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Drittes Kapitel.
Am Ohr des Manitou

Nachdem der Pferdedieb sich entfernt hatte, gab ich den Häuptlingsschmuck und die Revolver in den Koffer zurück. Dann konnten wir endlich, endlich essen. Der »junge Adler« hatte wieder Lebensfarbe bekommen. Es war ihm sichtlich höchst unangenehm, daß wir Zeugen seiner Schwäche gewesen waren. Es lag ihm daran, von uns geachtet zu werden. Darum teilte er uns mit, daß ihm vor nun fast vier Tagen unten am Carriso-Creek sein Pferd gestohlen worden sei, und zwar mit dem ganzen Inhalt der Satteltaschen. Unterwegs gab es zu seiner Nahrung nur einige eßbare Wurzeln oder Beeren, weiter nichts. Er hatte sein schweres Paket nun selbst zu tragen, und so war es kein Wunder, daß er in so großer Übermüdung hier eingetroffen war. Er erfuhr, daß sein Lederanzug unangetastet bereit für ihn liege. Jetzt nun aß er mit uns, langsam und in der Weise eines Mannes, der sich in gebildeten Kreisen bewegt. Das Herzle sieht es außerordentlich gern, daß es ihren Gästen schmeckt. Ihr Gesicht strahlte jetzt vor Vergnügen. Ich hatte so meine eigenen Gedanken über ihn, sagte aber nichts. Auch Pappermann hätte wohl gar zu gern etwas Näheres über ihn erfahren; aber der Indianer machte trotz seiner Jugend einen derartigen Eindruck auf ihn, daß er es nicht wagte, ihn mit Fragen zu belästigen. Aber meine Frau, meine Frau! Der ist jede Unklarheit zuwider! Die muß in allen Dingen genau wissen, woran sie ist. Von indianischer Geduld und Zurückhaltung ist sie äußerst wenig entzückt. Sie beobachtete den »jungen Adler«. Ich sah es ihr an, daß er ihr außerordentlich gefiel. Und wehe dem, der ihr gefällt! Sie klopft ihm an das Herz, und was da drin ist, muß heraus, er mag wollen oder nicht. Nicht etwa, daß sie neugierig oder gar zudringlich ist; nicht im geringsten. Aber wenn sie jemand in Verlegenheit sieht und ihm helfen will, so hat sie eine ganz eigene Art, zu erfahren, in welcher Art und Weise das am besten zu geschehen vermag. So auch hier! Wir waren der alten Henne, die man uns auch mit vorgesetzt hatte, noch nicht bis auf das Gerippe gekommen, so hatte der »Junge Adler« ihr schon gesagt, und zwar scheinbar ganz von selbst, daß ihm seine Waffen mit gestohlen worden seien, daß er kein Geld mehr habe und daß er nach dem Süden wolle; wohin, das gab er aber doch nicht an. Hierauf warf sie mir einen Blick zu, den ich verstand. Ich sollte ihn einladen, mit uns zu reiten. Und das war ja gerad der Grund gewesen, weshalb ich drei Pferde und nicht nur zwei hatte haben wollen. Ich legte ihm die betreffende Frage vor. Da ging ein frohes Leuchten über sein Gesicht. Er sprang auf, setzte sich aber sogleich wieder nieder, denn ein Indianer soll weder Freude noch Schmerz so offen zeigen. An diesem Aufleuchten seines Gesichtes sah ich, daß er, obwohl er mich nie gesehen hatte, doch vermutete, wer ich war.

»Ich bin Apatsche«, antwortete er. »Ich wollte zunächst nach dem Nugget-tsil.«

Während er dies sagte, sah er mich nicht an, sondern er schaute vor sich nieder; aber ich fühlte förmlich, wie gespannt er darauf lauschte, was ich hierauf antworten werde.

»Wir auch«, erwiderte ich so ganz unbefangen, als ob ich gar nicht daran denke, ihn zu beobachten und zu durchschauen. Und mich an Pappermann wendend, fragte ich ihn: »Kennt Ihr vielleicht die Devils pulpit, die hier in der Nähe liegen soll?«

»Ja«, antwortete er. »Und der Junge Adler kennt sie auch, denn er sagte mir damals vor vier Jahren, daß er von da oben heruntergekommen sei. Wollt Ihr hin?«

»Ja.«

»Soll ich Euch führen?«

»Wenn Ihr wollt?«

»Welche Frage! Ob ich will! Ich habe nur eine Bedingung, eine, einzige.«

»Welche?«

»Ich getraue mich kaum, sie Euch zu sagen.«

»Nur heraus damit! Alte Kameraden dürfen aufrichtig miteinander sein!«

»Auch wenn sie Pappermann heißen? Maksch Pappermann? Verteufelt unglückseliger Name! Sprecht ihn doch einmal englisch aus! Da klingt er noch viel schlimmer! Alle Welt lacht über ihn!«

»Heißt, wie Ihr wollt, doch redet von der Leber weg!«

» Well! So sei es gewagt! Also, ich führe Euch nach der Devils pulpit, wenn Ihr mir erlaubt, dann noch weiter mit Euch zu reiten!«

Da fiel das Herzle schnell ein:

»Er erlaubt es – er erlaubt es!«

»Oho, oho!« warf ich in strengem, widerstrebendem Ton ein.

»Oho, oho!« lachte sie. »Laßt Euch ja nicht abschrecken, Mr. Pappermann! Er hat Euch gern, sehr gern, und ich auch. Und er hat drei Pferde und drei Maultiere, also mehr, als wir brauchen. Und vor allen Dingen, wenn er Euch nicht mitnehmen will, so muß er allein reiten, denn ich bleibe hier sitzen und weiche und wanke nicht vonEurer Seite!«

Da wurden die Augen des alten, guten Menschen feucht. Er reichte ihr seine Hand hinüber und sagte:

»Gott segne Euch, Mrs. Burton! Wie dankbar bin ich Euch! Er muß mich nun schon deshalb mitnehmen, weil ich mich verpflichtet fühle, für Euch durch jedes Wasser und jedes Feuer zu gehen!«

»Aber Euer Hotel hier – Euer Hotel?« fragte ich.

»Geht mich nichts mehr an! Habe weder etwas darunterliegen, noch etwas daraufstehen. Bin überhaupt abgebrannt, vollständig abgebrannt. Bin ärmer als eine Kirchenmaus. Und nun so alt, so alt! ja, wenn ich anders hieße! Nicht Pappermann! Das ist ja der Grund, der einzige Grund, daß ich stets nur durch Pech und Elend waten mußte! Nehmt mich mit, bitte ich, nehmt mich mit! Noch bin ich nicht ganz unbrauchbar geworden, und meine letzte Kraft und mein letztes bißchen Leben soll Euch gehören, Mr. Shatterhand – – –«

Er hatte sich von seinem Herzenswunsch fortreißen lassen; er war zu weit gegangen; er hielt erschrocken inne. Da ging ein liebes, sonniges und dabei doch gerührtes Lächeln über das Gesicht des jungen Indianers, und er sagte:

»Nicht erschrecken, nicht erschrecken! Es ist kein Verrat. Ich wußte es. Und ich hätte es nicht verschwiegen, daß der Bruder unseres großen Winnetou und der beste Freund meines Volkes von mir erkannt worden ist. Ich war verpflichtet, ihm dies zu sagen.«

Da schlug das Herzle die Hunde hoch zusammen und rief aus.

»So wird es ja, wie ich wünsche! Sie dürfen beide mit, beide?«

»Ja«, antwortete ich. »›Der junge Adler‹ wird den dritten Schwarzschimmel reiten. Unser Pappermann bekommt die drei Maultiere mit dem Zelt. Er wird unser Majordomo. Er führt die Aufsicht über die Hauswirtschaft und natürlich auch über die Frau!«

Wie glücklich der alte Westmann war! Er erging sich in allen möglichen Ausdrücken der Dankbarkeit. Der Indianer aber war still, ganz still, um so tiefer aber grub sich das Glück in sein Inneres ein.

Nach dem Essen sorgten wir zunächst dafür, daß das Zelt wieder abgebrochen, zusammengeschnallt und mit allen dazugehörenden Utensilien von dem freien Platz herein in das Haus geschafft wurde; da war es mir sicherer als draußen. Während dies geschah, zeigte Pappermann hinaus nach dem erwähnten Platz und sagte:

»Schaut da hinaus! Was kommt dort gelaufen?«

»Das Maultier, das vierte Maultier!« antwortete meine Frau.

»Ja! Es ist den Spitzbuben entkommen! Es ist obstinat geworden! Es hat sich losgerissen! Es wollte zu seinen Kameraden zurück! Ich hole es herein, sogleich – sogleich!«

Hierdurch gewannen wir eine Kraft zum Tragen des Gepäcks mehr, und die Zahl der Tiere, welche man Old Surehand gestohlen hatte, war nun wieder voll.

Später ging ich noch einmal in die Stadt, um für den »jungen Adler« ein Gewehr und einen Revolver zu kaufen; sein Messer hatte er noch. Dann diktierte ich dem guten Pappermann einen Brief, den ich nicht gern selbst schreiben wollte. Er war an Hariman F. Enters gerichtet und lautete:

»Habe Wort gehalten und mich hier eingestellt. Lernte hier Eure Freunde Corner und Howe kennen. Bin darum weit eher fort, als ich eigentlich wollte. Trotzdem bleibt, was ich versprach. Wenn Ihr ehrlich seid, werde ich wieder zu Euch stoßen und Euch nach den beiden Orten führen, die ihr sehen wollt. Aber nur eben dann, wenn Ihr ehrlich seid!

Burton.«

Es war keine Kleinigkeit für Pappermann, diesen Brief zu schreiben. Er schwitzte dabei wie ein Holzhacker. Gegen drei Stunden dauerte es, ehe er fertig war, denn er mußte wegen Fehlern, Fettflecken und Klecksen, die er machte, so oft wieder neu anfangen, daß er schließlich wütend ausrief:

»Ist das eine Plage! Und ist das eine Qual! Einmal und nie wieder! Lieber sterben und verderben, als weißes Papier mit Tinte so schwarz machen müssen, daß man es dann lesen kann! Ich bin wahrhaftig zu allem bereit für Euch und für Eure Frau, für solche Marter aber nicht; nehmt es mir nicht übel!«

Daß ich mich unter den jetzt gegebenen Umständen nicht nach Trinidad setzte, um die Ankunft der Brüder Enters abzuwarten, verstand sich ganz von selbst. Wir hatten Besseres und Wichtigeres zu tun. Wie mein Name verschwiegen worden war, so sagten wir auch keinem Menschen, wohin wir von hier aus gingen. Auch der Wirt erfuhr es nicht.

Am Abend kehrten die Verfolger der Pferdediebe heim; sie hatten keinen einzigen von ihnen erwischt. Und der, welchen wir freigelassen hatten, schien doch nicht gleich wieder zum Dieb geworden zu sein, denn wir hörten davon, daß irgend jemandem ein Pferd weggekommen sei, nichts. Schon am nächsten Morgen verließen wir die Stadt, um in westlicher Richtung zunächst hinauf nach dem sogenannten Parkplateau zu kommen. Nicht einmal einen ganzen Tag waren wir in Trinidad gewesen. Und doch, so kurz dieser Aufenthalt, so bedeutend waren seine Folgen für uns. Das Wenigste davon war, daß wir nun zu Vieren anstatt zu Zweien ritten und daß wir nun infolge des Zeltes und seiner Ausstattung imstande waren, uns die Reise bequemer zu machen, als dies uns vorher als möglich erschienen war. Die Verteilung der Tiere war so, wie ich schon angegeben habe. Meine Frau, ich und der »junge Adler« hatten die Rappschimmell während Pappermann das beste der Maultiere ritt und die drei anderen zum Tragen des Zeltes und des Lederpaketes des Indianers verwendete. Was für Dinge oder was für einen Gegenstand dieses Paket enthielt, das wußten wir nicht. Wir fragten auch nicht danach. Dem Gewicht nach schien es Eisen zu sein, aber kein gewöhnliches, sondern sehr wertvolles Eisen. Das schlossen wir aus der Sorgfalt, welche der Eigentümer während des Auf – und Abladens auf das Paket verwendete.

Es ist mir für das, was ich zu erzählen habe, leider nur der Raum eines einzigen Bandes gestattet, während ich mit diesen Ereignissen doch recht gut vier oder auch fünf Bände füllen könnte, ohne meine Leser zu ermüden. Darum muß ich so kurz wie möglich sein und so manches auslassen, was ich nur sehr ungern übergehe. Dahin gehört vor allen Dingen die ausführliche Beschreibung des Weges, den wir nahmen. Ich muß mich darauf beschränken, zu sagen, daß es hinauf nach dem Ratongebirge ging, hinter dem das herrliche Tal des Purgatorio sich niedersenkt, um es von den gigantischen Massen des »spanischen Pik« zu trennen.

Es war ein großes, ein herrliches Gebirgspanorama, dem wir entgegenritten. Wir kamen ihm von Stunde zu Stunde näher, bis wir es erreicht hatten und uns dann immerfort inmitten von landschaftlichen Schönheiten befanden, die kein Ende nehmen wollten, sondern sich im Gegenteil stetig vermehrten und vergrößerten. Meine Frau, die jetzt zum ersten Mal mit da drüben war und stets gelächelt hatte, wenn ich der Meinung gewesen war, daß die Schönheiten des Harzes, des Schwarzwaldes, ja sogar der Schweiz sich unmöglich mit den landschaftlichen Wundern der Vereinigten Staaten vergleichen könnten, sah sich jetzt gezwungen, diese Zweifel fallenzulassen. Sie wurde still, ganz still. Und wenn sie das wird, so störe ich sie nicht, denn ich weiß, daß diese Wortlosigkeit bei ihr die Stille der Anbetung ist.

Es war um die Mittagszeit des dritten Tages, als wir an einem klar fließenden Wasser haltgemacht hatten. Da sprach ich mit ihr über die Unterschiede der landschaftlichen Schönheiten der Ebene und der Berge. Der »junge Adler« hörte nach seiner Gewohnheit bescheiden schweigsam zu. Pappermann gab zuweilen ein treffendes Wort dazu, denn er hatte sehr viel gehört und sehr viel nachgedacht und war trotz der Niedrigkeit seines Lebensweges keineswegs unbegabt. Jetzt sagte er:

»Diesen Unterschied werdet Ihr morgen in einem sehr sprechenden Beispiel vor Augen haben. Da kommen wir an einen ›See der Ebene‹, der aber zwischen himmelhohen Bergen liegt.«

»Kenne ich ihn?« fragte ich.

»Weiß nicht«, antwortete er. »Es ist der Kanubisee.«

»Von dem habe ich gehört. Sein Ebenbild oder vielmehr sein Urbild liegt im Staate Massachusetts. Ich bin von Lawrence aus dort gewesen. Dieser letztgenannte Kanubisee spielt in der Vergangenheit einiger Indianerstämme, besonders der Seneca, eine sehr wichtige Rolle. Seine im Sonnenschein funkelnden Wasser, seine weit und schön ausgebuchteten, mit sattem Grün geschmückten Inseln und Ufer waren so recht geeignet, der friedlichen Entwickelung des Stammeslebens als Unterlage zu dienen. Ich konnte mich von dem Anblick dieses Sees kaum trennen. Ich weiß, daß man einem hier oben liegenden Bergsee denselben Namen gegeben hat, und bin neugierig, zu sehen, ob er ihn verdient.«

»Wahrscheinlich verdient er ihn«, sagte Pappermann.

Er holte dabei tief, tief Atem.

»Wart Ihr mehrmals da?« fragte ich.

»Wie oft! – Wie oft!«

Wieder tat er einen tiefen Atemzug. War dieser See vielleicht eine Stätte trüber Erinnerungen für ihn? Ich schwieg, um ihm nicht weh zu tun. Er sah lange, lange vor sich hin, dann begann er selbst damit:

»An diesem See habe ich jenen niederträchtigen Schuß in das Gesicht bekommen, der mich für das ganze Leben entstellte und verbitterte.«

»Von wem?« fragte ich.

»Von einem gewissen Tom Muddy. Habt Ihr vielleicht jemals von diesem Schurken gehört?«

»Nein.«

»Er hieß wohl eigentlich nicht so, sondern anders. Seinen eigentlichen Namen habe ich nicht erfahren.«

»Seid Ihr ihm wieder begegnet?«

»Niemals, niemals, leider, leider! – Obgleich ich ein ganzes Menschenleben lang nach ihm gesucht habe, wie der Bettler nach dem ersparten Dollar, den er verloren hat und nicht wiederfinden kann. Ich spreche nicht gern davon; aber wenn es mich überkommt, wie stets, sobald ich den See erblicken so erzähle ich es Euch vielleicht heute abend. Für jetzt will ich Euch nur sagen, daß das mit den Seneca richtig ist.«

»Was?«

»Daß sie da unten in Massachusetts am Kanubisee wohnten. Wißt Ihr ihren eigentlichen Namen? Wie sie eigentlich heißen?«

»Ja. Senontowana.«

»Das stimmt. Der Name Seneca ist ihnen von den Weißen gegeben und aufgezwungen worden. Einer ihrer größten Häuptlinge hieß Sa-go-ye-wat-ha. Er liegt in Buffalo begraben. Man hat ihm da ein großes Denkmal gesetzt – – –«

»Obgleich er vor seinem Tod gebeten hat, ihn nur unter seinen roten Brüdern zu begraben, nicht etwa bei Bleichgesichtern!« fiel meine Frau da ein.

»So kennt Ihr ihn? Habt von ihm gehört?« fragte er sie.

»Wir waren an seinem Grab«, antwortete sie.

»Gott segne Euch dafür! Ich meine nämlich, wenn Ihr ein Grab besucht, so tut Ihr das nicht aus Neugierde, sondern weil Euch das Herz dazu treibt. Und ich habe eine ganz besondere Vorliebe grad für die Nation der Seneca.«

»Aus welchem Grund?«

»Weil – – weil – – weil – – – hm! Ich werde es Euch heute abend erzählen, nicht aber jetzt.

Herunter muß es nun doch einmal, weil diese alte Saite begonnen hat, zu klingen und zu zittern und gewiß nicht eher wieder aufhört, als bis wir den See im Rücken haben. Für jetzt aber erlaubt, daß ich schweige!«

Der Nachmittag führte uns inmerwährend bergan, bis wir eine Höhe erreichten, von welcher aus wir über eine weite, unter uns liegende, sich nach Westen dehnende Hochebene blickten. Die Sonne war im Sinken. In ihrem Strahl leuchtete aus der Mitte der Ebene ein großer funkelnder Diamant herauf zu uns, der rundum von einem weiten Kranz grüner Smaragde eingefaßt schien, deren Konturen flimmerten und glühten.

»Das ist der Kanubisee«, sagte Pappermann. »So nahe er uns zu liegen scheint, so weit ist er entfernt. Drei Stunden sind es von hier aus, bis man ihn erreicht. Darum lagern wir hier. Und zwar, wenn es Euch recht ist, an demselben Ort, an dem ich schlief, als ich zum ersten Mal in diese Gegend kam.«

Er führte uns nach einer auf drei Seiten ganz und auf der vierten auch noch halb eingeschlossenen Stelle, welche sehr guten Schutz gegen den hier oben sehr kühlen Nachtwind bot. Ein Wasser war in der Nähe. Futter für die Pferde gab es auch. So konnten wir uns also keinen besseren Lagerplatz wünschen. Das Zelt wurde schnell errichtet und ein Feuer angebrannt. Das Zelt war immer nur für meine Frau. Wir Männer zogen es vor, im Freien zu schlafen. Es war jetzt die wundersame Zeit des Indianersommers, in der man es selbst auf solcher Höhe des Nachts außerhalb des Zeltes aushalten kann.

Während des Essens wurde es Abend. Der Mond ging auf. Er stand im ersten Viertel. Die Luft war ohne Nebel, vollständig rein und klar. Wir konnten weit sehen, fast so weit wie am Tage, nur daß die Konturen jetzt unbestimmter waren und ineinander flossen. Der leuchtende Diamant war jetzt zur weißsilbernen Perle geworden. Pappermann begann, ohne von uns aufgefordert worden zu sein, zu erzählen.

»Genauso wie heut«, sagte er, »lag der See damals vor meinen Augen. Es zog mich zu ihm hinab. Ich wachte sehr zeitig auf und setzte mich auf das Pferd, um fortzureiten, ohne eigentlich ausgeschlafen zu haben. Es war in der Morgenfrühe kühl. Darum ritt ich ziemlich rasch und erreichte grad mit Sonnenaufgang den See. Ich sah im Gras Spuren von Menschen, von Indianern. Ich nahm mich also in acht, versteckte mein Pferd und ging den Spuren vorsichtig nach. Sie führten durch die Büsche an das Wasser. Dort angekommen, sah ich Hütten stehen, oder vielmehr Häuser. Nicht halbwilde Wigwams oder Zelte, sondern wirkliche Häuser, aus Balken, Bohlen, Planken und Schindeln hergestellt, genauso wie die Gebäude, aus denen früher, ehe die Weißen kamen, die Städte und Dörfer der Indianer bestanden. Mehrere Boote lagen am Ufer. Fischernetze waren zum Trocknen aufgehängt. Außerordentliche Sauberkeit überall. Nirgends ein Schmutz, eine Waffe, ein blutiger Rest eines Wildes, ein Zeichen von Jagd und Tod. Tiefes Schweigen ringsumher. Nichts regte sich. Die Türen waren geschlossen. Man schlief noch, und zwar ganz ohne Sorge, denn einen Wächter sah ich nicht. Es schien heute ein Ruhetag zu sein.

