Moses Mendelssohn
Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele
Moses Mendelssohn

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Anhang

zur 3. Auflage des Phädon

1769


Anhang,
einige Einwürfe betreffend, die dem Verfasser gemacht worden sind.

Verschiedene Freunde der Wahrheit haben die Gewogenheit gehabt, mir ihre Erinnerungen und Anmerkungen über obige Gespräche, theils in Privatbriefen und theils in öffentlichen Blättern, zu Gesichte kommen zu lassen. Nicht wenige derselben habe ich bey dieser zwoten Auflage mit Nutzen gebraucht. Ich habe hier und da verändert, an einigen Stellen mich deutlicher erklärt, und andere durch Noten erläutert. Dieses ist der einzige Dank, den diese würdige Männer von mir erwarten. Aber alles habe ich nicht aus dem Wege räumen können, was meinen Richtern anstößig geschienen. Zum Theil haben mich ihre Gründe nicht überzeugt, und zum Theil giengen ihre Anforderungen über meine Kräfte. Man erlaube, daß ich mich hier über einige Erinnerungen von dieser Art erkläre.

Ueberhaupt muß ich bekennen, daß die Kunstrichter in Ansehung meiner eher nachsichtsvoll, als strenge gewesen sind. Ich habe mich über keinen unbilligen Tadel zu beschweren, vielleicht eher über unbilliges Lob, davon mich die Selbsterkenntniß versichert, daß es übertrieben ist. Unmäßiges Lob pflegt mehr die Absicht zu haben andere zu demüthigen, als den Gegenstand desselben anzuspornen. Ich habe mir niemals in den Sinn kommen lassen, Epoche in der Weltweisheit zu machen, oder durch ein eigenes System berühmt zu werden. Wo ich eine betretene Bahn vor mir sehe, da suche ich keine neue zu brechen. Haben meine Vorgänger die Bedeutung eines Worts festgesetzt, warum sollte ich davon abweichen? Haben sie eine Wahrheit ans Licht gebracht, warum sollte ich mich stellen, als wüßte ich es nicht? Der Vorwurf der Sektirerey schreckt mich nicht ab, von andern mit dankbarem Herzen anzunehmen, was ich bey ihnen brauchbares und nützliches finde. Ich gestehe es, der Sektiergeist hat dem Fortgange der Weltweisheit sehr geschadet, aber er kann, meines Erachtens, von Liebe zur Wahrheit eher im Zaume gehalten werden, als die Neuerungssucht.

Jedoch ich soll, selbst in dem ersten Gespräche, allwo ich genauer beym Plato geblieben zu seyn vorgebe, Sätze aus Wolf und Baumgarten ohne Beweis vorausgesetzt haben, die nicht jeder Leser so schlechterdings annimmt. – Welches sind denn diese Sätze? Etwa, daß die Kräfte der Natur stets wirksam sind? Ich glaube, dieser Satz sey so alt, als die Weltweisheit selbst. Man hat von je her gewußt, daß ein wirksames Ding, wenn es nicht gehemmet wird, die ihm angemessene Wirkung hervorbringt, und wenn es Widerstand findet; so wirkt es in diesen Widerstand zurück. Es ist also niemals in Ruhe. Das Wort würklich seyn, wodurch man das Daseyn andeutet, giebt nicht ohne Grund zu verstehen, daß alles, was da ist, auch würklich seyn, d. i. etwas thun müsse. Eine Kraft, die nicht wirkt, ist eine Kraft, die nicht vorhanden ist, denn das Können, Vermögen, u. s. w. sind bloße Möglichkeiten, Begriffe, die nicht eher einen Gegenstand haben, als wenn von würklichen Kräften die Rede ist, die auf eine gewisse Art angewendet sind, in so weit sie ihrer Natur nach auch andern Anwendungen nicht widersprechen. Man sagt z. B. von einem Manne in Geschäften, er könne auch dichten, er besitze das Vermögen dazu in einem vorzüglichen Grade. Wenn in dieser Redensart Wahrheit seyn soll, so muß sie folgende Bedeutung haben; die Seelenkräfte dieses Mannes, die itzt mit der Verwaltung eines bürgerlichen Amts, u. s. w. beschäftiget sind, widersprechen auch einer Anwendung nicht, wodurch gute Gedichte hervorkommen würden. Wenn von einer Kraft gesagt wird, sie würke nur bey einer gewissen Gelegenheit; so ist die Frage: und wenn diese Gelegenheit fehlet, was geschiehet? – Würkt die Kraft alsdann gar nichts? – So ist sie ja in Abwesenheit der Gelegenheit eine bloße Möglichkeit zu würken, und diese bloße Möglichkeit soll doch auch vorhanden seyn? – Die Gelegenheit kann nur die Anwendung der Kräfte abändern, indem diese Anwendung nicht von der Kraft selbst; sondern von der Verbindung, in welcher sie mit andern Dingen stehet, abhänget, aber die Gelegenheit kann keine Kraft erwecken, die aufgehört hat zu wirken, auch keine Kraft vernichten, die einmal vorhanden ist. Wenn also gesagt wird: eine jede Kraft müsse beständig wirksam seyn; so verstehst es sich von selbst, daß blos von ursprünglichen Kräften die Rede ist, nicht von ihrer Anwendung auf besondere Arten von Gegenständen, wodurch Fähigkeiten entstehen. Diese werden zuweilen, wiewohl etwas uneigentlich, auch Kräfte genennt; allein von ihnen ist es offenbar, daß sie nicht immer wirksam seyn dürfen, und dieses geschiehet, wie vorhin schon berühret worden, so oft sich von der ursprünglichen Kraft begreiffen läßt, daß sie ihrer Natur nach auf eine gewisse Art von Gegenständen zwar anwendbar, aber nicht immer angewendet seyn müsse. So kann das Nachdenken bey einem Schlafenden, die Erfindungskraft bey einem sinnlich Beschäftigten, und die Urtheilskraft bey einem Bethörten, eine Zeitlang ganz unthätig seyn. Aber alsdann ist die ursprüngliche Kraft, von welcher diese Fähigkeiten, die zuweilen auch Kräfte heißen, bloße Ableitungen sind, nichts weniger als unthätig. Diese Begriffe leuchten der gesunden Vernunft so sehr ein, daß sie keines Beweises bedürfen, und die Weltweisen aller Zeiten müssen sie gedacht, nur zuweilen in Worten anders ausgedrückt haben.

