Johann Meyer
Märchen
Johann Meyer

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Adam und Eva.

Drüben, dem großen Hause des reichen Kaufmanns gegenüber, wohnte der Konditor. Es war im Dezember und am Nachmittage vor dem Vierundzwanzigsten, da ging die Glocke in einem fort, und Georg mit der sauberen Schürze vor, in schneeweißer Jacke und Mütze, bediente heute die Kunden. Freilich nur heute und in dieser Stunde, denn sonst tat's die Frau Meisterin; nun aber schlief sie zu Mittag, denn sie hatte die Nacht hindurch mit in der Backstube gesessen, und auch der Meister schlief, und Georg hatte die Wirtschaft allein. Er war der Lehrling und pfuschte sozusagen noch ins Handwerk; aber das Handeln verstand er gut, und auch im braunen Gebäck war er kein Dummkopf mehr, das hatte er gezeigt noch in der letzten Nacht da unten in der Backstube, als dem Meister und der Frau Meisterin die kleinen Zuckerpuppen in allerlei Trachten und Farben nur so aus den Händen hüpften, und der alte Geselle die hübschen Kirschen und Pflaumen, die Erdbeeren und Aprikosen, alles vom feinsten Marzipan und ordentlich mit Stengeln, nur so über den Tisch rollte, als ob's Kartoffeln wären.

Georg, hatte der Meister gesagt, da ist Teig, nun schau, wie mir es machen und sorge für die Bauern. Und da hatte denn Georg hinein gegriffen in den großen braunen Klumpen, welchen der Meister so vor ihn hingeschoben, und allerlei Tiere daraus gemacht, Pferde und Kühe, Schafe und Schweine und auch Hunde und Hühner und sonst noch allerlei, wie's der Bauer so hat und liebt; denn auch Georg war vom Lande und kannte seine Jugendfreunde.

Es war schon spät. Der Wächter hatte auf drei gerufen. Der große Klumpen war kleiner und kleiner geworden, und fast alle Platten waren voll. Eben nahm Georg den Rest, streute Mehl darauf und ließ die Rolle darüber gleiten. Mit einem großen Hahn wollte er sein Nachtwerk beschließen, der könnt' gerade noch daraus werden, und schon setzte er das Messer daran, um ihn heraus zu schneiden, als er sich plötzlich besann und die Hand wieder sinken ließ. Ihm kam eine Idee, und die Idee ward zum Ideal, und das Ideal waren Adam und Eva; aber nicht die im Paradiese, sondern die auf dem alten eisernen Ofen daheim im Elternhause. Das war von jeher sein Lieblingsbild gewesen, und unzähligemale hatte er so davor gestanden und es betrachtet; den großen Apfelbaum mit der Schlange und den Adam und die Eva so ganz nackt und nur mit dem Feigenblatt. Halt, dachte er, die sollst du machen! und rasch ging er ans Werk. Einmal ist keinmal, aber bei Georg war's gleich das erste Mal auch schon einmal; denn er traf sie nach dem Leben. Nur der Baum fehlte mit all den Blättern, der war ihm zu kraus; aber Adam und Eva waren ihm vortrefflich gelungen. Sie standen Arm in Arm, just so, wie auf dem alten Ofen, und nur den Mund und die Augen und die Nasen hatte er noch nicht gemacht. Da haperte es. – Georg, sagte da wieder der Meister, der's wohl merkte, wo es steckte, – siehst du, darin liegt gerade der Ausdruck; ein Gesicht ohne Augen und eine Visage ohne Nase, das ist nichts; aber dafür sind die Mandeln, die haben den Ausdruck! – Da wußte denn auch Georg schon Bescheid, und wo die Augen sein sollten und der Mund und die Nasen, da drückte er eine große runde Mandel hinein, schneeweiß und zuckersüß wie zum Einbeißen. Und nun kam auch noch der Meister und fügte den letzten Schmuck hinzu; es war das Feigenblatt, von Goldschaum. Ja, siehst du, Georg, sagte er wieder, das schimmert, und so mit den Feigenblättern, das ist die reine Natur!

Fertig waren sie! und wer sich darüber freute, das war Georg. Nicht, weil er müde war und es nun zu Bett ging, sondern weil ihm die ersten Menschen, die er überhaupt aus Kuchenteig gemacht, gleich das erste Mal so vortrefflich gelungen waren. Aber nun war's alle, und nach getaner Arbeit ist gut ruh'n. Bald wurde es still im Hause. Nur die Heimchen zirpten noch, sonst lag alles im tiefsten Schlummer.

