Karl May
Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Karl May

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»Wie ist es denn aber möglich gewesen, daß – daß –«

»Erlaubt mir zu erzählen, was mich zur Begehung dieser tadelnswerthen Handlung veranlaßt hat!«

»Ich bitte darum!«

»Vielleicht ist Euch erinnerlich, daß ich vor vielen Jahren, als Knabe noch, zu einem am kurfürstlichen Hofe in Sachsen lebenden Freunde meines Vaters gebracht wurde, um dort meine Ausbildung zu erhalten. Als ich dann für kurze Zeit nach Friedland zurückkehrte, war der unglückselige Zwist zwischen Eurem und meinem Vater bereits ausgebrochen und allen meinen Bitten, Euch wiedersehen zu dürfen, wurde beharrlich ein starres Nein entgegengestellt. Dies empörte mich, ich habe alles Mögliche aufgeboten, nach Güntersberg gelangen zu können, jedoch vergebens, weshalb ich meinen Aufenthalt in Friedland abkürzte und nach Sachsen zurückkehrte mit dem festen Entschlusse, nur durch einen directen Befehl mich zur Rückkehr nach Friedland bewegen zu lassen. Diesen Befehl erhielt ich nach langjährigem ununterbrochenem Aufenthalt in Sachsen vor einigen Wochen und mußte gehorchen. Auf dem Wege nach Friedland begegnete ich Euch!«

»Mir? Bei welcher Gelegenheit? Ich entsinne mich nicht, Euch vor Eurem Eintreffen auf Güntersberg gesehen zu haben!«

»Ihr waret eben auf einem Jagdzuge begriffen. Eure Falken verfolgten ein paar Hasen, und einer Eurer Knechte war verwogen genug, zu Pferde den auf der Eisdecke eines Teiches mit den Hasen kämpfenden Falken zu Hülfe zu eilen. Die Eisdecke war noch zu schwach. Das Pferd brach ein und vermochte sich nur mit höchster Anstrengung an das Ufer zu arbeiten.«

»Ah! Ich entsinne mich des Vorfalls. Wo aber waret Ihr damals?«

»Ich war, als ich den Jagdzug kommen hörte, für alle Fälle hinter eine der Schlagwände getreten, während mein Pferd einige Schritte zurück hinter den Bäumen versteckt blieb. Als ich Euch sah, holde Jungfrau, beschloß ich, um etwaigen Einwänden der Meinen zu entgehen oder anderweite Verzögerungen zu hintertreiben, noch vor meiner Rückkehr nach Friedland mir Eintritt auf Güntersberg zu erringen. Auf geradem Wege durfte ich diesen Versuch nicht anstellen. Ich ritt deshalb nach Altenwedel, ließ mir dort einige der besten Falken geben und kam in Güntersberg als Falkenmeister an!«

»Mein Gott,« rief Brunhilde, als er hier einen Augenblick schwieg, »fürchtetet Ihr denn nicht, durch Zufall erkannt und bei der leider bestehenden, wenig freundschaftlichen Gesinnung zwischen Eurem und meinem Vater für Euer Wagnis übel belohnt zu werden?«

»Daran habe ich wirklich nicht gedacht. Dagegen hatte ich unablässig das hohe Ziel vor Augen, welches ich erreichen wollte, und ich muß gestehen, das das Geschick in sofern mir hierin günstig war, als ich Euch und nun wohl auch Eurem Vater zu beweisen vermochte, das die Wedel's nicht diejenigen sind, als welche Herr Janeke von Stegelitz vielleicht sie characterisiren möchte. Frau Hedwig, meine Tante, besitzt ja schon Euer Vertrauen und Herr Hans von Wedel, mein Onkel, wird Euren Vater heut' auch wohl davon überzeugen, das er seiner Freundschaft werth sei!« –

»Frau Hedwig ist Eure Tante? Und sie hat, trotzdem wir – trotzdem sie so oft Gelegenheit gehabt hätte, dies zu erwähnen, doch nie mit einer Silbe verrathen, das Ihr der edlen Dame verwandtschaftlich nahe steht?«

»Weil ich sie um Stillschweigen gebeten, so lange, bis ich nicht Eurer Vergebung der begangenen Täuschung sicher bin. Ob mir diese je zu Theil werden wird, muß ich leider, je länger ich darüber nachdenke, trotz Eurer mir ja bekannten großen Güte immer mehr bezweifeln. Denn ich darf mich ja der Einsicht nicht verschließen, daß ich, ungeachtet alles Beschönigens meines Schrittes Euch gegenüber mich wissentlich einer groben Unwahrheit schuldig gemacht habe!«

Er hatte die letzteren Worte mit dumpfer Stimme gesprochen, und in seinen Zügen, in seiner Haltung sprach sich so deutlich aus, daß er das Drückende dieses Geständnisses recht wohl empfand, daß Brunhilde in dem Wunsche, ihn zu beruhigen, vielleicht auch gedrängt durch ein anderes Gefühl, in wärmerem Tone, als es wohl ihre Absicht gewesen, erwiderte:

»Ich zürne Euch nicht! Ihr habt ja so viel Gutes für uns gethan, daß« – ihr Blick irrte, um demjenigen des vor ihr stehenden jungen Mannes nicht zu begegnen, bei diesen Worten im Gemach umher, und ihre Wangen rötheten sich höher – »ich mich Euch stets zu Dank verpflichtet erachten werde!«

Hennings Auge leuchtete auf.

