Gustav Meyrink
Der Engel vom westlichen Fenster
Gustav Meyrink

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Ich bin müde. Ich habe diese Nacht kein Auge zugetan. Aufruhr des Erlebnisses und der darauffolgenden Stunden verzweifelten Kampfes um die Gesundheit meines Verstandes liegen nun hinter mir in der beruhigten Klarheit einer Landschaft, über die ein schweres Gewitter mit Vernichtung und Segen zugleich hinweggerast ist. –

Wenigstens in der Frühe dieses neuen Tages, nach solch überstandener Nacht, bin ich fähig, das Äußerliche des gestrigen Erlebnisses niederzuschreiben und festzuhalten.

Es war gegen sieben Uhr abends, als ich das Dee'sche Heft mit der Rückschau auf sein vergangenes Leben zu Ende übersetzte. Meine letzten Worte auf dem Papier bezeugen, daß mich der Verlauf dieser Lebensgeschichte tiefer im Gemüte ergriffen hatte, als vielleicht für einen gleichgültigen Bearbeiter alter Familienrelikten notwendig scheint. Wäre ich ein Phantast, ich würde sagen: der Dee, den ich als Erbe seines Blutes in meinen Zellen mit mir trage, ist auferstanden von den Toten. Von den Toten? Ist jemand tot, der noch in den Zellen eines Gegenwärtigen lebt? – – Aber ich will dieses Übermaß an Teilnahme nicht zu erklären versuchen. Genug, es ist da, es hat Besitz von mir ergriffen.

Es ging so weit, daß ich auf eine schwer zu beschreibende Weise nicht nur gleichsam erinnerungshaft an allen diesen Schicksalen, ja schließlich an dem Leben des eingezogen auf Mortlake mit Frau und kleinem Sohne hausenden, enttäuschten Gelehrten John Dee innerlich teilzunehmen meinte, und daß ich nicht nur die doch nie mit leiblichen Augen geschaute Umgebung des Hauses, die Stuben, die Möbel und die mit jenen Gegenständen einst irgendwie verknüpft gewesenen Empfindungen John Dees sozusagen mitzuspüren begann; sondern daß ich, darüber weit hinaus, das kommende, das herandrohende Lebensschicksal dieses mehr seelisch als welttätigen Abenteurers, meines unglücklichen Urahns, zu fühlen, ja zu sehen begann, und zwar mit einer unheimlichen, schmerzhaften und beklemmenden Kraft –, als ob es mein eigenes vorbestimmtes unabwendbares Geschick sei, das da wie eine schwarze, schwere Wetterwand vor meinem inneren Auge eine Art von seelischer Landschaft überschattete als Bild meines eigenen Innern.

Ich muß mich hüten, mehr sagen zu wollen, denn ich fühle, wie sich mir alsbald die Gedanken wieder verwirren und die Worte nicht mehr gehorchen wollen. Ich habe Angst davor.

Ich spreche darum nicht mehr von dem unsagbar Grauenhaften, das sich in jenem Augenblick begab, wenn ich jetzt ganz trocken aufzeichne:

Es öffnete sich mir unter dem Hinschreiben der letzten Sätze gleichsam ein körperlicher Blick in die Zukunft John Dees von dem Zeitpunkt ab, bei dem sein Tagebuch abbricht. Eine Aussicht von so durchdringender Helle, als ob ich selbst dies noch Künftige mit dem späteren John Dee durchlebt hätte. Was sage ich: mit John Dee! Ich habe es gesehen – als John Dee, bin selber ein John Dee geworden, von dem ich sonst nichts gewußt habe, noch weiß, als was auf diesem von mir beschriebenen Papier steht.

Und in jenem Augenblick empfand ich mit unbeschreiblichem Entsetzen: ich selbst war John Dee: ein Unbestimmtes, ein Gefühl am Hinterhaupt, als wüchse mir dort ein zweites Gesicht, ein Januskopf – – – der Baphomet! Und indessen ich noch mit einer Art von eiskaltem, erstorbenem, erstarrtem Lauschen auf mich selbst und auf die Verwandlung an mir dasaß, vollzog sich im Raum um mich her das Schauspiel des bildhaft werdenden Wissens um John Dees Schicksal:

Vor mir stand zwischen Schreibtisch und Fenster, aus der Luft herauswachsend: der –- Bartlett Green, halboffen sein Lederkoller, rothaarig die breite Brust, auf feistem Hals das brandbärtig umwirrte mächtige Fleischerhaupt, von breitfreundlichem Grinsen furchtbar nahe lebend. –

Unwillkürlich strich ich mir über die Augen; dann nochmals mit prüfender nüchterner Überlegung, als der erste furchtbare Schrecken vorüber war. Der Mensch aber vor mir blieb, und ich wußte: es ist der Bartlett Green und kein anderer. –

Und da geschah das Unbegreiflichste: ich war nicht mehr ich und war es doch; ich war hüben und drüben zugleich, und ich war gegenwärtig und fern, fernab und längst entworden: alles zugleich. Ich war, "ich" und ein anderer – ich war John Dee in der Erinnerung und in meinem lebendigen Augenblicksbewußtsein zugleich. Ich kann das Verschobene nicht anders mit Worten zurechtrücken. – Dies ist vielleicht der richtige Ausdruck: der Raum und die Zeit waren mir gleicherweise verschoben, ähnlich wie ein Ding, das man bei gepreßtem Augapfel sieht: schief, wirklich und unwirklich zugleich: den welches von beiden Augen "sieht" das richtige Bild? – Verschoben wie das Gesichtsfeld war auch der Gehörsinn. Aus unmittelbarer Nähe und aus der Tiefe jahrhundertealter Ferne zugleich hörte ich den Bartlett Green höhnen:

"Immer noch munter unterwegs, Bruder Dee? Du machst, meiner Treu, einen langen Weg. Du hättest es einfacher haben können!"

"Ich" wollte sprechen. "Ich" wollte das Gespenst mit Worten bannen. Aber meine Kehle war versperrt, meine Zunge klebte, das widrige körperliche Gefühl war mir vollkommen sinnesbewußt; statt meiner aber "dachte" eine Stimme aus mir hervor und sprach über Jahrhunderte herüber unter Schallmanifestationen, die mein äußeres Ohr trafen – Worte, die ich nicht vorbedacht hatte; und sie sagten: "Und du, Bartlett, stehst auch hier wieder mir im Weg und du willst nicht, daß ich an mein Ziel komme. – Laß ab und gib mir den Weg frei zu meinem Ebenbild im grünen Spiegel!"

Das rotbärtige Gespenst, oder der Bartlett Green in Person meinetwegen, blickte mir aus weißlichem Birkauge starr ins Gesicht. Sein Lächeln gähnte mich an mit dem Ausdruck einer großen Katze: "Aus dem grünen Spiegel wie aus der schwarzen Kohle grüßt dich das Gesicht der Jungfrau im abnehmenden Mond, – du weißt, Bruder Dee: der guten Herrin, der es so um die Lanze zu tun ist!"

Ich starrte in atemloser Beklemmung zu dem Bartlett hinüber. Ein furchtbar sich heranwälzender Strom von fremden Gedanken, Flüchen, Reue- und Abwehrvorstellungen zugleich wurde überblitzt, abgeblendet, vergessen durch eine einzige Erkenntnis, die plötzlich aus meinem eigenen, in lethargischer Betäubung dämmernden Bewußtsein hervorbrach:

"Lipotin! – – Die Lanzenspitze der Fürstin! – Von mir wird also die Lanze gefordert! –"

Damit war es auch schon wieder vorüber. Aber ich verfiel in ein traumhaftes Nachdenken, darinnen mir war, als erlebte ich selbst mit halbwachen Sinnen jene Mondnacht der Sukkubusbeschwörueng John Dees im Garten von Mortlake. Was ich in seinem Tagebuch gelesen hatte, gewann überdeutliche Gegenwart und Bildleibhaftigkeit, und was im Kohlenkristall als die schwebende Gestalt der Königin Elisabeth, der Heranbeschworenen, dem John Dee erschienen war, das war für mich jetzt die Gestalt der Fürstin Chotokalungin; und der Bartlett Green, der vor mir stand, verschwand in meinem rückerinnerten Traum von der Lust des John Dee an dem dämonisierten Phantom der Königin Elizabeth. – – – –

Dies ist, was ich von dem unergründlichen Erlebnis des gestrigen Abends noch wiederzugeben vermag. Das übrige ist unbegreifbarer Nebel – verwischter Traum.

John Rogers Erbschaft ist also lebendig geworden! Ich bin nicht mehr imstande, die Rolle des unbeteiligten Übersetzers weiter zu spielen. Ich bin beteiligt, irgendwie beteiligt an diesen – diesen Dingen hier, diesen Papieren, Büchern, Amuletten, und – an diesem Tulakasten. – Nein doch: der Tulakasten stammt ja nicht aus der Erbschaft! Er stammt von dem toten Baron – – von Lipotin stammt er, von dem Mascee-Abkömmling! Von dem Mann, der die Lanzenspitze bei mir sucht für die Fürstin Chotokalungin! – – alles, alles hängt zusammen!! – Aber wie? Sinds Nebelketten, Rauchbänder, die über Jahrhunderte herüberwehen und mich fesseln, mich unfrei machen?!

