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[Biographie]

Wie aus Heimatsinn und Heimatfreude eine glühende Vaterlandsliebe hervorwächst, wie aus Bibelfestigkeit und Gesangbuchliederklang ein starker Christenglaube entsteht, wie ein trotziges Bauernblut zu wahrem Sinn für Freiheit und Königstreue taugt, und wie das alles sich in einer Person zu einem echten deutschen Charakter verbindet, das zeigt kein anderer Mann besser als Ernst Moritz Arndt. Zwar ist manches vergessen, was dieser Patriot in der Pflicht des Tages seinem Volke geschrieben und gesungen, und veraltet oder selbstverständlich erscheint vieles von dem, das einst seine Zeitgenossen begeisterte, aber es ist genug übrig geblieben, was seine Landsleute in der Zeit der Not sich ins eigene Herz zurückrufen können, was wert ist, aus der Registrande der Literaturgeschichten herausgenommen und als Denkmal für das wahre deutsche Gewissen aufgebaut zu werden.

Ein schmuckes Haus, von dem aus man das Rauschen der deutschen See und des deutschen Eichenwaldes hörte, in einem Hofe, an den sich hübsche Blumengärten anschlossen, das war der ehemalige Rittersitz Schoritz, gegenüber dem Zudar, der südlichen Halbinsel Rügens, wo Arndts Eltern als Inspektorsleute des damaligen Grafen Putbus wohnten, als ihr Sohn Ernst Moritz am 26. Dezember 1769 das Licht der Welt erblickte. Die erste Lehrerin des Kindes war die freie weite Natur; im Kampfe mit ihr, in Winterstürmen oder im Spiele mit den Wellen des Meeres zur Sommerszeit wurde seine Willenskraft gestählt, die Widerstandsfähigkeit seines Körpers befestigt, indem nur selten ein Wort des Vaters den überschäumenden Mut bändigte oder auf richtigen Weg wies. Dazu gab es nicht viel Zeit; denn der Inspektor Ludwig Nicolaus Arndt ging ganz in seinem landwirtschaftlichen Berufe auf, und was nach strenger Pflichterfüllung etwa der Muße gewidmet wurde, nahm der Verkehr mit den Nachbarn in Anspruch. Von dem Charakter des Vaters hat aber unser Ernst Moritz doch einiges geerbt, die Lebensfreude, die Treue und strenge Redlichkeit, das zähe Festhalten an einer Meinung, die behagliche Breite, seine Gedanken auseinanderzusetzen, den Trieb sich selbständig weiterzubilden und, was er wußte, praktisch zu verwerten, die Lust an frohem Verkehr, an freiem Wort und derber Rede und endlich die Sehnsucht, andere Länder und Menschen kennen zu lernen. Was dem Vater fehlte das tiefe Gemüt, das brachte die Mutter ihrem Sohne mit. Sie war die Tochter eines kleinen Gastwirts in der Nähe von Putbus, hatte aber eine über ihren Stand hinausgehende Schulbildung erhalten, indem sie mit reichen Pächterstöchtern einige Jahre lang unterrichtet worden war. Von ihrem Wissen teilte sie gern alles ihren Kindern mit, soviel ihr die schwere Arbeit im Hause Zeit ließ, aber lieber als ihre Lehre nahmen die jugendlichen Gemüter die Märchen auf, die sie aus ihrer eigenen Kindheit und ihrer Heimat noch in Erinnerung hatte. Die Lust zu fabulieren hat auch Arndt von seinem Mütterchen überkommen, und die Gemütstiefe und Herzensinnigkeit, den frommen Kindessinn und die Bedürfnislosigkeit von ihr als Erbteil erhalten.

Der schöne Schauplatz der ersten Kinderspiele Arndts änderte sich bald, indem sein Vater von dem lieblichen Schoritz hinweg weiter von der See ab nach dem ein wenig nördlicher gelegenen Dumsewitz zog, nicht mehr als Inspektor, sondern als Pächter; aber auch dort blieb er nur fünf oder sechs Jahre, um eine neue Pacht im südwestlichen Teile Rügens, die der Güter Grabitz und Breesen zu übernehmen. Hier war der Knabe wieder in der Nähe seines geliebten Meeres, hier boten sich dem zwölfjährigen neue Wunder seiner Heimat, Hünengräber, ein altes Kloster, Tannenwälder und sagenumwobene Hügel. Der rastlos weiterstrebende Vater aber vertauschte die kleine Pachtung mit der größeren der Löbnitzer Güter, die südlich von der Stadt Barth auf dem Festlande lagen und ehemals im Besitz der Grafen Schwerin waren. Nachdem die Eltern ihre pädagogischen Künste an den Knaben, unserm Arndt, seinem älteren Bruder Karl und dem jüngeren Fritz, versucht hatten und es ihnen gelungen war, wenigstens Lesen, Schreiben und Rechnen, vor allem aber absolute Bibelfestigkeit, den Söhnen beizubringen, hielten sie die Hilfe eines Hauslehrers für notwendig. Jedoch scheiterte die Lehrkunst verschiedener an der unbezwinglichen Liebe zur Freiheit und Natur der beiden Zöglinge, die ihren ältesten Kameraden mit Wehmut nach Stralsund auf das Gymnasium hatten abziehn sehn; nur der letzte der Hauslehrer, der Kandidat der Theologie Dankwardt, vermochte dadurch, daß er seinen Zöglingen sich als Freund und guter Kamerad näherte, sie in geordnetem Lernen, in williger Auffassung und in selbständigem Denken weiter zu bringen. Unterstützt wurde dieses Bestreben durch eine Lesegesellschaft, welche eine Anzahl Kandidaten der umliegenden Ortschaften gebildet hatte und in die diese ihre Schüler mitnahmen. Freilich blieb ihnen bei den philosophischen und pädagogischen Besprechungen manches unklar, und die langen Sitzungen, die in die Zeit von Sonnabend mittag bis Montag morgen fielen und nicht selten zu Trinkgelagen ausarteten, waren pädagogisch nicht zu rechtfertigen, aber immerhin lernten wenigstens die Schüler eine Reihe literarischer Werke kennen und nahmen, was sie von Lessing und Shakespeare, Salzmann und Rousseau verstanden, begeistert in sich auf.

siehe Bildunterschrift

Arndts Geburtshaus in Gr. Schoritz a. Rügen.

Lückenhaft vorgebildet, aber in einzelnen Disziplinen und in eigener Ausfassung weit voraus, wenig weltgewandt im Verkehr mit städtischen Altersgenossen, jedoch voll edler Begeisterung für alles Wissen, für Wahrheit und Recht, so kam Ernst Moritz als siebzehnjähriger Jüngling auf das Gymnasium zu Stralsund, um nach Absolvierung der beiden oberen Klassen die Universität zu beziehen. Als er aber bereits ein Jahr in Prima gesessen hatte, brach die unterdrückte Liebe zur Freiheit ungestüm noch einmal bei ihm durch. Mit dem Gefühle in der Verweichlichung des Stadtlebens es körperlich und seelisch nicht aushalten zu können, wohl auch durch einzelne Erfahrungen, die das jugendliche Gewissen drückten, bewogen, verließ Arndt heimlich Stralsund, um sich irgendwo auf dem Lande als Schreiber zu verdingen; aber nicht in der Fremde, sondern im Elternhaus, wohin der Flüchtling zurückgeholt worden war, fand er die Seelenruhe wieder und mit ihr die Freude am Weiterlernen. So gingen die anderthalb Jahre die er 1789 bis 1791 in Löbnitz verlebte, nicht ohne Nutzen für ihn vorüber; er konnte zwanglos sich weiterbilden und zugleich dem Hange, seinen Körper bis zum Äußersten abzuhärten, nachkommen. Frei und froh bezog er dann Ostern 1791 die Universität Greifswald, um Theologie zu studieren; zwei Jahre darauf ging er mit seinem Bruder Fritz nach Jena. Daß Arndt in seinen späteren Erinnerungen nicht viel von seiner Studentenzeit erzählt, aber besonders erwähnt, wie wenig Positives er von seinen Lehrern aufgenommen habe, scheint darin seinen Grund zu finden, daß ihn die Vorlesungen, die er als fleißiger und regelmäßiger Besucher sauber niedergeschrieben hat, später nicht mehr befriedigten. Er war ein selbständiger Denker, so daß es eines hervorragenden Geistes unter den Professoren bedurft hätte, um ihn aus seinem naturphilosophischen Gedankenkreise zu neuen Ansichten hinüberzuziehen; dazu ist sicher schon ein Widerwille gegen die damals übliche äußerliche und schablonenhafte Behandlung der Theologie in ihm aufgestiegen, die ihn weitab von seinem eigentlichen Studium zur Beschäftigung mit den klassischen Sprachen mit der Geschichte und den Naturwissenschaften führte. Das alles lag dem jungen Studenten, der das Leben auf dem Lande von all seinen Praktischen Seiten kennen gelernt hatte viel näher, viel näher auch, mitten in das neue Leben hineinzutreten, das sich ihm in Jena öffnete. Er war kein Kopfhänger und einsamer Denker, seine starke Natur und sein weiches Gemüt machten ihn zu einem trefflichen Kommilitonen, der nie versagte, wenn es galt, in frohem Feste die Nachtstunden zu opfern oder die Freundestreue in mancher kleinen Lebensnot zu beweisen. Sein Stammbuch aus der Studentenzeit enthält manch treffliche Sprüche und nicht wenige Namen, die später in seinem Leben als bewährte Freunde wiederkehren. Nur von den Ausschreitungen des Studententums hielt er sich scheu zurück; seine gewohnte Selbsterziehung und eine heimliche Liebe, die er seit Greifswald mit sich trug, ließen ihn Maß halten, Sittenstrenge und Keuschheit natürlich erscheinen. Einen theoretischen Stützpunkt dafür fand er in Fichtes berühmten Sonntagsvorlesungen über Moral, dem einzigen Kolleg, dessen Anziehungskraft sowohl durch den Inhalt, als auch durch die kraftvolle Persönlichkeit des Vortragenden er in späteren Jahren noch rühmend gedenkt.

Trotz aller Studien und Verpflichtungen blieb Arndt seiner Gewohnheit treu, durch Fußreisen dem Körper Kraft und Widerstandsfähigkeit zu bewahren, aber ihn lockte nun nicht mehr allein die Lust zu marschieren, sondern auch neue Gegenden zu sehn und fremde Menschen bei ihrer Tätigkeit zu beobachten. Das war auch der Grund, daß er, als seine Studienzeit in Jena zu Ende war, als frischer und fröhlicher Wanderer zu Fuß nach Leipzig, von da über Dessau, Quedlinburg nach dem Harz ging und erst in Lüneburg die Post benutzte, die ihn nach Hamburg führte. Die große Stadt verlockte ihn zu etwas längerem Aufenthalte, während dessen er zum ersten Male ein größeres Theater sah, das damals unter Friedrich Schröders Leitung einen wohlverdienten Ruf genoß. Gegen Ende Oktober 1794 traf Arndt wieder in der Heimat zu Löbnitz ein.

Nun kam eine Dämmerzeit, wie er selbst es nennt, über den jungen Mann, in der er alle die Eindrücke und die Weisheit anderer, die er in sich aufgenommen hatte, verarbeiten mußte. Es waren zwei wichtige Jahre seiner Entwickelung, welche er in der Ruhe des väterlichen Hauses verleben durfte. Unberührt von der Sorge um das tägliche Leben, nicht gedrängt zu einem schnellen Entschlusse, eine Brotstelle sich zu erwerben, sondern als Mitglied seiner Familie wie selbstverständlich unter den Seinen sitzend, die nichts von ihm verlangten und nur bewundernd und liebend zu ihm aufsahen, in wissender Freunde Verkehr sich weiter bildend und in seinem starken Fühlen sich der freien Natur, seiner alten Lehrmeisterin, wieder ganz hingebend, vermochte Arndt seine Fähigkeiten zu entwickeln und Ausschau zu halten, wohin sie ihn führen könnten. In solcher Umgebung und Stimmung kam ihm die Lust zu fabulieren. Zwar hatte er schon als Stralsunder Gymnasiast seine Briefe nach Hause in Versen geschrieben, hatte für den häuslichen Gebrauch Trinklieder gedichtet und sogar an einem Trauerspiel »Hermann« sich versucht, das Fragment geblieben ist, aber erst als es ihm gelungen war, im Göttinger Musenalmanach vom Jahre 1793 sein Trinklied gedruckt zu sehn, fing er an, an seinen Dichterberuf zu glauben. Es half ihm dabei eine Verbindung, welche vermittelst des Dichters Kosegarten nach dem Rhein führte, die mit Ascbenberg, dem Herausgeber des »Bergischen Taschenbuchs« oder, wie es später hieß, des »Taschenbuchs zur Belehrung und Unterhaltung für die Gegenden am Niederrhein«. Dieser nahm willig einige Gedichte Arndts, »Freudenliedchen«, »Preis der Freundschaft«, »Lebensgenuß« u.a. auf und setzte seinen Namen später auch unter die Mitarbeiter auf das Titelblatt. Bis zum Jahre 1802 hat der junge Dichter noch Beiträge zu diesem Taschenbuche geliefert.

Obwohl Arndt während seiner zerrissenen Lernzeit im elterlichen Hause und auch auf dem Gymnasium und der Universität keine hervorragenden Pädagogen als Lehrer gehabt hat, war seine Befähigung zum Lehren frühzeitig erwacht, und durch Nachdenken und Nachleben den Erziehungsschriften, die er als Knabe gelesen, hatte er ein eigenes System sich ersonnen, lange bevor er Gelegenheit zur praktischen Anwendung oder zur Niederschrift fand. Zu Hause waren jüngere Geschwister, denen er, obwohl sie, ein Bruder und eine Schwester, auch in ihren Fähigkeiten und Anlagen recht verschieden waren, Unterricht erteilte; der Erfolg lag auf beiden Seiten, jedenfalls hat der Lehrer durch die Methode, die Übung und das Sichhineinleben in die kindlichen Gemüter viel gelernt, was ihm sein ganzes Leben hindurch geblieben ist und in seinen Schriften uns noch entgegentritt. Für einen Teil seiner Gedanken, seiner schweren Gedanken, fand aber Arndt kein williges Ohr eines Schülers, ja auch die Mutter versagte sich ihm, die treue Vertraute seiner innersten Herzensregungen. Den Kampf um das Gottesbewußtsein in sich mußte er allein mit sich führen. Mehr die allgemeine Sitte, daß ein jüngerer Sohn eines Landmannes sich dem geistlichen Stande widme, als ein Verlangen der Seele, hatte Arndt zu dem theologischen Studium geführt; nun aber, da er die trockene Kathederweisheit kennen und geringschätzen gelernt hatte, kamen Zweifel über Zweifel in sein Denken, und aus dem bibelfesten Jüngling wurde, wie er selbst sagt, ein leugnender Heide. Nicht aber in schnellem und übermütigem Sprung geschah dieser Wechsel, sondern nach Jahren ernsten Nachsinnens, in neuer Zeit, wo die Ideen der französischen Revolution die Kreise aller Denker durchdrangen. Er fand einen Genossen seiner radikalen Ansichten in dem alten Buchhalter seines Vaters Paul Beck, einem philosophischen Disputierer mit scharfem Verstand, reichem Wissen der Literatur und schneidender Satire. Daß Arndt trotzdem zwei Jahre später in Greifswald die theologische Prüfung bestand, hatte seinen Grund darin, daß er seine Kollegienhefte gut studiert hatte, und der Prüfende, der alte Generalsuperintendent Schlegel, sich mit dem Wissen begnügte, ohne auf die Überzeugung davon Gewicht zu legen. Eine Reihe günstiger Umstände vereinigte sich, um dem Predigtamtskandidaten Aussicht auf eine der viel begehrten und gut dotierten Pfarrstellen Rügens zu eröffnen. Der Dichter Kosegarten, der in Altenkirchen Pastor war, übertrug ihm im Herbst 1796 die Erziehung seiner Kinder und gab ihm Gelegenheit zu predigen, ja ein Einheiraten in eine Pfarrstelle, wie es damals üblich war, wurde ihm nahegelegt.

Arndts Schrift
Arndts Schrift

(Arndts Schrift]

Und dennoch verzichtete Arndt auf die Ruhe des Pfarramtes und auf den theologischen Beruf. Gewiß hat seine ringende Seele damals das Unwürdige gefühlt, das Wort Gottes ohne völlige Überzeugung von der Wahrheit desselben zu predigen, allein die ausschlaggebende Ursache war eine Liebe, die er schon seit seiner Studentenzeit in Greifswald heimlich trug, die zu Charlotte Quistorp, der natürlichen Tochter eines Professors der Naturwissenschaften. Er wußte, daß, wenn er diese als seine Fran heimführte, ihm jede Aussicht auf ein Pfarramt genommen sei, aber er hielt fest an ihr und beschloß, mit seiner Jugendgeliebten im Arm den Kampf mit dem Dasein aufzunehmen und Stellung, Anerkennung und Würde sich zu erringen. Dem Vater gestand Arndt seinen Entschluß, und dieser, der schon vorher Reiseplänen des Sohnes günstig gegenübergestanden hatte, drängte nun, indem er seine Einwilligung zu allem gab, selbst zur Abreise, in dem richtigen Gefühle, daß des Sohnes Bleiben in dem alten Kreise nach dem Verzicht auf die Theologie nicht mehr möglich sei, vielleicht auch in der Hoffnung, daß durch die bevorstehende jahrelange Trennung das Feuer der Jugendliebe erlöschen könne.

Gegen Ende Mai 1798 zog Arndt in die Welt hinaus, erfüllt mit Lebensmut, bereit, ohne große Mittel in jeder Lage sich durchzuhelfen, mit offenem Auge für alles Schöne in Natur, Kunst und Leben, mit geradem Sinn um neue Freunde werbend, von allen selbst freudig als treuer und unterhaltender Reisegefährte begrüßt. Über Bayreuth zieht er nach Nürnberg und Regensburg, von da zu Schiff nach Wien, von wo er einen Abstecher nach Ungarn macht, dann weiter teils zu Fuß teils mit dem Stellwagen über Krieglach, Laibach nach Triest, zu Schiff nach Venedig, dann durch Norditalien nach Verona, Bologna, Florenz, wo er im Dezember ankommt und bis Februar 1799 bleibt, um die Kunstschätze eingehend zu studieren. Von der Weiterreise nach dem Süden halten ihn die Kriegsunruhen ab, so daß er den Weg nach Genua einschlägt, um von dort über Marseille und Lyon nach Paris zu gelangen, wo er wieder längeren Aufenthalt nimmt, so daß er erst Anfang August über Brüssel, Lüttich, Aachen, Köln, Bonn, Mainz in die Heimat zurückkehrt. Die Schilderung dieser Reisen, die Arndt in sechs Bänden 1801, und in zweiter Auflage in vier Bänden 1804 in Leipzig erscheinen ließ, ist ein anziehendes Kulturbild jener Zeit, das weit über einer trockenen Beschreibung des Gesehenen steht. Die Schilderung der italienischen und französischen Verhältnisse zeigt des Verfassers hervorragende Beobachtungsgabe, die er in liebenswürdiger Art seinen Lesern kundgibt. Alles, von dem er glaubt, daß es den Geist der Zeit, den Charakter des Volkes, den Einfluß des südlichen Himmels kennzeichne und sich von dem nordischen Leben und Denken abhebe, hat Arndt aufgenommen, und zwar mit einer Ruhe des Urteils, das sich nicht von dem Rausche der revolutionären Wiedergeburt der italienischen Staaten und Frankreichs beeinflussen läßt. Er bemerkt wohl, daß die Gebildeten darunter leiden, wie die unteren Stände täppisch in die Gleichheit hineingreifen, wie in Frankreich durch Schmeichelei und Bestechung die Repräsentantenwahlen gemacht werden und wie der Patriotismus dort, von dem man in Deutschland viel Worte machte, mit viel Gleichgültigkeit und Mißbehagen gepaart sei. Und ebenso wie von der überschwenglichen Begeisterung für die Völkerfreiheit durch die Revolution kam er von der Verneinung der Notwendigkeit positiver Religion zurück, nachdem er näher gesehen hatte, was das für eine Jugend war, die in Paris ohne Unterricht in der Lehre des Christentums heranwuchs. So kehrte Arndt von seinen Reisen zurück, geläutert in seinen durch Buchweisheit und Spintisieren beeinflußten Anschauungen über Staat und Kirche, aber auch mit der festen Überzeugung, daß er für die damaligen engen Verhältnisse eines Pfarramtes in seiner Heimat nicht passe.

Die alte Liebe aber war während der Reisezeit in Arndts Herzen nicht erloschen, und nach der Rückkehr wuchs das Verlangen in dem Dreißigjährigen, ein Heim für sich und seine junge Frau zu gründen. Seine alten Beziehungen zu Greifswalder Freunden begünstigten den Plan, dort an der Universität sich als Dozent zu habilitieren. Am 5. März 1800 fand die Prüfung in Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaft, Mathematik und in den alten Sprachen durch die Professoren Muhrbeck, Möller, Duistorp und Hultén statt, auf Grund deren der Examinand die Magisterwürde erhielt; am 19. April verteidigte er dann mit seinem Respondenten, dem Lektor Winter aus Petersburg, feine Dissertatio historico-philosophica, sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russovii et aliorum commenta defendi posse videtur. Es ist bezeichnend, daß Arndt in dieser Schrift sich gegen die Staatslehre Rousseaus wandte, den er als Knabe bereits gelesen, als Student verehrt hatte. Nachdem er durch diese Dissertation zur Doktorwürde Promoviert war, bewarb er sich sofort um die Erlaubnis, an der Universität lesen zu dürfen, was ihm auch zugestanden wurde. Er begann damit im Sommersemester 1800, und obwohl einige seiner angekündigten Kollegs, wie besonders das über italienische Geschichte mit Rücksicht auf die neuere Kunst, unter den 60 Studenten, die im ganzen die Universität Greifswald zählte, keine Teilnehmer fanden, gelang es ihm mit seiner Geschichte der merkwürdigeren Revolutionen das Interesse seiner wenigen Zuhörer zu fesseln. Beide Vorlesungen wiederholte er im Wintersemester und fügte ihnen noch hinzu solche über ältere Geschichte bis zur Völkerwanderung, über die Geschichte des jetzigen Staatensystems und einige über beliebige griechische Dichter und Prosaisten. Mit einem wahren Feuereifer begann Arndt sein Dozententum; die Fülle der Dichtkunst, die Kraft der Wissenschaft und Erfindung aller Zeiten gleich einem goldenen Samen in einem köstlichen Gefäße zu halten und mit Wonne und Begeisterung auszustreuen, das schien ihm als erreichbares Ziel, aber bald merkte er, wie es einer Riesenkraft bedurfte, um den Mumienthron der verknöcherten Gelehrsamkeit über den Haufen zu werfen.

