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Zehntes Kapitel

Wieder einmal war für die berühmte Himmelsteiner Wallfahrt die Zeit herbeigekommen. Zwei Männer schritten auf die Schlucht zu, durch welche man zur Höllenmühle gelangte.

Der Eine mochte wohl über fünfzig Jahre zählen, sah aber bedeutend älter aus. Seine eingefallenen Schläfe und Wangen und die tiefen Furchen, welche die hohe Stirn durchzogen, ließen vermuthen, daß weniger die Jahre als gewisse seelische Vorgänge schuld seien, daß die Haltung seiner hohen Gestalt eine so müde und geknickte war. Der Andere war ein junger rüstiger Mann im Alter von vielleicht etwas über zwanzig Jahren. Ihre außerordentliche Aehnlichkeit ließ vermuthen, daß sie Vater und Sohn seien. Beide trugen eine zwar einfache Kleidung, deren Schnitt aber doch ein solcher war, wie bei den besseren Ständen gebräuchlich zu sein pflegt.

»Ob wir wohl den richtigen Weg zur Höllenmühle haben?« frug der Aeltere.

»Ich denke es, Papa. Wir haben uns ja genau nach der Beschreibung gerichtet.«

»Und ob der geheimnißvolle Fremde auch wirklich eintreffen wird?«

»Sicher! Er sah mir nicht aus, als ob die Sache im Scherz sei. Er war dem Prinzen nicht weniger als freundlich gesinnt und schien sehr wohl zu wissen was er that. Jedenfalls aber sagte er bedeutend weniger, als was er hätte sagen können.«

»Das ist es, was mich mißtrauisch macht. Konnte er nicht aufrichtig sein?«

»Er hatte jedenfalls triftige Gründe zur Verschwiegenheit. Dort sind Leute im Grummet. Wollen einmal fragen.«

Nicht fern von ihnen, hart neben dem Eingange der Schlucht, ruhten auf einer Wiese mehrere Personen, welche Grummet geschnitten hatten und nun ihre Vespermahlzeit verzehrten. Die Beiden schritten auf sie zu, und nachdem sie gegrüßt hatten, frug der Aeltere:

»Kommt man hier nach der Höllenmühle?«

Einer der Männer erhob das Gesicht. Er hatte eine ganz entsetzlich lange Nase. Sie hob sich empor, wie um die Ankömmlinge genau in Augenschein zu nehmen, und wandte sich dann seitwärts nach der Schlucht hinüber; nun endlich erst antwortete ihr Besitzer:

»Das versteht sich ganz von selber!«

»Wie hat man zu gehen?«

»Hier durch den Engpaß.«

Sein Nachbar, welcher neben ihm saß, hatte einen Stelzfuß und gar keine Nase. Er erhob sich und meinte:

»Wir gehören zur Mühle. Ich werde Sie führen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich muß einmal nach Hause, um Rechen zu holen.«

»Ist es weit?«

»Zehn Minuten. Kommen Sie!«

Sie folgten ihm. Während des Gehens beobachtete er sie von der Seite. Er wußte sichtlich nicht, für wen und was er sie zu halten habe. Endlich frug er:

»Sie haben wohl Geschäfte in der Mühle?«

»Möglich.«

»Getreide- und Mehlhandel?«

»Nein.«

»Was denn?«

»Zunächst wollen wir Jemand dort treffen. Ist Besuch beim Müller?«

»Nein.«

»Es wird auch Niemand erwartet?«

»Ich weiß nichts davon.«.

»Sind Sie bereits lange in der Mühle?«

»Viele Jahre. Ich bin mit dem Klaus zu gleicher Zeit eingetreten.«

»Wer ist dieser Klaus?«

»Der mit der langen Nase. Er könnte mir ein Stück davon ablassen.«

»Das ist richtig. Sind Sie stets ohne Nase gewesen?«

»Nein. Ich habe sie und das Bein im Gefechte verloren.«

»Ah! Sie waren Soldat?«

»Sehr.«

»Kavallerist?«

»Hm! Ich sollte. Man wollte mich dazu zwingen, ich aber gab es nicht zu.«

»Ich denke, man wird da gar nicht gefragt. Warum wollten Sie nicht?«

»Weil ich ein Gelübde gethan hatte.«

»Ein Gelübde? Welches?«

»Ich hatte gelobt und geschworen, niemals zu reiten.«

»Ah! Warum?«

»Das ist eine sehr schlimme Geschichte, die ich gar nicht Jedem erzählen kann.«

»Warum nicht?«

Es war Brendel mit seiner letzten Behauptung gar nicht ernst gemeint, sondern er war im Gegentheile ganz glücklich, seine berühmte Geschichte wieder einmal an den Mann zu bringen. Darum antwortete er:

»Hm, weil man am Ende gar noch ausgelacht wird. Aber weil Sie zwei ernsthafte Männer zu sein scheinen, so sollen Sie es hören. Ich war damals nämlich noch Lehrjunge in der Sonntagsmühle, und da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an.«

»Was für eins?«

»Es war ein Apfelschimmel, aber er hatte keine Apfeln mehr, sondern sah vor Alter schneeweiß aus wie ein Gänserich. Die Kanaille war nicht sehr hoch gebaut, aber kräftig, sie hatte in guter Pflege gestanden und in früheren Zeiten bei den Husaren gedient. Dann aber – Donnerwetter, ich kann nicht weiter erzählen!«

»Warum nicht?«

»Dort kommt der Meister.«

»Der Müller?«

»Ja. Er ist in der Stadt gewesen.«

Wirklich kam Uhlig über den Rand der Schlucht in dieselbe herabgestiegen. Als er der beiden Fremden ansichtig wurde, blieb er stehen, um sie zu erwarten. Der nasenlose Mühlknappe ließ seine schöne Geschichte im Stiche und humpelte an ihm vorüber. Die Drei grüßten sich.

»Sie sind der Müller Uhlig?« frug der Aeltere.

»Ja.«

»Es ist vor ungefähr einer Woche ein Fremder bei Ihnen gewesen, ein Amerikaner, ein kleiner schmächtiger Mann, der sich Master Ellis nannte?«

»Ja.«

»Hat er Ihnen Gäste angemeldet?«

»Mehrere.«

»Wen?«

»Hm, ich weiß nicht, ob es mir erlaubt ist Ihnen die Namen zu nennen.«

»War der eines Grafen von Mylungen dabei?«

»Allerdings.«

»Ich bin es, und das hier ist mein Sohn.«

»Ah, willkommen, Erlaucht! Der junge Herr ist Seemann und ein Freund des Marinelieutenants Kurt Schubert?«

»Der bin ich!« antwortete Karl von Mylungen.

»So wiederhole ich, daß Sie mir herzlich willkommen sind. Bitte, begleiten Sie mich nach meiner Wohnung!«

»Gern. Nun werden Sie uns wohl sagen, welche Gäste Sie noch erwarten?«

»Einen Baron Friedrich von Walmy –«

»Ah!« unterbrach ihn der Graf in einem sehr verwunderten Tone.

»Ja. Dann einen gewissen Holmers, der auch ein Amerikaner ist.«

»Weiter!«

»Von Herrn Ellis wurden mir nur diese Beiden angesagt. Heut am Morgen aber erhielt ich eine Depesche, nach welcher auch der junge Herr Kurt Schubert kommt. Er muß mit Herrn von Walmy noch heut hier eintreffen.«

»Dann ist etwas an der ursprünglichen Disposition verändert worden.«

»Es muß etwas geschehen sein, denn die Depesche empfahl mir, scharf aufzumerken, ob Prinz Hugo nach Burg Himmelstein komme.«

»Hm! Ist er angekommen?«

»Noch nicht. Sobald er aber kommt, werde ich es sofort erfahren. Mein Lehrjunge hat sich oben am Schlosse postirt und wird mir Nachricht geben.«

Sie erreichten die Mühle, und die beiden Gäste wurden von der Müllerin mit respektvoller Herzlichkeit aufgenommen. Sie erhielten ein Zimmer, auf welches ihnen auch das Essen gebracht wurde. Der Graf that es nicht anders, der Müller mußte an dem Mahle theil nehmen.

»Sie haben eine Tochter?« frug Mylungen.

»Ja.«

»Wie kommt es, daß ich sie nicht gesehen habe?«

»Sie ist nicht hier, sie ist verheirathet.«

»An wen?«

»Mein Schwiegersohn heißt Walther. Er ist Pfarrer in der norländischen Residenz.«

»Ah, es ist derselbe Theologe, welcher Erzieher in Helbigsdorf gewesen ist?«

»Ja.«

»Ich kenne ihn.«

»Sie haben ihn gesehen und gesprochen?«

»Nein. Lieutenant Schubert hat meinem Sohne von ihm erzählt. Pastor Walther war lange Zeit mit Ihrer Tochter verlobt?«

»Einige Jahre.«

»Ihre Tochter verschwand eines schönen Tages?«

»Sie wissen auch hiervon?«

»Alles. Der Lieutenant hat das Abenteuer ausführlich berichtet. Es war schauderhaft, ja, es war unglaublich.«

»Und dennoch wahr.«

»Was haben Sie gethan?«

»Hm!«

»Natürlich Anzeige gemacht.«

»Allerdings.«

»Man hörte aber doch von einer Bestrafung nichts!«

»Sie wundern sich darüber? Vierzehn Tage nach meiner Anzeige kam ein hoher Justizbeamter nach der Höllenmühle, der meine Tochter, meine Frau und mich einem sehr scharfen Verhöre unterwarf. Er behandelte uns, als ob wir Verbrecher seien. Nach ihm hatte meine Tochter eine heimliche Liebschaft mit einem Himmelsteiner Knechte gehabt und die Mühle verlassen, um mit ihm nach Amerika zu gehen, und der Vogt hatte sie bis zur geeigneten Zeit als Magd da oben behalten. Der Prinz hatte von dieser Angelegenheit nicht die mindeste Ahnung gehabt, und das einzige Strafbare war gewesen, daß der Vogt mir die Anwesenheit meiner Tochter nicht gemeldet habe. Gegen ihn könne ich Klage führen, dann aber werde man auch mich zur Untersuchung ziehen wegen falscher Anschuldigung des Prinzen, denn das ganze Abenteuer sei ja nur erfunden, um meine Tochter vor den Augen Walthers zu rechtfertigen, nachdem sie wieder Sehnsucht nach dem Elternhause bekommen habe. Das war das ganze Ende des großen Liedes.«

