Emerenz Meier
Die Madlhüttler
Emerenz Meier

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Frühling war es geworden im Waldgebirge, das schon sechs Monate hindurch unter der grimmigen Herrschaft des Winters getrauert hatte. Nun schien es der Lenz für das geduldig ertragene Leid doppelt entschädigen zu wollen, denn er entfaltete all seine schöpferische Kraft, um es mit besonderer Pracht zu schmücken. Binnen weniger Tage hatte er die Fessel der Wildbäche gebrochen, so daß sie hochgeschwellt niederrauschten in die Täler, hatte die Berge mit frischgrünen Gewändern bekleidet, die Kirschbäume zum Blühen gebracht und alles Leben erneut.

Um diese Zeit verließen zwei Männer ihren Winteraufenthalt, ein freundliches Pfarrdorf, und zogen hinauf in den Hochwald. Der eine war bereits ergraut, doch noch jugendlich behend und rüstig, fröhlich wie ein Jüngling und von Herzen gutmütig. Der andere war ein sechsundzwanzigjähriger Bursche, hoch und schlank gewachsen, mit fast weiblich schönem Gesicht, blauen Augen und hellblonden Locken. Sie waren beide Holzhauer und weit und breit bekannt als die »Madlhüttler«, so benannt nach der Blockhütte auf dem von Fichten umdunkelten Gipfel des Madlberges. Unter den verschiedenen Werkzeugen, die sie mit sich trugen, befand sich auch eine einfache, von dem Jüngeren selbst verfertigte Hölzelzither, ein Säckchen mit Reutlinger und anderen Volksbüchern, ein Stoß weißes Papier: Sachen, die bei rauhen Holzhauern sehr seltsame Bedürfnisse vermuten lassen.

Sie begrüßten die würzige Waldesluft und ihr Sommerheim mit lautem Jauchzen und machten sich sogleich daran, die Schäden sorgsam auszubessern, die ihm die wilden Winterstürme zugefügt hatten. Nachdem es wieder wohnlich eingerichtet war, begannen sie die Säge an die uralten Stämme der Bäume zu setzen.

Nach vollbrachtem Tagewerk, nach eingenommener Abendmahlzeit, die meistens aus Brotsuppe, geräuchertem Fleisch und – wenn es hoch herging – einem Schluck Kirschbranntwein bestand, nahm der Bursche Papier und Stift zur Hand, setzte sich an eine Stelle, wo er um sich blicken und den Untergang der Sonne genießen konnte, und dort schrieb er, nicht gestört durch den Alten, der sich bescheiden in die Hütte 48 zurückzog. Wurde es dunkel, so begab sich auch er in den kahlen, nur mit einem einzigen Fenster versehenen Raum, ließ sich am Tische nieder, ergriff die Hölzelzither und komponierte eine passende Melodie zu dem neuen Lied. Das klang dann wundersam hinaus in den nächtlichen Wald, der es ihm nachzurauschen schien, und der Alte auf seinem Laublager horchte, lächelte, zerdrückte eine Träne im Auge und entschlummerte sanft.

War endlich eine Woche herum, luden die Sonntagsmorgenglocken im Tal zum Dienst des Herrn, dann stiegen sie beide hinab, um ihrer Christenpflicht zu genügen. Hierauf lenkten sie ihre Schritte zum Dorfwirtshaus, gefolgt von einer Schar fröhlicher Burschen, die mit offenem Munde den Stimmen der Waldessänger lauschten und sich ihre Lieder einprägten in Gedächtnis und Herz.

Doch nicht nur sie, sondern auch die Mädchen gingen gerne dorthin, wo sich das eigenartige Paar befand. Sie waren alle einig darüber, daß der Hütten-Severin der prächtigste Bursch sei und daß es nichts Herrlicheres gäbe, als einen Sonntagnachmittag bei der jungen, noch unverheirateten, doch völlig selbständigen Wirtin Senzi. Diese machte auch kein Hehl daraus, wie sehr ihr die Madlhüttler willkommen waren, wie es ihr warm um das Herz wurde, wenn sie diese unter ihren Gästen erblickte.

