetest.

Man hat von dir gesagt, du seiest Verächter des Weibes gewesen.

Doch an dem war es nicht! Wahr ist höchstens, daß du vielleicht der Psyche des Weibes nicht gerecht werden konntest. Wahrscheinlich deswegen nicht, weil du im Urgrunde deines Wesens der scharfe, logische Denker warst und dich nicht auf die intuitive Sinnesart des Weibes verstandest. Aber von solcher Einstellung bis zur Verachtung des Weibes ist es noch ein weiter Schritt.

Daß du der Mutter gegenüber der ergebene, gehorsame und verehrungsvolle Sohn gewesen bist, hat noch keiner bestreiten können. Als sie fortging in jenes Jenseits, aus dem es keine Rückkehr gibt, sprachst du Worte, die deine Verehrung für die Mutter bezeugten. Du sagtest: »Ob meine Expedition gut oder böse ausgeht, daran habe ich jetzt kein rein persönliches Interesse mehr. Meine unerschütterliche Zuversicht, daß alles gut auslaufen wird, habe ich noch immer und auch den Willen, die Expedition durchzuführen, wie ebenso das Bewußtsein der Verantwortung für meine Kameraden – aber alle persönliche Freudigkeit ist spurlos dahin. Ist doch die von mir gegangen, der ich ohne Vorbehalt und ohne Scheu meine innersten Kämpfe offenbaren konnte und der ich auch meine innersten Freuden mitteilen konnte!«

Auch persönlich entsinne ich mich so vieler Gelegenheiten, da du über Frauen, wohl meist über Mütter, dich aussprachest in einer Weise, die deine von Verständnis zeugende Hochschätzung der Eigenschaften des Weibes klar zutage legte. Aber das Weib als Hätschelkind, als eine vom Manne erotisch aufgeputzte Romanfigur wolltest du nicht! Du wolltest in ihr nur ein Wesen erblicken, das in jedem Betracht dem Manne gleichsteht. Aber damals, als du solche Ansichten aussprachest, war das Weib dies nicht.

Ein Pionier der Frauenbewegung bist du gewesen!

Gewißlich hättest du die Frau unserer Zeit weit besser verstanden: die Frau als Führerin – am Steuer des Autos – im Flugzeug.

Den Zug des Mannes zum Weibe habe ich bei dir nie gespürt. Aber es gibt ja Männer, die sich in dieser Hinsicht wie mit einem Panzer umgeben. Und im Innersten deiner Seele mag sich ein Reichtum an Gefühl verborgen haben, an dem eben wir, die dir nahe Stehenden, nicht teilhatten.

Furcht kanntest du nicht. Man braucht nur deinen Bericht zu lesen über deine erste Ballonfahrt, wie du da ganz wissenschaftlich deine eigenen seelischen Empfindungen studiert hast und zu dem Ergebnis kommst, daß dir auch die leiseste Anwandlung von Angst ferngeblieben ist, trotzdem die für dich ganz neue Situation durchaus nicht ohne Eindruck auf dich geblieben ist.

Von diesem Fehlen aller Furchtgefühle bei dir (wenn man sich so ausdrücken darf) zeugen auch deine übrigen vorbereitenden Luftreisen. Begabst du dich doch, mutterseelenallein im Korbe deines Ballons »Svea«, immer und immer wieder auf abenteuerliche Fahrt. Und als du einsam im Ballon die Ostsee überflogst und die Gondel wenige Meter vom Strande einer kleinen Insel ins Wasser eintauchte, da verzichtetest du darauf, dich durch rasches Herausspringen zu retten – »ich wollte doch den Ballon nicht einbüßen!«

Über dein großes Vorhaben hast du viel reden und debattieren müssen, aber nie hat man aus deinen Worten auch nur den Schimmer einer Angst herausgehört, die Ballonfahrt könne vielleicht in den Tod führen. Gewiß, du hast die Möglichkeit zu verunglücken, stets erwähnt, hast betont, daß du samt deinen Kameraden das Leben einsetztest – aber Bedenklichkeit oder Ängstlichkeit hat nie einer in deinen Worten gespürt.

Ein Ausspruch von dir hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Er lautete: »Um deine Gesundheit sei besorgt, doch nie ums Leben!«

An guten Lehren, an sinnreichen Aussprüchen hat es bei dir nie gefehlt, und du hast mit ihnen nicht gespart.

Als die neu angenommenen Mitglieder der Expedition sich im Jahre 1897 nach Frankreich, nach Paris begeben sollten, um dort die notwendige Ausbildung in der Ballonherstellung und in der Führung eines Freiballons zu erhalten, übergabst du uns ein Schriftstück: einen »Leitfaden«, dessen Inhalt deinen Charakter so vorzüglich widerspiegelt, daß ich mir nicht versagen möchte, einige Punkte hier anzuführen.

