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Der Falschspieler

La partie de Trictrac

Übersetzt von Arthur Schurig

Erstdruck in der Revue de Paris, Juni-Heft 1830.


Die Segel hingen ohne Bewegung, wie an die Masten geleimt, das Meer war glatt wie ein Spiegel; die Hitze beklemmend, die Windstille zum Verzweifeln.

Auf einer Seefahrt sind die Quellen der Unterhaltung unter den Gefährten bald versiecht. Man kennt sich zu gut, wenn man vier Monate in einem Holzkasten von vierzig Meter Länge zusammen verbracht hat. Sieht man den ersten Leutnant auf sich zuschreiten, so weiß man im voraus, daß er einem von Rio de Janeiro, von wo er kommt, erzählen wird und im Anschluß daran von der berühmten Brücke bei Essling, bei deren Bau durch die Garde-Matrosen er Augenzeuge gewesen ist. Binnen vierzehn Tagen kennt man sogar die Ausdrücke, die er bevorzugt, ja seine Interpunktion und den wechselnden Tonfall seiner Stimme. Wann hätte er sich je in seinem Bericht die kleine Trauerpause geschenkt, beim erstmaligen Vorkommen des Wortes Der Kaiser? Sie hätten ihn sehen sollen!!! (Drei Ausrufezeichen!) fügte er ausnahmslos hinzu. Dann die Episode mit dem Trompetergaul und von der Kanonenkugel, die aufschlug und weiterflog unter Mitnahme einer Patronentasche, in der siebentausendfünfhundert Frank in Geld und Wertsachen staken. – Der zweite Leutnant ist ein Politiker vor dem Herrn. Tag um Tag erläutert er die letzte Nummer des Constitutionnel, die er aus Brest mitgenommen hat; oder aber, wenn er das Hochland der Kannegießerei verläßt und zur Literatur niedersteigt, ergötzt er einen mit der Inhaltsangabe der letzten Operette, die er gehört. Du mein Gott! – Der Zahlmeister ist im Besitz einer ungemein fesselnden Geschichte. Wir waren entzückt, als er uns zum ersten Male seine Flucht aus den Kasematten von Cadix erzählte; aber beim zwanzigsten Male möchte man davonlaufen … Dann die Fähnriche und die Kadetten! Wenn ich an ihre Histörchen denke, sträuben sich mir die Haare. Und der Kapitän? Im allgemeinen ist das der am wenigsten langweilige Mensch an Bord. Als unumschränkter Gewalthaber steht er mit allen andern Chargen auf heimlichem Kriegsfuß. Er schikaniert und schindet; anderseits auf ihn schimpfen ist ein gewisser Genuß. Hat er irgendwelchen Fimmel, der den Untergebenen lästig ist, so hat man dafür den Spaß, es lächerlich zu finden – und das ist ein kleiner Trost.

An Bord des Fahrzeuges, auf das ich mich eingeschifft hatte, waren die Offiziere die besten Leute von der Welt, alles gute Kerls, die sich brüderlich liebten, allerdings auch um die Wette langweilten. Der Kapitän war sehr friedsam, nicht im geringsten Schikaneur. Ein weißer Rabe sozusagen. Nur ungern pflegte er seine diktatorische Macht geltend zu machen. Trotzalledem, die Reise dünkte mich endlos lang, zumal bei besagter Windstille, die uns heimsuchte, wenige Tage ehe wir Land sichten sollten.

Eines Tages, nach dem Mittagsmahle, das wir aus Mangel an Beschäftigung nach Menschenmöglichkeit ausgedehnt hatten, waren wir alle auf Deck versammelt, um das eintönige, aber immer wieder erhabene Schauspiel des Sonnenuntergangs auf See zu erwarten. Manche rauchten; andere schmökerten zum wer weiß wievielten Male in einer der dreißig Scharteken unsrer kläglichen Schiffsbibliothek. Jedermann gähnte sich halbtot. Ein Fähnrich, der neben mir saß, vergnügte sich mit einem Ernst, der besserer Sache würdig gewesen wäre, damit, den Dolch, den die Seeoffiziere zur kleinen Uniform tragen, mit der Spitze nach unten auf die Bohlen des Verdecks fallen zu lassen. Das ist ein Zeitvertreib so gut wie jeder andre; er erfordert Geschicklichkeit, denn der Dolch soll sich so senkrecht wie möglich einspießen. Mich wandelte die Lust an, es ihm nachzumachen, und da ich keinen Dolch besaß, bat ich den Kapitän um den seinen; doch er schlug es mir ab. Die Waffe sei ihm besonders lieb und wert; er könne es nicht übers Herz bringen, sie zu solcher Spielerei herzugeben. Ehedem habe sein Dolch einem tapfern Offizier gehört, der im letzten Krieg leider geblieben sei … Ich ahnte, daß eine Geschichte folgen mußte; und so war es auch. Ohne sich bitten zu lassen, hob der Kapitän an. Von den Offizieren, die um uns standen, kannte jeder das Mißgeschick des Leutnants Roger in- und auswendig. Vorsichtig drückte sich einer nach dem andern.