Es hieß, die Lieder Severins seien größtenteils auf sie gemünzt, gäben ihre Vorzüge, die aber manche nicht gelten lassen wollten, in klingenden Worten wieder und klagten, daß nun ihr Herz kälter war, als der Sänger es wünschte. Doch das waren nur Vermutungen, denn aus einem flüchtigen Bescheidtrunk, aus spärlich gewechselten Worten ließ sich noch lange nicht auf etwas Bestimmtes schließen. Auch gähnte zwischen den beiden, sonst fast für einander geschaffenen Menschenkindern eine Kluft, die Severins tausend Gulden ewig nicht überbrücken konnten.

Er mochte Senzi lieben, mochte manchmal schon konfus werden, wenn sie ihn nur ansah, – sie war ja nicht nur ein schönes und mitunter fröhliches, sondern auch ein kluges und stolzes Mädchen, das sich wohl ausrechnen konnte, daß es eine unrichtige Rechnung machen würde, wenn es sich nicht »standesgemäß« verheiratete. – Der Bräuerssohn, der reiche 49 Heinzelmüller, der junge Großbauer waren eher ihrer würdige Partien. So dachte und sagte man. Diese Burschen aber behandelten die Sache weniger kaltblütig. Es ist schon alles dagewesen, auch das, daß eine reiche Wirtstochter einen armen Schlucker geheiratet hat, und Severin war ein schöner Mensch, gescheiter als Gewöhnliche, konnte Lieder dichten und herrlich singen.

Sie faßten daher einen tiefen Groll gegen ihn, der sich gelegentlich in Spötteleien und frechen Anzüglichkeiten äußerte, die er aber ruhig hinnahm oder mit einem verächtlichen Lächeln ablohnte. Das machte indessen nur noch böseres Blut, und an einem schönen Sonntag beredeten sich der Bräuer und der Müller mit dem bärenstarken, rotbackigen Großbauern, dem Severin die überspannten Gedanken auszutreiben. Sie wollten sich an ihn herandrängen, ihn auf verschiedene Weise reizen und dann gemeinschaftlich über ihn herfallen. Wenn Hansjörg, sein alter Freund, versuchen würde, ihm beizustehen, so sollte er ebenfalls ein paar Maßkrüge an den grauen Schädel bekommen.

Die Vorbereitungen wurden pünktlich getroffen. Die Verschworenen saßen an dem Tische Severins, der, heute stiller und zerstreuter als sonst, wenig auf die boshaften, lauernden Gesichter um sich achtete, sondern fortwährend Senzis prächtige, bewegliche Gestalt mit den Augen verfolgte. Auch deren Blicke wanderten, während sie sich hier und dort mit den Leuten unterhielt, oft zu ihm, schienen ihm freundlich zuzulächeln und dann wie vergleichend über die anderen hinzugleiten, deren tückische Mienen sie zum Nachdenken veranlaßten. Sie besaß Erfahrung und wußte das kleinste Wölkchen am wirtshäuslichen Himmel zu deuten; darum befahl sie heimlich ihre beiden Knechte in die Stube und betraute sie mit dem Kellneramt.

Sie mußte sich aber dennoch in ihren leisen Befürchtungen getäuscht haben, denn es wurde Abend, ohne daß sich irgendwelche feindselige Störungen in der immer lauter lärmenden Gesellschaft bemerklich gemacht hätten. Die Luft in der Stube war heiß und drückend trotz der geöffneten Fenster, der Gesang der Burschen klang heiser und entbehrte aller Regeln, selbst oft des Sinnes.

Senzi zündete die Lampe an und warf sich dann, ermüdet von den Anstrengungen des Tages, auf einen Stuhl am Ofen. Doch ihre Blicke überwachten den ganzen Raum.

50 Hansjörg ersetzte die Einsilbigkeit Severins bei den Tischgenossen durch größere Lebhaftigkeit, hütete sich aber, dem frischen Bier das gleiche Vertrauen zu schenken wie gewöhnlich, denn er witterte etwas.

Vom Nachbartisch rief man die Frage herüber, warum die Madlhüttler heute so sehr mit ihren Liedern geizten, und als Hansjörg den Severin ermunternd anstieß, begann dieser halb für sich zu singen:

»Hab oft a ganze Nacht
Vor meiner Hütten gwacht,
I hab oft übergschaut
Weit übern Roa;
Hab alle Sternlein zählt,
Es hat mir keins gefehlt,
Als deine Äugelein
Nur ganz alloa.