Obgleich eine pekuniär gesicherte Zukunft noch keineswegs vor ihm lag, heiratete Arndt 1800 seine Charlotte Quistorp. Ein Grund dafür entzieht sich weiterer Erörterung; ein anderer Grund aber war die auffallende Furcht des sonst so energischen Mannes, man könne ihn doch noch von seiner Jugendgeliebten trennen und irgendwo mit einer Landpfarre beglücken. Das Glück seiner jungen Ehe spiegelt sich in frisch empfundenen Liebesliedern wider; lustig hatte er sein Nest im Frühling in die Welt hinein gebaut, aber als darin die Sorge um ein kommendes Leben sich einbettete, mußte der Hausherr ausschauen, woher er neues und größeres Brot gewann. Auf Zureden seines Schwiegervaters bewarb sich Arndt um eine Adjunktenstelle an der Universität, die ihm ein festes Gehalt von 100 Talern, dazu 20 Taler für Hausmiete und außerdem freies Holz und freien Torf einbringen würde, aber Jahr und Tag verging, ehe er dieses Glücks teilhaftig wurde. Da die Privatissima in lateinischer und griechischer Sprache dem jungen Dozenten nur einen kärglichen Stundenlohn gewährten, versuchte er, durch Veröffentlichung seiner Studien sich Geld zu verdienen. Wahrscheinlich war seine erste historische Schrift »Ein menschliches Wort über die Freiheit der alten Republiken«, die 1800 erschien, aus seinem obenerwähnten Kolleg entnommen. Die Darstellung richtet sich an Lernende und hat keinen besonderen Wert, aber für Arndts Entwicklung ist sie merkwürdig genug, da sie der damaligen Schwärmerei des Republikanismus, der sich gern in die Glorie griechischer und römischer Namen einwickelte, entgegentritt und den imponierenden Taten der alten Freiheitshelden ihre oft recht fadenscheinige Moral, ihre Parteiwut und ihre Tyrannei gegen die unterjochten Völker entgegenhält.

siehe Bildunterschrift

E. M. Arndt
Nach dem Holzschnitt eines unbekannten Künstlers.

Trotz des Kampfes und der Arbeit um das tägliche Brot war es eine glückliche Zeit, welche die beiden Neuvermählten durchlebten, für Arndts dichterisches Schaffen geradezu eine folgenreiche; denn während seine ersten Gedichte sich in den Formen seiner Philologischen Bildung und philosophischen Dialektik bewegten, springt jetzt aus dem Born der Liebe das erste natürliche Lied hervor. Blättern wir aber in seinen Gedichten nur ein Paar Seiten weiter, da ist es wieder mit Lust und Frische vorbei; in einer Nänie, einem Klagegesang, betrauert er sein junges Weib, das am 25. Juni 1801 bei der Geburt eines Knaben starb. Der Schmerz um die Jugendgeliebte tönt noch lange und innig in seinen Liedern wieder, ja noch mehr, er führte ihn nochmals zu reiflicher Überlegung, ob er seinem Lebenswege nicht noch eine andere Richtung geben sollte. Auffallend ist, daß Arndt während des Jahres 1801 bis zu Ostern 1802 keine Vorlesungen an der Universität gehalten hat; vielleicht war es der Plan, aus dem Lehrer der Jugend ihr Erzieher zu werden, der ihn schon damals beschäftigte. Daraus würde sich auch erklären, daß er, der Alleinstehende, seine einzige dreizehnjährige Schwester Dorothea zur Weiterbildung in sein Haus aufnehmen wollte, während er seinen jungen Sohn zu den Großeltern nach Löbnitz schickte. Beeinflußt wurden seine Pläne durch den Verkehr mit der später als Schriftstellerin bekannt gewordenen Fanny Tarnow, die damals in dem Hause eines mit Arndt befreundeten Herrn von Schmiterlöw Erzieherin war. Das wenige, was wir von diesem Verhältnis wissen, ergibt, daß Arndt viel mit dem lebhaften und gescheiten Mädchen über Lebens- und Erziehungsfragen gesprochen hat, daß er ihren Verkehr suchte, aber sich bald zurückzog, nachdem Fanny Tarnow ihm ihre innige Zuneigung vielleicht zu früh offenbart hatte.

Die pädagogischen Pläne zerfielen, als Arndt im Dezember 1801 die längstersehnte Adjunktenstelle erhielt, die ihn enger an die Universität Greifswald fesselte. Im Sommersemester 1802 begann er wieder Kollegs abzuhalten, daneben hatte er nach den Tagen der Trübsal und des Schwankens auch die Kraft zu neuer wissenschaftlicher Arbeit gefunden. Als erstes Ergebnis derselben erschien 1803 sein »Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern«, dessen Vorrede 1802 datiert ist. Es war ein gewagtes Unternehmen für Arndt, für die bedrückten Bauern seiner Heimat mit Wahrheit und Schärfe ins Feld zu ziehn, für ihn, der in seiner Stellung abhängig war von der schwedischen Regierung, und der in seinem Verkehrskreise selbst genug Grundbesitzer hatte, gegen die sich seine Schrift richtete. Die Tatsache, daß die Bauern vor dem Dreißigjährigen Kriege viel freier gewesen und erst später wieder zu heimatlosen und hörigen Leuten geworden waren, stand freilich zu fest, um daran zu rütteln, und das war auch der Grund, daß trotz aller Anfeindungen der Betroffenen und ihrer Anklage des Verfassers wegen Majestätsbeleidigung die Untersuchung bald niedergeschlagen wurde, nachdem der König von Schweden selbst geäußert hatte, wenn es so wäre, hätte ja der Mann ganz recht so zu schreiben. Neben dieser Rechtfertigung erlebte er die Freude, daß sein Buch den Anlaß zu einer Änderung der bäuerlichen Verhältnisse in seiner Heimat gab. Bereits seine ersten historischen Schriften zeigen Arndts Vorliebe, mit der Schilderung geschichtlicher Vorgänge Vergleiche mit der Gegenwart zu verbinden; die Wahrhaftigkeit seiner Worte, die Redlichkeit seiner Absichten und der Mut der Überzeugung begründeten den Erfolg bei seiner Mitwelt, ließen ihn aber zugleich gerade dadurch kühner werden und zur rein politischen Schriftstellerei übergehn. Die Ausarbeitung seiner Reisen in fremde Länder, deren vorher bereits Erwähnung getan ist, und das Studium der staatlichen Zustände seiner Heimat hatten in ihm ein festes Glaubensbekenntnis in politischen Dingen geschaffen, aber zwischen dem Kosmopolitismus und dem eng begrenzten Heimatsinn fehlte noch ein Bindeglied, die Liebe zu einem Vaterlande. Wohl fing Arndt an sich zu erinnern, daß er zwar unter schwedischem Zepter geboren war und lebte, in Sprache, Sitte und Anschauung jedoch Deutschland angehöre, aber inmitten seines Kreises, in der Familie sowohl wie an der Universität, fand er viel engherzige Philisterei, die höchstens dem allgemeinen Zuge folgte, in Bonaparte den Helden und Befreier zu bewundern. Als Arndt sich der Gefahr bewußt wurde, die von dem kühnen Eroberer den germanischen Völkern ebenso drohte, wie den Italienern, schrieb er 1802 sein erstes politisches Buch »Germanien und Europa«, das ein Jahr später im Druck erschien. Es ist als ein Vorläufer des »Geist der Zeit« anzusehn, denn es behandelt die geistigen Strömungen der letztvergangenen Jahre unter steter Rückbeziehung auf die Vergangenheit. Gerade diese Art zu schreiben machte sich hier besonders bemerkbar und raubte durch seine große Breite dem Buche einen guten Teil seines verdienten Erfolges. Denn der Geist der Zeit ist von dem Verfasser, der selber zwar das Nebelnde und Falsche seiner Theorien verurteilt, richtig aufgefaßt. Die allzusehr verdünnte Geistigkeit, die von den Franzosen stammt, hat eine Verbildung der Menschheit herbeigeführt, wie sie sich in dem Zeitalter Friedrich des Großen dokumentiert und die bestgemeinten Pläne Josephs II. nicht Gestalt gewinnen läßt. Das natürliche und starke Können, die Kraft des Leibes, ist dem vergeistigten Wissen gegenüber nicht zu seinem Rechte gekommen, die Menschheit hat die Erde verloren, indem sie zum Himmel des Geistes auffliegen wollte. Und dadurch geschah es, daß in Staat und Gesellschaft alle feste Norm schwand und ein Despotismus, der alle Begeisterung tötete, im Volkstum, im Wissen, in der Kunst und in der Religion sich breit machte. Aus diesem Zustande sehnt sich Arndt heraus und bekämpft mit wahren und tiefgefühlten Worten alle Bestrebungen, die durch Gesetze die natürliche Kraft des Volkes einengen wollen. Das aber tat Bonaparte, der über die Grenzen der Nationen, wie sie sich in Sprache und Sitte kundgeben, hinaus sein Reich gründete und staatliche Einheiten schuf, die die natürliche Freiheit unterdrückten. So entstand in Arndt der Gegensatz zu dem großen Korsen in richtiger Vorahnung der Zukunft und verstärkte sich durch die kommenden Ereignisse zu dem erbitterten Kampfe, den der patriotische Schriftsteller gegen den Welteroberer geführt hat.

Es ist bereits erwähnt worden, daß die Verhältnisse an der Universität Greifswald nicht geeignet waren, Arndt mit Freude an seinem Dozententum zu erfüllen; er sah sich neben einem kleinen Kreise treuer Freunde einer Anzahl kritisierender, neidender, ja feindlicher Kollegen gegenüber, die ihm nie die Offenheit seiner Meinung, das fortgesetzte Ringen nach umfassender Bildung gegenüber dem pedantischen Wortkram der alten Schule und die Beliebtheit unter den Studenten durch seine mannigfaltigen und interessanten Vorlesungen verzeihen mochten. In diesem Zustande hatte das Erscheinen der letzten politischen Schriften Arndts nichts zu seinen Gunsten geändert; eine Unbefriedigtheit in seiner Stellung, vielleicht auch die Vereinsamung nach dem Tode seiner Frau, ließen den Plan, den er schon längst im Herzen getragen, feste Gestalt in ihm gewinnen, in unbekanntem Lande Befriedigung für seinen Wissensdurst zu suchen. Nachdem er noch für das Wintersemester 1803 Kollegs angekündigt hatte, verließ er im Herbst dieses Jahres Greifswald und unternahm auf seine eignen Kosten eine Reise durch Schweden. Den Winter hindurch blieb er in Stockholm, im Frühjahr 1804 führte ihn sein Reiseweg nach Upsala, dann westlich nach Göteborg, weiter nach dem Norden, wo er die Bergwerke von Falun besuchte, dann nach Dalarne, Gefle, wieder nördlich nach Östersund und zu den Niederlassungen der Lappen und endlich zurück nach Stockholm, von wo er im August durch Südschweden bis Ystad reiste und Anfang September wieder in Stralsund eintraf. Ob Arndt mit dieser Reise beabsichtigte, in Schweden festen Fuß zu fassen und dort in den Staatsdienst zu treten, ist nicht von der Hand zu weisen. König Gustav IV. hatte den Mut gehabt, allein unter den Fürsten gegen Bonaparte für die Bourbons einzutreten, so daß es nahe lag, diesen Regenten zu weiteren Plänen gegen den Welteroberer, die auf eine große Koalition der germanischen Völker hinausgingen, zu begeistern. Erst als Arndt durch persönliche Beziehungen zu schwedischen Politikern, wie zu dem Grafen Schwerin auf Husby, dem Sohne des früheren Gutsherrn von Löbnitz, und zu dem Freiherrn Munck auf Edeby, sich überzeugt hatte, daß die Gesinnungen des schwedischen Volkes den leidenschaftlichen Plänen seines Herrschers nicht folgten, ist er wohl von seinem Vorhaben zurückgekommen. Dennoch war die Reise für Arndt von unendlichem Wert. In dem Bericht darüber, der in vier Bänden 1806 in Berlin erschien, sehen wir wieder, mit welch offenem Auge Arndt alles, was ihm entgegentrat, zu schauen und zu beurteilen verstand, so daß auch diese Reisebeschreibung ein hervorragendes kulturgeschichtliches Werk über das damalige Schweden bildet. Wieder war es auch eine glückliche Zeit für den aus den engen Verhältnissen einer kleinen Universität entronnenen Dozenten, der in einem Kreise lieber Freunde in Stockholm die schwere Wissenschaft und Politik gern vergaß und Muße fand, sich der Dichtkunst wieder mehr als in den letzten Jahren zuzuwenden. Schon im Jahre 1801 hatte er den Plan gefaßt, seine Gedichte in einer Sammlung herauszugeben, aber als diese 1803 in Köln gedruckt wurde, war sie so voller Druckfehler, daß der Autor selbst noch vor dem Erscheinen des Werkes sich von ihr lossagte und eine neue Ausgabe im Oktober 1803 in Greifswald veranstaltete.

Viele der neuen Gedichte aus Schweden erschienen als Zugabe zu einem wunderlichen Werke, das Arndt 1804 auf eigne Kosten in Leipzig drucken ließ, zu der Tragödie »Der Storch und seine Familie«. Es ist dies überhaupt kein Drama, sondern eine in aristophanischer Art gehaltene Satire in Knüttelversen auf die überschwengliche Bildung und die sich überhebende Philosophie seiner Zeit und führt uns eine Storchfamilie vor, deren schwaches Oberhaupt seine drei Söhne mit ihrem Pädagogen zur Ausbildung nach Anemopolis schickt und bei der Rückkehr der mit moderner Weisheit überladenen Schüler einsieht, wie dadurch im eignen Hause alle Zucht verfällt und schließlich die ganze Familie dem Untergange entgegengeht. Was Arndt mit der dramatischen Persiflage, die er seinen früheren Lehrern in Stralsund widmete, bezweckte, läßt sich erklären, wenn man auf die eigenen pädagogischen Studien zurückgeht, die er, wie wir sahen, schon früher getrieben hatte und nun als Kollegs bei seiner Rückkehr von der Reise verwerten wollte. Er zeigte für den Winter 1804 Vorlesungen über »Pädagogik mit praktischen Übungen« und über »Die Geschichte der politischen und privaten Erziehungsmethoden mehrerer Zeitalter und Versuch, die Wechselwirkung zwischen Willkür und Notwendigkeit in ihnen historisch zu deuten« an und hat das, was er in diesen in ein System gebracht hatte, nach seiner auch sonst geübten Art poetisch zu gestalten versucht, dabei aber sich nicht zu Bewußtsein geführt, daß eine Satire zu schreiben bei noch so genialischer Laune ihm nun und nimmer gegeben war. Jedoch hat er bei seinen Zuhörern, zumal bei denen, die die Stralsunder Schulverhältnisse aus eigner Anschauung kannten, gewiß mit seiner Storchtragödie genug Beifall gefunden. Besser glückte es ihm, sein pädagogisches System in einer Prosaschrift festzulegen, die im Jahre 1805 unter dem Titel »Fragmente über Menschenbildung« erschien. Zwischen sein »Germanien und Europa« und seinen »Geist der Zeit« will Arndt selbst dieses Werk gestellt wissen, das sich tatsächlich auch gegen das geistige Elend der Zeit und gegen das Unheil wendet, welches die französische Herrschaft und Sitte, Sprache und Mode über die Deutschen gebracht hat, die wiederum in Gleichgültigkeit und Vaterlandsvergessenheit so befangen seien, daß sie ihr eignes Verderben nicht merken wollten. Die Erfahrungen seiner eignen Jugend, die Beobachtung der Erziehung rings um ihn in seiner Heimat und ihre Erfolge im Gegensatz zu der Jugendbildung in Schweden finden sich in dem Werke mit den Ideen Rousseaus, Herders, der Naturphilosophen und des Neuhumanismus vereint, aber nicht zu einem System verarbeitet, wie es etwa ein geschulter Pädagog aufstellen würde, sondern skizzenhaft geschildert von einem Dichter, der noch im Ringen nach Idealen in seiner Sturm- und Drangperiode begeistert sich für die Natur als beste Lehrmeisterin entscheidet und jeden, der ihr Feind ist, wuchtig niederschlägt. Nach dieser Richtung hin läßt sich ein Vergleich zwischen Rousseau und Arndt ziehn, indem man diesen als den Vertreter der radikalen Pädagogik auf deutschem Boden betrachten kann.

Der Einfluß, den der Aufenthalt in Schweden auf Arndt hatte, ist in den bisher erwähnten Schriften unverkennbar. Frei von den Anfeindungen, die er von Greifswald her genugsam kannte, unbeschränkt in seiner Zeit durch Kolleglesen, konnte er in wahrer Muße aufnehmen, ausdenken und niederschreiben. In einem Kreise gelehrter und politisch erfahrener Männer waren seine Meinungen hochgeachtet, fanden sogar in der Umgebung des Königs williges Gehör und konnten deshalb in freien deutlichen und wahren Ausdrücken ihren Weg an die weitere Öffentlichkeit nehmen. Noch immer hielt Arndt daran fest, daß der König von Schweden, wie einst Gustav Adolf, berufen sei, sich an die Spitze einer Koalition gegen den Welteroberer zu stellen, und trat deshalb als stets bereiter Kämpfer in der Schrift für ihn ein. Das bewies er, indem er bereits gegen Ende März 1804 von Schweden aus für eine feierliche Rede zum Geburtstage des Königs am 1. November sich vormerken ließ, obwohl ein anderer Professor dafür an der Reihe war. Wirklich wurde diese Rede gehalten, und zwar führte sein Thema »Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache« aus, wie man durch Sprachvergleichung die Verwandtschaft der Völker feststellen und nachweisen könne, wie Klima und Lebensweise einer jeden Nation ihre Sprache beeinflußte. Der Ausgabe dieser kleinen Schrift fügte der Verfasser einige Festgedichte hinzu, die von seiner Verehrung des Königs lebhafte Kunde geben.

Dem Hin- und Herwogen seiner Gedanken, die sich gern in weitaus schauenden Theorien ergingen, fehlte immer noch ein praktisches Ziel, eine erwünschte Betätigung als handelnde Person inmitten des Streites der Meinungen. Bereits in Schweden hatte er einen Teil seines Stoffes und wohl auch schon einzelne Ausarbeitungen zu einem größeren politischen Werke besorgt, womit er, immer noch in der Gefolgschaft des Königs, dem französischen Usurpator den Fehdehandschuh hinwerfen und den Kampf des großen Bundes, mit Schweden an der Spitze, beginnen wollte, aber inmitten der kurzen Arbeitszeit zu diesem Werke, dem ersten Teile vom »Geist der Zeit« vollzog sich eine politische Wandlung in der Seele des Verfassers. Aus dem Kosmopoliten mit seinen großen Plänen wurde ein nationalpolitischer Mann, der durch das Unglück, das Österreich in dem Kriege 1805 betroffen hatte, sein Auge näher auf das Land richtete, das ihm Vaterland war. Sein Schmerz über die verzweifelte Lage desselben gab uns erst den deutschen Arndt. Scheiden wir einige wenige Abschnitte aus dem Werke aus, die bereits in seinen ersten Schriften ausgeführt sind, so den über die Erstarrung und Leerheit der damaligen Zeit, und die zu weit ausholende Schilderung der alten Völker, so bleibt uns im Geist der Zeit ein Bild übrig, wie es nicht besser von den damaligen Zuständen gegeben werden konnte, und wie es durch die Zeitalter hindurch seinen Wert bewahrt hat. Nach der Einleitung, die ausführt, daß Arndt dieses Buch schreiben mußte, weil er das Unglück der Völker voraussah, wendet er sich gegen die andern, die schreiben könnten, aber in ihrem Todesschlummer nicht mehr die Kraft des Wortes finden, gegen die Philosophen, die das Leben nicht verstehn, gegen die Theologen, die mit ihrer Rede kein Gotteshaus zu füllen vermögen, gegen die Geschichtsschreiber, die die Geschichte nicht zur Lehrerin der Menschheit machen können, gegen die Dichter, die durch die Leerheit ihrer Verse kein Herz mehr rühren. Und da die Menschheit keine Wecker fand, sei sie erstarrt und ließe willig alles über sich ergehn und durch den Despotismus eines klugen und gewalttätigen Mannes sich in Fesseln schlagen. So sei es auch früher gewesen bei den alten Völkern, daß Trägheit und Zwietracht sie zur Knechtschaft geführt habe, aber ihre Erhebung in Mut und Selbstvertrauen dienen als Beispiel für die jetzige Zeit. Die neuen Völker und die neuen Revolutionen werden darauf ausführlich charakterisiert; scharfe Worte richtet Arndt gegen den Schwindel, in welchen die ersten Akte der französischen Revolution die besten Geister der Gegenwart versetzt hätten, und gegen die Franzosen, die, unfähig die Errungenschaften, die das Ende des 18. Jahrhunderts ihnen bot, zur Klarheit auszuarbeiten, sich vor dem Despotismus gebeugt hätten, den Bonaparte als Usurpator der Kaiserwürde ihnen an Stelle der Freiheit geschenkt habe. Und diesem unwürdigen Zustande gegenüber stehe kein Volk und kein Fürst; gewissenhaft hätten die Völker, voran Deutschland, das Veraltete geschont und deshalb verlernt, politisch zu denken und zu handeln, und die Fürsten seien ihren Völkern entfremdet und gingen eigenen Interessen nach. So sei es gekommen, daß einer gewaltigen Naturkraft, wie sie sich in Bonaparte verkörperte, die zur Knechtschaft reife Menschheit sich willig zu Füßen lege. Nur wenn sie selbst von dem Eroberer gelernt habe, wie man zum Erfolg fortschreiten könne, wenn sie ihn mit seinen eignen Waffen bekämpfe, würde sie sich wieder finden zur Wahrheit und Freiheit.

Aus Anlaß seiner Studien über Schweden war Arndt von seinem Könige bei dessen Anwesenheit in Pommern am 11. April 1806 zum außerordentlichen Professor in Greifswald ernannt worden, aber seine Stellung innerhalb des Kollegiums wurde dadurch nicht befestigt, im Gegenteil scheinen sich die Anfeindungen auf Grund seiner im Geist der Zeit vertretenen Ansicht wiederholt zu haben, gegen welche ihn auch nicht die Gnade des Königs völlig schützte. Deshalb zog er vor, einem Auftrag des letzteren nachzukommen, der dahin ging, in Stralsund die Akten der schwedischen Reichstage ins Deutsche zu übersetzen. Man kann ohne weiteres annehmen, daß dieses eine den regen Geist Arndts wenig befriedigende Arbeit war, und daß ein anderer Grund vorlag, den Gelehrten aus seiner Tätigkeit in Greifswald zu entfernen. Er war bereits damals politisch verdächtig seinen Amtsgenossen, den hie und da mit der französischen Regierung in Verbindung stehenden Spähern, verdächtig auch der damals noch mächtigen Partei in Preußen, die an Stelle eines gewaltsamen Auflehnens des Volkswillens ein hinziehendes Paktieren mit Napoleon für besser hielt. So war der deutsche Patriot wieder allein auf den Schutz und die Freundschaft seines Schwedenkönigs angewiesen, der ihn auch dann nicht fallen ließ, als er in einem Duell mit einem schwedischen Offiziere Deutschlands Ehre verteidigte. Die Folgen dieses Zweikampfes waren für Arndt schmerzlich genug; an der erhaltenen Wunde litt er bis Ende August, so daß auch seine Arbeit langsam vorwärts kam. Als er im September dann, um sich vollständig zu erholen, zu seinem Vater aufs Land nach Trantow ging, nahm er die Freude mit, daß Preußen sich zu einem Kampfe gegen den Bedrücker rüste. Aber bald kam die Schreckensnachricht von der Schlacht bei Jena und ließ alle Hoffnung schwinden, ja rückte die Aussicht auf die Besetzung von Schwedisch-Pommern durch die Franzosen so nahe, daß Arndt einsah, seines Bleibens im Lande könne nicht länger mehr sein. Als er merkte, daß sogar einige seiner Bekannten sich von ihm zurückzogen, um nicht mit verdächtig zu werden, verließ er im Dezember Stralsund und langte an seinem Geburtstage 1806 in Stockholm an, freudig begrüßt von dem alten Freundeskreise.