»Und Sie haben wirklich geschwiegen?«

»Ich wollte nicht, ich wollte lieber zu Grunde gehen, als den Prinzen unbestraft sehen, aber ich erkundigte mich bei verschiedenen Rechtsgelehrten, welche mir abriethen, da sowohl der betreffende Knecht als auch der Vogt nebst seiner Frau ihre Aussagen beschworen hatten.«

»Aber Ihre beiden Zeugen, der Lieutenant und Ihr Knappe, die Ihre Tochter befreit hatten? Man mußte doch auch diese vernehmen!«

»Der Herr Lieutenant war Ausländer und übrigens bereits wieder zur See gegangen, und Klaus hätte man sehr einfach den Prozeß gemacht. Unter diesen Umständen rieth mir auch mein Schwiegersohn ab, er meinte, ich sollte die Entscheidung einem höheren Richter anheimgeben, der kein Ansehen der Person kenne und früher oder später doch sein Urtheil sprechen werde.«

»Das wird er, darauf können Sie sich verlassen! Vielleicht hat er grad uns zu Ihnen geführt, um den Thäter zu bestrafen. Hat Ihnen dieser Master Ellis irgend welche Mittheilungen gemacht?«

»Nein. Er schien ein sehr verschlossener Mann zu sein. Er zog sehr eingehende Erkundigungen über die hiesigen Verhältnisse ein, obgleich es mir schien, als ob sie ihm bereits mehr als genugsam bekannt seien.«

»Sind Sie erst seit einigen Wochen hier?«

»Ja. Ich kam aus Norland herüber.«

»So können Sie mir keine Auskunft geben. Aber wir sind Leidensgefährten, denn auch mir ist eine liebe Tochter ganz plötzlich verschwunden.«

»Nicht möglich! Eine gräfliche Prinzessin!«

»Allerdings.«

»Und Sie haben Verdacht?«

»Dieser Ellis hat meinen Verdacht beinahe zur Gewißheit erhoben.«

»Gegen den Prinzen?«

»Gegen ihn. Meine Tochter war ihm zugethan, obgleich ich es nicht unterließ, sie vor ihm zu warnen. Sie wurde sogar nach ihrem Verschwinden in seiner Begleitung gesehen, aber die Spur ging leider verloren.«

»Vielleicht hat er auch sie nach Burg Himmelstein geschafft!«

»Diese Vermuthung ist jetzt in mir erweckt worden.«

»Was gedenken Sie zu unternehmen? Seien Sie überzeugt, Erlaucht, daß Sie auf meine Hilfe nach jeder Tragweite hin vollständig rechnen können!«

»Ich danke! Was ich thun werde, weiß ich nicht, da ich versprochen habe, nichts ohne Ellis zu unternehmen, der, wie er mir sagte, auch einen Kampf mit dem Prinzen auszufechten habe.«

Da wurde es unten im Hofe laut. Man brachte ein Fuder Grummet gefahren, und Klaus, welcher die Pferde führte, rief den Namen des Müllers. Der Letztere trat an das Fenster.

»Was gibt es denn?« frug er hinab.

»Kommen Sie rasch herab! Der Herr Lieutenant Kurt ist da mit noch Einem; das versteht sich ja ganz von selber!«

»Wo sind sie?«

»In der Stube. Sie sind mit mir gekommen.«

Der Müller eilte hinab. Die anderen folgten. Kurt Schubert hatte Friedrich von Walmy bei sich. Er war nicht wenig verwundert, die beiden Mylungen hier zu sehen.

»Sie hier in der Höllenmühle, Erlaucht?« frug er, als er von ihnen begrüßt und umarmt worden war.

»Haben Sie uns nicht hier erwartet?« gegenfragte der alte Graf.

»Offen gestanden, nein. Wie konnte ich denken, Sie hier zu treffen!«

»Hat Ihnen Ellis nichts gesagt?«

»Ellis? Welcher Ellis?«

Der Graf blickte ihn erstaunt an. Dann frug er:

»Kommen Sie aus Helbigsdorf?«

»Allerdings.«

»War Ellis nicht dort? Er wollte doch dahin zum General.«

»Ich wiederhole, daß ich keinen Ellis kenne. Wer ist dieser Mann?«

»Ein kleiner, schmächtiger, sonnverbrannter Mensch, welcher mir sagte, daß er von seinen Freunden in Helbigsdorf sehnsüchtig erwartet werde.«

»Ah! Er hat einen Messerhieb über die Stirn?«

»Ja.«

»Dann kennen wir ihn. Also Ellis hat er sich bei Ihnen nennen lassen?«

»So ist es.«

»Er ist ein amerikanischer Prairienjäger, welcher bei seinen Gefährten den Namen Bowie-Pater führt. Vielleicht ist sein eigentlicher Name Ellis. Er ist es allerdings, auf dessen Rath wir nach Himmelstein gegangen sind.«

»Er hat Ihnen erzählt, daß er bei uns war?«

»Er hat es kurz erwähnt, denn bei seiner Ankunft in Helbigsdorf wurde er von unserm Unglück so in Anspruch genommen, daß ihm keine Zeit zu anderen Auseinandersetzungen übrig blieb.«

»Sie sprechen von einem Unglück?«

»Allerdings. Haben Sie noch nichts davon gehört?«

»Kein Wort!«

»Daß Helbigsdorf niedergebrannt ist?«

»Niedergebrannt? Unmöglich!«

»Bis auf den Grund!«

»Armer Helbig! Welch ein Unglück! Wenn ist es geschehen?«

»Am Abend vor unserer Abreise. Es war vorigen Dienstag.«

»Wie kam das Feuer aus?«

»Es wurde angelegt.«

»Schrecklich! Hat man den Thäter vielleicht erwischt?«

»Ja. Aber Derjenige, in dessen Auftrage er es that, ist entkommen.«

»Wer ist dies?«

»Es ist – – rathen Sie!«

»Wer könnte das!«

»Prinz Hugo von Süderland.«

»Der – der tolle Prinz?«

»Derselbe!«

»Das klingt ja ganz und gar unglaublich! Ein Prinz ein Mordbrenner!«

»Oh, er ist noch mehr! Er ließ das Schloß anstecken, um die Tochter des Generals zu entführen.«

»Das wird ja immer schauderhafter! Natürlich ist es ihm nicht gelungen?«

»Doch!«

»Mein Gott! Was ist da zu thun?«

»Man ist sofort seiner Spur gefolgt, und während der verzweifelnde General bei der Brandstelle zurückbleiben mußte, sind wir nach Himmelstein geeilt. Ah, ich vergaß im Eifer ganz, Ihnen meinen Freund vorzustellen: Herr Baron Friedrich von Walmy – Graf von Mylungen, Karl von Mylungen, mein Kamerad zur See.«

Die Herren gaben sich die Hände, dann meinte der alte Graf zu Kurt:

»Wir sind hier unter uns. Bitte, erzählen Sie doch das Schreckliche!«

Kurt berichtete ausführlich von dem Abende jenes Brandes. Kaum hatte er geendet, so trat der Lehrling ein und meldete seinem Meister athemlos:

»Er ist da!«

»Der Prinz?«

»Ja. Er kam in einer Kutsche.«

»War sie offen?«

»Nein, sie war zu.«

»Hast Du ihn denn gesehen?«

»Er guckte durch das Fenster.«

»War noch Jemand darin?«

»Ich habe nichts gesehen.«

»Gut. Gehe auf das Feld!«

Als der Junge sich entfernt hatte, rief Kurt:

»Welch ein Versehen! Das ist kaum wieder gut zu machen!«

»Was?«

»Ich ahnte nicht, daß er bereits kommen werde. War er bei unserer Ankunft noch nicht hier, so wollte ich mich ihm in den Weg stellen, um seinen Wagen zu öffnen. Nun aber ist er bereits zur Burg hinauf und wir haben nicht erfahren können, ob er Magda bei sich hatte.«

»Wir werden es erfahren,« meinte Friedrich von Walmy.

»Wie?«

»Warten wir bis der Pater kommt. Uebrigens bin auch ich bereits da. Einem Prairiemanne kann so leicht nichts entgehen. Meine Ansicht ist übrigens die, daß die junge Dame in dem Wagen gesessen hat. Der Pater und Holmers müssen übrigens auf seiner Fährte sein, denn – – – ah!«

Er deutete durch das Fenster. Draußen kamen zwei Gestalten auf die Mühle zugeschritten, der eine war klein und sehr schmächtig, der Andere aber stark und breit wie ein Riese gebaut. Es waren die beiden Genannten, der Pater und Holmers. Der Müller öffnete ihnen die Thüren und führte sie herein.

»Ah!« rief der Pater, »bereits Alle da!«

»Soeben erst gekommen,« antwortete Kurt. »Auch der Prinz traf vor erst wenigen Augenblicken ein.«

»Weiß es! Donnerwetter, es ist ärgerlich, daß wir ihn nicht einholen konnten. Nun hat er das Fräulein in Sicherheit gebracht!«

»Hatte er sie mit?«

»Ja.«

»Gewiß?«

»Wir waren ihm hart auf den Fersen und wissen, daß sie bis nach Himmelstein nicht ein einziges Mal aussteigen durfte.«

»Alle Teufel! Hätte ich ihm doch begegnet!« rief Kurt.

»Aergern Sie sich nicht, junger Mann,« tröstete der Pater. »Wir werden die Taube dem Stößer ganz sicher aus den Krallen reißen. Vor allen Dingen ist es nothwendig, dem General zu telegraphiren. Ich werde das selbst besorgen.«

»Er muß her?«

»Natürlich. Es ist vielleicht nothwendig, sein Ansehen zur Geltung zu bringen, wenn List vorher nichts helfen sollte.«

»Und bis dahin sollen wir warten?«

»Das ist nicht nöthig. Wir werden das Terrain heut noch sondiren.«

»Thun Sie das! Sie sind darin geübt und hier in der Gegend nicht bekannt. Wenn ich mich dem Schlosse nähere, könnte man mich sehen und erkennen. Ich werde lieber die Depesche selbst besorgen.«

»Wie Sie wollen. Aber das müßte gleich geschehen!«

»Ich eile schon.«

Ohne sich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen, verließ Kurt die Mühle und ging nach der Stadt. Dort gab er die Depesche auf und trat dann, da es sehr heiß war und er Durst empfand, in ein Wirtshaus, um sich ein Glas Bier geben zu lassen. Der Wirth blickte ihm beinahe erstaunt in das Gesicht.

»Wie kommt es, daß sie sich einmal zu mir herablassen, Herr Geißler?« frug er, indem er dem Gaste das Glas mit schäumendem Bier vorsetzte.