D' Sunn hat si füra duckt,
Hat auf mei Hütterl guckt,
Sie hat koa Dirndl gsehn
An meiner Seit.
Sie hat sich abgewendt,
Mir hat's im Herzen brennt.
Es gibt koan Tag für mi
Und keine Freud.

Sie is so schön, so guat,
Obwohl s' mi hassen tuat.
O wär i oamal nur
Der Liebsten gleich!
Gott, spar den Himmel ihr,
Wann sie einst kommt zu dir,
Laß sie ein Englein sein
In deinem Reich«.

Die beiden letzten Strophen sangen alle Anwesenden mit, denn das Lied war nicht mehr neu und es hatte sich schon einzubürgern begonnen.

Severin schob die Zither beiseite, verließ langsam den Tisch und lenkte seinen Schritt zu Senzi, die mit dem Ofen zugewandten Gesicht gelauscht hatte.

51 Sie schrak zusammen, als sie ihn erblickte, der nach einer kurzen Pause, während er sie forschend und mit düsterer Zärtlichkeit betrachtet hatte, sich tief zu ihr niederbeugte und ihren Namen flüsterte.

»Was willst denn, Severin?« fragte sie verwirrt.

»Nur an oanzigs liabs Wort von dir, Senzi!«

»Was soll denn des sei?«

»Sag, daß d' mi gern hast!« rief er, indem er seinen Arm um ihren Hals legte und seine Wange der ihrigen näherte.

»Geh weiter, narrischer Kund!« wehrte sie mit verlegenem Lächeln und machte einen schwachen Versuch, sich ihm zu entziehen.

Er lachte beleidigt auf und trat zurück.

»Des Wort gibst du mir? – I hätts vorher wißn kinna. – Freili, dir san die dort wohl liaba mit dene volln Geldsäck und de laarn Herzn! Is 's net a so?«

»Na, des is net wahr, Severin.«

»Net? – Wirkli net! – Dann verschmerz i dei Wort und denk mir, du hast mi dennerst no oamal gern. Versuachs, du woaßt, daß mei Lebn dranhängt.«

Sie senkte den Kopf und er setzte sich wieder an den Tisch. Hansjörg schob ihm die Zither zu, er strich mit dem Hölzchen etlichemal leise über die sechs Saiten und da klang es voll und weich durch die Stube:

»Schwarzbraun wie die Kerschlein, Buam, derfts mir's glaubn,
            Derfts mir's glaubn,
Sand meinem Dirndl seine liabsten Augn,
            Liabsten Augn,
D' Zähn sand so weiß als wie's Elfenbein,
            's Elfenbein,
's Herz is so hart wie ein Stein.

Jetzt sand mir die dumma Buam neidi schier,
            Neidi schier;
I kann ja meiner Seel nix dafür,
            Nix dafür,
Weil's ihre Äuglein so kerzengrad,
            Kerzengrad,
Schnurgrad auf mi gworfa hat.«

52 Als Severin und Hansjörg geendet hatten, herrschte eine Weile tiefe Stille. Dann aber brachs wie jubelnder Beifall los, und von allen Tischen streckten sich ihnen kameradschaftlich Krüge und Hände entgegen. Severin mußte versprechen, das Lied aufzuschreiben, damit man es lernen könne. Nachdem es wieder ruhiger geworden war, erhob sich der Bräuertoni und rief mit höhnischer Miene: »Was? Abschreibn? Wir habn an den überspannten Sachen übergnuag, brauchen drum so an Wisch net. – Gehts außi in Hof, Buam, dort singt a Koda, den Kadrin kratzt hat, die herzbrecherischsten Weisn, grad solchene, wie wir iatzt oane ghört habn!«

Er lachte laut über seinen Witz, zog den Krug näher und ließ sich wieder nieder. Severins Augen wurden dunkler und bohrten sich drohend in das aufgedunsene Gesicht des Angreifers; doch er schwieg und faßte ebenfalls seinen Krug, Hansjörg desgleichen.

Senzi trat leise hinter Severin und winkte den Knechten.

»Hast recht, Toni!« rief der Müller mit giftigem Blick. »Wanns drauf ankimmt, so können wir aa oans singa; zwar koa herzbrecherisch, aber doch oans, des d' Augn wassrig macht. Lusts amal, i gib enk a Prob:

»A Dirndl dasinga,
A Dirndl daplärrn,
Das möchtn die notinga
Holzhauer gern.