Ich selber lebe ja mit allem, was hier um mich ist, schon im "Meridian"!! Ich brauche unbedingt Ruhe und Überlegung. Alle Augenblicke fängt mein Verstand an zu taumeln. Das ist gefährlich, das ist töricht! Wenn ich die Herrschaft über diese Visionen verliere, dann – –

Es steigt mir heiß auf, wenn ich an Lipotin denke und sein undurchdringliches Zynikergesicht; oder an die Fürstin, an diese wundervolle Frau – –! Ich bin tatsächlich ganz allein, bin ganz auf mich angewiesen, ganz ohne Hilfe gegen – sagen wir einmal: gegen Ausgeburten meiner Phantasie, gegen – – Gespenster!

Ich muß mich mehr zusammennehmen.

Nachmittags.

Ich kann mich nicht entschließen, heute einen Griff in die Schublade zu tun, um ein neues Heft hervorzuholen. Teils fühle ich zu deutlich, daß meine Nerven noch in allzu unruhigen Schwingungen sind, teils macht mich die angenehme Erwartung eines höchst überraschenden Wiedersehens ungeduldig und unruhig, das mir heute gegen Mittag durch die Post angemeldet wurde.

Es ist immer sonderbar spannend, einem Jugendfreund wieder zu begegnen, der ehemals vertraut, dann ein halbes Leben lang aus dem eigenen Umkreis entschwunden, die Vergangenheit wie unversehrt wiederzubringen verspricht. Unversehrt? – natürlich ist das ein Irrtum: wie ich selbst, so hat sicherlich auch er sich gewandelt, und keiner von uns bewahrt die Vergangenheit! Aus dem Irrtum wächst darum oft Enttäuschung. Also bleibe die Erwartung besonnen, die mich ergreift, wenn ich mir vorstelle, daß ich heute abend Theodor Gärtner am Bahnhof abholen werde, den lebenstollen Studienfreund von Anno dazumal, der abenteuerlustig als junger Chemiker nach Chile ging und dort zu hohen Ehren, Ansehen und Reichtum gelangte. Nun wird er der richtige "Onkel aus Amerika" geworden sein und sein smart Erworbenes in der alten Heimat in Ruhe verzehren wollen.

Ärgerlich ist mir ein wenig, daß eben heute, wo ich diesen Besuch erwarte, meine Haushälterin, die mit mir und dem Meinen Bescheid weiß, ihre Erholungsreise in ihr Heimatdorf antreten muß. Ich konnte sie aber billigerweise nicht länger hinhalten. Denn wenn ichs bei Licht besehe, so schulde ich ihr diesen Urlaub jetzt bald ins dritte Jahr! Immer wieder kam ihrer Gewissenhaftigkeit oder meinem Egoismus etwas dazwischen; und nun wäre mal wieder mein Egoismus an der Reihe; – nein, das geht nicht! Dann lieber schon einmal vorliebnehmen und sich in Gottes Namen in Geduld fassen und irgendwie auszukommen trachten mit dem Ersatz, den sie mir für morgen beschafft und angekündigt hat. Ich bin neugierig, wie ich mich mit dieser "Frau Doktor", die den Ersatz bilden soll für die alte Haushälterin, zurechtfinden werde! –

Geschiedene "Dame", angeblich mittellos, genötigt, Stellung anzunehmen – natürlich unschuldig geschieden! – stilles Heim! – Treue Verwalterin! – Und so –

Wahrscheinlich:

"mit der Angelschnur versehen
naht sich Lenchen auf den Zehen",

wie Wilhelm Busch singt –: also aufpassen! Ich muß lachen, wenn ich denke, was solch einem alten Junggesellen wie mir alles droht oder drohen kann! Sie heißt übrigens nicht "Lenchen", sondern Johanna Fromm! Aber andererseits ist diese Frau Doktor auch erst dreiundzwanzig Jahre alt. Man muß also alle Fronten im Auge behalten und darauf bedacht sein, die Tore der Junggesellenfestung nach allen Seiten hin gut zu sichern.

Wenn sie wenigstens gut kocht! –

Auch heute wird wohl meine Arbeit an John Rogers Erbschaft unberührt liegen bleiben. Zuerst muß ich innerlich aufräumen mit den Erlebnissen und Eindrücken des gestrigen Abends.

Mir scheint: das Tagebuchschreiben gehört mit zu den Erbschaften derer, die Blut und Wappen des John Dee übernommen haben. Ich werde mir, wenn es so weiter geht, gleichfalls ein Protokoll meiner Abenteuer anlegen müssen! Dabei drängt es mich ungestümer denn je, so rasch wie möglich in die sonderbaren Geheimnisse des verschollenen Lebens John Dees tiefer einzudringen, denn ich fühle, daß dort irgendwo der Schlüssel verborgen liegen muß – nicht nur zu dem Sinn aller Schicksale und Rätsel, die dessen Leben bestimmt haben, sondern sehr seltsamerweise auch der Schlüssel zum Verständnis der eigentümlichen Verkettungen, in die ich mich selbst jetzt verstrickt finde mit jenem Leben des abenteuerlichen Urahns. Fiebernde Neugier will jeden andern Wunsch und Gedanken beiseite schieben und blindlings zum nächsten Heft der Aufzeichnungen greifen, oder doch lieber: mit Gewalt dieses tulasilberne Kästchen da vor mir auf meinem Schreibtisch aufsprengen. – – – Tollgewordene Phantasie nach den Überreizungen dieser vergangenen Nacht! Ich finde kein anderes Mittel, sie abzukühlen und zu bändigen, als daß ich so sachlich wie nur möglich und in tunlichster Ordnung niederschreibe, was geschehen ist.

Gestern abend also – Punkt sechs Uhr – stand ich auf dem Nordbahnhof und erwartete den Schnellzug, mit dem mein Freund Doktor Gärtner, wie er telegraphiert hatte, ankommen sollte. Ich nahm meinen Stand so günstig wie nur möglich am Schrankenausgang, so daß mir keiner der den Bahnhof verlassenden Reisenden entgehen konnte.

Der Expreß lief pünktlich ein, und ich kontrollierte ruhig die Angekommenen; mein Freund Gärtner war nicht darunter. Ich wartete, bis der letzte Fahrgast die Sperre passiert hatte – ich wartete, bis der Zug auf ein anderes Gleis hinausgeschoben wurde. Dann wandte ich mich recht enttäuscht dem Ausgang zu.

Da fiel mir ein, daß aus gleicher Richtung ein zweiter, freilich nicht aus dem Ausland kommender Eilzug bald fällig war. Ich tat ein übriges, kehrte um, nahm meinen alten Standort wieder ein und wartete auch diesen Zug ab.

Vergebens! Die alte Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit meines Studienfreundes war also, so dachte ich etwas verbittert, schon eine von den Eigenschaften, die im Lauf der Jahre eine unerfreuliche Wandlung durchgemacht haben mußten. Und so verließ ich mißmutig den Bahnhof, um nach Hause zu gehen, in der Hoffnung, dort vielleicht ein Absagetelegramm vorzufinden.

Ich hatte fast eine Stunde vor der Schranke vertrödelt, und es ging auf sieben und dämmerte bereits, als ich, planlos eine Seitengasse durchquerend, die eigentlich gar nicht auf meinem Nachhauseweg lag, auf Lipotin stieß. Dem alten Kunsthändler zu begegnen, überraschte mich so plötzlich und eigentümlich, daß ich stehen blieb und ziemlich albern seinen Gruß mit den Worten erwiderte: "Wie kommen Sie hierher?!"

Lipotin staunte – er bemerkte offenbar meine Verwirrtheit, – und sofort stand das sarkastische Lächeln in seinen Gesicht, das mich an ihm so häufig irritiert; dazu sagte er, indem er sich prüfend umsah:

"Hierher? – Was ist an dieser Straße Besonderes, Verehrtester? Sie hat allerdings den Vorzug, daß sie mich von meinem Kaffeehaus in fast schnurgerader Richtung Nord-Süd nach Hause führt. Und Sie wissen: die Gerade ist zwischen zwei Punkten die kürzeste Strecke; – – aber Sie, mein Gönner, Sie scheinen mir irgendwelche Umwege zu machen, denn ich wüßte nicht, was Sie in diese Gasse führen könnte, als eine Art des Traumwandelns!" Dazu lachte Lipotin laut und oberflächlich, während seine Worte mich beinahe schreckhaft berührten. Ich muß ihn daher ziemlich entgeistert und blöde angestarrt haben, als ich ihm erwiderte:

"Ganz recht: Traumwandeln. Ich – wollte nach Hause."

Wieder lachte Lipotin spöttisch:

"Wunderbar, wie sich ein Träumer in seiner eigenen Vaterstadt verirren kann! Wenn Sie nach Hause wollen, mein Bester, so müssen Sie zur nächsten Querstraße dort links zurück – – – aber wenn Sie gestatten, werde ich Sie ein paar Häuser weit begleiten."

Ärgerlich schüttelte ich meine törichte Befangenheit mit einem Ruck ab und sagte meinerseits ein wenig beschämt: "Es scheint, Lipotin, in der Tat, ich habe auf der Straße geschlafen. Ich danke Ihnen, daß Sie mich geweckt haben! Im übrigen – gestatten Sie mir, daß ich Sie begleite." Lipotin schien erfreut, und so gingen wir zusammen nach seiner Wohnung. Unterwegs erzählte er mir unaufgefordert, daß die Fürstin Chotokalungin sich jüngst sehr lebhaft nach mir erkundigt habe, – sie hätte offenbar großen Gefallen an mir gefunden; ich könne also eine sehr schmeichelhafte Eroberung verzeichnen. Ich erklärte Lipotin alsbald mit Nachdruck, daß ich kein "Eroberer" sei und nicht daran dächte, – aber Lipotin wehrte mit erhobenen Händen ab und lachte; fügte dann flüchtig, aber nicht ohne die merkbare Absicht, mich zu necken, hinzu: "Von der gesuchten Lanzenspitze übrigens fiel von ihr aus kein Wort mehr. So ist die Fürstin. Heute hartnäckig, morgen vergessen. Frauenart, nicht wahr, mein Bester?"