»Geißler? Ich heiße nicht so.«

»Nicht? Sie scherzen! Man wird Sie ja kennen!«

»Ah, Sie meinen den Neffen des Schloßvogtes? Der bin ich nicht.«

»Nicht? Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Das wäre ja eine ganz staunenswerthe Aehnlichkeit. Wer sind Sie denn?«

»Ich bin hier fremd.«

»Fremd? Sie reisen nur durch? Oder bleiben Sie zum Feste hier?«

»Ich weiß noch nicht.«

»Sie wissen es noch nicht? Dann haben Sie aber ja einen Ort, wo Sie sich entscheiden werden – – –?«

Der Mann frug aus bloßer wirthschaftlicher Neugierde, aber es war dennoch unklug von Kurt, daß er ihm antwortete:

»Ich bin für heut draußen in der Mühle.«

»In der Höllenmühle?«

»Ja. Hier ist Geld. Adieu!«

Er ging. Kaum aber war er um die Ecke der Gasse verschwunden, so kam ein Anderer von der andern Seite her auf das Haus zu. Er trat ein und verlangte auch ein Glas Bier. Der Wirth grüßte ihn mit tiefster Devotion und meinte, indem er ihm das Glas vorsetzte:

»Jetzt eben ist mir etwas ganz Ungewöhnliches passirt, Herr Schloßvogt.«

»Was?« frug der Alte mürrisch.

»Fast hätte ich einen Fremden für Ihren Herrn Neffen gehalten.«

»Dummheit!«

»Das war es wohl weniger. Die Aehnlichkeit war zu groß. Ich glaube, Sie selbst hätten diese Beiden nicht sofort auseinander gekannt.«

Der Schloßvogt stutzte.

»Wirk-lich?« dehnte er.

»Ja.«

»Wer war der Mann?«

»Ein Fremder, wie ich bereits sagte.«

»Woher?«

»Weiß es nicht.«

»Ihr neugieriges Volk pflegt doch in solchen Fällen stets zu fragen!«

»Ich that es auch, er schien aber keine Lust zur Antwort zu haben.«

»Wohin ging er?«

»Von hier aus? Das weiß ich nicht. Er sagte aber, daß er für heute draußen in der Höllenmühle sei.«

Der Vogt erhob sich schnell.

»Donnerwetter! Ist er seit lange fort?«

»Soeben erst.«

»Rechts oder links?«

»Rechts um die Ecke.«

»Adieu!«

Er eilte fort, ohne sein Bier zu kosten oder zu bezahlen. Trotz seines Alters war er schnell um die von dem Wirthe bezeichnete Ecke gelangt und schritt so schnell wie möglich die Straße entlang, welche aus dem Städtchen hinausführte. Dort sah er Kurt vor sich hergehen.

»Er ist es; es ist dieser Marinelieutenant. Ich muß sofort aufs Schloß.«

Er wandte sich seitwärts und bog dann in die Straße ein, welche zur Burg Himmelstein emporführte. Er legte diesen Weg mit der ihm möglichsten Hast zurück und eilte, oben angekommen, sofort zum Prinzen. Dieser befand sich auf seinem Zimmer und blickte ihm erstaunt entgegen.

»Du bist noch nicht fort?« frug er.

»Ich war fort, habe aber nichts besorgen können.«

»Warum nicht?«

»Weil ich etwas gesehen habe, was mich bewog sofort umzukehren.«

»Was?«

»Einen Menschen, der im Stande ist, die Pläne Ew. Hoheit zu durchkreuzen.«

»Das wäre! Wer ist es?«

»Jener Marinelieutenant Schubert, der meinem Neffen so ähnlich sieht.«

Der Prinz sprang überrascht empor.

»Unmöglich!«

»Er war es.«

»Wirklich?«

»Ohne Zweifel. Der Wirth zum Bären, bei dem er eingekehrt war, machte mich auf ihn aufmerksam, auch er hatte ihn mit Franz verwechselt.«

»Alle Teufel! Wo ist er?«

»Unterwegs nach der Höllenmühle.«

»Er ist mir gefolgt. Er weiß, daß ich das Mädchen hier habe!«

Der Prinz ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab; in seinem Gesichte arbeitete es lebhaft. Endlich blieb er vor dem Vogte stehen.

»Er muß unschädlich gemacht werden!« meinte er mit finsterer Stirn.

»Das versteht sich!«

»Aber wie?«

»Hm!«

»Kann ich auf Deine Hilfe rechnen?«

»Vollständig!«

»Es wird schwer werden!«

»Es scheint gar Manches schwieriger zu sein, als es eigentlich ist.«

»Er muß verschwinden,« meinte der Prinz entschlossen.

»Aber wie?«

»Darüber denke ich soeben nach.«

»Es gibt Messer, es gibt Kugeln, es gibt sogar auch gewisse Gifte.«

»Das geht nicht. Mit diesem Menschen ist nicht gut anzubinden. Wir müssen ihn verschwinden lassen, ohne daß wir ihn anzurühren brauchen.«

»Das wäre allerdings ein Kunststück, wie ich noch keines gesehen habe!«

»Und dennoch werden wir es fertig bringen, wenn ich mich auf Dich verlassen kann, auf Dich und auf Deinen Neffen Franz.«

»Auf den?«

»Ja.«

»Er ist nicht hier!«

»Du mußt ihn holen.«

»Was soll er thun?«

»Hm! Wie wäre es, wenn dieser Marinelieutenant eine That beging, ein Verbrechen, in Folge dessen die Polizei sich seiner sofort bemächtigen muß?«

»Er wird sich hüten!«

»Pah! Er wird es thun!«

»Sollte mich wundern!«

»Ich meine, daß ein Anderer dieselbe That für ihn begehen wird.«

»Ein Anderer?«

»Allerdings. Ich habe wahrhaftig nicht geglaubt, daß Du so schwer begreifst!«

»Hoheit, kommen Sie doch meinem schwachen Begriffsvermögen zu Hilfe.«

»Franz sieht ihm zum Verwechseln ähnlich – –«

»Ah, ich beginne einzusehen!«

»Das freut mich! Du holst ihn sofort.«

»Gut!«

»Wenn Du jetzt sofort abreisest und den Abendzug benutzest, kommst Du noch während der Nacht nach der Residenz und kannst am Mittag mit ihm hier sein.«

»Bereits am Vormittage.«

»Es darf aber weder dort noch hier Jemand etwas sehen oder merken.«

»Ich werde dafür sorgen. Ich kann Franz ganz unbemerkt treffen.«

»Ich werde darüber wachen, daß Ihr heimlich das Schloß erreicht.«

»Was soll er hier thun?«

»Das wird sich noch entscheiden. Die Hauptsache ist, daß er sich nicht weigert auf meinen Plan einzugehen. Du wirst ihn zu behandeln wissen.«

»Das ist gar nicht nöthig, denn er ist Ew. Hoheit mit großer Treue ergeben.«

»Welche Kleidung trug dieser Schubert?«

»Er ging ganz grau mit einem schwarzen niedrigen Filzhut.«

»Das ist vortrefflich, denn Franz hat einen ganz gleichen Anzug. Er mag ihn anlegen. Jetzt gehe! Du hast nicht die mindeste Zeit zu versäumen.«

»Ich werde augenblicklich aufbrechen. Aber – – das Reisegeld, Hoheit?«

»Schlaukopf! Hier hast Du genug. Und gelingt der Spaß, so darfst Du und auch er einer ungewöhnlich reichen Gratifikation versichert sein.«

Er gab ihm eine volle Börse, mit welcher sich der Vogt sogleich entfernte. – – –

Es war am Nachmittage des andern Tages. Vor der Höllenmühle saßen die Bewohner derselben und aßen ihre kühlende Semmelmilch. Unweit des Tisches, an welchem sie Platz genommen hatten, zog sich der Gartenzaun dahin, welcher mit dichtem Hollunder überzogen war. Unter den Zweigen desselben kauerten zwei Männer tief an der Erde. Sie hatten sich so zusammengeschmiegt, daß man sie trotz des hellen Tageslichtes nicht zu sehen vermochte, und konnten von ihrem Punkte aus die Gesellschaft genau beobachten. Es war der Schloßvogt Geißler und Franz, sein sauberer Neffe.

»Eine gefährliche Situation, in der wir uns befinden,« meinte der Erstere.

»Warum?« frug der Letztere.

»Wenn man uns bemerkt, wird es uns schlimm ergehen!«

»Pah, man kann uns ja gar nicht bemerken.«

»Wenn ich nur wüßte, was Dir der Prinz auftragen wird.«

»Das werden wir ja wohl erfahren.«

»Und Du wirst Alles thun, was er verlangt?«

»Alles!«

»Einen Diebstahl?«

»Ja.«

»Einen Betrug?«

»Ja.«

»Einen Raub?«

»Auch.«

»Oder gar einen Mord?«

»Alles! Er wird uns gut bezahlen, das sind wir ja Beide überzeugt.«

»Aber wie bekommen wir den Lieutenant in unsere Hand?«

»Hm! Wenn er doch wenigstens zu sehen wäre!«

»Er muß sich entweder verborgen halten oder wohl abwesend sein.«

»Wir werden es erfahren. Horch!«

Das Mahl war beendet, und die Knechte und Mägde hatten sich entfernt. Nun saß nur noch der Müller mit seinen Gästen am Tische. Es waren die beiden Mylungen und Friedrich von Walmy. Kurt Schubert fehlte.

»Wann denken Sie, daß der General eintreffen wird?« frug der Müller.

»Morgen früh,« antwortete Walmy.

»Wir werden sehr viele Leute zu sehen bekommen. Das Städtchen wimmelt bereits von Fremden, welche die Wallfahrt herbeigezogen hat.«

Walmy blickte empor zu den beiden Klöstern.

»Und da oben,« sagte er, »ist man eifrig beschäftigt, die Gebäude mit Kränzen und Guirlanden zu dekoriren. Was sind das für Buden, welche man an der Straße baut?«

»Man wird in ihnen schänken und Allerlei verkaufen. Die Wallfahrt ist stets mit einer Art Messe verbunden.«

»Auch da oben wimmelt es bereits von Leuten.«

»Der Herr Lieutenant wird sich doch in Acht nehmen, daß er nicht bemerkt wird? Der Prinz braucht nicht zu erfahren, daß er sich hier befindet.«

»Sorgen Sie sich nicht. Kurt ist sehr vorsichtig. Er hat den Berg von der andern Seite erstiegen, wo kein Mensch zu sehen ist, und wird sich droben am Felsenkegel so verstecken, daß ihn sicher Niemand sieht.«

»Das ist derselbe Felsen, von dem aus er damals meine Tochter erblickte?«

»Höchst wahrscheinlich!«

Da gab der Vogt seinem Neffen einen leisen Stoß.