Waarn d' Augntröpfei Taler,
So war's gar net dumm;
Ma kriagat a Halbdutzend
Wirtinnen drumm.«

Senzi nahm sich nicht mehr Zeit, sich über die Langmut Severins zu verwundern. Mit zornfunkelnden Augen trat sie an den Müller heran, riß ihm den Krug aus der Hand und sagte: »Jetzt wirst mir koa Dritts mehr schrein, sunst floigst außi, daß s' dir dei Lebtag nimma in mei Haus verlangst!«

53 Man lachte und der Großbauer verzog seinen Mund zu einem spöttischen Grinsen.

»Was? Wir derfen nimma singa? Das wolln wir segn! He, Zupfgeiger, da hast a Guldnstückl in dei Klampfa, dafür spielst oan auf, daß wir segn, ob uns wer verbiat, zu singa!«

Er warf das Geldstück auf die Zither und schaute stolz um sich.

»Geh weg, Senzi!« sagte Severin halblaut und wiederholte es, als sie zögerte.

»Willst net weggehn?« – Das klang fast drohend und sie wich zurück.

Blitzschnell sprang er jetzt von seinem Stuhl, faßte den ihm zunächst sitzenden Großbauern an der Kehle, schüttelte ihn und warf ihn dann mit aller Kraft gegen die andern, die nicht mehr Zeit fanden, die nun folgenden wuchtigen Faustschläge Severins zu parieren. Hansjörg zerschellte seinen Krug an dem Kopf des Müllers und riß hierauf den Freund mit sich in die Mitte der Stube, dort den Angriff erwartend. Nun stürzten die Verschworenen mit wütendem Geschrei heran, doch sie wurden rasch zurückgeworfen, denn alle Burschen hatten sich Severins Partei angeschlossen und die drei Helden mußten einstweilen von weiterem abstehen.

Fluchend und zähneknirschend setzten sie sich an ihren Platz, da – war es das ihnen folgende höhnische Gelächter, das ihn trieb, oder die Furcht, für feig gehalten zu werden – zog der Großbauer sein Messer, sprang wieder auf und rannte es im nächsten Augenblick in die Brust Severins. Lautlos sank dieser zurück in Hansjörgs Arme.

Hierauf gab sich der Großbauer wehrlos den Gegnern preis, die ihn ohne Schonung niederhieben, ihn endlich fortschleppten bis zur Tür seines Hauses, wo sie ihn bewußtlos liegen ließen.

Binnen einer Minute hatten die Knechte die Stube geräumt und außer dem krampfhaften Schluchzen Senzis unterbrach nichts die unheimliche Stille. Severin lag noch regungslos in den Armen Hansjörgs, der aussah wie ein verzweifelter Vater, dem man den einzigen Sohn getötet. »Richt's a Bett für ihn!« gebot er endlich dumpf.

»Ja, das meine!« rief das Mädchen, aus seinem Schmerz erwachend. »Lois und Franz, helfts und tragts ihn in mei 54 Kammer, hernach lauft oana zum Bader, schnell!«

Severin bewegte sich, wehrte die Arme der Knechte von sich und versuchte sich aufzurichten. »Koan Bader, um Gottswilln! Wollts mi vors Gricht bringa? – Hilf mir, Hansjörg, es fehlt ja net so weit.« Er stützte sich auf die Schulter des Alten und folgte mit wankenden Schritten der voranschreitenden Senzi. Diese ließ es sich trotz seines Sträubens und seiner Versicherungen, es selbst zu können, nicht nehmen, die klaffende Wunde zu reinigen und zu verbinden. Nachdem dies geschehen und er so bequem als möglich gebettet war, drückte sie nochmals seine Hand und verließ die Stube, während Hansjörg zurückblieb, um bei ihm zu wachen.

Als der erste Morgenstrahl durch die Fenster drang, stand sie wieder an seinem Lager und beugte sich mit ängstlich pochenden Herzen über ihn.