Drei Jahre blieb Arndt in Schweden, als beurlaubter Professor mit einer Bearbeitung der schwedischen Gesetze für Pommern in der Reichskanzlei beschäftigt, daneben aber als politischer Schriftsteller in hervorragender Weise tätig. Der praktische Erfolg, den er sich von seinem »Geist der Zeit« versprochen hatte, war ausgeblieben, aber unermüdlich focht sein Urheber für die von ihm vertretene Idee einer allgemeinen Erhebung aller Völker Europas weiter. Damals schon richtete sich sein Blick auch nach Rußland, das von dem Eroberer noch unberührte, seine Pläne begünstigende Land; es war zunächst eine feindliche Berührung im Dienste seines schwedischen Herrn, der wegen Finnland mit dem östlichen Nachbar im Kriege lag. In der Monatschrift »Der Nordische Kontrolleur«, die seit dem März 1808 in Stockholm erschien, hat Arndt seine Ansichten über das russische Reich in mehreren größeren Aufsätzen niedergelegt, aber es spricht sich darin nicht ein unerbittlicher Haß wie gegen Napoleon aus, sondern inmitten der Vorwürfe über die falsche Politik des Landes macht sich der Wunsch geltend, es dennoch für den gemeinsamen Kampf zu gewinnen. Ebenfalls nach einer andern Seite, nach Spanien richtete sich Arndts Augenmerk, indem er auch dort Bundesgenossen für den Völkerkampf suchte. Die Vorliebe für die Bewohner der Pyrenäischen Halbinsel, die der Verfasser des Aufsatzes im Kontrolleur »Spanien und Portugal« kundgab, hat ihn während der großen Befreiungskriege nicht verlassen. Seine 1808 im Auftrage der schwedischen Regierung verfaßte und auch im Druck erschienene Übersetzung der Schrift des spanischen Ministers Don Pedro Cevallos über die Kabalen Napoleons gegen den spanischen Königsthron machte damals auch in Deutschland, wohin sie geschmuggelt wurde, Aufsehen. Wichtiger aber war die »Friedensrede eines Teutschen«, die Arndt im Juli 1807 geschrieben hatte und nun auch im Nordischen Kontrolleur erscheinen ließ, ein neuer Aufruf an die Deutschen, zusammenzuhalten und sich nicht durch die Hinterlist napoleonischer Anstifter und Bewunderer verleiten zu lassen, die kleinen Staaten als ihr eigentliches Vaterland anzusehn. Diese Rede vereinigte Arndt mit zwei früheren Aufsätzen, dem im September 1806 geschriebenen »Blick vor- und rückwärts«, dem vom Januar 1807 stammenden »Blick vorwärts« und einem aus dem Herbst 1808 stammenden »Letztes Wort an die Deutschen« und ließ sie unter dem Titel »Geist der Zeit, Zweiter Band« in demselben Jahre in Stockholm erscheinen. In dem ersten Aufsatze geht Arndt wieder aus die traurigen Verhältnisse der Jahre 1805 und 1806 zurück, greift Napoleon in neuer ungestümer Weise an und mahnt wieder das deutsche Volk zur Erhebung; in dem »Blick vorwärts« richtet er seine ganze Hoffnung auf Preußens Vorangehn und faßt im »Letzten Wort« noch einmal all das zusammen, was die Deutschen von Napoleon gelitten haben, und was die Zukunft ihnen noch bringen würde, wenn sie nicht unter dem tapfersten Führer für ihre Freiheit kämpften. Wenn auch das Buch auf geheimen Wegen nach dem Festland geschmuggelt und heimlich gelesen wurde, hatte es dennoch wieder nicht den gehofften Erfolg, denn die Gemüter waren zu gedrückt und der Spione zuviele.

Keine Mutlosigkeit, kein Erlahmen der Streitlust kam trotzdem über Arndt, wohl aber eine innere Unbefriedigtheit mit der Welt um sich und eine Betrübnis, wie all seine Worte ohne Widerhall blieben, und die Hilfsquellen, auf die er gehofft, versagten. Dazu fügte es sich, daß sein Ideal eines Herrschers durch eigne Schuld und zähen Eigensinn zu verblassen begann. König Gustav IV. Adolf von Schweden, mit dem Arndt im Hasse des großen Götzen verbunden war, ward entthront und mußte das Land verlassen. Was er aber als Mensch und als Herrscher seines Volkes gewesen ist, und wie er dadurch, daß er sich den modernen Ideen versagte und Freiheit in Wort und Schrift in seinem Reiche nicht zulassen wollte, die Zuneigung seines Volkes verlor, das hat Arndt, der diese Ereignisse selbst mit in Schweden erlebte, zuerst in »Briefen über Gripsholm«, die er pseudonym im Vaterländischen Museum in Hamburg 1810 erschienen ließ, und dann in einem historischen Werke, den »Schwedischen Geschichten unter Gustav dem Dritten, vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolf« niedergelegt, welches in den Jahren 1809 und 1810 geschrieben, aber erst zwei Jahre nach dem Tode des Königs, 1839, veröffentlicht worden ist. Wie Arndt hier die ganze Geschichte eines Landes um den Herrscher selbst gruppiert, so hat er in seiner »Einleitung zu historischen Charakterschilderungen« dieses Prinzip der geschichtlichen Darstellung im allgemeinen durchgeführt, indem er darin Männer schildert, die als Repräsentanten eines ganzen Volkes, als Interpreten eines ganzen Zeitalters gelten können. Der Mensch ist zwar an Leib und Seele von der Natur, die ihn umgibt, abhängig, aber es liegt in einzelnen Individuen die Kraft, sich diesem Zwange zu entziehen und selbst dem Zeitalter oder seinem Volke den Typus aufzuprägen. Die Sehnsucht nach großen Männern spiegelt sich in dem Werke wieder, das aus Vorlesungen hervorgegangen ist, die Arndt im Sommer 1806 in Greifswald wirklich gehalten aber nicht zu Ende geführt hat; die Bearbeitung zum Druck ist in Stockholm 1808 beendet, das Werk selbst aber erst 1810 erschienen.

Unter den schwedischen Männern, die über ihrer Zeit standen, behandelt Arndt in dem genannten Werke besonders Ehrensvärd und Bellmann; mit beiden hat er sich auch sonst während seines Aufenthaltes in Stockholm eingehend beschäftigt, indem er ihre Werke teilweise herausgab. Ehrensvärd, in seinem Berufe als Admiral in Krieg und Frieden gleich hervorragend, hatte sich in der Vollkraft seiner Mannesjahre vom öffentlichen Leben zurückgezogen und sich ganz philosophischen und kunsthistorischen Studien hingegeben, als deren Resultat eine Philosophie der freien Künste 1782 erschien. Arndt hat dieses Werk nebst einer Reisebeschreibung nach Italien von demselben Verfasser übersetzt und mit eigenen »Fragmenten über Leben und Kunst«, die ganz in dem Sinne jenes philosophierenden Kosmopoliten 1808 verfaßt sind, zum Druck vorbereitet, aber nicht erscheinen lassen. Bellmanns Gedichte übersetzte Arndt und gab sie später, 1818, in seinen »Erinnerungen aus Schweden« heraus, die zugleich zwei Dramen des Dichters aus der schwedischen Zeit »Die Geister im Walde« und »Scipio della Torre« enthalten. Das letztere ist ein Hohenstaufendrama und behandelt die unglückliche Liebe eines Sohnes Konradins; es zeigt in der Gestaltung der Fabel, die der Geschichte von Pisa entnommen ist, Anklänge an Schiller, ermüdet aber durch die Längen seines deklamatorischen Stils; das erstere ist ein nach Art des Sommernachtstraums gedichtetes lyrisches Spiel, das sich auch zu musikalischer Komposition eignen würde, mit dem Endresultat der Belohnung treuer Liebe durch die Hilfe von Elfen und allerlei Berg- und Waldgeistern.

Die in letzterwähntem Drama eingestreuten lyrischen Gedichte zeigen in ihrer Einfachheit eine dichterische Vollendung, von der vorher nur hie und da Spuren bei Arndt zutage getreten waren. Diese rein dichterische Tätigkeit zeitigte noch eine herrliche Perle, das Gebetbuch für zwei fromme Kinder, das Arndt während eines Aufenthaltes bei seinem Freunde, dem Freiherrn Munck auf Edeby, verfaßte, und in dem uns der Dichter zum ersten Male als der feingeistige fromme Liedersänger entgegentritt, den wir später in seinen geistlichen Gedichten bewundern. Nur in einer angenehmen und fürsorgenden Umgebung konnte die Muse der Dichtkunst Arndt so herrliche Gaben reichen; aber inmitten der treuesten und gleichgestimmten Freude schweifte sein Gedenken doch in seine Heimat und zu den Menschen, die ihm dort lieb waren, hinüber. Zwar sind Briefe ans dieser Zeit nur wenige erhalten, aber die er an seine Freundin Charlotte von Kathen, geb. von Mühlenfels, geschrieben hat, zeigen seine innige Anhänglichkeit an Land und Leute von Rügen. Und daneben suchte er frühere Briefe, die er einst an seine Greifswalder Freunde Fritz Muhrbeck, den nachmaligen Professor, 1805 und Christian Ehrenfried Weigel, den spätern Leibarzt der Königin von Schweden, 1807 geschrieben hatte, hervor und machte sie druckfertig. Sie erschienen 1810 unter dem Titel »Briefe an Freunde« und geben ein Spiegelbild dessen, was damals die Geister bewegte, von deutschem Idealismus, deutschen Hoffnungen und Befürchtungen.

All das wurde wieder lebendig in Arndt, als die Nachrichten aus Deutschland zu ihm herüberdrangen von Schills kühnem Zuge und seinem traurigen Untergange, von der Erhebung der Tiroler und dem neuen Kriege gegen Napoleon, den Österreich begonnen und den ganz Deutschland weiter führen müsse. Dazu kam, daß nach dem Thronwechsel in Schweden Arndts Stellung unhaltbar geworden war, und wenn er auch an seinen Freunden nach wie vor einen festen Stützpunkt hatte, so merkte er doch, daß bei der zunehmenden Begeisterung für Napoleon im Lande für ihn, den offenen

siehe Bildunterschrift

Das Arndt-Denkmal in Bonn a. Rh.

Nach einer Photographie aus dem Atelier Jos. Schneider in Bonn a. Rh. Gegner des Eroberers, kein langes Bleiben mehr war. Seine eigentlichen Pläne mußte er verbergen, und während er vorgab, nach England zu reisen, fuhr er gegen Ende des Sommers 1809 heimlich nach Kolberg und gelangte von dort nach einer abenteuerlichen Fahrt nach Trantow, wo sein inzwischen verstorbener Vater zuletzt gelebt hatte, und das sein Bruder jetzt bewirtschaftete. Nach Greifswald war ihm zunächst der Weg noch verschlossen. Zwar gab es für ihn auch dort noch Freunde, die den Abwesenden im Mai 1807 sogar zu einer erledigten ordentlichen Professur der Geschichte vorgeschlagen hatten, aber die Macht des französischen Marschalls Soult, die sich auch auf die Universitätsverhältnisse erstreckte, blieb entscheidend; Arndt war nicht nur nicht gewählt, sondern aus der Zahl der Professoren überhaupt gestrichen worden. Jedoch in der Verborgenheit hielt er es nicht lange aus und beschloß, nach Berlin zu reisen, um mit dem Kreise der dortigen Vaterlandsfreunde Fühlung zu nehmen. Kurz vor dem Weihnachtsfest traf er als Sprachlehrer Allmann in der Hauptstadt ein, wurde von seinem Jugendfreunde Georg Andreas Reimer mit Eichhorn, Schleiermacher und Scharnhorst bekannt gemacht und nahm an den Waffenübungen einer patriotischen Gesellschaft teil. Die Zeit bis Ostern 1810, die Arndt in Berlin zubrachte, wurde für seine Zukunft entscheidend, denn sie lehrte ihn die preußischen Verhältnisse, die er als fernstehender Zuschauer zum Teil falsch beurteilt hatte, nun durch Augenschein kennen und führte ihn dazu, im Anschluß an Preußen den Kampf, den er in seinem Geist der Zeit aufgenommen, unerschütterlich und tatkräftig weiterzuführen. Gegen die Franzosenfreunde unter seinen ehemaligen Universitätskollegen in Greifswald, das durch den zu Anfang des Jahres geschlossenen Frieden zwischen Frankreich und Schweden nun wieder in den Besitz des letzteren gekommen war, wollte Arndt zunächst in die Schranken treten. Nachdem er im Mai wieder in sein Amt eingesetzt worden war, nahm er seine Vorlesungen wieder auf, wandte sich aber daneben der Ausbildung eines Planes zu, den er schon aus Schweden mitgebracht und durch den Verkehr mit seinen Berliner Freunden weitergebildet hatte, nämlich eine in patriotischem Sinne und unter besonderer Betonung der körperlichen Ausbildung geleitete Erziehungsanstalt für Knaben zu gründen. Es gelang ihm nicht, diesen Plan zu verwirklichen, es gelang ihm ebenfalls nicht, den Patriotismus nach seinem Sinne in der kleinen Universitätsstadt zu wecken. Man fürchtete seine Kraft und suchte sie durch eine Reihe kleinlicher Maßnahmen niederzuhalten, man wies Thesen, die er zu einer Promotion vorgeschlagen hatte, zurück, weil sie auf die gegenwärtige politische Lage Bezug nahmen, und wußte es zu verhindern, daß Arndt am Geburtstage des neuen Königs von Schweden die Festrede hielt, weil man annahm, er werde aus seiner Gesinnung und seinen Zukunftshoffnungen kein Hehl machen. Erst 36 Jahre später gab er die fertige Rede als »Hoffnungsrede vom Jahre 1810« in seinen Schriften heraus.

Je mehr ihn die kleinlichen Verhältnisse und die Gesinnungsriecherei in Greifswald anwiderten, desto mehr trat in Arndt der Wunsch in den Vordergrund, in großem Kreise seine Tatkraft zu prüfen. Mancherlei Pläne erwog und verwarf er; er wollte nach Österreich oder Italien gehen, um dort für die Erhebung der Völker gegen Napoleon zu wirken, auch nach Rußland richtete sich schon damals sein Blick, aber bevor er eine Entscheidung über seine Zukunft fassen konnte, war es ihm zur Gewißheit geworden, daß er aus Greifswald fort müsse. Nachdem er im Sommer 1811 noch Vorlesungen an der Universität gehalten hatte, erbat und erhielt er im Herbst seine Entlassung aus dem Lehrkollegium. Zunächst wandte er sich wieder nach Trantow, um dort abzuwarten, an welcher Stelle ihn die ereignisschwere Zeit brauchen könne. Daß ein Bruch zwischen Rußland und Frankreich bevorstand, sah er klar, und er wurde darin bestärkt, als er im Januar 1812 auf acht Tage nach Berlin reiste, um dort die Stimmung und die Meinung seiner patriotischen Freunde zu erkunden. Einen Paß nach Rußland brachte er sich bereits mit, und als er von seinem Freunde Billroth aus Greifswald die Nachricht von dem erneuten Anrücken der Franzosen in Pommern erhielt, brach er, beinahe im letzten Augenblicke vor seiner Verhaftung, von Trantow auf und rettete sich mit Mühe und Not zu einem Freunde in Clempenav a. d. Tollense. Zwei Wochen später, zu Anfang des Februar, war er bereits wieder in Berlin, das ein Sammelpunkt eines großen gewaltigen Männerbundes zur Abschüttelung des fremden Joches ward. Der Graf Chasot, der auf Antrag der Franzosen aus Berlin ausgewiesen war und unter dem Namen eines Amtsrats Richter in Charlottenburg wohnte, war die Seele dieser Vereinigung. Bei ihm versammelten sich die Freunde, Eichhorn, Gruner, Stadtrat Eckardt, die Professoren Rühs und Rudolphi, Major von Röder, von Horn, von Bardeleben, von Podewils, von Hüser, Graf Arnim, Schleiermacher, Reimer u. a.; allein die kühnen Hoffnungen der Patrioten auf eine allgemeine Erhebung gegen Napoleon, an der auch Preußen teilnehmen würde, schwanden, als letzteres am 5. März ein Bündnis mit Frankreich gegen Rußland schloß. Nun war auch Arndts Bleiben in Berlin nicht mehr; am 15. März fuhr er mit Chasot nach Breslau, wo sich der Kreis der Vaterlandsfreunde wieder zu sammeln begann. Im Verkehr mit Scharnhorst und seiner Tochter, der Gattin des Grafen Friedrich Dohna, mit Gneisenau, Blücher, Doyen, Steffens, dem Konsistorialrat Gaß und Gruner verlebte er dort eine herrliche und fröhliche Zeit; in ihr entstanden die flammenden Kriegslieder, die in der Folgezeit in verschiedenen Ausgaben und Sammlungen die deutschen Soldaten auf ihrem Siegeszuge erhebend und tröstend begleiteten. Als Napoleon Ende Mai 1812 nach Polen abgereist war, und der Krieg zwischen ihm und Rußland unvermeidlich schien, verließ Arndt Breslau, um nach einer frohen Fußwanderung durch das schlesische Gebirge sich nach Prag zu begeben, wo inzwischen Gruner schon eingetroffen war, um von dort aus die Beziehungen mit den preußischen Patrioten zu pflegen und die Verbindungen mit Rußland über Galizien aufrechtzuerhalten. Durch Gruner erfuhr Arndt erst, daß der Freiherr vom Stein in Petersburg ihn haben wollte. Bereits am 18. Juli hatte letzterer in einer Denkschrift an den Kaiser Alexander auf Arndt aufmerksam gemacht, und zwei Tage später war er nochmals darauf zurückgekommen, daß der Verfasser des mit einer erschreckenden Wahrheit geschriebenen »Geist der Zeit« der rechte Mann wäre, um in Flugschriften den französischen Renommistereien entgegenzutreten und den Mut der eigenen Landsleute anzustacheln; ja er schickte Gruner russische Pässe für Arndt mit der Weisung, ihn als Kaufmann durch Galizien sofort nach Petersburg zu senden, ehe die Wege dahin versperrt würden. Schleunigst brach Arndt auf, verließ am 14. Juli als Kommis eines Kaufmanns Knapp, der als Emissär Gruners vorgeblich in Schmuggelgeschäften nach Brody an die russische Grenze fuhr, Prag und erreichte neun Tage später dieses Ziel, von wo er als Begleiter einiger Herren der russischen Gesandtschaft aus Wien zunächst seinen Weg nach Moskau und von dort nach Petersburg nahm. Dort hatte Stein schon einen reichen Arbeitsplan für Arndt fertig. Er sollte Schriften und Lieder verfassen, welche unter den Deutschen zu verbreiten seien, um ihre Ansichten über den politischen Zustand zu berichtigen; daneben müßte er bei der deutschen Legion durch alle Mittel seiner volkstümlichen Beredsamkeit und auch durch Schriften wirken, um ihr Begeisterung und eine solche Hingebung einzuflößen, wie sie in den Korps des Herzogs von Braunschweig und Schills gewesen wäre. Der russische Kaiser hatte diesen Plan genehmigt, Stein setzte auf Spaziergängen seine Gedanken auseinander, und Arndt brachte sie in die volkstümliche und wirksame Form. Der Einfluß Steins auf Arndt ist in den Schriften des letzteren aus der großen Zeit der Erhebung unschwer zu erkennen; die behagliche Breite und die Lust, alles mögliche aus seinem Wissen den Schriften aufzupacken, ist zugunsten einer knappen Darstellung geschwunden, und die gelehrten Auseinandersetzungen philosophischen und historischen Inhalts wichen einer treuherzigen schlichten Art, alles so niederzuschreiben, wie das Volk es gern hatte und verstehen konnte.

Die »Glocke der Stunde« ist die erste Schrift, die Arndt in seiner neuen Stellung verfaßte; sie wurde auf öffentliche Kosten im Oktober gedruckt und erschien bei M. C. Iversen in Petersburg. Die Absicht bei ihrer Abfassung war, die Deutschen, die Napoleons Fahnen nach Rußland folgten, zum Übertritt in russische Kriegsdienste zu veranlassen. Nach einem Gedicht an Kaiser Alexander bringt eine offizielle Proklamation des russischen Generals Barclay de Tolly jenen Gedanken zum Ausdruck; es folgt eine Antwort eines Deutschen, die im Hamburger Korrespondenten gestanden hatte und aus französischen Kreisen stammte; eine kurze kräftige Gegenantwort darauf aus Arndts Feder beschließt das Schriftchen. Die späteren Ausgaben, die in Königsberg und Leipzig erschienen, enthalten als zweiten und dritten Zug der Glocke eine Zurückweisung der französischen Anschuldigungen über den angeblichen Verrat und Treubruch der zu den Russen übergegangenen deutschen Soldaten sowie eine Verteidigung ersterer und schließen mit einem Aufsatz »Bruchstücke aus Bonapartens Leben«, der bereits in einer russischen Zeitschrift gestanden hatte und aus der Geschichte von 1799 an das wiederholt, was Arndt über seinen großen Gegner an andern Orten gesagt hatte. Die Flugschrift wurde in das Russische übersetzt; es gelang auch, sie in das preußische Gebiet hineinzuschmuggeln aber die deutschen Zeitschriften, die alle noch unter dem Banne des französischen Siegers standen, wagten erst nach der Entscheidung des Jahres 1813 Auszüge daraus zu bringen.

Während die »Glocke der Stunde« sich als Agitationsschrift zur Werbung deutscher Krieger für die russisch-deutsche Legion kundgibt, wendet sich der »Kurze Katechismus für deutsche Soldaten« an die Krieger der deutschen Legion selbst. Darunter waren die verschiedensten Elemente, Gefangene, die durch Strapazen und Untätigkeit erschlafft waren, Überläufer von nicht immer besten Gesinnungen, daneben begeisterte Vaterlandsfreunde und Offiziere von Tatendrang und militärischen Talenten, aber alle unorganisiert, ohne Uniformen und Waffen von Krankheiten in den kleinen russischen Städten, wo sie untergebracht waren oder sich sammelten, heimgesucht und dem Kriegshandwerk zum Teil ganz entfremdet, ohne Schule ohne Begeisterung in den Tag hineinlebend, oder sich in unausführbaren Plänen und tapferstem Wagemut ergehend. Für diese bunte Schar sollte Arndt durch Wort und Schrift wirken. Gelang es ihm auch, durch seine alten Verbindungen mit den besten Offizieren der Legion in näheren freundschaftlichen Verkehr zu treten, so mußte er der Masse gegenüber durch eine eigene Schrift wirken, die den Lesern in Form und Inhalt sympathisch wurde. Und so schrieb er im Herbst seinen Katechismus, eins der besten Volksbücher aller Zeiten, das in der frommen Sprache der Lutherischen Schriften, in seiner kurzen derben Ausführung selbst dem ungebildetsten Manne und dem trägsten Soldaten den Enthusiasmus bis ins Herz hinein führte, daß der Kampf gegen Tyrannenübermut den Teilnehmer daran heilige und die ewige Seligkeit gewinnen ließe. Wohl wurde die Schrift in den Kreisen des deutschen Komitees in Petersburg, in dessen Auftrage Arndt arbeitete, zu wild und revolutionär gefunden, da sie den Gehorsam der Soldaten gegenüber ihren Fürsten davon abhängig macht, daß diese ihren nationalen Pflichten Nachkommen, und da er den Heeren der Souveräne den Begriff des Volkes in Waffen entgegenstellt; aber diese radikalen Anschauungen gingen aus der Not des Augenblickes hervor, als es galt, die deutschen Krieger, die in Rußland waren, zum Kampfe gegen ihre Landesherren, welche Napoleon Heerfolge leisteten, aufzurufen. Als die Wendung in Preußen zugunsten der nationalen Sache geschah und die Hoffnung erwachte, daß sich ihr andre deutsche Fürsten anschließen würden, hatten die Kapitel, die von der Gewalt der Fürsten, der wahren Soldatenehre und von des Kriegers Vaterland handelten, keinen Zweck mehr und Arndt ließ sie deshalb in den späteren Auflagen die seit August 1813 unter dem Titel »Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann« erschienen, fort. Wie nach der Herausgabe des »Geist der Zeit«, so auch nach der des Katechismus, klagt der Verfasser darüber, daß seine Schrift nicht rechte Verbreitung hat erlangen können; aber er irrt wohl darin, da er bei dem schnellen Gang der Ereignisse gar nicht einmal in der Lage war, die späteren Auflagen selbst zu besorgen, geschweige denn ihren Umfang und die Verteilung der einzelnen Exemplare zu übersehen. Jedenfalls hat die Schrift mit großem Erfolge unter den deutschen Soldaten in Rußland gewirkt und in der Kriegszeit viele erhoben und getröstet, die das kleine Büchlein in den heiligen Kampf als treuen Begleiter mitgenommen hatten.

