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Drittes Kapitel.

Der Bruder Jaguar.

Was ich gehört hatte, erfüllte mich mit Erstaunen. Woher hatte der seltsame Mann, in dem ich wohl das Mitglied einer Missionsgesellschaft zu verehren hatte, diesen Namen? Womit hatte er ihn verdient. Der Jaguar ist das gefürchtetste Raubtier Süd- und Mittelamerikas. Wenn ein Mann Gottes aus dem Munde des Volkes einen solchen Namen erhält, so müssen Gründe dazu vorhanden sein. Jaguar! Wie harmonierte dieses Wort mit der Sanftmut und Milde, welche sein bleiches, bartloses Gesicht so anziehend machte! Ich ahnte, daß ich da vor einem hochinteressanten Geheimnisse stehe.

Die Art und Weise, in welcher er mit den Kavalleristen sprach, hatte etwas so Furchtloses, Selbstbewußtes, ja Kriegerisches. Und als er sich zu mir herumgedreht hatte, war ein so eigentümliches Leuchten in seinen Augen gewesen, als ob er sich zutraue, den stärksten und gefährlichsten Feind zu bezwingen. Er wendete sich wieder an das Guckloch und rief:

»Wartet hier! In einer halben Stunde werde ich euch Bescheid sagen. Aber wer nur einen feindseligen Griff zu tun wagt, der hat es mit Bruder Jaguar zu tun. Bedenkt das!«

Jetzt verschloß er das Guckloch. Ich war gleich anfangs vom Pferde gestiegen und hatte bis jetzt nicht aufgehört, dasselbe zu liebkosen und zu streicheln, weil es seine Schuldigkeit getan hatte.

Der Bruder sah das. Er reichte mir die Hand und sagte:

»Ich heiße Sie willkommen, Sennor. Sie halten Ihr Pferd gut. Das ist hier eine große Seltenheit, und ich bin überzeugt, daß Sie ein guter Mensch sind. Kommen Sie herein in die Stube!«

Er öffnete eine schmale Türe, durch welche wir in den Wohnraum traten, der höher war, als man es gewöhnlich in Ranchos findet und eine Bretterdecke hatte. Die Glasfenster zeigten keinen einzigen Flecken, und die einfachen Tische und Stühle waren ebenso wie die Diele blitzblank gescheuert. Das mutete einen so heimatlich an. Neben der Türe hing ein Weihwassergefäß, was ich während dieser Tage noch nirgend anderswo gesehen hatte, obgleich die Staatsreligion der Banda Oriental die katholische ist. Gegenüber hing der Spiegel und zu beiden Seiten von ihm die Mater dolorosa und der Erlöser mit der Dornenkrone in nicht üblem Ölfarbendruck. In der Ecke stand ein großer Kachelofen und hinter demselben, in dem Raum, welchen man in einigen Gegenden Deutschlands die »Hölle« nennt, ein altes, mit Leder bezogenes Sofa. Es war mir ganz so, als ob ich mich in einer thüringischen oder bayerischen Bauernstube befände. Und ebenso wie die Wohnung heimelten mich auch die Besitzer an. Die Frau, welche mich so herzlich bewillkommnet hatte, mochte an die vierzig Jahre alt sein; ihr Mann vielleicht zehn Jahre älter. Beide trugen sich heimatlich gekleidet, ungefähr wie die Leute im Fichtelgebirge. Die Frau hatte offene, lebhafte Gesichtszüge, in denen aber ein Zug der Trauer lag. Der Mann war von behäbigem Aussehen, wie einer, welcher von sich sagen kann: »Ich bin kein reicher Mann, aber was ich brauche, das habe ich, und sogar alle Wochen zwei Groschen mehr.« Das andere Frauenzimmer, welches mit vor dem Tore gestanden hatte, war eine Dienstperson indianischer Abstammung. Sie war nicht mit in der Stube geblieben, sondern durch eine zweite Türe gegangen. Das Klirren von Tellern und dergleichen verriet mir, daß dort die Küche liege.

So waren wir zu vier Personen. Während Wirt und Wirtin die Stühle an den Tisch schoben, sagte der Frater:

»Meinen Namen kennen Sie, Sennor. Ich muß Ihnen denjenigen unseres Ranchero sagen, damit Sie wissen, bei wem Sie sich befinden. Sie sind nämlich bei zwei Landsleuten, bei Sennor und Sennora Bürgli.«

»Ah, Sie stammen aus der Schweiz?« fragte ich den Ranchero. »Ihr Name läßt es erraten.«

»Sie vermuten das richtige.«

»Und Sennora ist auch eine Schweizerin?« Ich sprach Spanisch, da ich nicht erwarten konnte, daß der Frater deutsch verstehe. »Nein. Sie ist eine Thüringerin aus der Gegend von Arnstadt,« lautete die Antwort.

»Das habe ich mir nicht gedacht. Ein Schweizer ist hier in der Banda Oriental keine Seltenheit, aber daß ich hier am Rio Negro eine Thüringerin treffen würde, das konnte ich nicht erwarten, noch dazu eine Thüringerin, welche mir das Leben rettet!«

»Oh, so schlimm wird es nicht gewesen sein, Sennor!« meinte sie.