»Dank, herzlichen Dank für die großmüthige Verzeihung! Darf ich Euch nun wohl aber auch sagen, welches hohe Ziel ich vor Augen gehabt habe, als ich Güntersberg als Falkenhändler betrat?«

Brunhilde machte eine leicht abwehrende Bewegung, Henning ließ sich hierdurch jedoch nicht zurückschrecken. Er ergriff ihre Hand und sprach halblaut und mit bebender Stimme:

»Zunächst wollte ich Alles aufbieten, Euer Vertrauen mir zu erwerben, dann durch ein offenes Geständnis Eure Verzeihung für die begangene Täuschung erflehen, und ausgerüstet mit der beseligenden Ueberzeugung, Euch – nicht mehr gleichgültig zu sein, endlich an den Versuch der Aussöhnung unserer Väter gehen. Der Gang der Ereignisse hat meinen Plan verschoben. Es ist mir gelungen, diese Versöhnung der beiden alten Feinde herbeizuführen, noch ehe ich Euch zu sagen vermochte, wessen ich mich schuldig gemacht habe, und noch ehe ich erfahren, das ich mich um den Preis bewerben darf, der mir als der schönste, der herrlichste auf Erden erscheint. Brunhilde,« schloß er, sich noch einmal auf die Kniee vor ihr niederlassend, »ich liebe Euch vom ersten Augenblick, in dem ich Euch sah, liebe Euch unbeschreiblich, mehr als Alles in der Welt; werdet Ihr meine Liebe nicht zurückweisen, darf ich hoffen, Euch einst mein nennen zu dürfen?«

Halb abgewendet stand das Mädchen fassungslos, überwältigt von diesem Geständniß, wortlos vor dem ihrer Antwort ängstlich harrenden Junker; das Zittern ihrer noch in der seinen ruhenden Hand verrieth ihm aber, wie mächtig Brunhilde erregt war.

»Nur um ein Wort bitte ich Euch,« drängte er auf's Neue, »gönnt mir nur ein Wort, daß Ihr durch mein offenes Geständniß nicht erzürnt seid!«

In diesem Moment begegneten sich ihre Blicke – hastig sprang er auf.

»Brunhilde, Du liebst mich!« rief er jubelnd und schloß das widerstandslos sich fügende Mädchen in seine Arme.

»Ja, Henning, ich liebe Dich, liebe Dich schon lange, lange!« flüsterte sie, verschämt das Gesicht an seiner Brust bergend, hob dann aber, als sie das Geständniß ihrer Liebe abgelegt, das Köpfchen in die Höhe und ließ ihn auch in ihrem Auge lesen, daß und wie sehr er geliebt sei.

Ihre Lippen begegneten sich im ersten, langen Kusse, und im seligen Vergessen schwelgten die Glücklichen in ihrem Liebesgekose, als eine Beiden wohlbekannte Stimme neben ihnen fragte:

»Ist der Herzenskummer meiner beiden Lieblinge nun endlich behoben?«

Frau Hedwig stand vor ihnen und betrachtete lächelnd das glückliche Paar.

Erröthend, verschämt entwand Brunhilde sich dem Arme des Geliebten, um im nächsten Moment sich schon an der Brust ihrer mütterlichen Freundin wiederzufinden.

»Tante,« rief Henning laut aufjubelnd, »ich bin der Glücklichste der Menschen, Brunhilde, dieser Engel, hat mir nicht nur vergeben, sondern liebt mich auch, ist mein!«

»Ist das möglich?« fragte Frau Hedwig, lächelnd sich zu Brunhilde herabbeugend. »Meine herzige Brunhilde kann einen – einen Falkenmeister lieb haben?«

»Ja, ja!« flüsterte diese verschämt, »ich habe ihn so sehr lieb, lieber als mich selbst!«

»Dann werdet glücklich miteinander, Kinder!« rief Frau Hedwig bewegt, küßte das Mädchen und ließ sie leicht in die Arme ihres Geliebten zurückgleiten.

»Dein Onkel, Henning, hat ebensogut wie ich erkannt, wie lieb Ihr einander habt, und er wird sich nicht wundern, wenn er jetzt erfährt, daß ein glückliches Brautpaar auf Betow weilt. Was aber wird Herr Simon, was wird Dein Vater, liebe Brunhilde, sagen? Wird er in seinem Groll gegen die Wedel's nicht seine Einwilligung zu Eurer Verbindung versagen?«

»Früher wäre dies wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich gewesen, heut' jedoch –«

»Ist an seiner Einwilligung nicht mehr zu zweifeln,« fuhr Henning fort, »da er ja mit meinem Vater versöhnt ist!«

»Hm! Hm! Ich habe von dieser sogenannten Versöhnung, nach dem, was ich von Deinem Vater, Brunhilde, gehört, keine hohe Meinung; sie ist durch den Tausendkünstler, den Falkenmeister, ja förmlich erzwungen worden!«

»Das Beste wird wohl sein, sofort zu ihm zu gehen und nicht nur mich meiner Würde als Falkenmeister selbst zu entkleiden, sondern auch ihn um Dich, meine theure Brunhilde, zu bitten. Bleibe bei der Tante, liebes Herz, bis ich zurückkehre. Ich zweifle nicht daran, daß meine Bitte den erwünschten Erfolg haben wird!«

Noch ein Händedruck, ein Kuß und rasch eilte er hinaus, dem Saale zu, in welchem die beiden Ritter zechend saßen.

Herr Hans, welcher durch Frau Hedwig davon bereits unterrichtet sein mochte, daß Henning mit Brunhilde eine längere Unterredung gehabt habe, deren Inhalt nicht schwer zu errathen sei, verließ nach einem forschenden Blick auf Henning, welcher freudestrahlend ihnen näher trat, unter einem gleichgültigen Vorwande den Saal, und Henning befand sich mit dem ahnungslosen Vater seiner Geliebten allein.

Ohne Zögern legte nun der Junker ein völliges Geständniß der begangenen Täuschung hinsichtlich seines Namens ab, erklärte, wie es ihm möglich geworden sei, dem gefangenen Ritter zu seiner Befreiung behülflich zu sein, und bat ihn schließlich um die Hand seiner Tochter.