Ist etwa dieser Satz Wolfisch: daß alles Veränderliche keinen Augenblick unverändert bleibe? – Nicht doch, die Schriften des Plato sind voll davon. Alle vergängliche Dinge, sagt dieser Weltweise im Theätetus und an vielen andern Stellen, sind in beständigem Wechsel von Gestalten, und bleiben keinen Augenblick sich selbst ähnlich. Er schreibt ihnen daher kein wirkliches Daseyn; sondern ein Entstehen zuPlotinus sagt: Iam vero neque corpus omnino erit ullum, nisi animae vis extiterit. Nam fluit semper et in motu ipsa corporis natura versatur, citoque periturum est universum, si quaecunque sunt sint corpora.. Sie sind nicht vorhanden, spricht er, sondern entstehen durch die Bewegung und Veränderung, und vergehen. Dieses ist ein Hauptgrundsatz der platonischen Lehre, und hierauf gründet sich seine Theorie von dem wahren Daseyn der allgemeinen unveränderlichen Begriffe, sein Unterschied zwischen Wissenschaft und Meynung, seine Lehre von Gott, und von der Glückseligkeit, seine ganze Philosophie.

Alle Schulen der Alten sind beschäftiget gewesen, diesen Satz zu bestätigen, oder zu widerlegen. Man weiß das Gleichniß von einem Baume, der seinen Schatten auf ein vorbeyfließendes Wasser wirft. Der Schatten scheinet immer derselbe zu seyn, obgleich der Grund, auf welchem er gezeichnet ist, sich beständig fortbewegt. So, sagten die Anhänger des Plato, scheinen uns die Dinge Beständigkeit zu haben, ob sie gleich in stetem Wechsel sind. Daß diese Lehren auch im Wolf und Baumgarten vorkommen, ist kein Wunder, da sie seit den Zeiten des Heraclitus und Pythagoras von jedem Weltweisen haben untersucht werden müssen. Ich würde durchaus antik geblieben seyn, wenn ich keine neueren Sätze hätte brauchen dürfen, als diese.

Ich soll aber meine ganze Demonstration auf den Satz gegründet haben, daß empfinden, denken und wollen die einzigen Wirkungen der Seele sind, und dieser Satz soll ausser der Schule, der ich anhänge, nicht angenommen werden. Ja, setzt ein Kunstrichter hinzu, wenn er auch von der Seele, als Seele, zugegeben wird; so kann er doch nicht von der Seele als Substanz gelten. Als Substanz muß sie auch noch eine bewegende und widerstehende Kraft haben, die mit der denkenden gar nichts gemein hat. Durch diese Unterscheidung soll einer von meinen Hauptbeweisen über den Hauffen fallen, denn die Seele kann nach dem Tode als Substanz wirksam bleiben, ohne als Seele zu empfinden, zu denken und zu wollen.