Aus dem bleichen, schönen Gesicht lächelten sie Severins blaue Augen an und es klang ihr wie Himmelsgruß, als er sagte: »I bin net tot, Senzi, bin kerngsund. Bring mir an frischn Trunk, hernach versuach i's, ob i net hoamgehn kann.«

Sie reichte ihm ein Glas frischen Brunnenwassers und trat dann an eines der Fenster, indessen Hansjörg dem Burschen aus dem Bett und in seine Kleider half. Er war matt genug, doch sein Wille, in den Hochwald heimzukehren, verlieh ihm Stärke und Kraft, die immer heftiger werdenden Schmerzen, die ihm seine Wunde verursachte, standhaft zu verbergen. Zuletzt ließ er sich noch einmal auf das Bett nieder und rief nach der Senzi. Sie trat zu ihm und legte teilnehmend ihre Hände in die seinen.

»Bleib no oan Tag da, Severin«, sagte sie leise. »Du wirst bis morgn kräftiger.«

Er schüttelte den Kopf.

»Net a Stund mehr; der Hansjörg wird mi schon hoambringa. Er hat mi als kloan Buam ganze Tag umeinandergschleppt, bin neugierig, ob er's iatzt a noch kann. – Schlafst du daherin?«

»Ja!«

»Na schau, der Stich vom Großbauern is net mit Geld zu zahln, denn seinetwegn han i oamal bei dir übernachtn kinna.«

»Und du magst noch scherzn über dei Unglück?«

»Über mei Glück, willst wohl sagn. – Du woaßt net, wia 55 mir is, Senzi! I möcht sterbn, wann i wisset, daß du nebn mir stehn, daß d' mir d' Augn zuadrucka tatst.«

Hansjörg entfernte sich leise aus der Kammer. Sie wollte ihm folgen, doch er hielt sie an der Hand zurück. »Bleib bei mir, i fall dir ja nimmer lang zur Last – i geh bald. Aber kannst mir denn gar nix mitgebn auf'n Weg, koa Wort, von dem i zehrn kunnt während der Zeit, wo i dahoam bleibn muaß, bis i gsund bin?«

»Du peinigst mi wirkli, Severin. Was willst denn habn von mir? Muaß i dir's denn sagn, was i so gern verschwiegn hätt bis auf die richti Stund. – Kennst du d' Webersephi vom Dorf?«

»Ja – aber wo willst denn aus mit ihr?«

»Du wirst wißn, daß sie mei liabste Kameradin is, daß wir uns gern habn wie zwoa Schwestern. D' Muatta is mir ja so bald gstorbn und schau, i muaß ebban habn, an den i mi anloahn kann, denn so selbständi, so stolz, wie d' Leut moan, bin i net. Und sie – sie hat di gern, Severin, wia ihra eigns Lebn. Sie redt von neamd andern, als von dir, wann wir beinand san, und znächst hat s' mi mit naßn Augn bitt, i soll mir nix anmachn mit dir, weil i di ja doch nia im Ernst möcht, – sollt ihr dei Herz net stehln. I han ihr's bei meiner Seel versprocha, daß i mir nix z' Schuldn kemma laß, hab – – –.« Sie brach jäh ab und wandte ihm den Rücken.

»Ah – und du – du hast des tun können, wirkli? – So woaß i 's halt iatzt, wie i dran bin und d' Weberseph hat recht mit ihrer Moanung.«

Er entzog ihr die Hand und legte sie vor die Augen. Da brach sie plötzlich in Tränen aus.

»Versteh mi net falsch, es ist doch ganz anderst, als du glaubst«, schluchzte sie. »Schau, i hab mir denkt, d' Sephie is a hübsch Dirndl und brav wia a Engl. Über kurz oder lang müassetst du des amal eisegn und – i wollt ihra Herz net brecha.«

»Aber des meine, gelt? an dem läg dir nix. Was is mir denn d' Sephie mit ihra stadn Oafältigkeit? Sie versteht mi net, woaß net, daß 's außer an Häusl mit vier Küah, an feschn 56 Burschn, a schens Gwand no viel, viel Schöners gibt. – Sie geht über a Wies, durch an Wald und sagt: Mei, heuer wird Fuada gnua oder: 's Holz wird allweil no net teueriger. – I sing ihr a Liad am Kammerfenster und da moants: du sollst a Schulmoasta worn sei, Severin, du hättst an guatn Kopf, weil dir gar so viel eifallt. – Aber des versteht sie net, daß net a guata Kopf dazua ghört, sondern a Herz, Senzi, a Herz, des anderst is wie des von andern Leutn. Verstehst du des?«

»I versteh di guat, Severin, denk a so wie du«, flüsterte sie.