Ich schlich mich näher, bog um eine Ecke des Gebüsches und sah – sah – – sah das schönste Mädchen, ja bei Gott, das schönste, das allerschönste Mädchen, welches meine alten Augen, so lang ich lebe, jemals erblickten! ich bitte, es mir zu glauben! Sie saß auf einem hohen Steinblock des Ufers und schaute nach Osten, wo die Sonne soeben erschien. Sie war in weiche, weißgegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmeckt, weit über den Rücken herunter. Als die Kolibris im ersten Strahl der Sonne zu funkeln begannen, erhob sie sich von ihrem Sitz, breitete die Arme aus und sagte im Ton der Andacht und Bewunderung:

›O Manitou, o Manitou!‹

Weiter sagte sie nichts. Dann faltete sie die Hunde. Aber ich sage Euch, daß ich niemals in meinem Leben ein besser gemeintes und aufrichtigeres Gebet gehört habe, als diese einzigen zwei Wörter. So stand sie lange, lange, in die Sonne schauend. Ich blieb nicht stehen. Sie zog mich an wie ein Magnet, dem man nicht widerstreben kann. Ich schritt auf sie zu, aber langsam, zögernd, leise, in beinahe heiliger Scheu. Da sah sie mich. Sie erschrak nicht etwa. Sie bewegte keinen Fuß, keinen Finger, kein einziges Glied. Sie sah mich nur an. Aber mit so großen, offenen, erwartungsvollen Augen! In diesen Augen lag dieselbe Sonne, die dort im Osten aufgegangen war. Vor soviel Seltenheit und Schönheit wurde ich zum Dummkopf, zum Tölpel. Ich vergaß, zu grüßen. Heute kann ich mir wohl denken, wie klug und wie geistreich ich damals ausgesehen habe! Ich wußte und bemerkte nur das Eine, nämlich daß sie erwartete, von mir angesprochen zu werden. Das tat ich denn auch. Aber anstatt höflich zu sein und zu grüßen, beging ich die größte Unhöflichkeit, indem ich sie fragte: ›Wie heißt du?‹ Sie antwortete: ›Ich heiße Aschta!‹ Das kam mir zunächst wie ein Kosename vor; später aber erfuhr ich, daß Aschta ein wirkliches Indianerwort ist und soviel wie ›Güte‹ bedeutet. Also, sie hieß ›die Güte‹, und das war sie auch. Ich habe sie niemals anders als still, fromm, wohltätig, rein und gütig gesehen. Kein Flecken war je an ihrem Gewand, und kein unlauteres Wort ist je über ihre Zunge gekommen. Ich kann Euch sehr wohl sagen, daß ich damals sehr oft am Kanubisee gewesen bin und mich monatelang in seiner Nähe herumgetrieben habe. Ich bin stundenlang und tagelang an ihrer Seite gewesen, habe aber nicht ein einziges Mal Etwas von ihr gesehen und gehört, wovon ich sagen konnte, das war nicht schön, das war nicht gut von ihr. Darum war ich auch nicht etwa der einzige, dem sie so ausnehmend gefiel. Wer da kam, der wollte nicht wieder fort, allein nur ihretwegen. So auch Tom Muddy und – – – der Siou Ogallallah.«

Er machte hier eine Pause. Das benutzte meine Frau, ihn auf eine Unterlassungssünde aufmerksam zu machen:

»Aber, Mr. Pappermann, Ihr habt doch noch gar nicht gesagt, wem die Häuser am See gehörten und wer ihr Vater war!«

»Habe ich noch nicht? Hm! Ja, ganz richtig. Sie kommt bei mir immer voran, und dabei vergesse ich alles Andere. So war es schon damals auch. Ihr Vater war ein Medizinmann der Seneca. Nicht etwa einer jener Quacksalber und Possenreißer, die sich heutzutage Medizinmänner nennen lassen, sondern ein wirklicher und berühmter! Der hatte, von den Weißen wegen seines großen Einflusses auf die Roten verfolgt und bedrängt, mit noch einigen ihm gleich edelgesinnten Indianern seine Heimat verlassen, um sich vor ihnen nach dem ›Wilden Westen‹ zu retten. Er kam in diese Gegend. Er sah diesen See. Er war entzückt über seine Aehnlichkeit mit dem heimatlichen, schönen Wasserbecken. Er blieb da mit seinen Begleitern. Sie bauten sich Häuser, ganz in der alten Weise ihres Stammes, und nannten den See so, wie der in der Heimat geheißen hatte, nämlich Kanubisee. Diese neue Ansiedlung wurde sehr bald unter den weißen und roten Jägern des Westens bekannt und viel besucht. Sie bildete eine Friedensstätte für sie, an der sich Rot und Weiß, Freund und Feind treffen durften, ohne den Ausbrüchen des Hasses unterworfen zu sein. Denn es war zur Gewohnheit, ja, zum Gebot geworden, daß jede Feindschaft zu schweigen und nur Liebe und Friede zu walten habe.«

Er hielt für einige Augenblicke inne, holte tief Atem und sagte:

»Es war eine liebe, schöne Zeit! Die einzige Zeit meines Lebens, in der ich einmal wirklich Mensch gewesen bin, und zwar ein guter Mensch. Ich bitte Euch, mir das zu glauben!«

Dann fuhr er in seiner Erzählung fort:

»Zu den Weißen, welche am Kanubisee verkehrten, gehörte Tom Muddy, und zu den Roten ein junger Medizinmann der Sioux Ogallallah, der zu dem Vater von Aschta gekommen war, um sein Schüler zu sein und die Geheimwissenschaften der roten Rasse bei ihm zu studieren. Wo er eigentlich wohnte, das wußte niemand. Er verschwieg es, um in der tiefen Einsamkeit, die er für seine Studien brauchte, nicht gestört oder nicht etwa gar von einem Feind belästigt zu werden. Aber ich vermutete, daß er sich unten an einem Nebenwasser des Purgatorio seine Hütte errichtet habe, die er nur verließ, um zu seinem Lehrer hinaufzusteigen und neue Anweisungen zu holen. Er war ein schöner, junger Mann, in allen Waffen geübt, und dennoch so friedlich gesinnt, als ob es auf der ganzen Erde überhaupt noch nie eine Waffe gegeben habe. Daß Aschta ihn allen anderen, die da kamen, vorzog, war gar kein Wunder. Ich aber wußte hiervon nichts, sondern ich erfuhr es erst durch Tom Muddy.

Der war weder ein schöner, noch ein häßlicher Kerl, aber zudringlich und roh. Niemand wollte etwas von ihm wissen. Er hatte ein Auge auf Aschta, oder sogar alle zwei; sie aber wich ihm auf Schritt und Tritt aus und vermied so viel wie möglich alle Gelegenheit, mit ihm sprechen zu müssen. Das ärgerte ihn gewaltig. Denn er hatte es sich wirklich in den Kopf gesetzt, daß sie seine Frau werden solle. Ich glaube gar, er liebte sie nicht nur, sondern er haßte sie auch, eben weil sie ihm ihre Abneigung so offen und ehrlich zeigte. Das stritt und kämpfte in seinem Innern. Am liebsten verkehrte er mit mir. Warum, das weiß ich eigentlich noch heute nicht. Wahrscheinlich, weil ich der wertloseste von allen war und es nicht über das Herz brachte, mich von ihm derart zurückzuziehen, wie die andern es taten. Ich hütete mich natürlich sehr, ihn merken zu lassen, daß auch in meinem Herzen eine herrliche, große und von allen Sünden reine Liebe aufgegangen war und daß ich mein Leben tausendmal hingegeben hätte, um der schönen Indianerin dies beweisen zu können. Zuweilen kam mir freilich der Gedanke, sie stehe mir zu hoch, aber in gewissen Stunden, in denen ich mich selbst betrachtete, faßte ich doch eine Art von Mut. Da sagte ich mir, daß ich doch kein so ganz übler Bursche sei und mich mit manchem, manchem anderen sehr wohl vergleichen und messen könne. Das waren die Augenblicke, in denen ich mir vornahm, offen und ehrlich mit ihr zu reden. Aber sobald ich dann in ihre Nähe kam, sank mir das Herz wieder vor die Füße, und es fiel mir kein Wort von alledem ein, was ich ihr hatte sagen wollen.

Da kam ich eines schönen Tages von einer längeren Jagdstreife zurück und erfuhr von Tom Muddy, daß der Siou Ogallallah bei dem Vater von Aschta um sie geworben und die Erlaubnis erhalten habe, sie des Nachts zu rauben – – –«

»Zu rauben?« wurde er von meiner Frau unterbrochen. »War das notwendig?«

»Nicht nur notwendig, sondern auch schicklich. Ich habe mir sagen lassen, daß alle diese Gebräuche einen tiefer liegenden Grund und ihre eigene Bedeutung haben. Vater und Mutter haben ihr Kind, ihre Tochter erzogen, unter tausend schlaflosen Nächten, unter noch mehr Sorgen und Opfern. Da kommt ein fremder Mensch und nimmt sie von ihnen weg. Er raubt den Eltern den größten Teil des Herzens ihres Kindes, und dieses folgt ihm gern, ohne zu fragen, ob er es auch verdient. Diese inneren Vorgänge sollen durch die indianischen Verlobungsgebräuche äußerlich dargestellt werden. Die Tochter ist bereit, sich rauben zu lassen; aber die Eltern geben sich alle Mühe, dies zu verhüten. Sie wird eingesperrt, sehr wohl versteckt und scharf bewacht. Der Geliebte gibt sich ebenso große Mühe, die Eltern zu überlisten, und hilft das nicht, so greift er gar auch zur Gewalt. Es gibt da einen hochinteressanten Kampf zwischen dem gegenseitigem Scharfsinn, und der ganze Stamm befindet sich in Spannung, die einzelnen Phasen dieses Kampfes zu erfahren oder wohl gar daran teilzunehmen. Man hilft der einen oder der anderen Partei. Es kommt dabei zu Taten der Schlauheit und des persönlichen Mutes, durch welche der Werbende zeigt, was der Stamm dann später im öffentlichen Leben, in Krieg oder Frieden von ihm erwarten darf.«

»Als ich diese Neuigkeit von Tom Muddy erfuhr, war es mir, als ob ich von ihm einen schweren Faustschlag gegen die Stirn bekommen hätte. Das Gehirn begann mir zu brummen. Ich fühlte mich zunächst ganz dumm im Kopf. Tom Muddy aber war wütend. Er schwor das Blaue vom Himmel herunter, daß der Siou das Mädchen nicht entführen werde; es sei dafür gesorgt, daß ihm das nicht gelingen könne. Als ich ihn fragte, wodurch er das zu verhindern gedenke, verlangte er von mir einen Schwur, seinen Plan nicht zu verraten; dann solle ich ihn erfahren. Ich leistete den Schwur, doch natürlich nur, um die Ausführung dieses Planes zu verhüten. Da zeigte er mir seine Pistole. Sie war bis oben herauf mit Pulver geladen. Dieses Pulver sollte dem Siou in die Augen geschossen werden, um sein Gesicht zu entstellen und ihn zu blenden, für immer blind zu machen. ›Dann fällt es ihr gewiß nicht ein, seine Squaw zu werden!‹ fügte er hinzu, bevor er sich entfernte. Aber noch ehe er ging, erinnerte er mich an meinen Schwur. Sollte ich ihn etwa verraten, so werde er nicht nur den Siou blenden, sondern auch mich.«

»Der ist ja gar kein Mensch gewesen, sondern ein Teufel!« rief das Herzle aus.

»Wenn kein Teufel, so aber doch ein Schurke, dem nichts und nichts zu schlecht war, wenn es nur zum Ziel führte«, antwortete Pappermann. »Ich hielt es natürlich für meine Pflicht, die Missetat zu verhüten. Freilich, verraten durfte ich nichts. Doch hätten einige andeutende Worte gewiß genügt, den Siou die Gefahr, in der er sich befand, wenigstens ahnen zu lassen. Aber er war ja weder zu sehen noch zu sprechen. Von dem Augenblick an, an dem er die Erlaubnis erhalten hatte, Aschta zu rauben, hatte er sich in die tiefste Heimlichkeit zu hüllen und sich so vorsichtig anzuschleichen, als ob es sein Leben gelte. Da verstand es sich ganz von selbst, daß er nicht am Tage kommen konnte und daß ich mir die Nächte hindurch alle Mühe gab, ihn irgendwo zu erwischen. Das war gar nicht ungefährlich für mich, denn ich wußte, daß Torn Muddy genau dieselben Anstrengungen machte, an ihn heranzukommen. Ich hatte also die Doppelaufgabe, den einen zu vermeiden, den andern aber zu entdecken, und ich sage Euch, daß es gar nicht so leicht war, die nötige Vorsicht zu entwickeln. Es gehörte Übung dazu. So ging es über eine Woche lang, ohne daß meine Anstrengungen das geringste Ergebnis hatten. Dann kam eine mond- und sternenlose, feuchte Nacht, in der es zwar nicht regnete, aber es nässelte in einem fort. Trotzdem blieb ich nicht auf meinem warmen Lager, sondern kroch draußen herum, denn es war, als ob mir Jemand sage, daß grad in dieser höchst ungemütlichen Nacht etwas geschehen werde, was ich nicht versäumen dürfe. Ich kroch leise, leise an der Hinterseite des Hauses bis zur Ecke hin. Dort wollte ich liegen bleiben, um nach beiden Seiten hin lauschen zu können. Ich schob mich also, als ich die Ecke erreicht hatte, ein wenig vor und – – – Herrgott! Da lag schon Einer! Drüben auf der anderen Seite! Wir stießen fast zusammen. Er sah mich ebenso wie ich ihn, trotz der Dunkelheit und trotz der dicken, feuchten Luft. Aber wie ich ihn nicht erkannte, so konnte er auch mich nicht erkennen. Wer war es? Der Siou oder Tom Muddy? Schon öffnete ich den Mund, um ein leises, leises Wort zu sagen; da erhob der da drüben den Arm. Er hatte Etwas in der Hand. Ich konnte nur schnell das Gesicht zur Seite wenden, da krachte auch schon der Schuß. Ich bekam die ganze Ladung. Es ging kein Körnchen verloren. Doch glücklicherweise nicht in die Augen, sondern in die durch meine schnelle Bewegung dem Schurken zugewendete linke Seite des Gesichts. Ich hatte ihm zurufen wollen: ›Schieß nicht, schieß nicht!‹ war aber nicht dazu gekommen und gab auch jetzt keinen Laut von mir, weil ich die Besinnung verloren hatte. Es war zwar nur ein armseliger, lumpiger Pistolenschuß und zwar ohne Blei oder Kugel, aber doch so ganz und gar nahe abgeschossen, daß ich aus meiner kauernden Lage niederfiel wie ein Sack, den man umgestoßen hat, und leblos liegenblieb, bis man mich fand und in das Innere des Hauses trug, um mich in das Leben zurückzubringen.«

»Man hatte nämlich den Schuß gehört und war herausgeeilt, um seiner Ursache nachzuforschen. Der Medizinmann kam; seine Frau kam; Aschta, seine Tochter, kam, und andere kamen auch. Während sie alle um mich beschäftigt waren, kam noch ein anderer, nämlich der Siou Ogallallah. Er kam geschlichen wie ein unhörbarer Windeshauch und war klug genug, die Situation sofort für sich auszunutzen. Als man mich in das Haus gebracht und dort niedergelegt hatte, erscholl draußen der laute Siegesruf der Ogallallah. Man horchte auf. Man vermißte die Tochter. Man wußte, woran man war: die Entführung war gelungen. Der Siou brauchte sich nur mit Aschta zu entfernen, so war sie sein. Aber das tat er nicht; er hatte es nicht nötig. Er hatte sie geholt, und sie war ihm gefolgt, aus der Aufsicht der Eltern hinaus. Das genügte! Er brachte sie wieder herein und wurde von den Eltern als Sohn empfangen. So war durch den Schuß Tom Muddys also grad das begünstigt und herbeigeführt worden, was er hatte verhüten sollen. Ich aber lag lange Zeit im Delirium und habe vor Schmerzen gepfiffen wie ein Hund, den irgend ein Vivi lebendig zu Tode schindet. Dann habe ich mich, sobald ich wieder auf den Beinen war, aus dem Staub gemacht, ohne Etwas zu verraten. Kein Mensch, als nur ich und Tom Muddy, kannte den Täter und den eigentlichen Grund des Schusses. Und dieser Schuft ist seit jener Nacht verschwunden, spurlos verschwunden, so heiß auch mein Verlangen gewesen ist, ihm wieder zu begegnen. Als ich dann nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder nach dem Kanubisee kam, fand ich die Häuser leer; sie waren verlassen. Die Seneca waren von einer Bande weißer Buschklepper überfallen und getötet worden bis auf den letzten Mann. Von ihnen allen lebte nur noch Aschta, weil sie den See verlassen hatte, um dem Siou Ogallallah zu seinem Stamme zu folgen.«

»Habt Ihr sie wiedergesehen?« fragte meine Frau.

»Nein, nie! Ich habe die Ogallallah stets als Feinde der Weißen betrachtet und mich gehütet, viel mit ihnen in Berührung zu kommen. Erkundigt habe ich mich freilich einige Male. Da erfuhr ich, daß die schöne Senecasquaw des Medizinmannes sehr glücklich sei. Er habe droben am Niobrara für sich und seine Schüler eine eigene Reservation gegründet und lebe dort nur für alte Totems und Wampums, die er sammle und für die Bücher, die er sich von den Bleichgesichtern schicken lasse. Er sei sogar unter den Weißen ein sehr geehrter und sehr berühmter Mann.«

Bei diesen letzten Worten Pappermanns fragte ich ihn schnell:

»Ihr kennt natürlich den Namen dieses Indianers?«

»Ja«, nickte er.

»Heißt er Wakon?«

»Ja, nur Wakon.«

»Es steht kein anderes Wort, kein anderer Name dabei?«

»Nur Wakon!« wiederholte er.

»So kenne ich ihn, obgleich ich ihn noch nie gesehen habe. Er hat sein ganzes Leben und seine ganze Kraft dem Studium der Geschichte der roten Rasse gewidmet und Werke über sie geschrieben, die leider noch nicht erschienen sind, weil er sie erst dann veröffentlichen will, wenn auch der letzte Band vollständig vollendet ist. Man ist auf dieses sein Lebenswerk mit Recht ungewöhnlich gespannt.«

»Wie alt ist er jetzt?« fragte das Herzle.

»Das ist Nebensache«, antwortete ich. »Wahrhaft große Männer pflegen nicht eher zu sterben, als bis sie wenigstens innerlich das erreicht haben, was sie erreichen wollten oder sollten. Die sogenannten Helden des Krieges und der Schlachtfelder sind hiervon natürlich ausgenommen. Seid Ihr müd?«

Diese letztere Frage richtete ich an Pappermann, der sich in seine Decke zu wickeln begann, als wolle er sich niederlegen.

»Müd eigentlich nicht«, antwortete er; »aber fast wie wieder von dem Schusse Tom Muddys getroffen. Das ist die Erinnerung! Ich habe sie sehr lieb gehabt, diese Indianerin, sehr! Ich habe niemals, niemals wieder ein Frauenzimmer daraufhin angesehen, ob ich sie zum Weibe haben möchte. Ich bin ein einsamer Mensch geblieben und werde wohl, wenn meine Stunde kommt, auch ebenso einsam sterben – – –. Ich will versuchen, zu schlafen. Gute Nacht!«

Wir erwiderten seinen Wunsch »gute Nacht«, doch ging er nicht in Erfüllung, weder bei ihm noch bei uns. Er wälzte sich wohl zwei Stunden lang von einer Seite auf die andere; dann wickelte er sich wieder aus seiner Decke, stand auf und ging fort, um sich durch eine Wanderung zu beruhigen. Er war um Mitternacht noch nicht wieder da; da schlief ich ein. Aber schon vielleicht nach zwei Stunden wachte ich wieder auf. Da saß er an seiner Stelle; er war zurückgekehrt, hatte sich aber nicht niedergelegt. So setzte ich mich also auch auf. Und kaum hatte ich das getan, so richtete sich der »junge Adler« in die Höhe. Da erklang vom Zelt her die Stimme meiner Frau:

»Auch ich schlafe nicht! – Darf ich einen Vorschlag machen?«

»Welchen?« fragte ich.