Der Bericht des Kapitäns lautete ungefähr folgendermaßen:

Wie ich Roger kennenlernte, war er Leutnant, ich Fähnrich. Er war drei Jahre älter als ich. Ich muß sagen, er war einer der tüchtigsten See-Offiziere. Er besaß ein goldnes Herz, Witz, Bildung, Fähigkeiten; kurz, er war ein prächtiger junger Mann. Leider war er ein wenig hochmütig und überempfindlich, was seinen Grund wohl darin hatte, daß er unehelicher Herkunft war und den Argwohn hegte, dies schmälere sein Ansehen in der Gesellschaft. In der Tat aber war sein größter Fehler der heftige und unaufhörliche Drang in ihm, immer und überall der Erste zu sein. Von seinem Vater, den er nie gesehen hatte, war ihm eine Leibrente ausgesetzt, die seine Bedürfnisse vollkommen gedeckt hätte, wäre er nicht freigebig ohnegleichen gewesen. All sein Hab und Gut gehörte seinen Freunden. Hatte er sich sein Vierteljahrsgeld geholt, so brauchte sich einer nur mit traurigem und sorgenvollem Gesicht bei ihm einzustellen; sofort fragte Roger: Junge, was fehlt dir? Du siehst mir nicht aus, als drücke dich deine Geldkatze. Laß es gut sein! Hier hast du die meine! Nimm dir, was du brauchst, und komm mit mir essen!

Eine junge, sehr hübsche Schauspielerin tauchte in Brest auf, namens Gabriele, die alsbald unter den Seeleuten und Landratten Eroberungen machte. Sie war weiter keine Schönheit, aber sie besaß einen guten Wuchs, herrliche Augen, zierliche Füße und ein nicht übles, keckes Wesen. Im Fahrwasser von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren gefällt einem alles das über die Maßen. Zudem hieß es, sie sei das launenhafteste Weib auf Gottes Erdboden. Ihr Auftreten auf der Bühne widersprach diesem Rufe nicht. Bald spielte sie entzückend; man hätte meinen mögen, eine Künstlerin ersten Ranges vor sich zu haben; und tags darauf war sie in derselben Rolle kalt und ohne Gefühl und leierte ihre Rolle her wie ein Kind den Katechismus. Folgende Geschichte von ihr brachte uns junge Leute außer Rand und Band. Ehedem war sie in Paris auf das üppigste ausgehalten worden, von einem Senator, der ihretwegen Torheiten begangen hatte. Eines schönen Tages kam er zu ihr, ohne den Hut abzunehmen. Als sie ihn darum bat und sich beklagte, er lasse es an Artigkeit fehlen, lachte er, lümmelte sich in einen Lehnstuhl und meinte: Ich werde bei einem Mädel, das ich bezahle, doch wohl machen können, was mir beliebt! Eine gehörige Maulschelle von Gabrielens zarter Hand war der sofortige Lohn seiner Erwiderung, wobei sein Hut in die andere Ecke des Zimmers flog. Völliger Bruch folgte. Geldleute, hohe Offiziere und so weiter machten ihr nun beachtenswerte Anträge; aber sie wies alle zurück und ging zur Bühne, um unabhängig zu leben, wie sie sagte.

Als Roger sie sah und ihre Geschichte hörte, meinte er, dies Weib sei sein Fall, und mit der etwas derben Art, die man uns Seeleuten vorwirft, stellte er es wie folgt an, um ihr zu zeigen, wie sehr ihre Reize es ihm angetan. Er kaufte die schönsten und seltensten Blumen, die in Brest aufzutreiben waren, machte einen Strauß davon, umwickelte ihn mit einem schönen rosenroten Bande und knüpfte in die Schleife sorgfältigst eine Rolle mit fünfundzwanzig Napoleons. Das war zur Stunde sein gesamter Besitz. Ich erinnere mich, daß ich ihn in einer der Pausen hinter die Kulissen begleitete.

Er machte Gabrielen ein karges Kompliment über die fesche Art, ihr Kostüm zu tragen, bot ihr den Strauß dar und fragte, ob er sie besuchen dürfe. Alles das in drei, vier Worten.

Solange sie nur die Blumen und den netten jungen Mann sah, der ihr den Strauß überreichte, lächelte sie und fügte einen allerliebsten Knix hinzu. Doch als sie den Strauß in den Händen hielt und das Gewicht des Goldes merkte, änderte sich ihre Miene rascher als die Oberfläche des Meeres, aufgepeitscht durch einen Tropenwind. Und sie war auch nicht minder bösartig wie selbiger, denn sie warf meinem armen Freunde mit aller Kraft Blumenstrauß samt Napoleons an den Kopf. Noch nach acht Tagen trug er die Spuren davon im Gesicht. Die Klingel des Spielleiters ertönte; Gabriele betrat die Bühne und spielte mordsmiserabel.

Ziemlich verdutzt hob Roger seinen Strauß und seine Geldrolle auf, ging ins Kaffeehaus, verehrte dem Büfettfräulein die Blumen (ohne das Geld) und versuchte die Grausame beim Grog zu vergessen. Es gelang ihm nicht; und trotz allem Ärger, daß er sich mit seinem blauen Auge nicht sehen lassen konnte, verliebte er sich bis zur Narrheit in die zornige Gabriele. Er schrieb ihr täglich zwei Dutzend Briefe, und was für welche! Demütige, innige, anbetende, wie man sie einer Prinzessin widmet. Die ersten bekam er uneröffnet zurück; die andern blieben ohne Antwort. Gleichwohl ließ Roger die Hoffnung nicht fahren, bis wir entdeckten, daß das Orangenweib im Vestibül ihre Ware in Rogers Liebesepisteln einwickelte. In ausgesuchter Niedertracht hatte Gabriele sie ihr gegeben. Das war ein schrecklicher Schlag für den Stolz unsers Freundes. Dennoch ließ seine Leidenschaft nicht nach. Er sprach davon, der Schauspielerin einen Heiratsantrag zu machen, und als man ihm sagte, das Marineministerium werde ihm den Konsens nie und nimmer geben, rief er aus: Dann schieß ich mir eine Kugel vor den Kopf!