»Hast Du es gehört?« frug er.

»Ja.«

»So wissen wir genug. Nicht?«

»Es gäbe hier vielleicht noch manches Wichtige zu belauschen; aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Komm!«

Sie krochen unter den Zweigen hervor und schlichen sich vorsichtig durch den Garten, über dessen hinteren Zaun sie stiegen. Erst als sie einige Felsen zwischen sich und der Mühle hatten, blieben sie überlegend halten.

»Wer waren diese Drei?« frug der Vogt.

»Wer weiß es!«

»Gewöhnliche Leute sicherlich nicht.«

»Allerdings.«

»Zwei von ihnen waren Vater und Sohn; das sah man ihnen an.«

»Wenn man nur wenigstens einen Namen oder einen Titel gehört hätte!«

»Sie sprachen von einem Generale, welcher kommen wolle. Welcher mag das wohl sein?«

»Es kommen zur Wallfahrt stets auch hohe Offiziere herbei. Die Drei waren wohl auch nur Gäste, welche keinen andern Zweck haben, als der Prozession beizuwohnen.«

»Das glaube ich nicht. Sie kennen den Lieutenant und sprachen auch von damals, wo uns das verteufelte Malheur mit der Müllerstochter passirte. Es muß etwas im Werke gegen uns sein.«

»Das wird sich ja wohl zeigen. Für jetzt genügt es, daß wir wissen, wo dieser Schubert steckt.«

»Also das Schloß will er beobachten! Was thun wir?«

»Wir sehen, ob wir uns unbemerkt anschleichen können und geben ihm Eins auf den Kopf. Meinst Du nicht?«

»Es wird das Beste sein. Komm, wir kennen ja die Wege.«

Sie schritten weiter. Indem sie das Terrain gehörig benutzten, gelang es ihnen den Wald zu erreichen, der sich an der entgegengesetzten Seite des Berges bis nahe zur Spitze desselben hinaufzog. Oben angelangt, sahen sie Burg Himmelstein vor sich liegen, und nahe am Graben jenen Felsen, von welchem in der Mühle gesprochen worden war. Sie blieben halten, um scharf auszuschauen.

»Siehst Du etwas?« frug der Vogt.

»Nein.«

»Ich auch nicht.«

»Vielleicht ist er schon fort, wenn er überhaupt und wirklich hier gewesen ist.«

»Hm! Er könnte auch die Steine erstiegen haben und auf dem Felsen liegen.«

»So bleibt uns nichts übrig, als auch hinaufzusteigen.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Er würde uns ganz sicher bemerken. Es bleibt nur eins, wir müssen warten.«

»Bis er heimkehrt?«

»Ja.«

»Das ist eine langweilige Geschichte. Er kann bis zur Nacht hier liegen.«

»Es geht nicht anders.«

»Vielleicht warten wir dann, und er ist gar nicht mehr hier.«

»Das ist allerdings – – – halt, zurück!«

Er faßte seinen Verwandten schnell am Arme und zog ihn hinter einen Busch.

»Was gibts?« frug dieser.

»Er kommt.«

»Wo?«

»Da.«

Der Sprecher streckte den Arm aus und deutete nach einer Stelle des Felsens, an welcher sich eine Gestalt zu regen begann. Es war allerdings Kurt Schubert, den die Beiden nicht gesehen hatten, weil seine dunkelgraue Kleidung nicht von dem fast gleich gefärbten Steine abgestochen hatte. Er stieg vorsichtig die gefährliche Steilung herab und schritt dann nach dem Walde zu.

»Jetzt!« meinte der Neffe des Vogtes.

Er bückte sich, hob einen Stein auf und wickelte ihn in sein Taschentuch.

»Was soll das?« frug sein Oheim.

»Das wirkt gerade so wie eine Keule.«

»Halt, verletzen darfst Du ihn nicht!«

»Warum nicht?«

»Eine Wunde würde seine Vertheidigung erleichtern. Wir fassen ihn von hinten, ohne daß er uns sehen kann, und würgen ihn so lange, bis er die Besinnung verliert. Dann binden wir ihn.«

»Verdammt! Es wäre jedenfalls leichter und kürzer, ihn gleich kalt zu machen.«

»Das ist richtig, aber der Prinz will es nicht.«

»Dummheit! Dieser Kerl soll sehr stark sein!«

»Fürchtest Du Dich?«

»Fällt mir nicht ein! Aber man kann dennoch leicht etwas davontragen.«

»Die Ueberraschung wird uns zu statten kommen. Ich fasse ihn von hinten so, daß er sich nicht rühren kann, und Du nimmst ihn bei der Kehle. Das wird eine sehr leichte und glatte Arbeit geben.«

Sie schritten etwas tiefer in den Wald hinein, wo sie sich so postirten, daß Kurt zwischen ihnen vorüber mußte. Er war auf dem Berge gewesen, um vielleicht eine Spur von Magda zu entdecken, hatte aber nicht das mindeste bemerkt und kehrte nun höchst mißvergnügt zurück. Da plötzlich legten sich von hinten zwei Arme um seinen Leib, die eigenen Arme wurden ihm fest an den Körper gepreßt, und ehe er noch Zeit gefunden hatte sich umzublicken oder überhaupt eine Bewegung zu machen, wurde er mit solcher Gewalt am Halse gepackt, daß ihm fast augenblicklich der Athem und die Besinnung verging; er befand sich wehrlos in der Gewalt der beiden Schurken. Sie rissen ihn zu Boden, verhüllten ihm die Augen und banden ihm die Arme und Beine so fest, daß er sich nach der Rückkehr des Bewußtseins sicherlich nicht zu rühren vermochte.

»Was nun?« frug der Neffe.

»Hm! Werden wir ihn unbemerkt nach dem Steinbruche bringen können?«

»Warum nicht? Der Wald stößt ja daran. Warum dorthin?«

»Ich weiß dort ein Versteck.«

»Wo?«

»Hinter Brombeerbüschen gibt es ein Loch, wo er sicher liegt.«

»Das kenne ich doch noch nicht!«

»War auch bisher nicht nöthig. Komm, und faß ihn bei den Beinen!«

Sie hoben ihn empor und trugen ihn durch den Wald. Bei dem leisesten Geräusch blieben sie ängstlich halten, aber sie gelangten dennoch unbemerkt an den Ort, wo man vor langen Zeiten die zum Baue des Schlosses und der beiden Klöster nöthigen Steine herausgebrochen hatte. Der Bruch schnitt schmal und rief in die Seite des Berges ein, und sowohl seine Sohle als auch seine Seiten waren von Bäumen und Sträuchern dicht bestanden, weil bereits seit Jahrhunderten nicht mehr in ihm gearbeitet worden war. In seinem hintersten Winkel wucherten üppige Brombeerranken über dem Gestein, und dorthin lenkte der Schloßvogt seine Schritte.

»Hier ist es,« meinte er. »Lege ihn ab!«

Sie legten den Gefangenen zur Erde, und Franz Geißler blickte seinen Onkel erwartungsvoll an. Dieser schob die Ranken behutsam, um sich an ihren Dornen nicht zu verletzen, bei Seite, und nun zeigte sich ein schmaler Felsenspalt, der früher wohl mit einem Steine verschlossen gewesen war; dieser aber war mit der Zeit verwittert und lag zerbrochen an der Erde. Dennoch war der Spalt nicht zu bemerken, so lange ihn die dichten Ranken bedeckten.

»Ein Loch oder ein Gang?« frug der Neffe.

»Ein Gang.«

»Wohin?«

»Das sage ich Dir später einmal.«

»Warum nicht gleich jetzt?«

»Er führt zum Schlosse und auch in die Klöster. Doch vorwärts jetzt. Halte Du das Gesträuch, und ich werde den Kerl hineinschaffen.«

Er faßte Kurt Schubert an und zerrte ihn in die Oeffnung. Diese erweiterte sich nach innen immer mehr, so daß es ihm leicht wurde, sein Opfer fast zwanzig Fuß nach innen zu schleifen. Diesem war indessen die Besinnung wiedergekehrt. Er begriff seine Lage vollständig; er ahnte, daß er sich in den Händen von Leuten befinde, welche mit dem tollen Prinzen in Beziehung standen. Zu rühren vermochte er sich nicht; auch zu rufen war ihm unmöglich, weil man ihm einen Knebel in den Mund gesteckt hatte; aber ein Erkennungszeichen wollte er sich dennoch verschaffen. Gerade in dem Augenblicke, an welchem er niedergelassen werden sollte, schnellte er sich in die Höhe, und es gelang ihm trotz der gefesselten Arme, da er einige Finger frei bewegen konnte, den Rockschooß des Schloßvogtes zu erfassen und ein Stück aus dem alten, morsch gewordenen Futter desselben zu reißen. Der Vogt bemerkte dies kaum, und wenn er es ja bemerkte, so glaubte er jedenfalls, an einer scharfen Stelle des Gesteines hängen geblieben zu sein, denn er that nicht das Geringste, um den abgerissenen Fetzen wieder zu erlangen. Er verließ den Gang und verdeckte ihn wieder mit den Ranken.

»Das wäre gelungen,« sagte sein Neffe.

»So gut, wie wir es nur wünschen können. Nun aber schnell zum Prinzen!«

Sie verließen den Steinbruch. Noch aber hatten sie ihn nur einige Schritte hinter sich, als Franz stehen blieb.

»Donnerwetter, ich habe den Stiefelabsatz verloren!«

»Da magst Du auch schöne Stampfer anhaben!«

»Sie waren alt. Wollen wir ihn suchen?«

»Pah! Hast Du andere Stiefel mit?«

»Ja.«

»So wollen wir mit dem Suchen ja keine Zeit verlieren. Wo hast Du den Absatz verloren? Im Bruche oder früher?«

»Ich weiß es nicht. Es ist auch nicht schade. Die Stiefel sind so abgetragen, daß ich sie einem Knecht schenken werde. Er mag sie sich ausbessern lassen.«

Sie kehrten auf demselben Wege zurück, auf welchem sie gekommen waren. Oben auf der Höhe trennten sie sich. Während der Vogt durch das Thor in das Schloß ging, schritt sein Neffe den leeren Burggraben entlang, bis er ein kleines Ausfallspförtchen erreichte. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete, trat ein und schloß von innen wieder zu. Er befand sich in dem inneren Hof, in welchem kein Mensch zu sehen war. Ganz derselbe Schlüssel öffnete ihm auch die Thür zu dem kleinen Gärtchen, in welchem damals die Komtesse Toska mit dem Prinzen gesprochen hatte, und er nahm ganz auf derselben Bank Platz, die ihr an jenem Tage zum Sitze diente.

