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Die Wissenschaft der Liebe.

Messer Federigo Fabricio, einer der gelehrtesten Professoren der Bologneser Universität, las über Dialektik, in der er es bis zu einer solchen Kunstfertigkeit gebracht hatte, daß man ihn den »König der Schlußfolgerungen« nannte. Aber er beherrschte nicht bloß die Dialektik, sondern das ganze Gebiet des menschlichen Wissens, das trivium und quadrivium. Am beachtenswertesten war es, daß der gelehrte Mann nicht nur in wesentlichen Dingen, sondern auch bei Veranlassung der allernichtigsten, alltäglichsten Kleinigkeiten eine unendliche Tiefe seiner Weisheit offenbarte. Die Studenten erzählten sich, Fabricio habe eines Tages in der Zerstreutheit auf einen Brief, dessen Adresse »Padua, Weinplatz, Mondapotheke« lauten sollte, folgendes geschrieben: nella città Antoreo, in sul foro di Bacco, all' aromataria della Dea triforme, d. h. in die Stadt Antenors, auf das Forum des Bacchus, in dem Gewürzladen der dreigestaltigen Göttin. Er gebrauchte dabei die Sprache des Tullius so viel und dabei so herrlich, daß er zuweilen seine eigene Muttersprache vergaß; er grämte sich aber nicht darüber, weil er diese unter seiner Würde hielt. Wenn er übler Laune war, äußerte er, daß Dantes »Göttliche Komödie« in dem jetzigen Zeitalter der wahren ciceronianischen Beredsamkeit nur zu gebrauchen sei, um höchstens als Makulatur im Wurstladen verwandt zu werden. Wenn Messer Fabricio dagegen auseinandersetzte, ob man das Wort consumptum mit p oder ohne p schreiben müßte, dann öffnete sich vor den Augen der erstaunten Zuhörer ein so tiefer Brunnen der Gelehrsamkeit, daß die leichtsinnigsten und unwissendsten Menschen einen Schauer andächtigen Schreckens empfanden.

Messer Federigo war klein von Wuchs, hinfällig und schwach, da sein Körper von den ununterbrochenen, übermäßigen Beschäftigungen entkräftet war; sein Gesicht aber hatte einen vornehmen und strengen Ausdruck; sein Blick verriet Scharfsinn; seine Augenbrauen waren dicht und zusammengezogen; sein Gang war gemessen und majestätisch. Niemand verstand es, den himbeerroten, mit Hasenfell gefütterten Professorenmantel und den mächtigen, schwarzen Professorenhut, der jenem schmackhaften Gebäck glich, welches die Mütter ihren Kindern am Vorabend des Johannistages backen, mit größerer Würde zu tragen als er.

Zu jener Zeit studierten in Bologna zwei vornehme und reiche Jünglinge aus Rom, der eine das kanonische, der andre das bürgerliche Recht. Sie gehörten dem edlen Geschlechte der Savelli an und waren unzertrennliche Freunde. Der eine hieß Buggiolo, der andre Pietro Paolo. Da bekanntlich das kanonische Recht weniger umfangreich ist als das bürgerliche, so beendigte Buggiolo, der das kanonische Recht hörte, seine Studien früher als Pietro Paolo. Als er zum Lizentiaten promoviert worden war, beschloß er, nach Hause zurückzukehren und teilte seinem Freunde mit:

»Lieber Pietro, ich habe das Lizentiat und gedenke in die Heimat zurückzukehren.«

»Ich bitte dich,« entgegnete ihm Pietro, »lasse mich hier in der Fremde nicht allein. Warte den Winter noch ab. Zum Frühjahr beende ich mein Studium auch und wir reisen dann zusammen. Inzwischen wähle dir, um keine Zeit zu vergeuden, irgend eine Wissenschaft nach deinem Sinn und beschäftige dich mit ihr.«

Buggiolo willigte ein, versprach den Freund abzuwarten, ging zu seinem Professor Messer Fabricio und sagte zu ihm:

»Ich habe mich entschlossen, auf meinen Freund zu warten. In der Zwischenzeit, Maestro, bitte ich Euch, mich in irgend eine Wissenschaft einzuführen.«