Ritter Simon war, als er Hennings wahren Namen hörte, vom Stuhle aufgesprungen, hatte sich dann aber bald soweit wieder zu beherrschen gewußt, daß er den Junker ohne Unterbrechung zu Ende zu hören vermochte.

Als dieser schwieg, stieß er den vor ihm stehenden Humpen mit einer Gewalt auf den Tisch, daß dieser dröhnte und rief, halb belustigt, halb ärgerlich:

»Bei allen Teufeln, Junker, Ihr habt nicht nur gezeigt, daß Ihr Muth, Kraft und Geschick besitzet, sondern auch, daß das Glück mit Euch ist. Ich aber habe bewiesen, daß ich, trotz meiner guten Augen, doch blind bin. Himmel und Hölle, war ich denn völlig mit Blindheit geschlagen, daß ich gar nicht daran zu denken vermochte, Euer Einfluß bei meinen seitherigen Gegnern müsse auf andere, näherliegende Gründe und Verhältnisse zurückzuführen sein, als Ihr mir solche anzugeben für gut befunden habt. Darüber wollen wir indeß noch einmal sprechen, wenn ich in Güntersberg werde die frühere Ordnung hergestellt haben. Durch Eure Bitte um die Hand meiner Tochter bringt Ihr mich in arge Verlegenheit. Ich möchte sie Niemandem lieber geben als Euch, bin aber durch ein Versprechen gebunden, das ich Herrn Erasmus von Wedel gegeben habe!«

»Herrn Erasmus? Ihr habt Eure Tochter, die liebliche Rose, dem – alten Herrn versprochen?«

»Bewahre, aber dem Sohne desselben!«

»Dem Junker Waldemar, welcher, so viel ich weiß, vor einer Reihe von Jahren zu seiner Ausbildung nach Brandenburg geschickt worden ist?«

»Ja, kennt Ihr ihn?«

»Persönlich nicht. Einer meiner Freunde, der Junker Joachim Gans zu Putlitz hat mir aber vor wenig Wochen erst mitgetheilt, daß dieser Waldemar in einem Kampfe mit den Stachowern gefallen sei. Mein Freund theilte mir dies in dem Glauben mit, ich sei mit Waldemar befreundet und nähme irgend welchen Antheil an dem Ergehen desselben. Diese Zusage hat demnach jede Bedeutung verloren, und ich verstehe nicht, weshalb Herr Erasmus Euch, seinem Freunde, keine Kenntniß von diesem unglücklichen Ereigniß gegeben hat. Unmöglich kann ich annehmen, daß er selbst noch keine Mittheilung erhalten habe, vielmehr will mir scheinen, die Nachricht sei Euch durch Zufall oder die böse Absicht eines Dritten vorenthalten worden!«

Der Ritter Simon war durch diese Nachricht sichtlich ergriffen und er verharrte längere Zeit schweigend in ernstem Sinnen, in welchem Junker Henning nicht wagte, ihn zu stören.

Endlich richtete er sich empor.

»Weiß Euer Vater um Eure Absicht?«

»Ja, und mit seiner Billigung bitte ich Euch um Eure Tochter!«

»Wo ist Brunhilde?«

»Bei Frau Hedwig!«

»Natürlich habt Ihr mit ihr bereits gesprochen?«

»Ich mag es nicht in Abrede stellen, daß wir bereits einig sind!«

»Ruft sie hierher zu mir!«

Wenige Augenblicke genügten dem Junker, das entfernt liegende Gemach zu erreichen, in welchem Brunhilde in ängstlicher Spannung der Rückkehr des Geliebten harrte, und klopfenden Herzens folgte sie ihm in den Saal, wo ihr Vater sie mit der anscheinend barschen Frage empfing:

»Zu meinem Befremden muß ich hören, daß meine folgsame, unschuldige Brunhilde ohne mein Wissen ein Liebesverhältniß angeknüpft hat? Wie willst Du Dich von dem Vorwurfe befreien, Deinen Vater hintergangen zu haben?«

Ein Zittern überlief den Körper des armen Mädchens, während ihr verlegen gesenktes Gesichtchen im jähen Wechsel bald erglühte, bald erbleichte.

Henning wollte ihr zu Hülfe eilen, ein zwar entschiedener, jedoch keineswegs unfreundlicher Blick des Ritters hielt ihn jedoch zurück.

In demselben Augenblick schlang Brunhilde beide Arme um den Hals ihres Vaters und stieß unter Thränen und mit gepreßter Stimme hervor:

»Verzeihung, lieber Vater; ich liebe Henning so sehr! Begehe ich denn ein Unrecht damit, daß ich ihn, nur ihn lieb habe?«

»Allerdings, mein Kind, und zur Strafe sollst Du die Frau des jungen Mannes werden, der neben Dir steht!«

Brunhilde richtete einen scheuen Blick seitwärts. In demselben Moment aber umschlang sie aufs Neue stürmisch den Vater, welcher unter ihren Liebkosungen schließlich in komischen Zorn gerieth.

»Kind, Du erstickst mich ja! Hör' auf mit dem Küssen und laß meinetwegen dem da auch einige zukommen; sieh doch, wie neidisch er mich betrachtet!«

Mit diesen Worten befreite er sich aus ihren Armen und legte die Hände der Liebenden ineinander.

Allen war es entgangen, daß Herr Hans inzwischen eingetreten war und die Scene schweigend und glücklich lächelnd beobachtet hatte.

Erst sein freudiger Ausruf:

»Darf man das im siebenten Himmel schwebende Pärchen durch einen kurzen aber aufrichtigen Glückwunsch wieder auf die Erde zurückrufen?« veranlaßte sie, sich nach dem langsam sich Nähernden zu wenden, welcher Brunhilde und Henning freundlich die Hände darbot und durch seine offene Freude deutlich zeigte, wie lieb ihm die Verbindung seines Neffen mit Brunhilde sei.