In einem Gegensatz zur Glocke der Stunde und dem Katechismus stehen zwei andre Schriften, die Arndt in Petersburg verfaßte, sowohl inbezug auf ihren Inhalt als auch auf ihre Form. Das eine ist eine Chronik für das deutsche Volk, mit deren Ausarbeitung er sich bis zum Dezember hin beschäftigte, und von der er einige Bruchstücke, Hermann, die Hunnen, König Friedrich II., Deutschland gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts zugleich mit eignen Gedichten »als Blütenstaub über den Ernst historischer Fakta gestreut« in einem »Historischen Taschenbuche für das Jahr 1813« in Petersburg erscheinen ließ. Diese rein historischen Arbeiten gingen in der aufgeregten Zeit, ohne Erfolg zu haben, verloren. Arndt hat sie später richtigerweise seinen »Ansichten und Aussichten der deutschen Geschichte« eingefügt. Inhaltlich bedeutender ist der »Entwurf der Erziehung und Unterweisung eines Fürsten«, der aus Anlaß verschiedener Unterhaltungen mit der Kaiserin von Rußland und der Herzogin von Württemberg, zweier deutschen Fürstentöchter, entstanden ist und in schöner Gedankenführung zeigt, wie Liebe, Notwendigkeit und Freiheit auch über das Leben eines Prinzen gebieten. Erst 1813 ist die kleine Schrift bei Reimer in Berlin gedruckt worden.

Mitten in diese Tätigkeit Arndts in Wort und Schrift kam die Kunde von dem Brande Moskaus und dem Rückzuge der Franzosen und erfüllte die Patrioten mit neuer Hoffnung und neuem Tatendrang. Stein beschloß zum russischen Heere zu reisen, um mit diesem, sobald er könne, nach Preußen zu gelangen. Am 5. Januar 1813 verließ der Minister in Begleitung Arndts die russische Hauptstadt, fuhr zunächst nach Pleskow, einem Sammelplatz der Deutschen Legion, und von da nach Wilna. Hier trennten sich die beiden Reisenden; Stein erreichte das russische Hauptquartier am 16. Januar an der preußischen Grenze, am 19. traf Arndt mit dem Minister in der Poststation vor Lyck wieder zusammen, wohin auch Kaiser Alexander gekommen war. Bereits am 22. Januar war Arndt mit Stein in Königsberg. Dort sammelte sich der Kreis der Patrioten, der durch die ostpreußischen Freunde verstärkt wurde, und es begann eine rege Tätigkeit, um eine allgemeine Volkserhebung ins Werk zu setzen. Wieder ging Arndt als Vorkämpfer mit einer Schrift voraus. Ein Aufruf »An die Preußen«, datiert Januar 1813, begrüßt diese als die ersten Deutschen, welche in dem neuen Leben und der neuen Kraft des Volkes allen als ein glänzendes Muster der Ehre, Vaterlandsliebe, Aufopferung und Begeisterung voranschreiten. Fast gleichzeitig mit diesem kleinen Flugblatte erschien die Schrift »Was bedeutet Landsturm und Landwehr?«, die auf öffentlichen Befehl im Sinne Steins im Januar geschrieben und auf öffentliche Kosten in Königsberg gedruckt wurde. Da die Landwehr damals errichtet werden sollte, galt es, die Bevölkerung über den Zweck und die Organisation der allgemeinen Bewaffnung aufzuklären und die öffentlichen Kreise bis zum Könige hin für die Ausführung des Plans zu gewinnen. Der Erfolg, zu dem Arndts Schrift ein gut Teil beigetragen hat, blieb nicht aus; am 17. März bot der König von Preußen Landwehr und Landsturm auf. Je nach dem Fortschreiten der patriotischen Erhebung erschien die Flugschrift in neuen Ausgaben mit Zusätzen, wie »in Beziehung auf die Länder zwischen Elbe und Rhein«, und nach 1814 »nebst einer Mahnung an deutsche Männer und Jünglinge in Preußens rheinischen Landen«.

Ebensowenig, wie zu der Ausarbeitung einer größeren deutschen Geschichte, blieb Arndt Zeit übrig, ein anderes Unternehmen zu Ende zu bringen, das in der Niederschrift einer russischen Kriegsgeschichte bestand. Im Februar waren davon schon zwanzig Bogen zum Druck, fertig, aber es fehlte in Königsberg dem Buchdrucker, der die Ausführung übernommen hatte, an Setzerpersonal, da alle zu den Fahnen gegangen waren, und deshalb unterblieb der Druck vollständig. Ein Teil der Arbeit erschien später unter dem Titel »Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonapartes verderblichen Anschlägen, von seinen Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung seiner Heeresmacht und von der Bedeutung des gegenwärtigen deutschen Krieges« zuerst in Leipzig 1813 und dann in mehrfachen Auslagen, auch mit verändertem Titel; in weiterem Umfange ist diese Arbeit in den dritten Teil seines »Geist der Zeit« aufgenommen worden.

In Königsberg erlebte Arndt inmitten alter und neuer Freunde die herrlichen Tage der Erhebung Preußens. Durch seine Schriften und seine unermüdliche Arbeit ebenso, wie durch seine zu Herzen gehende und mit fortreißende Begeisterung war er ein gern gesehener Gast in dem Kreise, dem Männer wie die Dohnas, Schön, Schrötter, Bardeleben, Nicolovius, Friccius, Scheffner, Delbrück seine Bedeutung gaben; mit ihnen freute er sich des neuen Lebens, in welchem ein heilsamer Sturmwind alle Bedenken des Alters und der Gelehrsamkeit abgeschüttelt und über die Kälte und Steifheit der Gesellschaftlichkeit den goldnen Blütenstaub des fröhlichen Maientags der Hoffnung und des Mutes gebreitet hatte. Hier, wo die Herzen näher aneinander schlugen, ging inmitten aller Kriegsnot dem Vierzigjährigen eine leidenschaftliche Liebe auf, die ihn weit durch die Stürme seines Lebens begleitete und durch die Briefe, die er der geliebten Frau schrieb, einen wunderbar schönen Einblick in das Gefühlsleben des Dichters öffnet. Man kann seine Beziehungen zu Johanna Motherby, der Frau seines Freundes, nur als ein wahres, treues Freundschaftsverhältnis auffassen, freilich in dem Sinne jener Zeit, die sich skrupellos in Wort und Tat über Schranken hinwegsetzte, welche die Folgezeit wieder zwischen Mann und Frau gezogen hat. Arndt mußte jemanden haben, dem er sein ganzes Fühlen in inniger Herzensgemeinsamkeit offenbaren konnte; er hat lange Jahre vergebens danach gesucht; er, der für Frauenliebe und Familienglück so empfänglich war, hat es bei einer Frau gefunden, die sich aus liebeleeren Verhältnissen zu einer Leidenschaft des Gefühls heraussehnte. Dieser Stimmung entstammt eine Reihe hübscher, inniger Lieder, welche das Gedenken an die Geliebte kundgeben; aber, was die Dichterbrust noch heftiger bewegte, die Begeisterung für die Freiheit und den heiligen Kampf, verdrängte bald die süßen Töne der Liebe und zeitigte die noch heute bekannten und gesungenen Lieder von Schill, Gneisenau, Dörnberg, Chasot und vor allem vom deutschen Vaterlande. Bereits als Arndt mit Stein aus Petersburg der preußischen Grenze zufuhr und letzterer dem Gefährten seine Gedanken über allgemeine Volksbewaffnung auseinandersetzte, hatte Arndt ihm geantwortet, daß er außer dem Aufrufe an die Preußen noch einen andern erwäge, der an die Herzen der Deutschen sich richte; das sei ein Lied vom deutschen Vaterlande, zwei Strophen habe er fertig und auch schon die Melodie. Und damals, in den Schneegefilden Litauens, ist zum ersten Male das Lied erklungen: »Was ist des Deutschen Vaterland?« In Königsberg brachte der Dichter sein Lied zu Ende und ließ es mit den vier obengenannten als »Fünf Lieder für deutsche Soldaten« in Druck erscheinen.

Als des Königs Aufruf »An mein Volk« erschienen war, verließ Arndt die gastliche Hauptstadt Ostpreußens und ging zunächst nach Kalisch, wo er mit dem Minister Stein wieder zusammentraf, und weiter dann nach Breslau, das er aber schon am 7. April wieder verließ, um sich nach Dresden zu begeben. Dort wohnte er seit dem 9. April bei Theodor Körners Vater, dem Freunde Schillers, dem Appellationsgerichtsrat Körner in der Moritzstraße. Wie in Königsberg, fand er sich dort wieder in einem Kreise begeisterter Patrioten, in den Goethe während seines Besuches durch sein Eintreten für Napoleons Ideen einen kurzen Mißklang brachte. Unbeirrt durch dessen Warnung, daß sie umsonst an ihren Ketten schütteln und sie nie zerbrechen würden, und unbeirrt auch durch heimliche Verleumdungen, setzten die Freunde, zu denen auch Niebuhr, Steffens u.a. getreten waren, rastlos ihre Arbeit zur Aufmunterung aller Deutschen zum heiligen Kampfe fort, und Arndt war neben Stein wieder der Fleißigste. Seine Flugschrift »Zwei Worte über die Entstehung und Bestimmung der deutschen Legion«, die er zunächst anonym im Frühjahr 1813 im Auftrage der russischen Regierung schrieb, wendete sich gegen die Schmähungen, die geflissentlich über diese Truppe von französischer Seite aus verbreitet wurden. Mehr am Herzen lag ihm die Ausarbeitung des dritten Teiles des »Geist der Zeit«, mit der er sich schon in Königsberg getragen hatte. Es ist schon vorher erzählt worden, warum der Druck dort nicht zustande kam; auch jetzt boten sich große Schwierigkeiten, einen Verleger zu finden, bis der treue Reimer in Berlin einsprang und wenigstens den Druck übernahm, während er bei der strengen Zensur nicht wagte, seinen Verlag dazuzusetzen, sondern eine Londoner Druckfirma angab. Nicht nur wegen des noch allmächtigen Einflusses der Franzosen in Berlin war dies notwendig, sondern auch wegen der Angriffe, denen das Werk in Deutschland selbst entgegenging; denn mit dem Fortschreiten der deutschen Bewegung wurden Arndts Forderungen immer kühner, und seine Worte schwollen zu mächtigen Anklagen gegen Franzosen und Franzosentum im eignen Vaterlande an. Der erste Abschnitt des dritten Teiles des »Geist der Zeit« beantwortet unter Verwertung seiner kleinen bereits erwähnten Schrift »Kurze und wahrhafte Erzählung von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen«, die der Berliner Zensor ein Gewebe von Sarkasmen und Beleidigungen von religiösen Mahnungen durchzogen genannt hatte, und unter Benutzung der Schilderungen des preußischen Offiziers von Pfuel die Fragen: »Was wollte und was tat Napoleon? Wie kam er nach Rußland? Wie kam er aus Rußland heraus?«, und setzt dann in den beiden letzten Abschnitten: »Was haben die großen Mächte jetzt zu tun?« und: »Was müssen die Deutschen jetzt tun?« seine eignen Hoffnungen und Ziele in offener Weise auseinander. Die Zeit des großen Weltkrieges gegen Frankreich sei gekommen, und kämpfen müsse man mit den himmlischen Waffen des Glaubens an Gott und an das Volk, an die Ehre und an das Vaterland. Da sei es nicht angebracht innezuhalten vor dem Althergebrachten, alles müsse ganz geschehn und geschwind und ohne Schonung, und vor allen Dingen müßten die Schwätzer und Klügler, die das französische Evangelium der Mode, Sitte und Sprache in Deutschland predigten, vertrieben und die Vaterlandsverräter des Rheinbundes streng bestraft werden. Und was winke als Lohn des heiligen Kampfes? Ein einiges Deutschland, das seine Grenzen über den Rhein bis zum Elsaß und nach Lothringen vorschiebe, ein deutscher Reichstag, ein deutsches Reichsheer und Reichsgericht und an der Spitze des Vaterlandes ein deutscher Kaiser. Das waren freilich ganz neue, bisher ungehörte Worte, die nicht verfehlten, weitere Kreise der Zaghaften mit fortzureißen, aber auch der heimlichen Verleumdung Tür und Tor zu öffnen. Getragen von der inneren Begeisterung und geschützt von seinen mächtigen Freunden, hat Arndt wohl damals nicht gefühlt, wie er schon verdächtig wurde, aber der Gedanke daran verging ihm in seiner rastlosen Tätigkeit. Stein wußte, daß er von seinem Mitarbeiter viel verlangen durfte, und hat nicht gezögert, ihm vielerlei aufzutragen, was ihn von ernsten literarischen Arbeiten abhielt. Das war auch ein Grund, weshalb er die Redaktion des »Preußischen Korrespondenten«, der seit April in Berlin bei Reimer erschien und von Niebuhr herausgegeben wurde, nach der Abberufung des letzteren zu Hardenberg nicht übernehmen konnte.

Nachdem Arndt bereits einmal in geheimer Mission nach Altenburg in das Hauptquartier Blüchers geschickt worden war erhielt er von Stein den Auftrag, nach Berlin zu gehen, um dort die Stimmung zu erforschen und weiter im Norden sich möglichst mit den Schweden in Verbindung zu setzen. Es war die Zeit, in der sich nach der Schlacht bei Groß-Görschen die Verbündeten über Dresden nach der Lausitz zurückgezogen hatten, um einen neuen Operationsplan vorzubereiten, und deshalb war die Reise, die Arndt unter fremden Namen über Baruth und Mittenivalde nach Berlin antrat, nicht ungefährlich. Am 10. Mai gelangte er dort an und fand die Vaterlandsfreunde in rühriger Arbeit, trotz des Rückzuges der verbündeten Heere erfüllt von froher Hoffnung und unerschüttertem Mute. Bald ging aber seine Reise weiter nach dem Norden zu; neben dem Wiedersehn, das er in Trantow, Greifswald, Stralsund und auf Rügen mit seinen Geschwistern, seinem kleinen Sohne und alten Freunden feierte, nahm ihn seine Aufgabe, über die Rüstungen und die Kriegsstimmung in Schweden einiges zu erfahren, sehr in Anspruch. Auch Mecklenburg bereiste er als Werber und Apostel für den heiligen Krieg. Da traf ihn, als er nach Berlin zurückgekehrt war, die Nachricht von dem am 4. Juni auf sechs Wochen geschlossenen Waffenstillstande zwischen den Verbündeten und Napoleon und nahm auch ihm einen Teil seines Mutes eine Zeitlang hinweg durch die bange Erwartung, Ivas die Zukunft bringen würde. In den Briefen an Johanna Motherby, den einzigen Arndts, die aus jener Zeit erhalten sind, spiegelt sich die Stimmung jener Tage wieder, das rastlose Arbeiten, die Sehnsucht nach Ruhe, Todesgedanken und das Bestreben, inmitten der Freunde wieder festen Mut zu gewinnen. Außer einem Artikel im Preußischen Korrespondenten über Volkshaß, den er später nicht zum Nutzen der Schrift weiter ausführte und als Buch erscheinen ließ, hat Arndt in Berlin nichts weiter geschrieben; die Zensurschwierigkeiten waren wieder größer geworden, so daß kein Verleger seine Bücher übernommen hätte. Aber im Kreise der Freunde galt es, durch Beispiel und Ermunterung zu wirken; und das waren herrliche Tage für ihn, als er mit einem Eichhorn, Süvern, Schleiermacher, Fichte zusammen leben konnte und alte und neue Freunde in Reil und Rudolphi, den Medizinern, von Scheele, von Schütz u. a. fand.

Um dem Freiherrn vom Stein, der inzwischen mit den Verbündeten Herrschern nach Reichenbach in Schlesien gegangen war, Bericht von seiner Mission zu erstatten, begab er sich gegen den 9. Juli auch dahin, scheint aber zunächst noch hin und her gewandert zu sein, ehe er in einem Stübchen an der Stadtmauer bei einem Nachtwächter ein mehr als bescheidenes Unternommen fand. Innerhalb der Kongreßverhandlungen die damals unter Teilnahme der ersten Vertreter der europäischen Staaten, der Russen Graf Nesselrode und Pozzo di Borgo, des Engländers Charles Stewart, des Österreichers Graf Stadion, ferner Steins, Hardenbergs, Schöns, Niebuhrs Savignys und Humboldts stattfanden, konnte Arndt keinen rechten Platz einnehmen; eine neue Bearbeitung seines Katechismus ist aus jener Zeit das einzige Zeichen seiner publizistischen Tätigkeit. Desto mehr hatte er in der Stille der Zeit Gelegenheit, seine dichterische Muse in herrlichen Liedern tönen zu lassen. Damals entstanden das unvergessene Lied von Scharnhorst dem Ehrenboten, die Elegien »Lug ins Leben« und der »Lebenstraum« mit den tiefgefühlten Erinnerungen an seine Jugend und an seine Heimat. Während nach Ablauf des Waffenstillstandes Stein mit dem Heere nach Böhmen zog, blieb Arndt, der inzwischen bei dem Grafen von Geßler auf Neuendorf gastliche Aufnahme gefunden hatte in Schlesien zurück und erhielt erst am 4. Oktober den Auftrag, dem Hauptquartiere zu folgen. Man wird daraus und aus der Verzögerung seiner Abreise bis nach der Schlacht bei Leipzig auf die Entstehung einer Meinungsverschiedenheit zwischen Arndt und Stein zu schließen haben. Der Grund dafür wäre darin zu suchen, daß letzterem das scharfe Vorgehn seines Gefährten gegen die diplomatischen Verhandlungen unbequem war, und diesen wiederum hatte darin der Verkehr mit den Berliner Patrioten während seiner Reise und die Gegnerschaft Niebuhrs und Geßlers gegen Stein bestärkt. Als Arndt endlich das Heim des ihm zum vertrauten Freunde gewordenen gelehrten und patriotischen Grafen verließ, ging er zunächst über Görlitz nach Mühlberg an der Elbe zu Theodor Körners Eltern, die sich dorthin bei Beginn der Belagerung Dresdens durch die Russen begeben hatten. An sie war bereits die Kunde von der Verwundung ihres Sohnes bei Gadebusch gelangt; wenige Tage später mußte Arndt von Leipzig aus ihnen die Nachricht von dem Tode jenes senden. In letzterer Stadt, wo Arndt Ende Oktober eintraf, fand er Stein wieder, der aber bald darauf nach Frankfurt abreiste. Aufs neue war jener ohne bestimmte Aufträge zurückgeblieben und begann auf sich selbst angewiesen, wieder selbständig zu arbeiten. Mit zwei Schriften, in denen er seine eigenen Wege ging, hatte er nicht viel Glück. Die eine war die Erweiterung eines schon erwähnten Aufsatzes zu der Schrift »Über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache«, die in Leipzig erschien und in breiter Form und nicht immer leichter Beweisführung die Möglichkeit eines Volkshasses verteidigt, um dann die unerhörte Ausbreitung der französischen Sprache in Deutschland und ihre Folgen auseinanderzusetzen; die andere Schrift »Über das Verhältnis Englands und Frankreichs zu Europa« setzt in mehr sachlicher als leidenschaftlicher Weise ausführlich auseinander, wie Napoleon, den alle hassen, der nie weitschauend, sondern im Glück leidenschaftlich war, niemals der Herrscher Europas hätte werden können, und preist dann im Gegensatze zu seinem früheren Urteil, das englische Volk, das seit dem Jahre 1793 für die europäische Freiheit und Ehre und nicht für seinen Eigennutz gekämpft habe.

Ganz von dem alten Arndtschen Geiste beseelt sind die andern Schriften, die der unermüdlich arbeitende Mann damals in Leipzig erscheinen ließ. Gegen Schluß des Oktobers hatte er seine Flugschrift »Das Preußische Volk und Heer« verfaßt, die in begeisterter Weise das gerettete Preußen als das nun rettende bezeichnet und dies damit begründet, daß dieser Staat verstanden habe, zu richtiger Zeit die Geister frei zu lassen und das Volk kriegsgeübt zu machen. Eine zweite Schrift »Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung« ist Stein gewidmet und wahrscheinlich auf Unterhaltungen mit diesem aufgebaut. Im Gegensatz zu den stehenden Heeren wird die allgemeine Volksbewaffnung gepriesen und bis in das Kleinste auseinandergesetzt, wie eine solche zu bewerkstelligen sei; dadurch würde der Mann wieder zu seinen Bürgertugenden und der Jüngling zu freudigem Lebensmute gelangen, denn je stärker und freier man die Seele wünsche, desto mächtiger müsse man den Leib machen. Bald nach der Leipziger Schlacht geschrieben und kurz vor Weihnachten erschienen ist die neben dem Katechismus wirkungsvollste Schrift »Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze«. Arndt hat es verstanden, zu richtiger Zeit das zu sagen, was im Augenblicke die Gemüter bewegte; als die Befürchtung auftrat, die Verbündeten könnten die Verfolgung Napoleons nicht weiter über den Rhein fortsetzen, da Metternich Friedensverhandlungen anknüpfen wollte, löste die Schrift, die gleich nach dem Übergange der Heere über diesen Fluß auch im Hauptquartiere eingetroffen war, schnell und leicht alle Bedenken. Recht, Politik, Ehre und Treue des deutschen Namens sprächen dafür, daß der Rhein deutsch bleiben müsse, denn Flüsse bildeten nicht die Naturgrenze, sondern einzig die Sprache. Solch tapferes Wort wurde von den preußischen Patrioten, besonders auch von Stein und Hardenberg, hoch aufgenommen, und letzterer bot dem Verfasser daraufhin eine Anstellung im preußischen Staatsdienste an. Inmitten der schnell vorwärts schreitenden Kriegsereignisse und bei der Entfernung Arndts vom Heere scheint dieser Ruf verhallt zu sein, denn als letzterer in den ersten Tagen des Januar 1814 sich aufmachte, um nach dem Westen zu gehn, nahm er keine bestimmten Hoffnungen auf Grund jenes Anerbietens mit. Ehe er Leipzig verließ, sorgte er noch für die Drucklegung verschiedener Schriften, so der bereits erwähnten »Erziehung eines Fürsten« und veranstaltete sogar eine Ausgabe seiner Werke in vier Bänden, die aber nicht vollendet wurde. Aber seine Vaterlandslieder, von denen ein Teil neuer in Leipzig entstanden, machten, nachdem fünf davon bei Reimer in Berlin schon in besonderem Druck erschienen waren, nun in einer neuen Sammlung als »Lieder für Deutsche. Im Jahre der Freiheit 1813« ihren Siegeslauf durch ganz Deutschland, blieben gelesen und gesungen bei den Soldaten draußen und am heimatlichen Herde und haben die Taten Schills, Gneisenaus, Dörnbergs und Chasots, die Zuversicht auf Gott, der Eisen wachsen ließ, die Begeisterung für das ganze Deutschland, das unser Vaterland sei, von Vater zu Sohn bis auf unsere Tage lebendig erhalten.