»Aft woaßt a, daß i nur di nimm oder sterbn will!« rief er leidenschaftlich. »Senzi, du liabst mi, i gspürs. Kannst du wirkli wegn an Leutgschwatz, kannst du um stolze Flausn dei ganz's Glück von dir stoßn? – Red, heut bin i da und aft betritt i in Ewigkeit dei Haus nimma.«

»Weil doch nix hilft, Severin – i sag dir d' Wahrheit, i kann 's net, kann di net laßn. Kimm wieder, – kimm alle Tag!«

Sie sank an seine Brust und weinte still, während er glückstrunken auf sie niederschaute.

Hansjörg trat leise ein, sah, nickte, lächelte und wischte eine Träne von der Wange.

Der Summa hat kaum einagschaut
In unsern stillen Wald,
Da hat schon über 'd Haberhälm
Der Wind hergweht so kalt.

Die Wälder waren gelb und rot,
Und über Berg und Au
Hat sich ein schwaarer Nebel glegt,
Wie Tücher über 'n Trauh (Sarg).

O Schätzlein, fürchtest du den Herbst,
Den kalten Herbst bei mir,
Dann suach dir einen Sommer nur;
Ich gönne gern ihn dir. 57

Wohl brennt der Summa tiaf noch drin,
Wo 's Herz so heftig schlagt.
Da is di Liab, – i schweig davon,
Hab's noch koan Menschn gsagt.

Der Freithof is gar groß und leer,
Des woaßt du gut, mein Schatz.
Mein Leid kimmt in ein Grüblein nein –
Hat auch die Liab drin Platz?

Im Wald ist der Sommer nur ein flüchtiger Gast. Doch für einen Menschen, einen sehr einsamen, schien der heurige endlos zu sein. Es war auch kein Wunder, da er kaum sechsundzwanzig Jahre alt, in der Hütte im Hochwald auf dem Spreubett liegen mußte, hinsiechend in der Jugendblüte, weit entfernt von dem Glück, das ihm schon so verlockend zugelächelt hatte.

Von der Schönheit der Welt, von der Süße des Lebens zu wissen und sie nicht genießen zu können, ist hart, doppelt hart für einen wie Severin.

Er hatte die Wunde verheimlicht, ihr wenig Aufmerksamkeit geschenkt, bis ihn plötzlich ein Fieber erfaßte und ihn niederwarf. Der Bader erklärte, der Stich habe die Lunge hart gestreift und Severin möchte zusehen, wie er dem Leben noch ein paar Jahre abgewinnen könne. –

Ein paar Jahre? Wenn es so stand, dann nicht eines mehr! Er wiederholte dies seinem treuen Pfleger Hansjörg Tag für Tag und der Alte hatte lange Not, ehe er ihm das Wort »Ergebung« begreiflich machen konnte. Dann war sie über ihn gekommen, die hoffnungslose Resignation, hatte mit ihrer drückenden Wucht seinen Jugendmut gebrochen. Erst Senzis Besuche richteten ihn wieder einigermaßen auf und trösteten ihn, denn sie versprach ihm öfters unaufgefordert, daß sie ihm bis zu seinem Tod treu wie sein angetrautes Weib bleiben und daß ihm ihr Herz auch in das Grab folgen würde.

Sie konnte aber niemals lange verweilen und die Hütte erschien ihm doppelt einsam und öd, wenn ihre liebliche Erscheinung aus ihr verschwunden war.

Man hatte ihn zu bereden versucht, den unwirtlichen Aufenthalt mit seinem Heimatdorf zu vertauschen, wo er doch 58 bessere Pflege und mehr Bequemlichkeit gehabt hätte. Aber dagegen sträubte er sich mit aller Kraft. Er wollte so lange hier bleiben, bis die Sommervögel südwärts zogen und dann – er sprach es nicht aus und faltete betend die Hände.

Als die Buchen sich bunt zu färben begannen, kam eine neue Regsamkeit über ihn. Er griff nach Papier und Stift, setzte sich an ein der Sonne zugängliches Plätzchen und schrieb oder spielte die Hölzelzither. Am Abend sang er die schwermütigen Lieder hinaus in den dunklen Wald.