Mittlerweile geschah es, daß die Offiziere eines in Brest stehenden Linienregiments ein Lied aus einer Operette von Gabriele wiederholt haben wollten, was sie aus purer Laune nicht tat. Die Offiziere wie die Schauspielerin blieben derart hartnäckig, daß jene durch ihr Pfeifen das Fallen des Vorhanges erzwangen, während diese in Ohnmacht fiel. Sie wissen, was das Parterre einer kleinen Garnison bedeutet! Unter den Offizieren ward ausgemacht, am nächsten Abend und an allen folgenden die Missetäterin ohne Erbarmen auszupfeifen und sie keine Rolle ausspielen zu lassen, bevor sie nicht reumütige Abbitte in aller Form geleistet habe.

Roger war bei jener Vorstellung nicht zugegen gewesen, aber er erfuhr noch am nämlichen Abend von dem Fall, der das ganze Theater auf den Kopf stellte, ebenso von der Rache, die man für den kommenden Abend vorhatte. Sofort war sein Entschluß gefaßt.

Wie Gabriele am andern Abend auf der Bühne erschien, brach in den Offiziersreihen ohrenbetäubendes Johlen und Pfeifen los. Roger, der sich mit Vorbedacht nahe den Lärmmachern gesetzt hatte, erhob sich und rief den Hauptkrakeelern dermaßen beleidigende Worte zu, daß sich ihre volle Wut sogleich gegen ihn kehrte. Da zog Roger in größter Seelenruhe sein Merkbüchlein aus der Tasche und schrieb sich die Namen auf, die man ihm von allen Seiten zuschrie. Er hätte es mit dem ganzen Regiment allein aufgenommen, wenn sich nicht, aus Korpsgeist, eine Menge Marineoffiziere eingemischt und den größeren Teil der Forderungen auf sich genommen hätten. Der Tumult war geradezu grauenhaft.

Alle Beteiligten bekamen auf mehrere Tage Stubenarrest, aber als wir die Freiheit wieder hatten, gab es eine böse Abrechnung. Etwa sechzig Offiziere fanden sich auf dem Kampfplatz ein. Roger persönlich schlug sich nacheinander mit drei Infanteristen. Einen stach er tot; die andern beiden verwundete er schwer, ohne selber die geringste Schramme abzubekommen. Ich für meinen Teil war minder glücklich. Ein Leutnant – der verdammte Kerl war Fechtlehrer gewesen – versetzte mir einen tiefen Bruststich, an dem ich beinahe umgestanden wäre. Ich sage Ihnen, dieses Duell, vielmehr dieser Massenkampf war ein herrliches Schauspiel. Die Marine blieb Sieger, und das Fußvolk ward von Brest wegversetzt.

Sie können sich denken, daß unsre lieben Vorgesetzten dem Anstifter des Skandals einen ordentlichen Denkzettel verabreichten. Vierzehn Tage lang stand ein Posten vor seiner Bude. Als sein Arrest abgelaufen war, entließ man mich gerade aus dem Lazarett. Ich suchte ihn sofort auf. Zu meiner nicht geringen Überraschung fand ich ihn mit Gabrielen beim Frühstück. Es machte mir den Eindruck, als wären sie schon längst ein Herz und eine Seele. Sie duzten sich und tranken aus einem Glase.

Roger stellte mich seiner Geliebten als seinen besten Freund vor und erzählte ihr, daß ich bei jenem Gefecht, dessen Uranlaß sie gewesen, verwundet worden war. Das trug mir einen Kuß der Schönen ein. Das Mädel war wie geschaffen für uns Landsknechte.

Ein Vierteljahr lebten sie zusammen wie die Turteltauben. Keins verließ den andern auch nur eine Stunde. Offenbar liebte ihn Gabriele wahnsinnig, und Roger gestand, er habe vor seiner Bekanntschaft mit ihr keine Ahnung von der Liebe gehabt.

Eine holländische Fregatte lief ein. Die Offiziere gaben uns ein Festmahl. Man trank reichlich allerlei Sorten Wein; und als das Tafeltuch weggenommen war und man nicht wußte, was man angeben sollte, denn die Herren Holländer sprachen sehr schlecht Französisch, begann man zu spielen. Die Fremden hatten offenbar viel Geld, besonders ihr erster Leutnant, der so hoch spielen wollte, daß keiner von uns Lust hatte, sein Partner zu sein. Roger, der sonst selten spielte, glaubte, es handle sich hier um die Ehre seiner Landsleute. Er spielte also und nahm alle Einsätze des Holländers an. Zuerst gewann er; dann verlor er. Nach wechselndem Gewinn und Verlust hörten sie auf, ohne daß etwas dabei herausgekommen war.