Sie öffnete die Leinwandspalte, an der sie gestanden hatte, noch weiter, trat ganz hervor und antwortete:

»Wollen aufbrechen! Fort! Hinunter nach dem See! Wir schlafen doch nicht wieder ein! Das sind die Folgen so alter Geschichten!«

Da sprang Pappermann auf und stimmte bei:

» Well! Aufbrechen! Fort! Dann kommen wir genau zum Sonnenaufgang an, wie damals ich! Seid Ihr es zufrieden?«

Ich stimmte bei, und der »junge Adler« natürlich auch. Das Zeit wurde abgebrochen. Dann ritten wir den breiten, bequemen Terrainabfall nach der Hochebene des Sees hinunter. Der Morgen begann leise zu grauen. Wir hatten grad genug Dämmerlicht für die Augen unserer Pferde, daß sie sahen, wohin sie traten. Dann wurde es heller und heller.

War es wirklich nur die Folge der Erzählung Pappermanns, daß wir nicht hatten schlafen können? Oder gab es irgendeine Bestimmung, die uns veranlaßt hatte, um so viel früher aufzubrechen, als erst in unserer Absicht gelegen hatte? Sonderbar!

Wir ritten still nebeneinander her. Wir erreichten die Ebene, auf der wir schneller vorwärts kamen. Der Morgen nahte. Es wurde Tag. Und grad als die Sonne aufging, erreichten wir den äußeren Rand des grünen Laub- und Blätterwaldes, der den See von allen Seiten umsäumte. Eine schmale, wiesenartige Lichtung führte in diesen Wald hinein. Sie wurde immer schmaler und bildete schließlich einen Weg von nur fünf oder sechs Meter Breite.

»Das ist derselbe Weg, den ich damals kam«, sagte Pappermann. »Nur ist der Wald jetzt höher und dichter geworden. Hier fand ich die Spuren. Und nur eine kurze Strecke weiter sehen wir das Wasser des Sees.«

Er ritt diese Strecke voran. Dann wendete er sich nach uns um, deutete aber vorwärts und sagte:

»Da sind die letzten Büsche. Und nun kommt der See und der hohe Stein, auf dem Aschta damals saß – – – mein Himmel!«

Er war um die erwähnten letzten Büsche gebogen, ritt aber nicht weiter, sondern blieb halten, stieß diesen Ausruf der Überraschung, des Erstaunens aus und starrte nach einem Punkt, der uns noch hinter dem Gesträuch verborgen war. Wir ritten schnell hin. Da sahen wir nun freilich, daß er sehr wohl Veranlassung hatte, zu erstaunen. Ja, unser Erstaunen war ebenso groß wie das seinige.

Wir hatten den See erreicht. Wir befanden uns an seinem östlichen Rand. Ja, er war es wert, mit dem gleichnamigen Kanubisee in Massachusetts verglichen zu werden. Doch hatten wir jetzt nicht Zeit, uns mit seiner Schönheit zu beschäftigen. Rechts von uns lagen die Überreste der einstigen Senecahäuser, von dem ersten Gruß der Sonne überflutet. Vor uns die vom leisen Morgenhauche bewegte, durchsichtig grünblaue Wasserfläche, deren reich eingebuchtete Ufer sich wie Kulissen aus- und ineinander schoben, von üppigem Grün bewachsen, dessen Blätter wie eingetaucht in flüssiges Metall erschienen. Und links von uns, wo die Büsche bis ganz nahe an das Ufer traten, der hohe, weiße, glattgewaschene Stein, und auf ihm stehend – – – eine junge Indianerin, genau, ganz genauso, wie Pappermann sie uns gestern am Abend beschrieben hatte: Sie war in weiche, weißgegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmückt, weit über den Rücken herunter. Die Kolibris funkelten im Sonnenstrahl in allen Farben leuchtender Edelsteine; aber das Mädchen schaute nicht, wie damals, der Sonne entgegen, sondern ihr Angesicht war nach der Stelle gerichtet, an der wir ihr jetzt erschienen. Und dieses Mädchen war schön, sehr schön, sowohl von Angesicht, als auch von Gestalt. Sie bewegte kein Glied. Sie sagte kein Wort. Sie sah uns still und erwartungsvoll aus ihren großen, dunklen Augen entgegen.

Und, sonderbar! Pappermann glitt langsam von seinem Maultier herab, schritt ebenso langsam, ganz wie mechanisch auf sie zu, als ob ihn eine tiefe, heilige Scheu umfange, und fragte:

»Wie heißest du?«

»Ich heiße Aschta«, antwortete sie, genau wie ihm damals geantwortet worden war.

»Und wie alt bist du?«

»Achtzehn Sommer.«

Da strich er sich mit der Hand über das Gesicht und sagte, als ob er träume:

»Also nein! Das konnte ja gar nicht sein! Sie ist eine Andere, wenn auch ihr ähnlich, so ganz außerordentlich ähnlich!«

»Sprichst du von meiner Mutter?« fragte nun sie.

»Man sagt, daß ich ihr überaus ähnlich sehe.«

»Du hast eine Mutter?«

»Ja.«

»Wie heißt sie?«

»Aschta, wie ich.«

»Und dein Vater?«

»Heißt Wakon. Wir wohnen weit im Norden von hier, am Niobrarafluß.«

Da schlug er die Hunde zusammen und rief:

»Sie ist eine Tochter von ihr – eine Tochter!«

Da bog sie ihren Oberkörper weiter vor, als ob sie vom Steine herunterspringen wolle, und sagte:

»Du kennst meinen Vater und meine Mutter? Und die Hälfte deines Gesichtes ist vom Pulver verbrannt! Heißest du vielleicht Pappermann?«

»Ja, so heiße ich.«

»Du warst zu derselben Zeit hier am Kanubisee, als Vater und Mutter einander kennenlernten?«

»Ja, zu derselben Zeit.«

Da stieg sie vom Stein herab und bat:

»Reiche mir deine Hände!«

Er tat es. Sie ergriff sie, küßte sie ihm einmal, zweimal, zog dann seinen Kopf zu sich heran, küßte ihn einmal, zweimal auch auf die dunkle Wange und sprach:

»Du bist der Retter meines Vaters! Hast dich für ihn geopfert. Warum kamst du nie zu uns? Vater und Mutter haben niemals aufgehört, sich nach dir zu erkundigen, doch ohne zu erfahren, wo du bist!«

Der alte Westmann zitterte vor Aufregung und Rührung. Er weinte.

»Woher weiß dein Vater, daß jener Schuß nicht mir, sondern ihm gegolten hat?« fragte er. »Ich habe es nie verraten!«

»O doch! Aber ohne daß du es wolltest. Du hast es im Fieber erzählt. Vater hat jenen Menschen zweimal wiedergesehen, doch ohne ihn fassen zu können. Sein richtiger Name war nicht Tom Muddy, sondern Sander. Als gestern abend Euer Feuer wie ein ganz, ganz kleiner, flackernder Stern vom Berge leuchtete, sagte Mutter zu mir: ›So leuchtete damals das Lagerfeuer unseres weißen Retters von genau da oben herab, am Abend, bevor ich ihn zum ersten Mal sah.‹«

»Deine Mutter ist hier?« erkundigte er sich schnell.

»Sie war hier, ist es aber nicht mehr«, antwortete sie. »Es waren viele Frauen und Töchter hier, die aber mit dem Morgengrauen fortgeritten sind. Ich blieb allein zurück – – – als Wache, als Kundschafterin.«

»Als Kundschafterin?« fragte er lächelnd. »Wenn wir nun Feinde wären?«

»So hättet ihr mich nicht zu sehen bekommen.«

»So hast du wissen wollen, wer wir sind?«

»Weil wir Euer Feuer gesehen hatten, ja.«

»Und woraus erkanntest du, daß wir nicht gefährlich seien?«

»Weil eine Squaw sich bei euch befand.«

»Ah! Ganz richtig, ganz richtig! Nun mußt du wohl schnell von hier fort?«

»Ja, um die Anderen einzuholen. Doch werde ich diesen Ort nicht mehr verlassen, ohne von dir erfahren zu haben, wann und wo wir dich sehen und treffen können.«

»Wohin reitet ihr?«

»Das darf ich nicht sagen.«

Da stieg der »junge Adler« vom Pferd, trat hinzu und sagte:

»Du darfst! – Schau her! Ich bin dein Bruder.«

Er trug den neuen Lederanzug, den Pappermann ihm aufgehoben hatte; den alten hatte er weggeworfen. In diesem neuen Anzug nahm er sich sehr stattlich aus. Er deutete auf die rechte Seite der Brust, wo ein kleiner, zwölfstrahliger Stern aus Perlen eingesteckt war. Ich sah an ihrem Gewand an der gleichen Stelle ganz den gleichen Stern.

»Du bist ein Winnetou?« f ragte sie, ihn jetzt genauer betrachtend.

»Ja.«

»Und ich bin eine Winnetah. Wir tragen also beide den Stern des großen Winnetou und sind also Bruder und Schwester. Ich bin ein Siou Ogallallah. Und du?«

»Ein Apatsche vom Stamm der Mescaleros.«

»Also von Winnetous Stamm. Ich bitte dich, mir deinen Namen zu sagen. Oder hast du noch keinen?«

»Ich habe einen«, lächelte er. »Man nennt mich den ›jungen Adler‹.«

Da machte sie eine Bewegung der Überraschung.

»Man weiß, daß ein Lieblingsschüler des berühmten Tatellah-Satah diesen Namen trägt. Er bekam ihn schon in früher Jugend, wo Andere noch lange Zeit ohne Namen sind. Kennst du ihn?«

»Ja.«

»Er war der Allererste, dem Tatellah-Satah erlaubte, den Stern unseres Winnetou zu tragen. Weißt du, wo er sich jetzt befindet?«

»Ja.«

»Darfst du es mir sagen?«

»Niemand verbietet es mir. Er steht vor dir.«

»Du, du bist es? Du selbst, du selbst?« fragte sie, indem ein Glanz aufrichtiger Freude ihre Wangen überflog. »Man sagte, du seiest verschwunden?«

»Man sagte die Wahrheit«, antwortete er.

»Um den heiligen Ton der Friedenspfeife zu holen?«

»Ja. Und noch Schwereres dazu.«

»Man erzählte, du habest dir selbst dabei eine schwere, sehr schwere Aufgabe gestellt?«

»Auch das ist wahr.«

»Ist dir die Lösung gelungen?«

»Sie gelang. Unser großer, guter Manitou hat mich geführt und beschützt. Seit ich den Mount Winnetou verließ, sind über vier Jahre vergangen. Nun kehre ich zurück. Du hast denselben Weg?«

»Ja.«

»So will ich nicht fragen, wohin ihr heute reitet, denn ich weiß, daß ich dich wiedersehen werde.«

»Wünschest du das?«

»Ja. Und du?«

»Ich auch.«

»So bitte, gib mir deine Hand!«

»Ich gebe dir beide!«

Sie reichte sie ihm und schaute ihm mit großen, offenen Augen in das männlich schön gezeichnete, ernste Gesicht. Er aber sah über den See hinüber, wie in eine weite, weite Ferne hinein. Es gab eine kurze Zeit des Schweigens. Dann sagte er:

»Die Enkelin des größten Medizinmannes der Seneca, welche die Tochter Wakons ist, des Forschenden und Wissenden, und der Schüler des unerreichbaren Tatellah-Satah, bei dem die zertretene Seele der roten Rasse ihre einzige und letzte Zuflucht fand: das bist du, und das bin ich. Manitou ist es, der uns hier zusammenführte. Wir trennen uns nur zum Schein. Es soll ein Segen, ein großer Segen ausgehen von dem Ort, an dem wir uns wiederfinden. Sei gesegnet, du liebe, liebe, du schöne Winnetah!«

Er küßte ihr beide Hunde und fragte dann:

»Wann verläßt du diesen See?«

»Sofort«, antwortete sie. »Aber ehe ich gehe, muß ich dich fragen, wohin euer Ritt von hier aus zunächst gerichtet ist.«

»Nach der Devil pulpit. Kennst du sie?«

»Ja. Wie gut, daß ich dich fragte. Ich warne dich!«

»Vor wem?«

»Vor Kiktahan Schonka, dem alten Kriegshäuptling der Sioux Ogallallah.«

»Vor deinem eigenen Häuptling?!«

» Pshaw!« rief sie stolz aus. »Aschta kennt keinen Häuptling über sich. Es geht ein tiefer, tiefer Riß durch die Dakotahstämme. Die jungen Krieger sind für Winnetou, die alten aber gegen ihn. Nimm dich in acht! Ich weiß, daß Kiktahan Schonka nach der Devils pulpit kommt, um sich dort mit den Häuptlingen der Utah zu treffen und zu beraten. Hüte dich, ihnen in die Hunde zu fallen! Weißt du, daß man sagt, Old Shatterhand werde kommen?«

»Ich weiß es.«

»Und glaubst du, daß dieses Gerücht begründet ist?«

»Ich glaube es.«

»So werden wir ihn sehen, wenn es ihm gelingt, den Gefahren zu entgehen, die auf ihn lauern.«

»Kennst du sie, diese Gefahren?«

»Nein. Ich weiß nur, daß man hofft, ihn, wenn er wirklich kommen sollte, zu ergreifen. Ihn am Marterpfahle sterben zu lassen, war der glühende Wunsch aller Feinde seines Bruders Winnetou. Man sagt, er sei sehr alt und grau geworden. Im Alter kommt die Kraft dem Körper und die Energie der Seele abhanden. Wie würde man jubeln, wenn dem Hochbetagten jetzt nun geschähe, was er in der Jugend so oft vereitelt hat! Wenn ich wüßte, wann und wo er kommt, so stellte ich Späher aus, um ihn warnen zu lassen.«

»Sorge dich nicht um ihn, Aschta! Denn was deine Späher ihm sagen würden, das wurde ihm bereits gesagt.«

»So ist er gewarnt?«

»Ja.«

»Dem Manitou sei Dank! Nun kann ich gehen. Warte! Nur einen Augenblick!«

Sie entfernte sich nach der Ruine des nächsten Hauses, hinter welcher, wie wir dann sahen, ihr Pferd verborgen war. Sie stieg dort auf, kam herbeigeritten und blieb bei uns halten, um dem »jungen Adler« die Hand zu reichen.

»Leb wohl!« sagte sie. »Wir sehen uns wieder!«

Dann fragte sie Pappermann:

»Weißt du auch, daß ich diesen Ort nicht eher verlassen werde, als bis ich weiß, wo wir dich treffen werden? Sag mir einen Ort, der dir beliebt. Wir kommen!«

Pappermann wußte nicht, was er antworten sollte, darum erwiderte er:

»Ich reite mit dem ›jungen Adler‹; wohin, das weiß ich jetzt noch nicht.«

»Du wirst bei ihm bleiben?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Solange es ihm gefällt.«

»So bin ich zufrieden! Ich weiß, daß ich dich ganz bestimmt wiedersehen werde.«

Hierauf wendete sie sich zu meiner Frau und mir. Sie reichte auch uns beiden die Hand und sprach:

»Es wurde mir nicht gesagt, wer ihr seid; darum ist es verboten, zu fragen. Lebt wohl!«

Dann ritt sie davon, an den Ruinen vorüber, um nach den Büschen einzubiegen, hinter denen sie verschwand. Pappermann und der »junge Adler« schauten hinter ihr drein, bis sie fort war; dann ging der Erstere ihr langsam, wie ein Träumender nach. Der junge Indianer blieb noch eine Weile an derselben Stelle stehen; dann wendete er sich mit einem Rucke um, als ob es ihm Anstrengung verursache, sich von dem Eindruck ihrer Persönlichkeit loszureißen. Wir beide aber stiegen nun auch von den Pferden, und ich machte mich darüber, die Spuren derer, welche hier gewesen waren, zu untersuchen. Das Herzle ging indessen an die Zubereitung des Morgenkaffees.

Früher hatten wir uns diesen Ritt natürlich ohne Kaffee und sonstige ähnliche Genüsse gedacht; aber da wir in Trinidad so ganz unerwartet zu Maultieren und einem sehr guten Zelt gekommen waren, so hatten wir uns vor unserer Abreise von dort mit einigen jener angenehmen und nützlichen Dinge versehen, welche dem sogenannten zivilisierten Menschen sogar im »Wilden Westen« beinahe unentbehrlich sind. Daß hierzu auch der Kaffee gehörte, versteht sich ganz von selbst.

Ich ersah aus den Spuren, daß ungefähr vierzig Personen hier gewesen waren, unter ihnen nur zwei männliche, in denen ich die Führer vermutete. So etwas hätte früher nie stattfinden können; sie wären alle verloren gewesen. Allerdings waren sie lauter Indianerinnen und also, wenn auch nicht persönlich, so doch durch die Tradition mit den Eigenheiten und den Anforderungen der Wildnis vertraut.

Als Pappermann wiederkam, meldete er, daß Aschta genau nach Süd geritten sei, wohin auch alle anderen Spuren führten; unser Ziel aber lag westlich von hier. Dann fragte er, indem er sich zu uns niedersetzte:

»Ist das nicht ein Wunder, ein wahres Wunder? Genau wie damals, ganz genau? Und sie wissen es, daß der Schuß damals nicht mir gegolten hat! Und gesucht haben sie nach mir! Gesucht bis heutigen Tages! Diese guten, guten Menschen! Heute ist der größte Feiertag meines Lebens! Ja wahrlich, der größte Feiertag! Wenn es Winter und Dezember wäre, so würde ich sagen: Heut ist Weihnacht für mich, und der Herrgott hat beschert. Ja, der Herrgott selbst, denn kein Anderer kann so etwas geben, so ein Glück! So ein wirklich großes und wirklich wahres Glück!«

Hierauf wurde er still, sehr still. Denn je tiefer und reiner das Glück ist, desto weniger macht es Worte! Auch für mich hatte das Zusammentreffen mit dieser jungen, schönen Indianerin eine große Bedeutung, und zwar nicht nur eine rein äußerliche. Ich hatte von hier aus in die Zukunft, in die Ferne zu folgern und zu schließen. Besonders interessant mußten mir die zwei Perlensterne sein. Sie waren ein Erkennungszeichen. Der »junge Adler« sagte nichts hierüber; so fragte ich also auch nicht. Ich wußte ja auch ohne Frage und Antwort, woran ich war. Es handelte sich hier ganz einfach um den großen Unterschied zwischen »Stamm« und »Clan« bei der roten Rasse.

Das ist ein Gegenstand von größter Wichtigkeit, obgleich es selbst ernsten Forschern noch nicht geläufig gewesen ist, ihm die Aufmerksamkeit zu widmen, die er ohne alle Frage verdient. Wie viele Menschen, besonders sogenannte Volks- oder gar Jugendschriftsteller, haben schon »lndianerbücher« geschrieben, ohne von dem Außen- und Innenleben der amerikanischen Rasse auch nur die geringste, positive Kenntnis zu besitzen! Und das wird dann von Anderen, die noch weniger wissen, gelobt und warm empfohlen! Ich wurde schon von vielen, sogar von sehr vielen »lndianerschriftstellern« besucht; aber es gab keinen, wirklich keinen Einzigen unter ihnen, der von dem Allerersten, was man da zu studieren hat, nämlich von den Clanverhältnissen, etwas wußte.

Wie in der Entwickelung der Menschheit im allgemeinen, so machen sich auch in der Entwickelung jeder einzelnen Rasse zwei einander grad entgegengesetzte Bestrebungen bemerkbar, nämlich der Zug der Zerklüftung und der Zug nach Vereinigung, oder sagen wir, der Zug nach Einheit und der Zug nach Vielheit. Die Zerklüftung beginnt ihren Weg bei dem, was man als Menschengeschlecht bezeichnet, geht über die Rasse, die Nation, das Volk, die Stadt, das Dorf immer weiter herab und hört erst beim abgelegenen Einödhof auf, dessen Besitzer sich nur bei gewissen Gelegenheiten darauf besinnt, daß er auch mit zur Menschheit gehört. Das ist der Weg des Patriotismus, der Vaterlands- und Heimatliebe, aber auch der Weg der nationalen Selbstüberhebung, der politischen Rücksichtslosigkeit. Der andere Weg ist dem direkt entgegengesetzt. Er führt zur Vereinigung aller Einzelnen durch einen einzigen, großen Gedanken zu einem einzigen, großen Volk. Welcher von diesen beiden Wegen der Weg zum wirklichen, zum wahren Glück ist, das hat die Menschheit noch bis heute nicht erkennen wollen, also muß sie es durch bittere Erfahrung kennen lernen.

Wie schmerzlich, ja, wie grausam diese Erfahrung ist, das zeigt sich bei keiner Rasse so deutlich wie bei der amerikanischen. Sie ist es, welche die Zerklüftung, die Zerspaltung am allerweitesten getrieben hat. Nirgends, selbst im fernsten, dunkelsten Orient nicht, ist die einst mächtige, imponierende Einheit in so kleine, winzige, ohnmächtige Brocken und Bröckchen zerrieben und zerkleinert worden wie bei den Indianern. Jeder dieser Brocken, jeder dieser vielen Stämme und jedes dieser unzähligen Stämmchen ist stolz auf sich selbst und stets bereit, aus lauter Selbstschätzung vollends zugrunde zu gehen. Diese Zersetzung hätte schon längst zur völligen Vernichtung geführt, wenn die großen Medizinmänner der Vergangenheit nicht bemüht gewesen wären, ihr entgegenzuarbeiten, und zwar in doppelter Weise, nämlich zunächst in theologischer und sodann in sozialer.