Da sollte es denn dem Georg passieren, daß er einen Traum hatte. Ihm träumte von Adam und von Eva, an die er noch gedacht, als er sich schlafen legte. Ihm träumte, wie sie vor ihm standen als ein schwergeprüftes Ehepaar, verzweiflungs- und jammervoll, und wie aus den großen Mandelaugen die blanken Tränen nur so hervorquollen. Das tat ihm leid; denn er glaubte, es sei aus Furcht, weil sie morgen in den Ofen und gebrannt werden sollten, und er fragte sie mitleidig, warum sie weinten. Aber er hatt' sich doch geirrt; denn nun klagten sie ihm ihre Not und machten ihm gar bittere Vorwürfe, warum er sie geschaffen habe, das komme doch allein dem lieben Gott zu, weil sie Adam und Eva seien; nun irrten sie umher und könnten's Paradies nicht finden und seien ganz unglücklich. Und dabei schluchzten sie zum Erbarmen und machten dem Georg das Herz so weich, daß auch er anfing zu schluchzen. Das störte aber den alten Gesellen im Schnarchen, und er gab ihm einen Puff und fing so laut an zu schelten, daß Georg davon erwachte. Nun war's freilich nur ein Traum gewesen; doch Träume kommen von Gott, das wußte er aus der Geschichte von dem Joseph und dem Mundschenk und Zuckerbäcker des Königs Pharao in Ägypten, und es ging ihm doch zu Herzen, daß er einen Adam und eine Eva gemacht und nun kein Paradies für sie habe, und das schien ihm auch: nur im Paradiese konnten sie glücklich melden. Aber Georg war kein Dummkopf, ihr wißt es schon. Halt! dachte er, und er hatte wieder eine Idee, – und er legte sich auf die andere Seite und schlief weiter.

Und die Idee, welche er hatte, war gar nicht so übel; ihr sollt sie gleich erfahren.

Da steht er nun im Laden mit der sauberen Schürze vor und in schneeweißer Jacke und Mütze. Und die Frau Meisterin schläft und der Meister auch, und das eine übers andere Mal klingelt's und geht die Ladentür. Kein Wunder, am Nachmittage vor dem Vierundzwanzigsten! Da war ja Weihnachtsmarkt und die Stadt voll Bauern, die Straße voll Menschen, die alle kaufen wollten. Und sie gingen reißend ab, die braunen Tiere, welche Georg in der letzten Nacht aus dem großen braunen Klumpen so emsig geformt hatte; denn der Bauer ist nicht fürs Feine, er liebt das Derbe, und wenn Georg es nur hätte wollen, auch sein Adam und seine Eva würden längst ihren Liebhaber gefunden haben. Aber für diese war etwas ganz anderes die Hauptsache, nämlich die Idee, welche Georg gehabt, als er sich auf die Seite gelegt und weiter geschlafen hatte, und das Paradies, das sie suchten und nicht finden konnten. Auf dem Lande, hatt' er gedacht, da ist's nicht; denn im Paradiese muß es gar hübsch und schön sein; aber nirgends ist's schöner als drüben bei dem reichen Kaufmann. Das hatte auch schon sein Meister gesagt; dem flögen die gebratenen Tauben nur so ins Maul, und er lebe wie ein Gott in Frankreich. Georg hatte zuzeiten auch schon mal einen Blick in des Nachbars prachtvolle Wohnung hineingetan, so morgens, ganz früh, wenn der Meister Bestellung gehabt und drüben Geburtstag war, oder nachmittags, wenn abends eine große Gesellschaft sein sollte. Dann mußte Georg die großen Torten hinüberbringen, und dabei hatt' er gesehen, wie prächtig es im Hause war. Und doch war's nur die Diele gewesen, bis wohin er gekommen war; aber auch die war von Marmor und rundherum standen große, prachtvolle Pflanzen. Das mußten paradiesische sein; denn sie hatten Blätter und Blumen, wie er sie noch nirgends gesehen hatte, und dazwischen stand ja auch ein großer, weißer Engel mit langen Flügeln. Dazu kam noch, was ihm der Bediente erzählt, der immer nachmittags kam, um die Kuchen zum Kaffee zu holen, gerade wenn der Meister und die Frau Meisterin schliefen und Georg im Laden stand. Der hatte ihm von dem Affen erzählt, den sein Herr habe und der so klug sei wie ein Mensch, und von den beiden seltsamen Vögeln mit den hübschen grünen und roten und blauen Federn. Das seien ganz wunderbare Vogel; denn sie könnten wie Menschen sprechen. Und seine Madam habe sogar einen Paradiesvogel, der so schön sei, daß er ihn gar nicht beschreiben könne. Dann hatte Georg so mit offenem Munde dagestanden und Hören und Sehen darüber vergessen, und wenn dann der Bediente wieder fort war, hatt' er sich's immer gesagt, dort müsse es wie im Paradiese sein.

Als ihm nun so in der vergangenen Nacht die Idee gekommen war, hatt' er gemeint, wenn sie dort wären, der Adam und die Eva, so würden sie auch im Paradiese sein, und dahinüber müßten sie, das sei er ihnen schuldig, und wenn der Bediente nur wollte, so ließe sich alles schon machen.

Und eben dachte er's wieder, da klingelte es. Wenn man vom Teufel spricht, so ist er nicht weit, ja mitunter ist er schon da, wenn man nur an ihn denkt. Es war der Bediente. Er trug einen großen Korb, und seine Madam hatte ihn geschickt, um auf Rechnung der Herrschaft einen ganzen Korb voll der feinsten Konditorsachen zu holen für den Weihnachtsbaum der Kinder. Er hatt' ihn schon aufgestellt im großen Saal, dem schönsten Zimmer des ganzen Hauses, gerade da, wo die Vögel waren, welche sprechen konnten, und auch der Paradiesvogel. Nun sollt' er die Sachen kaufen und sie nachher noch daranhängen. Bei uns tut's wohl die Mutter und mit ihr zugleich auch der Vater; aber bei den Reichen, da ist's anders, da ist für solche Lappalien das Bedientenvolk; denn der Baum hat Nadeln, und die stechen, und er riecht nach Harz und ist klebrig.