Am 9. Januar traf Arndt in Frankfurt a. M. ein, dem damaligen Sitz der Zentralverwaltung, der es oblag, die Regierung der von den Franzosen befreiten deutschen Länder provisorisch zu führen. Wieder wirkte er hier im Auftrage Steins durch verschiedene Schriften für die deutsche Sache, konnte aber eine bestimmte Verwendung nicht finden, so daß er Zeit hatte, den Rhein entlang zu reisen und die Stimmung an den Höfen und unter dem Volke zu erkunden. Was er sah, war nicht geeignet, ihn mit den Maßnahmen der Zentralverwaltung im Einverständnis zu finden, vielmehr bewirkte es in ihm eine eigene Auffassung der Verhältnisse, die sich, vereint mit seiner Trennung von Stein, in seinen Schriften kundgab. Eine übermäßige Heftigkeit, nicht nur gegen die besiegten Franzosen, sondern auch gegen die Machthaber im Vaterlande, ein vorzeitiges Hervortreten mit Forderungen, deren Erfüllung in der erregten Zeit der Kämpfe nach außen unmöglich war, und oft gar zu phantastische Pläne, die bis zu Einzelheiten ausgeführt sind, charakterisieren die literarischen Arbeiten, die Arndt während des Jahres 1814 erscheinen ließ. Ein kleines Schriftchen »Noch ein Wort über die Franzosen und uns« läßt entschieden die Ruhe und Würde dem besiegten Volke gegenüber vermissen, und in der fast zu gleicher Zeit entstandenen Schrift »Über künftige ständische Verfassungen« klagt er die Regierungen, die Kirche beiderlei Konfession, den Adel an, die alle nicht ihre Schuldigkeit als politische Bestandteile des Staates täten, und bringt durch seine Forderung eines deutschen Kaisers, eines gemeinsamen Heeres, Reichstages und Reichsgerichtes und durch das freie Wort, daß alle Staaten immer mehr demokratisch werden müßten, eine Opposition gegen sich zustande, die ebenso in den Kleinstaaten wie in Berlin sich erhob und in Gegenschriften oder Besprechungen seiner eigenen Schöpfungen in Zeitschriften sich kundgab. Eigenartig aber von dauerndem Erfolg nicht begleitet war Arndts »Entwurf einer deutschen Gesellschaft«, die Ausführung eines Gedankens, dem er bereits in seinem »Noch ein Wort über die Franzosen« Raum gegeben hatte. Es galt darin, ein Mittel zu finden, um die öffentliche Meinung in Deutschland zu einer Macht zu gestalten; das könne durch einen Bund der deutschen Männer bewirkt werden, die sich bestimmten und nicht ohne malerische Äußerlichkeiten bis ins Kleinste genau angegebenen Satzungen unterwürfen. Theodor Körners Vater war der Schöpfer dieses Gedankens gewesen, Arndt nur der Ausführer desselben; daß er sich aber, wie er später behauptet, nicht an der Gründung solcher Gesellschaften selbst beteiligt habe, ist ein Gedächtnisfehler; nur der späteren Ausgestaltung zu einem Geheimbund, besonders durch den Justizrat Hoffmann in Rödelheim, dessen ausgesprochenes Ziel die Herbeiführung der Oberherrschaft Preußens in Deutschland war, scheint Arndt trotz seiner Bekanntschaft mit dessem Gründer fern gestanden zu haben. Wohl aber dichtete er das »Bundeslied bei Eröffnung deutscher Gesellschaften zu singen«, das noch jetzt gesungene »Sind wir vereint zu guter Stunde«, das zuerst als Beilage zu den von K. Hoffmann entworfenen Gesetzen deutscher Gesellschaften 1815 und als Einzeldruck als »Bundeslied der Jenaischen Burschenschaft den 12. Juny 1815« erschien. Gleichen Zweck wie sein »Entwurf« verfolgten zwei andere kleine Schriften Arndts »Über Sitte, Mode und Kleidertracht« und »Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht«, beide zur Belebung des Deutschtums, das nach den Opfern des Krieges eine Erschöpfung erlitten hatte, geschrieben. Daneben veranstaltete er Neuauflagen seiner wirksamsten Schriften, des Katechismus, der Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung, ferner von »Der Rhein, Deutschlands Strom« und »Was bedeutet Landsturm und Landwehr?«, hatte auch Anteil an der Herausgabe zweier patriotischer Liedersammlungen, den »Deutschen Wehrliedern« und dem »Lob deutscher Helden«, die außer einigen Gedichten anderer Verfasser meist Arndtsche und Körnersche Vaterlandsgesänge enthalten.

Fast unerschöpflich war in dieser Zeit Arndts Schaffenskraft. Als Herausgeber nennt er sich auf zwei Schriften. Erstens ließ er die beiden Reden, die der französische Senator Graf von Fontanes 1809 und 1813 gehalten hatte, und von denen die erste durch ihren ungezügelten Hochmut, die andre nach dem Unglück Napoleons durch ihre Friedensliebe ein treffliches Bild des Wechsels der Zeiten gibt, mit feinen eigenen Anmerkungen im Druck erscheinen; dann gab er unter dem Titel »Schattenbild eines für sein Vaterland als Opfer ritterlich gefallenen deutschen Prinzen« die Briefe des 1812 in einem Gefecht gegen die Franzosen in Spanien tödlich verwundeten Prinzen Vietor von Neuwied heraus. Den mächtigsten Anlaß aber, mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit zu treten, erhielt Arndt durch die Verhandlungen des Wiener Kongresses. Diese waren freilich nicht nach seinem Geschmack, weder durch die diplomatischen Künste, die von den französischen und auch den englischen Abgesandten gebraucht wurden, noch durch die endlose von rauschenden Festen unterbrochene Länge der Verhandlungen. Da ließ nun Arndt seinem Zorne freien Lauf, zunächst in drei anonymen Schriften, die er ganz gegen seine Art wohl nur deshalb ohne seinen Namen erscheinen ließ, um seinen alten Beschützer Stein nicht in den Verdacht zu bringen, als könne er sie veranlaßt haben. In der ersten Schrift, die verboten, aber trotzdem gerade viel gelesen ward, den »Beherzigungen vor dem Wiener Kongreß« erörtert der Verfasser in neunzehn Abschnitten die Macht der öffentlichen Meinung, die Preßfreiheit, die geheime Polizei, den Soldatenhandel, die Rheinbundfürsten, über die er prächtige Anekdoten erzählt, und schließt mit dem politischen Testament jedes Deutschen: Waffen üben, Eintracht fördern, alles Fremdländische verbannen und Gott vertrauen. Die zweite »Die Regenten und die Regierten. Dem Kongresse zu Wien gewidmet« fragt, ob erstere den Völkern das gehalten haben, was sie versprochen, und ob die öffentlichen Verhältnisse so organisiert worden seien, wie es der allgemeine Wille, die Erfahrung und der Geist der Zeit erfordern, beantwortet diese Fragen mit nein und warnt die Regenten, sich nicht in Opposition zu den Regierten zu setzen. Die dritte »Friedrich August König von Sachsen und sein Volk« gibt einen historischen Rückblick auf die undeutsche Haltung des Königs und tritt der Ansicht entgegen, daß sein Staat vergrößert werden müsse. Was Arndt in vielen seiner Einzelschriften schon gesagt hat, faßt er noch einmal zusammen in seinem »Blick aus der Zeit in die Zeit. Germanien 1814«, den er bei Eichenberg in Frankfurt erscheinen ließ. Er verlangt einen Oberherrn in Deutschland, eine Verfassung, Reichsheer, Bundesrat und Reichsgericht, Münzeinheit, Preßfreiheit, will das Elsaß nimmer lassen und die Schweizer und Holländer wenigstens in die deutsche Interessensphäre gezogen wissen; dann sucht er die Gegensätze zwischen Protestantismus und Katholizismus, zwischen Norddeutschen und Süddeutschen auszugleichen, fordert auch, daß die in Deutschland geborenen Juden als deutsche Staatsbürger betrachtet werden, geht dann wieder zu einem heftigen Angriff gegen Napoleon über, kommt auf die Einführung einer allgemeinen deutschen Volkstracht zurück, bespricht die zahlreichen unnützen Ordensverleihungen und schließt mit einer Mahnung an die deutschen Philister, die ihre Ruhe über alles lieben und unfähig eines politischen Urteiles sind. Dieses flott geschriebene Buch ließ Arndt wieder unter seinem Namen erscheinen, da man aus ihrem bereits an andern Orten behandelten Inhalte doch leicht den Verfasser erraten hätte. In der Flut der Schriften, die zur Zeit des Wiener Kongresses erschienen, gingen Arndts wohlgemeinte und zum Teil prophetische Worte leider verloren.

Arndt hatte sich schon lange mit dem Gedanken der Ausarbeitung einer großen deutschen Geschichte getragen. Die Vorstudien dazu gehen in die Zeit seiner Greifswalder Vorlesungen zurück; aus der Zeit seines Aufenthalts in Schweden bis 1812 stammt ein fertiges Manuskript, in dem erwähnten »Historischen Taschenbuche« sind Abschnitte einer deutschen Geschichte abgedruckt, die Vollendung des ersten Teils derselben fällt in die Zeit von Arndts Aufenthalt in Breslau. Über diesen ersten Teil hinaus ist der Verfasser nicht gekommen; er ließ ihn unter dem Titel »Ansichten und Aussichten der deutschen Geschichte« nun 1814 in Leipzig erscheinen. Von einem Werk, das inmitten so gewaltiger politischer Ereignisse entstanden ist, läßt sich historische Objektivität nicht erwarten, zumal wenn sein Verfasser Arndt ist. Das Buch ist für die damalige Zeit geschrieben und stellt infolgedessen die Zeitabschnitte in den Vordergrund, die zum Spiegel der Gegenwart dienen, die langen Kriege mit den Römern an der Westgrenze, die Reformation, den Absolutismus eines Karl V., den Dreißigjährigen Krieg, das undeutsche Zeitalter Friedrich des Großen, – aber trotz einiger verkehrten Urteile bietet das Werk, das auf Grund eingehender Studien verfaßt und in Sprache und Darstellung edel und klar ist, nicht wenige Abschnitte, die noch jetzt des Lesens wert sind.

Die Zentralverwaltung in Frankfurt a. M. wurde im Herbst 1814 aufgelöst und Arndt auch formell aus ihrer Kanzlei entlassen; ohne in preußische Dienste zu treten, erhielt er aber fortan sein Gehalt aus preußischen Kassen weitergezahlt. Das Leben am Rhein war für ihn durch seine Reisen und die auf ihnen geschlossenen Freundschaften von größerem Interesse geworden; in Rödelheim hatte er bei seinem Freunde Hoffmann Johanna Motherby wiedergesehn und in der neu aufflammenden Freundschaft glückliche Tage mit ihr verlebt; mit Max von Schenkendorf und seiner Frau war er in Verkehr getreten und durch sie wieder mit Frau von Krüdener und Jung Stilling, die ihm freilich beide mißfielen; in dem Grafen Vollrath von Solms hatte er eine gleichgestimmte, geistreiche und dichterisch veranlagte Natur gefunden; Friedrich Jahn war auf größeren Wanderungen durch die Rheingegenden sein Reisegenosse gewesen; Joseph von Görres und Melchior Boisserée, den er in Heidelberg besuchte, durfte er seine Freunde nennen. Um Sicheres über die Gestaltung seiner Zukunft zu erfahren, richtete Arndt aber zunächst seine Augen nach Berlin, wo er sich der Fürsprache treuer Freunde bewußt war. Auf einer fröhlichen Fußwanderung durch Hessen, Westfalen, Hannover und Braunschweig erreichte er im November die preußische Hauptstadt. Solange die Verhältnisse im Westen nicht geordnet waren, durfte er nicht hoffen, dort eine Anstellung in der Verwaltung oder im Lehramt zu finden; er bemühte sich deshalb, nachdem er eine Aufforderung Cottas in Stuttgart, nach Wien zum Kongreß als Berichterstatter zu gehn, abgelehnt hatte, in Berlin an einer Zeitung unterzukommen oder selbst eine solche zu gründen. Letzteres gelang mit Hilfe seines Freundes Reimer, in dessen Verlage seit Anfang 1815 das »Tagesblatt der Geschichte« unter der Redaktion von Arndt und Fr. Lange erschien. Aber seines Bleibens war nicht im Kreise der alten Freunde. Auf einer Reise nach der Heimat, Rügen und Greifswald, traf ihn die Nachricht von der Wiederkehr Napoleons nach Frankreich, und unverzüglich machte er sich zu neuer Wirksamkeit in die Rheinlande auf. Nachdem er Anfang Mai zunächst in Aachen sich aufgehalten hatte, von wo er auch einen Abstecher in Blüchers Hauptquartier nach Lüttich machte, ging er gegen Mitte des Monats nach Köln, wo er einstweilen blieb, um wieder durch das geschriebene Wort Begeisterung zu wecken und den alten Erbfeind zu bekämpfen. Eine Verwendung im Staatsdienst konnte er nicht finden, bestimmte Aufträge erhielt er auch nicht, ja er hat wohl selbst den Eindruck gewonnen, daß man seiner nicht bedürfe, vielleicht sogar daß man ihn los sein wolle. Denn die Zeit des Patriotismus von 1813 war vorüber; an die Stelle der Volksbegeisterung war Diplomatenkunst, an Stelle des kühnen Drauflosgehens bedächtige und mißtrauende Überlegung getreten. Trotzdem war Arndt getrost und freudig und entfaltete eine umfassende und wirksame publizistische Tätigkeit nach seiner eignen Anschauung, unbekümmert, daß man ihn nicht berücksichtigen wollte oder angriff. In der richtigen Voraussetzung, daß am Rheine die Zensurschwierigkeiten geringer sein würden als in Berlin, beschloß er in Köln eine Zeitschrift herauszugeben, die auch dann seit dem Juli unter dem Namen »Der Wächter« in zwanglosen Heften erschien und bis zum Jahre 1816 treue Wacht am heiligen Rhein gehalten hat. Es ist erstaunlich, wie der Herausgeber, der zugleich fast der alleinige Schreiber aller größeren Aufsätze darin war, es verstanden hat, immer neue Themata zu finden oder die alten so zu behandeln, daß sie auch in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit erregen mußten. Mit der Schlacht beim schönen Bunde begann er, wies in einem zweiten Aufsätze nach, daß nimmermehr Napoleon aufs neue Europa beherrschen würde, sprach tröstend zu den deutschen Soldaten über den Widerstand, den sie bei der Bevölkerung im Elsaß fanden, und wandte sich wieder in mehreren Artikeln, gegen die Franzosen und gegen die Diplomaten, welche die Grenzen des neuen Frankreichs leider wieder über das Elsaß hinaus nach Osten schieben wollten. Auch in betreff der inneren Neugestaltung Deutschlands wiederholte er die alten Kampfesworte und Forderungen; vor allem in dem Aufsatze »Phantasien zur Berichtigung der Urteile über künftige deutsche Verfassungen«, die aber nur auf Grund der territorialen Entwickelung, nicht nach einer allgemeinen Schablone zu geben sei, und in der die Rechte des Erbadels eingeschränkt und der freie Bauer seine Vertretung haben müsse. Diesen Gedanken hatte Arndt in einer eignen kleinen Schrift »Über den Bauernstand und über seine Stellvertretung im Staate«, die bei Reimer in Berlin 1815 erschienen war, ausführlich auseinandergesetzt; jetzt erweiterte er ihn noch in einem Aufsatze des Wächters »Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und der Bauern im Sinne einer höheren, d.h. menschlichen Gesetzgebung«, der auch später 1820 als selbständige Schrift erschienen ist. Was er vorschlug, die Erhaltung eines freien Bauernstandes durch gesetzliche Normen betreffs des Verkaufs und der Teilung der Bauerngüter, die Vermehrung der Bauern durch Parzellierung von Domänen, endlich ihren Schutz und den Schutz der Wälder vor dem eindringenden Großkapital, das sind alles Fragen, die die Jetztzeit noch beschäftigen. Zu einem harten und langen Kampfe rief er die deutsche akademische Jugend auf durch seinen Artikel »Über den deutschen Studentenstaat«, in welchem im Gegensatze den napoleonischen Zwangsmaßregeln gegen die Universitäten der Sinn für Freiheit und Vaterlandsliebe gepflegt werden müsse.

Die Herausgabe des »Wächters« nahm aber Arndts Tätigkeit nicht ganz in Anspruch. Wieder hatte er bereits während des Jahres 1815 von den älteren wirksamen Schriften den Katechismus und »Was bedeutet Landsturm und Landwehr?« letztere mit einer Mahnung an deutsche Männer und Jünglinge in Preußens rheinischen Landen erscheinen lassen; auch das heftige »Wort von 1814 über die Franzosen« war mit einem Zusatz »Das Wort von 1815«, das sich gegen Talleyrands Machenschaften und die Schwäche der Großmächte gegen Frankreich auf dem Wiener Kongresse richtete, neu herausgekommen; und zu Werken anderer, so zu Hoffmanns »Des Deutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel«, einer Schilderung, wie in deutschen Landen der erste Jahrestag der Schlacht bei Leipzig gefeiert worden war, und zu einem deutschen Trachtenbuche hatte er Vorreden geschrieben. Im Februar 1815 veröffentlichte Arndt anonym eine Schrift, die selbst seinen Freunden ihrem Inhalte nach bedenklich erschien und mit Recht als das kühnste und leidenschaftlichste Werk des Verfassers bezeichnet worden ist. »Über Preußens rheinische Mark und über Bundesfestungen« handelt sie und fordert für Preußen als die einzig mögliche Vormacht Deutschlands einen starken und umfangreichen Besitz an der Westgrenze gegen Frankreich, der durch einen Gürtel starker Festungen zu schützen sei. In hohem Grade bemerkenswert ist Arndts Herausgabe der Schrift eines seiner Freunde aus der Breslauer und Petersburger Zeit von 1812, die unter dem Titel »Phantasien für ein künftiges Deutschland. Von E. v. S.« in Frankfurt 1815 erschien. Der unbekannte und bis jetzt nicht festgestellte Verfasser scheint Ernst von Scork gewesen zu sein, der erst in preußischem, dann in russischem Militärdienst stand, als Generaladjutant der russischdeutschen Legion genannt wird, dessen Name aber dann während der Freiheitskriege verschwindet. Arndt hatte zwar anfangs ein ungünstiges Urteil über ihn, änderte es aber später, so daß dies nicht dagegen spricht, Scork die Autorschaft des Werkes zuzuschreiben, dessen Herausgeber Arndt war. In der Zeit der Befürchtungen und Hoffnungen in betreff des großen Kampfes gegen Napoleon haben die beiden Freunde, die in Breslau zusammenwohnten, ihre Träume an die Bibel gehängt, und in diesem Sinne und in dieser Sprache ist das merkwürdige Buch, das man der Form nach als einen Vorgänger des Arndtschen Katechismus ansehn kann, geschrieben. Aber auch sein Inhalt ist von Arndt für eigne Schriften als Vorbild genommen worden, denn damals, 1812, schon bringt Scork all das, was die Zeit von 1814 und 1815 bewegte, die Forderung eines deutschen Königs, der das Heer führe, einer doppelten Volksvertretung als Herren- und Abgeordnetenhaus, eines freien Bauernstandes, einer besonderen deutschen Tracht, von gemeinsamen Spielen und Festen, von der Einheit deutscher Münzen, Posten, Zölle, von Preßfreiheit, vaterländischer Priesterschaft und Erziehung und von einem Volksheere. Es sind diese Phantasien ein so wunderbares Werk, daß sie verdienen, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Noch einmal »Zum Neuen Jahre 1816« erhob Arndt im Wächter seine Stimme für die freiheitliche Entwicklung Deutschlands und zum Schutze der deutschen Jugend, der man offen schon ihre »Germanomanie« und Aufwiegelung gegen die kleinen Fürsten vorwarf, und gibt zugleich ein Bild von der politischen Lage ganz Europas, wobei er in scharfen Urteilen jedem Staate seine Fehler vorwirft, den Schweden ihre Hinneigung zu französischem Wesen, den Engländern den Mißbrauch ihrer Machtstellung, den Russen ihr Begehren Konstantinopels und den Italienern ihr Verkommen in der Hierarchie. Dann glaubt auch er die Waffe seiner Feder nach dem beendigten Kampfe niederlegen und verdienter Ruhe pflegen zu können. Aber die Palme des Siegers winkte ihm nicht. Zehn Jahre hatte er in Wort und Schrift gegen die Feinde des Vaterlandes gestritten, als Herold aufmunternd zum Kampf, als Prophet seinem Volke die wahren Ziele für die Zukunft zeigend, unbeirrt, ob die Gegner im eignen Lande ihn schmähten, oder ob die Freunde ihm Mäßigung predigten. Wohl ging seine niederdeutsche Kraftnatur über die Grenzen einer weisen Diplomatie hinaus, wohl war er leidenschaftlich in seinem Haß wie in seiner Liebe, aber auf keine andere Weise wäre das in trägem Fatalismus und kritikloser Verehrung alles Fremdländischen verkommene deutsche Philistertum zu dem Gedanken, daß es einen Heldentod für das Vaterland gäbe, aufzurütteln gewesen. Und was Arndt neben dem Feuereifer in seinen politischen Flugschriften zum Vorwurf gemacht ward, die stete Wiederholung gleicher Gedanken und Forderungen, die Breite der Ausführung auf historischer Grundlage, das konnte die Nachwelt wohl beim Lesen seiner Schriften empfinden, nicht aber die Mitwelt, die nicht anders wie bei jetzigen Zeitungsartikeln über neuen Ereignissen das Gestern schnell vergißt und immer wieder daran erinnert werden will und muß.

Die Zeit seines Aufenthalts in Köln war in treuer Arbeit und im Verkehr mit alten und neuen Freunden schnell vergangen. Von den alten war zwar keiner dauernd in jener Stadt geblieben, aber sie zogen auf der Heerstraße, die nach Westen führte, vorüber und brachten gute Kunde von den Ereignissen, die Arndt nicht mehr aus eigner Anschauung verfolgen konnte. Eichhorn, damals Professor der Rechtswissenschaft in Berlin und eins der tätigsten Mitglieder des patriotischen Verbandes, besuchte, als er nach Paris ging, Arndt, weiter Süvern, damals in der Unterrichtsabteilung des Ministeriums, Graf Solms, dessen Bekanntschaft aus Rödelheim sich herschreibt, der erste Oberpräsident der neuen rheinischen Provinz, endlich Stein, der getreue, der zugleich mit Goethe nach Köln kam; neue Freunde erwarb sich Arndt in dem Hauptmann von Hüser, dem späteren General, dem Leutnant von Plehwe, dem feurigen Jüngling, der dem Demagogendenunzianten Schmalz zu Leibe ging, dem Sohne Scharnhorsts, Wilhelm, der als Offizier vorher in Spanien gekämpft hatte, ferner in Eberhard de Groote, der bei Blücher durchsetzte, daß die von den Franzosen geraubten Schätze ihren Eigentümern zurückgegeben wurden, in dem Regierungsrat Werner von Haxthausen, der als Offizier gegen die Franzosen mitgekämpft hatte, endlich in dem Grafen Ernst zur Lippe in Oberkassel, in dessen gastlichem Hause Arndt das Weihnachtsfest 1815 feierte.