Als endlich die Vögel die Heimat verlassen hatten, als er ihnen, sowie dem Glück der Liebe und dem Leben sein Abschiedslied gesungen, fand sein Gebet Erhörung.

Er verschied in den Armen Senzis; Hansjörg und noch ein Mädchen namens Sephie beteten ihm die Sterbegebete. Tränen flossen keine an seiner Leiche, denn nur in Schmerz erstarrte Herzen umgaben sie, die keine Tränen hatten. Senzis Haupt lag an der kalten Brust, in der es bis zum letzten Atemzug so heiß für sie geschlagen hatte, und Sephie saß still und bleich zu seinen Füßen. Sie hielt einen Zettel in der Hand, von dem sie plötzlich halblaut las:

»Im Hollerbusch ein Vöglein sang
So wundersüß und rein;
Ich horchte stille, horcht ihm lang,
Da flog es querfeldein.

Mit andern zog es übers Meer
Dem Sommerlande zu.
Ich dachte mir: Was willst du mehr?
So scheide nun auch du!

Von Lied und Glück hab ich geträumt,
Es war ein schöner Traum;
Er währte, bis mit Gold umsäumt
Und rot ward Strauch und Baum.

Ade nun, Leben, Liebe, Glück!
Ade, ich geh zur Ruh.
Schon fliegt die Seele, strebt der Blick
Dem Sommerlande zu«.

59 Sie küßte den Zettel und verbarg ihn in ihrem Mieder. Jörg stöhnte leise und polterte durch die Türe davon. Senzi drückte ihre Lippen auf den kalten Mund des Toten, nahm ein kleines, rotes Glasherz an silbernem Kettchen von ihrem Hals und hing es um den seinen. Dann schied sie von ihm.

*

Man weiß nicht, wie viele Jahrzehnte seit dem Tode des Waldessängers verflossen sind, ja er ist schon halb und halb vergessen, wie auch sein Grab auf dem Dorfkirchhof, das mit einem schlecht behauenen Stein beschwert und mit Liebfrauenherzen, Königskerzen und Löwenzahn überwuchert ist. Der Totengräber verschont den Hügel, weil er in der Kirchengemeinde als »für immer verstiftet« verzeichnet ist, doch an wessen Leiche, weiß er nicht mehr. Vielleicht ruht Senzi, die im Alter von dreißig Jahren einem ältlichen Mann die Hand reichte und bald darauf starb, nicht weit von ihm, vielleicht auch Sephie, die erst als sechzigjährige Jungfrau dem Mann ihrer unerwiderten Liebe folgte. Ganz in der Nähe aber ragt ein gewaltiger Grabstein empor, auf dem nebst anderen Namen der Großbauerischen Familie auch der eines Sebastian zu lesen ist. Man sagt, daß seine jetzt lebenden Verwandten nicht gern von ihm sprechen, da er sich den Todeskeim im Zuchthaus geholt haben soll.

Alles, was lebt und webt, Menschen und Erinnerungen an sie, fegt die Zeit von der Erde fort, verwischt langsam jede Spur vom Einst und doch, die Herzens- und Geistesblumen Severins, seine schwermütigen Lieder – welcher Wäldler pflegt sie nicht noch heute mit besonderer Vorliebe?

Er weiß nicht, welchem Quell sie entsprungen, nennt sie nur »unsrige Liadl« und singt sie auf dem Feld, im Wald und im Wirtshaus.

Was vom Herzen kam, geht zu Herzen.

Wenn die Erzählerin, selbst eine Wirtstochter, das Lied Severins

I hab oft a ganze Nacht
Vor meinem Hüttlein gwacht –

von munteren Burschen angestimmt, erklingen hört, dann treten ihr die Tränen in die Augen und gerade in dem 60 Augenblick, da sie schließen will, tönt es voll und klar durch die sternhelle Sonntagsnacht über das weite Feld herauf:

»Schwarzbraun, wie die Kerschlein, Buam, derfts mirs glaubn,
            Derfts mirs glaubn,
Sand meinem Dirndl seine liabsten Augn,
            Liabstn Augn;
D' Zähn sand so weiß, als wie's Elfenbein,
            's Elfenbein,
's Herz is so hart wie ein Stein«.

 

*

 


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