Also der kam und stellte seinen Korb auf die Tonbank. Doch diesmal erzählte er nichts; denn die Zeit war kurz und der Baum, den er noch behängen sollte, ungeheuer groß. Er bat den Georg nur, daß er ihm die feinsten und besten Sachen zeigen möchte, und fing nun an, das eine Stück nach dem andern in den großen Korb hineinzupacken. Da nahm sich denn Georg ein Herz und sagte, es sei doch nicht alles Gold, was da glänze, und der Schein trüge. In den Zuckerpuppen stecke Holz, das könnten die Kinder leicht in den Hals kriegen, und es sei ja auch Farbe darauf, wonach sie Leibweh bekämen. Er solle sich doch auch die Tiere einmal ansehen, da oben auf den Riegen, solche hätten sie zu Hause bei seinen Eltern auch immer mit im Weihnachtsbaum gehabt. Die seien ja viel größer und paßten darum gewiß auch besser für einen großen Baum und große Leute, und das Beste sei, man könne sie nachher ordentlich zum Kaffee essen, gerade wie braune Kuchen. Und zugleich reichte er ihm einige hinüber, dabei natürlich auch seinen Adam und die Eva, die er noch besonders pries wegen der großen dicken Mandeln und der gold'nen Feigenblätter, die sich bei Licht vortrefflich machen müßten. Das meinte nun freilich der Bediente auch; aber mitnehmen, sagte er, könne er sie doch nicht, denn seine Madam habe ihm ausdrücklich gesagt: Hörst du, Heinrich, von den feinsten Konditorsachen, das sag' ich dir! – aber die da seien ja nur von Kuchenteig, und mit seiner Madam sei nicht zu spaßen. Na legte sich denn der Georg förmlich aufs Bitten und bat ihn, er möchte wenigstens doch den Adam und die Eva mitnehmen; er solle auch einen schönen braunen Kuchen für sich in den Kauf haben, und wenn die gnädige Frau darüber schelten solle, so möge er nur alles auf ihn schieben und ihr sagen, die seien vom Georg, dem Lehrling drüben, und er lasse auch höflich bitten, ob die gnädige Frau es nicht nehmen wolle als Präsent für die Kleinen. Das half; – denn nun kam der Bediente, der doch auch nicht auf den Kopf gefallen war, der Sache erst auf den Grund. Aha, sagte er, also darum! – – – und dabei bewegte er den Daumen über den Zeigefinger, als ob er Geld zählte. Ja, siehst du, sagte er, das ist etwas anderes, Leben und leben lassen, das ist auch so meine Parole, und dein Meister hat sich gegen mich noch nie als Lump bewiesen. Wenn du das meinst, so will ich's tun, weil du es bist, Georg; aber ein Gewitter wird mir's einbringen, und wenn sich meine Madam nachher nichts merken läßt, so gib mir nicht die Schuld. Der Georg schmunzelte, als ob er's wirklich so meinte, und freute sich, daß ihm alles gelungen war; sein Adam und seine Eva waren glücklich im Korbe, und der Bediente bedankte sich für den schönen braunen Kuchen und schleppte für 15 Mark Konditorsachen über die Straße. Als er fort war und der Meister und die Frau Meisterin schon wieder beim Kaffee saßen, kam Georg mit der großen Ladentafel, um es ihnen schwarz auf weiß vorzudemonstrieren, was er soeben alles an den Bedienten von drüben verkauft habe. Und den Adam und die Eva hat er auch genommen, sagte er, und dabei blitzte ihm die Freude aus den Augen; die waren auch gar zu schön, das taten die Mandeln und die gold'nen Feigenblätter. Da schüttelte die Frau Meisterin mit dem Kopf; aber der Meister meinte: der Georg hat Recht; sagt' ich's nicht? – in den Mandeln liegt gerade der Ausdruck, und so mit den Feigenblättern, das ist die reine Natur!

Da waren sie denn zu Georgs Freude schon beid' im Paradiese. Rundherum im Saal standen prachtvolle Topfgewächse; die hatte der Gärtner aus dem Treibhause geholt, um den Saal damit auszuschmücken, das hatte die gnädige Frau befohlen; und der Bediente hatte alle Gipsfiguren aus sämtlichen Stuben holen und dazwischen stellen müssen; denn sie liebte, wie sich Georgs Meister auszudrücken pflegte, den Effekt, und es machte sich in der Tat auch ganz effektvoll, wenn dann alle Lichter und Lampen brannten, so mitten im Grünen, wie Abends in einem schönen Garten. Der Bediente hatte den Korb in den Saal getragen und ihn vorsichtig entleert. Er hatte all die Süßigkeiten auf einen langen Tisch gelegt, auch natürlich das braune Geschenk von Georg mit den großen Mandeln und den gold'nen Feigenblättern, das dazwischen aussah wie Saul unter den Propheten. Der Korb war das letzte gewesen, was er hineingebracht. All die vielen Geschenke für die Kinder lagen bereits auf Tischen und Stühlen umher, und er wollte nur noch die Wachskerzen holen und dann schon anfangen, den großen Baum aufzuputzen. Er nahm seine Mütze und ging. Kaum war er draußen, da fingen die beiden seltsamen Vögel an zu sprechen. Adieu, Heinrich, sagte der eine, besuch' mal wieder! und der andere rief: He, Heinrich, wo steckst du, Schlingel? gnädige Frau hat geklingelt! Damit meinten sie aber den Bedienten; denn er hieß Heinrich.