Um die Mitte April 1816 verließ Arndt Köln und wanderte zu Fuß über Koblenz und Nassau, wo er Gneisenau und Stein besuchte, nach Kassel, um dort den tapferen Avantgardenführer Ferdinand von Dörnberg, den er in einem seiner trefflichen Vaterlandslieder verherrlicht hat, zu begrüßen. Von dort ging es weiter durch den Harz nach Berlin. Dahin zog ihn das Verlangen, Hardenbergs Versprechen, ihm an der neu zu gründenden rheinischen Universität eine Professur zu verleihn, die er einer Anstellung im Verwaltungsdienst vorzog, durch persönliche Vorstellung bei seinen Freunden Eichhorn und Süvern, sich zu sichern, aber auch die Absicht, an Stelle Kölns Bonn als neue Musenstadt vorzuschlagen. In einer Denkschrift an den Staatskanzler vom 27. April 1817 hat er seine Ansicht darüber ausführlicher entwickelt. Der alte Freiheitskämpfer fand zwar im Freundeskreise herzliche Aufnahme, mußte aber nun mit eignen Augen sehn, wie innerhalb der Regierung sich Elemente breit gemacht hatten, die nichts weniger als die freiheitliche Entwicklung Preußens und Deutschlands auf Grund der versprochenen Verfassungen anstrebten. Die Saat, die der Professor Schmalz durch einen Aufsatz »Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik« ausgestreut hatte, war aufgegangen und das Mißtrauen der Regierungen gegen alle politischen Vereine rege gemacht. Und Arndt stand bereits auf der Liste der Verdächtigen, die zu beobachten und zu zügeln sich der machtvolle Kreis am Königsthron und in der Verwaltung zur Pflicht gemacht hatte. Nach kurzem Aufenthalt verließ er Berlin, um seine alte Heimat zu besuchen. Anfang Juni war er auf Rügen, ging weiter nach Rostock, Lübeck und Kiel, wo er in regen Verkehr mit dem schleswig-holsteinischen Patriotenkreise Dahlmann, Hegewisch, Twesten, Graf Rantzau u.a. trat, und von dort nach Kopenhagen, um angeblich seine Studien über altnordische Kultur und Literatur zu vervollständigen. Daß er nebenbei die Absicht gehabt hat, die Volksstimmung für und gegen Deutschland zu erkunden, ist nicht von der Hand zu weisen; jedenfalls hielt man ihn für einen Abgesandten der deutschen Revolutionäre, der die deutschen Untertanen des Inselreichs zum Widerstand gegen die Regierung aufmuntern sollte. Weil er die Spionengriffe Bernadottes fürchtete, gab er die Weiterreise nach Schweden auf und kehrte, nachdem er Ende Juli nur noch einen Ausflug nach der Insel Möen gemacht hatte, nach Putbus zurück, wo er in dem Hause seines Bruders Wilhelm bis Ende Januar 1817 blieb. In Putbus sah er Hardenberg bei dem Grafen Malte wieder, besuchte die alten Freunde, besonders Charlotte von Kathen, die Schwester von Schleiermachers Frau, mit der er seit zehn Jahren in dauerndem Briefwechsel stand, und ging dann über Stralsund, Greifswald und Stettin nach Berlin zurück. Nur eine einzige Schrift stammt aus dieser Zeit, die »Geschichte, der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in dem vormal Schwedischen Pommern und Rügen v. J. 1806 bis z. J. 1816«, die, als ein Anhang zu seiner »Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen« im Herbst 1816 in Putbus verfaßt und als Buch, Hardenberg gewidmet, 1817 bei Reimer in Berlin erschienen, in warmen Worten die Erhaltung und Vermehrung eines freien Bauernstandes durch Maßnahmen der Regierung empfiehlt.

Obgleich die Gründung der neuen Universität in Bonn noch immer nicht ins Werk gesetzt wurde, rüstete sich Arndt dennoch dahin zu gehen, um an Ort und Stelle abzuwarten, bis sich die ihm gegebene Zusicherung einer Professur daselbst verwirklichen würde. Ein festes und trautes Heim wollte der Achtundvierzigjährige dort sich gründen und fand eine treue und tapfere Gefährtin dazu in der Halbschwester Schleiermachers, Nana, mit der er sich bereits im April 1817 verlobt hatte und nun vor seinem Fortgang aus Berlin, am 18. September, vermählte. Ein friedsames, glückliches Leben führten die beiden in Bonn; als treffliche Hausfrau war Nana bereits bewährt, da sie lange Jahre ihrem Bruder die Wirtschaft geführt hatte, und Arndt gab sich mit Lust und Liebe nach den aufreibenden politischen Kämpfen stillen und ernsten Studien von Kulturgeschichte und Sprachwissenschaften hin als Vorbereitung für sein neues Lehramt. Aus der Heimat hatte er eine Sammlung wunderschöner Märchen mitgebracht, die er und seine Schwester Gottsgab (Dorothea) unmittelbar aus dem Volksmunde vernommen hatten; jetzt fügte er neue aus eigner Phantasie entstandene oder weiter gebildete hinzu und ließ die Sammlung 1818 erscheinen. Daneben gab er als Weihnachtsgabe in demselben Jahre die bereits erwähnten älteren zwei Dramen, verbunden mit Übersetzungen schwedischer Gedichte ans früherer Zeit, der Erzählung einer wunderbaren Geistererscheinung König Karls XI., von Schweden und einer Abhandlung über das Julfest, unter dem Titel »Erinnerungen aus Schweden« heraus und veranstaltete eine neue Ausgabe seiner Gedichte in zwei Bänden. Ein Lieblingsthema, das er früher schon verschiedentlich behandelt hatte, nahm er in einem größeren Aufsatze »Unsre Sprache und ihr Studium« wieder auf, das er im folgenden Jahre in seinen »Fragen und Antworten aus deutschen Altertümern und deutscher Sprache« weiter führte; es sind dies leicht hingeworfene etymologische Spielereien und Klügeleien, während ersterer Aufsatz in ernster Weise, gleichwie ein Abschnitt des zu gleicher Zeit erschienenen vierten Teils des »Geist der Zeit«, warm für den Ausbau der Muttersprache durch historische Vertiefung in die Geschichte derselben eintritt. Solche Sprachstudien, die er später, 1828, durch zwei Arbeiten im Rheinischen Museum vervollständigte, führten ihn auf die alten deutschen Quellen zurück, für die er von jeher eine Vorliebe und Aufspürtalent besaß, wie er ja auch 1817 bereits in Köln eine Handschrift des mittelalterlichen Heldengedichtes Wigalois gefunden hatte; er nahm daher den Plan seines Gönners Stein mit Freuden auf, eine Sammlung der älteren deutschen Geschichtsquellen zu veranstalten, gab in einem besonderen Schreiben seine Ansicht dem Minister gegenüber zu erkennen, konnte sich aber bei seinen vielen Arbeiten und der akademischen Lehrtätigkeit nicht entschließen, Mitarbeiter dieses großen Werkes, aus dem die Monumenta Germaniae historica hervorgingen, zu werden. Für die Universität kündigte Arndt im Winter 1818 zu 1819 Kollegs an über die Geschichte des deutschen Volkes und Reiches der letzten drei Jahrhunderte und eine Einleitung in die neuere Geschichte; dazu eine allgemeine Vorlesung »Über Leben und Studium«, deren Titel so staatsgefährlich erschien, daß er ihren Inhalt angeben mußte, ehe er die Erlaubnis zum Lesen bekam.

Daß Arndt bereits seit dem Herbst 1815 verdächtig erschien, ist oben angedeutet. Als die Universität in Bonn im Herbst 1818 eröffnet wurde, folgten wiederholt Warnungen von Freunden und heimliche Drohungen, die er nicht beachtete, sondern durch die Herausgabe des viertes Teiles des »Geist der Zeit« gegen Ende des Jahres beantwortete. Es liegt die Frage nahe, ob es richtig war, diesen neuen Kampfruf seinen Gegnern und seiner vorgesetzten Behörde, die ihm durch die Ernennung zum ordentlichen Professor der neueren Geschichte ein Zeichen ihres Vertrauens gegeben hatte, entgegenzuschleudern, und in Verbindung mit dieser Frage steht die andre, ob Arndt in eine Untersuchung wegen demagogischer Umtriebe nicht verwickelt worden wäre, wenn er den neuen Teil des Geist der Zeit nicht veröffentlicht hätte. Letzteres ist zu verneinen, denn, was er in seiner neuen Schrift aussprach, das stand in seinen früheren ebenso entschieden, ebenso kühn und an mehreren Stellen, die ja auch bei der späteren Untersuchung einen wichtigen Teil der Anklageschrift bildeten. Nur die reaktionäre Strömung in Preußen war die Ursache, daß man jetzt das offene Wort anders beurteilte als in den Zeiten der Volkserhebung. Man hatte nun Muße, die Forderungen von Versagungen, Volksbewaffnung, Preßfreiheit, Gemeindeverwaltung Bürgerpolizei und Freiheit der akademischen Lehre näher zu betrachten, und fühlte, bestärkt durch die Preßartikel eines Kotzbue, Kamptz und Schmalz, daß die Erbitterung wegen der Nichterfüllung solcher Versprechungen immer mehr wuchs und eine Gefahr für die Regierung werden könnte. Arndt der Feuergeist, kam der geheimen Demagogenriecherei, die auch ihn umgab, durch einen Angriff zuvor, nicht in der Absicht der Staatsverwaltung, deren Haupt Hardenberg noch immer sein Gönner war, den Fehdehandschuh hinzuwerfen, sondern um die geheime mächtige Partei der Reaktion zu treffen, den Staat zu warnen und seinem Volke die Rechte zu wahren, die es sich auf den blutigen Schlachtfeldern erkämpft hatte. »Deutschland« betitelt er den ersten Abschnitt seines neuen Bandes des Geist der Zeit und schildert sein Deutschland, wie er und die neuen »Räsoneure« es sich vorstellten, frei von der kirchlichen Hierarchie, zu der in dem »heiligen Bunde« der Mächte der Grund gelegt sei, frei von dem Einfluß fremder Staaten, die wie England und Dänemark sich in Deutschland festgesetzt hätten, frei von der Sonderpolitik der kleinen deutschen Regenten. Und weiterhin werden die alten Forderungen nach Verfassung und Preßfreiheit erhoben, die aber nur in einem Rechtsstaat, nie in dem jetzt eingerichteten Polizeistaate gedeihen könnten, die Hingabe des Bürgers an den Staat ohne Sonderbestrebungen und Geheimbünde, die Aufhebung der Soldatenmietlinge zugunsten einer volkstümlichen Wehrmannschaft, wozu die Jugend durch Turnen und Feste heranzubilden sei, die Wiedererweckung des Sinnes für die Muttersprache, die Aufrüttelung des Gelehrtenstandes zu nationalem Bewußtsein, die Abkehr von dem pietistischen Mystizismus, der die Freude, die Hoffnung aus dem Leben nehme und die überschwellende Kraft der Jugend als sündhaft geißele. Und doch ruhe die Zukunft auf der jetzigen Jugend, man dürfe ihr nur nicht ihre Ideale nehmen und das Bewußtsein, an der Gestaltung des Staates mitarbeiten zu dürfen; dann würde auch statt des Schrankenlosen oder statt des träumerischen Hinbrütens keusches Leben, stolzer Sinn, christliche Milde, Ehrlichkeit, kühner Mut und der Sinn für Natur und Heimat bei ihr einziehen.

An beistimmenden Zuschriften fehlte es nicht, als Arndts Buch erschienen war; Stein antwortete zuerst in diesem Sinne, auch Graf Geßler, der schlesische Freund, aber andre zogen sich zurück und schwiegen, und am 30. Januar 1819 kam ein Brief des Oberpräsidenten und Universttätskurators Grafen Solms, der in der schonendsten Weise seinem Gefährten aus der Rödelheimer Zeit im Auftrage des Ministers Altenstein eine Kabinettsorder übermittelte, worin stand, daß Arndt in seinem Beruf als Lehrer der Jugend sowohl im Lehren als im Betragen und in seinen Schriften die Erwartung seiner Vorgesetzten durch die Herausgabe des »Geistes der Zeit« erfüllt habe. Zwar glaube der König nicht, daß Arndts Absicht dabei tadelhaft gewesen sei, jedoch enthalte das Buch ganz ungeschickte und unnütze Dinge die einem Lehrer der Jugend übel anständen. Zunächst erhielte er deshalb eine Verwarnung, würde aber bei der ersten ähnlichen Veranlassung seiner Stelle entsetzt werden. Dem Grafen Solms konnte Arndt offen antworten, daß hinter jener Kabinettsorder die Kamptzianer und Schmalzianer stünden; auf einen Brief, den er in derselben Angelegenheit an Hardenberg gelangen ließ, erhielt er keine Antwort. Als Kotzebue am 22. März durch den Studenten Sand ermordet worden war, hatte die reaktionäre Partei in Preußen endlich eine willkommene Handhabe, gegen Studenten- und Professorentum offen vorzugehen, das man als den Herd einer Verschwörung gegen Thron und Staat bezeichnete. Natürlich suchte man Arndt an erster Stelle unter den Verschwörern; am 14. Juli in aller Morgenfrühe wurde er allerdings nur auf einen halben Tag, verhaftet, eine Haussuchung bei ihm vorgenommen und von seinen Papieren alles nur Erreichbare mit Beschlag belegt. Eine Verwahrung Arndts gegen die Verletzung von Gesetz und Recht durch die Wegnahme intimster und unschuldiger Schriftstücke und gegen den Vorwurf der Geheimbündelei hatte bei Hardenberg nur den Erfolg, daß ihm geantwortet wurde, die Beschlagnahme der Papiere sei zur näheren Ermittelung der in Deutschland vorhandenen demagogischen Umtriebe nötig gewesen, ein gerichtliches Verfahren gegen ihn werde aber nicht eingeleitet werden. Damit mußte sich Arndt begnügen; während des Herbstes und Winters 1819 bis zum März 1820 blieb er unter dem Verdachte eines politischen Verschwörers. Darin bestärkte die Preußische Staatszeitung durch gelegentliche Mitteilungen die öffentliche Meinung, dann brachte sie im Februar und März Auszüge aus den konfiszierten Papieren Arndts, die aus ihrem Zusammenhange herausgerissen und mit Hinweisen auf die »Bande« der Jugendverführer in unerhörter Weise jenen als Hochverräter verdächtigten. Gegenüber solcher Kampfesweise der Gegner schien Arndts Mut zu erlahmen; seine Beschwerde darüber, die er unter dem 9. März an Hardenberg schickte, ist nicht ganz in der alten Frische und Zuversicht geschrieben und hatte vielleicht, kürzer und entschiedener gefaßt mehr gewirkt; die darin ausgesprochene Bitte um Beschleunigung der gerichtlichen Entscheidung blieb unerhört, da Hardenberg der durch die Karlsbader Ministerbeschlüsse vom Herbst 1819 zur Untersuchung aller demagogischen Umtriebe eingesetzten Bundes-Zentral-Untersuchungs-Kommission in Mainz gegenüber nicht in der Lage war einzuschreiten. Als diese trotz ihrer peinlichsten Aufspürungen bei Arndt nichts Strafbares fand, so ließ sie gegen ihn eine neue Kriminaluntersuchung einleiten, zufolge deren er am 10. November 1820 von seinem Amte als Universitätslehrer suspendiert wurde. Eine Beschwerde Arndts und ein Gesuch, seine Sache dem ordentlichen Preußischen Gerichte, das allein dafür zuständig sei, zu übergeben war wiederum erfolglos; als außerordentlicher Untersuchungsrichter wurde Anfang Februar 1821 der Landgerichtsrat Pape in Wetzlar bestellt. Und nun begannen die unglaublichen, fast täglichen Verhöre die die Geduld des treuen Vaterlandsfreundes auf eine harte Probe stellten. Es waren vier Punkte aufgestellt worden, über die Arndt bis in das kleinste ausgefragt wurde, zunächst über seine Vorlesungen, die weniger historischen und philosophischen als politischen Inhalt hatten, dann über seine Zugehörigkeit zu geheimen Verbindungen, ferner über sein Einwirken auf jüngere Personen und endlich über verdächtige Stellen in seinen Schriften. Arndt selbst hat alle fragen und Antworten niedergeschrieben und später einen Teil davon in seinem »Notgedrungener Bericht aus seinem Leben« (zwei Teile, Leipzig 1847) veröffentlicht; was darin steht, würde ein köstliches Spottbild der Zeit der Reaktion geben, wenn es nicht, wie damals so auch jetzt noch das deutsche Herz mit Trauer darüber erfüllte, daß eine solche Art politischer Rechtspflege in unserm Vaterlande jemals möglich gewesen ist. Der Untersuchungsrichter verfolgte die Angelegenheit mit peinlichster Sorgfalt und geriet dabei durch seinen gänzlichen Mangel an deduktiver Logik und an Fähigkeit, die vergangene große Zeit des Befreiungskampfes in ihrem Werden und in ihrer Vollendung aufzufassen, und ferner durch die Verbohrtheit in die Meinung, daß Arndt durchaus ein Hochverräter sein müsse, in ein System beispielloser Quälerei und alberner Spioniererei einem Manne gegenüber, der in harter Arbeit, in unantastbarer Rechtschaffenheit und in alter kerniger Frömmigkeit sich dem Dienste des Vaterlandes geweiht hatte. Von Arndts Biographen und von Historikern sind einstimmig scharfe Worte gefallen, um das Verfahren gegen ihn zu kennzeichnen, das als ein Musterbild der trüben Zeit hingestellt worden ist, in der selbst die besten und einflußreichsten Männer, wie Stein und Hardenberg, gegenüber dem sinnlosen und rechtswidrigen Inquisitionsverfahren, das man aus wahnwitziger Furcht vor Demagogen anwenden durfte, machtlos waren.

Im Kampfe selbst wurde Arndts Klinge wieder scharf: er hatte die Schwäche seines Untersuchungsrichters schnell erkannt und führte ihn nicht selten ironisch gründlich ab, er hörte nicht auf, immer wieder zu betonen, daß er weder seine Ankläger noch seine Anklage kenne, daß er nicht einmal Einsicht in die Richtigkeit der Protokolle nehmen dürfe, die oft grobe Mißverständnisse enthielten, und klar und unbeirrt setzte er in Schreiben an das preußische Ministerium, ja auch in einer Immediateingabe an den König, das Widerrechtliche der Untersuchung auseinander, wie er es schon der Öffentlichkeit gegenüber in einer kurzen, um Ostern 1821 erschienenen Schrift »Ein abgenötigtes Wort aus seiner Sache, zur Beurteilung derselben« getan hatte. Zur Seite standen Arndt eine Reihe ratender juristischer Freunde, K. Th. Welcker, Mittermaier in Heidelberg, Landgerichtsrat Lehmann, Justizrat Leist, Oberappellationsgerichtsrat von Ammon und Professor Burchardi, der eine juristische Verteidigungsschrift ausarbeitete, die mit der Denkschrift Arndts »Zur Erläuterung und Verständigung über die Acta generalia für seine Richter« zu entschiedenem, kühnem Angriff verging. Da hörten plötzlich im Sommer 1822 bte Verhöre auf, der Angeschuldigte erfuhr nur noch, daß seine Sache aus der Voruntersuchung zur definitiven Erledigung dem Oberlandesgericht in Breslau übergeben sei, aber ein Urteilsspruch ist von diesem nie gefällt worden. Arndt blieb in Bonn unter Belassung seines Gehaltes, durfte aber Vorlesungen nicht mehr halten, und seine beschlagnahmten Papiere wurden ihm nicht zurückgegeben.

Der Stillstand im Amt gab Arndts Leben, Denken und schaffen eine neue Richtung. Der Mann, der durch die Kraft seiner Rede zum Jugendbildner geschaffen war, mußte schweigen, der Vaterlandsfreund, der begeistert für Preußens Vormacht in Deutschland eingetreten war, erhielt von da aus Warnungen, Drohungen, Strafen und ungerechte Behandlung, – da kehrte er in sich zurück, nicht in Groll und in Verachtung, sondern er barg seine Gedanken und Hoffnungen für eine bessere Zeit still in seinem Innern und ward darin unterstützt durch das felsenfeste Gottvertrauen, das einst die Mutter in ihn gepflanzt und das die Stürme der Zeit nicht schwankend gemacht hatten. Er flüchtete in seinen Mußestunden zu dem Buch seiner Kindheit, dem »Kirchen- und Haus-Gesangbuch für Pommern« zurück und schöpfte aus dieser Quelle Anregung zu herrlichen geistlichen Liedern, die er mit einer Anzahl älterer vereint in einem kleinen Werkchen »Von dem Wort und dem Kirchenliede nebst geistlichen Gedichten« 1819 in Bonn erscheinen ließ. In dem vorangehenden Texte tritt er für eine Sammlung der alten Kirchenlieder ein, in denen die Gewalt des göttlichen Wortes für den Protestanten neben der Bibel am klarsten zutage tritt. Daneben nimmt er alte Lieblingsstudien wieder auf. Seinen »Fragmenten über Menschenbildung«, die 1805 erschienen waren, fügt er 1819 als dritten Teil »Briefe an Psychidion oder über weibliche Erziehung« hinzu, die bereits acht Jahre still im Pult des Verfassers gelegen hatten und nun durch den Druck an ihre Adresse, die seiner damals in Heidelberg lebenden Freundin Elisa von Munck gelangten. Was in ihnen über die Bestimmung und das Wesen des Weibes steht, ans dessen intellektuelle Bildung weniger Wert gelegt wird, als auf dessen Ausbildung des Gemütes und der praktischen Fähigkeiten, ist Arndts Glaubensbekenntnis, dem er zeit seines Lebens treu geblieben ist, und das er in seiner eignen Hausfrau verwirklicht sah. Sie wurde der treue Genius des Hauses die fürsorgende Mutter der Kinder, deren sie sechs, fünf Knaben und ein Mädchen, in der Zeit von 1819 bis 1827 ihrem Gatten schenkte, die allzeit Schaffende, Tröstende, Pflegende, die jenem über manche schwere Stunden hinweghalf, wenn Beschwerden des Körpers zu der seelischen Bedrängnis kamen, oder wenn er, um dem geistigen Tode zu entrinnen, Pläne zur Auswanderung aus Preußen, nach England oder Schweden schuf.