Ich mußte sagen, daß mich diese Mitteilung einigermaßen erleichterte. Also doch nur eine Laune!

Als darum Lipotin vorschlug, er wolle mich an einem der nächsten Tage zu einem Besuch bei der Fürstin abholen, – er wisse bestimmt, die Fürstin werde sich sehr freuen, mich zu empfangen, sie warte sogar gleichsam darauf, nachdem sie sich selbst so zwanglos bei mir eingeführt, – schien es mir ganz in der Ordnung, einen solchen Akt der Höflichkeit nicht zu unterlassen und die dargebotene Gelegenheit zu einem Wiedersehen mit der Fürstin – vielleicht auch behufs einer Aufklärung in der Antiquitätensache, zu ergreifen.

Unterdessen waren wir bei dem Hause angelangt, in dem Lipotin seinen kleinen Laden und seinen Wohnungsunterschlupf hat. Ich wollte mich von ihm verabschieden, aber er sagte plötzlich: "Nun sind Sie schon einmal hier, und mir fällt ein, daß ich gestern eine kleine Sendung von hübschen Antiquitäten aus Bukarest erhielt: Sie wissen, auf dem Umweg, auf dem mir nach und nach noch einiges bei Gelegenheit aus Bolschewikenland nachgesandt wird –. Leider nichts von erheblichem Belang, aber vielleicht ist doch etwas darunter, was Sie ganz gern einmal anschauen möchten. Haben sie ein wenig Zeit? Kommen Sie auf einen Sprung zu mir herein."

Ich zauderte einen Augenblick wegen meiner Idee, zu Hause vielleicht ein Telegramm meines Freundes Gärtner vorzufinden, – dachte flüchtig, ich möchte durch mein Ausbleiben also möglicherweise eine neue Abrede verfehlen, fühlte andererseits Ärger über Gärtners Unpünktlichkeit wieder aufsteigen und sagte daher rascher, als ich wollte, und einer schnell auftauchenden Überlegung jäh vorgreifend:

"Ich habe Zeit. Ich komme mit."

Schon zog Lipotin einen vorsintflutlichen Schlüssel aus der Tasche; die Schlösser rasselten, und durch die aufgestoßene Ladentür stolperte ich in das finstere Gelaß.

Ich bin schon oft bei guter Tageszeit in dem engen Gewölbe des alten Russen gewesen; es läßt an Romantik der Verwahrlosung nichts zu wünschen übrig. Wäre dieser von der Feuchtigkeit und dem Mörtelfraß der Jahrhunderte durchpestete Kellerraum nicht für jeden halbwegs europäischen Anspruch unbewohnbar gewesen, so hätte Lipotin schwerlich diesen Unterschlupf in der Wohnungsnot der Nachkriegszeit zugestanden erhalten.

Lipotin ließ ein winziges Flämmchen aus seinem Taschenfeuerzeug springen und machte sich in irgendeinem Winkel zu schaffen. Das Zwielicht von der Gasse herein genügt nicht, um vor meinem Blick Ordnung in das verschwimmende modrige Gerümpel zu bringen. Lipotins Benzinflämmchen flackerte und hüpfte wie ein Irrlicht über einem schwarzbraunen Sumpf, daraus die Splitter, Kanten, Bruchstücke halbversunkener Dinge hervorstachen. Endlich glomm aus einer Ecke mühselig ein Kerzenstumpen auf, der zunächst nur die unmittelbare Umgebung erhellte, nämlich ein greuliches, obszönes Götzenbild aus blindgeriebenem Speckstein, in dessen lochartig durchhöhlter Faust die Kerze stak. Noch stand Lipotin darübergebeugt, wohl um zu beobachten, ob der verstaubte Docht auch die Flamme nähren würde; – und es sah aus, als verrichte er vor dem Götzen eine heimlich hingehuschte Andachtszeremonie. Dann tastete er sich im dünnen Geflimmer der Kerze endlich zu einer Petroleumlampe, die bald einen verhältnismäßig breiten und behaglichen Schein durch ihre grüne Glocke hervorblühen ließ. Die ganze Zeit über hatte ich bewegungslos in der bedrängten Enge gestanden und atmete nun geradezu auf.

"Das Geheimnis des 'Es werde Licht' entfaltet sich bei Ihnen wie in den Urzeiten der Schöpfung stufenweise!" rief ich Lipotin zu; "wie einfältig und gemein ist doch nach solch dreifach sich steigernder Offenbarung des heiligen Feuers das poesielose Knipsen am elektrischen Knopf unserer Zeit!"

Aus der Ecke, in der Lipotin sich zu schaffen machte, kam trocken, fast krächzend seine Stimme:

"Ganz recht, Verehrtester! Wer allzu jäh aus dem wohltätigen Dunkel ins Helle strebt, verdirbt sich die Augen. Da habt ihr euer ganzes Schicksal, ihr Europäer!"

Ich mußte lachen. Das war wieder der asiatische Hochmut, der er verstand, aus der armseligen Notdurft einer Vorstadthöhle kurzerhand einen Vorzug und eine Überlegenheit zu machen! Ich fühlte Lust, den widersinnigen Streit über Segen oder Unsegen der so beliebten Elektrizitätsindustrie aufzunehmen, denn ich weiß, daß bei solchen Gelegenheiten immer ein paar sonderbar geistreiche, wenn auch bissige Bemerkungen Lipotins zum Vorschein kommen, da wurde mein umherschweifender Blick gefesselt von dem mattgolden aufschimmernden Umriß eines sehr schön geschnitzten, altflorentinischen Rahmens, der um einen fleckigen und vielfach erblindeten Spiegel gelegt war. Ich trat darauf zu und erkannte im nächsten Augenblick die vorzügliche Arbeit einer sehr sorgfältigen und feinfühligen Hand des siebzehnten Jahrhunderts. Der Rahmen gefiel mir ausnehmend, und sogleich stieg der lebhafte Wunsch in mir auf, das Stück zu besitzen.

"Da haben Sie bereits etwas in der Hand von den Sachen, die gestern bei mir angekommen sind", sagte Lipotin und trat herzu, "aber das Schlechteste. Das Ding ist wertlos."

"Der Spiegel, meinen Sie? – Der allerdings."

"Auch der Rahmen drum", sagte Lipotin. Sein von der Lampe grünlich bestrahltes Gesicht wurde überzuckt von einem gelbroten Feuerschein aus der heftig angesaugten Zigarre in seinem Mundwinkel.

"Der Rahmen?" – ich zögerte. Lipotin hielt ihn für unecht. Seine Sache! – Aber sofort schämte ich mich dieser kunsthandelsüblichen Anwandlung einem armen Teufel gegenüber wie Lipotin. Er beobachtete mich scharf. Hatte er gemerkt, daß ich mich schämte? Sonderbar: etwas wie Enttäuschung huschte über sein Gesicht. Mich überschlich ein unheimliches Gefühl im Herzen. Mit einigem Trotz vollendete ich meinen Satz: "– ist meiner Ansicht nach gut."

"Gut? Gewiß! Aber Kopie. Petersburger Kopie. Das Original verkaufte ich vor Jahren an den Fürsten Jussupoff."

Ich drehte zögernd den Spiegel im Lichte der Lampe hin und her. Ich kenne durchaus die Qualität von Petersburger Fälschungen. Die Russen wetteifern an Geschicklichkeit darin mit den Chinesen. Dennoch: dieser Spiegelrahmen war echt! – – Da entdeckte ich, vollkommen zufällig, tief versteckt in dem Unterschnitt einer prächtig hervorgeschwungenen Volute, die von altem Bolus halbüberschmierte Florentiner Werkstattmarke. Der Liebhaber- und Jägerinstinkt in mir wehrte sich heftig dagegen, Lipotin meine Beobachtung mitzuteilen. Ich tat das Meinige zur Genüge, wenn ich bei meinem Urteil blieb. Ich sage also ehrlich und offen: "Der Rahmen ist für die beste Kopie zu gut. Er ist meiner Ansicht nach echt."

Lipotin zuckte ärgerlich die Achseln:

"Dann hätte der Fürst Jussupoff die Kopie erhalten, wenn dies da das Original wäre. – – Übrigens gleichgültig, denn ich erhielt den Preis für das Original; und der Fürst, sein Haus und seine Sammlungen sind vom Erdboden vertilgt. Der Streit ist also geschlichtet, und jeder hat das Seine."

"Und das alte, offenbar englische Spiegelglas?" fragte ich.

"Ist, wenn Sie wollen, echt. Es ist das Originalglas des Spiegels. Jussupoff ließ sich ein neues venezianisches Glas in den Rahmen legen, da er sich den Spiegel zum eigenen Gebrauch kaufte. Überdies war er abergläubisch; er sagte, in dies Spiegelglas hier hätten zu viele Menschen hineingeschaut. So etwas könnte Unglück bringen."

"Somit –?"

"Somit können Sie das Ding behalten, wenn es Ihnen Spaß macht, verehrter Gönner. Es lohnt nicht, über einen Preis zu sprechen."

"Und wenn der Rahmen dennoch echt wäre?"

"Er ist bezahlt. Echt oder unecht – erlauben Sie mir, Ihnen mit diesem Gruß aus meiner ehemaligen Heimat ein Geschenk zu machen."