Adam und Eva hatten bisher noch kein Sterbenswort gesagt. So mit einemmale aus dem Laden des Konditors zuerst in den dunklen Korb und dann wieder in den herrlichsten Saal, – es war ihnen noch alles wie ein Traum, und sie waren so überrascht und bestürzt geworden, daß sie auch gar nicht wußten, was sie sagen sollten. Ihre großen Mandelaugen drehten sich in einem fort und verschlangen mit gierigen Blick bald diesen, bald jenen Gegenstand. Als aber die beiden Vögel angefangen hatten zusprechen, da fing es auch an, sich in ihnen zu regen, und Eva war die Erste, die wieder zu Worte kam. Sie stieß den Adam an und sagte leise: Ach, Adam, sagte sie, wie schön ist es hier! Schau' doch mal die Vögel mit den hübschen Federn, und wie sie sprechen können! und da in der Ecke, den Affen! sieh, sieh! wie possierlich er springt! – Ach, und wie die Wände glänzen und die Blumen duften! und was hier alles zu sehen ist! – Adam wollte antworten; aber sie fiel ihm immer in die Rede, denn sie fand immer wieder etwas Neues. Sieh doch den Paradiesvogel, Adam, sieh, sieh, da im Fenster! – ach und die goldene Uhr und die prachtvollen Spiegel und Bilder! – Und als sie nun vollends erst all' die Geschenke sah, die so rings umher lagen, da hatte ihre Redseligkeit gar kein Ende. Adam, sagte sie, süßer, bester Adam, einen solchen Hut, Adam, was wollt' ich darum geben! Ach, und das Kleid, Adam, da überm Stuhl, Adam, was das wohl kostet? Schau', Adam, da ist auch eine Haube, Adam, wahrhaftig, und lauter echte Spitzen! Und da die Kette, Adam, und die kleine niedliche Uhr, Adam, ach, und der gold'ne Ring, Adam, mit den blitzenden Steinen! – Und so ging es fort, noch eine lange Zeit, bis sie endlich tief Atem holte und erschöpft inne hielt. Da kam denn auch der Adam mal ans Wort, und auch für ihn gab es genug zu preisen. Was ihn aber am meisten freute, das waren all' die kleinen Engel da oben an der Decke und all die großen da unten zwischen den grünen Bäumen und dann aber auch der hübsche Paradiesvogel mit dem prächtigen Gefieder. Er küßte die Eva vor lauter Freude und rief vergnügt: Schau', Eva, rief er, ich glaub's wahrhaftig, wir sind im Paradiese. Gewiß, Adam, sagte sie, das sind wir! Fühlst du's nicht? O, Adam, wie bin ich glücklich! Und Adam meint' es auch, daß er's fühle, und sie meinten's beide, hier wären sie im Paradiese.

Die beiden Vögel, welche sprechen konnten, mochten wohl etwas gemerkt haben, denn sie fingen laut an zu lachen, und das klang so spöttisch, daß Adam und Eva ganz böse darüber wurden. Warum lacht ihr? sagte Eva; denn wenn sie böse war, so konnte sie nun einmal nicht den Mund halten, warum lacht ihr? Ihr solltet lieber beten und dem lieben Gott danken für alle seine Lieb' und Güte. Warum wir lachen? antworteten die Vögel, mitlachen, weil ihr meint, daß ihr hier im Paradiese seid. Sind wir's denn nicht? fiel da Adam dazwischen, seht ihr denn nicht all' die kleinen Engel da oben an der Decke? Die da? lachten da wieder die Vögel, die sind ja alle von Gips! Und hier, sagte wieder Adam, all' die großen im Grünen? Die da? lachten wieder die Vögel, die sind auch von Gips! – Das war der Eva denn doch ein bißchen zu viel; von Gips? fragte sie höhnisch, ja, wenn ihr selber nur nicht von Gips seid! wie heißt ihr denn, und wer seid ihr? – Ich heiße Lore, sagte der eine, und ich auch, sagte der andere, so nennt uns aber nur die gnädige Frau und der Heinrich, der uns das Essen bringt, denn eigentlich heißen wir Papageien. Das mag wohl wahr sein, versetzte Eva, vorausgesetzt, daß ihr nicht lügt; denn ihr kommt mir alle beide recht windbeutelig vor. Das mir aber hier im Paradiese sind, das ist klar, da sitzt ja der leibhaftige Paradiesvogel! Ja, freilich, sagten die Papageien, da sitzt er. Aber für Geld kann man ja den Teufel tanzen sehen, warum nicht auch einen Paradiesvogel besitzen? – Und da erzählte denn nun der eine von ihnen dem Adam und der Eva eine lange Geschichte, wie sich die gnädige Frau immer einen Paradiesvogel gewünscht und der Herr Prinzipal, der viele große Schiffe zur See habe, seinen Kapitänen den Auftrag gegeben, für seine Frau einen Paradiesvogel mitzubringen. Sie hätten sich lange Zeit vergeblich darum bemüht; aber endlich sei es doch dem einen von ihnen gelungen, eines solchen Vogels habhaft zu werden, und der Herr Prinzipal habe ihm nachher auch ganz viel Geld dafür gegeben. Das sei damals gewesen, als er die gnädige Frau noch nicht lange zur Frau gehabt, und jetzt hätt' er's gewiß nicht getan. Und wenn sie's nicht glauben wollten, so könnten sie ja nur den Affen fragen, der sei mit auf demselben Schiffe gewesen; aber auch sie seien ja mit darauf gewesen, deswegen wüßten sie es so genau. Als aber die gnädige Frau mit ihrem Paradiesvogel noch nicht zufrieden gewesen, habe ihr der Herr Prinzipal auch noch ein Geschenk mit ihnen gemacht und mit dem garstigen Affen. Nun ja, meinte Eva, das alles läßt sich hören; aber hier handelt es sich um was ganz anderes, und daß mir hier nicht im Paradiese sind, das mögt ihr anderen weißmachen, wir glauben's doch nicht!