Beiden Ländern wandte er aufs neue sein Interesse zu. In Aussicht genommen war von ihm ein größeres Werk, welches das nordgermanische Leben zum Gegenstande haben sollte. Zu diesem standen ihm seine früheren Studien und Sammlungen zu Gebote, auch Vorarbeiten, wie die metrischen Übersetzungen altenglischer, altschottischer und altschwedischer Volkslieder, waren bereits vorhanden; um so mehr ist es zu bedauern, daß das Unternehmen nicht über den ersten Teil hinausgekommen ist, der unter dem Titel »Nebenstunden« 1826 erschien und eine Schilderung der Orkney- und Shetlandsineln wo die alte Kultur noch am unverfälschtesten geblieben war, enthält. Der Grund, weshalb Arndt diese kulturhistorischen Studien, die seinem Darstellungstalente Ehre machen, aufgab, lag wohl darin, daß er sich trotz der üblen Erfahrungen in der politischen Schriftstellerei dennoch bewegen ließ, sein Wort inmitten widerstreitender Meinungen aufs neue hören zu lasten. Es war wiederum ein Sammelwerk, das er 1828 unter dem Titel »Christliches und Türkisches« erscheinen ließ, und in dem er auch wiederum Altes und Neues zusammenfaßte. Außer drei Aufsätzen, die bereits schon im »Wächter« gestanden hatten, sind noch zwei andre darin enthalten, die neue Themata behandeln. Der eine, »Die Griechische und Türkische Sache«, tritt für die Freiheit der Griechen und die Vernichtung der türkischen Herrschaft in Europa ein, die durch die Intervention der Mächte und durch die Niederlage bei Navarin endlich ins Wanken gekommen war, der andre, »Einige Anmerkungen zur Länderkunde des Protestantismus und zu Fr. v. Schlegels Geschichte der alten und neuen Literatur« zeigt das Bild eines Vorkämpfers für die Freiheit der Lehre Luthers. Das Verhältnis Arndts zu den beiden Brüdern Schlegel war das denkbar schlechteste; der ältere, August Wilhelm, war sein Kollege an der Universität und Wohnungsnachbar in dem Hause auf der Sandkaule; der jüngere, Friedrich, der zum Katholizismus übergetreten und als österreichischer Legationsrat beim Bundestag in Frankfurt beschäftigt war, hatte, da er mit seiner Regierung in arge Streitigkeiten geraten, ebenfalls eine Anstellung in Bonn gesucht. Seine »Geschichte der alten und neuen Literatur«, bereits 1815 erschienen, scheint schon damals Arndts Mißfallen erregt zu haben, dem er im »Wächter« Ausdruck verlieh; durch die Verfolgungszeit unterblieb eine ausführliche Kritik, die er nun aber, als er sah, wie auch Protestanten durch die gewandte Darstellungsweise der Herrlichkeit der Papstkirche im Mittelalter sich täuschen ließen, in dem erwähnten Aufsatz mit großer Schärfe unternahm. Es ist dies eine glänzende Verteidigung des Protestantismus gegen die Vorwürfe des Atheismus und einer zerstörenden Philosophie. Auch mit August Wilhelm Schlegel geriet Arndt in eine heftige Fehde, die ersterer dadurch begonnen hatte, daß er, veranlaßt durch Niebuhrs Freundschaft zu Arndt, in Wendts Musenalmanach auf 1831 einige Spottgedichte veröffentlichte, die seines Kollegen neu begonnene politische Schriftstellerei geißeln sollten. Der Angriff, aus persönlichen Motiven hervorgegangen, war plump genug einem Manne gegenüber, der nur sachlich seine Meinungen vertreten und durchaus ein kollegialisches Verhältnis aufrecht erhalten hatte, und die Verteidigung des Angegriffenen, der nie ein Dichter spitzfindiger Spottlieder gewesen, war so derb, daß schließlich letzterer die Lacher auf seiner Seite hatte, als er sie in einem seiner beliebten Sammelwerke »Mehrere Überschriften nebst einer Zugabe zum Wendischen Musenalmanach« im November 1831 veröffentlichte. Wieder fällt in diesem Buche die Verschiedenheit der Themata auf, die er behandelt; ein poetischer Nachruf an den am 29. Juni gestorbenen Freiherrn vom Stein und ein Vorschlag zu einem Denkmal für ihn steht an erster Stelle; es folgt eine doktrinäre Auseinandersetzung über Demokratie und Zentralisation mit der Grundidee, daß nur eine aus Monarchie, Aristokratie und Demokratie zusammengesetzte Verfassung dauernd und glückbringend sein kann; weiter ein Aufsatz »Die Polen ein Spiegel der Warnung für uns«, mit den beherzigenswerten Worten, daß Uneinigkeit und fremde Einmischung dem Volke seine Selbständigkeit genommen habe; den Schluß bilden die erwähnten Spottgedichte.

Waren dies alles neue Gebiete, auf welchen Arndt versuchte, seine Meinung geltend zu machen, so kam er in seinem im März 1831 erschienenen Buche »Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande« auf seine alte Forderung eines deutschen Rheines zurück, den er dadurch bedroht sah, daß die Franzosen das um seine Selbständigkeit ringende Belgien in ihre Interessensphäre zu ziehn beabsichtigten. Entschiedener, aber durch das weite Ausgreifen unwirksamer ist des Verfassers über die gleiche Angelegenheit handelnde, Anfang 1834 erschienene Schrift »Belgien und was daran hangt«, worin die Hoffnung ausgesprochen wird, daß es Deutschland dennoch gelingen werde, durch eine Zollvereinigung Belgien wieder an sich zu ziehn, wenn auch leider der Deutsche Bund sich den Aufgaben, die seiner harren, bisher nicht gewachsen gezeigt habe. Fernab von dem Streit der politischen Meinungen, mitten hinein in das stille Wirken eines evangelischen Predigers, führt ein Werk, als dessen Herausgeber Arndt 1834 zeichnet, das »Leben eines evangelischen Predigers, des Christian Gottfried Aßmann, Pastors zu Hagen in Vorpommern«, der der Großvater einer Schwägerin Arndts gewesen war. Wenn schließlich noch hier an die »Schwedischen Geschichten unter Gustav dem Dritten, vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolf« erinnert wird, die schon bei den Jahren ihrer Niederschrift, 1809 und 1810, näher gekennzeichnet worden sind, so hat die Reihe der Werke, welche Arndt während seines Stillstandes im Amt verfaßt hat, ihr Ende erreicht. Daß seine Schaffenskraft damals nicht gebrochen war, ist wohl zur Genüge erwiesen.

siehe Bildunterschrift

Arndts Wohnhaus in Bonn a. Rh. Nach einer Photographie aus dem Atelier Jos. Schneider in Bonn a. Rh.

Aber auch sein Leib und sein Lebensmut hatten in den Jahren der Trübsal standgehalten. In dem Garten des eignen Hauses, das er sich vor dem Koblenzer Tor am Ufer des Rheins gebaut hatte, war Arndt unermüdlich tätig, und wenn es ihn gelüstete, in die Ferne zu schweifen, nahm er den treuen Stock mit sich und wanderte zu Fuß hinaus in die Umgebung, nicht selten sieben Meilen weit am Tage. Im Hause, in das er frisch zurückkehrte, empfing ihn oft dann ein Kreis alter und junger Bekannter, mit denen er in frohem Gespräch bis in den späten Abend zusammen blieb. Von seinen Universitätskollegen waren die meisten ihm gute Freunde; am nächsten standen ihm Bleek, Lücke und K. H. Sack, die Theologen, von denen der letztere durch Arndts Einfluß als Prediger an die neugegründete evangelische Gemeinde gekommen war, Brandis und Windischmann, die Philosophen, die beiden Welcker, der Archäologe und der Staatsrechtslehrer, der Philologe Näke, die Historiker Niebuhr und Hüllmann, der Mathematiker Münchow, der Botaniker Nees von Esenbeck, der Physiker Kastner und der Jurist Mittermaier. Von den Arndt seit der Königsberger Zeit befreundeten Dohnas standen Friedrich, der spätere Feldmarschall, damals als Oberst des dortigen Ulanenregiments und sein Bruder Helvetius als Rittmeister in Bonn und hielten die alten Beziehungen aufrecht. Mit seinem Gönner Stein blieb Arndt bis zu dessen Tode 1831 in regem Verkehr und sah in dessen Hause u. a. Hans von Gagern, mit dessen Sohne, dem nachmaligen Präsidenten der Nationalversammlung, er später in Frankfurt in Berührung kam. Die Gräfin Limburg-Stirum war eine treue Freundin der Arndtschen Familie, weiter Frau von Schenkendorf, die Witwe des Dichters, Helene Jacobi, die Schwester des Philosophen, und Henriette Herz, die 1819 Arndt besuchte. Daneben hielt dieser mit den alten Freunden einen regen schriftlichen Verkehr aufrecht, der eine hervorragende Quelle nicht bloß für das Leben und die Meinungen des Briefschreibers, sondern auch für die Strömungen der Zeit bildet. Schleiermacher und Reimer standen ihm am nächsten; durch sie kam er in Briefwechsel mit Salomon Hirzel, Karl Goldschmidt, Ehrenfried von Willich und dem Grafen Schwerin-Putzar, dem späteren Minister, der Hildegard Schleiermacher geheiratet hatte. Die alten Beziehungen zu den pommerschen Freunden vermittelten die Briefe an Billroth, Charlotte von Kathen und Charlotte Pistorius; auch mit den Kieler Freunden, Franz Hegewisch und seiner Frau Karoline sowie der Freifrau von Löw, blieb er brieflich in Verbindung. Es erübrigt noch, zwei Männer zu nennen, die nicht aufgehört hatten, fest an ihn zu glauben und dies durch Persönliche Beziehungen und durch einen regen Briefwechsel kund zu geben. Das waren Moritz von Bethmann-Hollweg, der spätere Minister, der seit 1829 Professor der Jurisprudenz und seit 1842 Kurator der Universität in Bonn war, und Christian Josias Bunsen, der Gesandte in Rom und Bern, den Arndt 1828 während dessen Aufenthaltes in Bonn kennen gelernt hatte.

Umgeben von treuem Freundeskreise, inmitten seiner Heranwachsenden Familie konnte Arndt vergessen, unter welchem Druck er als politisch Verdächtiger lebte. Wohl hatte er wiederholt noch versucht, die volle Genugtuung sich zu verschaffen, und war sogar zu diesem Zweck im Herbst 1828 nach Berlin gereist, aber, als er gesehn hatte, daß keine Vorstellungen zum Ziele führten, war er still nach Bonn zurückgekehrt, ohne seine Heimat, die unvergessene, wiederzusehn. Seine Gefühle und Gedanken, die er früher gern in frischen mutigen Gedichten ausströmen ließ, hielt er nunmehr in seinem Innern zurück; die Begeisterung fehlte, seitdem das freie Wort in Fesseln getan war. Was Vaterlands- und Freundesliebe nicht vermocht, das bewirkte jetzt ein harter Schicksalsschlag, den das Vaterherz traf, der Verlust seines Lieblingssohnes Willibald, der 1834 beim Baden im Rhein ertrank. In ergreifenden Liedern klingt nun die Klage um den Verlorenen wieder, und als die Trösterin Zeit den überwallenden Schmerz mäßigte, blieb etwas in dem Herzen Arndts zurück, was den Grund zu einer neuen dichterischen Erhebung bildete eine ernste Einkehr und eine religiöse Vertiefung.

Aus der Zurückgezogenheit ins eigne Innere, aus diesem gleichmäßig ruhig und durch den Verlust vieler Freunde und durch eigene Kränklichkeit einsamer gewordenen Leben weckte ihn ein Ruf zu neuer Tätigkeit. Als König Friedrich Wilhelm IV. 1840 zur Regierung kam, war eine seiner ersten Handlungen daß er Arndt unter ehrenvollster Anerkennung dessen was er für Preußen geleistet, wieder in sein akademisches Amt einsetzte; der treue Bethmann-Hollweg hatte den Anlaß dazu gegeben. In aller Frische nahm der Siebzigjährige im Wintersemester seine Vorlesungen auf, nachdem er vorher von seinen Amtsgenossen zum Rektor gewählt worden war. An begeisterten Zuhörern fehlte es ihm nicht; neben einer Erklärung von Tacitus' Germania las er die Geschichte der neueren Zeit und vergleichende Völkergeschichte. Letztere ließ er 1843 unter dem Titel »Versuch in vergleichender Völkergeschichte als Buch erscheinen, das schon im folgenden Jahre eine neue Auflage erlebte. Zunächst nur für seine Studenten bestimmt, denen er in seiner freien Weise die Merkmale der Kultur und der Veranlagung der einzelnen Völker auseinandersetzt, wendet es sich in den Abschnitten über Deutschland an die weitere Öffentlichkeit, indem der Verfasser, in festem Vertrauen auf die Mission des Vaterlandes, Freiheit des Geistes in allen öffentlichen Fragen fordert. Eigene historische Forschungen hat Arndt nie getrieben, aber er wußte das Bekannte mit der Gegenwart in Beziehung zu bringen und hatte dadurch besonders in der lebendigen Rede, stets einen Erfolg als Lehrer.

Wenn ihm nun auch der Mut zur Arbeit nicht fehlte, so hielten doch seine Kräfte dazu nicht immer aus; seine Gesundheit ließ nicht selten zu wünschen übrig so daß er die Kollegs wiederholt unterbrechen mußte; und das Andenken an das was er gelitten und was er durch den Tod verloren hatte, blieb und lastete auf ihm, so daß er, ohne mit neuen Plänen vorwärtszugehn, sein Denken auf die vergangene Zeit richtete und auf das, was er in ihr geschaffen hatte. Von den Märchen war eine neue Ausgabe vorbereitet, die 1842 herauskam und im folgenden Jahre durch einen neuen Band vermehrt wurde, der eure Menge plattdeutscher Geschichten erhielt, wie er sie im elterlichen Hause gehört hatte. Seine Gedichte hatte er zu sichten begonnen,, eine Anzahl davon verworfen, neue ausgenommen und ließ sie nun in einer Ausgabe 1840 und drei Jahre später schon wieder erscheinen. Sie fanden wieder begeisterte Aufnahme, besonders da in dieser Zeit die politischen Beziehungen zu Frankreich eine bedrohliche Gestalt angenommen hatte und Niklas Beckers Lied vom Rhein eine neue Begeisterung für das Vaterland entfachte. Damals war es auch, daß Arndt zum Arminiusfest im Teutoburger Walde als der Grundstein zu Bandels Hermannsdenkmal gelegt wurde, am 8. September 1841, auf Verlangen zwei Strophen zu seinem Vaterlandsliede hinzudichtete, die dann bei der Feier mit dem andern Liede von den 15000 Teilnehmern gesungen wurden. Eine literarische Fehde, die sich ein paar Jahre an das Lied »Was ist des Deutschen Vaterland?« anschloß, verlief in ihrer Form ruhiger und feiner als die mit Schlegel. Arndts Amtsgenosse Ferdinand Delbrück hatte 1846 eine sogenannte Würdigung des Liedes geschrieben, die er diesem zusandte mit der Bitte, dieses »allerunvaterländischste« Gedicht aus allen Singebüchern tilgen zu lassen. Mit einer Erwiderung des Dichters erschien Derlbrücks Kritik in Druck und gab der Öffentlichkeit Gelegenheit, sich für oder gegen den Verfasser zu entscheiden.

An seinen Lebenserinnerungen hatte Arndt bereits in der Zeit seines Stillstandes im Amt gearbeitet; sie waren, als er wieder eingesetzt wurde, bereits vollendet und erschienen unter dem Titel »Erinnerungen aus dem äußeren Leben« 1840 in zwei Auflagen, denen zwei Jahre später die dritte folgte. Es ist dieses Buch, trotz mancher Ungenauigkeiten, Auslassungen und überflüssigen Einfügungen durch den liebenswürdigen Erzählerton und die frische Darstellung einer großen Zeit mit Recht ein wahres deutsches Volksbuch geworden. Dieselben Vorzüge zeichnen die für einen kleineren Kreis seiner neuen Heimat bereits 1830 geschriebenen »Wanderungen aus und um Godesberg« aus, in welchen der Verfasser auf Grund seiner persönlichen Anschauungen und Forschungen ein reizendes Bild der von Natur und Geschichte gleichmäßig bevorzugten Gegend gibt. Der ersten Veröffentlichung 1844 folgte zwei Jahre später eine neue Ausgabe unter dem Titel »Rhein- und Ahrwanderungen« Für die rheinische Heimat war auch eine kleine politische Schrift bestimmt, die Arndt 1844 unter dem Titel »Die rheinischen ritterbürtigen Autonomen« herausgab. Mit solchen Namen bezeichnete man scherzhaft eine adlige Genossenschaft, die auf Grund königlicher Verordnungen aus den dreißiger Jahren entstanden war und die Ausdehnung von Sonderrechten anstrebte, und griff sie als verfassungswidrig mit scharfen Worten an. Arndt, von jeher ein Vorkämpfer der Verfassung, tritt in der Schrift den feudalen Übergriffen wie den liberalen Angriffen auf sie in gleicher Welse entgegen und stellt am Schluß das wahre Bild eines rheinischen Autonomen in dem Freiherrn vom Stein auf.

Wie hier, so war Arndts politisches Urteil in vielen Fällen gemäßigter, ja anders geworden; er machte kein Hehl daraus und ließ die falschen Meinungen über sich, die ihn einerseits zum Reaktionär, andererseits zum Jakobiner stempeln wollten, unbeachtet. Sein öffentliches Wirken lag in seinem Leben hinter ihm; um es sich und seinen Landsleuten nochmals vor Augen zu führen, beschloß er alles das, was er für das Vaterland geschrieben, in einer Sammlung zu vereinen. Diese erschien unter dem Titel »Schriften für und an seine lieben Deutschen« 1845 in drei Teilen, denen 1855 ein vierter folgte. Sie beginnen mit Auszügen aus den Papieren seines Bruders Friedrich, eines groß veranlagten Mannes, der aber sein Talent durch die Lebensumstände nicht entwickeln konnte; was er erzählt von dem Studentenleben in Jena und dem Landleben in Pommern, sind Kulturbilder von bleibendem Wert. Von den Flugschriften der Jahre 1813 bis 1815 sind die bedeutendsten aufgenommen, andere freilich, wie die »Grundlinien einer deutschen Kriegsordnung« vermißt man ungern darin. Im dritten Teile erscheinen außer den Schriften über Schlegels Literaturgeschichte, die Niederlande und Belgien einige neue Aufsätze, so die biographischen Charakteristiken seiner Freunde G. A. Reimer und Paul Beck, dann Gneisenaus und Talleyrands, des ersteren stille Verdienste in das richtige Licht setzend, des letzteren heimliche Diplomatenkünste scharf beleuchtend. Ein vorhergehender Aufsatz über das Turnwesen war bereits 1842 selbständig erschienen; er wiederholt einen Abschnitt aus dem vierten Teile des Geist der Zeit und fügt ihm einen Anhang bei, in welchem auf die Bedeutung des Verkehrs der Turner auf ihren Übungsplätzen für die Belebung der Muttersprache eingegangen wird. Ungedruckt waren vorher noch fünf andere Aufsätze, die im dritten Teile der Schriften stehn, ein Aufruf »Lasset euch nicht verführen, oder die Weltliteratur« vom Jahre 1842, gegen letzteres von Goethe geprägte Wort und gegen die jungdeutsche Richtung; ferner »Ein paar deutsche Notabene« vom Jahre 1844, die die alte Forderung der Aufnahme Belgiens, Hollands und der Schweiz in den Deutschen Bund wieder erneuern, fremde Herrscher als deutsche Fürsten nicht zulassen wollen und vor der Einbürgerung der Jesuiten warnen; weiter »Erinnerungen, Gesichte, Geschichten«, die besser zu seinen Lebenserinnerungen gepaßt hätten; eine Abhandlung »Über den gegenwärtigen Stand des Protestantismus«, der nur gedeihen könne, wenn man sich wieder in die Schlichtheit des Wortes und der Lehre Christi vertiefe, und endlich »Noch ein Wort für unsere große Öffentlichkeit, vorzüglich in Beziehung auf die Presse und den Bundestag«, wobei der Verfasser der Freiheit der ersteren und der Öffentlichkeit der Verhandlungen des letzteren das Wort redet.

In historischen und politischen Zeitschriften findet sich in den nächsten Jahren Arndts Name wiederholt vertreten. Veranlaßt durch einen Artikel von Waitz über und gegen Sybel brachte er »Einige leichte Bemerkungen zu Cäsars und Tacitus' Berichten über die Feldordnung und den Ackerbau der alten Germanen« in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1845, worin er sich hauptsächlich gegen die Annahme jährlicher oder wiederholter Feldverteilungen wendet. Die Augsburger Allgemeine Zeitung, mit der Arndt schon früher in Verbindung stand, enthält 1847 einen anonymen, »Ein ehrlicher Deutscher« unterschriebenen Artikel über die Judenfrage, worin Arndt sich scharf gegen die Einwanderung der Juden aus Polen und Rußland wendet. In den Monatsblättern zur Ergänzung der Allgemeinen Zeitung 1847 erschienen weiter in vier Artikeln unter dem Titel »Die Schweden oder die Skandinavier insgemein, wie sie zu uns Deutschen stehen« Briefe Arndts aus den Jahren 1803 und 1804, eine Ergänzung zu seinen Reisen in Schweden, mit einer Zusammenfassung, in der gezeigt wird, daß durch die Einheit der drei nordischen Reiche und ihre Bundesgenossenschaft mit Deutschland ein starker Hort gegen Rußlands Übergewicht in der Ostsee entstehe. Der Gedanke an die Gründung einer deutschen Flotte, der in diesem Aufsatz schon hervortritt, wird in einem andern in der Deutschen Vierteljahrschrift 1847 unter dem Titel »Die Persönlichkeit oder das Gepräge des Volkes, was man wohl Charakter zu nennen pflegt« erschienenen unter andern Fragen über die Zukunft Deutschlands ausführlich erörtert. In demselben Jahre veröffentlichte Arndt in der Allgemeinen Zeitschrift für Geschichte noch einen Aufsatz »Holland und die Holländer«, der eine ausführliche Besprechung des »Handbuches der Geschichte des Vaterlandes« von Groen van Prinsterer ist. Ein eigenartiges Werk, das Arndt 1846 herausgab, ist das »Grundgesetz der Natur von Diderot, nebst einer Zugabe«. Der Verfasser, der berühmte französische Enzyklopädist, hat darin als ein Vorläufer des modernen Sozialismus den neuen Staat und die neue Gesellschaft auf Grund absoluter Freiheit unter Aufhebung des Sondereigentums aufgebaut; der Herausgeber fügt in besonderen Zugaben seiner Übersetzung seine gegenteiligen Ansichten hinzu, die darin bestehen, daß das Christentum allein die Macht habe, den Menschen zu innerer wahrer Freiheit zu bringen, daß aber freilich eine neue soziale Gesetzgebung notwendig sei, um den sittlichen Verfall des Volkes aufzuhalten. Seine Hoffnung setzt er dabei wieder auf den Bauernstand, dessen Erhaltung durch bäuerliche Majorate der Staat sich zur Aufgabe machen müsse.

So war Arndt wieder zum politischen Schriftsteller geworden, aber seine Mahnrufe klangen nicht mehr in der ungebändigten Kraft des Vierzigjährigen, und seine Meinungen über erreichbare Ziele in Staat und Gesellschaft waren milder geworden. Sein persönliches Verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV. blieb ungetrübt, obwohl er die politischen Maßnahmen seiner Minister nicht immer gutheißen konnte; der briefliche Verkehr mit Bethmann-Hollweg und dem Grafen Schwerin brachte willkommene Gelegenheit, sich über die Tagesfragen auf dem Laufenden zu halten. Im Gegensatz zu diesen, die Arndts Meinung stets hochschätzten, trat sein alter Freund Kamptz in einem wissenschaftlichen Streite mit dem Breslauer Landgerichtsrat Heinrich Simon mit den alten Beschuldigungen vor, wie sie einst in der Preußischen Staatszeitung gestanden hatten. Das gab den Anlaß zu einer Erwiderung Arndts in der Allgemeinen Zeitung im Januar 1846 und weiter zu der Veröffentlichung des »Notgedrungenen Berichts aus seinem Leben«, dessen oben bereits Erwähnung getan ist. Dieses Buch erschien in zwei Bänden im April und Juni 1847, gerade zu der Zeit, als der erste preußische vereinigte Landtag in Berlin versammelt war. Den Aktenstücken und Protokollauszügen, die im ersten Bande vereinigt waren, folgten im zweiten Bande die Briefe seiner Freunde Reimer und Schleiermacher, Stein, Gneisenau, Schön, Vincke und Niebuhr, Eichhorn, Nikolovius und Gruner, der Herzogin Antonia von Württemberg, der Gräfin Julie Dohna u. a., die zum Teil mit konfisziert gewesen waren. Die Abrechnung mit seinen Gegnern, die Arndt in diesem Werke unternommen hat, ist ihm zum Ruhmesdenkmal geworden, das aus der Öde der damaligen Zeit in ungetrübtem Glanz bis zur Gegenwart herüberstrahlt.