»Es ist gut,« entgegnete der Maestro, »wähle dir eine, ich werde dich gern unterweisen.«

»Maestro,« sagte da Buggiolo, »wenn Eure Gnaden damit einverstanden sind, möchte ich wohl die Wissenschaft der Liebe studieren.«

Als Messer Federigo diese Bitte vernahm, zog er die Stirn kraus und wollte dem frechen Knaben den Kopf waschen, daß ihm auf immer die Lust vergehen sollte, die Professoren zu verhöhnen; aber als er Buggiolo ansah, gewahrte er ein so zartes, rosiges Gesicht, einen so gutmütigen, vertrauensvollen Gesichtsausdruck, ein so bescheidenes und ehrerbietiges Lächeln, daß das lateinische Schimpfwort ihm auf den Lippen erstarb. Es fiel ihm etwas Altes, Angenehmes und Lustiges ein, das sich weder auf Logik, noch auf die Grammatik des Priscianus und Donatus bezog; er lächelte auch und erwiderte dem Schüler:

»Vortrefflich! Du konntest dir keine andre Wissenschaft wählen, die mir mehr am Herzen läge. Begib dich am nächsten Sonntag nach der Kirche der Minoriten zur Frühmesse, wenn sich die Frauen aus der ganzen Stadt dort versammeln, dann suche, ob dir eine darunter gefallen könnte. Wenn du sie gefunden, folge ihr von weitem, bis du weißt, wo sie wohnt – dann kehre zu mir zurück. Dies sei deine erste Aufgabe; erfülle sie pünktlichst.«

Buggiolo tat, wie ihm der Maestro geheißen. Er ging in die Kirche und betrachtete aufmerksam die Gesichter der Frauen, die in großer Anzahl hingekommen waren.

Vor allen andern gefiel ihm eine Dame von schelmischer und zarter Anmut.

Als sie die Kirche verließ, folgte ihr Buggiolo und merkte sich das Haus, das sie bewohnte, woraus die Dame schloß, daß der Student ihr den Hof machen wollte.

Er kehrte zum Maestro zurück und sagte:

»Ich habe die erste Aufgabe gelöst; ich habe die Dame gefunden, die mir gefällt.«

Messer Fabricio kam dies alles sehr ergötzlich vor; denn im geheimen machte er sich lustig über den gutmütigen Buggliolo und die Wissenschaft, die er erlernen wollte.

»Jetzt mußt du,« sagte er ihm mit wichtiger, scharfsinniger Miene, »zwei- bis dreimal täglich an ihrem Fenster vorübergehen, aber sei bescheiden und anständig. Sieh verstohlen zu ihr hinauf, damit es niemand bemerke und die Dame nur verstehe, daß du in sie verliebt seiest. Dann kehre zu mir zurück. Das ist deine zweite Aufgabe.«

Buggiolo verabschiedete sich vom Maestro, begab sich nach der Straße, in der seine Auserkorene wohnte und promenierte vor ihrem Haus auf und ab, damit sie es merken sollte, daß er es ihretwegen täte. Die Dame gewahrte ihn; mehrmals grüßte Buggiolo sie mit ausgesuchtester Höflichkeit; sie antwortete ihm mit einem Kopfneigen, aus dem er schloß, daß auch sie ihm gewogen sei. Sofort ging er zum Professor und teilte es ihm mit; nachdem dieser ihn angehört, sagte er:

»Vortrefflich, ich bin mit dir zufrieden. Bis jetzt geht alles wie geschmiert. Jetzt schicke eine Straßenverkäuferin zu ihr, wie sie auf dem Borgo mit Spitzen, Beuteln, Bändern und anderm Modekram handeln. Lasse deiner Dame aber sagen, daß du ihr in allem, was sie wünschen sollte, zu dienen bereit wärest, daß du niemand auf Erden mehr liebtest als sie, und du gewillt seiest, ihr treuer Sklave zu sein. Warte die Antwort ab und kehre zu mir zurück; ich lehre dich dann, was du weiter zu tun hast.«

Ohne Zeit zu verlieren, ging Buggiolo, suchte eine alte, in solchen Angelegenheiten sehr vertraute Frau auf und sagte ihr:

»Ihr könnet mir einen großen Dienst erweisen. Ich bezahle Euch, daß Ihr zufrieden sein werdet.«

»Ich tue alles, was Eure Gnaden wünschen,« antwortete die Verkäuferin, »denn ich lebe von meiner Hände Arbeit, wie eine rechtschaffene Frau.«

Buggiolo gab ihr zwei Florins und sagte:

»Gehet bitte nach der Straße Mascarella, wo eine junge Frau, namens Madonna Giovanna, wohnt, in die ich verliebt bin. Teilt ihr mit, daß ich ihr getreuer Sklave bin und daß ich bereit wäre, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen. Sagt ihr das mit den zärtlichsten und eindringlichsten Worten, die sich ausdenken lassen.«

»Ich weiß, ich weiß schon,« entgegnete die Alte, »mit Hilfe Gottes und der gebenedeiten Jungfrau werde ich die Angelegenheit so betreiben, daß Euer Gnaden zufrieden sein und wieder zu mir kommen werden. Die Hauptsache ist nur, den richtigen Augenblick zu erwischen, doch das laßt meine Sorge sein.«

»So geht denn, ich werde hier auf Euch warten.«

Mit einem Korb voll Waren ging die Verkäuferin nach der Straße Mascarella, entdeckte bald die vor der Haustür sitzende Madonna Giovanna, begrüßte sie und sagte:

»Würde Madonna nicht etwas von meiner Ware genehm sein? Wählt ruhig alles, was Euer Gnaden gefällt!«

Die Alte setzte sich zu ihr und zeigte ihr Bänder, Tüll, Beutel, Gürtel, Scheren, Spiegel und dergleichen Sachen. Giovanna suchte lange; schließlich gefiel ihr ein Beutel und sie sagte:

»Wenn ich Geld hätte, würde ich gern diesen Beutel kaufen.«

»Madonna,« entgegnete die Alte, »lohnt es, sich um solche Kleinigkeiten zu beunruhigen? Ich sagte ja, nehmt von meinen Sachen, was Euch gefällt. Ich bin schon bezahlt worden.«

Die Dame erstaunte und fragte, um sich die Liebenswürdigkeit der Alten zu erklären:

»Was wollt Ihr damit sagen, liebe Frau? Was bedeuten diese Worte?«

Da begann die Verkäuferin mit leiser Stimme: »Ich werde es gleich erklären, Madonna. Ein Jüngling, namens Buggiolo hat mich zu Euer Gnaden geschickt. Er liebt Euch und ist Euch mit ganzer Seele ergeben. ›Es gibt auf der Welt nichts so Schwieriges und Gefährliches‹, meinte er, ›was ich nicht mit Freuden unternehmen würde, um die Liebe meiner Dame zu verdienen.‹ ›Gott, der Herr,‹ sagte er, ›könnte mir keine größere Gnade erweisen, als die: wenn es ihr gefiele, mir etwas zu befehlen.‹ Er selbst weint, vergießt Tränen und schmilzt wie ein Licht vor Liebe zu Euer Gnaden. Möge die himmlische Königin mein Gebet in der Todesstunde nicht hören, möge der Blitz mich hier treffen, wenn ich ein Wort erlogen, oder je in meinem Leben einen schöneren und edleren Jüngling gesehen hätte!«

Als Giovanna diese Worte vernahm, erglühte ihr Gesicht:

»Wenn die Sittsamkeit meiner Zunge nicht Schranken auferlegte, würde ich dir, alte Hexe, antworten, wie du es verdienst! Wie kannst du es wagen, einer rechtschaffenen Frau solche Anträge zu machen! Gott wird dich strafen!«

Mit diesen Worten ergriff sie einen Holzknüttel, der als Riegel zur Haustür diente und wollte sie damit schlagen.

Die Alte raffte eiligst ihre Ware zusammen und lief fort; sie fühlte sich nicht eher in Sicherheit, als bis sie zu Buggiolo wieder zurückgekehrt war.

»Nun, wie steht's?« fragte er, als er sie sah.