Nach einiger Zeit ließen sich nahende Schritte hören. Der Prinz kam in Begleitung des Vogtes herbei. Franz erhob sich.

»Nun? Gelungen, wie ich höre?« frug der Prinz.

»Vollständig, Hoheit!«

»Was nun?«

»Ich warte auf Ihre gnädigsten Befehle.«

»Und wirst sie erfüllen?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Gewiß.«

»Tausend Thaler sind Dein und fünfhundert Deinem Oheim hier, wenn Ihr mir gehorcht.«

»Hoheit, wir stehen auch ohne dies ganz zu Diensten,« meinte Franz, aber doch mit einem gierigen Blicke seiner Augen.

»Ihr wartet bis es dunkel ist, dann geht der Vogt nach dem Bruche, um dort auf Dich zu harren. Du aber gehst in eine der Schenkbuden am Kloster, sagst so beiläufig, daß Du der Marinelieutenant Schubert bist und in der Höllenmühle wohnest. Du fängst Streit mit einem der Anwesenden an und schießest ihn nieder.«

»Todt?«

»Es ist besser, Du triffst ihn gut.«

»Hoheit wissen, daß ich zu schießen verstehe.«

»Gut, Du entfliehst natürlich sofort – –«

»Ich habe keine Pistole!«

»Hier hast Du einen Revolver, er ist geladen. Du fliehst also, und zwar nach dem Steinbruche. Ihr schafft den Lieutenant heraus, aber so, daß er nicht wissen kann, wo er sich befunden hat, und steckt ihm unbemerkt den Revolver in die Tasche. Sobald er sich frei fühlt, wird er natürlich zur Mühle eilen, und daß ihn dort die Polizei bereits erwartet, dafür werde ich sorgen. Er kann kein Alibi bringen, denn man wird seine Erzählung für eine Erfindung halten. Außerdem findet man den Revolver bei ihm, er muß verurtheilt werden. Es hat Dich doch kein Mensch gesehen?«

»Nur Einer.«

»Wer?«

»Jakob, der Knecht.«

»Der ist dumm! Wir haben ihn nicht zu fürchten. Natürlich reisest Du sofort und heimlich wieder ab. Zu Hause wird man Dich nicht vermißt haben?«

»Nein; dafür habe ich gut gesorgt.«

»So sind wir fertig. Gelingt Euch der Coup, so werde ich mein Versprechen halten. Ihr kennt mich ja zur Genüge.«

Er ging, und der Vogt folgte ihm.

Als es dunkel geworden war verließ Franz durch das kleine Pförtchen das Schloß. Er schritt dem Walde zu, um unten am Fuße des Berges die Straße zu erreichen, welche zur Höhe führte. Man sollte glauben, daß er aus der Höllenmühle komme. Beim Emporsteigen nahm er sich sehr in Acht, von keinem genauen Bekannten gesehen zu werden. Oben in der Nähe der Klöster standen zwei Reihen von Vergnügungszelten und allerlei Verkaufsstellen. Er schritt zwischen ihnen dahin, um sich einen passenden Ort auszusuchen, und trat endlich in eine der ambulanten Schenkbuden, in welcher nur drei Männer saßen, die an einem Tische Karten spielten. Er kannte sie nicht und durfte also vermuthen, daß auch er ihnen nicht bekannt sei.

Er nahm in ihrer Nähe Platz und beobachtete ihr Spiel mit einem Interesse, aus welchem sie schließen konnten, daß er auch ein Freund einer derartigen Unterhaltung sei. Dies machte sie aufmerksam, so daß schließlich Einer ihn fragte:

»Sie spielen auch Skat?«

»Ja.«

»Wollen Sie den Vierten machen?«

»Ich bin kein vollendeter Skater. Sie würden oft meine Fehler zu rügen haben, und dies ist für beide Theile gleich sehr unangenehm.«

»O, wir sind ja selbst auch keine Meister. Kommen Sie nur!«

»Wie hoch spielen Sie?«

»Billig, nur halb.«

»Wenn Sie wirklich erlauben – –?«

»Gewiß! Setzen Sie sich her. Zu Vieren spielt es sich besser als zu dreien. Und damit Sie wissen, mit wem Sie spielen: Ich bin der Besitzer dieser Bude, und diese beiden anderen Herren sind Beamte aus der Kreisstadt, welche Urlaub genommen haben, um sich die Wallfahrt anzusehen.«

»Danke! Ich bin Marinelieutenant. Meine Name ist Kurt Schubert, und ich habe mein Absteigequartier da unten in der Höllenmühle.«

Er setzte sich zu ihnen und das Spiel begann. Franz trank sehr fleißig dazu, um sich den Anschein geben zu können, daß er nach und nach berauscht werde. Zunächst spielte er sehr ruhig, später begann er zu streiten, erst mit kurzem Brummen und dann in lauteren kräftigeren Ausdrücken. Endlich meinte er, seinen Oheim nicht länger warten lassen zu dürfen. Ein neues Spiel begann. Er hatte einen Grand mit zwei blanken Zehnern und vier Matadoren.

»Ich frage!« begann er.

»Roth?«

»Ja.«

»Grün?«

»Ja.«

»Eichel?«

»Ja.«

»Solo?«

»Ja.«

»Einen?«

»Auch.«

»Rothen?«

»Sehr.«

»Null?«

»Ja.«

»So passe ich!«

»Grün Solo?« frug der dritte Mann.

»Auch diesen.«

»Aber Eichel Solo haben Sie jedenfalls nicht?«

»Sogar sehr.«

»So haben Sie Grand, und ich passe. Spielen Sie aus!«

Franz spielte den einen blanken Zehner vor, welcher mit dem Aß gestochen wurde. Das zweite Aß wurde vorgelegt, aber anstatt seinen zweiten blanken Zehner zuzugeben, stach er mit dem Unter und spielte die dritte Farbe mit dem Aß vor. Natürlich blieb ihm am Schlüsse des Spieles der verleugnete Zehner übrig.

»Herr, da ist ja Zehn in Grün!« meinte sein Nebenmann.

»Allerdings.«

»Und Sie haben ja das Aß gestochen?«

»Ist mir nicht eingefallen!«

Mit diesen Worten nahm er seine Stiche auf und mischte sie.

»Halt, nicht mischen!« rief der Andere.

»Warum nicht?«

»Ich wollte Sie bitten, die einzelnen Stiche vorzulegen. Bei dem zweiten haben Sie mein Aß mit dem Schellen Unter genommen.«

»Das ist nicht wahr!«

»Gewiß. Die andern beiden Herren werden es mir bezeugen.«

»Ja, wir wissen es genau,« stimmten diese ein.

»Heißt das etwa, daß Sie mich für einen falschen Spieler erklären?«

»Nein. Es liegt hier jedenfalls nur ein kleines Versehen vor. Sie werden zugeben, den Grünzehner gehabt und doch das Aß gestochen zu haben.«

»Ich gebe es nicht zu, denn das Aß hat im Skate gelegen.«

»Das ist nicht wahr!«

»Das ist wahr!«

»Das ist sogar eine vorsätzliche Lüge, wie ich nun sehe.«

»Sie nennen mich Lügner, Herr!«

»Wenn ich es thue, so sind Sie selbst schuld daran. Warum geben Sie Ihren Irrthum nicht zu? Warum ließen Sie Ihre Karten nicht ruhig liegen? Warum mischten Sie die Stiche unter einander? Das thut doch kein ehrlicher Spieler!«

»Also meinen Sie doch, daß ich falsch gespielt habe?«

Er sprang mit drohender Miene auf.

»Erst meinte ich es nicht, jetzt aber bin ich überzeugt davon.«

»Wollen Sie Ihr Wort sofort zurücknehmen?«

»Nur dann, wenn Sie Ihren Irrthum eingestehen!«

»Das werde ich bleiben lassen. Ich habe ehrlich gespielt. Aber Sie – Sie spielen falsch. Ich habe mehrere Male gesehen, daß Sie beim Kartengeben das unterste Blatt heraufgenommen haben.«

»Herr!«

»Pah! Sie sind zwar der Besitzer dieser alten Bretterbude, aber ich werde Ihnen dennoch sagen, was ich beobachtet habe. Sie haben falsch abgezogen, Sie sind ein Betrüger! Merken Sie sich das!«

Jetzt richtete sich auch der Wirth empor.

»Hören Sie einmal, Mann, was wollen Sie sein? Marinelieutenant? Hm! Ich würde mich als Lieutenant schämen, eine sol – – –«

»Halt! Kein Wort weiter!« donnerte Franz. »Sonst sollen Sie erfahren, wie ein Marinelieutenant mit Gaunern umspringt.«

»Papperlapapp! Wir sind auch noch da. Wenn ein Herr Lieutenant von der Marine falsch spielt, wenn er betrügt und –«

»Halt, Schurke! Sage dieses Wort noch einmal, so geht Dir es schlimm!«

»Ich wiederhole es: Wenn ein Oberlieutenant von der Marine falsch spielt, wenn er den Betrüger macht, so – –«

Er konnte nicht weiter reden. Franz hatte den Revolver gezogen, ihm denselben vor die Stirn gehalten und losgedrückt. Der Schuß ertönte, und der Wirth fiel todt zu Boden.

»Hilfe! Mord! Haltet Ihn!« riefen die beiden Andern.

Es war ihnen nicht gelungen den Mörder zu fassen, denn dieser war unmittelbar nach dem Schusse aus dem Zelte gesprungen und in der Dunkelheit verschwunden. In Zeit von kaum einer Minute war die Bude von Menschen erfüllt. Auch ein Gensd'arm befand sich dabei. Er war schnell bei der Hand gewesen, da es bei der am Festorte anwesenden Menschenmenge nicht an polizeilicher Aufsicht fehlen durfte.

»Was ist hier geschehen?« frug er.

»Ein Mord!« antwortete einer der beiden Spieler schaudernd.

»Wer ist der Gemordete?«

»Der Wirth hier.«

»Zurück, Ihr Leute; greift nichts an, hier hat nur die Polizei und das Gericht Hand anzulegen!«

Er trat hinter den Tisch, wo die Frau des Wirthes über dem Todten ohnmächtig zusammengesunken war, und untersuchte den Letzteren.