Bei dem Mahle, das wir unsrerseits den holländischen Offizieren gaben, ward wiederum gespielt. Abermals saßen sich Roger und der Leutnant ohne Ergebnis gegenüber. In der Folge kamen sie öfters zusammen, sei es im Kaffeehause, sei es an Bord, wobei sie sich in dem und jenem Spiel maßen, zumeist im Triktrak, einem Brettspiel, und den Einsatz immer höher trieben, schließlich die Partie um fünfundzwanzig Napoleons. Für arme Offiziere wie wir war das eine ungeheure Summe, mehr als der Sold zweier Monate. Binnen acht Tagen verlor Roger alles Geld, das er besaß, dazu drei- bis viertausend Frank, die er sich zusammengeborgt hatte.

Selbstverständlich machten Roger und Gabriele sehr bald gemeinsame Wirtschaft und gemeinsame Kasse; das heißt, Roger, dem ein anständiges Prisengeld ausgezahlt worden war, hatte zehn- bis zwanzigmal mehr als die Schauspielerin beigesteuert. Gleichwohl sah er das Gemeingut immer als seiner Geliebten gehörig an und behielt für besondere Ausgaben nur etwa fünfzig Napoleons zurück. Schon aber mußte er dies Notgeld angreifen, um wieder spielen zu können. Gabriele verlor kein Wort darüber.

Auch mit diesem Gelde hatte Roger kein Glück. Seine letzten fünfundzwanzig Goldstücke standen im Spiel. Er strengte sich schrecklich an, und so blieb die Partie lange streitig. Schließlich kam der Moment, wo Roger, der am Würfeln war, nur noch gewinnen konnte, wenn er sechs und vier bekam. Es war späte Nacht. Ein Kamerad, der lange Zeit ihrem Spiel zugeschaut hatte, war längst in seinem Lehnstuhl eingenickt. Der Holländer war müd und schläfrig; obendrein hatte er tüchtig Grog getrunken. Allein Roger war vollauf wach; die Beute heftigster Verzweiflung. Bebend tat er seinen Wurf. Und so derb rasselten die Würfel auf das Brett, daß eine der Kerzen durch die Erschütterung zu Boden fiel. Der Holländer wandte den Blick zunächst nach der Kerze, die sein neues Beinkleid mit Wachs beträufelt hatte, und dann erst auf die Würfel. Sie zeigten: sechs und vier.

Bleich wie die Wand strich Roger die fünfundzwanzig Napoleons ein.

Sie spielten weiter. Das Glück wandte sich meinem Freunde zu, obgleich er Böcke über Böcke machte, und selbst wenn er absichtlich schlecht spielte. Der Holländer setzte beharrlich weiter; er verdoppelte, er verzehnfachte den Einsatz. Immer wieder verlor er. Ich sehe ihn noch vor mir; er war ein großer, blonder, pomadiger Mensch, mit einem Gesicht wie aus Wachs.

Endlich stand er auf. Er hatte vierzigtausend Frank verloren, die er zahlte, ohne daß seine Miene die geringste Erregung verriet.

Roger sagte zu ihm: Unser Spiel heut abend hat keine Gültigkeit. Sie waren halb im Schlaf. Ich will Ihr Geld nicht.

Sie belieben zu scherzen, meinte der phlegmatische Holländer. Ich habe aufmerksamst gespielt, aber die Würfel waren gegen mich … Guten Abend!

Damit ging er.

Anderntags erfuhren wir, daß er sich in seiner Kabine, nach einem halben Dutzend Gläsern Grog, aus Verzweiflung über seinen Verlust eine Kugel vor den Kopf geschossen hatte.

Die vierzigtausend Frank, Rogers Gewinn, lagen in Reih und Glied auf einem Tisch; Gabriele betrachtete sie mit dem Lächeln der Befriedigung.

Nun sind wir recht reich, sagte sie. Was machen wir mit all dem Geld?

Roger gab keine Antwort. Seit dem Tode des Holländers war er wie vor den Kopf geschlagen.

Wir müssen ordentliche Dummheiten machen, fuhr Gabriele fort. So leicht verdientes Geld muß man ebenso wieder ausgeben. Kaufen wir uns ein Wägelchen und ärgern wir den Hafeninspektor und seine Frau! Ich möchte Diamanten haben und seidne Kleider. Nimm Urlaub! Wir gehen nach Paris. Hier kriegen wir soviel Geld nie klein …

Sie unterbrach sich, um Roger anzuschaun, der, den Kopf in den Fäusten, zu Boden stierte. Er hatte nicht auf sie gehört, sichtlich die düstersten Gedanken im Gehirn.

Zum Teufel, Roger, was hast du? schrie sie und packte ihn bei der Schulter. Hast du was gegen mich? Willst du mir nicht ein Wörtchen sagen?

Ich bin todunglücklich! stöhnte er nach einer Weile.

Unglücklich? Mein Gott, du hast wohl gar dumme Gedanken, weil du den dicken Mynheer gerupft hast?

Er hob den Kopf und sah sie verstört an.

Was tuts? sagte sie. Was tut es, daß der Kerl die Sache tragisch genommen und sich sein bißchen Gehirn herausgeblasen hat? Spieler, die Pech haben, kann ich nicht bedauern. Und gewiß ist sein Geld bei uns in besseren Händen als bei ihm. Er hätte es versoffen und verqualmt, während wir tausend nette Dinge kaufen werden.