»Doch! Hätten die Bolas mein Pferd gelähmt, so wäre ich verloren gewesen. Man hätte mich erschossen.«

»Wegen Landesverrates?«

»Ja, und wegen Mordes. Zufälliger Weise aber war ich derjenige, welcher ermordet werden sollte.«

»Zürnen Sie mir, wenn ich Sie bitte, uns Ihre Erlebnisse mitzuteilen?«

»O nein. Sie haben ein Recht, es zu erfahren.«

Ich erzählte, was ich in den wenigen Tagen erlebt hatte, von dem Augenblicke an, an welchem ich vom Schiff gegangen war, bis jetzt. Sie waren sehr aufmerksame Zuhörer.

Als ich geendet hatte, sagte der Bruder: »Eigentümlich! Es hat nicht ein jeder das Glück oder das Unglück, in so kurzer Zeit so viel zu erleben wie Sie, Sennor. Sie befinden sich wirklich in Lebensgefahr.«

»Wüßte ich nur, wer mir diese wütenden Bolamänner auf den Hals geschickt hat!«

»Vielleicht erfahren wir es noch.«

»Ich habe Rixio in Verdacht.«

»Ich auch. Übrigens kann es Ihnen, da Sie so schnell weiter und sich hier nicht verweilen wollen, eigentlich gleichgültig sein, wem Sie diese gefährliche Belästigung zu verdanken haben. Die Hauptsache ist, daß Sie von derselben erlöst werden.«

»Das wird schwer fallen.«

»Ich hoffe, daß es mir gelingen wird.«

»Und ich denke, daß sie draußen warten werden, bis ich den Rancho verlasse.«

»So bleiben Sie hier, bis ihnen die Geduld ausgegangen ist!«

»Das wäre schön!« stimmte die Sennora bei. »Sie würden dadurch bei uns eine große Freude anrichten, trotzdem wir jetzt eine große Trauer im Hause haben.«

»Ja, den Sterbenden?« fragte ich.

Ihre Miene verdüsterte sich.

»Es ist ein Oheim von mir,« sagte sie leiser. »Hören Sie ihn nicht draußen in der andern Stube?«

Ich hatte wohl mehrere Male ein unterdrücktes Ächzen und Stöhnen gehört, aber nicht darauf geachtet.

»Ist er sehr krank?« fragte ich.

»An Leib und Seele,« antwortete sie. »Leiblich kann er nicht genesen, es sind ihm wohl nur noch wenige Tage beschieden, vielleicht nur Stunden. Und doch ist die andere Krankheit noch schlimmer, denn er will den Arzt nicht zu sich lassen und von keiner Arznei etwas wissen.«

»Das ist freilich traurig. Ist er vielleicht ohne Glauben?«

»Das eigentlich nicht. Aber es scheint ihn etwas schwer zu drücken, irgend eine Schuld oder sonst eine Last, welche er vor seinem Tode von sich abwälzen möchte, ohne doch den Mut dazu zu haben. Er hat sich viel im Westen, im Gebirge umher getrieben. Womit er sich da beschäftigte, wissen wir nicht genau. Er sagt, daß er nach vorsündflutlichen Tieren grabe. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen gesammelt, mit welchem er für uns diesen Rancho kaufte. Er befindet sich fast das ganze Jahr in den Cordilleren und kommt nur hier und da einmal auf einige Wochen, um sich auszuruhen. Als er jetzt kam, es ist vor fast zwei Monaten, erschraken wir über sein Aussehen. Er glich einer Leiche. Von da an hat er seine Stube nicht mehr verlassen und ist wie das Abbild des Todes. Er weiß genau, daß er sterben muß.«

»So geben Sie sich alle Mühe, ihn dahin zu bringen, daß er sein Herz erleichtere! Es hängt die Seligkeit daran!«

»Sie haben recht, Sennor,« sagte der Bruder, indem er mir die Hand drückte. Er hielt inne, denn draußen vor dem Tore erhob sich ein wahrer Heidenskandal. Der Ranchero griff zu seinem Gewehre, welches an der Wand hing, aber der Frater sagte:

»Lassen Sie, Sennor Bürgli! Waffen werden wohl nicht nötig sein. Ich glaube, diese Leute bändigen zu können. Aber Sie können mit herauskommen!«

Wir gingen in den Hof, in welchem mein Pferd sich nicht mehr befand. Ein Peon hatte es nach der andern Seite des Hauses geführt, wo die auch von Kaktusgehegen eingeschlossene Pferdeweide sich befand. Sie war von außen ebenso unzugänglich, wie der für die Rinder bestimmte Platz, welcher vorhin erwähnt wurde. Man schlug gegen die Türe, und zehn, zwanzig Stimmen brüllten um Einlaß. Der Bruder öffnete das Guckloch abermals; es wurde still, und ich hörte den Major wieder reden:

»Zum Teufel, wie lange sollen wir warten! Es ist viel mehr als eine halbe Stünde vergangen!«

»So reitet weiter, wenn ihr keine Zeit zum Warten habt!«

»Wir werden reiten, aber ohne den Deutschen nicht! Gebt ihn heraus!«

»Das tun wir nicht.«

»Mann Gottes, bekümmere dich nicht um irdische Dinge! Ich befinde mich auf dem Wege nach meiner Garnison. Ich werde dort erwartet und muß Sie allen Ernstes ersuchen, uns hier nicht aufzuhalten.«

»Kein Mensch hält euch auf, Sennor. Reitet fort, so schnell ihr könnt! Ihr tut uns und vielen andern damit einen großen Gefallen!«

»Ohne den Deutschen nicht!«

»Den bekommt ihr nicht. Er befindet sich unter meinem ganz speziellen Schutz!«


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