»Schlimm, mein Lieber, so schlimm, wie es ärger nicht sein kann. Einen solchen Schimpf habe ich in meinem Leben nicht erlitten. Wenn ich nicht so rasch entflohen wäre, hätten meine alten Knochen noch den Stock zu kosten bekommen. Ich weiß nicht, wie Ihr, Messer Buggiolo, darüber denkt, aber ich gehe um keinen Preis wieder zu ihr hin und rate es Euch auch nicht!«

Buggiolo wurde sehr betrübt, ging sofort zum Professor und berichtete ihm alles.

Messer Fabricio tröstete ihn und sprach:

»Beruhige dich, Buggiolo. Kein Baum fällt auf den ersten Streich. Gehe nochmals an ihrem Fenster vorüber; wir wollen sehen, was sie für ein Gesicht macht. Komm dann wieder zu mir.«

Buggiolo machte sich auf und ging zum Hause seiner Erkorenen. Als sie ihn von weitem erblickte, rief sie ihre Dienstmagd und sagte ihr:

»Uliva, siehst du diesen Jüngling? Geh ihm nach und sage ihm in meinem Namen, er solle heute abend bestimmt zu mir kommen.«

Uliva näherte sich Buggiolo und sagte:

»Messer! Madonna Giovanna läßt Euch bitten, sie heute abend zu besuchen, da sie mit Euch reden will.«

Buggiolo wußte nicht, was er davon denken sollte. Nichtsdestoweniger antwortete er:

»Es ist gut. Bestelle deiner Herrin, daß ich mit Freuden kommen werde.«

Eilig begab er sich nun zu Fabricio. Der Professor fragte erstaunt:

»In welcher Straße wohnt deine Auserkorene?«

»In der Straße Mascarella.«

»Wie heißt die Dienstmagd?«

»Ich weiß es nicht. Sie ist groß, hager, schwarz, lahmt auf einem Fuß.«

»Beim Herkules – Uliva!« murmelte der Professor in den Bart und wurde rot wie ein Krebs.

»Was wolltet Ihr sagen, Maestro?« fragte Buggiolo.

Messer Fabricio glaubte, der Boden versänke unter seinen Füßen, und das Gesicht Buggiolos verdoppele sich. Er fühlte, daß er nicht die Kraft besäße, den letzten Schlag zu ertragen; aus Furcht, Buggiolo könnte Madonna Giovanna, seine eigene Gattin nennen, wagte er es nicht, nach dem Namen der Dame zu fragen. Während der Wintermonate nächtigte der Professor im Universitätsgebäude, um die Möglichkeit zu haben, auch nachts seinen Studenten Vorlesungen zu halten. Madonna Giovanna blieb allein mit ihrer Dienstmagd zu Hause.

»Gehst du aufs Stelldichein, Buggiolo?«

»Selbstverständlich!«

»Ich bitte dich, komme bei mir vor und sage mir, wann du hingehst.«

Buggiolo sagte zu und entfernte sich. Aus Buggiolos Mienen und Worten ersah der Maestro, daß jener keinerlei Verdacht geschöpft habe.

»Ich wünsche nicht,« dachte Messer Fabricio, »daß er diese Wissenschaft auf meine Kosten erlerne.«

Abends kam Buggiolo.

»Maestro, meine Zeit ist gekommen.«

»Geh und sieh dich vor.«

»O, Ihr könnt Euch auf mich verlassen.«

Auf der Brust hatte er einen dicken Panzer, unter dem Arm ein scharfes Schwert und im Gürtel einen Dolch; mit einem Wort: er hatte alle Vorsichtsmaßregeln getroffen. Als er weggegangen war, folgte Fabricio so vorsichtig, daß Buggiolo es nicht bemerkte. Er trat an die Haustür seiner Dame; kaum hatte er geklopft, so öffnete sie selbst und ließ ihn herein. Als der Professor sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, daß die Auserkorene Buggiolos, Madonna Giovanna, seine Frau sei, geriet er in entsetzliche Wut.