Roger lief im Zimmer hin und her, den Blick niedergeschlagen, die Augen halbgeschlossen und voller Tränen. Wenn Sie ihn gesehen hätten, er würde Sie gejammert haben.

Weißt du, sagte Gabriele zu ihm, Leute, die keinen Sinn für Rührseligkeit haben, könnten meinen, du hättest den Holländer im Spiel betrogen.

Er blieb vor Gabriele stehen.

Und wenn es so wäre? sagte er in dumpfem Tone.

Sie lachte auf: Dazu bist du nicht gerissen genug!

Doch, Gabriele! Ich habe ihn betrogen wie ein gemeiner Gauner. Ich bin einer.

Seine Erregung sagte ihr, daß es wahr sein mußte. Sie setzte sich auf das Kanapee und saß eine Weile schweigsam da.

Erschüttert sagte sie alsdann: Es wäre mir lieber, du hättest zehnfachen Mord begangen, statt daß du Falschspieler bist!

Diesen Worten folgte Totenstille. Eine halbe Stunde lang hockten sie nebeneinander auf demselben Sofa, ohne sich ein einziges Mal anzuschaun.

Roger erhob sich zuerst, indem er in ziemlich ruhiger Weise Guten Abend! sagte.

Guten Abend! wiederholte sie kalt und klanglos.

Roger hat mir später eingestanden, daß er an jenem Abend Selbstmord begangen hätte, wenn er nicht hätte befürchten müssen, daß seinen Kameraden der Grund klar gewesen wäre. Schande sollte seinem Andenken nicht anhaften.

Am andern Tage war Gabriele guter Laune wie immer; man mußte glauben, sie habe das gestrige Geständnis schon vergessen. Roger hingegen war versonnen, mürrisch, wunderlich geworden. Selten verließ er sein Zimmer; er mied seine Kameraden, und oft vergingen ganze Tage, ohne daß er seiner Geliebten ein Wort vergönnte. Ich erklärte mir seine Schwermut mit ehrenwerter aber übertriebener Empfindsamkeit und versuchte ihn mehrmals aufzurappeln; doch er wies mich schroff ab, wobei er große Gleichgültigkeit gegen seinen unglücklichen Spielgenossen zur Schau trug. Einmal äußerte er sich sogar höchst abfällig über die Holländer im allgemeinen und wollte mir einreden, in Holland gäbe es überhaupt keine anständigen Menschen. Gleichwohl zog er insgeheim Erkundigungen über die Familie des holländischen Leutnants ein; niemand vermochte ihm Auskunft zu geben.

Sechs Wochen nach dem unseligen Triktrakabend fand Roger bei Gabrielen ein Briefchen, in dem sich ein Kadett offenbar für erwiesene Gunst bedankte. Gabriele war die leibhafte Unordnung und hatte das betreffende Blatt auf dem Kamin liegen lassen. Ich weiß nicht, ob sie ihm wirklich untreu gewesen war, aber Roger nahm es an, und sein Zorn war schrecklich. Seine Liebe und ein Rest von Stolz waren die einzigen Empfindungen, die ihn noch an das Leben zu fesseln vermochten. Vor der Gefahr, das stärkere der beiden Gefühle plötzlich vernichtet zu wissen, beschimpfte er die stolze Schauspielerin maßlos; und bei seiner Heftigkeit fehlte auch nicht viel, daß er sie geschlagen hätte. Es ist klar, sagte er, dieser Laffe hat dir einen Haufen Geld hingeschmissen. Weiter liebt Ihr ja nichts, und dem dreckigsten Matrosen schenkt Ihr Eure Huld, wenn er gehörig blecht!

Warum auch nicht? erwiderte die Komödiantin erzkühl. Gewiß könnte ich Geld nehmen von einem Matrosen, aber – stehlen könnte ich ihm nichts! Roger schrie laut auf vor Wut. Bebend zog er seinen Dolch. Einen Augenblick starrte er Gabriele irren Blicks an. Dann nahm er seine ganze Kraft zusammen, warf ihr die Waffe vor die Füße und entrann dem Zimmer, um der Versuchung, die ihn gepackt hatte, nicht zu unterliegen.

Zufällig kam ich an diesem Abend sehr spät an seiner Wohnung vorüber, und da ich Licht bei ihm bemerkte, trat ich ein, um mir ein Buch von ihm zu leihen. Ich fand ihn in Schreiberei vertieft. Er ließ sich gar nicht stören und nahm von meiner Anwesenheit kaum Kenntnis. Ich setzte mich neben sein Schreibpult und betrachtete sein Gesicht. Es war dermaßen verstört, daß es ein Andrer nicht wiedererkannt hätte.

Plötzlich erblickte ich auf dem Pult einen bereits verschlossenen Brief mit meiner Anschrift. Sogleich öffnete ich ihn. Roger teilte mir mit, daß er im Begriff stehe, seinem Dasein ein Ende zu setzen, und trug mir die Erledigung verschiedener Angelegenheiten auf.

Während ich las, schrieb er weiter, ohne auf mich zu achten. Er sagte Gabrielen Lebewohl.

Sie können sich mein Erstaunen vorstellen. So bestürzt ich ob seines Entschlusses war, selbstverständlich mußte ich eingreifen.