Ich kenne die hartnäckige Art der Russen. Er war, wie er sagte: echt oder unecht; ich mußte sein Geschenk annehmen. Ich hätte mir seine Verstimmung andernfalls zugezogen. Also besser: bei "unecht" bleiben, damit er sich nicht doch noch nachträglich kränkt über seinen Irrtum, wenn er einsehen sollte, er hätte sich geirrt.

Und so kam ich zu einem wirklich wundervollen Florentiner Meisterstück von Frühbarockrahmen!

Ich beschloß im stillen, den großzügigen Geber wenn möglich irgendwie schadlos zu halten, indem ich ihm etwas anderes abkaufte zu einem für ihn günstigen Preis. Aber was er mir zeigte, bot kein Interesse für mich. So geht es meist: die Gelegenheit, eine gute Absicht in die Tat umzusetzen, bietet sich seltener als die, einem egoistischen Trieb zu folgen; und so zog ich denn einigermaßen beschämt eine halbe Stunde darauf mit dem Geschenk Lipotins ab, ohne etwas anderes als mein Versprechen zu hinterlassen, ihn bei nächstem Anlaß durch einige Ankäufe zu entschädigen.

Gegen acht Uhr kam ich nach Hause und fand auf meinem Schreibtisch nichts vor als eine letzte kurze Nachricht meiner Haushälterin, daß die Vertreterin ihres Amtes kurz nach sechs dagewesen sei mit der Bitte, ihren Eintritt auf acht Uhr abends verschieben zu dürfen, da sie noch einige Angelegenheiten zuvor ordnen möchte. Um sieben war meine alte Hausdame weggegangen; ich hatte also die kurze Zeit meines Interregnums bei Lipotin nicht ohne Nutzen verbracht und konnte in den nächsten Minuten mit dem Eintritt meiner neuen Stütze rechnen, falls diese "Frau Doktor Fromm" Wort hielt.

Verdrossen, daß mein Freund Gärtner so wenig pünktlich gewesen war, beschloß ich, mich zu trösten, indem ich das Geschenk des Russen auswickelte, das ich noch immer unterm Arm trug.

Der alte Spiegel verlor in dem unbarmherzigen Licht der elektrischen Birnen nichts von seiner vollkommenen Schönheit. Selbst das tiefgrüne, teilweise opalig angefleckte Glas schien mir von hohem altertümlichen Reiz; und in der Tat leuchtete er aus seinem Rahmen eher wie der vollendete Schliff eines wolkigen Moosachats – teilweise fast wie der eines riesigen Smaragdes – hervor, als wie die getrübte Fläche eines erblindeten Spiegels.

Seltsam fasziniert von dieser köstlichen Zufallsschönheit einer alten Spiegelscheibe mit oxydiertem Silberbelag, stellte ich das Ding vor mich auf und versenkte mich in die grüne Unergründlichkeit seiner geheimnisvoll mit schillernden Reflexen überzuckten Tiefe. – – –

War mir da nicht plötzlich zumute, als stünde ich nicht in meinem Zimmer, sondern auf dem Nordbahnhof und sei umwogt vom Gedränge der vor der Schranke Wartenden und mit dem Schnellzug angekommenen Reisenden? Und mitten aus dem Gewühl grüßt mich Doktor Gärtner mit geschwenktem Hut!? Ich drückte mich durch die Menge und erreichte nicht ohne Mühe meinen Freund, der lachend auf mich zukam. Einen Augenblick schoß es mir durch den Kopf: seltsam, daß er gar kein Gepäck mithat. Er wird es eben aufgegeben haben, dachte ich, und vergaß hernach diesen Umstand völlig.

Wir begrüßten uns mit aller Herzlichkeit; kaum wurde der Tatsache überhaupt Erwähnung getan, daß wir uns seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatten.

Draußen vor dem Bahnhof nahmen wir einen Wagen und erreichten in eigentümlich geräuschlos gleitender Fahrt sehr bald meine Wohnung. Unterwegs sowohl wie auf der Treppe sprachen wir zueinander lebhaft und fortgesetzt über die gemeinsame Vergangenheit; und das verhinderte, daß ich im einzelnen viel auf nebensächliche Umstände achtete, wie zum Beispiel, auf welche Weise die Entlohnung des Kutschers und anderes vor sich gegangen sein mochte. Es erledigte sich alles wie gewissermaßen von selbst sehr rasch und war bereits im nächsten Augenblick wieder vergessen. Daher reichte es bei mir auch nur zu einem flüchtigen, gleichsam zerstreuten und nebensächlichem Staunen, als ich zu bemerken glaubte, daß einiges in meinem Zimmer nicht ganz so stand, wie ich es gewohnt bin. Das erste, was mir in dieser Art auffiel, war, daß ich bei einem kurzen Blick durch eines der Fenster nicht auf die Villenstraße hinaussah, sondern in einem weiten Wiesengrund mit fremden Baumsilhouetten und mir ganz ungewohnten Horizontlinien.

Sonderbar! – dachte ich; mehr nicht, – denn andererseits kam mir diese Aussicht wieder vertraut und selbstverständlich vor, teils nahm mich Freund Gärtner mit lebhaft gestellten Fragen und Aufforderungen in Anspruch, mein Gedächtnis auf diesen oder jenen Vorfall aus der Studienzeit richtend.

Als wir uns aber dann in meinem Arbeitszimmer bequem zurechtgesetzt hatten, wäre ich am liebsten wieder aus dem altertümlichen, hochlehnigen und mit gewaltigen gepolsterten Ruhebacken versehenen Stuhl aufgesprungen, auf dem ich mich niedergelassen hatte und der bestimmt nicht zu der Einrichtung meines Wohnzimmers gehörte –: so fremd erschien mir mit einem Male die sonst so vertraute Umgebung; und dennoch, auch hier wieder das Gefühl: beruhigend bekannt ist mir alles! Merkwürdigerweise spielten sich alle diese Beobachtungen, Überlegungen und Gefühle stumm in meinem Innern ab; mit keinem Wort erwähnte ich meinem Freund gegenüber etwas von diesen Erregungen meines Herzens, während nach außen hin alles wie ganz selbstverständlich geschah und verharrte und unser Gespräch nicht einen Augenblick stockte.

Die Veränderungen, die mit den Gegenständen um mich her vorgegangen waren, betrafen durchaus nicht nur das Mobiliar; auch die Fenster, die Türen, ja Wände standen anders und ließen auf dickere Mauern, mächtigere architektonische Verhältnisse schließen, als die waren, die ein modernes Großstadthaus zu haben pflegt und die mir in meiner Villa vertraut sind. Hingegen war das, was ich zum täglichen Gebrauch benötige, unberührt von der Veränderung geblieben. So strahlte denn auch der sechsflammige elektrische Lüster unvermindert hell auf die sonderbar durcheinandergerückte Umgebung dieser Dinge herab, und die Zigarrenkiste, die Zigarettendose und der dampfende russische Tee – mir von Lipotin zu märchenhaft günstigen Preisen verschafft – sandte sein kräftiges Aroma in gekräuselten Wolken zu uns empor.

Jetzt richtete sich meine Aufmerksamkeit gleichsam zum erstenmal bewußt auf meinen Freund Gärtner. Er saß mir gegenüber, bequem in einen ähnlichen Lehnstuhl geschmiegt wie der, in dem ich saß, hielt die Zigarre lächelnd zwischen den Fingern und schlürfte in einer Pause des Gesprächs – es schien mir die erste, seit wir uns auf dem Bahnhof getroffen hatten, zu sein – ruhevoll seinen Tee. – In raschem Erinnerungsfluge überdachte ich nochmals alles, was wir bisher besprochen hatten, und res wollte mich plötzlich bedünken, als seien die Gespräche tiefer und bedeutungsvoller gewesen, als mir zuvor geschienen hatte. Viel war von unserer Jugend die Rede gewesen, von gemeinsamen Plänen, Entwürfen, die nie zur Ausführung gelangt waren, von vergeblichen Hoffnungen, von Versäumtem, Beiseitegelegtem – –. Dann plötzlich lag eine Schwermut im Raum, die mich auffahren und den Freund wie fremd und aus weiter Ferne anstarren ließ. Es kam mir vor, als sei das ganze Gespräch nur von mir geführt, gleichsam dialogisiert worden. Um dem ein Ende zu machen, fragte ich schnell mit absichtlicher Deutlichkeit, mißtrauisch:

"Erzähl mir, wie erging es dir als Chemiker ein Chile?!"

Er hob mit einer Drehung des Halses, die zu den mir altvertrauten Eigentümlichkeiten seiner Art, sich zu geben, gehörte, den Kopf schräg über die Tasse hinweg zu mir und schaute mir mit freundlicher Frage ins Gesicht:

"Nun –? Dich scheint etwas zu beunruhigen?" – –

Ich überwand eine rasch wie Nebel über meine Seele hinhuschende Scheu und brach unvermittelt mit dem hervor, was mich in der Tat seit einigen Minuten zu quälen begonnen hatte:

"Lieber Freund – ich will es nicht leugnen: es ist da etwas Merkwürdiges zwischen uns – freilich, wir haben uns seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen – wie mir plötzlich scheinen will. Dennoch: vieles von dem, was – einstmals war – glaube ich wiederzuerkennen – – und dennoch – dennoch: – – verzeih mir – – bist du wirklich Theodor Gärtner? Ich, ich habe dich anders in der Erinnerung; – nein: du bist nicht der Theodor Gärtner, den ich früher gekannt habe, – das – das sehe ich, das fühle ich deutlich, – ohne daß du mir deswegen weniger bekannt – weniger – wie soll ich sagen: weniger nahe, weniger befreundet wärest –"

Theodor Gärtner neigte sich mir noch näher zu, lächelte und sagte:

"Betrachte mich ohne Scheu genauer, vielleicht fällt dir doch wieder ein, wer ich bin!"