»Herr Ritter,« fuhr er mit gedämpfter Stimme zu dem Vater der glücklichen Braut fort, »ich denke, wir überlassen das Paar sich selbst und richten unsere Aufmerksamkeit zunächst auf einen guten Nachttrunk, bei welcher Gelegenheit wir noch etwas besprechen können, was mit dem Jubel Verliebter und Verlobter nicht ganz in Einklang zu bringen ist!«

»Ist irgend etwas Unangenehmes vorgefallen?«

»Das ist gerade nicht der Fall, doch immerhin klingt die noch ziemlich weit aussehende Angelegenheit ernst!«

»Eine Fehde?«

»Ich bitte Euch, mich zu begleiten. Wir wollen es in Ruhe besprechen!«

Dieses kurze Gespräch war einige Schritte abseits von Henning geführt worden, so daß dieser es nicht vollständig verstanden hatte. Obwohl er Neigung zeigte, um näheren Aufschluß zu bitten, so verzichtete er jedoch auf Befriedigung seiner Wißbegier, weil Brunhilde ihn bat, mit ihr zu Frau Hedwig zurückzukehren.

»Seht 'mal die kleine schlaue Hexe,« rief Herr Hans, welcher die Bitte Brunhildens verstanden hatte, lachend; »sie weiß, daß ich nirgends lieber trinke, als hier, deshalb will sie uns allein lassen, da sie aber heut' sich fürchtet, allein zu gehen, muß ihr geliebter Henning wohl oder übel mit ihr fort! Henning, Henning, wie sehr wirst Du unter den Pantoffel gerathen! Armer Junge, Du dauerst mich!«

»Ohm,« erwiderte dieser lachend, während er, Brunhilden folgend, bereits an der Thür stand, »ich kann Dein Bedauern nicht annehmen, denn ich stelle mich freiwillig unter die Herrschaft meiner Brunhilde und fühle mich unbeschreiblich glücklich dabei!«

Als Beide den Saal verlassen hatten, wurde die Miene des Herrn Hans ernster und Simon fragte verwundert, was in aller Welt vorgefallen sei, das ihm die Freude an dem heutigen Tage zu verbittern vermöge.

»Verbittern? Nein! Soweit lasse ich mich durch das, was ich erfahren, nicht beherrschen. Daß die Sache aber ernst, sehr ernster Natur ist, werdet Ihr bald selbst erfahren.«

»Ich bin in der That begierig, zu erfahren, was Euch, dessen Kaltblütigkeit weit bekannt ist, in so hohem Grade ernst zu stimmen vermag!«

»Hört nur. Euch sind ohne Zweifel ebensogut wie mir die Zwistigkeiten bekannt, welche zwischen Markgraf Friedrich von Zollern und einem Theil der märkischen Ritterschaft seit der Ankunft des Nürnberger Burggrafen in den Marken bestehen und ebenso sicher werdet Ihr von dem Mißgeschick gehört haben, das Dietrich von Quitzow auf Friesack betroffen hat!«

»Gewiß habe ich über diese Streitigkeiten und über den Fall Friesack's viel erfahren. Ritter Dietrich hat sich, wie mir gesagt wurde, nach seiner Flucht aus der als uneinnehmbar erachteten Veste nach Pommern gewandt, um hier Bundesgenossen zum Kampfe gegen den Markgrafen zu erwerben, und ich muß Euch offen gestehen, daß ich im ersten Augenblick, als ich diese Nachricht erhielt, den Wunsch gehegt habe, Herr Dietrich möge bei mir einkehren. Da erinnere ich mich eben dessen, was Henning und Brunhilde mir erzählt haben: Der Flüchtling sei auf Güntersberg eingekehrt und habe am folgenden Morgen vor seiner Abreise Henning das Versprechen gegeben, nach Güntersberg zurückzukehren. Ich muß gestehen, daß, wenn hier kein Irrthum vorliegt, ich diesem Besuch mit sehr viel Interesse entgegensehe. Einen so gewaltigen Kämpen, wie Dietrich von Quitzow, kann man ja nur hochachten; seine Klinge ist viel, sehr viel werth!«

»Hm! Hm! Henning hat mir auch von seiner Begegnung mit Dietrich gesprochen, und auch ich fühle mich nicht ganz frei von Zweifeln, daß hier ein Irrthum vorliegt. Dietrich soll ebenso wortkarg als stolz sein. Henning ist ihm als Dienender, als – nun, als – Falkenmeister gegenübergetreten, und es will mir nicht einleuchten, daß der hochmüthige Ritter sich zu dem Versprechen der Rückkehr nach Güntersberg herbeigelassen habe. Andererseits ist Henning aber auch nicht der Mann, welcher so leicht das Opfer einer Täuschung wird. Von Brunhilde will ich nicht weiter sprechen. Das Mädchen mußte eben glauben, was ihr gesagt wurde. Die Sache ist mir nicht klar, doch werde ich mich hüten, Henning gegenüber einen Zweifel zu äußern. Er würde dies gewaltig und mit Recht übel vermerken.

»Auch seine Reise nach Reetz ist mir nicht klar. Wie ist er mit dem Erasmus zusammengekommen?«

»Ich glaube, seine Anwesenheit in Reetz läßt sich erklären. Er hat Janeke's Mannen zur Hülfe für das bedrohte Güntersberg entboten, muß also doch wohl in Reetz gewesen sein und wird dabei den alten Erasmus kennen gelernt haben. Weniger erklärlich erscheint es mir aber, daß Dietrich nicht selbst mit den Knechten zurückgekommen ist. Von einem ernstlichen Hinderungsgrunde kann schwerlich die Rede sein, vielmehr muß ich annehmen, daß es am guten Willen gefehlt hat, das gegebene Versprechen zu einer Zeit einzulösen, in welcher seine Hülfe für mich von sehr hohem Werth war. Ein Grund wäre allerdings noch möglich, es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß dieser hier zutreffend sei. Erasmus mußte seine sofortige Rückkehr verhindert haben!«