Was? Du willst Selbstmord begehen? sagte ich. Du, der du so glücklich bist?

Lieber Freund, erwiderte er mir, indem er seinen Brief siegelte, du weißt nichts. Du kennst mich nicht. Ich bin ein Lump. Ich bin so verächtlich, daß mich eine Dirne beschimpft, und ich fühle derart, wie tief ich stehe, daß ich nicht die Kraft habe, sie zu züchtigen.

Darauf erzählte er mir die Geschichte von der Triktrakpartie und alles, was Sie bereits wissen. Während ich ihm zuhörte, war ich mindestens ebenso bewegt wie er. Ich wußte nicht, was ich ihm sagen sollte. Ich drückte ihm die Hände; mir standen Tränen in den Augen, aber ich vermochte nicht zu sprechen. Schließlich kam mir der Gedanke, ihm einzureden, er brauche sich keine Vorwürfe zu machen, daß er die alleinige Schuld am Verderben des Holländers trage; im Grunde habe er ihn doch nur um fünfundzwanzig Napoleons geprellt.

Somit bin ich nur ein kleiner Gauner, rief er voll bittern Spotts, und kein großer! Ich, der so Ehrgeizige! Ich soll bloß ein kleiner Gauner sein?

Er lachte grell auf. Ich schwamm in Tränen.

Plötzlich ging die Tür auf. Ein Weib trat ein und warf sich in seine Arme. Es war Gabriele.

Verzeih mir! rief sie aus, indem sie ihn heftig an sich drückte. Verzeih mir! Ich weiß, ich liebe nur dich. Jetzt liebe ich dich mehr, als wenn du das, was du dir vorwirfst, nicht getan hättest. Sag, soll ich stehlen? Ich hab es bereits getan. Ja, ich habe gestohlen. Ich habe eine goldne Uhr gestohlen. Kann man Gemeineres tun?

Roger schüttelte ungläubig den Kopf, aber seine Stirn lichtete sich sichtlich.

Nein, nein, liebes Kind! sagte er, sich ihr sanft entwindend. Es geht nicht anders; ich muß ein Ende mit mir machen. Ich leide zu sehr. Ich bin dem Schmerz da drinnen nicht mehr gewachsen.

Gut! Wenn du sterben willst, Roger, so werde ich mit dir sterben! Was wäre mir das Leben ohne dich? Ich habe Mut. Ich kann schießen. Ich werde mich umbringen genau so gut wie jeder andre. Das ist mir, der Tragödienspielerin, nichts Ungewohntes.

Anfangs hatte sie Tränen in den Augen; beim letzten Gedanken mußte sie lachen, und sogar Roger vermochte sich eines Lächelns nicht zu erwehren. Du lachst, Leutnant! rief sie, klatschte in die Hände und küßte ihn. Du wirst dich nicht töten!

Sie küßte ihn in einem fort, bald weinend, bald lachend, bald fluchend wie ein Matrose; sie gehörte nicht zu den Weibern, die derbe Worte scheuen. Währenddem hatte ich mich Rogers Pistolen und seines Dolches bemächtigt.

Mein lieber Roger, sagte ich zu ihm, du besitzest eine Geliebte und einen Freund. Beide lieben dich. Glaube mir, es harrt deiner noch manche Freude! Nachdem ich ihn umarmt, ging ich und ließ ihn allein mit Gabrielen.

Ich glaube, wir hätten nichts weiter erreicht als einen kleinen Aufschub seiner unseligen Absicht, wenn nicht just der Befehl eingetroffen wäre, der ihn zum ersten Leutnant an Bord einer Fregatte machte, die in den Indischen Gewässern kreuzen sollte, zuvor natürlich die Blockade des englischen Geschwaders vor unserm Hafen zu durchbrechen hatte. Eine kühne Aufgabe. Ich gab ihm zu verstehen, daß es anständiger sei, unter einer englischen Kugel zu fallen als sang- und klanglos und ohne Nutzen für das Vaterland sich selber zu entleiben. Er versprach mir, am Leben bleiben zu wollen.

Von den 40 000 Frank verteilte er die Hälfte an invalide Matrosen und an Hinterbliebene von Seeleuten. Den Rest händigte er Gabrielen ein, die zunächst schwur, das Geld zu guten Werken zu verwenden. Sie hatte wohl die Absicht, Wort zu halten, das liebe Kind; aber Begeisterung war bei ihr nicht von langer Dauer. Ich habe später erfahren, daß sie einige tausend Frank den Armen gestiftet hat. Vom übrigen kaufte sie sich Putz und Staat.

Roger und ich gingen an Bord der schönen Fregatte Galathea. Unsre Besatzung war tapfer, trefflich ausgebildet, gut in Zucht. Aber unser Kommandeur war ein unfähiger Gesell, der sich für einen Seehelden von Gottes Gnaden hielt, weil er fluchen konnte wie kein andrer, im übrigen nicht einmal richtig Französisch konnte und von der Theorie seines Handwerks noch weniger verstand als von der Praxis.

Gleichwohl war uns das Glück zunächst hold. Dank einem Sturm, der das blockierende Geschwader auf die hohe See nötigte, kamen wir glücklich vor die Reede und eröffneten unsre Kreuzerfahrt damit, daß wir an der portugiesischen Küste eine englische Korvette und ein Schilf der Ostindischen Kompagnie in Brand schossen.