Etwas würgte mich in der Kehle. Ich bezwang mich aber und lächelte einigermaßen gezwungen und rief:

"Du darfst mich nicht verspotten, wenn ich dir gestehe, daß mich seit deinem Eintritt hier in – in meiner Wohnung" – ich sah mich fast scheu im Raume um – "ein gewisses Befremden befallen hat. Es sieht nämlich hier für gewöhnlich, möchte ich sagen – für gewöhnlich etwas anders aus. Aber du kannst natürlich nicht verstehen, was ich meine - –; kurz, auch du scheinst mir ganz und gar nicht der alte Theodor Gärtner, der Bursche von Anno dazumal – natürlich bist du der nicht mehr, verzeih! – aber auch nicht der älter gewordenen Theodor Gärtner, der Chemiker Gärtner, meinetwegen der chilenische Professor Gärtner zu sein."

Mein Freund unterbrach mich mit ruhiger Miene:

"Da hast du freilich recht, mein Lieber! Der chilenische Professor Gärtner ist im Weltmeer – –" hier machte mein Gegenüber eine weitausholende unbestimmte Bewegung mit der Hand, die ich dennoch richtig zu deuten meinte, "schon vor längerer Zeit ertrunken –"

Mir gab es einen Stich ins Herz. Also doch! – fuhr es mir durch den Sinn, und ich muß wohl dem Freund entgeistert ins Gesicht gestarrt haben, denn er lachte plötzlich grell auf, schüttelte scheinbar belustigt den Kopf und entgegnete:

"Nicht so, mein Lieber! Ich glaube, Gespenster pflegen nicht Zigarren und Tee – übrigens einen ungewöhnlich guten Tee – zu genießen. – Aber –", sein Gesicht und seine Stimme kehrten in ihren vorigen Ernst zurück – "aber wahr ist allerdings, daß dein Freund Gärtner – – tot ist."

"Und wer bist du?" fragte ich leise, aber doch mit einemmal ganz ruhig, denn die Lösung meines rätselhaften Zustandes erschien mir wie willkommene Befreiung, – "nochmals: wer bist du?" –

Der "Andere" nahm, wie um recht ausdrücklich zu betonen, daß er wirklich und leibhaftig sei, eine frische Zigarre aus dem Kistchen, befühlte und beroch sie kennerhaft und mit Behagen, schnitt die Spitze ab, entzündete ein Streichholz, ließ es mit den langsam in den Fingern gedrehten Ende der Zigarre in gemeinsamer Flamme aufleuchten und tat die ersten genießerischen Züge mit so schlichtem Wohlbehagen, daß auch einem Ängstlicheren als ich jeder Zweifel an dem sozusagen bürgerlichen Zustande meines Gastes hätte schwinden müssen. Dann streckte er sich in seinem Lehnstuhl aus, schlug ein Bein übers andere und begann:

"Ich habe gesagt, daß Theodor Gärtner tot sei. Zunächst – könntest du denken – ist das eine nicht ungewöhnliche, wenn auch etwas hochtrabende Redensart, wenn einer von sich sagen will, er wünsche, aus welchen Gründen immer, mit seiner Vergangenheit abzubrechen und einen neuen Menschen anzuziehen. Nimm einmal an, es sei so von mir gemeint."

Ich unterbrach mit solchem Ungestüm, daß ich mich über mich selbst heimlich wunderte:

"Nein, das ist es nicht! Dein eigenstes innerstes Wesen ist nicht verändert, bewahre! – Es ist mir aber fremd, es ist nicht: Theodor Gärtner! – ist nicht der einst so beflissene Naturforscher, der geschworene Feind aller Wunder, aller Geheimnisse! – nicht der, der von muffigem Aberglauben, von hoffnungsloser Dummheit sofort zu sprechen bereit war, wenn ein Gesprächsgegner auch nur im geringsten das Unberechenbare im Leben der Dinge berührte oder gar das Unerforschliche als das Wesen der Natur zu behaupten wagte. – Der Blick dessen aber, der mir gegenüber sitzt, ist fest und stet auf den Urgrund, jawohl: den Urgrund der Dinge gerichtet, und die Worte, die ich von dir zu hören bekomme, verraten, daß du die Geheimnisse liebst! – Das bist nicht du, Theodor Gärtner, nicht du – und dennoch bist du ein Freund, ein sehr alter guter Freund von mir, –- den ich nur beim Namen zu nennen nicht vermag."

"Wenn du es so meinst, ist es mir auch recht", erwiderte mein Gast mit Ruhe. Sein Blick bohrte sich auf eine unbeschreibliche Weise in den meinen, und in mir stieg mit langsamer Qual die tastende Erinnerung an eine längst und tief vergessene Vergangenheit empor, von der ich nicht hätte sagen können, ob sie einem Traum der gestrigen Nacht oder dem Wiedererwachen einer hundertjährigen Erlebniskette entstammte. Indessen fuhr Gärtner unbeirrt fort:

"Da du selbst bemüht bist, mir bei der nun einmal nötig gewordenen Erklärung deiner Zweifel behilflich zu sein, so darf ich vielleicht manches einfacher und kürzer sagen, als es sonst tunlich wäre. – Wir sind alte Freunde! Das stimmt. – Nur der 'Doktor Theodor Gärtner', dein ehemaliger Studienfreund, der Kamerad deiner gleichgültigen Studentenjahre, hat damit wenig zu tun. Mit Recht dürfen wir daher von ihm sagen: er ist tot. Mit Recht erkennst du: ich bin ein anderer. – Wer ich bin? Ich bin Gärtner."

"Du hast deinen Beruf gewechselt?" wollte ich einfallen, aber ich unterdrückte noch rechtzeitig die alberne Frage. Jener fuhr fort, ohne auf meine Bewegung zu achten:

"Mein Gärnterberuf hat mich den Umgang mit Rosen gelehrt, mit den Rosen und ihrer Veredelung. Meine Kunst ist das Okulieren. Dein Freund war ein gesunder Stämmling; der, den du vor dir siehst, ist das Propfreis. Die Wildblüte des Stämmlings ist dahin. Der, den meine Mutter gebar, ist längst im Meer des Wechsels ertrunken. – Der Stämmling, – das Kleid – das mich trägt, das gebar die Mutter eines anderen – eines einstmaligen Studenten der Chemie, Theodor Gärtner mit Namen, den du gekannt hast und dessen unreife Seele das Grab durchmessen hat."

Mich überlief ein Schauer. Rätselhaft wie seine Rede saß vor mir die ruhige Gestalt meines Gastes. Wie von selbst formten meine Lippen die Frage:

"Und warum bist du nun hier?" –

"Weil es Zeit ist", antwortete mit einer Miene der Selbstverständlichkeit mein Gegenüber. Lächelnd fügte er hinzu:

"Ich melde mich gern, wenn man mich braucht!"

"Und du", – so sagte ich, ohne auf den Zusammenhang meiner Worte mit den seinen zu achten, – "du bist also – – nicht mehr Chemiker und nicht mehr – – –?"

"Ich bin es immer gewesen, auch als dein Freund Theodor auf die Geheimnisse der königlichen Kunst geringschätzig wie eben ein Ignorant herabsah. Ich bin und war, soweit mein Gedächtnis zurückreicht: Al-chimiker."

"Wie ist das möglich? – Alchimist?" fuhr es mir heraus, "du, der ehemals –?"

"Der ich ehemals –?"

Da fiel mir ein, daß doch der Theodor Gärtner von ehedem tot war.

Der "Andere" aber fuhr fort:

"Vielleicht erinnerst du dich, einmal gehört zu haben, daß es zu allen Zeiten Stümper und Meister gegeben hat. – Du denkst an etwas Stümperhaftes, wenn du an die Alchimie der mittelalterlichen Quacksalber und Panscher denkst, aus ihrer Afterkunst hat sich allerdings die gepriesene Chemie dieser Zeit entfaltet, auf deren Fortschritte dein Freund Theodor so kindisch stolz war. – Die Quacksalber des finsteren Mittelalters sind jetzt zu hochgeschätzten Professoren der Chemie an den Hohen Schulen avanciert. – Wir aber von der 'Goldenen Rose' haben uns nie damit befaßt, die Materie zu zerlegen, den Tod hinauszuschieben und den Hunger nach dem verfluchten Spielzeug Gold zu vermehren. Wir sind geblieben, was wir waren: Laboranten des ewigen Lebens."

Wieder durchzuckte mich mit fast schmerzhaftem Berührungsgefühl fernste, ungreifbare Erinnerung; ich hätte aber um nichts in der Welt zu sagen vermocht, warum und wohin diese Erinnerung mich rief. Ich unterdrückte eine Frage und nickte nur zustimmend. Mein Gast sah es, und wieder lief das seltsame Lächeln über sein Gesicht. Ich hörte ihn sagen:

"Und du? Was ist in all der langen Zeit aus dir geworden?" – Sein rascher Blick überflog meinen Schreibtisch: "Ich sehe, du bist – – Schriftsteller. Ach ja! Du versündigst dich also gegen die Bibel? Wirst Perlen vor das Publikum. Kramst in alten vermoderten Urkunden – das hat du immer gern getan – und gedenkst die Welt mit den Sonderbarkeiten eines vergangenen seltsamen Jahrhunderts zu unterhalten? Ich glaube, diese Welt und diese Zeit hat nur wenig Sinn – – für den Sinn des Lebens."