Da polterte etwas in dem Nebenzimmer und fiel mit so entsetzlichem Stoß gegen die große verschlossene Flügeltür, daß der Affe einen weiten Satz machte und Adam und Eva erschrocken zusammenfuhren. Aha, sagte der eine Papagei, das war der Herr Prinzipal, der hat schon wieder einen über den Durst genommen! Ja, sagte der andere, und wenn nun die gnädige Frau darüber zukäme, dann wüßt' ich einen Fehler. Weißt du noch, Lore, vor drei Jahren, als der Brief kam mit dem großen Siegel, welcher die Nachricht enthielt, daß sein bestes Schiff zu Grunde gegangen sei und all' die teuren Kaffeebohnen, die es geladen hatte, obendrein? – da tat er es zum erstenmal, und als da die gnädige Frau darüber zukam und mit ihm zanken wollte, wurde er desperat und warf die Flasche in den Spiegel. Er würde es aber wohl gar nicht getan haben, meinte Lore, wenn er sie wirklich lieb gehabt hätte; aber schon damals habe es ihm die gnädige Frau so gerad' ins Gesicht gesagt, daß er sie bloß des Geldes wegen genommen und es doch ihr zu verdanken habe, wenn aus dem pauvren Lumpen ein reicher Mann geworden sei. Von damals her sei es auch eigentlich gekommen, daß sich der Herr Prinzipal dem Trunke ergeben, und nachher habe ihn dann die gnädige Frau einen Lumpen gescholten von einem Tag zum andern. Ja, sagte darauf der andere Papagei, und als nun auch noch der Wilhelm durchs Examen fiel, der Wilhelm, auf den der Vater gerade so große Stücke hielt, und als er nachher auch noch so gänzlich verbummelte, daß er fort mußte nach Amerika, und als es überdies noch die gnädige Frau durchsetzte, daß das Fräulein Josephine den verlogenen Rittmeister heiratete, bloß darum, weil er ein Graf war, – was er nachher gar nicht einmal war, – da kam der Unfriede vollends ins Haus. Ganz recht, sagte die Lore, und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Da sind nun auch die andern vier; der Oskar und der Hugo und die Klara und Henriette, sind's nicht wahre Rangen? Kein Tag, wo nicht die Jungens mit blutiger Nase oder beschmutzten und zerrissenen Kleidern nach Hause gekommen, kein Tag, wo sie nicht hie oder da eine Scheibe eingeworfen ober einen friedlichen Menschen auf der Straße geneckt und verhöhnt haben. Aber auch kein Tag, wo nicht die Klara in der Schule hat nachsitzen müssen, und kein Tag, wo nicht die häßliche Henriette den armen Heinrich gescholten und die Mädchen in der Küche kujoniert oder wohl gar den Affen so aus purem Mutwillen geschlagen und uns und dem armen Paradiesvogel die Federn ausgerupft hat. Die garstige Dirne die, weil sie Tiere und Menschen quält! und hier sollten wir im Paradiese sein? – – – – –

Adam und Eva waren ganz kleinlaut dabei geworden; so etwas ging denn doch über ihre Begriffe. Was aber nun geschehen, gleich darauf im anderen Zimmer hinter der verschlossenen Tür, das ging sogar noch weit höher. Da war die gnädige Frau gekommen und hatte den Herrn wieder betrunken gefunden, und das eine Wort hatte das andere geholt, und es war ein Lärmen und Spektakel geworden, daß die Wände davon gezittert. Schließlich hatte es wieder gerasselt, wie mit hundert Scherben zugleich, und die Kinder hatten geschrieen, und der Herr hatte geflucht und die gnädige Frau laut aufgekreischt, und bumms! war sie in Ohnmacht gefallen.