Langsam schwammen wir dem Indischen Weltmeere zu, aufgehalten durch widrige Winde und verkehrte Maßregeln unsers Kapitäns, dessen Ungeschick unsre Aufgabe um so gefährlicher machte. Abwechselnd gejagt von den höheren Gewalten und jagend auf Kauffahrer, verging kein Tag ohne Abenteuer. Doch weder das verwegene Leben, das wir führten, noch die Strapazen, die sein Posten auf der Fregatte bis ins Kleine mit sich brachte, lenkten Roger von den düstern Grübeleien ab, die ihn ohne Unterlaß verfolgten. Er, der als tatenlustigster und schneidigster Offizier unsrer Station gegolten hatte, beschränkte sich jetzt darauf, seine Pflicht zu tun. Sowie sein Dienst zu Ende war, schloß er sich in seine Kabine ein. Er las nicht und schrieb nicht. Ganze Stunden verbrachte er auf seinem Lager, aber schlafen konnte der Unglückliche nicht.

Eines Tages ließ ich mir beim Anblick seiner Niedergeschlagenheit einfallen, wie folgt zu ihm zu reden.

Donnerwetter, mein Lieber, du schindest dich um eine Lappalie! Du hast den dicken Holländer um fünfundzwanzig Napoleons bemogelt. Schön! Aber dumme Gedanken machst du dir für eine Million. Sage mir mal, wie du der Liebste der Frau des Hafeninspektors warst, hast du da auch moralischen Katzenjammer gehabt? Und das Weib war wahrlich mehr wert als fünfundzwanzig Goldfüchse!

Er wandte sich auf seiner Matratze um, ohne mir zu antworten.

Ich sprach weiter: Genau genommen, hatte dein Verbrechen, da du das einmal so nennst, einen anständigen Kern …

Er drehte sich nach mir um und blickte mich wütend an.

Gewiß, fuhr ich fort, denn wenn du verloren hättest, was wäre aus Gabriele geworden? Das arme Ding hätte ihr letztes Hemd für dich verkauft … Wenn du verlorst, war sie dem Elend preisgegeben … Für sie also, aus Liebe zu ihr, hast du betrogen. Es gibt Leute, die aus Liebe morden, sich aus Liebe umbringen … Du, lieber Roger, hast Höheres getan. Für unsereinen gehört mehr Mut dazu, zu – stehlen, als, gradheraus gesagt, Selbstmord zu begehen.

Vielleicht komme ich Ihnen jetzt lächerlich vor, sagte der Kapitän zu mir, indem er seine Erzählung unterbrach. Wahrlich, meine Freundschaft zu Roger verlieh mir damals eine Beredsamkeit, über die ich heute nicht verfüge. Und der Teufel soll mich holen, wenn ichs nicht ehrlich gemeint und nicht jedes Wort geglaubt habe, das ich so zu ihm sprach. Ja, ja, dazumal war ich jung!

Roger erwiderte eine Weile nichts. Dann streckte er mir die Hand hin.

Lieber Freund, sagte er, und das Reden fiel ihm offenbar sehr schwer, du hältst mich für besser, als ich bin. Ich bin ein feiger Schuft. Als ich jenen Holländer betrog, dachte ich nur daran, fünfundzwanzig Goldstücke zu gewinnen. An nichts sonst. Ich dachte nicht an Gabriele. Das ists, warum ich mich verachte! Meine Ehre galt mir weniger als ein paar Napoleons. Wie gemein! Ach, ich wäre glücklich, wenn ich mir sagen dürfte: Ich habe gestohlen, um Gabriele vor Not zu bewahren. Aber nein, ich habe nicht an sie gedacht. Ich war in jenem Augenblick nicht verliebt. Ich war ein Spieler, ein Falschspieler! Ich habe mir Geld angeeignet für mich. Und diese Tat hat mich derart erniedrigt und entwürdigt, daß ich heute weder Mut noch Liebe in mir spüre. Ich lebe, aber ich denke nicht mehr an Gabriele. Ich bin fertig.

Unglücklicher konnte er nicht sein. Hätte er mich um meine Pistole gebeten, um sich zu töten, ich glaube, ich hätte sie ihm gegeben.

An einem Freitag, also einem Unglückstage, sichteten wir eine große englische Fregatte, Alceste benamst, die Jagd auf uns zu machen begann. Sie hatte achtundfünfzig Geschütze; wir nur achtunddreißig. Wir setzten alle Segel auf, um ihr zu entrinnen, aber sie hatte bessere Fahrt und kam uns mehr und mehr auf den Leib. Kein Zweifel, noch vor Nacht mußten wir uns ihr zum ungleichen Kampfe stellen.

Unser Kapitän rief Roger in seine Kajüte, wo sie eine gute Viertelstunde Rat abhielten. Wie Roger wieder auf Deck kam, nahm er mich am Arm und zog mich beiseite.