»Wäre dieser Grund wirklich so ganz und gar außer Betracht zu lassen? Erasmus von Wedel scheut sich nicht, mit seinen nächsten Verwandten in hartnäckiger Fehde zu leben. Er wird deshalb auch nicht davor zurückschrecken, eines augenblicklichen, sei es auch nur scheinbaren, Vortheils wegen das Interesse eines Verbündeten dem eigenen nachzustellen!«

»Gleichviel! Ich denke, die heut' noch unklaren Punkte der ganzen Angelegenheit werden sich in nächster Zeit schon aufklären, und ebensowenig zweifle ich daran, daß Dietrich von Quitzow uns lange fern bleiben wird. Wir sind durch die Erwähnung Dietrich's übrigens von der Frage abgekommen, welche wir allem Vermuthen nach besprechen wollten!«

»Durchaus nicht in dem Grade, wie Ihr anzunehmen scheint, denn Dietrich wird in dem in Aussicht stehenden Kampfe mit den Markgräflichen keine unbedeutende Rolle spielen!«

»In einem Kampfe mit Markgraf Friedrich? Wer will gegen ihn zu Felde ziehen? Ich höre von dieser Angelegenheit zum erstenmale sprechen!«

»Ihr werdet Euch erinnern, daß die Herzöge Casimir und Otto von Pommern niemals Freunde des Markgrafen gewesen und nur durch persönliche Rücksichten auf die Interessen des eigenen Landes verhindert worden sind, angriffsweise vorzugehen. Inzwischen hat der Markgraf aber seine Macht in den Marken in einer Weise ausgedehnt, die den Fürsten Besorgniß wegen des Bestandes ihrer eigenen Herrschaft einflößt. Sie haben deshalb im Geheimen bereits Anstalten getroffen, welche die Eröffnung der Fehde zum Endziel haben. Es fehlte ihnen seither nur an der für sie günstigsten Gelegenheit, ihrem Groll gegen den Nürnberger Burggrafen nachhaltigen Ausdruck zu geben. Diese Gelegenheit soll sich nach den gestern erhaltenen Nachrichten jetzt bieten. Der Markgraf ist mit mehreren seiner tapfersten Ritter nach Kostnitz gereist, um dort an der Versammlung der geistlichen und weltlichen Fürsten theilzunehmen. Es ist zwar noch nicht genau bekannt geworden, was er dort zu thun beabsichtigt, doch dürfte man keinesfalls fehlgehen in der Annahme, daß er aus keinem anderen Grunde die weite Reise unternommen hat, als weil er durch den Kaiser eine erhöhte Machtbefugniß erlangen will. Dem muß rechtzeitig vorgebeugt werden!«

»Dies soll durch einen Krieg geschehen?«

»Ja; es soll Alles aufgeboten werden, die Macht des Markgrafen in den Marken zu brechen, zu vernichten und auf diese Weise seine in Kostnitz etwa erlangten Vortheile überflüssig zu machen!«

»Ein schweres Stück Arbeit! Bedenkt, daß Friedrich die weitaus überwiegende Mehrzahl der Ritter und Herren in den Marken für sich gewonnen hat und eine sehr bedeutende Streitkraft in das Feld zu schicken vermag. Werden die Herzöge Otto und Casimir im Stande sein, mindestens die gleiche Macht zu stellen? Welche Verbündeten haben sie?«

»Die Mecklenburger, Herrn Wratislaw von Wolgast und noch eine Anzahl Ritter!«

»Und wie denken die Ritter von Wedel, Bork, der Kremzower und Andere über diese Angelegenheit?«

»Henning von Wedel, mit dem Ihr ja jetzt in ein sehr nahes verwandtschaftliches Verhältniß tretet, ist mit mir für die Herzöge gesinnt, desgleichen der Kremzower; Friedrich von Wedel und Bork dagegen wollen sich weder für noch gegen sie bemühen!«

»Hm! Hm! Selbstverständlich habt Ihr auch Herrn Dietrich von Quitzow bei dem Feldzuge im Auge!«

»Soviel ich weiß, beabsichtigen die Herzöge, ihm eine Heeres-Abtheilung zur Führung zu übergeben!«

»Ohne Zweifel ist er hiervon bereits unterrichtet und wird bis zum Beginn des Feldzuges in Pommern verweilen!«

»Das glaube ich auch, denn in Friedenszeiten darf er sich ja in den Marken, wenigstens da, wo Markgräfliche zu vermuthen sind, nicht mehr blicken lassen. Der Bedauernswerthe ist dort förmlich geächtet!«

»Ich habe davon gehört. Sollte es zum Kampfe kommen, dann wird er sich wohl mit den Gegnern in seiner bekannten Weise abfinden!«

»Und welche Haltung beabsichtigt Ihr anzunehmen? Vergebt die Frage, Henning von Wedel, der Vater Eures demnächstigen Schwiegersohnes wird, da er in dieser Gegend die Leitung der Werbung von Hülfstruppen in die Hand genommen hat, demnächst selbst zu Euch kommen; mich drängt lediglich der Wunsch, heut' schon zu erfahren, wie Ihr diese Angelegenheit beurtheilt, zu derselben!«

»Nun, ich werde es mit Euch halten!«

»Das ist recht! Ich habe von Euch nichts Anderes erwartet und sehe immer mehr ein, daß Henning von Wedel auf Friedland treffend über Euch geurtheilt hat, als er sagte, an Eurer Aufkündigung der Freundschaft zwischen Euch und ihm sei Niemand schuld, als der Prahlhans, der Janeke von Stegelitz!«

»Sprechen wir von ihm nicht weiter. Sobald der Ruf zum Aufbruch erschallt, werde ich nicht fehlen. Ich werde doch selbstverständlich noch eine besondere Anfrage wegen meines Verhaltens in dieser Angelegenheit erhalten?«