»Bei Minerva, jetzt besteht kein Zweifel mehr; er lernt auf meine Kosten!«

Messer Fabricio eilte ins Universitätsgebäude, holte ein Schwert, einen Dolch und kehrte in die Straße Mascarella zurück mit der Absicht, Buggiolo in flagranti zu ertappen. Als er an seine Haustür kam, begann er zu klopfen. Madonna Giovanna saß indessen mit ihrem Geliebten vor dem Herdfeuer; als sie das Klopfen vernahm, erriet sie, daß es ihr Gatte sei; sie nahm Buggiolo bei der Hand, führte ihn ins Nebenzimmer und versteckte ihn unter einem Haufen nasser Wäsche, der auf dem Tisch am Fenster lag. Dann lief sie zur Tür und fragte, wer da wäre.

»Öffne, öffne, du Nichtswürdige,« schrie der Maestro.

Giovanna öffnete die Tür und rief, als sie den Professor bewaffnet sah:

»Ei, ei, was hat denn das zu bedeuten, Messer Fabricio?«

Er beruhigte sich nicht und schrie ganz laut:

»Beim Apollo, ich weiß, wer in meinem Hause ist.«

»Oh, ich Unglückliche,« rief Giovanna, »was redet Ihr für Zeug? Seid Ihr bei Verstand? Durchsucht das ganze Haus und wenn Ihr etwas findet, mag man mich vierteilen. Welche Schande, welch ein Schimpf, ach Gott! Lohnt es sich wohl, eine treue Frau zu sein? Fragt die Nachbarn; die können Euch von meiner Tugend und Sittsamkeit berichten. Vor kurzem kam ein altes Weib … Aber weshalb darüber reden? Wenn Ihr etwas Böses geträumt habt, so bekreuzt Euch, betet um Erlösung von der Heimsuchung des Teufels, der Eure Seele zu verderben trachtet.«

Der Maestro ließ sich ein Licht anzünden und suchte im Keller hinter den Fässern; dann ging er in die Zimmer und durchstöberte sie, sah unters Bett, durchstach mit seinem Schwerte die Strohsäcke an verschiedenen Stellen; kurz, er ließ kein Mauseloch ununtersucht: aber Buggiolo fand er nicht. Madonna Giovanna begleitete ihn mit dem Licht in der Hand und wiederholte:

»Teurer Maestro, kommt zu Euch, bekreuzt Euch; denn jetzt sehe ich es klar, daß der Feind Gottes Euch heimsucht. Ihr habt etwas so Schlechtes geträumt, daß man sich schämen muß, es auszusprechen; mögt Ihr es wissen, daß ich, wenn es nur ein Haar auf meinem Haupte nach derartigem gelüstete, Hand an mich legen würde. Maestro, ich beschwöre Euch im Namen Gottes, gebt Euch nicht den Versuchungen des Teufels hin!«

Da er Buggiolo nicht fand und immer die Versicherungen seiner Frau vernahm, so glaubte Fabricio ihr fast, löschte das Licht aus und begab sich wieder nach der Universität.

Madonna Giovanna riegelte gleich hinter ihm die Tür ab, holte den Geliebten unter der nassen Wäsche hervor, entfachte ein helles Feuer auf dem Herd, an dem sie ein Spanferkel briet, und holte verschiedene Weine aus dem Keller. Sie tranken, aßen, belustigten sich und verbrachten die Nacht unter gemeinsamen Liebkosungen. Als aber der Morgen anbrach, sagte Buggiolo:

»Madonna, ich muß jetzt von Euch scheiden! Würde es Euer Gnaden nicht gefallen, mir einen Befehl zu erteilen?«

»O, ja!« sagte sie, ihn umarmend und zärtlich küssend. »Meine Gnaden wollen, daß du heute abend wiederkommst.«

Buggiolo versprach zu kommen, eilte in die Universität und berichtete dem Professor:

»Ich kann Euch etwas erzählen, was Euch sicher ergötzen wird.«

»Erzähle, ich bin ganz Ohr!«

»Gestern abend,« sagte Buggiolo, »als ich im Hause meiner Geliebten war, kam ihr Gatte und durchsuchte das ganze Haus, ohne etwas zu entdecken. Sie hatte mich unter einen Haufen nasser Wäsche versteckt und verstand ihn so zu beschwatzen, daß der Narr sich überzeugen ließ und fortging. Wir aber blieben allein, aßen ein Spanferkel zum Abend, kosteten eine Menge feiner Weine, und ich versichere es Euch, Maestro, wir haben uns sehr gut unterhalten. Diese Wissenschaft der Liebe scheint mir die allerangenehmste und unterhaltendste zu sein; nach meinem Ermessen kann sich keine andre mit ihr vergleichen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euch danken soll, verehrter Maestro! … Mit Eurer Erlaubnis werde ich jetzt mich etwas ausruh'n, da ich die Nacht wenig geschlafen und versprochen habe, heute Abend wiederzukommen.«

»Wenn du hingehst, komm bei mir vor und sage es,« erwiderte Messer Fabricio.

»Mit Vergnügen,« entgegnete Buggiolo und entfernte sich, um schlafen zu gehen.

Der Professor war außer sich vor Wut; er versuchte eine Vorlesung zu halten; aber an Stelle der Syllogismen kamen derartige Dummheiten zu Tage, daß er rasch Krankheit vorschützte und das Katheder verließ. Eifersucht verzehrte ihn und den ganzen Tag dachte er darüber nach, wie er wohl Buggiolo abfassen und bestrafen könne. Bei einem alten Landsknechte, der in der Nebengasse einen Waffenhandel betrieb, entlieh er sich einen verrosteten Panzer und einen alten Helm mit Visier. Als der Abend anbrach, kam Buggiolo unbefangen zu Messer Fabricio und sagte ihm: »Ich gehe jetzt.«

»Geh nur, geh! Vergiß nicht, morgen früh wiederzukommen und mir zu erzählen, wie es dir ergangen ist.«

»Seid unbesorgt, ich komme,« sagte Buggiolo und ging zu seiner Geliebten.

Der Professor schnallte sich den Panzer um, setzte den Helm auf und schlich vorsichtig hinter Buggiolo her, da er ihn an der Haustür abfassen wollte. Giovanna erwartete ihren Geliebten, ließ ihn herein und verriegelte hinter ihm die Tür. Gleich darauf kam der Professor und begann zu toben. Giovanna löschte das Licht aus, stellte sich vor ihren Geliebten, öffnete die Tür und umhalste mit dem einen Arm ihren Gatten, während sie mit der andern Hand Buggiolo so geschickt und rasch hinausschob, daß der Maestro nichts gewahr wurde, und begann dann zu schreien:

»Hilfe! Hilfe! Der Maestro hat seinen Verstand verloren!«

Sie hielt ihn fest und ließ ihn nicht los. Buggiolo hatte Messer Fabricio nicht erkannt, da er sein mit dem Visier verdecktes Gesicht nicht sehen konnte. Auf den Lärm hin kamen die Nachbarn herbeigelaufen; als sie den Professor in der an ihm ungewohnten Rüstung gewahrten und das Geschrei seiner Gattin hörten: »Haltet ihn fest, er hat durch Überanstrengung den Verstand verloren!« glaubten sie, daß tatsächlich Messer Fabricio nicht bei Sinnen sei. Teilnehmend umringten sie ihn:

»Ach, Maestro, Maestro, was ist Euch geschehen? Legt Euch rasch zu Bette, ruhet Euch gehörig aus und überanstrengt Euer Gehirn nicht mit übermäßiger Arbeit. Obgleich wir einfache Leute sind, so raten wir Euch doch aus gutem Herzen; beruhigt Euch, Maestro.«

»Wie soll ich mich denn beruhigen,« schnaubte Messer Fabricio, »wenn ich doch mit eigenen Augen gesehen habe, wie diese Nichtswürdigste den Liebsten ins Haus hereingelassen hat.«

»Einen Liebsten!« schrie Madonna Giovanna auf, »o, ich Unglückliche! So fraget doch diese guten Leute, ob sie es je bemerkt haben, daß ich mich vergangen hätte.«

Alle anwesenden Männer und Frauen riefen einstimmig:

»Maestro, so redet doch keinen solchen Unsinn; denn es gibt auf Erden keine so sittsame und tugendhafte Frau als Eure Gattin. Wenn's etwas andres wäre, aber das wissen wir zu genau.«