In zwei Stunden, sagte er zu mir, stehen wir im Gefecht. Der wackere Mann da, der da auf seiner Brücke hin und her rennt, hat den Kopf verloren. Es gibt zwei Wege für ihn. Der eine, ehrenvollere: den Feind heranlassen, ihn anrennen und ihm hundert schneidige Jungens an Bord werfen. Der andre ist auch nicht schlecht, aber sehr schlapp: einen Teil unsrer Kanonen ins Wasser schmeißen. Dann können wir dicht an der afrikanischen Küste hinhuschen. Dort über Backbord sehen wir sie! Aus Angst, festzufahren, muß uns der Engländer laufen lassen. Leider aber ist unser Kapitän weder Feigling noch Held. Er wird sich in den Artilleriekampf einlassen und nach ein paar Stunden Schießerei ehrenvoll die Flagge streichen. Ihr seid die Dummen! Die Kasematten von Portsmouth warten auf euch. Was mich anbelangt: ich will sie nicht sehen.

Wer weiß, erwiderte ich ihm, ob unsre Geschütze den Engländer nicht zwingen, die Jagd aufzugeben.

Ich lasse mich nicht gefangennehmen, fuhr Roger fort. Ich werde im Gefecht fallen. Es ist Zeit, daß ich Schluß mache. Sollte ich das Pech haben, nur verwundet zu werden … gib mir dein Wort, daß du mich über Bord wirfst! Das Meer ist das Sterbebett eines braven Seemannes wie ich.

Verrücktheit! rief ich. Was mutest du mir zu?

Du wirst deine Pflicht als guter Freund erfüllen. Du weißt, daß ich von dannen muß. Ich habe darein gewilligt, nicht Selbstmord zu begehen, nur in der Hoffnung, im Gefecht zu fallen. Du erinnerst dich daran. Also versprich es mir! Wenn du dich weigerst, werde ich den Obermaat da um diesen Dienst bitten. Er wird es mir nicht abschlagen.

Einige Augenblicke überlegte ich es mir. Sodann sagte ich:

Ich gebe dir mein Wort, daß ich deinen Wunsch erfüllen werde, vorausgesetzt, daß du tödlich oder hoffnungslos verwundet wirst. In diesem Falle will ich dir die letzten Schmerzen ersparen.

Ich werde eine Todeswunde erhalten oder fallen.

Er reichte mir die Hand; ich drückte sie ihm derb. Fortan war er ruhig; ja, eine Art Kampfesfreude verklärte sein Angesicht.

Gegen drei Uhr nachmittags begann das Fernfeuer des Feindes in unser Takelwerk zu schlagen. Einen Teil unsrer Segel zogen wir ein. Wir boten der Alceste unsre Breitseite und gaben lebhaftes Feuer ab, das der Engländer kräftig erwiderte. Nach etwa einstündigem Kampfe wollte unser Kapitän, der nichts zur rechten Zeit unternahm, das Entern versuchen. Aber wir hatten bereits viel Tote und Verwundete, und der Rest der Mannschaft hatte die Gefechtsfrische verloren; schließlich hatte das Takelwerk stark gelitten und unsre Masten waren arg beschädigt. Im Augenblick, als wir unsre Segel beisetzten, um an den Engländer heranzuschwimmen, brach unser Hauptmast, der nichts mehr aushielt, mit schrecklichem Krach zusammen. Die Alceste benützte die erste Verwirrung, die der Unfall unter uns anrichtete. Uns dicht am Heck gab sie in halber Pistolenschußweite eine volle Breitseite auf uns ab. Die Kugeln fegten über unsre arme Fregatte von hinten nach vorn. Wir hatten in dieser Schußrichtung nur zwei kleine Geschütze.

In diesem Moment stand ich neben Roger, der damit beschäftigt war, die Taue zu kappen, die den gestürzten Mast hielten. Ich fühle, wie mir der Arm heftig gedrückt wird; ich wende mich um und sehe ihn auf die Planken hingestreckt, über und über im Blut. Er hatte soeben eine Kartätsche in den Leib bekommen.

Der Kapitän stürzte auf ihn: Was nun, Leutnant?

Die Flagge an den Maststumpf nageln und kämpfen, bis wir sinken!

Der Kapitän ging rasch weg; der Vorschlag behagte ihm wenig.

Halloh, rief mir Roger zu, erinnere dich deines Versprechens!

Das ist nichts! erwiderte ich. Du kannst wieder hoch kommen.

Wirf mich über Bord! rief er unter einem gräßlichen Fluch und packte mich am Rockschoß. Du siehst doch, ich bin fertig. Wirf mich ins Meer! Ich will unsre Flagge nicht sinken sehen.

Zwei Matrosen traten an ihn heran, um ihn unter Deck zu tragen.

An die Geschütze, ihr schlappen Hunde! brüllte er sie an. Kartätschen! Richtung Deck!

Mir rief er zu: Und du, wenn du dein Wort nicht hältst, so sollst du verflucht sein, und es soll einen feigeren Schuft nicht geben auf Gottes Erde!

Seine Wunde war sicher tödlich. Ich sah, wie der Kapitän einen Kadetten heranrief und ihm den Befehl gab, die Flagge zu streichen.

Gib mir fest die Hand! rief ich Roger zu, und im Moment, da unsre Flagge sank – – –

Kapitän, ein Wal an Backbord! unterbrach uns ein herbeieilender Fähnrich.

Ein Wal! rief der Kapitän voller Freude und dachte nicht mehr ans Erzählen. Rasch, die Schaluppe aufs Wasser! Die Jolle! Alle Schaluppen! Harpunen! Taue!

Ich habe nicht erfahren, wie der arme Leutnant Roger gestorben ist.


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