Der theologische Weg der Vereinigung lag in dem Gedanken, »Großer Geist« oder »Großer, guter Manitou«. Die Forschung hat gezeigt und wird noch weiter zeigen, daß der echtblütige Indianer gläubiger Monotheist war und sich dabei glücklich fühlte, bis die zersetzende Vielgötterei sich von außen her tief in sein Inneres bohrte und den großen Niagarafall des Rassensturzes und der Rassen- und Sprachzerstäubung vorbereitete. Und der soziale Weg der Vereinigung wurde in dem Gedanken der Clans gegeben, durch welche die äußerlich zerspaltenen Stämme innerlich wieder verbunden und zusammengehalten werden sollten. Freilich darf man das Wort Clan hier nicht im englischen resp. schottländischen Sinn nehmen. Es wurde ein Clan der Wahrhaftigkeit, der Treue, der Wohltätigkeit, der Beredtsamkeit, der Ehrlichkeit gegründet. Wer sich in der Beredsamkeit üben wollte; wer sich vornahm, das ganze Leben hindurch wohltätig zu sein; wer sich stark genug fühlte, niemals eine Lüge zu sagen, niemals untreu oder unehrlich zu sein, der konnte dem betreffenden Clan beitreten und sich durch Wort und Handschlag verpflichten, das betreffende Gebot zu erfüllen und lebenslang zu halten. Wer es auch nur einmal übertrat, der wurde ausgestoßen und galt als ehrlos für immer. Der leichteren Unterscheidung wegen und um ein sichtbares Erkennungszeichen zu ermöglichen, nahm jeder Clan den Namen irgendeines Tieres an, dessen Bild als Merkmal diente. So habe ich bereits gesagt, daß der große Redner der Seneca, dessen Grab wir in Buffalo besuchten, zum Clan der Wölfe gehörte. Es gab einen Clan der Adler, der Geier,. der Hirsche, der Bären, der Schildkröten und so weiter.

In einen solchen Clan konnte ein jeder eintreten, wes Stammes er immer war. Selbst der Todfeind wurde angenommen und aus allen Kräften beschützt und unterstützt, wenn er die ihm auferlegte Bedingung treu und ehrlich erfüllte. So sehr zum Beispiel die Kiowas und die Navajos einander haßten und sich gegenseitig bis auf Blut und Tod verfolgten, sobald sie sich als Mitglieder eines Clan erkannten, war diese Feindschaft augenblicklich und für stets vergraben. Man kann sich denken, wie segensreich diese Clans wirkten! Leider, leider aber hörte das auf, als die »Bleichgesichter« erschienen und ihnen gestattet wurde, auch beizutreten. Sie nützten die Clans nur für ihre persönlichen Zwecke aus und steckten die Vorteile ein, die ihnen daraus erwuchsen, ohne aber ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dadurch büßten die Clans ihren guten Ruf, ihre moralischen Kredite ein und somit auch die großen, sozialen Wirkungen, auf welche hin sie von ihren Gründern berechnet waren. Es blieb der Zukunft vorbehalten, ob sie überhaupt wieder aufleben würden oder nicht.

Immer waren die Clans nach Tieren benannt, niemals aber nach einem Menschen. Wenigstens ist es mir nicht erinnerlich, von einem solchen Fall gehört zu haben. Vielmehr war ein solches Beispiel jetzt soeben zum ersten Mal an mich herangetreten: Ein Clan mit dem Namen Winnetou! Denn daß es sich um einen Clan handelte, verstand sich ganz von selbst, und das Erkennungszeichen für die Zugehörigen war der zwölfstrahlige Stern, den der »junge Adler« und Aschta an ihren Gewändern trugen. Wann war dieser Clan gegründet? Vor wenigstens vier Jahren. Denn so alt war der Anzug, den der »junge Adler« jetzt trug. Dieser junge Indianer war der Allererste, der in den neuen Clan aufgenommen wurde, und zwar von Tatellah-Satah, der also der Gründer dieser Winnetou-Vereinigung war, deren männliche Mitglieder sich als »Winnetou« und die weiblichen sich als »Winnetah« bezeichnen durften. Welchen höheren Zweck hatte dieser Clan? Und welche Verpflichtungen legte er seinen Mitgliedern auf? Ich fragte nicht, denn ich hoffte, es sehr bald zu erfahren. Daß seine Ziele eminent friedliche waren, konnte man schon aus der Stammesangehörigkeit der beiden Mitglieder ersehen, die ich jetzt kannte: ein Apatsche und eine Siou Ogallallah, also zwei Nationen angehörig, die sich unbedingt als Todfeinde zu betrachten hatten! – – –

Während des Kaffeetrinkens sagte uns Pappermann, daß wir heute Abend die Devils pulpit erreichen würden.

Er bat nur um eine Stunde Aufenthalt hier am Kanubisee, um sich da wieder einmal umsehen zu können. Dagegen hatten wir nichts. Wir hätten ihm sehr gern noch viel länger Zeit gegeben. Aber die Stunde war noch nicht vorüber, so kehrte er von seinem Rundgang schon zurück und sagte:

»Wollen aufbrechen, wenn es Euch recht ist! Und wenn ich noch länger hier herumkrieche, so finde ich doch mehr Bitterkeiten als Süßigkeiten, und das brauche ich mir alten Kerl doch wohl nicht anzutun!«

Recht hatte er. Auch dieser Kanubisee war schön, sehr schön, aber seine Wasser hatten für uns keinen frohen, sondern einen mehr als elegischen Schimmer, und so blieb er in unserer Erinnerung nur als der Ort einer kurzen Rast, auf welche neue Wanderung zu folgen hatte. Wir ritten in das Tal des Purgatorio hinab und folgten dort einem schmalen, kristallklaren Wasser, welches uns nach unserm Ziel zu führen hatte. Wir erreichten es, doch erst dann, als es bereits fast dunkel geworden war, so daß ich vorschlug, lieber heut noch außerhalb des Bereiches der »Teufelskanzel« zu bleiben, weil wir vor diesem Ort gewarnt worden waren und wegen der Dunkelheit keine Zeit mehr hatten, ihn auf die Anwesenheit von feindlichen Indianern hin vorher zu untersuchen.

» Well!« sagte Pappermann. »So führe ich Euch nach einem Versteck, welches wohl kein Roter, und habe er noch so gute Augen, ausfindig machen wird. Ich fand es nur durch Zufall und glaube nicht, daß es jetzt außer mir einen Menschen gibt, der es kennt.«

»Das ist viel gesagt!« bemerkte ich.

»Aber jedenfalls richtig!« antwortete er. »Wir haben nur noch wenige Schritte zu reiten und dann einem kleinen Seitenwässerchen zu folgen, welches aus einem stillen, verborgenen Weiher quillt. Dieser Weiher ist nicht groß. Hohe Felsen, die man nicht ersteigen kann, umgeben ihn. Diese Felsen haben keine Lücke; nämlich so scheint es. Aber wenn man gerade durch den Weiher bis zur gegenüberliegenden Seite reitet, macht man die Bemerkung, daß es doch eine Seitenspalte gibt, die schief hindurchschneidet und nach dem eigentlichen Quell des Wassers führt, welches nicht im Weiher entspringt, sondern weiter drin, eben da, wo wir übernachten werden.«

»Ist die Lücke breit genug für unser Gepäck?« erkundigte ich mich.

»Ja«, antwortete er. »Nur die Zeltstangen habe ich lang zu packen, anstatt quer.«

»Und wie tief ist der Weiher?«

»Höchstens einen Meter.«

»Damals!«

»Hm! Meint Ihr etwa, daß er tiefer geworden ist? Das habe ich meinem Leben noch nicht gehört. Stehende Wasser pflegen mit der Zeit seichter zu werden, aber doch nicht tiefer. Doch halt! Da sind wir am Seitenwässerchen! Werde hier also umpacken. Dann reiten wir nach dieser Seite zwischen die Felsen hinein.«

Wir halfen ihm, die Zeltstangen anders zu legen, und ließen ihn dann mit den Maultieren voran, um unser Führer zu sein. Es war grad noch soviel Tageslicht vorhanden, daß wir sehen konnten, wohin wir ritten. Wir kamen an den Weiher, der dunkel wie ein Rätsel erschien, ritten hindurch und sahen, drüben angekommen, daß es im Felsen allerdings eine von dichtem Grün maskierte Lücke gab, der wir seitwärts folgen konnten. Dann ging es noch eine Strecke am Wässerchen steil aufwärts, bis wir seinen Quellpunkt erreichten, der in einem großen, kreisförmigen Felsenloch lag, dessen Wände, wie es schien, sich senkrecht und unersteigbar in die Höhe reckten.

»So! Das ist der Ort!« sagte Pappermann. »Da können wir hundert Jahre lang kampieren, ohne daß uns ein Mensch entdeckt.«

»Aber feucht, sehr feucht?« fragte ich.

»Keineswegs! Die Feuchtigkeit fließt ja ab. übrigens haben wir Indianersommer, schon wochenlang ohne eine Spur von Regen.«

»Kann man da an den Wänden hinaufklettern?«

»Weiß nicht. Habe es damals nicht versucht. Bin niemals ein Kletterspecht gewesen.«

»Und kann jemand von da oben herunterschauen?«

»Da müßte er erst von hier hinauf. Von draußen bringt es Keiner fertig.«

»So bin ich beruhigt. Machen wir also erst ein Feuer, um sodann das Zelt aufzuschlagen!«

Beides war in Zeit von einer halben Stunde geschehen. Wir banden die Pferde und Maultiere nicht an, so daß sie sich bewegen konnten, wie sie wollten. Sie tranken sich erst tüchtig satt. Dann wälzten sie sich ebenso tüchtig im Moos, was sie gern tun, solange sie gesund in den Knochen und Gelenken sind. Und hierauf fanden sie so viel Blatt- und auch anderes Grün, daß wir getrost mehrere Tage hier bleiben konnten, ohne befürchten zu müssen, daß es ihnen an Futter mangele. Sie bedurften aber der Ruhe mehr als der Nahrung, denn der Ritt von dem Kanubisee bis hierher war doch weiter und anstrengender gewesen, als wir nach Pappermanns Worten vermutet hatten. Auch wir selbst fühlten uns ermüdet. Darum dauerte es nach dem Abendessen gar nicht lange, bis wir uns niederlegten. Und das war heut abend ganz anders als gestern. Heut schliefen wir sofort ein, und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht eher aufwachte, als bis Pappermann mich weckte.

»Mrs. Burton ist schon munter!« entschuldigte er sich. »Sie hat schon heißes Wasser bestellt, um – – – hört Ihrs? Sie mahlt den Kaffee im Zelt, um Euch nicht aufzuwecken. Sagt Ihr ja nichts, daß ich es dennoch für richtig hielt, Euch einen Stoß zu versetzen! Der Mann sei doch immer Mann! Das ist er aber nicht, wenn er schläft!«

»So habt Ihr mich also nur um meiner Ambition willen geweckt?« lachte ich.

»Yes! Old Shatterhand, und schlafen, wenn seine Frau schon munter ist! Das geht auf keinen Fall!«

Jetzt betrachtete ich mir die Oertlichkeit. Sie bot allerdings ein selten schönes Versteck. Es gab nirgends auch nur die geringste Spur, daß jemals ein Mensch an diesem abgelegenen Ort gewesen sei. Die Felsenwände waren überaus steil, aber nicht unersteigbar. Es gab Riesenbäume, die mehrere hundert Jahre alt waren und sich mit ihren Aesten und Zweigen so eng an das Gestein schmiegten, daß sie das Klettern erleichterten und unterstützten. Der »junge Adler« hatte kaum seinen Kaffee zu sich genommen, so begann er den Versuch, in die Höhe zu kommen. Es gelang ihm ohne Schwierigkeit. Kaum war er oben angelangt, so ertönte sein lauter Ruf:

»Uff, uff! Ich sehe ein Wunder, ein Wunder!«

»Nicht so laut!« warnte ich hinauf. »Wir wissen noch nicht, ob vielleicht doch Menschen in der Nähe sind!«

»Hier kann es keinen geben, der uns hört!« antwortete er herab. »Da ist ringsum nichts als nur Luft!«

»So hoch! Und was liegt unten?«

»Devils pulpit!«

»Die Teufelskanzel? Wirklich?«

»Ja.«

»Das ist unmöglich, ganz unmöglich!« widersprach Pappermann.

»Warum?« fragte ich ihn.

»Weil ich es weiß. Und was Maksch Pappermann weiß, das weiß er ordentlich! Der Weg nach der Teufelskanzel führt tief nach links hinunter; wir aber sind rechts abgewichen. Und sie ist von allen Seiten von hohen, steilen Felsen umgeben, die kein Mensch erklimmen kann. Wie ist es da möglich, daß er sie sieht!«

»Er behauptet es aber!«

»Er irrt!«

»Ist es nicht auch möglich, daß Ihr Euch irrt?«

»Nein!«

»Daß der Weg von hier nach der Teufelskanzel Krümmungen macht, die Euch täuschen?«

»Es kann sich kein Mensch und kein Tier und kein Weg so sehr krümmen, daß er es fertigbringt, mich zu täuschen!«

Ich fragte den Indianer noch einmal, und er blieb bei seiner Behauptung, daß er die Devils pulpit sehe. Da auch er sie kannte, ergab das einen Widerspruch, der mich bestimmte, dem »jungen Adler« zu folgen. Meine Frau ist keine üble Kletterin. Sie besucht Gebirgsgegenden sehr gern und zeigt sich da zuweilen kühner, als ich ihr erlauben darf. Sie kam mir nach. Doch Pappermann blieb sitzen.

»Bin mein Lebtag keine Gemse gewesen«, behauptete er, »und werde auch nun nicht erst eine werden. Ein ebener Weg, ein gutes Pferd und ein festgeschnallter Sattel; das ist es, was ich haben will. Steigt, so hoch ihr wollt; ich mache nicht mit!«

Als wir hinaufkamen, bot sich uns ein wunderbarer Anblick dar. Ich hatte die Teufelskanzel noch nie gesehen, war aber doch gleich beim ersten Blick überzeugt, daß sie es war, nichts Anderes. Das rief ich dem alten Westmann hinab. Da stand er denn doch auf und begann, sich langsam und sehr vorsichtig in die Höhe zu kraxeln. Es dauerte ziemlich lange, bis er uns erreichte.

»So! Da bin ich!« sagte er. »Nun will ich einmal hinunterschauen, um zu sehen, welch ein unbegreiflicher Unsinn sich da – – –.«

Er hielt mitten im Satz inne, vergaß aber den Mund zuzumachen.

»Welchen Unsinn meint Ihr?« fragte ich.

»Den Unsinn, daß, daß – – – Alle Teufel! Was ist mir da passiert!«

»Nun, ist es die Devils pulpit? Oder ist sie es nicht?«

»Sie ist es! O Pappermann, Maksch Pappermann, was bist du für ein Riesenschaf oder gar was für ein Kamel! Daran ist aber nur dieser unglückselige Name schuld! Denn nur, wer Pappermann heißt, kann sich eine so entsetzliche Blamage auf das Gewissen laden! Dieser Name, dieser Name! Der ist mein Unglück gewesen, solange ich lebe! Hätte mein Vater Müller oder Schulze oder Schmidt geheißen, meinetwegen auch Hanfstängel, Zuckerkant oder Pumpernickel, so wäre ich ebensogut ein Glückskind gewesen wie andere Leute auch. Aber Pappermann, Pappermann, das ist das Schrecklichste, was es gibt! Das hat mich verfolgt bis hierher! Und das wird mich auch noch weiter verfolgen, bis es nichts mehr an mir gibt, was überhaupt verfolgt werden kann!«

Er fühlte sich in hohem Grade unglücklich. Handelte es sich doch um seine Westmannsehre, die ihm über Alles ging. Eines derartigen Irrtums darf sich kein Berg-, Wald- und Savannenläufer schuldig machen, wenn er es nicht darauf ankommen lassen will, seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen. Glücklicherweise aber war Niemand da, der Lust hatte, ihn bei diesem Fehler zu fassen, und als ich ihm versicherte, daß auch mir solche falschen Berechnungen schon wiederholt passiert seien, begann er, sich zu beruhigen.

Man denke sich ein plattes Dach, dessen steinernes Geländer aus schweren Felsenbrocken besteht. Dieses Dach ist mit Bäumen und dichtem Gebüsch besetzt, so daß man, wenn man da oben steht, von unten nicht gesehen werden kann. Tritt man an das Geländer heran und schaut hinab, so sieht man, daß die Felsenwand fast senkrecht in die Tiefe fällt. Auf diesem platten Dach befanden wir uns, und tief unter uns lag die Teufelskanzel.

Wer sich mit Geometrie beschäftigt hat, der weiß, was man unter einer Ellipse versteht. Weil aber nicht alle meine Leser Geometer sind, will ich mich hier nicht geometrisch, sondern als Laie ausdrucken, um leichter verstanden zu werden: Eine Ellipse ist ein Kreis, der so lang ausgezogen ist, daß er zu dem einen Mittelpunkt noch einen zweiten bekommen hat. Diese beiden Mittelpunkte werden auch Brennpunkte genannt. Wer einen Fischkessel in der Küche hat, der kennt die länglich runde Form einer solchen Ellipse. Und der Fischkessel mag zugleich auch ein Bild des länglich runden Bergkessels sein, zu dem sich unsere Felsenwand hinuntersenkte. Dieser Kessel bildete so genau eine Ellipse, als ob er nicht von der Natur, sondern von Menschenhand mitten in das gewaltige Kompakt der Bergmasse hineingebrochen worden sei. Wie ich dann später freilich sah, hatte die Natur allerdings zwar vorgearbeitet, die berechnende Kraft des Menschen aber nachgeholfen. Das war vor alten, ja uralten Zeiten geschehen und so lange her, daß die Felswände, welche erst ganz gewiß senkrecht und nackt gewesen waren, infolge der Verwitterung nun Risse, Sprünge, Ecken, Kanten, Höhlungen, Altane und andere Abweichungen von der lotrechten Linie zeigten, auf denen und in denen sich nach und nach ein kräftiger Baum- und Strauchwuchs nebst anderem Kräuter-, Stauden-, Gras- und Moosgrün angesammelt hatte. Auch der Boden des Kessels war mit grünender Vegetation bedeckt, doch machte ich in Beziehung auf diese Vegetation sofort zwei in die Augen fallende Beobachtungen. Nämlich es schien hier ein Pflanzenwuchs ursprünglich nicht beabsichtigt zu sein, denn es gab da einen vollständig sterilen Untergrund, und der mußte mit voller Berechnung hergeschafft worden sein, denn so weit das Auge reichte, gab es nur fruchtbares Land. Die Bäume, die da unten auf dem Grund des Kessels standen, hatten alle, so alt und so stark sie waren, keine Wipfel mehr. Und wo es noch welche gab, da waren sie vertrocknet. Das deutete darauf hin, daß sie sich nur von einer dünnen, angewehten Erdschicht nährten, mit den Wurzeln aber nicht in die Tiefe konnten oder dort keine Nahrung fanden. Und in der Tat, als ich später hinunterkam und nachschaute, fand ich, daß, so weit die Ellipse reichte, ihr ursprünglicher Boden so dicht, daß keine Pflanze einzudringen vermochte, mit starken Steinplatten belegt war, auf denen sich im Lauf der Zeit eine Schicht von Humuserde gebildet hatte, von welcher sich das später entstandene Baum- und Strauchwerk durch die Seitenwurzeln ernährte. Pfahlwurzeln gab es nicht. Daher die Verdorrung sämtlicher Wipfel!

Wozu einst diese Belegung des Bodens mit Platten? Das war die erste Frage, die ein aufmerksamer und vorsichtiger Beobachter hier zu beantworten hatte.

Die andere in die Augen fallende Beobachtung war die, daß ein Drittel dieser Vegetation vollständig unberührt zu sein schien, während man es den anderen beiden Dritteln gleich beim ersten Blick ansah, daß da Menschen verkehrt hatten, und zwar nicht allzu selten. Die Scheidelinie zwischen dem größeren, berührten Teil und dem kleineren, unberührten war sogar auffällig scharf gezogen. Es sah so aus, als ob ein strenges Verbot herrschte, dieses sehr dicht bewachsene Drittel der Ellipse zu betreten.

Weshalb und zu welchem Zweck diese Unterscheidung? Das war die zweite Frage, der man nachzuspüren hatte, wenn man den Anspruch erhob, für einen scharfen und zuverlässigen Beobachter zu gelten.

Und nun kommt die Hauptsache, die von allerhöchstem Interesse ist. Wenigstens war sie das für mich. Es gab nämlich auf dem sonst vollständig ebenen, ellipsenförmigen Boden des Felsenkessels zwei ziemlich bedeutende, künstlich hergestellte Erhöhungen, welche ganz das Aussehen hatten, als ob der Kessel einst in der Absicht hergestellt worden sei, ihn mit Wasser zu füllen und also eine Art von See zu bilden, aus dem die beiden Erhöhungen als Inseln hervorschauten. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich das zu- und abfließende Wasser so tief eingefressen, daß der Boden des Bassins erreicht und dieses einfach durch Auslaufen und späteres Versiegen des Wassers trocken geworden war.