»Gewiß! Sie wird Euch in den nächsten Tagen bereits zugehen!«

»Diese Sache ist demnach abgemacht, und der Tag der Vergeltung wird für Dietrich von Quitzow bald anbrechen.«

»Nun noch eine Frage:

»Brunhilde laßt Ihr doch so lange hier, bis Güntersberg wieder zu ihrer Aufnahme bereit ist? Meine Frau wird sich auch dann noch sehr ungern von dem lieben Mädchen trennen!«

»Ich nehme Euren Vorschlag dankbar an. Mir schwirrt übrigens von alle dem, was ich heut' erlebt habe, der Kopf. Es wird für mich Zeit, zur Ruhe zu gehen!«

Am folgenden Morgen verließen der getroffenen Verabredung gemäß Ritter Simon und Henning, welch Letzterer sich nur schwer von seiner Braut zu trennen schien, Burg Betow, um zunächst nach Güntersberg zu reiten und dort die Wiederherstellung der Burg zu betreiben. Henning kehrte für kurze Zeit nach Friedland zurück.

18.
Vergeltung

Ein halbes Jahr war seit der Abreise Suteminn's und des Grafen Warwick von Tangermünde nach Potsdam und seit dem Wiedereinzuge des Ritters Simon in seine neu befestigte Burg vergangen. Ein halbes Jahr nur und doch, welch' hochbedeutende Veränderungen waren in dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraum in den Kreisen vorgekommen, in welche die Leser eingeführt worden sind.

Mit Windeseile hatte sich in den Marken, in Mecklenburg, in Pommern und den weiter an die Marken grenzenden Ländern die Nachricht verbreitet, Markgraf Friedrich sei vom Kaiser zum Kurfürsten von Brandenburg ernannt worden, und wuthschnaubend betrieben die Herzöge von Pommern und ihre Verbündeten ihre Rüstungen in beschleunigter Eile. Ritter Dietrich von Quitzow war unermüdlich im Anfeuern zum möglichst raschen Angriff, und obwohl die Herzöge und die zu ihnen haltenden Ritter diesem Drängen des haßerfüllten Ritters nach Kräften entsprachen, verging doch die zum Angriff geeignetste Zeit unbenützt.

Die Freunde und Anhänger des Markgrafen erhielten durch den Junker Joachim Gans zu Putlitz, welcher kurze Zeit bei seinem Freunde, dem Junker Henning von Wedel auf Friedland, weilte, rechtzeitig Kunde von dem Vorhaben der Feinde, Suteminn war, von einer bangen Ahnung getrieben, mit Billigung des neuernannten Kurfürsten in die Marken zurückgekehrt, und beide Streitmassen standen bei Angermünde an dem Tage einander gegenüber, an welchem der Kurfürst nach Berlin zurückkehrte.

Ohne Zögern eilte er zu den Seinen, welche unter Führung Suteminn's, Henning von Bismarck's, des Grafen von Lindow, Gans zu Putlitz und Anderen die Gegner bereits hart bedrängten.

Auch Graf Warwick nahm mit Detlev an dem Kampfe Theil. Die Reihen der Feinde geriethen nach einem erbitterten Angriff der unter Leitung Suteminn's stehenden Heeresabtheilung in Unordnung, und als die Sonne sich dem Untergange zuneigte, waren die Feinde nicht nur vollständig geschlagen, sondern mehrere der feindlichen Führer befanden sich sogar in der Gewalt der Sieger.

Am längsten hatte sich der Theil des feindlichen Heeres auf dem Kampfplatze erhalten, welcher unter Führung Dietrich's von Quitzow stand.

Gegen diese wandte sich Suteminn, welchem Detlev, der Graf Warwick, Hans von Uchtenhagen und die beiden Junker Dietz und Cuno von Quitzow zur Seite waren, nach Durchbrechung der feindlichen Linie mit besonderer Wuth.

Detlev traf zuerst mit ihm zusammen. Ob er indeß bei der beispiellosen Wuth, mit welcher der den unglücklichen Ausgang des Kampfes längst erkennende Ritter den siegreichen Gegnern entgegentrat, den Platz zu behaupten vermocht hätte, erschien nicht nur Suteminn, sondern ganz besonders dem Grafen zweifelhaft, weshalb Letzterer und mit ihm Junker Dietz Detlev Beistand leisteten.

Dem Grafen gelang es, Dietrich von Quitzow zu entwaffnen und bald lag dieser am Boden.

Er mußte arg verwundet sein, denn das Blut rieselte durch die Fugen der Rüstung, und Junker Dietz öffnete die Sturmhaube des Ueberwundenen, um zu erkennen, wer der Ritter sei, welcher mit so beispielloser Tapferkeit gekämpft. Mit einem lauten Aufschrei prallte er aber zurück.

»Mein Vater!« rief er dem rasch herzueilenden Grafen zu und kniete neben dem bewegungslos am Boden liegenden Ritter nieder.

Auf Anordnung des Grafen, welcher sich der Verfolgung des in wilder Flucht sich eilig entfernenden Restes des feindlichen Heeres nicht anschloß, wurde Ritter Dietrich vom Schlachtfelde hinweggetragen und ein im Gefolge des Kurfürsten sich befindender Arzt untersuchte die Wunden.

»Hier giebt's kaum mehr etwas zu retten!« erklärte dieser nach eingehender Untersuchung.

»Dann versucht wenigstens, ihn noch einmal zur Besinnung zu bringen,« bat der Graf. »Dort steht sein vom Schmerz über dieses Wiedersehen betäubter Sohn, und ich möchte auch gern ein paar Worte mit ihm wechseln!«

»Wollt Ihr,« fuhr er zu dem in dumpfem Sinnen wenige Schritte entfernt stehenden Junker fort, »Euren Bruder nicht hierherrufen lassen?«

Er mußte diese Frage wiederholen, dann erst richtete Junker Dietz sich empor.