Nachher war's stille geworden, und als Heinrich mit den Wachskerzen wieder da war, war die gnädige Frau auch schon wieder auf den Beinen; denn sie folgte ihm auf dem Fuße. Heinrich hatt's wohl schon gerochen, er hatt' eine feine Nase, und machte sich flugs an den Tannenbaum, als ob er die größte Eile hätte. Aber die gnädige Frau suchte nach einem Ableiter; sie war gar zu echauffiert und glühte wie eine Kohle. Und als sie nun so um den Baum ging und an den Tisch kam, worauf die Sachen lagen, welche er vom Konditor geholt, da wollte es sein Unstern, daß sie das Geschenk Georgs, den Adam und die Eva, gewahr wurde. Heinrich, schrie sie, bist du unklug? und das nennst du vom feinsten Konfekt? pfui, sage ich, und noch mal pfui, marsch! und aus dem Hause damit! – Heinrich wollte sich entschuldigen und sagte nun, was ihm Georg gesagt: gnädige Frau mög' es freundlich annehmen, es sei von Georg, dem Lehrlinge drüben, und ein Geschenk für die Kleinen. Aber da fuhr sie erst recht auf und schimpfte auf den Georg, wie der Lehrjunge es überhaupt nur wagen könne, ihren Kindern ein Geschenk zu machen; und Heinrich, um dem Unwetter, das über ihn auszubrechen drohte, nur schleunigst zu entfliehen, machte sich so schnell er konnte, mit dem armen Adam und Eva aus dem Staube.

Da lagen sie nun wieder auf derselben Stelle wie vor wenigen Stunden, und das Paradies, – – sie hatten's noch immer nicht gefunden, und der Georg war trostlos, daß er sie wieder hatte. Er konnte den ganzen Abend nicht darüber zu recht kommen. Solange er zu tun hatte, und es ging auch an diesem Abend wieder ebenso, wie an dem vorhergehenden, brachte ihm die Arbeit noch einige Zerstreuung; als aber der Meister »zu Bett!« kommandiert hatte und der alte Geselle schon längst wieder schnarchte, lag Georg noch wachend und konnte nicht schlafen, weil er immer an den Adam und die Eva denken mußte. Erst spät in der Nacht schlief er endlich ein, und wieder hatt' er denselben Traum, und wieder standen sie vor ihm zu jammern und zu klagen und baten und flehten, er möge ihnen doch das Paradies zeigen, und wieder schluchzten sie und machten auch ihn schluchzen, daß der alte Geselle ihn wieder puffte und an zu schelten fing. Aber diesmal hatte er keine Idee, und er legte sich auch nicht auf die andere Seite und schlief weiter, sondern er machte bis zum hellen Morgen und sann und sann, doch immer umsonst; und als er aufgestanden war und sich gewaschen hatte, sah er aus, als ob ihm alle Petersilie verhagelt wäre. Das merkte denn auch bald der Meister. Georg, sagte er, du hast mir heute morgen ja gar keinen Ausdruck, und so wie du mir heute vorkommst, das ist nicht die reine Natur! Da mußte denn der Georg mit der Sprache heraus, und er erzählte ihm seine Träume und wie es ihm gestern mit seinem Adam und seiner Eva ergangen wäre.

Aber der Meister lachte und sagte, um die sei ihm gar nicht bange; denn sie hatten »Ausdruck«, wovon die reiche Frau im großen Hause nur nichts verstände. Es solle blos die Rechte kommen, dann solle er nur sehen, wie gut noch alles enden werde, und dann würden sie ihn auch sicherlich nicht wieder im Schlafe stören. – Nun, dachte Georg, der Meister wird's wohl wissen; denn den »Ausdruck« haben sie ja gerade durch ihn, und wenn dann nur die Rechte kommt, so wird hoffentlich noch alles gut werden.

Da klingelte es schon wieder. Aber diesmal war's nicht der Heinrich von drüben, sondern eine Frau, welche dem Georg gleichfalls nicht unbekannt war, nämlich die von seines Meisters Leibschuster. Sie war nur einfach, aber sehr ordentlich gekleidet. Georg, der es recht gut wußte, wie armselig die ganze Schusterfamilie wohnte, dachte gleich bei sich selber: das ist auch eine für das braune Gebäck, die feinen Sachen werden ihr viel zu teuer sein. Er irrte sich auch nicht darin; denn sie würdigte die Zuckerpuppen im großen Ladenfenster kaum eines Blickes und sah gleich nach dem braunen Haufen, da oben auf dem Bord, indem sie Georg bat, ihr einige von den Tieren herabzureichen. Nun ließ denn der Georg seine Tiere vor ihr aufmarschieren, und alle sorgfältig musternd und bald dieses, bald jenes nehmend, meinte sie, es sei doch schade, daß es lauter Tiere und daß gar keine Menschen darunter seien; die gehörten doch eigentlich dazu, und die Kinder würden noch einmal so viel Vergnügen davon haben, wenn auch Menschen dazwischen wären. Und indem sie so sprachen, sah sie mit forschendem Blick nach dem großen Haufen hinüber, da oben auf dem Bord, und da gewahrte sie zu ihrer Freude den Adam und die Eva ganz hinten in der Ecke. O, rief sie, das ist ja prächtig, da sind auch Menschen, die müssen mit dabei! Und da half es denn nichts, der Georg mußte ihr sie zeigen, obwohl er viel darum gegeben haben würde, wenn sie sie gar nicht gesehen hätte. Denn wie's da in der Schusterei stand, das wußte er ja, er hatt' ja seines Meisters Stiefeln schon so manchmal dahingebracht. Ein kleines Stübchen und eine große Familie, – viele Kinder und wenig zu beißen, – und daß es da nicht im Paradiese sein könne, das verstände sich ja von selber. Ei, sagte die Frau, die sind ja wirklich prächtig gemacht! gerade wie zwei leibhaftige Menschen! Die Arme und die Beine und alles wie ähnlich! wie natürlich! und dann die goldenen Blätter, wie das blitzt und funkelt! Und der Mund und die Augen und die Nasen! das muß ich sagen, darin liegt Ausdruck! das ist ja die reine Natur! – – – Aber da hätte einer sehen sollen, wie der Georg sein Gesicht in die Länge zog. Das ist die Rechte, dachte er, und der Meister muß doch ein gescheidter Mann sein, weil er's alles so vorher sagte! Und die Frau Schusterin zog den kleinen ledernen Beutel heraus und bezahlte, was sie gekauft hatte.