Diese Beobachtung an sich hätte weiter nichts ergeben, als daß in uralter Zeit hier Menschen vorhanden gewesen seien, welche in Beziehung auf ihre Bauwerke und in Folge dessen auch anderweit bedeutend höher standen als die späteren Indianer, oder sagen wir richtiger, als die späteren Generationen. Aber diese beiden Erhöhungen – ich will dem Bild treu bleiben und sie Inseln nennen – hatten die höchst auffällige Eigentümlichkeit, daß sie in den zwei Brennpunkten der Ellipse lagen, und zwar ganz genau. Das konnte nicht Zufall, sondern das mußte Berechnung sein. Da entstand nun sofort die Frage: Welches war der Zweck dieser Berechnung, das Fazit dieses Exempels? Etwas Gewöhnliches, Alltägliches jedenfalls nicht. Ich dachte an die schwierigen, astronomischen Berechnungen, welche dem Bau der ägyptischen Pyramiden zu Grunde liegen, an die noch unaufgeklärten Geheimnisse der Teokalli und anderer Tempelwerke aus früherer Zeit, doch bin ich weder Fachmann noch Gelehrter und darf es unmöglich wagen, mich auf so schwierige, wissenschaftliche Spekulationen einzulassen. Aber ein Gedanke kam mir doch, wenngleich die Aufrichtigkeit mich zwingt, zu gestehen, daß er mir bedeutend kühner erschien, als ein einfacher Westmann, der nur die Absicht verfolgt, auf seine Sicherheit bedacht zu sein, sich gestatten darf. Aber er stellte sich wieder und immer wieder ein; er packte mich fester und fester und ließ mich nicht wieder los. Es war der Gedanke an jene im Altertum oft auch baulich behandelte Tatsache, daß man innerhalb einer gewissen geometrischen Figur an einem Punkt ganz deutlich das hört, was an einem anderen, entfernten Punkt leise gesprochen wird. Dieser Gedanke kam ohne mein Zutun, also ohne daß ich grübelte. Ich wies ihn ab. Aber er kehrte zurück, als der »junge Adler« zu sprechen begann, und wollte seitdem nicht wieder weichen. Der Indianer deutete nämlich von da oben, wo wir standen, hinab in die Tiefe und sagte:

»Das ist die Kanzel. Wir stehen auf dem höchsten Teil der Wand, von der sie umschlossen wird. Es gibt zwei Kanzeln. Die eine, nämlich diese hier, ist den Bleichgesichtern bekannt; von der anderen aber wissen sie nichts. Die eine wird von ihnen die Kanzel des Teufels genannt – die andere würden sie wohl als die Kanzel des guten Manitou bezeichnen. Die roten Männer aber nennen diese hier › Tscha Manitou‹ und die andere ›Tscha Kehtikeh‹.«

»Welchen Punkt bezeichnet Ihr als Kanzel?« fragte ich ihn. »Die längliche Runde dieses Felsenkessels erstreckt sich von Ost nach West. Es gibt eine Erhöhung im östlichen und eine im westlichen Teil. Welche von beiden ist die Kanzel?«

»Die im westlichen Teile«, antwortete er.

»So ist also die andere das Ohr?«

Er sah mich an und wußte nicht, was ich meinte. Da erklärte ich ihm:

»Von der Kanzel herab pflegt man doch zu sprechen. Und was der Redner spricht, soll gehört werden. Ihr aber erwähntet hier ein Ohr, welches hört. Ihr nanntet es ›Das Ohr Gottes‹. Wo liegt es?«

»Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist derselbe Punkt gemeint, den die Weißen als Kanzel bezeichnen. Was ich hierüber weiß, das habe ich von Tatellah-Satah, meinem Lehrer, erfahren. An der einen Kanzel, nämlich an dieser hier, hört Gott, was der Teufel spricht, und verurteilt ihn zur Verdammnis. Und an der anderen Kanzel, welche den Weißen noch unbekannt ist, hört der Teufel, was Gott spricht, und wird dadurch von der Verdammnis erlöst.«

»Das ist ein tiefer, ein sehr tiefer Sinn, der jedenfalls hier irgendwo und irgendwie in ein äußeres Gewand gekleidet ist, nach dem ich suchen werde. Ihr seht doch, daß der östliche Teil des Kessels ein förmliches Pflanzendickicht bildet, während der westliche, größere Teil viel weniger bewachsen ist. Man scheint dort sogar zuweilen Holz niedergehauen zu haben, um Feuer zu machen.«

»Das tut man stets, wenn man zur Beratung hier ver sammelt ist.«

»Zur Beratung? Doch auch zur Jagd oder zu einem sonstigen Zwecke?«

»Nein. Dieser Ort ist jedem roten Mann heilig. Er ist nur für große, wichtige Beratungen bestimmt, die zwischen verschiedenen Nationen abgehalten werden. Nie wird man hier über unwichtige Dinge beraten! Und nie wird ein roter Mann diesen Ort betreten, ohne daß es eine große Zusammenkunft zweier oder mehrerer Nationen gilt!«

»Ah! – wirklich?«

»Ja,« versicherte er. »Ich weiß das ganz genau! Und selbst bei großen Beratungen, wo viele, viele Krieger sich hier versammeln, wird es keiner von ihnen wagen, den östlichen Teil dieses Platzes zu betreten.«

»Warum?«

»Man sagt, da wohne der böse Geist, der Teufel, nach dem man die Kanzel benennt.«

»Höchst interessant, höchst sonderbar und höchst unklar! Was man sich von diesen beiden Kanzeln erzählt, ist jedenfalls viele hundert Jahre alt. Da läßt sich wohl denken, wie sehr man die Wahrheit vermischte. Glaubt Ihr daran?«

»Ich glaube an den Kern dieser Wahrheit.«

»Kennt Ihr ihn, diesen Kern?«

»Nein. Ich hoffe aber, ihn von Tatellah-Satah zu erfahren.«

»Es fragt sich, ob er selbst ihn kennt. Wenn er ihm bekannt wäre, hätte er, als er hier von dieser Kanzel sprach, sich anders ausgedrückt. Er hätte nicht Kanzel und Ohr als denselben Punkt bezeichnet. Glaubt auch Ihr, daß dort im östlichen Teil des Platzes sich der böse Geist aufhält, der Teufel?«

»Ich achte den Brauch meiner Väter, ohne zu fragen, ob er sich auf Wahrheit gründet oder nicht.«

»So werdet Ihr es also vermeiden, den heiligen Ort da unten zu betreten?«

»Wird Mr. Burton hinuntergehen?«

»Ja, ich gehe.«

»Mrs. Burton vielleicht auch?«

»Ja, ganz bestimmt auch sie.«

»So gehe ich sehr gern mit, wenn Beide es wünschen. Ich war vier Jahre lang bei den Bleichgesichtern und habe bei ihnen gelernt, die Seele eines Dinges vom Ding selbst zu unterscheiden. Die Seele ist mir heilig; ihr sichtbares Kleid aber verehre ich nicht. Doch ich achte es und würde es nur dann verletzen oder gar zerreißen, wenn ich Grund hätte, es für bös, also für schädlich zu halten.«

Wie dieser junge Indianer sprach! Wäre er mir nicht schon so sehr sympathisch gewesen, so wäre er es mir nun jetzt geworden. Jetzt fragte Pappermann, der sich bisher still verhalten hatte:

»Ich höre, Ihr wollt da hinunter?«

»Natürlich! Die Devils pulpit ist doch unser Ziel!« antwortete ich.

»Wann?«

»Sofort!«

»So müssen wir satteln.«

»Ist nicht nötig. Wir laufen.«

»Oho!« rief er verwundert aus. »Glaubt Ihr, daß Maksch Pappermann läuft, wenn er ein Pferd oder ein Maultier am Zügel hat?«

»Das glaube ich freilich nicht. Aber es hat Euch auch niemand zugemutet, zu laufen. Ihr bleibt nämlich hier.«

»Ich – –? Bleibe – –? Hier – – –?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Bin ich etwa nicht wert, mitgenommen zu werden?«

»Redet keinen Unsinn! Ich brauche Euch hier oben notwendiger als da unten. Wir wissen, daß die Feinde kommen. Ja, wir wurden extra gewarnt. Aber leider wissen wir keine bestimmte Zeit. Jeder Augenblick kann sie uns bringen. Sie können sich grad dann einstellen, wenn wir da unten sind und sie nicht kommen sehen. Grad darum beabsichtige ich ja, zu laufen, nicht zu reiten. Pferde machen deutlichere Spuren als Menschen. Und es könnte sich ereignen, daß wir wohl ganz glücklich entkommen könnten, uns aber, um dann auch sie zu retten, bloßstellen und in Gefahr begeben mußten – – –«

»Ah! Errate, errate!« unterbrach er mich.

»Nun, was erratet Ihr?«

»Daß ich hier oben bleiben soll, um Wache zu halten, um aufzupassen?«

»Allerdings!«

»So ist das etwas anderes! Ich tue es gern und bitte, mich zu unterweisen.«

»Das ist sehr schnell geschehen. Wir wissen, daß die Sioux und die Utahs kommen werden. Die Ersteren sind von Norden, die Letzteren von Westen her zu erwarten. Für beide Fälle liegt der Talkessel so, daß sie nicht von der Seite kommen können, von der wir gestern kamen, sondern von der entgegengesetzten. Und diese Seite liegt hier so deutlich und so ausführlich vor Euren Augen, daß Ihr die Roten schon lange, ehe sie kommen, bestimmt entdecken müßt. Da gebt Ihr uns ein Zeichen.«

»Was für eins?«

»Einen langen, scharfen Pfiff.«

»Etwa so?«

Er steckte den gekrümmten Zeigefinger in den Mund und ließ eine Probe hören.

»ja, das genagt.«

»Schön! Aber wie steht es mit dem Weg hinunter zur Kanzel? Ihrseid noch nicht unten gewesen.«

»Ist auch nicht nötig. Der ›junge Adler‹ kennt ihn ja. Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, glaubt Ihr doch nicht etwa, daß ich mich verlaufen würde, nachdem ich die Devils pulpit von hier aus so deutlich vor mir liegen sah. Kommt!«

Wir stiegen wieder zum Lager hinab; nur Pappermann allein blieb oben. Ich nahm den zerlegten Henrystutzen aus dem Koffer und schraubte ihn zusammen.

»Willst du schießen?« fragte das Herzle.

»Ängstige dich nicht. ich denke nur an Wild,« beruhigte ich sie. »Der ›junge Adler‹ wird sein Gewehr auch mitnehmen.«

Sie winkte verstohlen nach ihm hin. Mein Blick folgte dieser Richtung ebenso verstohlen. Ich sah, was sie meinte. Es war rührend, mit welch einer andächtigen Spannung er den Stutzen betrachtete und jeden Griff beobachtete, den ich tat, indem ich ihn lud.

»Uff!« sagte er. »Das ist er! Das also ist er! Wie oft hörte ich von ihm sprechen! Darf ich ihn einmal berühren?«

»Hier ist er!«

Er nahm ihn in die Hand, doch ohne sich zu erlauben, ihn untersuchen zu wollen. Dann drückte er ihn wie in einer plötzlichen Aufwallung an sich und sagte:

»Wie oft wurde Winnetou durch ihn gerettet, wie oft! Ein einziges, ein einziges Gewehr!«

Bei diesen Worten gab er mir den Stutzen zurück. Ich nahm ihn und antwortete:

»So einzig, wie Ihr denkt, ist er längst nicht mehr. Ja, man hat mich ausgelacht, wenn ich von fünfundzwanzig Schüssen sprach. Es hat sogar kluge, sehr kluge Menschen gegeben, welche mich dieses Gewehres wegen einen Lügner und Schwindler nannten, obgleich sie von Handfeuerwaffen und vom Schießen so wenig verstanden, daß es mich geradezu erbarmte. Nun aber ist es schon lange her, daß ich nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar übertroffen worden bin. In Italien erfand Major Cei-Rigotti ein fünfundzwanzigschüssiges Armeegewehr, und dem englischen Kriegsminister wurde sogar ein achtundzwanzigschüssiges, welches 3100 Meter weit trägt, von einem schottischen Erfinder vorgelegt. übrigens wird dieser Stutzen zu seiner Zeit genau denselben Weg gehen, den jetzt Winnetous Silberbüchse geht.«

»Habt Ihr auch diese mit?« fragte er, indem seine Augen leuchteten.

»Ja.«

»Darf ich sie sehen?«

»Später. Jetzt müssen wir jeden Augenblick für die Untersuchung der Devils pulpit sparen, denn wenn die Feinde angekommen sind, ist es zu spät dazu. Verlieren wir keine Zeit.«

Als ich das sagte, hörten wir über uns ein Lachen. Pappermann war es. Er kam herabgestiegen. Er hatte uns schon fast erreicht; da sagte er:

»Ja, oben bleiben soll ich! Und laufen wollen diese drei klugen Leute! Werden aber doch reiten müssen! Und werden mich dazu brauchen, sehr, sogar sehr.«

Indem er das sagte, fiel mir ein, wie recht er hatte. Das Herzle aber fragte:

»Reiten? Und Euch dabei auch brauchen? Gewiß nichts Wir gehen!«

»Nein, Ihr reitet!« lachte er fröhlich. »Werdet mir schon einmal gehorchen müssen, ganz gleich, ob Ihr wollt oder nicht! Oder will Mrs. Burton vielleicht nasse Füße haben, einen Schnupfen, einen Husten, einen Katarrh und andere schöne Dinge? Das Niesen gar nicht gerechnet!«

Das war allerdings sehr richtig. Ein Westmann fragt freilich nicht danach, ob er feucht wird oder nicht, aber wenn er es vermeiden kann, so ist er einverstanden. Wir setzten uns also alle auf und ritten hinaus, über den Weiher hinüber. Dann schaffte Pappermann die Pferde wieder zurück. Wir aber folgten dem schmalen Wässerchen abwärts, bis wir die Stelle erreichten, an welcher wir gestern von der Richtung nach der Teufelskanzel abgewichen waren. Von da an hatte der größere Bach unser Führer zu sein, bis er allzu mutig wurde und sich in verschiedenen Sprüngen und Kaskaden direkt in die Tiefe stürzte. Das konnten wir nicht mitmachen. Wir stiegen also langsam und in bequemen Schlangenwindungen hinunter und machten dabei die Bemerkung, daß wir da nicht der geraden Richtung folgen konnten, sondern einen ganz ansehnlichen Bogen schlagen mußten, was Pappermann aber nicht berechnet hatte und darum zu der irrigen Ansicht gekommen war, daß das, was der »junge Adler« sah, nicht die Teufelskanzel sein könne.

Unten in der Tiefe angekommen, sahen wir zunächst die schmale Spalte, welche das Wasser in uralter Zeit fast senkrecht in den Felsen gefressen hatte. Es sah fast aus, wie mit einer riesigen Säge hineingeschnitten. Ganz dasselbe hatte auch uns gegenüber am Ausgang des Kessels stattgefunden. Es war also erwiesen, daß der letztere einen halb natürlichen, halb künstlichen See gebildet hatte und später, als der Wasserabfluß seinen Grund erreichte, vertrocknet war. Welchen Zweck hatten die beiden Inseln gehabt? Etwa den, überhaupt nur Inseln zu sein? Das wollte mir nicht einleuchten. Ebenso wichtig war mir die Frage: Wurde dieser Zweck mit Hilfe des Wassers erreicht, so daß nun jetzt, wo es kein Wasser mehr gab, auch er nicht mehr nachgewiesen werden konnte? Der Bach war freilich noch da. Er floß auch noch immer lang durch den ganzen Kessel. Aber er hatte die Steinplatten nicht durchdringen und sich eine tiefere Rinne bohren können, sondern sie bildeten seinen Grund, auf dem er sich durch angeschwemmtes Geröll seine eigenen Ufer gebaut und befestigt hatte. Wir wurden von ihm zunächst in den östlichen, dichter bewachsenen Teil des Kessels geführt, verweilten uns da aber nicht, sondern hoben ihn uns für später auf, weil es galt, zunächst den westlichen Teil des Terrains kennenzulernen, weil von dieser Seite die Roten zu erwarten waren. Wir mußten also vor allen Dingen dort fertig sein, bevor sie kamen.

In diesem westlichen Teil gab es einige Stellen, an denen unter der aufgewühlten Erde die Steinplatten hervorschauten. Die Bäume, die es da gab, waren nicht hoch, und die Büsche nicht dicht. Sie hatten nur allzuoft das Material zu Lagerfeuern liefern müssen. Die zwischen ihnen liegenden, zahlreichen lichten Stellen waren so groß, daß Hunderte von Lagernden Platz finden konnten, ohne einander zu beengen. Die hier befindliche Insel war höher als der höchste Baum; was aber nicht viel sagen will, weil die Bäume ja keine bedeutende Höhe besaßen. Sie war nicht mit Grün bewachsen, sondern vollständig kahl. Eine Reihe von Stufen führte hinauf. Oben gab es in der Mitte einen hohen, steinernen Sessel und rund um ihn einen Kreis von niedrigeren Sitzen. Das war die »Teufelskanzel«, auf welcher die Häuptlinge zu beraten und das Ergebnis dann durch den Sprecher dem unten versammelten Publikum zu verkünden hatten.

Wir stiegen hinauf. Es war nicht das Geringste zu sehen, was uns als beachtenswert erschienen wäre. Natürlich visierte ich von hier aus, doch ohne Etwas davon zu sagen, die im östlichen Teil liegende andere Insel. Sie war genau ebenso hoch wie diese hier, doch umfangreicher und außerdem dicht bewachsen. Auch bis zu ihrer Oberfläche reichte keiner der Bäume herauf, und wenn es sich wirklich, wie ich mehr und mehr vermutete, um ein akustisches Geheimnis handelte, so gab es auf unserer jetzigen Höhe rundum keinen Gegenstand, durch den die Schallwellen hätten aufgefangen oder unterbrochen werden können. Hierauf stiegen wir wieder hinab. Wir waren mit diesem Teil des Kessels fertig und schauten einmal zur Höhe empor, ob es wohl möglich sei, unseren Pappermann zu sehen. Jedenfalls beobachtete er uns; aber da er wahrscheinlich so klug war, sich nicht ganz vor an die Brüstung zu wagen, konnten wir ihn nicht entdecken.

Nun begaben wir uns nach dem anderen, dem dichter bewachsenen Teil der Ellipse. Ich steuerte da direkt auf die zweite Insel zu, hemmte aber gar bald meinen eiligen Schritt, denn ich stieß auf Spuren, doch glücklicherweise auf solche, die man gern, sehr gern zu sehen pflegt. Auch dem »jungen Adler« fielen sie auf der Stelle auf. Es sah fast so aus, als ob Kinder wiederholt durch die Him- und Brombeersträucher gebrochen seien. Wir waren zunächst still, aber als wir uns einmal rund um die Insel geschlichen hatten und nun wußten, woran wir waren, fragte ich:

»Herzle, hast du Appetit auf Bärenschinken oder Bärentatzen?«

»Mein Schreck!« antwortete sie schnell und sogleich erregt. »Gibt es etwa Bären hier?«

»Ja.«

»Wohl gar Grizzlies?«

»Nein. So schlimm ist es nicht. Es ist ein ganz niederträchtig unschädlicher, schwarzer Bär, der auf dem linken Hinterbein hinkt. Er scheint einmal verwundet worden zu sein und hat sich also die Gefährlichkeit abgewöhnen müssen. Ich vermute in ihm einen leidenschaftlichen Vegetarier, der sich nicht die geringste Mühe geben wird, dir als Menschenfresser zu erscheinen. Er steckt hier droben auf der Insel.«

»Da oben?« Sie schaute empor und fügte sofort hinzu: »Du hast Recht! Ich sehe ihn! Da guckt er herunter! Da, da!«

Sie zeigte mit der Hand hinauf. Da hob der »junge Adler« auch schon sein Gewehr.

»Schießt nicht; schießt nicht!« bat sie. »Er macht ein gar zu liebes, albernes Gesicht!«

Aber ihr Wunsch kam zu spät. Der Schuß krachte. Die Kugel war in das Auge gezielt und drang direkt in das Gehirn. Der Bär hatte hart am Rand der Insel gelegen und, als er uns sah, eine Bewegung gemacht sich aufzurichten. Nun sank er wieder nieder, wälzte sich unter der Wirkung des Schusses einmal nach vorn und kam dann heruntergerutscht, um tot vor unseren Füßen liegenzubleiben.

»Wie schade, wie schade!« meinte das Herzle. »Wir konnten ihn leben lassen!«

»Zu seiner eigenen Qual?« fragte ich, indem ich ihn untersuchte. »Schau her! Er war nicht verwundet, sondern er hatte das Hinterbein gebrochen, und da ihn keine Universitätsklinik aufnehmen wollte, so schleppte er es hinterher, bis ihn unsere Kugel erlöste.«

»Aber gebrochene Beine esse ich nicht!« erklärte sie energisch.