»Vergebt meine geringe Aufmerksamkeit, Herr Graf; ja, ich werde Cuno sofort rufen!«

Wankend verließ er die Hütte, in welcher sein Vater seiner Auflösung entgegensah.

In diesem Augenblicke schlug der Ritter die Augen auf. Trotz der in Folge starken Blutverlustes ihn überwältigenden Schwäche richtete er sich empor.

»Wo bin ich? Wer seid Ihr?«

»Ihr seid in der Gewalt des Siegers, und wer ich sei, fragtet Ihr auch? Ich bin der Graf Warwick, dem Ihr vor dreizehn Jahren, als Ihr noch unter dem Namen der »schwarze Dietrich« Euer Unwesen triebet, die Seinigen raubtet, den Ihr namenlos unglücklich gemacht habt und welcher nun die Abrechnung für Eure Schandthaten dem Höchsten überläßt, vor den Ihr in den nächsten Augenblicken treten werdet.

»Euer Leben geht zu Ende, seht zu, daß Ihr dort oben einst bestehen werdet!«

»Hölle und Teufel!« stieß der kraftlos auf sein Lager zurücksinkende Ritter immer schwerer, immer kürzer athmend hervor, »ich soll sterben, ohne zu wissen, daß das Burggräflein aus den Marken verjagt ist, ich soll die Meinen, meine Kinder, mein Weib nicht mehr wiedersehen? Das ist hart!«

»Eure Söhne sind hier und werden gleich zu Euch kommen!«

»Was? Dietz und Cuno hier? Sie sind doch nicht etwa –?«

»Fragt sie selbst, dort kommt Junker Dietz!«

»Dietz! Dietz!« rief Dietrich mit schwächer werdender Stimme und streckte eine Hand suchend aus.

»Vater, lieber Vater!« schrie der schnell herbeieilende Sohn laut auf und sank neben dem Lager des Vaters, den er seit dessen Flucht aus Friesack nicht mehr wiedergesehen, auf die Kniee.

»Wo ist Cuno?«

»Ich habe einen Boten nach ihm geschickt, er muß bald hier sein!«

»Dietz, mein Sohn, Du bist doch nicht etwa mit dem Burggrafen bierhergekommen?«

Der Gefragte zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Er wußte ja, daß er durch ein offenes Eingeständniß seinem auf dem Sterbebette liegenden Vater noch einen schweren Kummer bereiten würde; dann erwiderte er ausweichend:

»Ich begleitete mit Cuno Herrn Hans von Uchtenhagen!«

»Uchtenhagen?« lallte der mit geschlossenen Augen daliegende Ritter, dessen geistige Thätigkeit allgemach zu erlahmen schien und der sich des Namens aus früheren Zeiten erinnern mochte und die Gegenwart bereits mit der Vergangenheit verwechselte, »Uch – ten – hagen, das ist gut! Ich wußte ja, daß –« die Fortsetzung wurde unverständlich und bestand nur noch in einem zusammenhanglosen Flüstern.

Kurze Zeit ruhte er bewegungslos, dann faßte er die in der seinen ruhende Hand des Sohnes noch einmal fester, und seine Stimme erhielt den früheren Klang, als er rief:

»Wo ist Cuno? Elisabeth, mein treues Weib, lebe wohl! Kinder kehrt zur Mutter zurück! Haß ihm!«

Lautlos sank er nach diesen Worten zurück, der Athem ging schwerer, zuletzt stockte er, und Dietrich von Quitzow, solange Jahre der gefürchtetste Raubritter der Marken, das Vorbild des märkischen Ritterthums, war verschieden, hatte den Tod erhalten durch die Hand des Mannes, den er einst namenlos unglücklich gemacht!

Der zu spät von der Gefangennahme Dietrichs unterrichtete Kurfürst kam erst heran, als sein erbittertster Gegner bereits todt war.

Welche Gedanken mochten ihn beseelen, als er an der Leiche des Mannes stand, der ihm so viele trübe Stunden bereitet hatte und sogar kühn genug gewesen war, sich an seinem Sohne, dem Prinzen Johann, zu vergreifen? Jedenfalls war mit diesem Augenblick der Groll gegen seinen einstigen Gegner behoben. Dafür sprach auch sein weiteres Auftreten, denn er wandte sich an den, einen Schritt zurückgetretenen Sohn des Verstorbenen:

»Euer Vater hat seine Schuld mit dem Tode gebüßt und gesühnt. Ihr aber habt, seit Ihr die Waffen führt, gezeigt, daß Ihr mir ergeben seid. Ich weiß, daß ich auf Euch bauen kann und daß ich in Euch eine treue Stütze habe. Zur Anerkennung Eures Verhaltens und zum Lohne Eurer bewiesenen Unerschrockenheit und Tapferkeit gebe ich Euch Stavenow und die Burg zu Plaue zum Lohne.«

Mächtig bewegt dankte Dietz für diesen Beweis des Wohlwollens.

Der Kurfürst unterbrach ihn aber mit der Frage nach Cuno und befahl, als er hörte, daß der nach ihm ausgesandte Bote noch nicht zurück, er also noch nicht aufgefunden sein müsse, daß er nach seinem Eintreffen bald zu ihm gesandt werden solle.

»Auch er,« bemerkte der Kurfürst, »hat sich als treu, unerschrocken und tapfer bewährt und verdient die ihm zugedachte Anerkennung!«

Junker Dietz wartete, als der Kurfürst mit dem Grafen sich entfernt hatte, noch längere Zeit des Bruders. Endlich kehrte der ausgesandte Knecht zurück:

»Junker Cuno liegt todt am Ufer des Flusses dort drüben. Er muß arg drein gehauen haben, denn neben und um ihn herum liegen eine Anzahl Knechte, die jedenfalls ihm zum Opfer gefallen sind, bevor er der Uebermacht erlag.«

Dietz's Augen wurden aufs Neue feucht, als er diese Trauerbotschaft vernahm.