Er hielt inne, und wieder fühlte ich den Hauch von tiefer Schwermut, der sich über ihn und mich zu lagern begann; ich raffte mich fast gewaltsam auf und suchte den Druck abzuschütteln, indem ich anfing, von meinen Arbeiten an der Erbschaft meines Vetters John Roger zu erzählen. Ich tat es mit zunehmendem Eifer und Vertrauen und spürte es wie eine Wohltat, daß Gärtner mir aufmerksam und ruhig zuhörte. Je länger ich erzählte, desto stärker wurde in mir das Gefühl, er halte Hilfe für mich stets bereit, wenn ich sie von ihm brauchen sollte. Zunächst freilich hörte ich aus seinem Munde nur ein gelegentliches "So, so", bis er plötzlich aufschaute und unvermittelt fragte:

"Zuweilen also scheint es dir so, als mischte sich in deinen Chronistenberuf oder in dein Herausgeberamt wie eine Last das eigene Schicksal, das dich mit den toten Dingen der Vergangenheit in gefährlicher Weise zu verstricken droht?"

Ich erzählte ihm mit einer wahren Gier, mein Herz auszuschütten, beginnend mit dem Baphomet-Traum, alles, was ich in den Wochen, seit ich die Erbschaft John Rogers erhalten, erlebt und erlitten hatte; ich vergaß nichts.

"Hätte ich John Rogers Hinterlassenschaft doch nie gesehen!" so schloß ich meine Beichte, "dann säße ich jetzt in Ruhe hier, und mein Ehrgeiz als Schriftsteller – das bitte ich mir zu glauben – wäre dieser Ruhe gern geopfert."

Mein Gast sah mich durch das Gewölk des Zigarrenrauchs lächelnd an; für einen Augenblick schien es mir fast so, als beginne sein Bild vor meinem Blick zu schwinden und im Nebel sich aufzulösen. Eine brustbeklemmende Angst quoll da plötzlich in mir empor, er könnte mich verlassen wollen auf irgendeine Weise – und dieser Gedanke erfüllte mich mit solch schmerzhaftem Schreck, daß ich unwillkürlich die Hände hob. Er schien es zu bemerken, und indem die Rauchwolke sich verzog, hörte ich ihn lachen und sagen:

"Danke dir für deine Aufrichtigkeit! – Willst du so gern meinen Besuch wieder los sein? Denn bedenke immerhin, daß ich hier kaum bei dir säße, wenn dein Vetter John Roger die Erbschaft – behalten hätte."

Ich fuhr auf:

"Du weißt also mehr von John Roger! – Du weißt, wie John Roger starb!"

"Sei ruhig", war die Antwort. "Er starb, wie er mußte."

"Er starb an dieser verfluchten Erbschaft des John Dee?!"

"Nicht so, wie du wohl meinst. Es liegt kein Fluch darauf."

"Warum hat nicht er diese Arbeit – diese sinnlose, überflüssige Arbeit vollendet, die nun mir über den Hals gekommen ist? – –

"Und die du freiwillig auf dich genommen hast, mein Freund! – Denn: bewahre oder verbrenne, hieß es doch wohl?!"

Alles, alles wußte dieser Mann da vor mir im Sessel!

"Ich habe nicht verbrannt", sagte ich.

"Du hast wohl daran getan!" – Er hatte also meine Gedanken erraten.

"Und warum hat John Roger nicht verbrannt?" fragte ich leise.

"Vermutlich war er nicht der geeignete Vollstrecker des Testamentes."

Hartnäckigkeit befiel mich wie ein Fieber:

"Und warum war er es nicht?"

"Er starb."

Ein Schauer überlief mich. Ich ahnte jetzt, woran mein Vetter John Roger gestorben war: an der schwarzen Isaïs war er gestorben!

Freund Gärtner stieß seine Zigarre in die Aschenschale und drehte sich mit halbem Körper meinem Schreibtisch zu. Mit spielender Hand betastete er die Papiere, die dort flatterten oder in Stößen umherlagen, blätterte darin herum und zog mit gleichgültigem Griff wie zufällig ein Blatt hervor, das mir bisher sonderbarerweise entgangen war; es mochte zwischen den Deckblättern des Deeschen Tagebuchs gesteckt haben oder wo immer. Ich neigte mich gespannt vor. – "Kennst du das? Es scheint: noch nicht!" sagte er zu mir, nachdem er das Blatt überflogen hatte, und reichte es mir hin. Ich schüttelte den Kopf und las – das Schriftstück trug die steile Handschrift meines Vetters Roger –:

Es kam, wie du es längst geahnt! Ich erwartete es, schon als ich begonnen hatte, mich mit dem verstaubten unheimlichen Nachlaß meines Urahns John Dee zu beschäftigen. Es scheint, ich bin der Erste, dem 'es' begegnet. Ich, Roger Gladhill, der Herr des Wappens, stehe in der Kette, die mein Ahnherr sich schuf. Ich bin beteiligt, sehr wirklich beteiligt an diesen fluchbeladenen Dingen, die ich nun einmal berührt habe. – – Das Erbe ist nicht tot! – – Gestern war 'sie' zum erstenmal bei mir. Sie ist sehr schlank, sehr schön und aus ihren Gewändern kommt ein feiner, kaum zu spürender Raubtiergeruch. Meine Nerven sind seitdem so erregt, daß ich immer an sie denken muß. – Lady Sissy nennt sie sich, aber ich kann kaum glauben, daß das ihr wirklicher Name ist! – Eine Schottin ist sie, so behauptet sie. – Eine rätselhafte Waffe will sie von mir! – Eine Waffe, die schon in meinem alten Wappen der Dees von Gladhill angedeutet sei. – Ich habe ihr beteuert, ich besäße keine solche Waffe, aber sie lächelt nur. – Seitdem habe ich keine ruhige Stunde mehr! Ich bin wie besessen von dem Wunsch, Lady Sissy, oder wie sie wirklich heißen mag, die Waffe zu verschaffen, nach der sie verlangt, und sollte es mich Leben und Seligkeit kosten. – – Oh, ich meine zu wissen, wer 'Lady Sissy' in Wirklichkeit ist – – –!

John Roger Gladhill."

Das Blatt entglitt meiner Hand und wirbelte zur Erde. – Ich sah meinen Gast an. Der zuckte die Achseln.

"Daran starb also mein Vetter Roger?!" fragte ich.

"Ich glaube, er verlor sich an die neue Aufgabe, die ihm die 'fremde Dame' stellte", sagte der, den ich nicht mehr Theodor Gärtner zu nenne wage. Ein wildes Heer von finsteren Gedanken brauste über mich hin: Lady Sissy? Wer ist das?!: die Fürstin Chotokalungin, wer sonst!! Und sie ist?: die schwarze Isaïs, wer sonst!! – Die Isaïs des Bartlett Green!! – Das ist, aufgerissen, die Hinterwelt des Dämonenreiches, dem sich John Dee verschrieb und nach ihm der unbekannte Angstverfolgte, der die Einträge in John Dees Diarium machte, aus denen das Entsetzen schreit – – und nach ihm mein Vetter Roger – und nach ihm: ich – – ich, der ich Lipotin gebeten habe, alles aufzubieten, damit ich der Fürstin ihren sonderbaren Wunsch kann!

Der Freund mir gegenüber richtete sich langsam in seinem Sessel auf. Sein Gesicht schien mir heller, seine Gestalt jedoch undeutlicher als zuvor. Seine Stimme verlor unterm Sprechen den körperlichen Ton der räumlichen Gegenwart; er flüsterte:

"Du bist der letzte Herr des Wappens! Die Strahlen aus dem grünen Spiegel des Gewesenen sammeln sich alle auf den Scheitel deines Hauptes. Bewahre oder verbrenne! Aber vergeude nicht! Die Alchimie der Seele befiehlt die Verwandlung oder den Tod! Wähle frei – –"

Ein krachender Donner, als stießen Gewehrkolben mit aller Gewalt an zolldicke Türen, ließ mich auffahren: Ich saß in meinem Studierzimmer allein, vor mir stand Lipotins Geschenk, der alte englische, grünüberlaufene Spiegel im florentinischen Rahmen; nichts mehr da von der gewohnten Umgebung war im geringsten verändert, aber an meine Tür pochte es soeben zum zweitenmal mit sehr bescheidenem, keineswegs donnerähnlichem Ton.

Auf meinen Hereinruf wurde geöffnet, und eine junge Dame stand ziemlich schüchtern im Türrahmen. Sie stellte sich vor: "Ich bin Frau Fromm."

Verwirrt stand ich auf. die junge Frau gefiel mir auf den ersten Blick. Ich gab ihr die Hand und schaute dann zerstreut auf meine Taschenuhr. Frau Fromm bezog diese vielleicht ein wenig unhöflich scheinende Handlung auf sich und bemerkte mit leiser Stimme:

"Ich habe versucht, mich heute mittag zu entschuldigen; ich war verhindert, vor acht Uhr abends meinen Dienst anzutreten. Ich hoffe, mein Wort richtig gehalten zu haben."

Das hatte sie getan. Meine Uhr wies auf zweiundfünfzig Minuten nach sieben.