»Todt!« meinte er. »Die Kugel ist ihm durch die Stirne in das Gehirn gedrungen. Diese Frau ist besinnungslos. Schafft sie hinaus in den Verschlag und laßt sie jetzt nicht wieder herein!«

Dies geschah, und dann wandte sich der Gensdarm zu dem Spieler:

»Wer ist der Mörder?«

»Ein Marinelieutenant.«

»Nicht möglich!«

»Er nannte sich einen Marinelieutenant Kurt Schubert und sagte, daß er sein Absteigequartier unten in der Höllenmühle habe.«

»Ah! Wie kam es zur That?«

»Wir spielten Skat. Er stach falsch ab, und der Wirth machte ihn in aller Freundlichkeit darauf aufmerksam. Statt nun seinen Fehler ruhig einzugestehen, nannte er den Wirth einen Betrüger und schoß ihn schließlich nieder.«

»Mit einem Revolver?«

»Ja.«

»Warum hielten Sie ihn nicht?«

»Er war im Augenblick verschwunden.«

»Trug er Civil?«

»Ja. Grauen Anzug und schwarzen Hut.«

»Würden Sie ihn wieder erkennen?«

»Sofort!«

»Ihr Gefährte auch?«

»Auf der Stelle.«

»War noch Jemand zugegen?«

»Nur die Wirthin, welche hinter dem Büffet saß.«

»Wie heißen Sie, meine Herren?«

Die beiden Beamten nannten ihre Namen und ihren Wohnort. Während der Gensdarm die betreffende Notiz in sein Buch eintrug, trat ein Himmelsteiner Polizist in die Bude. Der Gensdarm bewillkommnete ihn und übertrug ihm die Ueberwachung des Thatorts und der Leiche. Dann wandte er sich wieder an die beiden Zeugen.

»Ich bedarf Ihrer sehr nothwendig. Wollen Sie sich mir anschließen?«

»Wenn es nöthig ist, ja.«

»Ich muß sofort nach der Höllenmühle, und Sie sollen mich begleiten, um den Thäter zu rekognosziren. Wenn wir eilen, treffen wir ihn vielleicht noch. Kommen Sie, meine Herren!«

Die Drei verließen mit der allergrößten Eile die Bude.

Unterdessen war Franz in langen Sätzen die Straße hinabgesprungen. Er that dies mit Vorbedacht, um den vielen hier einzeln oder bei einander stehenden Leuten sehen zu lassen, daß er den Weg nach der Mühle einschlage. Als er aber aus dem Bereiche von aller Augen und Ohren gekommen war, lenkte er plötzlich links ein und wandte sich trotz des Dunkels über die kahlen und gefährlichen Felsen hinweg nach dem Steinbruche zu. Er kannte aber das Terrain sehr genau und langte glücklich an.

»Franz!« hörte er eine leise Stimme am Eingange zu dem Bruche.

»Oheim!«

»Geglückt?«

»Ja.«

Der Vogt, der ihn hier erwartet hatte, erhob sich von dem Boden.

»Wo?«

»In einer Schenkbude.«

»Du wurdest doch nicht erkannt?«

»Nein. Es waren nur Fremde da, der Wirth und zwei Beamte aus der Provinzialhauptstadt.«

»Der Wirth? War er auch ein Fremder?«

»Ja.«

»Wen hast Du getroffen?«

»Eben ihn.«

»Ah! Ist er todt?«

»Ja. Die Kugel ging ihm durch die Stirn.«

»Entkamst Du leicht?«

»Sehr leicht.«

»Ich habe keine geringe Angst ausgestanden. Werden Sie Verdacht auf Schubert haben?«

»Das versteht sich! Ich habe gesagt, daß ich der Marinelieutenant Kurt Schubert sei und in der Höllenmühle meine Wohnung genommen habe.«

»Welchen Vorwand hattest Du zum Schusse?«

»Wir spielten, ich stach falsch ab, und somit war der Streit fertig.«

»Man wird Dich sofort in der Mühle suchen, und wir müssen Schubert also schnell frei lassen, damit sie ihn da unten finden. Komm!«

»Hier ist der Revolver.«

»Ja, den dürfen wir allerdings nicht vergessen. Unsere Arbeit wird keine leichte sein.«

»Warum?«

»Weil wir ihn weit tragen müssen.«

»Weit?«

»Natürlich. Er darf nicht ahnen wo er gelegen hat. Die Hauptsache ist, daß er uns nicht erkennt. Wir dürfen kein Wort sprechen und müssen bereits verschwunden sein, sobald er die Augen aufthut.«

»Bringst Du ihn heraus oder soll ich helfen?«

»Warte, ich thue es allein.«

Sie schritten in den Bruch. Während Franz da stehen blieb, arbeitete sich sein Oheim in den Spalt hinein. Kurt lag noch so da, wie sie ihn verlassen hatten. Zwar hatte er sich alle Mühe gegeben, sich von seinen Fesseln zu befreien, aber es war ihm bei ihrer Festigkeit nicht gelungen. Das Stück Rockfutter aber hielt er noch fest zwischen den Fingern. Dieser Umstand konnte wegen der Dunkelheit von dem Schloßvogte nicht bemerkt werden. Dieser faßte ihn lautlos an und schleifte ihn zu dem Spalt hinaus. Draußen griff Franz mit zu, nun schleppten sie den Gefangenen den steilen Berg hinab bis nahe an die Schlucht, hinter welcher die Mühle lag.

Dort legten sie ihn auf den Boden nieder. Der Vogt steckte ihm zunächst den Revolver in die Außentasche, und dann wurden ihm die Fesseln, der Knebel und die Binde abgenommen. Im Nu waren die beiden Verbrecher verschwunden. Er sah nur zwei dunkle Gestalten forthuschen.

Zunächst richtete er sich auf und reckte seine von den Fesseln maltraitirten Glieder. Er bemerkte zu seiner Freude, daß sie nichts von ihrer Beweglichkeit eingebüßt hatten.

»Was war das?« dachte er. »Ein Streich, den man mir spielen wollte oder den man mir erst spielen will? Warum hat man mich frei gelassen, da man mich doch erst gefangen nahm? Was steckte man mir in die Tasche?«

Er untersuchte diese letztere.

»Alle Teufel ein Revolver. Wozu? Ein Lauf ist abgeschossen. Soll es etwa heißen, daß ich dies gethan habe – –? Will man mich eines Verbrechens bezichten, und hat man mich nur deshalb überrumpelt und versteckt, daß ich mein Alibi nicht beweisen kann? Anders kann es ja gar nicht sein. – Man hat mich in die Nähe der Mühle gebracht, und man wünscht also, daß ich sofort von hier aus zur Mühle gehen soll. Hm! Sie trugen mich immer gerade bergab, und ich habe zwölfhundertdreiundsechzig Schritte gezählt, die der Eine machte. Diese Schritte waren jedenfalls klein, da sie mich tragen mußten und da es bergab ging. Mit ungefähr achthundert Schritten grad empor müßte ich also den Ort erreichen, an dem man mich versteckte. Ich werde nicht zur Mühle gehen, sondern in gerader Richtung aufwärts steigen.«

Er wandte sich der Höhe zu und klomm dieselbe empor. Nach etwas über achthundert Schritten stand er vor dem Steinbruche.

»Ah, ein Steinbruch, wie es scheint. Der läßt sich jetzt in dieser Dunkelheit nicht untersuchen. Was nun weiter? Wer waren diese beiden Männer? Jedenfalls gehörten sie auf das Schloß, anders ist es nicht möglich. Ich werde mich sofort überzeugen. Sie haben wohl einen bessern Weg, also einen Umweg eingeschlagen, und ich komme noch zur rechten Zeit, wenn ich nicht den Hals breche.«

Er wandte sich zur Seite und klimmte auf Händen und Füßen und mit möglichster Hast die Stellung hinan. Hundertmal rutschte er ab, aber er ließ nicht nach und erreichte die Straße ein wenig oberhalb des kleinen Kapellchens. Ohne zu verschnaufen eilte er, nachdem er schnell die Stiefel ausgezogen hatte, weiter. Sein Schritt war nun unhörbar, und gesehen konnte er auch nicht werden. So erreichte er das Schloßthor und ließ sich ganz in der Nähe desselben in den Graben hinab, um zu sehen, ob er sich in seiner Vermuthung nicht getäuscht habe.

Kaum hatte er Platz genommen, als er leise Schritte vernahm. Er hörte, daß es zwei Personen seien, welche sich ihm näherten.

»Sie sind es auf alle Fälle,« dachte er.

Da er im tiefen Graben stand, so konnte er trotz der herrschenden Dunkelheit die nahen Gegenstände deutlich erkennen, da sich ihre Umrisse vor seinen Augen gegen den Himmel abzeichneten. Er erkannte zwei männliche Gestalten, welche vor der Brücke stehen blieben. Er hätte die Füße derselben recht gut mit der Hand erreichen können.

»Gehst Du durch das Thor, Onkel?« frug der Eine.

Kurt verstand diese Worte, trotzdem sie leise gesprochen worden waren.

»Ich könnte,« antwortete der Andere, »aber es wird besser sein, wenn ich mit Dir durch das Pförtchen trete. Man hat mich nicht bemerkt, als ich ging, und so braucht man mich auch nicht kommen zu sehen. Dann habe ich den Vortheil, daß Niemand ahnt, daß ich fortgewesen bin.«

»So komm!«

Sie schritten am Rande des Grabens entlang nach der kleinen Ausfallspforte zu, welche Kurt bereits früher bemerkt hatte. Er folgte ihnen im Graben mir unhörbaren Schritten und duckte sich dann unten so zur Erde nieder, daß sie ihn nicht sehen konnten, obgleich sie hart an ihm vorüber mußten. Sie stiegen in den Graben hinab und standen nun höchstens zwei Schritte von ihm entfernt.

»Hast Du den Schlüssel, Franz?«

Diese Worte sprach Derjenige, welchen der Andere vorhin »Onkel« genannt hatte, und Kurt war überzeugt, daß er den Schloßvogt mit seinem Neffen vor sich habe. Er wagte kaum Athem zu holen und horchte angestrengt, damit ihm ja keine Silbe entgehen möge.

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»So mache auf!«

Ein Schlüssel klirrte leise im Schlosse.

»Du brauchst nicht wieder zuzumachen.«

»Warum?«

»Du mußt ja gleich wieder fort.«

»Aber wenn Jemand – –?«

»Pah? Wer sollte zur Pforte kommen? Ich weiß nicht, ob ich Dich bis hierher zurückbegleiten kann, darum ist es besser, Du läßt offen und gibst mir jetzt den Schlüssel, damit ich später hinter Dir verschließen kann. Auf diese Weise kannst Du ohne Aufenthalt das Schloß verlassen.«

»Wo ist der Prinz?«

»Er wartet im Gärtchen.«

»Hast Du dafür gesorgt, daß mich auch jetzt kein Mensch bemerkt?«

»Um diese Zeit kommt Niemand mehr in den Hof, und übrigens habe ich Alles gut verschlossen. Und in das Gärtchen hat überhaupt kein Uneingeweihter jemals Zutritt gehabt. Du bist also vollständig sicher!«

»So komm!«

Sie traten durch die Pforte ein und zogen dieselbe hinter sich zu.