»An einem Tage also habe ich Vater und Bruder verloren!« stieß er mit gepreßter Stimme hervor und verdeckte einen Moment die Augen mit der Hand.

Da legte sich ein Arm um seine Schulter und eine Stimme fragte theilnehmend:

»Armer Dietz, also ist Cuno auch todt?«

»Leider, Detlev!« erwiderte dieser, ohne aufzusehen. Er erkannte an der Stimme, wer der theilnehmende Freund war, welcher sich bemühte, dem Gebeugten Trost zuzusprechen.

Detlev, dieser war es in der That, sah, daß Dietz im Augenblick nicht im Stande war, die erforderlichen Dispositionen zu treffen. Er rief deshalb auf eigene Verantwortung eine Anzahl Knechte zusammen, und die beiden Leichen, Vater und Sohn, wurden bis zur Stadt getragen, um von dort mit Hülfe eines Wagens nach Stavenow geschafft zu werden.

Vier Wochen später saßen im Zauberhause zu Tangermünde Suteminn, der Graf, Detlev und Ritter Dietz von Quitzow zusammen und besprachen die jüngsten bedeutungsvollen Ereignisse.

Unmittelbar nach siegreicher Beendigung des Kampfes bei Angermünde war Garlosen, dessen Besitzer sich mit den Gegnern verbündet hatten, erstürmt worden, wobei nicht nur die Ritter Boldewin und Thomas von dem Kruge umkamen, sondern auch der alte Wachtmeister und sein noch immer bei ihm weilender Bruder ihren Tod gefunden hatten, und wenige Tage vor dieser Zusammenkunft hatte Suteminn, Hans von Uchtenhagen und Dietz von Quitzow, welch' Letzterer dem Kurfürsten von dem Vorhandensein der Schatzkammer der ehemals in der Wendenburg hausenden Räuber gesprochen, unter Führung Dietz's den Aufbewahrungsort der von der Bande des schwarzen Dietrich geraubten Güter besucht und die Letzteren nicht nur aus dem Gewölbe entfernt und dem Kurfürsten zur weiteren Verwendung übergeben, sondern den Gang und das Gewölbe selbst unbenutzbar gemacht.

Bei der ersten flüchtigen Besichtigung der in der Kiste aufbewahrten Geschmeide wurden fast alle dem Grafen und seiner Gemahlin vom schwarzen Dietrich einst geraubten Werthsachen, welche durch das Wappen des Grafen gekennzeichnet waren, vorgefunden, und der Kurfürst hatte diese Gegenstände dem Grafen selbst sofort zurückgegeben.

Es läßt sich denken, mit welchen Gefühlen der Graf sowohl als die Gräfin die Sachen wieder in Empfang nahmen, welche sie an die furchtbarste Stunde ihres Lebens erinnerten, und die Stimmung der kleinen Gesellschaft war eine ungewöhnlich ernste, als es Dietz von Quitzow unerwartet gelang, dem Gespräch und den, den Grafen beherrschenden Gedanken eine andere Richtung zu geben.

»Da ich nach dem Tode meines Vaters und meines Bruders mit Billigung des Kurfürsten den Kampfplatz verlassen und an der Belagerung von Garlosen und den weiteren Siegeszügen mich nicht mehr betheiligt habe, konnte ich auch nicht erfahren, was mit den gefangenen feindlichen Führern geschehen sollte. Wißt Ihr vielleicht etwas Näheres darüber?«

Diese Frage Dietz von Quitzow's an Suteminn erregte bei dem Letzteren ein unwilliges Kopfschütteln, bei dem Grafen aber ein leichtes Auflachen, während Detlev erstaunt bald den Einen, bald den Andern beobachtete.

»Ihr erinnert mich durch Eure Frage an ein Ereigniß, das ich mir kaum zu erklären vermag,« entgegnete Suteminn ernst. »Der Kurfürst muß durch die endliche Niederdrückung seiner mächtigsten Feinde im Lande und im Norden desselben in eine so freundliche Stimmung versetzt sein, daß er selbst da Milde walten läßt, wo sie wenig angebracht erscheint. Die Wedels in Pommern und namentlich Henning von Wedel auf Friedland, dessen Sohn und Simon von Güntersberg waren die muthigsten Bundesgenossen der Herzöge. Der Junker von Wedel ist gefangen genommen worden. Statt ihn nun zu behandeln, wie die übrigen in Gefangenschaft gerathenen feindlichen Ritter und Herren, hat ihm der Kurfürst auf Bitten des Bischofs von Brandenburg, dessen Nichte mit einem Freunde desselben, dem Joachim Gans zu Putlitz verheirathet ist, die Freiheit gegeben, und der Letztere, welcher die nunmehr glücklich vereitelten Pläne der Gegner zuerst erfahren, verrathen und uns dadurch vor einer Ueberrumpelung, ja ohne Zweifel auch vor einer Niederlage gerettet hat, soll, wie mir lachend erzählt wurde, beabsichtigen, der Hochzeit des Herrn Henning von Wedel mit der Tochter des Güntersbergers beizuwohnen.«

»Herr Joachim Gans zu Putlitz,« bemerkte nun auch Dietz von Quitzow leicht lächelnd, »scheint sehr kühn zu sein, wenn er sich so bald schon in die Höhle des jedenfalls in Folge der erhaltenen derben Abfertigung noch grimmigen Löwen wagen will!«

»Henning von Wedel soll erklärt haben, daß er keineswegs ein so erbitterter Gegner des Kurfürsten sei, wie sein Vater, und gern die Hand zur Versöhnung bieten wolle. Ich traue aber den Wedels nicht und bedaure diesen Schritt des Kurfürsten!«

»Ihr seid ein persönlicher Gegner der Wedels, Herr Ritter?«

»Ja!«


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