Ich selbst war also seit kaum zehn Minuten zu Hause. –

Dies alles ist am gestrigen Abend genauso geschehen, wie ich es hier zu Papier gebracht habe. Immer tiefer, so will es mir scheinen, blicke ich in die abgründigen Zusammenhänge, die irgendwie zwischen meinen eigenen Erlebnissen und den Schicksalen John Dees, meines Ahnherrn, bestehen. Nun ist da auch schon der "Grüne Spiegel" leibhaftig in meiner Hand, von dem er in seinem Tagebuch spricht.

Und dieser grüne Spiegel, woher habe ich ihn?

Er stammt aus Lipotins Rumpelkammer; er ist mir überlassen worden als "Gruß und Geschenk aus seiner ehemaligen Heimat". – Aus welcher Heimat? Aus der Heimat des russischen Zaren, Iwans des Schrecklichen? Als Gabe des Enkelenkels Mascees, des Magisters des Zaren!?

Wer aber war Mascee?

Nichts einfacher, als kalten Sinnes und ruhigen Blutes die Tagebücher John Dees zu befragen: Mascee war der böse Dämon des Pöbelaufstandes der "Ravenheads"; er war der Überbringer der Botschaften und verhängnisvollen Gaben des ruchlosen Rabenhauptes, des Grabschänders, des Mordbrenners Bartlett Green, des Isaïssohnes, des Zerstörers, des unsterblichen Erzfeindes und Verführers, des Rotbarts im Lederkoller, den ich erst gestern hinter dem Schreibtisch gesehen habe! – Er ist also gegenwärtig, jener Bartlett Green, – er ist da: er, der Feind John Dees, der jetzt auch mein Feind ist! – Und er, er hat mir durch Lipotin den grünen Spiegel in die Hände geschmuggelt! –

Aber ich werde mich zu hüten wissen vor den Befehlen, die aus diesem Spiegel kommen; sonderbar nur ist und bleibt, daß als erster mein Freund Theodor Gärtner aus dem Spiegel trat. – Er ist doch gekommen als Freund, als Warner, als Helfer! Soll ich an ihm zweifeln? Was will mich da verwirren?!

Oh, wie bin ich gelassen und einsam auf diesem messerscharfen Gebirgsgrat des Bewußtseins, auf dem ich stehe und von dem aus ich in gähnende Abgründe – nach beiden Seiten hin – hinabschaue; Abgründe des Wahnsinns, die mich zu verschlingen drohen, sobald ich den geringsten Fehltritt tue!

Ein drängendes Verlangen befällt mich schon wieder mit neuem Ungestüm, in die Geheimnisse des Deeschen Erbes immer klareren Einblick zu gewinnen, immer stärkere Bestätigungen meines eigenen Schicksals ihm zu entreißen. Diese gefährliche Neugier, ich fühle es, ist zur Besessenheit angewachsen, der ich keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen vermag. Es ist bereits Schicksal geworden. Ich habe nun keine ruhige Stunde mehr, bis dieses Schicksal sich erfüllt hat; ich muß das Wasser meines Lebens in den Strom des alten Geschlechts mischen, das gleichsam unterirdisch zu mir heranfloß, unter meinen Füßen hervorbricht und nun nach mir verlangt – –

Ichd habe demnach meine Anordnungen getroffen.

Frau Fromm hat strengen Befehl, mir für die nächsten Tage jede Störung, jeden Besuch energisch vom Leibe zu halten. Freunde erwarte ich nicht; ein Vereinsamter wie ich hat keine Freunde. Und die andern – Gäste? Oh, ich fühle klar und deutlich sie alle, die draußen vor meiner Schwelle stehen! Ich werde den Eintritt wehren! Weiß ich doch, Gott sei Dank, was sie von mir wollen.

Ich gab darum soeben Frau Fromm genaueste Weisung und ausdrückliche Beschreibung obendrein, ein Herr Lipotin, von dem und dem Aussehen, ist – abzuweisen! Eine Dame, sie nenne sich, wie sie wolle, zum Beispiel: "Fürstin Chotokalungin", ist abzuweisen!

Merkwürig übrigens: als ich meiner recht scheuen und sonderbar schüchternen neuen Hausdame die Gestalt und Erscheinung der Fürstin beschrieb, da überlief sie ein merkliches Zittern, und ihre hübsche kleine Nase bewegte die Nüstern, als wittere sie leibhaftig den unerwünschten Besuch jetzt schon. Sie versicherte mir mit ängstlichem Nachdruck, daß sie genau nach meinen Wünschen handeln, daß sie aufs sorgfältigste acht haben und alles bestimmt und klug einrichten werde, damit ein Besuch nicht einmal bis zur Vordertüre gelangen könnte.

Ihr Eifer ließ mich aufschauen, und indem ich kurz dankte, sah ich meine neue Hausgenossin zum erstenmal und unwillkürlich etwas genauer an. Sie ist mittelgroß und mehr zierlich als frauenhaft; dennoch lebt etwas in ihren Augen und in ihrem Wesen, das verbietet, ihre Erscheinung jugendlich oder gar mädchenhaft zu nennen. Ihr Blick ist sonderbar alt, verschleiert und fern. Man möchte sagen: er ist beständig auf der Flucht vor sich selbst oder vor der augenblicklichen Umwelt, auf die er widerwillig gerichtet ist.

Mich durchzuckte in jenem Moment der Beobachtung ein halbklarer Gedanke an mein ratloses Alleinsein, wie ich es gestern abend erstmals mit schmerzlicher Schärfe empfunden hatte, aber auch an das unheimliche Umringtsein von fremden Wesen und Einflüssen gleich denen des gespenstischen Bartlett Green. Und wie ich so an ihn dachte, da fühlte ich ihn wieder schreckhaft nahe, und das Empfinden durchkroch mich: ist diese Frau Fromm auch eine jener Masken? Versteckt sich ein Gespenst in dieser jungen Frau und drängt sich in der Gestalt einer Haushälterin in mein bedrohtes Leben?

Mag sein, daß ich Frau Fromm, wie sie so vor mir stand, länger und forschender anschaute, als ihrem zurückhaltendem Wesen erträglich sein konnte, – sie errötete jedenfalls heftig, und das hilflose Zittern befiel sie zum andernmal. Dabei sah sie mich mit einem so angstvollen Ausdruck an, daß ich mich schämte, als mir einfiel, was sie sich wohl von mir denken mußte. Ich schüttelte also meine törichten Gedanken von mir ab und gab mir Mühe, den ungünstigen Eindruck so schnell wie möglich zu verwischen, indem ich mir mit zur Schau getragener Zerstreutheit durchs Haar strich und ein paar abgerissene Sätze über Zeitmangel und Einsamkeitsbedürfnis vorbrachte, sie nochmals bittend, mich verständnisvoll gegen unliebsame Störungen zu schützen.

Sie blickte an mir vorbei und sagte in ausdruckslosem Ton:

"Ja. Deswegen bin ich doch gekommen."

Diese Antwort verblüffte mich. Wieder war mir, als spürte ich "Zusammenhänge". Ich fragte unwillkürlich heftiger, als ich wollte:

"Sie haben mit einer Absicht diese Stellung bei mir angetreten? Sie wissen von mir?"

Sie schüttelte leicht den Kopf:

"Nein, ich weiß gar nichts von Ihnen. Es ist wohl auch nur Zufall, daß ich hier bin. – – Manchmal träume ich bloß ..."

"Sie haben geträumt", fiel ich ein, "daß Sie diese Stellung vorübergehend einnehmen werden? – So etwas kommt zuweilen vor."

"Nein; so nicht."

"Wie denn?"

"Ich habe den Befehl, zu helfen."

Ich erschrak: "Wie meinen Sie das?"

Sie sah mich gequält an:

"Ich bitte um Verzeihung. Ich schwatze Unsinn. Es geschieht mir manchmal, daß ich mit Vorstellungen kämpfen muß. Aber das bedeutet nichts. – Ich habe jetzt an meine Arbeit zu denken. Verzeihen Sie die Störung."

Sie wandte sich rasch und wollte zur Tür. Ich faßte sie bei der Hand. Der Druck meiner vielleicht ein wenig zu jäh ihr Handgelenk umspannenden Finger schien sie heftig zu erschrecken. Sie zuckte, wie elektrisch getroffen, und stand mit ganz erschlafften Gliedern vor mir. Willenlos überließ sie mir die Hand; ihr Gesichtsausdruck veränderte sich sonderbar, ihr Blick glitt auf einmal ins Leere. Ich verstand nicht, was mit ihr vorging, aber ein merkwürdiges Gefühl ergriff mich: alles das, bis in die kleinste Einzelheit, habe ich doch schon einmal erlebt vor – vor –? – Ohne zu überlegen, was ich tat oder sagte, zwang ich sie mit leichtem Fingerdruck in einen Sessel neben meinem Schreibtisch. Ich hielt ihre Hand fest, und wie aufs Geratewohl kamen mir dabei die Worte in den Mund:

"Mit Vorstellungen, Frau Fromm, haben wir zuzeiten alle einmal zu kämpfen. Sie sagen, Sie wollen mir helfen. Helfen wir uns also – vielleicht gegenseitig. Sehen Sie, ich zum Beispiel kämpfe in den letzten Tagen manchmal mit der Vorstellung, ich – ich sei eigentlich mein eigener Urahn, ein alter Engländer aus dem ..."

Sie unterbrach mich mit einem leisen Schrei. Ich schaute auf. Sie starrte mich an.

"Was erregt Sie?" unterbrach ich mich. Ihr Blick, der durch mich hindurch zu gehen schien, war mir sekundenlang unheimlich und brannte mich im Innern wie Glut.