Die Not der Zeit bedurfte neuer Kraft und forderte auch von den Alten, die ein Menschenalter hindurch mit gekämpft hatten, ein neues Eintreten in den heftigen Widerstreit der Meinungen, den das Jahr 1848 brachte. Die Nachricht von der Berliner Revolution und der Verleihung der Verfassung hatte in Bonn bei der radikalen Partei, die unter Kinkels Führung stand, großen Jubel erregt; auch Arndt war mit Dahlmann in den Strom der Begeisterung gerissen worden, hatte unter dem schwarz-rot-goldenen Banner den Tag gesegnet, an dem das königliche Wort durch die Verfassung eingelöst worden sei, und war von der versammelten jubelnden Menge nach seinem Hause zurückgeleitet worden. Aber als die Apostel der Republik in den nächsten Tagen immer mehr Anhang gewannen, forderte er in Wort und Schrift dringend zur Mäßigung auf. Schmerzlich empfand er besonders die Demütigung des preußischen Königtums, wofür er die Generale Radowitz und Canitz verantwortlich machte. Als die Abgeordnetenwahlen die Bevölkerung in Spannung hielten, stellte sich der fast Achtzigjährige als Kandidat zur Verfügung; er wurde dreimal am Rhein und einmal in Stralsund gewählt und nahm für Solingen das Mandat an. Sein Wahlprogramm hatte er unter dem Titel »Mein Glaubensbekenntnis für die deutsche Gegenwart« am 28. März in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht und darin die Begründung einer auf edler freiheitlicher Grundlage ruhenden kaiserlichen Gewalt in Deutschland gefordert. Für Bonn selbst hatte er nicht kandidieren wollen, vielmehr seinen Freund Dahlmann dazu empfohlen, dessen Wahl er durch ein besonderes Flugblatt »Wahlmann, wähle Dahlmann« zu fördern suchte. In Frankfurt war Arndt unter den ersten, die sich einfanden. Gleich in der zweiten Sitzung der Nationalversammlung sprach er einige Worte, nach denen sein Vaterlandslied gesungen und dem Dichter Dank und Hoch dafür ausgebracht wurde. Am 2. Juli hielt er seine einzige größere Rede und zwar gegen den Antrag, die Sonderrechte des Adels und diesen selbst aufzuheben, aber er fühlte selbst, daß seine Worte keinen Widerhall bei der Majorität fanden, die in ihren extremen Forderungen die Männer des rechten Zentrums, dem sich Arndt angeschlossen hatte, nicht wollten aufkommen lassen. Nicht lange darauf, am 12. Juli, fiel ihm als Alterssenior neben dem Präsidenten Gagern die Aufgabe zu, den Reichsverweser Erzherzog Johann in einer Ansprache zu begrüßen. Nicht von Herzen kam beiden die Rede, und kurz und trocken waren ihre Worte. Es wäre eine Verleugnung des politischen Glaubensbekenntnisses Arndts gewesen, wenn er den Österreicher mit Begeisterung empfangen hätte, denn sein Herz hing an einem andern Traum, dem der Erfüllung der Mission Preußens in Deutschland. Den hatte er erst wieder in einem politischen Glaubensbekenntnisse an seine Wähler, das unter dem Titel »Das verjüngte oder vielmehr das zu verjüngende Deutschland« im Mal 1848 kundgegeben und darin von einer bösen Rotte gesprochen, die den Namen Preußen und seines Königs mit Schmutz und Schande zu beladen suchte. Bald konnte Arndt im Parlamente selbst für seine Sympathien für Preußen einstehen. Zwar kam er nicht dazu, einen schriftlich formulierten Antrag zum Entwurf der Grundgesetze des deutschen Volkes am 18. Juli mündlich zu motivieren, aber die Niederschrift der beabsichtigten Rede zeigt, wohin seine Gedanken zielten, daß der Schwerpunkt Deutschlands zu Wasser und zu Lande in Preußen liege, und daß alle, welche vor einer großen deutschen Republik einen ahnungsvollen Schauder empfänden, nicht länger säumen sollten, den König von Preußen zum Deutschen Kaiser zu machen. Die Polenfrage, welche bald darauf, am 22. Juli, im Parlamente zur Erörterung kam, wobei es sich um die Einverleibung eines Teils von Posen in den Deutschen Bund handelte, entfesselte die Gegensätze in ungeahnter Weise. Arndt, welcher in der Debatte nicht zu Worte kam, hat die Rede, welche er dabei halten wollte, bald darauf mit den vorerwähnten beiden andern in den »Reden und Glossen« drucken lassen; sie wendete sich in scharfer Weise gegen diejenigen, die immer noch die Polen als Märtyrer ihrer Freiheit ansahen. Ein Flugblatt »Polenlärm und Polenbegeisterung«, das dasselbe Thema behandelt, war zugleich mit einem andern »Noch eine kleine Ausgießung in die Sündflut« aus der Kölner und der von Gervinus redigierten Deutschen Zeitung gegen Anfang Mai in der Geheimen Oberhofbuchdruckerei in Berlin gedruckt worden, so daß anzunehmen ist, die Gedanken darin ständen denen der preußischen Regierung nahe. Als am 26. August Preußen mit Dänemark den Waffenstillstand von Malmoe abschloß, wodurch die Herzogtümer Schleswig und Holstein in die Interessensphäre Dänemarks zu gelangen schienen, wurde Arndt in einen Ausschuß gewählt, der die Sistierung jenes Waffenstillstandes in die Wege lenken sollte. An der entscheidenden Sitzung konnte er nicht teilnehmen, da er verreist war, gab aber nachher auf Drängen Dahlmanns sein Votum dahin ab, im Plenum die Aufhebung des Waffenstillstandes zu beantragen. Jedoch wenige Tage später, am 14. September, bestieg er die Tribüne und erklärte, daß er seine Zustimmung zurücknehme, da er unter allen Umständen einen Konflikt der Nationalversammlung mit Preußen vermeiden wollte. Dadurch ward im Ausschuß Stimmengleichheit hergestellt, und der Antrag fiel im Plenum. Gegen Ende des Jahres 1848 erscheint Arndt als Berichterstatter des völkerrechtlichen Ausschusses, der zu den angeblich harten Maßregeln Radetzkys in der Lombardei während des Krieges mit Italien Stellung nehmen sollte. Er ließ sich nicht von der allgemeinen Stimmung gegen Radetzky beeinflussen, sondern blieb streng sachlich und beantragte, über die Angelegenheit zur Tagesordnung überzugehen, indem er dabei seine geringen Sympathien für ein auf Grund der französischen revolutionären Bewegung zu schaffendes einiges Italien durchblicken ließ.

siehe Bildunterschrift

E. M. Arndt.
Nach H. Biows Lichtbild.

Als im Januar 1849 durch Gagerns kräftiges Auftreten die Frage nach einem Deutschen Kaiser in den Sitzungen der Nationalversammlung wieder in den Vordergrund trat, glaubte Arndt in seiner jugendfrischen Begeisterung durch einen Brief an seinen König mehr zu erreichen als die Diplomaten durch lange Verhandlungen. Am 9. März ließ er sein Schreiben abgehn, worin er in freien und edlen Worten jenen beschwor, das Wagnis zu unternehmen, Retter und Halter des deutschen Vaterlandes durch Annahme der Kaiserkrone zu werden. Es ist zur Beurteilung der damaligen Stimmung am preußischen Hofe nicht uninteressant, daß kein andrer als Prinz Wilhelm, der nachmalige Kaiser Wilhelm I., der bald darauf seinem Bruder riet, die Kaiserkrone nicht von dem Parlamente anzunehmen, es übernahm, den Brief, den er durch Vermittelung des Präsidenten Sethe, Arndts Freund und Reimers Verwandten, erhalten, an seine Adresse weiterzugeben. Friedrich Wilhelm IV. antwortete unter dem 18. März ablehnend, da er die Kaiserkrone nur von der Gemeinschaft der deutschen Fürsten annehmen wollte. Aber das felsenfeste Vertrauen, daß der Gott der Deutschen dennoch alles noch glücklich hinausführen müsse, brachte den alten begeisterten Patrioten am 3. April mit der Kaiserdeputation nach Berlin, um dort die ärgste Enttäuschung seines ganzen politischen Lebens zu erfahren. Die Antwort des Königs war ausweichend; die von der Nationalversammlung beschlossene Verfassung wurde in ihr als revisionsbedürftig hingestellt und das Einverständnis der deutschen Regierungen als wesentlich befunden. Arndt konnte sich damals zu neuen Hoffnungen nicht mehr erheben; ebensowenig folgte er auch den weiteren Verhandlungen und Anordnungen der Nationalversammlung, die sich immer mehr von den Plänen und Absichten der preußischen Regierung trennten. So kam ihm die Erklärung derselben, daß sie die Mandate der preußischen Abgeordneten für erloschen ansehe, zur rechten Zeit, um äußerlich den Austritt aus der Versammlung zu bekunden, der innerlich bereits vollzogen war. Am 20. Mai schied er mit einem Teil der besten Vertreter aus dem Frankfurter Parlament, das trotz seines Mißerfolges den Ruhm hat, den Samen einer großen Zukunft ausgeworfen zu haben.

Arndt kehrte gern nach Bonn zurück; sein Haus, seine Familie, sein Freundeskreis gewährten ihm Ersatz für das, was er an Hoffnungen in der Außenwelt verloren. Seine Vorlesungen nahm er wieder auf, begnügte sich aber mit einem öffentlichen Kolleg, das er nur im Sommer las. Aber die Politik ließ ihn noch nicht los. In der Deutschen Zeitung erschienen im Laufe des Jahres verschiedene Aufsätze von ihm, so »Zur deutschen Einheit«, »Die fertige Tatsache«, »Der deutsche Gedanke«, »Wieder von dem Deutschen Kaiser« und »Eilet, eilet, daß ihr ein deutsches Reich fertig kriegt«, die, wie die Titel besagen, ganz von dem alten Gedanken wieder beseelt waren, der sich nach der Kaiserfahrt nach Berlin zunächst als unausführbar erwiesen hatte. Ebenso wirkte er in den Unterhaltungen mit seinen Freunden und mit den vielen Fremden, die sein Hans besuchten, für die deutsche Sache unter Preußens Führung. Seine Rede war sehr lebhaft und kaum zu unterbrechen. In den Stammbüchern der Frankfurter Parlamentsmitglieder war sein Name stets vertreten, überall hatte er im Vers das rechte Wort für den rechten Augenblick, oft mit einem satirischen Zuge, oft mit einem wehmütigen Ausklange gefunden; der Dichter hat die Stammbuchblätter mit einigen Zeitgedichten in den »Blättern der Erinnerung meistens um und aus der Paulskirche in Frankfurt« 1849 in einem besondern Büchlein erscheinen lassen. Auch seine Besucher in Bonn nahmen dergleichen Gedenkverse mit; so hat Prinz Friedrich Karl von Preußen, der 1846 bis 1848 in Bonn studierte und gern bei Arndt verkehrte, diesem, als er, ein Jahr später aus dem badischen Feldzuge verwundet zurückkehrend, seinen Lehrer besuchte, für eine Lebenslehre in Versen, die dem Scheidenden einst mitgegeben war, nochmals seinen Dank ausgesprochen. Wie durch diesen Prinzen, so hielt er auch durch Prinz Wilhelm, den nachmaligen Kaiser, der als Militärgouverneur der Rheinlande seit 1849 in Koblenz residierte, trotz der Anfeindungen eines Alexander von Humboldt und Varnhagen von Ense, die Beziehungen zu dem preußischen Königshause aufrecht; sie waren so fest, daß auch Arndts Anteil an einer Bittschrift für seinen von einem preußischen Kriegsgerichte zum Tode verurteilten Amtsgenossen Gottfried Kinkel, von dessen politischer Überzeugung er freilich weit entfernt stand, ihm die Gunst des Prinzen nicht entziehen konnte.

Es ist ein eigenes Zusammentreffen, daß Arndt in der ersten Frage, worin das Vorgehn Preußens endlich Deutschlands Einigung führte, noch in seinem hohen Greisenalter Stellung zu nehmen gezwungen wurde. Er hatte am 15. Januar 1845 bereits in der Allgemeinen Zeitung einen Aufsatz »Schleswig-Holstein. Ein Brief mit einigen Anmerkungen« veröffentlicht, in dem er die dänischen Ansprüche in einer freilich übertrieben heftigen Sprache zurückwies. Dies war der Anlaß gewesen, daß der dänische Gesandte in Berlin eine Bestrafung des Verfassers wegen der aufrührerischen Tendenz des Artikels beantragt hatte. Allerdings wurde dem seitens der preußischen Regierung nicht stattgegeben, vielmehr darauf aufmerksam gemacht, daß eine Maßregelung Arndts die öffentliche Meinung noch mehr zuungunsten Dänemarks beeinflussen könnte. Arndts Aufmerksamkeit blieb seitdem auf diese Frage gerichtet; im Frankfurter Parlament war er, wie erzählt, gegen die Erneuerung der Feindseligkeiten gegen Dänemark aufgetreten. Als aber nach der Schlacht bei Idstedt England, Rußland, Frankreich und Schweden ein Protokoll unterzeichneten, worin die unauflösliche Verbindung beider Herzogtümer mit Dänemark ausgesprochen war, erhob Arndt seine Stimme für den unterdrückten Bruderstamm, indem er unter dem 10. August 1850 eine Eingabe an den König Friedrich Wilhelm IV. richtete. Prophetisch schließt diese mit den Worten, daß Schleswig-Holstein gegenwärtig die größte deutsche Frage sei und die blutroteste werden könne. Für die Öffentlichkeit ließ er die Schriftstücke, die seinen Anteil an dieser Angelegenheit kennzeichnen, mit Ausnahme der erwähnten Eingabe an den König, 1851 in einer besonderen Schrift »Anklage einer Majestätsbeleidigung des großen dänischen Volkes« erscheinen. Wie ihn die schleswigsche Frage noch weiter, fast bis zu seinem Lebensende, beschäftigt hat, zeigt, daß er noch im Jahre 1858 zu der anonym herausgekommenen Schrift von Fr. H. Jens Reiche »Holsteins Rechte in Schleswig« ein Vorwort schrieb.

Täuschte auch hier die nächste Folgezeit die Erwartungen Arndts, so blieb dieser doch voll froher Hoffnung für die Zukunft, gleich als sähe er die Morgenröte der deutschen Einigkeit und Macht von einem hohen Berge aus aufgehn. In einer kurzen Einleitung zu einem Sammelwerke »Germania. Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation«, das ein Verein von Freunden des Volkes und Vaterlandes 1851 und 1852 in Leipzig erscheinen ließ, hat er sein Vertrauen auf den deutschen Geist und die deutsche Wissenschaft dokumentiert. Noch mehr aber geschah es in seiner letzten politischen Schrift »Pro populo germanico«, die er 1854 herausgab und ursprünglich als fünften Teil des Geistes der Zeit hatte betiteln wollen. Es ist ein Rückblick auf die Zeit, die er durchlebt, mit dem herrlichen Aufschwunge der Freiheitsjahre und dem Niedergange durch die folgende Reaktion, und ein weiter und freier Ausblick auf eine schöne und ruhmvolle Zukunft Deutschlands unter der starken Führung Preußens.

Einen Teil seiner Mußezeit verwandte Arndt wieder auf die Sammlung seiner älteren Arbeiten und stellte aus ihnen zunächst einen vierten Teil seiner »Schriften für und an seine lieben Deutschen« zusammen, den er 1855 erscheinen ließ. Er enthält die »Hoffnungsrede vom Jahre 1810«, die Aufsätze »Die Persönlichkeit oder das Gepräge des Volkes« und »Holland und die Holländer«, weiter die »Anklage einer Majestätsbeleidigung des großen dänischen Volkes«, einen Aufsatz »Skandinavien, Deutschlands Stammverwandter und Nachbar«, der vorher in der »Germania« gestanden hatte, und endlich noch ein Gespräch mit einem Schweden, »Jetzt und weiland und von starken Männern«. Dann gab er 1855 eine neue Sammlung »Geistliche Lieder« heraus und 1857 eine »Blütenlese aus Altem und Neuem«, die neben den metrischen Übertragungen altgriechischer Kriegslieder und einer Anzahl Epigramme der griechischen Anthologie, sprachlich und dichterisch vollendete Übersetzungen schwedischer, englischer und schottischer Volkslieder enthält. Eine große Sorgfalt wandte er der Neuausgabe seiner Gedichte zu, schied viele aus der Jugendzeit aus und nahm andere auf, für die ihm sein dichterisches Sammelbuch »Manchermaion«, das er während der Jahre 1836 bis 1858 geführt hat, Quelle war. Das Vorwort zu der Sammlung, die 1860 erschien, schrieb der Dichter in der Weihnachtswoche des vorhergegangenen Jahres, vier Wochen vor seinem Tode. Wie wahr hat er gesprochen, daß es sein letztes Vermächtnis sein solle und daß seine Gedichte echte Kinder der Geschichte und Gefühle der durchlebten Zeit, Kinder des Augenblicks und der Gelegenheit wären! Und aus diesem Wald von Gedichten, die sein ganzes Leben begleiten, wachsen die unvergessenen Volkslieder, die keiner, wie er, mit solcher Frische und Natürlichkeit des Augenblicks von den Helden und Taten einer großen Zeit gesungen hat, wachsen die kecken und wahren Angriffslieder gegen die Listen der Männer einer schmählichen Fuchszeit und die tief gefühlten geistlichen Lieder, die das Ringen der Seele mit Gott und die Freude des Sieges und der himmlischen Hoffnung kundgeben, heraus als Bäume mit einer immer grünenden Krone.

Zu einer weiteren Verwertung seines reichen historischen und sprachlichen Wissens kam es bei Arndt nicht mehr. Nur in einem Schreiben an den Geheimen Justizrat Michelsen in Jena, »Vom nordischen Hausbau und Hausgeist«, das 1857 im Druck erschien, brachte er auf Grund einer schwedischen Schrift einige Nachträge zu jenes Verfassers Werk »Die Hausmarke«.

Aber schwer lag ihm noch am Herzen die Lösung eines Versprechens, das er schon 1832 gegeben hatte, ein Leben seines großen und treuen Gönners Stein zu schreiben. Josias von Bunsen hatte ihn wiederholt erinnert, und, nachdem das große Werk von Pertz über Stein auf Grund seiner Papiere erschienen war, machte sich Arndt mit dem Gedanken näher vertraut, das Bild des großen Mannes aus seiner eigenen Erinnerung herauszuformen, besser und klarer, als es uns in der Sammlung von Staatsschriften und Briefen, die Pertz ein Leben Steins nannte, entgegentritt. Und dieser, für den achtundachtzigjährigen Mann gewagte Versuch ist wunderbar gelungen, so daß selbst die über das Thema hinausgehende und weit hinausschweifende Darstellung mit ihrer Lust am Anekdotenhaften, die kleinen Versehen und Gedächtnisfehler des Alters und die bisweilen harte und gesuchte Ausdrucksweise nichts daran ändern, in dem 1858 erschienenen Werke »Meine Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Carl Friedrich vom Stein« ein echtes deutsches Volksbuch und eine klar fließende Quelle für die Geschichte einer großen Zeit zu sehn.

Seine Vorlesungen an der Universität hatte Arndt mit dem Jahre 1854 geschlossen, aber seine Beziehungen zu der akademischen Jugend hielt er aufrecht, und manchem scheidenden Jüngling, der in seinem Hause hatte verkehren dürfen, gab er nach wie vor gute Lehren mit auf den Weg. Die Burschenschaften, die von Jena nach Bonn kamen, begrüßte er stets mit der altdeutschen Biederkeit, auch der akademische Turnverein erfreute sich seiner Gunst. Sonst hatte er sich mit den Jahren von der »Bündelei« mehr und mehr zurückgezogen; dem Bürgerverein zur Eintracht und dem Veteranenverein gehörte er als Mitglied an, dichtete auch zu ihren Festen hübsche Lieder, aber ihre Versammlungen besuchte er selten. Nur in der Lese- und Erholungsgesellschaft, wo er seine nächsten Freunde und Kollegen traf, fand er sich noch ein, um zu lesen und zu plaudern. Am liebsten aber blieb er in seinem Haus und Garten; im blauen Kärnerhemde sah man ihn dort von früh an graben und pflanzen. Gegen Mittag ging er zum Rhein hinunter und nahm dort ein Bad; das hat er bis in sein spätestes Alter innegehalten. Ebenso hielt er aus seine täglichen Spaziergänge; wohl drei Meilen weit dehnte er sie manchmal aus, selbst im Winter gewöhnlich ohne Überzieher, nur in seinem leichten Rock mit stehendem kurzem Kragen, ohne Halstuch, in leichten Schnürschuhen dahingehend.

siehe Bildunterschrift

Der Arndt-Turm auf dem Rugard bei Bergen a. Rügen.

Als im Sommer 1856 die Universität Greifswald das Fest ihres vierhundertjährigen Bestehens feierte, lud sie auch ihren alten Lehrer ein; aber Arndt konnte sich in seinem Alter zu der weiten Reise nicht entschließen, obwohl sein ganzes Herz an seiner Heimat hing. An der Heimat wohl, jedoch es gab auch dort Personen, die ihm ihr Wohlwollen nicht entgegenbrachten; und das ist wohl auch der Grund gewesen, weshalb er, der seit 1817 seiner Heimat fern geblieben war, von Berlin aus 1828 und 1849 die kurze Reise nach Pommern nicht angetreten hatte. Zu einer anderen Reise kam es auch nicht, die er im Dezember 1858 nach Zweibrücken antreten sollte, um sich daselbst als Angeklagter wegen Beleidigung der bayrischen Armee zu verantworten. Arndt vermied selbstverständlich auf die Vorladung zu erscheinen und wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in seinen »Wanderungen mit dem Freiherrn vom Stein« von einem durch den General Wrede in Öls 1806 angeblich begangenen Diebstahl erzählt hatte, dessen Unrichtigkeit später nachgewiesen worden ist. Der »Schriftsteller« Arndt, wie er in der Bekanntmachung des Urteils bezeichnet wurde, hatte unter dieser Verurteilung nicht viel zu leiden, sie trug ihm zahlreiche Huldigungen aus ganz Deutschland ein, und seine Freunde in Bonn brachten ihm einen Fackelzug. In gleicher Weise wurde er gefeiert, als er am 26. Dezember 1859 neunzig Jahr alt geworden war, aber die Menge der Glückwünschenden, die persönlich kamen oder Gaben, Gedichte und Briefe schickten, hatten ihn müde und matt gemacht. Die Aufregung und eine dazu gekommene Erkältung, die er sich am 20. Januar 1860 zugezogen hatte, waren die Ursache einer Lungenentzündung, die dem Leben des Greises am 29. Januar ein Ziel setzte. Am 1. Februar wurde er unter der Teilnahme der ganzen Bonner Einwohnerschaft an der Seite seines ihm im Tode vorausgegangenen Lieblingssohnes Willibald beigesetzt.

Die Trauer nach Arndts Hinscheiden war aufrichtig und allgemein; die volle Würdigung des Verstorbenen schwankte in der Zeiten Lauf. In dem Herzen des deutschen Volkes aber ist der Name des alten Arndt festgewurzelt geblieben. Man verehrt ihn nicht als den Gelehrten und Historiker, der aus eigenem Wissen und Forschen Neues schuf, man hat ihm in der Literatur keinen Platz unter den Klassikern eingeräumt, und man hat geglaubt, seine politischen Schriften unbeachtet lassen zu können, nachdem das Wesentliche, was er in ihnen gehofft und gefordert, für Deutschland in Erfüllung gegangen und von größeren und praktischen Politikern erfolgreich ausgebaut worden ist, – aber der Name des Mannes wird niemals vergessen werden, seine Lieder werden niemals verhallen und sein Wort von dem Deutschen Reiche unter Preußens Führung wird lebendig bleiben. In seinem Arndt wird der Deutsche in glücklicher und trüber Zeit ein Spiegelbild des echten deutschen Charakters finden mit seinem ungezähmten Idealismus und seinen trotzigen Forderungen, mit seinen weitausschauenden Hoffnungen und dem frohen Wagemut, mit seiner Gabe, im Lied des Herzens Not und Freude widerhallen zu lassen, zu prophezeien, zu mahnen, Pläne zu schmieden und zum Märtyrer seiner Überzeugung zu werden, mit seinem unwandelbaren Gottesvertrauen und seiner festen Königstreue.


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