»Nichts wißt ihr,« schrie der Maestro, »ich sage euch ja, mit meinen eigenen Augen habe ich den Liebsten gesehen; er befindet sich jetzt in meinem Hause.«

Indessen kamen die Brüder der Madonna Giovanna herbei. Als letzterer sie erblickte, weinte sie noch bitterlicher und sagte:

»Liebe Brüder, mein Gatte hat den Verstand verloren und will mich töten. Er sagt, ich hätte einen Liebhaber ins Haus gelassen; was sagt ihr dazu? Ihr wißt doch, daß ich keine solche Frau bin und nicht so erzogen ward, um solche Beleidigungen hinnehmen zu müssen.«

»Wir wundern uns,« sagten die Brüder, »daß Ihr es wagt, unsere Schwester ›eine Nichtswürdige‹ zu schimpfen. Wieviel Jahre habt Ihr mit ihr in gutem Einvernehmen gelebt? Was ist denn heute vorgefallen, und weshalb seid Ihr so in Wut gegen sie?«

»Ich habe ihren Liebsten gesehen,« behauptete Messer Fabricio, »ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen!«

»Es ist gut,« erwiderten die Brüder, »suchen wir ihn. Wenn wir ihn finden, so werden wir die Schwester bestrafen, daß Ihr zufrieden sein werdet.«

Einer von ihnen nahm die Schwester beiseite und fragte sie:

»Sage die Wahrheit, ist ein Mann im Hause verborgen?«

»Was sprichst du,« rief Madonna Giovanna, »schämst du dich nicht, mir so etwas zuzutrauen. Behüte mich der Herr vor solcher Schmach. Ich würde lieber tausendmal sterben, als so etwas tun oder nur etwas Ähnliches denken.«

Diese Worte beruhigten die Brüder vollends und sie begannen gemeinsam mit Messer Fabricio das Haus zu durchsuchen. Der Maestro erblickte einen Haufen Wäsche, stürzte auf denselben hin und stach mit seinem Schwerte so wütend hinein, als ob es Buggiolo selbst wäre, den er darunter verborgen wähnte.

»Nun seht, nun seht,« schlug Giovanna die Hände zusammen, »sagte ich euch nicht, daß er den Verstand verloren hat? Ist das nicht völliger Wahnsinn, seine eigene Habe, die ihm doch kein Leid zugefügt hat, so zu verderben?«

Die Brüder durchsuchten das ganze Haus, fanden nichts und kamen zur Überzeugung, daß der Maestro tatsächlich nicht bei Verstand sei.

»Er ist irrsinnig geworden,« sagte der eine.

»Maestro,« fügte der andre hinzu, »teurer Maestro, gebt zu, daß Ihr sehr ungerecht gewesen seid, als Ihr unsere Schwester eine Nichtswürdige geschimpft habt!«

Als der Professor diese Worte vernahm, geriet er in Wut; da er an dem, was er mit eigenen Augen gesehen, nicht zweifeln konnte, überschüttete er sie mit argen Schimpfworten, wobei er die ganze Zeit das gezückte Schwert in der Hand hielt. Da fielen sie über ihn her, griffen, entwaffneten und banden ihn an Händen und Füßen; sie ließen ihn so die ganze Nacht liegen, während sie selbst und die Schwester sich schlafen legten. Morgens holten sie einen Arzt, der eine Arznei verschrieb, Eisumschläge auf den Kopf anordnete, ihn zur Ader ließ, verbot, daß jemand mit dem Kranken spräche und seine Fragen beantwortete. Er empfahl strenge Diät, bis der Zustand sich bessere. Alles wurde getreulich ausgeführt.

In Bologna verbreitete sich das traurige Gerücht, Messer Fabrico, der berühmte Doktor der Dialektik, der »König der Schlußfolgerungen«, sei irrsinnig geworden. Alle bemitleideten ihn; die Studenten sprachen untereinander:

»Ich bemerkte es bereits gestern, daß es mit dem Professor nicht ganz richtig sei. Erinnert ihr euch, er konnte die Vorlesung nicht beenden; seine Gesichtszüge waren so fremdartig.«

Viele frohlockten im geheimen.