Frau Fromm nickte geistesabwesend vor sich hin und antwortete:

"Ich bin auch irgendeinmal in England gewesen. Ich war verheiratet mit einem alten Engländer – –"

"Ach so", ich mußte lächeln und empfand eine Erleichterung, hätte aber nicht sagen können, weshalb; gleich darauf wunderte ich mich im stillen darüber, daß die junge Frau schon die zweite Ehe hinter sich haben sollte –, "ach so, Sie waren vor Ihrer Ehe mit Doktor Fromm schon einmal in England verheiratet?"

Sie schüttelte den Kopf.

"– – oder der Herr Doktor Fromm selbst war ...? Verzeihen Sie meine Fragen, aber Ihre bisherigen Schicksale sind mir in den Einzelheiten unbekannt."

Sie machte eine heftig abwehrende Bewegung.

"Doktor Fromm ist nur kurze Zeit mein Mann gewesen. Es war ein Irrtum. Er starb bald nach unserer Trennung. Auch war Doktor Fromm kein Engländer und ist auch niemals in England gewesen."

"Und Ihr erster Gatte??"

"Doktor Fromm hat mich in meinem achtzehnten Jahr aus dem Elternhaus geholt. Ein zweites Mal bin ich nicht verheiratet gewesen."

"Ich verstehe nicht, liebe Frau Fromm –"

"Ich verstehe es ja auch nicht", brachte sie mit gequälter Miene hervor und kehrte ihr Gesicht wie hilfesuchend mir zu –, "ich weiß es ja auch erst seit dem – seit dem Tage, als ich Doktor Fromms Frau wurde, daß ich ... doch einem andern gehöre."

"Einem alten Engländer, wie Sie sagen. Gut. – War er eine Jugendbekanntschaft von Ihnen? Ein Kindheitserlebnis?"

Sie bejahte heftig, fiel aber sogleich wieder in ihre Ratlosigkeit zurück.

"Es ist nicht so, wie Sie meinen. Es ist ganz anders."

Sie raffte sich mit großer Anstrengung in dem Lehnstuhl zusammen, entzog mir ihre Hand, die ich immer noch festgehalten hatte, setzte sich aufrecht und sprach rasch und mit eintönigen Worten, wie in auswendig gelernten Sätzen, das, was ich hier nur in den Hauptpunkten feststelle:

"Ich bin die Tochter eines Gutspächters in der Steiermark. Ich bin meines Vaters einziges Kind. Ich bin in guten Verhältnissen aufgewachsen. Später hatte mein Vater Unglück, und wir sind verarmt. Ich habe als Kind mehrere kleine Reisen gemacht, aber niemals über die Grenzen Österreichs hinaus. Ich war, bevor ich heiratete, ein einziges Mal in Wien. Das war meine größte Reise. Trotzdem habe ich als Kind oft von einem Haus und einer Gegend geträumt, die ich niemals mit wachen Sinnen gesehen habe. Ich wußte damals immer: das ist ein Haus und eine Landschaft in England. Aber wieso ich das gewußt oder gemeint habe, kann ich nicht sagen. Es wäre auch nur selbstverständlich, alles das für eine kindische Einbildung zu halten, obwohl ich die Gegend, die ich geträumt habe, mehrmals einem entfernten Verwandten von uns, der Praktikant bei meinem Vater und bei englischen Freunden von uns aufgewachsen war, beschrieb: ich träumte wohl von schottischen Bergen oder zuweilen auch von Richmond, denn diese Landschaften paßten haargenau auf meine Beschreibung, nur sei vieles dort bei weitem nicht so altertümlich, wie ich es zu sehen meinte. Indessen ist mir auch von anderer Seite her eine sonderbare Bestätigung zugekommen, wenn man es so nennen will. Oft träumte ich als Kind auch von einer alten und düsteren Stadt mit solcher Genauigkeit und Deutlichkeit, daß es mir mit der Zeit möglich wurde, darin umherzuwandern und Straßen, Plätze und Häuser aufzusuchen mit größter Sicherheit; und stets fand ich dort, was ich zu sehen gesucht hatte, so daß ich kaum mehr sagen kann, ich hätte nur geträumt. Diese Stadt kannte unser englischer Verwalter nicht, und er meinte auch, sie läge sicherlich nirgends in England. Sie müsse unbedingt viel eher eine alte Stadt des Festlandes sein. Sie liegt zu beiden Seiten eines mittelgroßen Flusses, und eine alte steinerne Brücke, beiderseits aus finsteren Toren und Wehrtürmen hervorspringend, verbindet die beiden Stadtteile. Und über dem einen, eng von Häusern umdrängten Ufer erhebt sich zwischen reich begrünten Hügeln eine breit und überaus mächtig gelagerte Burg. – Eines Tages sagte man mir, das sei Prag. Aber vieles von dem, was ich genau beschreiben konnte, schien nicht mehr vorhanden, oder anders geworden, obschon auf einem älteren Plan manches dem entsprach, was ich so genau kannte. – Ich bin bis heute noch nicht nach Prag gekommen und habe Angst vor dieser Stadt. Ich möchte sie nie, nie mit lebenden Füßen betreten! Wenn ich lange an sie denke, packt mich ein wildes Entsetzen, und ich sehe einen Menschen im Geiste, dessen Anblick – ich weiß nicht weshalb – mir das Blut in den Adern erstarren macht. Er hat keine Ohren; sie sind ihm abgeschnitten, und blutrote Narben umsäumen die Löcher an beiden Seiten seines Kopfes. – Mir ist, als sei er der böse Dämon dieser furchtbaren Stadt. Diese Stadt, ich weiß es gewiß, würde mich unglücklich machen und mein Leben zerstören!"

Frau Fromm stieß die letzten Worte mit so heftiger Abwehr hervor, daß ich sie erschrocken unterbrach. Meine erregte Bewegung rief sie zu sich selbst zurück; ihre Züge glätteten sich, sie strich sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte sie den Anblick, den sie gehabt, wegwischen. Dann, sichtlich erschöpft, fügte sie in abgerissenen Sätzen hinzu:

"Wenn ich will, kann ich mich auch bei wachen Sinnen in jenes Haus versetzen, das einmal in England gestanden hat. Ich kann darin wohnen, wenn ich will, stundenlang und tagelang; und je länger, desto deutlicher wird dort alles. Ich bilde mir dann ein – nicht wahr, so sagt man –, ich bilde mir dann ein, mit einem alten Herrn dort verheiratet zu sein. Ich kann ihn sehr deutlich sehen, wenn ich will, nur ist alles, was ich wahrnehme, in ein grünliches Licht getaucht. Es ist so, als ob ich in einen alten grünen Spiegel blickte – –"

Wieder unterbrach ich sie mit einer heftigen Bewegung. Meine Hand griff nach dem florentinischen Rahmenspiegel Lipotins, der auf meinem Schreibtisch steht. Frau Fromm schien aber nicht darauf zu achten. Sie fuhr fort:

"Vor einiger Zeit habe ich erfahren, daß ihm Gefahr droht." –

"Wem droht Gefahr?"

Ihr Gesicht nahm wieder den fernen Ausdruck an; sie machte in diesem Augenblick den Eindruck einer beinahe Bewußtlosen; dann trat Angst in ihre Züge. Sie stammelte: "Meinen Gatten."

"Sie wollen sagen: dem Doktor Fromm?" führte ich sie absichtlich in Versuchung.

"Nein! Doktor Fromm ist doch tot! Vielmehr meinen richtigen Gatten – – dem Herrn in unserm Hause in England ..."

"Lebt er heute noch dort?"

"Nein. Er lebte dort vor langer, langer Zeit."

"Wann lebte er dort?"

"Das weiß ich nicht. Es ist sehr lange her."

"Frau Fromm!"

Sie fuhr auf:

"Habe ich Unsinn geschwatzt?"

Ich schüttelte, keines Wortes mächtig, den Kopf.

Sich entschuldigend, erzählte sie weiter:

"Mein Vater nannte es 'Unsinn schwatzen', wenn ich von meinen Zuständen erzählte. Er wollte das nicht. Er nannte es: 'krank'. Seitdem fürchte ich mich, davon zu sprechen. – Nun haben Sie das gleich am ersten Tag von mir erfahren! Sie werden ebenfalls denken: die Frau ist krank und hat es verschwiegen, – hat sich diese Stellung erschlichen, und – und ich fühle doch, daß ich hier an meinem Platze und daß ich hier sehr nötig bin!" ...

Sie sprang erregt auf. Ich suchte vergebens, sie zu beruhigen. Nur allmählich konnte ich sie mit der Versicherung beschwichtigen, daß ich sie keineswegs für krank hielte und daß sie ihre Stellung bei mir bestimmt behalten könnte, solange der Urlaub meiner alten Wirtschafterin dauere.

Das schien sie zu beruhigen. Sie lächelte dankbar und befangen.

"Sie werden sehen, daß ich meinen Pflichten, die ich übernommen habe, genügen kann. Darf ich jetzt an meine Arbeit gehen?"

"Eins noch, Frau Fromm: können Sie mir, ungefähr wenigstens, beschreiben, wie jener alte Mann in dem Hause bei Richmond aussieht? Und wissen Sie gar, wie er heißt?"

Sie besann sich. Erstaunen trat in ihre Mienen.

"Wie er heißt? Nein, das weiß ich nicht. Ich habe nie daran gedacht, daß er einen bestimmten Namen haben müsse. Ich nenne ihn nur: 'Er'. – Aber wie er aussieht? Er sieht ... Ihnen ähnlich, mein Herr. – Ich habe viel an Ihnen gutzumachen!" – Damit war sie auch schon zur Tür draußen.


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