Wir wollen sehen! Mein Beweis, sagt man, gründe sich auf einen Satz, der nicht wahr ist, und ich? ich glaube, der Satz sey wahr, aber mein Beweis gründe sich nicht darauf. Ob eine Substanz nur eine Grundkraft, oder mehrere haben könne, ob denken und wollen aus einer, oder mehrern Grundthätigkeiten fließen, ob die Seele den Leib bewege, oder nicht bewege, ob die Seele nach dem Tode ganz körperlos seyn werde; diese und mehrere dahin einschlagende Untersuchungen kann ich als unausgemacht dahin gestellt seyn lassen. Für mich habe ich zwar Partey genommen; allein die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele sollen mit so wenig andern Streitfragen, als möglich, verwickelt bleiben. Das Vermögen oder die Kraft zu denken und zu wollen nenne ich Seele, und mein ganzer Beweis gründet sich auf folgendes Dilemma: Denken und wollen sind entweder Eigenschaften des Zusammengesetzten, oder des Einfachen. Jenes wird im zweyten Gespräche untersucht. In dem ersten betrachte ich sie als Eigenschaften des einfachen Wesens. Die Eigenschaften des einfachen Wesens sind entweder Grundthätigkeiten, oder Modifikationen anderer Thätigkeiten. Man gestehet ein, daß denken und wollen nicht bloße Modifikationen anderer Kräfte; sondern ursprüngliche Thätigkeiten seyn müssen. Eine, oder mehrere, das thut nichts; die einfachen Wesen mögen auch ausser dem Denken und Wollen noch andere Kräfte haben, bewegende, widerstehende, stoßende oder anziehende, so viel man nur will, und Namen erdenken kann. Genug, daß denken und wollen nicht bloße Abänderungen dieser ungenannten Kräfte sondern von ihnen unterschiedene Grundthätigkeiten sind. Nun können alle natürliche Kräfte nur Bestimmungen abändern, nur Modifikationen mit einander abwechselnd machen, niemals aber Grundeigenschaften und für sich bestehende Thätigkeiten der Dinge in Nichts verwandeln; daher kann die Kraft zu denken und zu wollen, oder können die Kräfte zu denken und zu wollen, niemals durch natürliche Veränderungen vernichtet werden, wenn sie auch noch so viel von ihnen verschiedene Kräfte zurücklassen. Eine wunderthätige Allmacht gehört dazu, ein solches Vermögen hervorzubringen, oder zu zernichten.

Daß durch alle Kräfte der Natur nichts wahrhaftig zernichtet werden könne, ist, so viel ich weiß, von keinem Weltweisen noch in Zweifel gezogen worden. Eine natürliche Handlung, hat man von je her gesagt, muß Anfang, Mittel und Ende haben, das heißt, es muß ein Theil der Zeit verstreichen, bevor sie vollendet wird. Dieser Theil der Zeit mag so klein seyn, als man will, er verläugnet doch niemals die Natur der Zeit, und hat aufeinanderfolgende Augenblicke. Sollen die Kräfte der Natur eine Wirkung hervorbringen; so müssen sie sich dieser Wirkung allmälig nähern, und sie vorbereiten, bevor sie erfolget. Eine Wirkung aber, die nicht vorbereitet werden kann, die in einem Nu erfolgen muß, hört auf natürlich zu seyn, kann nicht von Kräften hervorgebracht werden, die alles in der Zeit thun müssen. Alle diese Sätze sind den Alten nicht unbekannt gewesen, und sie schienen mir in dem Raisonnement des PlatoIm Phädon. von den entgegengesetzten Zuständen und den Uebergängen von einem auf den andern, nicht undeutlich zu liegen. Darum suchte ich sie meinen Lesern nach Platons Weise, aber mit der unsern Zeiten angemessenen Deutlichkeit, vorzutragen. Sie leuchten zwar der gesunden Vernunft ziemlich ein; allein durch die Lehre von der Stetigkeit erlangen sie meines Erachtens einen hohen Grad der Gewißheit. Ich ergriff auch nicht ungern die Gelegenheit, meine Leser mit dieser wichtigen Lehre bekannt zu machen, weil sie uns auf richtige Begriffe von den Veränderungen des Leibes und der Seele führet, ohne welche man Tod und Leben, Sterblichkeit und Unsterblichkeit nicht aus dem rechten Gesichtspunkte betrachten kann.


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