»Ich auch nicht!« stimmte ich ihr bei. »Sie müssen unbedingt erst eingerichtet und dann verbunden werden, natürlich in Gips. Hierauf spickt und bratet man sie, und dann werden sie gegessen!«

»Du bist ein lasterhafter Mensch!« bestrafte sie mich, halb lachend und halb ernst. »Was wird nun mit dem Bär? Ich trage ihn nicht hinauf, wo wir wohnen.«

»So wird er von unserem Maksch geholt! Er ist über vier Jahre alt und wiegt wohl einige Zentner, aber wir haben ja Maultiere, ihn zu tragen. Wir müssen Alles fortschaffen, dürfen nichts von ihm hier lassen, der Indianer wegen, die wir erwarten. Jetzt ziehen wir ihm den Rock aus.«

Das ging sehr schnell. Der »junge Adler« half und zeigte sich als geschickt und sauber. Als wir das Wild dann wieder in sein eigenes Fell gewickelt hatten, setzten wir unsere unterbrochenen Nachforschungen fort. Auch hier führten Stufen hinauf, die aber von Ranken fast unwegsam gemacht worden waren. Zu beiden Seiten dieser Stufen gab es je eine große Steintafel mit ziemlich wohlerhaltenen Meißelarbeiten. Diese Tafeln waren jedenfalls erst dann angebracht worden, als das Bassin kein Wasser mehr hatte. Sie enthielten Abbildungen der Insel. Auf der ersten Tafel sahen wir eine männliche Figur, welche hinaufsteigen wollte. Auf der zweiten erschien oben ein schreckliches Ungetüm, welches diesen Kühnen verschlang, noch ehe er hinaufgelangt war. Also eine Warnung, die Insel zu betreten! Warum das? Es schien hier also doch etwas vorhanden gewesen zu sein, was Niemand wissen durfte! Wir kletterten hinauf.

Oben angekommen, sahen wir, vom Gebüsch vollständig überwuchert, ein kleines, niedriges Gebäude, ungefähr einer Feldwächterhütte ähnlich, aber aus Steinplatten bestehend, sowohl die Wände als auch das Dach. Gleich daneben hatte sich der Bär sein Lager hergerichtet gehabt. Drinnen hätte er es wohl bequemer gehabt, aber er hatte nicht hineingekonnt, denn die Tür war zu. Sie ging in einer steinernen Standangel, die in den Platten selbst angebracht war. Wir öffneten. Die Hütte war leer, vollständig leer. Es konnten vier Personen da sitzen, mehr aber nicht. Für wen war dieses Häuschen bestimmt gewesen? Etwa für den Lauscher? Er saß hier versteckt und ungesehen. Auf der anderen Insel aber gab es weder ein solches Häuschen, noch verbergende Büsche. Er konnte also alles sehen; die aber, die er beobachtete, sahen ihn nicht.,

Eine weitere Entdeckung war auch hier oben nicht zu machen, und zwar aus dem sehr triftigen Grund, weil es überhaupt weiter nichts gab. Wenn das Geheimnis, nach dem ich suchte, wirklich vorhanden war, so fußte es ganz gewiß nicht auf scharfsinnigen, raffinierten Komplikationen, sondern auf der außerordentlich schlichten Anwendung eines höchst einfachen Naturgesetzes. Ich war im höchsten Grad gespannt, hielt aber meine Gedanken jetzt noch geheim. Doch zögerte ich nicht, die entscheidende Probe zu machen. Ich bat meine Frau, mit dem »jungen Adler« nach der anderen Insel zurückzukehren und sich dort auf den großen Stuhl der Häuptlinge zu setzen.

»Wozu?« fragte sie.

»Es gibt eine Überraschung, welche ich dir bereiten möchte.«

»Eine gute?«

»Ja, eine gute. Wenn es gelingt, wirst du dich freuen! Oder willst du dich lieber schlimm überraschen lassen? Das kann ich auch!«

»Nein! Lieber gut! Aber, muß es denn sein?«

»Ja! Ganz unbedingt!«

»Du bist seit einiger Zeit so außerordentlich geheimnisvoll! Hoffentlich ist das nur vorübergehend! Ich werde gehorchen.«

Sie entfernte sich mit dem Apatschen. Ich trat an den Rand der Insel und schaute ihnen nach. Ich sah sie beide über den Platz gehen, indem sie miteinander sprachen, bis an die »Kanzel des Teufels«. Sie stiegen hinauf. ich muß sagen, daß ich mich in großer, sehr großer Spannung befand. Ich lauschte.

Da erklang, nicht vor mir, also von da her, wohin ich schaute, sondern hinter mir die muntere Stimme meiner Frau:

»Er ruht nicht eher! Er wird es durchsetzen, hinter diese ›Ohr‹- und ›Kanzel‹-Sache zu kommen! Ich kenne ihn!«

Sie standen jetzt beide oben auf der Insel. Ich hatte das, was meine Frau sagte, erst von dem Augenblicke an gehört, an dem sie auf der Höhe der Kanzel erschienen waren. Ich sah sie stehen, aber nicht deutlich. Die Gesichter konnte ich nicht erkennen; dazu war die Entfernung zu groß. Auch die Arm- und Handbewegungen waren für mich unsichtbar. Es trat nach dem letzten Wort eine Pause ein; dann hörte ich das Herzle wieder:

»Nein; ich habe keine Ahnung. Er hat ja noch keine Zeit gehabt, es mir zu sagen oder gar zu erklären.«

Aus diesen Worten war zu schließen, daß der Apatsche auch Etwas gesagt hatte, was meinem Ohr aber entgangen war. Wahrscheinlich stand ich falsch, nämlich so, daß mich die von seinem Munde ausgehenden Schallwellen nicht treffen konnten. Meine Frau war am Rand ihrer Insel stehengeblieben. So stand auch ich. Der »junge Adler« aber stand mehrere Schritte von ihr entfernt in der Mitte. Darum verließ auch ich den Rand und ging nach der Mitte zu. Die lag hier bei mir allerdings grad da, wo das Häuschen stand, also tief im Gesträuch, und es fragte sich also, ob dieses Gebüsch die Schallwellen nicht auffangen und unhörbar machen werde. Das geschah aber nicht. Denn kaum hatte ich das Häuschen erreicht, so hörte ich meine Frau viel deutlicher als vorher:

»Leider habe ich noch keinen gebraten. Ich muß mich da also ganz auf Euch verlassen. Sind die Tatzen wirklich das Beste? So delikat?«

Ganz ebenso deutlich hörte ich hierauf den jungen Apatschen antworten:

»Ohne allen Zweifel! Es gibt überhaupt nichts Delikateres!«

»Und müssen sie wirklich vorher solange liegen, bis sie Würmer bekommen?«

»Eigentlich, ja.«

»Pfui!«

»Warum pfui? Man entfernt die Würmer. Man ißt sie doch nicht mit!«

»Aber sie waren doch da! Das ekelt!«

»So wartet man nicht so lange!«

Da machte ich mir den Spaß, mit lauter Stimme dazwischen zu rufen:

»Auf keinen Fall! Man hat unbedingt zu warten, bis die Würmer da sind! Dann werden die Tatzen gebraten; die Würmer aber verfüttert man an die Rotkehlchen und Nachtigallen!«

Gleich sofort hörte ich das Herzle lachend sagen:

»Das ist mein Mann, der Schalk! Er ist uns nachgeschlichen. Wo steckt er denn?«

Ich vermutete, daß sie sich nach mir umschaute. Sehen konnte ich sie nicht mehr. Darum rief ich:

»Hier bin ich – hier!«

»Wo denn?« fragte sie.

»Hier oben! Bei Maksch Pappermann!«

»Scherz! Sag es ernst!«

»Nun gut: Ich sitze da auf dem nächsten Baum!«

»Nichts als Allotria! Nimm doch Verstand an, und sprich vernünftig!«

»Ganz wie du willst! Der ›junge Adler‹ mag in seine linke Westentasche greifen. Da stecke ich!«

»Uff, uff!« rief der Genannte. »Jetzt weiß ich es, jetzt, jetzt!«

»Was?« fragte sie.

»Er ist gar nicht da, gar nicht hier! Seine Stimme klingt bald von oben, bald von unten, bald von rechts und bald von links. Er steht noch da, wo wir ihn verlassen haben; aber er hat die Fähigkeit entdeckt, uns seine Stimme bis hierher zuzusenden!«

»Sollte das wirklich sein?«

»Gewiß!«

»Dann wäre das wohl die Überraschung, von welcher er sprach?«

»Sehr wahrscheinlich. Ihr sagtet soeben, daß er nicht eher ruhen werde, als bis er hinter diese ›Ohr‹- und ›Kanzel‹-Sache gekommen sei. Nun kann er ruhen. Er hat es schon entdeckt!«

Da sprach ich hinein:

»Er hat Recht. Ich ruhe!«

»Wo?« fragte sie.

»Hier auf meiner Insel. Ich stehe vor dem Häuschen.«

»Wirklich? Oder foppst du noch immer?«

»Nein. Jetzt bin ich ernst. Ich habe Bildung angenommen. Ich stehe wirklich hier am Inselhäuschen und höre euch ebenso gut, wie ihr mich hört. Das ahnte ich. Ich werde euch den Sachverhalt erklären. Ich schickte euch nach der andern Insel, um die Probe auf meine Vermutung zu machen. Sie ist gelungen. Sie stellt mich außerordentlich zufrieden, wirklich außerordentlich!«

»Wenn das so ist, wie du sagst, so gleicht es fast einem Wunder!« rief sie aus.

»Und ist doch ganz und gar kein Wunder, sondern nur die kluge, sorgfältige Anwendung eines einfachen Naturgesetzes.«

»Da können wir doch von da aus, wo du jetzt bist, die Verhandlungen der Indianer belauschen!«

»ja! Vom Anfang bis zum Ende! In aller Gemächlichkeit und Sicherheit! Denke dir!«

»Horst du mich denn wirklich ganz deutlich?«

»Genauso, als ob du hier bei mir stündest!«

»Ich dich ebenso!«

»Schön! Aber machen wir trotzdem einmal eine Probe auf die Stärke oder Schwäche des Tones und auf den Punkt, auf dem man stehen muß, um ja kein Wort zu verfehlen!«

Auch diese Probe gelang sehr gut. Nur was geflüstert wurde, war nicht zu verstehen; es klang wie ein Hauch, der keine Worte hat. Und wenn man laut rief, so rollte es fast wie Donner. Man konnte fast darüber erschrecken. Dabei ging die Deutlichkeit um einen Teil verloren, doch nur um einen sehr geringen. Aber Alles, was zwischen diesem Flüstern und diesem Donnern lag, klang genauso, als ob man sich nicht an zwei so entfernten Punkten, sondern an einem und demselben Ort befände.

Schließlich machte das vorsichtige und stets sichergehende Herzle den Vorschlag, unsere beiden Positionen einmal zu vertauschen.

»Du kommst hierher nach meiner Insel, und ich komme nach der deinen,« sagte sie. »Unterwegs treffen wir einander. Du aber legst irgend Etwas, was ich dir jetzt sage, in das Häuschen hinein, damit ich mich überzeuge, daß du dich jetzt wirklich dort befindest.«

»So glaubst du jetzt immer noch, ich scherze?«

»Nein, denn hier bei uns bist du nicht, auch nicht in unserer Nähe. Wir würden dich sehen. Aber ich verstehe von Eurer Akustik und Euren Naturgesetzen so wenig, daß ich nur meinen Augen trauen kann, nicht aber der Wissenschaft oder gar deinem Schalk im Nacken!«

»So sag, was soll ich herlegen? Meine Uhr, mein Messer?«

»Nein, sondern etwas Poetisches!«

»Nun, was?«

»Einen Liebesbrief!«

»Oho! An wen?«

»An mich natürlich. Es ist ja keine Andere da. Nimm also ein Blatt aus deinem Notizbuch, und schreibe darauf, was ich dir jetzt diktiere!«

»Gut! Das Blatt ist da, der Bleistift auch. Nun sprich!«

Sie diktierte Folgendes:

»Mein teures Herzle! ich liebe Dich und bleibe Dir treu bis in den Tod. Zu Deinem nächsten Geburtstag bekommst Du fünfzig Mark für das Radebeuler Krankenhaus. Ich halte Wort und unterschreibe es mit meinem eigenen Namen!«

»Nun unterschreib aber auch!« fügte sie hinzu.

».Ist hiermit geschehen!« meldete ich.

»So komm!«

Ich legte den Zettel in das Häuschen, stieg von meiner Insel hinunter und ging nach der ihrigen. Unterwegs trafen wir einander. Sie wollte mir wegen der fünfzig Mark einen triumphierenden Blick zuwerfen, brachte es aber nicht fertig. Sie reichte mir vielmehr die Hand, um sich zu bedanken, und ging dann mit dem »junger Adler« weiter. ich beeilte mich, schnell nach der anderen Insel zu kommen. Als dies geschehen war und ich dann oben stand, verhielt ich mich sehr still und lauschte. Da hörte ich sie kommen. Sie sprachen miteinander. Klärchen ging sofort nach dem Häuschen. Ich hörte sie sagen:

»Da liegt das Blatt! Wirklich, wirklich!« Sie las es und fuhr dann fort: »Genauso, wie ich es diktierte! Es kann also kein Zweifel mehr sein – – –«

»O doch!« unterbrach ich sie schnell.

»Ach, du bist auch schon dort?« fragte sie.

»Ja.«

»Und zweifelst?«

»Ganz bedeutend. Ich muß auch eine Probe machen, um mich zu überzeugen!«

»Welche Probe?«

»Du hast doch wohl auch deinen Bleistift bei dir?«

»Ja.«

»So nimm mein Blatt, und schreibe auf die andere Seite, was ich dir jetzt diktiere!«

»Schön! Ich habe das Blatt und den Stift. Es kann beginnen!«

Ich diktierte:

»Die gehorsamst Unterzeichnete gesteht hiermit vor der Staatsanwaltschaft des Königlich Sächsischen Landgerichtes zu Dresden reumütig ein, daß sie sich auf der Devils pulpit des amerikanischen Staates Colorado einer raffinierten Erpressung von 50 Mark, sage und schreibe fünfzig Mark, schuldig gemacht hat und hierfür – – –«

»Halt, halt! Nicht weiter!« fiel mir ihre Stimme in das Wort. »Ich habe meine Sünden nur dir einzugestehen, nicht aber der Staatsanwaltschaft, die ich für Alles, was auf der Teufelskanzel geschieht, für völlig inkompetent erkläre. Deine fünfzig Mark gehören von jetzt an meinen Kranken; dabei hat es zu bleiben! Wenn es noch weiterer Proben bedarf, so mache andere, aber nicht solche!«

»Ich verzichte!«

»So komm, und bitte mir es ab! Was mich betrifft, so bedarf deine Entdeckung für mich keiner weiteren Beweise.«

»So gehen wir jetzt, um nach unserem Lager zurückzukehren. Ich komme nicht erst zu Euch, sondern wir treffen uns am Wasser, draußen vor dem Kessel.«

Als ich dort ankam, waren sie noch nicht da. Es dauerte noch einige Zeit, ehe sie sich einstellten.

»Wir mußten dich warten lassen,« entschuldigte sich meine Frau. »Es galt doch, es dir so bequem wie möglich zu machen.«

»Was?«

»Deinen Lauscherposten, das Häuschen, in dem du dich doch wohl stundenlang oder wohl gar noch länger aufzuhalten haben wirst. Es mußte gereinigt werden. Dann haben wir trockenes Laub hineingeschafft, so viel, daß du es dir so behaglich machen kannst, wie die Verhältnisse es gestatten. Steigen wir jetzt nach oben?«

»Ja. Aber nur wir zwei. Der ›junge Adler‹ kann hier bleiben und auf Pappermann warten, der den Bär zu holen hat. Das Tier ist zu schwer für einen; es gehören Zwei dazu.«

Der Apatsche war einverstanden. Er legte sich in das Moos, um auf den alten Westmann zu warten; wir beiden Andern aber machten uns auf den Weg nach dem Lagerplatz hinauf.

Dort angekommen, erfuhren wir, daß Pappermann uns vom Anfang bis zum Ende beobachtet hatte. Auch den Schuß hatte er gehört und sich gleich gedacht, daß er irgendeinem Wild gegolten habe. Aber was für ein Wild das sei, das wußte er nicht. Nun freute er sich darüber, daß es ein Bär gewesen war, und machte sich schleunigst mit zwei Maultieren auf, um ihn zu holen.

Da es der Sioux und der Utahs wegen galt, wachsam zu sein und der bisherige Wächter sich entfernt hatte, so überzeugte ich mich zunächst, daß es den Pferden an nichts mangelte, und dann kletterten wir nach unserem hochgelegenen Lauscherposten hinauf. Von da oben aus hatten wir die Ellipse der Devils pulpit so deutlich und so instruktiv unter uns liegen, daß es mir nicht schwer wurde, meiner Frau geometrisch nachzuweisen und zu erklären, in welcher Weise es zustande kam, daß man an je einem Brennpunkt Alles, was an dem anderen gesprochen wurde, so deutlich hören konnte. Als dann der Bär gebracht wurde, übernahm der »junge Adler« die Wache hier oben, und wir stiegen wieder zum Zelt hinab, wo Pappermann dem Herzle ausführlich erklärte, wie man Bärentatzen einzuschnüren und in die Erde zu graben hat, so daß sie schnell mürbe werden, ohne daß Maden und Würmer sich einzustellen haben. Die Schinken wurden sorgfältig von allem Fett befreit, in Asche gewälzt und dann auch eingeschnürt, um aufgehoben und mitgenommen zu werden. Die Vorderkeulen aber unterwarf der alte Westmann einer anderen, sehr anstrengenden Prozedur. Sie sollten zuerst verzehrt werden und wurden darum von ihm geklopft, wohl eine Stunde lang, mit einer kurzen, starken Keule, die er sich aus einem Ast schnitt. Ich aber suchte inzwischen die verschiedenen Kräuter zusammen, welche ein jeder Kenner des »wilden« Westens für unerläßlich hält, wenn er sich über am Spieß oder unter heißen Steinen gebratenes Bärenfleisch lobend aussprechen soll. So hatte ein Jeder zu tun, das Herzle aber am allermeisten, denn sie buk heut auch Brot, gleich für drei oder vier Tage, dazu einen leckeren Brombeerkuchen, zu dem die Beeren massenhaft in nächster Nähe unseres Zeltes standen. Hierdurch wurde die erste der von Trinidad mitgenommenen Mehlbüchsen leer, und das Herzle beeilte sich, sie mit dem zerlassenen Bärenfett zu füllen. Bärenfett ist nämlich im Westen ein sehr wichtiger Artikel, der sehr vielfach zur Benützung kommt und jeden Braten, sogar jedes Backwerk, wie Kenner behaupten, schmackhafter macht. Diese Wichtigkeit besaß er schon in alter, alter Zeit bei den Indianern, noch ehe die Weißen kamen. Fast jede Stadt und jedes Dorf besaß einen besonderen Stall oder Zwinger, in welchem Bären gezüchtet, gefüttert und gemästet wurden, um dann geschlachtet zu werden. Auch das ist einer jener Punkte, welche denen, die über die rote Rasse schreiben, ohne die hierzu nötigen Kenntnisse zu besitzen, noch völlig unbekannt sind. Die Vergangenheit der Indianer ist eben eine ganz andere, als man denkt!

Die Sioux kamen heute und auch morgen noch nicht. Wir, nämlich der »junge Adler« und ich, benutzten diese freie Zeit, den Wortschatz, den meine Frau aus der Sprache und der Ausdrucksweise der Apatschen besaß, möglichst zu vermehren. Sie hatte den Wunsch, besonders Kolma Putschi damit zu erfreuen.

Erst am dritten Tag stellten sich die Erwarteten ein, und zwar gegen Abend. Wir sahen sie schon von weit draußen herkommen, über einen fernliegenden, kahlen Bergesrücken. Sie ritten einzeln hintereinander, im sogenannten Gänsemarsch, ganz so, wie es früher geschah, als man den Westen noch als »wild« bezeichnete. In jener Zeit aber hätten sie sich gewiß sehr gehütet, ihren Weg über diesen nackten Berg zu nehmen, der ihnen sowenig Deckung bot, daß man sie sofort entdecken mußte. Da es sich um keinen Kriegszug handelte, wenigstens jetzt noch nicht, so waren sie noch nicht mit den Farben des Krieges bemalt, an denen es möglich ist, die Stämme und Nationen genau voneinander zu unterscheiden. Dennoch gab es einige Kennzeichen, besonders in Beziehung auf ihre Lanzen und besonders auf die Anschirrung, Ausschmückung und Halfterung ihrer Pferde, aus denen ich ersah, daß wir es da mit Utah-Indianern zu tun hatten, und zwar in sehr gemischter Zusammensetzung. Wir sahen – um mich eines gebräuchlichen Ausdruckes zu bedienen – wilde, halbwilde und zahme Utahs. Sie gehörten zu den Unterabteilungen der Pah-Utahs, der Tehsch-Utahs, der Kapote-, Wihminutsch- und Elkmountain-Utahs, der Yamba-, Pahwang- und sogar der Sempisch-Utahs. Unter den Kapote-Utahs sah ich einen alten, grauköpfigen Häuptling, bei dessen Anblick ich an Tusahga Saritsch denken mußte, von dem ich im dritten Bande von »Old Surehand« erzählt habe. Ich bitte, das nachzulesen. Aber die Entfernung war leider so groß, daß ich die Gesichtszüge nicht deutlich erkennen konnte. Später stellte es sich heraus, daß ich mich nicht geirrt hatte; es war Tusahga Saritsch, der mir bekannte Häuptling der Kapote-Utahs, der sich damals nur notgedrungen mit uns aussöhnte, jetzt aber, wo er am Rande des Grabes stand, wieder zu unseren Feinden gehörte.