Kaum war sie fort und mit ihr auch Adam und Eva, als dem Georg doch die Sache anfing, ein wenig zweifelhaft zu werden. Er dachte nämlich wieder an die armselige Wohnung der Schusterfamilie, und es wollte ihm doch gar nicht in den Kopf, wie der Adam und die Eva dort ins Paradies kommen sollten. Am Ende sei sie doch nicht die Rechte und das alte Leiden würde von neuem wieder anfangen. Er sagte dies nachher auch seinem Meister; aber der Meister sagte, da könne er sicher sein, die sei die Rechte, und wenn er's noch nicht glaube, so solle er nur heut' abend mal auf die Lauer gehen und bei dem Schuster ins Fenster gucken, um sich selbst davon zu überzeugen. Das war wieder ein gescheidter Einfall von seinem Meister, und Georg war damit zufrieden.

Es fing schon an zu dunkeln, als die Frau des Schusters mit ihren Einkäufen nach Hause kam. Da war's denn auch schon die höchste Zeit, an die Bescherung zu denken. Ihr Mann, der noch bis zum letzten Augenblick arbeitete, um dem Oskar, und dem Hugo für den ersten Feiertag neue Stiefeln zu liefern, warf Hammer und Pfriemen beiseite und ging in die Kammer, um sich anzukleiden. Die Kinder waren nicht mehr da; ihre Mutter hatte sie bereits, das eine nach dem andern und im ganzen sieben, aus der Türe geschoben und ihnen draußen auf der kleinen Lehmdiele eine Tranlampe angesteckt, wo sie nun im Vorgeschmack der nahenden Freude lustig sprangen und lärmten. Rasch war der Schuster wieder da, und rasch holte er die kleine Weihnachtstanne aus dem Alkoven, wo sie die Mutter vor den Kindern versteckt hatte, hervor und befestigte sie auf dem Schusterbock. Während dessen hatte seine Frau schon ausgepackt. Es war nicht viel, aber doch für jeden etwas, und das letzte behielt sie heimlich zurück und versteckte es bei dem achten, nämlich dem kleinsten, in der Wiege. Da kamen zuerst die Sachen für den Weihnachtsbaum: das braune Gebäck von Georg, Äpfel und große Nüsse, sogar auch Feigen und einige kleine buntfarbige Wachskerzen, dann ein blankes Messer für Hans, eine schöne Tafel für Peter und eine kleine Flinte für Matthias. Das waren die Knaben; aber auch für die Mädchen war gesorgt. Da lag ein neues Schreibbuch für Gretchen, ein seidenes Knottuch für Christine, ein hübsch lackiertes Pennal für Katharina, eine Puppe für Klein-Marie und für den kleinsten in der Wiege eine Klüterbüchse. Was sie aber so heimlich unters Kissen gesteckt hatte, das war ein neuer Pfeifenkopf für ihren Mann. Der alte war schon mehrfach gerissen und mit Draht umbunden, auch war nichts darauf zu sehen; aber dieser zeigte alle Gerätschaften und Symbole der Schusterei. Da stand denn nun der Baum, und sie beide machten sich daran, die Sachen an ihm aufzuhängen. Als der Schuster den Adam und die Eva sah, wurde er ganz entzückt davon und meinte, so was Natürliches habe er noch nie gesehen; die sollten auch den Ehrenplatz haben, ganz oben im Baum, denn der Mensch herrsche ja über alles. Und richtig, sie kriegten ihn!

Der Baum war geschmückt, die Lichter brannten, und auf den sieben Stühlen rund herum lagen die einzelnen Geschenke, Noch einmal betrachteten beide jedes mit besonderer Freude; dann umarmte der Schuster seine Frau und küßte sie, und nun sollten die sieben gerufen werden. Aber da quiekte der Kleine. Das half nun einmal nicht, er wollte auch mit dabei sein, und die Mutter nahm ihn aus der Wiege und drückte ihn an die Brust. Aber der Junge griff mit beiden Händen nach dem hellen Baum und jauchzte laut auf. Es war ein kleiner prächtiger Bengel, ganz so, wie die kleinen Engel da oben an der Gipsdecke bei dem reichen Kaufmann; und die Mutter herzte ihn, und gab ihn dem Vater, und der Vater ließ ihn tanzen und herzte ihn auch, – und da oben, ganz oben im Weihnachtsbaum stieß die Eva den Adam an und sagte leise: Schau, Adam, was für ein reizendes Kind! Aber Adam kam wieder nicht zu Wort, denn nun öffnete die Mutter die Tür, und hrrr! flogen sie alle in die Stube.