»Was thue ich?« frug sich Kurt. »Bis jetzt weiß ich so viel wie nichts, und doch muß ich Alles erfahren. Welchen Zweck hatten die Kerls, mich gefangen zu nehmen? Ich muß lauschen! Aber wie? Könnte ich doch auf die Mauer? Ah, es wird gehen. Wenn ich die Pforte öffne, kann ich auf die Kante derselben steigen und von da aus den Mauerkranz mit der Hand erreichen, wenn nämlich die Angeln noch so fest sind, daß sie mich tragen können. Aber die doppelte Gefahr! Die fürchterliche Tiefe hinter dem Gärtchen und – wenn mich diese Schurken bemerken. Ah pah, ich muß wissen, woran ich bin, es wird gewagt!«

Er hatte keine Zeit zu verlieren und stieß das Pförtchen leise wieder auf. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß sowohl die Angelbänder als auch die Angelzapfen noch gut befestigt seien, versuchte er, auf die obere Kante der Thüre zu kommen. Es gelang, und nun konnte er die Kante der Mauer mit den Händen erreichen. Ein kühner Schwung brachte ihn empor. Die Mauer war glücklicherweise so stark, daß er, wenn er sich niederlegte, nicht bemerkt werden konnte. Seine Stiefel hatte er unten im Graben gelassen. Er schob sich vorsichtig auf der Mauer hin. Bald lag das Gärtchen zu seiner Linken, und zu seiner Rechten gähnte die fürchterliche Felsentiefe unter ihm. Jedes fallende Steinchen mußte ihn verrathen, und jede falsche Bewegung konnte ihm den festen Halt rauben und ihn in den Abgrund stürzen. Die Quader, welche die Krone der Mauer bildeten, waren durch den Einfluß der Jahrhunderte gelockert worden, sie wankten in ihren Fugen. Trotzdem aber kroch der muthige Jüngling so schnell wie möglich weiter, bis er leise Stimmen hörte. Er befand sich gerade über der Bank, auf welcher damals Komtesse Toska den Prinzen empfangen hatte.

»Wo mag er sein?« hörte er Franz unter sich fragen.

»Es hat ihn etwas abgehalten, aber er wird sicherlich bald kommen.«

Aus dieser Antwort des Vogtes erkannte Kurt, daß der Prinz noch nicht zugegen sei. Es war ihm also von der Unterhaltung, welche er zu belauschen beabsichtigte, noch kein Wort entgangen.

»Weißt Du, was sehr nöthig ist?« frug der Neffe.

»Was?«

»Daß Du morgen mit dem Frühesten nach dem Steinbruche gehest.«

»Warum?«

»Um meinen verlorenen Stiefelabsatz zu holen. Man weiß nie was passirt. Er könnte mich verrathen.«

»Ich denke, Du weißt nicht genau, wo Du ihn verloren hast!«

»Das ist richtig, aber ich meine, ich hätte es bemerken müssen, wenn er mir bereits vorher unterwegs verloren gegangen wäre.«

»Ich werde suchen, obgleich ich nicht annehmen mag, daß uns so ein altes Stück Leder verrathen wird. Hm, es gibt mir doch verteufelten Spaß, wenn ich daran denke, daß sie den Burschen jetzt festgenommen haben werden.«

»Sie haben ihn, falls er sogleich zur Mühle gegangen ist.«

»Wohin anders! Weißt Du genau, daß man ihn dort suchen wird?«

»Sicher!«

»So ist er vollständig unschädlich.«

»Vollständig?« klang es zweifelnd.

»Ja. Du hast ja gesagt, daß Du der Marinelieutenant Kurt Schubert seist, ehe Du den Wirth niederschossest, Du hast ihm den Revolver in die Tasche gesteckt, er kann sein Alibi nicht beweisen, rechne dazu die außerordentliche Aehnlichkeit zwischen Dir und ihm und die Gleichheit des Anzuges, so wirst Du einsehen, daß ihm kein Leugnen helfen kann. Er muß als Mörder verurtheilt werden.«

»Er ist Ausländer!«

»Laß nur den Prinzen sorgen!«

»Horch, da kommt er!«

Es ließen sich Schritte vernehmen, welche sich näherten; der Prinz erschien, und die beiden Wartenden erhoben sich von ihren Plätzen.

»Seid Ihr zurück?« frug er.

»Ja, Hoheit,« antwortete der Vogt.

»Wie ging es?«

»Sehr gut.«

»So erzählt. Zunächst Du, Franz!«

»Ich ging hinunter zum Platz,« begann dieser, »und trat in eine Schenkbude, in welcher der Wirth mit noch zwei Andern Skat spielte –«

»Ein hiesiger Wirth?«

»Nein. Es war einer von Denjenigen, welche die Jahrmärkte und das Vogelschießen zu beziehen pflegen.«

»Waren noch andere Gäste da?«

»Nein. Ich wurde eingeladen mitzuspielen, und ich that dies. Nach einiger Zeit stellte ich mich berauscht, stach falsch ab, fing Streit an und schoß den Wirth nieder.«

»Du entkamst schwer oder leicht!«

»Sehr leicht. Ich rannte scheinbar nach der Höllenmühle zu, bog aber dann nach dem Steinbruche ein.«

»Wer waren die beiden andern Spieler?«

»Zwei Beamte aus der Kreisstadt, welche gekommen waren, sich die Prozession mit anzusehen.«

»Hm, das ist nicht gut.«

»Warum?«

»Es waren lauter Fremde, man wird also keinen Verdacht auf Schubert haben.«

»Ich habe vor Beginn des Spieles erwähnt, daß ich der Marinelieutenant Kurt Schubert bin und meine Wohnung in der Höllenmühle habe.«

»Das ist gut. Man wird ihn jedenfalls dort suchen. Erzähle weiter!«

»Ich bog also nach dem Steinbruche ein. Dort fand ich den Onkel.«

»Der Gefangene war noch da?«

»Versteht sich! Wir schafften ihn bis nahe an die Höllenmühle.«

»Er hat doch nicht merken können, wo er gesteckt hat?«

»Bewahre! Man würde selbst am Tage nicht vermuthen, daß in der hintersten Ecke des Steinbruches hinter den Brombeerranken sich eine Höhle befindet. Er war so gefesselt, daß er sich nicht zu rühren vermochte, und übrigens waren ihm, den Knebel im Munde abgerechnet, die Augen so verbunden, daß es ihm ganz unmöglich gewesen ist etwas zu sehen.«

»Aber Ihr habt ihm den Knebel und die Binde abnehmen müssen, da ist es leicht möglich, daß er Euch bemerkt und erkannt hat.«

»Keine Sorge, Hoheit! Wir waren so schnell fort, daß er gar keine Zeit gehabt hat, nur einen Strich von uns zu bemerken.«

»Ich hoffe es. Man wird ihn unschädlich machen. Du aber mußt sofort abreisen. Bist Du gewiß, daß außer dem Knecht Jakob Dich Niemand hier gesehen hat?«

»Sicher.«

»So will ich Dir Dein Geld auszahlen. Hier, nimm dieses Päckchen, damit Du sofort gehen kannst. Welchen Weg wirst Du einschlagen?«

»Ich darf mich natürlich nicht sehen lassen. Ich werde durch den Wald bis zum Blitzkreuze gehen, dann wende ich mich rechts nach Wildenstein zu, wo ich, wenn ich mich sicher sehe, den Zug besteigen kann.«

»So gehe gleich!«

»Hoheit erlauben, daß ich mich erst umziehe!«

»Warum?«

»Ich darf die Kleidung, in welcher ich da unten war, nicht beibehalten.«

»Richtig. Wo ist der andere Anzug?«

»Beim Onkel.«

»Weiß die Tante von Deiner Anwesenheit?«

»Nein.«

»Sie hat doch den andern Anzug bemerken müssen.«

»Ich habe dafür gesorgt, daß dies nicht geschehen ist,« meinte der Vogt. »Die Kleider sind im runden Thurm hoch oben unter der Dachfirste versteckt, und da werde ich auch diesen grauen Anzug aufbewahren. Dort hinauf kommt sicher außer mir kein Mensch.«

»So macht schnell! Es ist keine Zeit zu verlieren, wenn Du in Wildendorf den nächsten Zug erreichen willst!«

Sie verließen das Gärtchen, und Kurt hörte, daß die Thüre zu demselben durch den Prinzen verschlossen wurde. Er war fast starr vor Verwunderung über das, was er gehört hatte. Er vermochte jetzt alles klar zu erkennen. Man hatte einen Menschen erschossen, und zwar unter so raffinirt herbeigezogenen Verhältnissen, daß er, er selbst, der Mörder sein mußte. Wie gut, daß er nicht nach der Höllenmühle gegangen, sondern zum Schlosse heraufgeklettert war! Jetzt galt es vor allen Dingen, sich der Person des Dieners zu bemächtigen.

Kurt kannte von seiner früheren Anwesenheit her den Ort, an welchem das Blitzkreuz stand, sehr genau. Es war vor Jahren ein Bauer dort vom Blitze erschlagen worden, man hatte ihm an der Stelle ein einfaches Holzkreuz errichtet. Kurt mußte vor allen Dingen darnach trachten, diesen Ort noch vor Franz Geißler zu erreichen. Er überlegte, ob es nicht besser sei sich Hilfe zu holen, aber er kam schnell zu der Ueberzeugung, daß dies nicht klug gehandelt sein würde. Er stand unter dem Verdachte des Mordes, und es stand sehr zu erwarten, daß man ihn festnehmen werde, sobald er sich sehen ließ. Ehe es ihm dann gelang, die Verhältnisse in das rechte Licht zu stellen, konnte der wirkliche Thäter längst entkommen sein. Er sah ein, daß er sich für jetzt nur auf sich selbst verlassen müsse. Zum Glück hatte er den Revolver bei sich.

Er kroch vorsichtig auf der Mauer zurück, bis er das Pförtchen erreichte. Dieses stand noch offen. Die beiden Geißler hatten keine Ahnung, daß es nach ihnen auch benutzt worden war. Mit einem Sprunge stand er im Hofe, trat hinaus in den Graben und schob die Pforte zu. In diesem Augenblicke aber legten sich zwei kräftige Hände von hinten um seinen Hals, es war ihm unmöglich, einen Laut von sich zu geben.