Als diese Utahs den Felsenkessel erreichten, ersahen wir aus ihrem Verhalten, daß dieser Ort auch für sie ein heiliger war. Sie betraten ihn nur mit Scheu. Sie brachten sich sogar Feuerholz mit, um die Bäume und Sträucher der Devils pulpit schonen zu können. Und sie bleiben nur im westlichen Teil; den östlichen, wo wir den Bären erschossen hatten, wagten sie nicht zu betreten. Und, was für uns das wichtigste war, sie umlagerten die Teufelskanzel nur im weiten Kreis. Keiner nahte sich ihr, und noch viel weniger hatte Einer von ihnen den Mut, sie zu ersteigen. Die Verhandlungen und Beratungen begannen jedenfalls erst nach dem Eintreffen der Sioux. Dann befanden sich »verschiedene Nationen« beisammen, und hierauf erst war es erlaubt, die Kanzel zum Zweck der Diskussion zu betreten. Was dann besprochen wurde, das wollten wir hören, Unwichtiges aber nicht. Darum verzichteten wir darauf, uns jetzt schon anzuschleichen und um bloßer Neugierde willen uns in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, ohne daß wir irgendeinen Nutzen davon hatten. Wir blieben also in unserem Lager und nahmen uns vor, recht auszuschlafen, weil wir nicht wissen konnten, ob wir hierzu so bald wieder Gelegenheit hatten.

Am Abend sahen wir unten einige Feuer brennen, die aber so klein waren, daß sie für uns nicht ausreichten, die Gestalten der an ihnen sitzenden Indianer zu erkennen. Auch still ging es da unten zu, außerordentlich still. Es gab keinen Laut, der bis herauf in unsere Höhe drang. Wir schliefen gut. Nichts störte unsere Ruhe. Der nächste Tag verging, ohne daß die Sioux kamen. Aber am darauffolgenden Morgen sahen wir, daß die ausgestellten Posten sich einstellten, um das Erscheinen der Erwarteten zu melden. Diese kamen genauso im Gänsemarsch wie vorgestern die Utahs. Voran ritt ein sehr alter, sehr langer und sehr hagerer Häuptling, der sein Pferd von zwei gewöhnlichen Indianern führen ließ, daß es ja keinen Fehltritt tue. Er schien also nicht mehr gut bei Kräften zu sein. Daß er trotzdem einen so weiten Ritt unternahm, ließ darauf schließen, daß der Gedanke, der ihn jetzt nach dem Süden führte, ihn innerlich fanatisierte.

Er wurde von den Utahs mit großer Achtung empfangen. Als man ihn vom Pferd gehoben hatte, sah man erst, wie übermächtig lang und schmal und dünn er war. Wäre es nicht Lichter Tag gewesen, so hätte man ihn für ein Gespenst halten können. Das war, wie ich dann bald feststellte, Kiktahan Schonka, der »wachende Hund«, welcher den Apatschen und allen ihren Freunden den Untergang geschworen hatte. Man breitete für ihn einige weiche Decken gegenüber dem Utah-Häuptling Tusahga Saritsch aus und setzte ihn wie ein Kind da nieder. Hinter ihm wurden einige Pfähle eingeschlagen, damit er sich daran lehnen möge. In solchen menschlichen Ruinen pflegen Haß und Rachgier sich länger zu erhalten als in gesunden, widerstandsfähigen Personen.

Nun war es Zeit für uns, unsern Lauscherposten zu beziehen. Das Herzle wäre gar zu gern mitgegangen, sie konnte mir aber nichts nützen, sondern mich nur hindern. Pappermann verzichtete darauf, mich zu begleiten.

»Was soll ich da unten?« fragte er. »Wer die Indsmen belauschen will, muß ihre Sprache besser, viel besser kennen als ich. Ich heiße zwar Maksch Pappermann und bin mit dem Gewehr in der Hand wohl kein unebener Kerl; aber grad da, wo die Sprachen und Dialekte anfangen, da hört meine Klugheit auf, vollständig auf! Ich bleibe also hier oben bei unserer Mrs. Burton und lasse mir von ihr einen neuen Brombeerkuchen backen. Oder nicht?«

Sie nickte.

So stieg ich also mit dem »jungen Adler« durch den Wald den Berg hinab. Wir nahmen unsere Gewehre mit, um für alle Fälle auch eine weittragende Waffe in der Hand zu haben. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir alle Vorsicht anwendeten, keine Spuren zu machen und nicht gesehen zu werden. Denn morgen war der Tag, den die beiden Sander uns bezeichnet hatten. Da kamen sie wahrscheinlich hier an. Es war aber auch möglich, daß sie sich eher einstellten und sich heimlich hier herumtrieben, um die Indianer zu belauschen, bevor sie sich von ihnen sehen ließen. Wir stiegen also nur an solchen Stellen hinab, die jeder Andere vermieden hätte, und taten, wie wir dann später bemerkten, sehr wohl daran. Unten angekommen, drangen wir sofort in das tiefste Dickicht ein, um so schnell wie möglich zu verschwinden.

Als wir unsern Lauscherposten und unser kleines Inselhäuschen erreicht hatten, sah ich, daß meine Frau uns da allerdings eine sehr bequeme Gelegenheit zum Sitzen und auch Liegen geschaffen hatte. Zunächst aber machten wir davon noch keinen Gebrauch, weil wir nun doch nahe genug waren, um uns die Roten betrachten zu können, wenn auch nicht mit den bloßen Augen, so aber doch durch mein Fernglas, welches ich mitgebracht hatte. Wir zählten genau vierzig Utahs und vierzig Sioux. Diese Zahl schien also vorher bestimmt worden zu sein. Jedenfalls handelte es sich nur um die Ober- und Unteranführer. Die gewöhnlichen Krieger, also die eigentlichen Truppen, von denen die Apatschen angegriffen werden sollten, waren nicht ganz bis hierher mitgenommen worden. Die beiden obersten Häuptlinge habe ich schon genannt. Außer ihnen gab es fünf Unterhäuptlinge der Sioux und fünf Unterhäuptlinge der Utahs. Die Übrigen waren Leute, die sich in irgendeiner Weise hervorgetan hatten und darum das Vertrauen der Anführer besaßen. Was mir auffiel, das war, daß man nicht die Friedenspfeife sofort und allgemein im Kreis herumgehen ließ. Man hatte sich in ganz gewöhnlicher Weise begrüßt und setzte sich dann zunächst zum Essen und zum Ausruhen nieder. Ich beobachtete vor allen Dingen Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch. Die Andern gingen mich jetzt weniger an. Den Letzteren erkannte ich, als ich mein Glas auf ihn richtete, sofort wieder. Er war alt, sehr alt geworden, viel älter als seine Jahre, und außerordentlich runzelig. Solche Leute befinden sich ja nicht im Besitz der Seelenkraft, die auch äußerlich jung erhält. Der Letztere hatte eine fürchterlich hervorstehende, sehr schmale und, fast möchte ich sagen, messerscharfe Nase, einen außerordentlich breiten Mund mit gar keinen Lippen, tief in ihren Höhlen liegende Augen und eine falsche, aus lauter Skalpen zusammengesetzte Perücke. Man soll ja nicht unlieb über seine Nebenmenschen urteilen, aber wenn ich ehrlich sein will, muß ich sagen, daß dieser Indsman mir gleich bei dem ersten Blick, den ich auf ihn warf, außerordentlich widerlich erschien.

Das Essen dauerte ziemlich lange, wohl über zwei volle Stunden. Dann begaben sich die Häuptlinge hinauf auf die Kanzel. Kiktahan Schonka konnte die Stufen nicht ersteigen. Er wurde mit Hilfe von Lassos gezogen und von unten nachgeschoben, bis er oben war. Von diesem Augenblick an begannen wir, zu hören. Die Friedenspfeifen wurden angezündet. Der Oberhäuptling der Utah stand auf, blies den Rauch nach den sechs Richtungen und hielt die erste Rede. Der Oberhäuptling der Sioux konnte sich nicht erheben; aber er wiederholte dieselben Stöße des Rauches und sprach sodann im Sitzen. Die Unterhäuptlinge folgten diesem Beispiel einer nach dem andern. Wenn ich diese zwölf Reden hier wiedergeben wollte, müßte ich fast einen ganzen Tag lang schreiben, um mit ihnen fertigzuwerden. Und doch bildeten sie nur die Einleitung zu den Verhandlungen, die gepflogen werden sollten. Man hatte hierfür drei volle Tage angesetzt, die wir also hier bei oder in der Hütte verbringen mußten, um ja nichts zu versäumen. Davor graute mir schon im voraus! Glücklicherweise aber stellte sich sehr bald eine triftige Veranlassung ein, diese lange Zeit derartig abzukürzen, daß aus den drei Tagen nur drei Stunden wurden, und diese Veranlassung – – – die war ich selbst!

Aber interessant, hochinteressant waren diese zwölf Reden, das darf ich gestehen. Sie begannen alle mit der Versicherung, daß die Apatschen und die mit ihnen verbündeten Nationen die niederträchtigsten Menschen seien, die man sich denken könne, daß aber der Gipfel dieser Niederträchtigkeit nur von Winnetou und Old Shatterhand, seinem Freunde, erreicht worden sei. Und diesem Winnetou solle jetzt ein Denkmal gesetzt werden! Auf dem Berge, der nach seinem Namen benannt worden ist! Ein Denkmal von purem, glänzendem Gold! Und dieses Gold haben alle, alle Stämme der Indianer zu liefern! Aus all den Bonanzen, Lagern und Nuggetverstecken, die man den Bleichgesichtern jahrhundertelang so sorgfältig verheimlicht habe! Da käme das Gold ja viele, viele Zentner schwer zusammen! Für diesen einen, verächtlichen Menschen, den man nie anders genannt habe als nur den Hund, den Coyoten, den Pimo, den Apatschen! Und von wem soll dieses Denkmal gefertigt werden? Von einem Bildhauer und von einem Maler! Von Young Surehand und Young Apanatschka, deren Väter Verräter an der ganzen roten Rasse und nichtswürdige Geschöpfe der Bleichgesichter waren! Dieses Denkmal ist jetzt einstweilen auf Leinwand gemalt und aus Thon zusammengeklebt. Es wird am Mount Winnetou ausgestellt, und die Häuptlinge, die berühmtesten Männer und Frauen aller roten Nationen sind eingeladen, sich dort einzustellen, um diese Figuren und Bilder zu sehen! Sogar Old Shatterhand wurde eingeladen, der räudige Hund!

Diese wahnsinnige Ueberhebung der Apatschen muß verhindert werden! Sie müssen erfahren, daß man wohl einem Utah- oder einem Siouxkrieger ein goldenes Denkmal setzen kann, nicht aber einem klaffenden Köter vom Rio Pecos her! Das Wann und das Wie zu beraten, sei man hier an der »Kanzel des Teufels« zusammengekommen. Und was da beschlossen werde, das habe man auszufahren, und wenn die ganze indianische Rasse dabei vollends zugrunde gehe!

So weit war man gekommen; da trat eine Störung ein, die nicht nur von den Roten, sondern auch von uns beiden gesehen wurde. Sie kam in Gestalt eines Menschen am Bach dahergeschritten, und dieser Mensch war kein anderer als Sebulon L. Enters. Er hatte Sporen an den Stiefeln, war aber ohne Pferd. Er trug ein Gewehr und war genauso ausgerüstet, wie noch vor dreißig Jahren ein Westmann ausgerüstet zu sein pflegte. Die Sioux kannten ihn. Sie hinderten ihn nicht, heranzukommen. Sie führten ihn nach der Kanzel. Er mußte hinaufsteigen. Das sahen wir. Und nun hörten wir auch wieder Stimmen.

»Wer ist dieses Bleichgesicht?« fragte Tusahga Saritsch.

»Ein Mann, den ich kenne,« antwortete Kiktahan Schonka. »Ich habe ihn an die ›Kanzel des Teufels‹ bestellt. Er sollte erst morgen kommen. Warum kommt er schon heut?«

Diese Frage war an Sebulon gerichtet. Sie klang gar nicht etwa höflich. Der Indianer pflegt den Weißen, den er als Spion gebraucht, stets nur verächtlich zu behandeln. Sebulon antwortete.

»Ich mußte mich beeilen, so bald wie möglich hierherzukommen, um euch zu warnen.«

»Vor wem?«

»Vor eurem ärgsten Feind, vor Old Shatterhand.«

»Uff, uff, uff, uff!« ertönte es rund im Kreise, und auch Kiktahan Schonka selbst rief aus:

»Uff, uff! Old Shatterhand! Vor ihm warnen! Warum?«

»Er kommt hierher.«

»Uff, Uff! Woher weißt du das?«

»Er sagte es.«

»Wem?«

»Mir.«

»So sahst du ihn wohl?«

»Ja.«

»Und sprachst mit ihm?«

»Ja.«

»Wo?«

»Am fallenden Wasser des Niagara.«

»Uff! Wir wissen, daß er kommen soll. Aber daß er schon gekommen ist, das wußten wir noch nicht. Und er kommt nach der Devils pulpit?«

»Ja.«

»Was will er hier?«

»Euch belauschen.«

»Uff, Uff! Das klingt ja, als ob er wüßte, daß wir hierherkommen, und was wir hier wollen!«

»Er weiß es.«

»Von wem?«

»Das sagte er nicht. Er reiste ab. Wir folgten hinterher. Wir trafen in Trinidad seine Spur. Er ist dort wieder fort, wahrscheinlich geraden Weges hierher.«

»Uff, uff, uff, uff!« ging es wieder rund im Kreise, und Kiktahan Schonka rief zornig aus:

»Ist dieser Hund denn noch nicht alt genug, die Schärfe des Auges, der Ohren und der Nase zu verlieren? Konnte er nicht drüben, jenseits des großen Wassers, in seinem stinkenden Wigwam bleiben?«

»Und seine Frau mit ihm!« fügte Sebulon hinzu.

»Seine Squaw, sagst du? – Hat er sie mit?«

»Ja.«

»Wirklich? Ist das wahr?«

»Natürlich! Ich sage es doch!«

»Sie war mit am Fall des Niagara?«

»Ja. Und auch in Trinidad war sie bei ihm. Wir hörten es, als wir hinkamen und uns erkundigten.«

»Uff, Uff! Das ist ein gutes Zeichen, ein sehr gutes Zeichen für uns! Sein Kopf ist schwach geworden! Er ist ein Greis, ein schwach gewordener Greis! Wer seine Squaw mit sich über das Wasser und nach dem Wilden Westen schleppt, der ist verrückt, der kann keinem Menschen mehr etwas schaden. Er mag immerhin kommen. Wir fürchten ihn nicht. Er kommt an den Marterpfahl, und sein Weib mache ich zu meiner Squaw!«

Da fiel Tusahga Saritsch, der Oberhäuptling der Utahs, ein:

»Mein Bruder spreche nicht zu schnell! Old Shatterhand kennt seine Squaw; du aber kennst sie nicht. Wenn er sie mitgenommen hat, so weiß er ganz bestimmt, daß er dies wagen darf, ohne daß er sich damit schadet. Er mag alt geworden sein; aber so hat er doch immer nur erst das Alter erreicht, in dem man weise und doppelt vorsichtig und bedenklich wird, nicht aber das, in dem gewöhnliche Menschen kindisch zu werden pflegen. Es ist wohl möglich, daß wir ihn jetzt noch mehr zu fürchten haben als früher, da er über dreißig Sommer junger war!«

»Und er ist nicht allein!« stimmte Sebulon bei.

»Wer ist bei ihm?« fragte Kiktahan Schonka.

»Ein alter, erfahrener Westmann, namens Max Pappermann.«

»Uff! Ich habe von einem gehört, der so heißt. Die Hälfte seines Gesichtes ist blau.«

»Das ist er!«

»Dieser, dieser! Er hat meinem größten Gegner im eigenen Stamme, dem Siou Wakon, das Leben gerettet. Möge der böse Geist ihn vernichten! Er ist tapfer und listig zugleich. Wenn er bei Old Shatterhand ist, so haben wir ihn zu fürchten!«

»Und noch ein Anderer ist bei ihm,« fuhr Sebulon fort. »Nämlich ein junger Mescalero-Apatsche, welcher der ›Junge Adler‹ heißt.«

»Etwa der ›junge Adler‹, der zu den Bleichgesichtern ging, um fliegen zu lernen?«

»Daß weiß ich nicht. Aber ich hörte in Trinidad, er sei vier Jahre lang bei den Bleichgesichtern gewesen und kehre jetzt zu seinem Stamm zurück.«

»So ist er es! Er ist ein Schüler Wakons. Er schickt ihm viele Briefe und bekommt viele Antworten darauf. Er ist einer der Ersten unter denen, die sich Jungindianer nennen und von weiter nichts als von Humanität und Bildung, von Versöhnung und Liebe reden. Und er ist auch einer der ersten vom Clan Winnetou. Er soll überhaupt ein Blutsverwandter von Winnetou sein. Wenn er sich bei Old Shatterhand befindet, so müssen wir uns alle Mühe geben, diese drei Männer und die Squaw in unsere Hände zu bekommen. Wo hast du dein Pferd?«

»Jenseits des Berges bei meinem Bruder,« antwortete Sebulon. »Er blieb bei den Pferden zurück. Ich aber schlich mich zu Fuß hierher, um nach Spuren zu suchen und die Gegend zu erkunden.«

»Welchen Weg von Trinidad aus schluget ihr ein?«

»Wir kamen über den Kanubisee.«

»Habt Ihr auf diesem Weg Spuren von Old Shatterhand gefunden?«

»Kein. Aber Spuren vieler Weiber, die am See gelagert haben.«

»Das waren die verführten Frauen unseres eigenen Stammes, die sich ›Jungindianerinnen‹ nennen. Sie ziehen auch nach dem Mount Winnetou, um das Denkmal zu sehen und ihre Nuggets dafür hinzugeben. Wir können sie nicht hindern, das zu tun; aber wir werden die Apatschen dafür bestrafen. Hat Old Shatterhand von dem Mount Winnetou gesprochen?«

»Nein«

»Auch nicht von dem Weg, den er einschlagen will?«

»Auch nicht. Wir erfuhren nur, daß er beabsichtigte, nach der Devils pulpit zu gehen, um Kiktahan Schonka, den Häuptling der Sioux, dort zu sehen.«

»So ist er immer noch der unermüdliche, listige Späher, der er immer war! Aber dem Marterpfahl, dem er so oft entgangen ist, dem entkommt er dieses Mal nicht. Wenn er sich nähert, kann er nur da von der östlichen Höhe kommen, von welcher wohl auch du gekommen bist?«

»Ja«

»Ich werde sofort die ganze Umgebung hier durchsuchen lassen. Du aber kehre zurück zu deinem Bruder, und bringe ihn her! Die Beratung ist unterbrochen, bis wir uns überzeugt haben, daß Old Shatterhand sich nicht in der Nähe befindet.«

Sebulon L. Enters entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Weg zurückgehen, den er gekommen war. Es war der unsrige. Wie gut also, daß wir so vorsichtig gewesen waren, erkennbare Spuren zu vermeiden. Auch Tusahga Saritsch verließ mit sämtlichen Unterhäuptlingen die Kanzel. Sie stiegen hinab, um sich alle an der Nachforschung nach uns zu beteiligen. Nur Kiktahan Schonka allein blieb zurück. Es schlichen sich also vierzig Sioux und vierzig Utahs von dannen, um nach uns zu suchen. Das war keine Kleinigkeit. Zwar traute ich weder Pappermann noch meiner Frau die Unvorsichtigkeit zu, ihr Versteck während unserer Abwesenheit zu verlassen, aber der kleinste und geringste Umstand konnte Veranlassung zu der Entdeckung werden, daß ein verborgener Pfad aus dem stillen Weiher noch weiter führte. Und was uns beide selbst betraf, so durften wir uns keineswegs so sicher fühlen, daß jede Entdeckung ausgeschlossen war. Es brauchte unter den achtzig Indianern nur ein einziger zu sein, der keine Angst vor dem »bösen Geiste« hatte und sich nicht scheute, in den östlichen Teil der Ellipse einzudringen, so mußte er unsere Spuren unbedingt sehen. Es war notwendig, meinem Gefährten zu sagen, was in diesem Fall zu geschehen hatte. Wir hatten bisher nur immer englisch mit ihm gesprochen, aus dem einfachen Grund, weil meine Frau überhaupt keinen indianischen Dialekt verstand und auch Pappermann sich höchstens nur im halb englischen, halb indianischen Slang auszudrücken vermochte. Nun aber, da wir allein waren, konnte ich dem »jungen Adler« die Freude machen, seine Muttersprache zu hören.