»Fragt nach allem! Nicht bloß nach dem, was ihr nicht versteht, sondern auch nach dem, was ihr begriffen zu haben glaubt. Viel Fragen ist der sicherste Weg zum viel Wissen.«

»Macht euch täglich Notizen und verlaßt euch nicht auf euer Gedächtnis. Fragt über ein und dieselbe Sache stets mehrere, nicht bloß einen.«

»Auf Ballonfahrten müßt ihr, ohne es euch merken zu lassen, auf alles so aufmerksam wie möglich sein. Seid im übrigen jederzeit völlig verschwiegen.«

»Steigt nie aus der Gondel, ehe nicht der Ballon so leer ist, daß die Ballonhülle den Boden berührt. Auch während einer Schleppfahrt hält man sich solange in der Gondel. Herausspringen hat bloß zur Folge, daß man sich die Beine bricht oder sich auf den hinter der Gondel schleppenden Anker aufspießt. Nur wenn man sich allein in der Gondel befindet und in äußerster Gefahr ist, ins Meer geschleppt zu werden, darf man hinausspringen. Dann am besten ins Wasser, denn das Wasser verringert den Stoß.«

»Legt ein Notizbuch an für alles, was zu tun ist, und laßt keinen Tag vergehen, ohne wenigstens etwas davon auszuführen.«

Ja, deine guten Ratschläge waren wahrhaftig wert, sich nach ihnen zu richten, mag sich das nun um Luftfahrt handeln oder ums tägliche Leben. Ich jedenfalls habe in vielen Wechselfällen des Lebens den besten Nutzen von dem gehabt, was der junge Offizier ohne Erfahrung bei dir lernte.

Nur ein Beispiel: Wie oft habe ich doch Gelegenheit gehabt zu erproben, daß deine Ratschläge über das Verhalten gegenüber der Presse begründet waren. Du sagtest:

»Beobachtet gegenüber allen Vertretern der Presse die größte Artigkeit – und die allergrößte Vorsicht. Über Kameraden und Mitarbeiter dürfen keine herabsetzenden Äußerungen getan werden, darf nur lobend gesprochen werden. Interviews soll man nach Möglichkeit nicht abschlagen. Wird in einem Interview etwas unrichtig wiedergegeben, so dementiert nicht, außer eine Berichtigung wäre von erheblicher Wichtigkeit.«

Deine Einstellung Frauen gegenüber wird durch folgenden Rat deines »Leitfadens« beleuchtet:

»Seid ritterlich aufs äußerste gegenüber den Damen eurer Instrukteure und der Herren von der Presse, ladet sie in die Oper ein oder zu ähnlichen Veranstaltungen, immer auf den besten Plätzen.«

Andrée, du großer Menschenkenner, du hast wahrlich gewußt – trotz deiner vorhin erwähnten Gleichgültigkeit gegenüber dem Weibe – wo die Mächte dieser Welt zu suchen sind! Deine Worte, deine Auffassungen – sie müssen zu ihrem Rechte kommen, soll man dich richtig schildern. Du hattest weiten Blick, du wußtest, wie das Leben ist, und kanntest die kleinen menschlichen Schwachheiten!

Um deiner Sinnesart ganz gerecht zu werden, will ich zum Schluß noch ein paar deiner Lebensregeln anführen.

Einmal schriebst du: »Kein Unternehmen, das groß angelegt und mit Kraft angepackt wird, ist unnütz – mag es auch manchmal so aussehen.«

Hinsichtlich deines großen Vorhabens äußertest du:

»Ich kann selbstverständlich für nichts einstehen, kann nichts garantieren, aber selbstverständlich hindert mich das nicht, daß ich jetzt, wie immer, die größte Vorsicht walten lasse.«

Alle solche Äußerungen, alle deine wohlüberlegten Ratschläge werden erkennen lassen, wie wirklichkeitsbetont deine Sinnesart war und wie stolz dein Sinn.

In der langen Zeit, die verging von dem Tage an, da wir von Schweden zum Norden absegelten, bis zu jener Stunde, als du mit den Worten: »Grüßt das Vaterland!« deinem Schicksal entgegengingst, haben wir ja überreich Gelegenheit gehabt, dich wirklich kennenzulernen.

Mit deinem ausgeglichenen, abwägenden Wesen stehst du noch heute vor mir als das Urbild eines Tatmenschen und Edelmenschen,

Weiß Gott, du warst ein Mann!

(Deutsch von Dr. Adrian Mohr.)


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