»Seht, dazu führt allzu große Gelehrsamkeit den Menschen. Ehe man es sich versieht, hat der Teufel einen in seinem Netze.«

Die Studenten beschlossen, den kranken Professor zu besuchen. Buggiolo, der nichts ahnte, kam in die Universität, um Messer Fabricio seine neuen Abenteuer zu berichten. Hier aber teilte man ihm mit, daß der Professor irrsinnig geworden sei. Buggiolo erstaunte, wurde sehr betrübt und ging gemeinsam mit seinen Kameraden den Kranken besuchen. Als er merkte, wohin und zu welchem Hause sie gingen, hatten seine Zweifel, sein Schrecken keine Grenzen. Nun begriff er alles und hätte fast das Bewußtsein verloren. Aus Furcht, jemand könne seine Verwirrung bemerken, betrat er mit seinen Kameraden das Haus und erblickte Messer Fabricio, gefesselt, blaß, mit Eisumschlägen auf dem Kopf, im Bette liegend. Der Reihe nach traten die Studenten an den Professor heran und drückten ihm ihre Teilnahme und ihr Bedauern aus. Als die Reihe an Buggiolo kam, näherte er sich Messer Fabricio und sagte ihm:

»Mein lieber Maestro, ich liebe und schätze Euch wie meinen eigenen Vater, wenn ich daher etwas für Euch tun kann, so befehlt es mir, wie einem Sohne.«

Der Maestro las Buggiolo die innige Reue vom Gesicht ab und antwortete herzlich:

»Buggiolo, Buggiolo, gehe mit Gott! Du hast auf meine Rechnung genug gelernt, obgleich, wenn ich die Wahrheit sagen soll, auch du mich manches gelehrt hast.«

»Beachtet seine Worte nicht,« fügte Madonna Giovanna rasch hinzu, »er phantasiert.«

Buggiolo entfernte sich eiligst, suchte Pietro Paolo auf und sagte ihm:

»Bruder, sei glücklich! Ich habe hier so viel gelernt, daß mir die Lust vergangen ist, noch mehr zu lernen.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich vom Freunde, reiste sofort ab und kam wohlbehalten in Rom an.


Dmitry S. Mereschkowski

Dmitry S. Mereschkowski, geboren 1866 zu Petersburg als Sohn eines hohen kaiserlichen Beamten, dürfte wohl heute in Deutschland neben Gorki der bekannteste der lebenden russischen Dichter sein. An der Petersburger Universität studierte er Philologie und während der ersten Regierungsjahre Alexanders III., die schwer auf Rußland und der russischen Seele lasteten, entstanden die ersten Poesien Mereschkowskis, die, wie er selbst sagt, »nur Pessimismus atmeten«. Nach einiger Zeit erschien ein zweiter Band, » Poesies symboles«. Es erfolgte ein schneller Aufstieg zum Mittelpunkt seines dichterischen Werkes der großen Romantrilogie »Christ und Antichrist«, den »Tod der Götter« in »Julian Apostata«, die »Auferstehung der Götter« in »Leonardo da Vinci« und den »Antichrist« in »Peter der Große« enthaltend. »Leonardo da Vinci«, wohl als der Gipfel seiner bisherigen Dichtungen anzusprechen, hat denn auch seinen Namen weit über die Grenzen Rußlands getragen und besonders in Deutschland heimisch gemacht. Seiner Verehrung für Tolstoi und Dostojewski, die er neben Nietzsche als »seine Götter« hinstellt, hat er in einer eingehenden kritischen Würdigung ihres Lebens und Schaffens Rechnung getragen. Seine Renaissance-Novellen, von denen noch besonders »Michelangelo« zu nennen ist, zeigen ihn als Meister einer Kleinkunst von köstlicher Feinheit.

Dmitrys S. Mereschkowskis gesammelte Werke in fünf Bänden, enthaltend die Romantrilogie »Christ und Antichrist«, »Tolstoi und Dostojewski« und die »Renaissancenovellen »Michelangelo«, sind im gleichen Verlage in vornehmer Geschenkausstattung (in Seiden-Kanevas und Halbleder) erschienen.

 


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