»Hat mein junger Bruder Alles verstanden, was gesprochen wurde?« fragte ich ihn.

»Ich hörte Alles«, antwortete er.

»Weiß er, daß nun hundert und ein halbes hundert Augen nach uns suchen?«

»Ich weiß es.«

»Glaubst du, daß man uns findet?«

»Nein.«

»Ich ebenso. Aber ein vorsichtiger Krieger hat sich auf Alles vorzubereiten. Es sind zwei Fälle zu bedenken. Weiß mein junger Bruder, welche ich meine?«

»Ja.«

»So sage sie!«

»Man kann uns hier entdecken, und man kann unser Lager da oben entdecken.«

»Ganz richtig! Es ist also nötig, zu wissen, wie wir uns in beiden Fällen zu verhalten haben. Sollte man uns hier finden, so wäre es eine unverzeihliche Torheit, hinauf zu Pappermann und meiner Squaw zu fliehen und uns von den Utahs und Sioux belagern zu lassen. Mein junger Bruder hätte sofort hinaufzueilen und beide mit den Pferden und Maultieren herauszuschaffen. Ich aber würde die Roten mit meinem Stutzen inzwischen im Zaum halten. Der Ausgang aus diesem Kessel ist eng. Es käme keiner von ihnen hinaus, ohne von meiner Kugel getroffen zu werden.«

»Und wenn man nicht uns, aber unser Lager entdeckt?« fragte er.

»So hätte ich auch da keine Sorge. Pappermann hält doch Wache. Er hat unbedingt gesehen, daß alle Roten sich plötzlich entfernten, daß sie nachforschen gegangen sind. Er wird sich also mit seinem Gewehr am Weiher verstecken und aufpassen. Auch der dortige Ein- und Ausgang ist sehr eng. Es genagt ein einziger Mann, ein ganzes Heer zurückzuweisen. Und wir beide kämen den Indsmen dann in den Rücken. Wir haben also nicht den geringsten Grund, besorgt zu sein. Warten wir darum ruhig ab, was geschieht!«

Es dauerte über eine Stunde, ehe der erste Indianer zurückkehrte. Ihm folgten nach und nach auch die andern. Man hatte nichts gefunden. Aber man fühlte sich nun zu größerer Vorsicht veranlaßt. Man stellte Wächter aus, allerdings zu spät. Leider aber standen sie auch da, wo wir unbedingt vorüber mußten, wenn wir uns entfernen wollten.

Dann kamen die beiden »Enters« geritten. Da wurde mit der Beratung wieder begonnen. Die Häuptlinge stiegen wieder auf die Kanzel. Sie sprachen aber nicht laut, sondern so, daß wir ihre Stimmen nur als unterdrücktes Gemurmel vernahmen, jedenfalls der beiden Weißen wegen, die man ausnutzen wollte, ohne sie in das Vertrauen zu ziehen. Als man dann übereingekommen war, welchen Auftrag sie auszuführen hatten, ließ man sie auf die Kanzel kommen, und Kiktahan Schonka fragte sie in seinem bereits angedeuteten, nicht sehr achtungsvollen Tone:

»Ihr wißt noch ganz genau, was ich mit euch besprochen habe?«

»Ganz genau,« antwortete Sebulon, der überhaupt das Wort für sich und seinen Bruder zu führen schien.

»Und seid ihr noch heut bereit, die Bedingungen, welche zwischen euch und uns vereinbart wurden, zu erfüllen?«

»Ja, noch heut.«

»So komrnt eine neue Aufgabe für euch dazu, nämlich uns Old Shatterhand und seine Squaw in die Hände zu treiben. Seid ihr bereit dazu?«

»Nur dann, wenn es lohnt.«

»Es lohnt!«

»Was zahlt ihr für sie und ihn?«

»Viel, sehr viel! Doch ist es heut noch nicht Zeit, über diesen Preis zu reden. Wenn wir ihn selbst fangen, bezahlen wir euch natürlich nichts. Wir bleiben noch drei volle Tage hier und passen auf. Kommt er, so entgeht er uns sicherlich nicht; wir nehmen ihn fest. Dafür bekommt ihr nichts. Aber da er Trinidad schon vor euch verlassen hat und noch immer nicht da ist, so sind wir überzeugt, daß er seinen Plan geändert hat und gar nicht nach der Devils pulpit geritten ist. Er ist vielmehr am Kanubisee auf unsere Squaws getroffen, die ja so wahnsinnig sind, für ihn und Winnetou zu schwärmen, und da hat es dem alten Mann wohlgetan, von den Weibern sich preisen und anbeten zu lassen. Er ist mit ihnen gezogen.«

»Das ist möglich, sehr leicht möglich,« sagte Sebulon schnell. »Wir sahen nämlich auch einige Männerspuren.«

»Das genügt! Er ist es gewesen. Und nun ist es an euch, nach dem Preise zu ringen, den wir auf seine Ergreifung setzen. Glücklicherweise kennen wir das nächste Ziel, nach dem diese Frauen jetzt reiten. Es ist nämlich der Tavuntsit-Payah. Kennt Ihr ihn?«

»Nein.«

»Mein berühmter Bruder Tusahga Saritsch kennt ihn sehr genau und wird euch den Weg dorthin sofort beschreiben.«

Auch ich hatte von einem Tavuntsit-Payah noch nie gehört und paßte also scharf auf, um mir jetzt kein Wort entgehen zu lassen. Der Oberhäuptling begann die Beschreibung des dorthin führenden Weges. Er war sehr ausführlich dabei, und man denke sich meine Überraschung und meine Freude, als ich am Schluß erkannte, daß dieser Tavuntsit-Payah kein anderer Berg war als mein Nugget-tsil, nach dem auch wir ja wollten! Die Brüder Enters machten sich einige Bemerkungen in ihre Notizbücher; dann fuhr Kiktahan Schonka fort:

»Ihr reitet also dorthin, um euch an Old Shatterhand zu hängen, und laßt ihn nicht wieder los. Getraut ihr euch, dies zu erreichen?«

»Ganz gewiß! Aber wie bringen wir ihn euch? Wann und wohin? Und wird er uns gutwillig folgen?«

»Er wird. Ist euch der Name Pa-wiconte bekannt?«

»Nein.«

»Dorthin ziehen wir von hier aus, um uns mit den Komantschen und Kiowas gegen die Apatschen zu vereinigen. Ihr sollt ihm das nicht etwa verraten, sondern ihr sollt ihm nur sagen, daß, wie ihr erfahren habt, die Kiowas und die Komantschen sich dort versammeln. Seine ungeheure und unbezähmbare Neugierde wird ihn verführen, dorthin zu reiten, um sich anzuschleichen und uns zu belauschen. Dabei ergreifen wir ihn.«

»Und unser Lohn?«

»Den besprechen wir, wenn ihr kommt und uns meldet, daß er nahe.«

»Und wenn wir nicht einig mit euch werden?«

»So braucht ihr ihn doch nur zu warnen, dann bekommen wir ihn nicht!«

»Warum sagt ihr uns nicht schon heut den Preis?«

»Weil wir heut noch gar nicht wissen, womit wir ihn später zahlen können, ob in Tieren, ob in Nuggets oder in Waren, Waffen und Sachen, die wir erbeuten. Glaubt ihr uns etwa nicht?«

»Wir glauben euch.«

»So seid ihr jetzt entlassen und könnt gehen. Wir raten euch, keine Stunde zu versäumen, um Old Shatterhand so bald wie möglich einzuholen. Je schneller und gewissenhafter ihr verfahrt, desto sicherer ist der Erfolg und desto größer wird der Lohn.«

Sie stiegen von der »Kanzel« hinab und gingen zu ihren Pferden. Hariman F. Enters hatte während der ganzen Zeit kein einziges Wort gesagt. Die Häuptlinge schwiegen, bis sie die beiden fortreiten sahen. Dann sagte der Oberhäuptling der Utahs nur das eine Wort:

»Schufte!«

»Schurken!« fügte Kiktahan Schonka hinzu. »Sie sind nicht des Anspeiens wert! Glaubt mein Bruder etwa, daß sie für ihren Verrat auch nur soviel bekommen werden, wie ein Grashalm oder eine ausgeraufte Vogelfeder wert ist?«

»Und das ganze, große Geschäft, welches sie mit euch und uns machen wollen – – –?« fragte Tusahga Saritsch.

»Wird ihnen nicht ein einziges Pferdehaar einbringen,« lachte der alte Sioux. »Sie zahlen den Preis; wir aber behalten, was wir haben. Ist mein roter Bruder einverstanden?«

»Ja. Mein Bruder ist sehr klug!«

» Pshaw! Es gehört keine Klugheit dazu, ein Bleichgesicht zu betrügen!«

»Aber die Verräter werden fordern, daß wir unser Versprechen halten und ihnen den Preis zahlen.«

»Das werden sie nicht. Wer nicht mehr lebt, kann keine Forderung stellen. Ist mein roter Bruder auch hiermit einverstanden?«

»Ja.«

»Und die Andern auch?«

»Ja, ja, ja, ja – – –!« rief es rund im Kreise.

Da konnte ich mich nicht halten; ich rief mit lauter Stimme ganz dasselbe Wort:

»Schufte!«

Es folgte eine tiefe Stille. Dann hörte ich:

»Uff, uff –-uff, uff! Wer war das? Was war das? Woher kam das?«

Ich legte das Glas an die Augen und sah, daß sie die Köpfe bewegten und nach allen Seiten schauten.

»Schurken!« fügte ich ebenso laut hinzu.

Wieder tiefe Stille. Aber ich sah, daß sie sich von ihren Sitzen erhoben, Einer nach dem Andern. Sogar der ewig lange Kiktahan Schonka stand auf.

»Auch ihr seid nicht des Anspeiens wert!« fuhr ich fort.

Abermals tiefe Stille. Dann hörten wir die halblaute, hastige Stimme des alten, langen Siou:

»Uff, Uff! Das ist kein Mensch!«

»Kein Mensch!« stimmte Tusahga Saritsch bei.

»Weiß mein roter Bruder, was man in alten Wampums über die ›Kanzel des Teufels‹, auf der wir uns befinden, lesen kann!«

»Ja.«

»Daß hier der gute Geist Alles hört, was der böse Geist spricht?«

»Ja.«

»Und ihn dafür bestraft?«

»Sogar sehr streng, sehr streng! Meist mit dem Tod!«

»Ob er es war, der jetzt sprach, der gute Geist? Was ist zu tun? Ich bleibe nicht hier!«

»Ich auch nicht!«

»Fort mit euch!« gebot ich ihnen. »Fort, fort!«

Das wirkte sofort. Sie rannten und sprangen alle spornstreichs die Stufen hinab. Nur Kiktahan Schonka konnte das nicht. Und doch war grad er derjenige, der sich am allermeisten fürchtete.

»Helft mir; helft mir!« brüllte er. »Ich will hinunter, ich auch, ich auch!«

Aber die Häuptlinge hatten es sehr eilig. Sie halfen ihm nicht. Es mußten einige Andere kommen, um ihren Allerobersten hinunterzuschaffen. Dabei verlor er die Skalpperücke. Er achtete gar nicht darauf. Sie mußte hinter ihm hergetragen werden, bis er sein Pferd erreichte. Da setzte er sie auf und erteilte den Befehl, sofort von hier aufzubrechen und die Devils pulpit zu verlassen, deren Ansehen jedenfalls nun in der Weise gestiegen war, daß sie noch zehnmal heiliger galt als vorher. Man war nun nur darauf bedacht, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Man verzichtete sogar darauf, auf Old Shatterhand zu warten, um ihn hier zu fangen. Die Posten und Wächter wurden zurückberufen, und dann ritten sie davon, alle Achtzig, im Gänsemarsch, wie sie gekommen waren.

Indem wir ihnen nachschauten, spielte ein fröhliches Lächeln um die Lippen des »jungen Adlers«, und ich glaube, ich habe auch nicht geweint.

»Dieser Sieg freut mich mehr,« sagte er, »als wenn wir mit ihnen gekämpft und sie alle erschlagen hätten. Es ist ein Sieg der Wissenschaft, nicht des blutigen Tomahawk.«

»Ist dir dieser Teil der Wissenschaft bekannt?« fragte ich ihn.

»Ja. Ich mußte ihn kennenlernen. Die Akustik gehört zur Lehre von der Luft. Ich ging zu den Bleichgesichtern, um die Aerostatik und Aeronautik zu studieren. Ich weiß, daß schon die alten Assyrier, Babylonier und Ägypter das Geheimnis kannten, an dem einen Punkt sehr deutlich zu hören, was an einem andern, entfernten Punkt gesprochen wird. Ich bin so froh und so stolz, heut erfahren zu haben, daß die Ahnen der heutigen roten Rasse in diesem Wissen nicht hinter jenen Völkern zurückgestanden haben. Es ist unsere Pflicht, Alles, was uns seitdem verlorengegangen ist, in die erwachende Seele unserer Nation zurückzurufen. Wir bitten den großen, guten Manitou, uns Kraft und Fröhlichkeit zu diesem wichtigen und schönen Werk zu verleihen!«

Es war zum ersten Male, daß er aus sich herausging und in dieser Weise sprach. Ich wunderte mich keineswegs über das, was ich hörte. Er war ein stiller, hochbegabter junger Mann. Und er besaß die nötige Energie, auch Ungewöhnliches zu erreichen. Auf seinem schönen, ernsten Gesicht lag jetzt ein warmer, beinahe sonniger Schein, so köstlich lieb und sympathisch, wie er so oft die Züge meines herrlichen Winnetou durchgeistigt und umflossen hatte. Es kam mir vor, als sei der »junge Adler« in diesem Augenblick meinem unvergeßlichen roten Freund außerordentlich ähnlich geworden, fast wie Bruder und Bruder!

Als der letzte der achtzig Indianer verschwunden war, verließen wir unsern Lauscherposten. Doch kehrten wir nicht direkt nach oben zurück, sondern wir gingen zunächst nach dem vorderen Teil des Kessels, wo die Indsmen gewesen waren, und schritten den Platz ab, um nachzuschauen, ob aus ihren Spuren vielleicht etwas für uns Brauchbares zu lesen sei. Es gab nichts. Aber als ich schließlich noch einmal hinauf auf die Pulpit stieg, wo die Häuptlinge gesessen hatten, sah ich auf einer der Stufen, ganz im hintern Winkel derselben, einen Gegenstand liegen, der vor der Ankunft der Indianer sicher noch nicht dagelegen hatte, weil er sonst ganz bestimmt von mir bemerkt worden wäre. Ich hob diesen Gegenstand auf und betrachtete ihn. Es waren zwei kleine, niedliche Hundepfötchen, nicht etwa nur die Krallen, sondern die Pfötchen, glatt abgeschnitten und an den Schnittflächen mit Hirschsehne sehr sorgfältig zusammengenäht, so daß sie ein Doppelhändchen bildeten, dessen Finger nach entgegengesetzter Richtung lagen. Ich zeigte es dem »jungen Adler«.

»Eine Medizin!« rief er aus.

»Sehr wahrscheinlich! – Aber wessen Medizin?« fragte ich.

»Kiktahan Schonka!«

»Hoffen wir es! Aber wie konnte er sie verlieren? Medizinen pflegt man doch im verschlossenen Medizinbeutel zu tragen! Es sind Hundefüße, nicht vom Fuchs oder Wolf, und der Häuptling der Sioux heißt der ›wachende Hund‹. Ich zweifle also nicht, daß er es ist, der sie verloren hat. Aber wie war es möglich, daß dies geschah? Mein junger, roter Bruder, schaue nach!«

Ich gab sie ihm. Er betrachtete sie sehr aufmerksam, reichte sie mir dann zurück und antwortete:

»Diese Medizin hat nicht im Medizinbeutel gesteckt, sondern sie war an den Gürtel genäht. Man sieht sehr deutlich die Stiche. Sie ist losgerissen worden, als man den Häuptling am Lasso über die Stufen emporzog oder als man ihm wieder herunterhalf. Dieser Fund ist außerordentlich wichtig!«

»Allerdings, aber auch gefährlich. Wenn Kiktahan Schonka seinen Verlust bald bemerkt, kehrt er unbedingt nach hier zurück, um zu suchen. Bemerkt er ihn später, so weiß er freilich nicht genau, wo er die Medizin verloren hat, ob hier oder nachträglich unterwegs. Auf keinen Fall aber dürfen wir noch länger hier verweilen. Gehen wir!«

Ich steckte die Medizin sorgfältig ein. Dann verließen wir den Platz und stiegen nach unserem Lager empor. Wir waren von dort aus so scharf beobachtet worden, daß Pappermann wußte, daß wir kamen. Er brachte uns die Pferde, damit wir nicht nötig hätten, durch das Wasser des Weihers zu waten.

»Ist schnell gegangen, ungeheuer schnell!« sagte er. »Kommen sie wieder?«

»Nein, hoffentlich nicht,« antwortete ich.

»Sonderbar! Man pflegt sonst oft tagelang zu beraten! Warum sind sie so schnell fort? Und habt Ihr Etwas erlauscht?«

»Wartet, bis wir drin bei meiner Frau sind! Die will dasselbe wissen!«

Das war sehr richtig. Sie schaute uns, als wir kamen, so gespannt entgegen, daß ich es nicht über das Herz brachte, sie auch nur einen Augenblick warten zu lassen, sondern ihr sofort entgegenrief:

»Gelungen! Alles gelungen!«

»Wirklich – wirklich?« fragte sie.

»Ja.«

»So steig ab; setz dich her, und erzähle!«

Dabei setzte sie sich auch schon selbst nieder und klopfte mit der Hand auf die Stelle neben sich, wo ich als gehorsamer Ehemann mich schleunigst niederzulassen hatte. Ich befolgte diesen Befehl und gab dem »jungen Adler« einen Wink, nach der Höhe zu steigen und inzwischen Wache zu halten, damit ich, falls Kiktahan Schonka zurückkäme, es sofort erführe. ich machte meinen Bericht so kurz wie möglich. Als ich mit ihm zu Ende war, sprang das Herzle in ihrer energischen, schnell entschlossenen Weise wieder auf und rief:

»Also einpacken, einpacken! Wir müssen augenblicklich fort!«

Damit griff sie auch schon nach Kochtopf und Kaffeemühle. Ich aber blieb sitzen und fragte:

»Wohin?«

»Den beiden Enters nach!«

»Du allein?«

»Allein? – Ich? – Wieso?«

»Ja, wenn du fort willst, so mußt du das eben allein tun! Ich nämlich bleibe noch hier.«

»Was gibt es hier noch zu tun?«

»Nichts.«

»Und da willst du bleiben?« Sie war erstaunt. Sie wendete sich an Pappermann: »Nichts! Und doch will er bleiben! Versteht Ihr das, Mr. Pappermann?«

»Wenigstens noch nicht ganz,« antwortete dieser. »Aber wenn er noch warten will, so hat er seine Gründe, und gegen diese wird wohl nichts zu machen sein!«

»Gründe? Hm! Die hat er immer! Wenigstens ich habe ihn noch niemals ohne irgend einen Grund gesehen!«

»Taugten sie etwas, oder taugten sie nichts?« fragte der Alte.

»Hm! Triftig waren sie fast immer!«

»Na, also! Setzt Euch in Gottes Namen wieder nieder, und habt zu diesem Mann Vertrauen! Er weiß, was er will. Wir bleiben noch hier.«

»Für wie lange?«

»Wahrscheinlich bis morgen früh.«

»Ist das wahr?« fragte sie mich.

»Ja,« nickte ich.

»So willst du also die beiden Enters laufenlassen?«

»Wenigstens für heut, aber nicht für länger. Ich kenne ja ihren Weg! Oder wünschest du, daß wir sie schon heut einholen und uns dann ganz unnütz mit ihnen schleppen? ja, wir brauchen sie; sie werden in gewissen Dingen die Quellen sein, aus denen wir schöpfen; aber ich halte es trotzdem nicht für nötig, sie Tag und Nacht und immer und immer bei uns zu haben. Wenigstens mir wäre das lästig.«

»Mir auch. Du hast Recht.«

»Schön! Wir reiten also erst morgen früh. Es steht uns zu jeder Zeit frei, sie einzuholen.«

Da war sie einverstanden. Wir brauchten nicht zu hetzen. Wir konnten uns in Muße auf den kommenden Ritt vorbereiten. Von den Indianern kam keiner zurück. Der ›Wachende Hund‹ hatte also seinen Verlust noch nicht bemerkt. Wie groß dieser Verlust war, das weiß nur der zu ermessen, der über die Entstehung, die Bedeutung und den Wert einer indianischen ›Medizin‹ unterrichtet ist. Die Folge wird zeigen, welche Wirkung das Abhandenkommen der beiden Hundepfötchen auf den alten Kiktahan Schonka äußerte.


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