Gab es da aber einen Jubel, als nun der das blanke Messer fand und der die neue Tafel und der die kleine Flinte! Und ward es da eine Freude, als nun sie das hübsche Schreibbuch sah und sie das Knottuch und sie das Pennal und sie die Puppe! – Und dann auch noch der hübsche Tannenbaum mit den bunten Lichtern und all den schönen Sachen! Und als nun auch noch das Kleinste dazwischen kreischte und die acht Stimmen mit seiner Klöterbüchse begleitete, da war es wirklich, als ob die Ohren davon gellten, und dem Adam und der Eva wurde ganz absonderlich dabei zu Mute. Aber es war doch kein solcher Lärm, wie der da gestern im Nebenzimmer beim reichen Kaufmann, sondern von ganz anderer Art, und wie laut er auch war, ängstlich konnt' er einen doch nicht machen, und nach und nach gewöhnte man sich daran, ja, zuletzt klang es gerade wie Musik und ging einem ordentlich zu Herzen.

Du, Eva, sagte da Adam zu seiner Frau, das ist sonderbar! mir wird ganz sonderbar zu Mute! Ja, Adam, mir auch, sagte Eva, und sieh nur, dem Schuster und seiner Frau geht es eben so. Und in der Tat, der Frau Schusterin liefen die hellen Tränen über die Backen, und auch ihrem Manne standen die Augen schon blank voll. Und wieder küßten sie sich, und dann den Kleinsten und dann die Großen, eins um das andere, und die Kinder umklammerten und umjubelten sie. Und als die Eva und der Adam das alles so ansahen, wurde auch ihnen ganz küssig dabei zu Mute, und da küßten auch sie sich schon, hoch oben im Tannenbaum. Adam, sagte Eva, hier möcht' ich wohl immer bleiben, und das möcht' ich wohl immer sehen! – Adam, sieh doch, was für prächtige Kinder! – Und der Adam hatte so recht seine Freude daran. Die Knaben, ja die Knaben, die waren ihm ans Herz gewachsen! So was Munteres und Lebendiges, so was Frisches und Fröhliches hatt' er noch nimmer gesehen! – – Und die Mädchen, ja, die kleinen Mädchen, meinte Eva, die überträfen doch alles! selbst das Kleid und den Hut, die sie sich gestern so sehnlichst gewünscht, und die Haube mit den echten Spitzen und die Uhr und die Kette und den Ring mit den blitzenden Steinen!

Und nun kamen die Kinder und brachten den Eltern, was sie jedes für sie gearbeitet hatten, der Hans und der Peter und Matthias jeder eine hübsche Zeichnung, das Gretchen aber und die Christine jede ein Paar Strümpfe, eins für den Vater, eins für die Mutter, – Katharina für den Vater einen Tabacksbeutel und für die Mutter ein Paar warme wollene Handschuhe und Klein-Mariechen endlich für sie beide ein Suppennetz von Segelgarn und ein vollgeschriebenes Schreibbuch. Wie wichtig sich damit die Kinder hatten, und wie sie darüber erfreut wurden, der Schuster und die Frau Schusterin, es läßt sich gar nicht sagen! Und nun zog die Frau ihren Mann nach der Wiege und bat ihn, er möchte doch mal unters Kissen greifen; – und da hätte einer die Freude und die Überraschung sehen sollen, als er den schönen gemalten Pfeifenkopf darunter hervorzog! Freilich der Adam sah es, und die Eva sah es auch, und erst recht sah es die Frau des Schusters; aber sie alle sahen es doch nur durch Tränen, und so recht deutlich sah es keiner. Und wieder küßte der Schuster seine Frau, und auch diesmal küßte der Adam die Eva; denn es war ihm gerade, als ob auch sie ihm einen solchen Pfeifenkopf geschenkt hätte und er sie nun dafür ebenso küssen müsse, wie der Schuster die Frau Schusterin. Eva ließ sich das gern gefallen, ja, sie tat es mehr als gern, und als sie den Mund nun wieder frei hatte, gab sie es ihrem Adam doppelt wieder. Sieh, Adam, nun bin ich glücklich, und es ist mir gerade, als ob ich im Paradiese wäre! Und so war es dem Adam auch. Und erst vollends war es ihnen beiden so, als sich die sieben blühenden Kinder um den hellen Baum stellten und Vater und Mutter mit dem Kleinsten davor und sie nun gemeinschaftlich das schöne Lied sangen, das einst die Hirten von den Engeln hörten:

Ehre sei Gott in der Höhe,
Friede auf Erden
Und den Menschen ein Wohlgefallen!

War es doch, als ob es von den Engeln selber käme, so niedlich standen die Kinder da, und so lieblich klangen ihre Stimmen!

Und da draußen unterm Fenster stand auch einer, der guckte heimlich durch die Scheiben und sang es leise mit. Und als er nach Hause kam und dem Meister und der Frau Meisterin alles erzählte, sagte der Meister: Siehst du, Georg, das merk' dir, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, – darin liegt gerade der Ausdruck, und das ist die reine Natur.

Und der Georg merkte sich's und wurde ein braver Mensch. Der Adam aber und die Eva waren im Paradiese.

Und wäre die Zeit nicht verstrichen und der Baum nicht verdorrt, und wären sie selber nicht unter die sieben verteilt und verzehrt worden, – gewiß, – sie würden noch darin sein!


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