»Halt, Bursche!« flüsterte ihm eine Stimme in das Ohr. »Wage keinen Laut, sonst schmeckest Du sechs Zoll kaltes Eisen!«

Der Schreck wich von dem Lieutenant, denn er kannte diese Stimme. Mit einem schnellen kräftigen Rucke riß er sich los. »Walmy!«

»Donnerwetter, wer – ah, Kurt!«

»Still, um Gotteswillen! Kein Ohr darf uns vernehmen. Komm!«

Er zog ihn mit sich fort, aus dem Graben hinaus, an den Felsen herüber und in den Wald hinein. Dort blieb er halten.

»Wie kommst Du nach Burg Himmelstein?« frug er.

»Das fragst Du noch?«

»Wie Du hörst!«

»Na, weshalb anders, als um Dich zu warnen, Du Teufelsbraten!«

»Ah, ich verstehe! Man will mich arretiren?«

»Sogar sehr! Kerl, was hast Du für Dummheiten gemacht.«

»Friedrich, ich bin es nicht gewesen.«

»Wer sonst? Woher weißt Du, daß man Dich arretiren will?«

»Ich will Dir es erzählen, aber kurz, denn wir haben keine Zeit.«

Er berichtete ihm in abgerissenen Sätzen sein heutiges Abenteuer.

»Alle Teufel,« meinte Walmy nach beendigter Erzählung, »ist dies fein und schlau angefangen! Welch ein Glück, daß Du ihnen hinter die Schliche gekommen bist, sonst hättest Du lange hinter Schloß und Riegel kauern können, ehe es gelungen wäre, die Wahrheit zu entdecken!«

»Erzähle von der Mühle!«

»Da habe ich wenig zu erzählen. Ich befand mich im Garten und die Andern alle in der Stube, als ich in derselben plötzlich lautes Reden hörte. Ich blickte in das Fenster und sah einen Gensd'armen mit mehreren fremden Männern. Er erzählte, daß Du einen ambulanten Restaurateur erschossen hättest, und erklärte, daß er nach Dir suchen müsse, keiner der Anwesenden dürfe die Stube oder das Haus verlassen. Zu gleicher Zeit bemerkte ich, daß vorn vor der Mühle eine ganze Menge von Menschen hielt, welche die Neugierde herbeigetrieben, hatte. Du warst noch nicht zurückgekehrt, ich mußte Dich natürlich warnen. Glücklicher Weise wußte ich, daß Du hier heraufgegangen warst, so schlich ich mich davon und kletterte nach der Burg empor, wo ich vielleicht zehn Minuten lang auf der Lauer lag, bis ich Dich faßte. Kennst Du das Blitzkreuz?«

»Ja.«

»Gehen wir hin, oder lauern wir den Kerl hier ab?«

»Wir gehen. Wir müssen hier jeden etwaigen Lärm vermeiden und können auch nicht wissen, ob der Kerl vielleicht eine Strecke weit von seinem Onkel begleitet wird.«

»Doch, wenn es ihm einfallen sollte, einen andern Weg einzuschlagen?«

»Nach Wildendorf führt außer der Straße kein anderer Weg.«

»So komm!«

Kurt nahm den Freund bei der Hand und schritt mit ihm zwischen den Bäumen, den Berg hinab. Es war ein sehr beschwerlicher Weg, und erst nach beinahe einer halben Stunde erreichten sie am Fuße des Berges einen schmalen Fußpfad, welcher nach dem Kreuze führte. Dieses stand links vom Wege auf einer kleinen vom Buschwerk freien Stelle. Die Steine, auf denen es errichtet war, waren deutlich zu erkennen.

»Hier ist der Platz,« meinte Kurt. »Wie stellen wir uns auf?«

»Denkst Du, daß er noch nicht hier gewesen sein kann?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»So legen wir uns zu beiden Seiten auf die Lauer. Hast Du etwas zum Binden?«

»Nichts als mein Taschentuch.«

»Ich habe außer dem meinigen auch den Leibgurt. Mit dem Letzteren schnallen wir ihm die Arme an den Leib, mit den Tüchern werden ihm die Beine gebunden, dann haben wir ihn so sicher, wie es zu wünschen ist.«

Kurt rechts und Walmy links, steckten sie sich in die Büsche, um lautlos auf die Ankunft des Mörders zu warten. Ihre Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt. Sie befanden sich kaum eine Viertelstunde in ihrem Verstecke, als sich eilige Schritte vernehmen ließen. Der Erwartete nahte sich ohne zu ahnen, welcher Gefahr er entgegen ging.

Beim Anblicke des Kreuzes schien ihn das Gefühl der Furcht zu überkommen, denn seine Schritte verdoppelten sich, und er hielt sich scheu nach der andern Seite. Da aber hob sich plötzlich vor ihm eine dunkle Gestalt vom Boden, und zu gleicher Zeit erhielt er einen Faustschlag vor die Stirn, daß er augenblicklich ohne einen Laut von sich zu geben, zusammenbrach.

»Brav gemacht!« meinte Walmy zu Kurt, der den Schlag geführt hatte, »nun schnell ihn binden!«

Bereits in der nächsten Minute lag der Diener so fest gebunden am Boden, daß er sich nicht im mindesten zu bewegen vermochte.

»Was nun?« frug Kurt.

»Fortschaffen.«

»Wohin?«

»Hm! Ich denke, nirgends anders hin als nach dem Gerichtsamte oder nach der Mühle, wo der Gensdarm wohl noch auf Dich warten wird. Wohin ist es näher?«

»Nach der Mühle. In einer guten Viertelstunde können wir dort sein.«

»Schön! Wir werden uns eine Trage machen.«

»Geht das? Ohne Schnuren und Stricke?«

»Geht prächtig. Im Urwalde lernt man solche Dinge leicht fertigen.«

Es währte nur kurze Zeit, so hatte er aus abgeschnittenen Stangen und biegsamen Zweigen eine Tragbahre gefertigt, auf welche der Gefangene befestigt wurde. Hierbei kehrte ihm die Besinnung zurück.

»Willkommen, Master Geißler,« meinte Walmy ironisch. »Seid hier auch von so einer Art Blitz getroffen worden: doch das soll Euch nicht das Geringste schaden; das versichere ich Euch!«

»Wer seid Ihr?«

»Werdet es bald erfahren.«

»Es stürzte mir etwas auf den Kopf, wie ich mich jetzt erinnere – –?«

»Ja,« lachte Walmy. »Wir fanden Euch am Boden liegen und haben Euch aus reiner Mildthätigkeit auf diese rasch gefertigte Tragbahre gelegt, um Euch aus dem Walde zu bringen.«

»Wohin?«

»Nach dem nächsten Hause, das wird wohl die Höllenmühle sein.«

»Dorthin mag ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – – Donnerwetter, ich bin gefesselt! Wer hat das gethan?«

»Wir, mein Theurer.«

»Warum?«

»Natürlich nur deshalb, damit Ihr nicht von der Tragbahre herabfallt.«

»Ich falle nicht. Ich kann überhaupt gehen; ich brauche Eure Hilfe nicht mehr: ich muß meinen Weg weiter fortsetzen.«

»Wohin? wenn ich fragen darf.«

»Nach – nach – – das kann Euch gleichgiltig sein.«

»Da habt Ihr Recht. Wir brauchen es nicht zu wissen, weil wir es ja bereits schon wissen. Aber wir sind zu aufmerksam und mitleidig, als daß wir Euch mit Eurem armen Kopfe den weiten Weg nach Wildendorf machen lassen werden. Wie leicht könnte Euch ein zweiter Unfall begegnen!«

»Ich verlange, daß Ihr mich freilaßt!«

»Geduld, Alter! Ein barmherziger Samariter thut sein Werk nicht halb.«

»Laßt mich los!«

»Schrei nicht so, mein Junge, sonst sind wir gezwungen, Dich zum Schweigen zu bringen.«

»Ich will aber frei sein. Ich werde rufen, bis man mich hört!«

»Schön! Dann werden wir unsere Maßregeln darnach zu treffen haben.«

Er zog ihm das Taschentuch aus der Tasche, formte einen Knebel daraus und steckte ihm denselben in den Mund.

»So! Wie Du mir, so ich Dir. Erst hast Du dem Lieutenant einen Knebel gegeben, jetzt bekommst auch Du einen. Dieser Mann hier ist der Lieutenant. Jetzt merkst Du wohl, warum wir so sorgsam für Dich sind.«

Es war nur ein leises Stöhnen, mit welchem der Mörder antworten konnte. Er hatte zwar keine Ahnung des Zusammenhanges, aber er mußte sich sagen, daß er sich in einer nicht geringen Gefahr befinde. Er versuchte, seine Glieder zu bewegen, doch hatte diese Bemühung keine andere Folge, als daß er mit festen Ruthen noch strenger angeschnürt wurde.

»Ist der Weg nach der Mühle beschwerlich?« frug Walmy Kurt.

»Nein, wenn wir nach der Straße gehen.«

»Ist es nicht besser, dies zu vermeiden?«

»Auch ich halte es für vorteilhafter, wenn wir die Mühle erreichen können, ohne Jemand zu begegnen. Der Vogt könnte vorzeitig erfahren, was geschehen ist, und dies müssen wir ja zu vermeiden suchen.«

»So ist die Frage, ob Du glaubst, unbemerkt die Mühle erreichen zu können?«

»Es ist möglich, wenn auch etwas beschwerlich.«

»Das darf uns nicht abhalten. Gehst Du voran?«

»Natürlich.«

»So fasse an. Vorwärts!«

Sie nahmen die Bahre auf und schritten vorwärts. Es war allerdings eine schlimme Aufgabe, welche sie zu lösen hatten. Sie mußten bald den gebahnten Pfad verlassen und quer durch den Wald dringen. Dann ging es über steile Felsen hinab auf sumpfige Wiesen, über Hecken und Gräben hinweg um die Stadt herum, denn sie mußten die Mühle von der Seite erreichen, welche der Stadt entgegengesetzt lag. Auch die Höllenschlucht umgingen sie und nun endlich hatten sie bis zur Mühle wieder einen gutgebahnten Pfad.

Franz Geißler hielt die Augen geöffnet. Er erkannte, daß die Gefahr sich von Augenblick zu Augenblick für ihn vergrößerte. Seine Fesseln trotzten jeder Anstrengung. Gab es keine Hilfe, keine Rettung für ihn? Er trug das Geld bei sich, welches er von dem Prinzen erhalten hatte. Wenn er es den beiden Trägern anbot? Aber er konnte ja nicht reden! Er begann zu wimmern. Walmy setzte die Bahre nieder.

»Was gibt es?« frug er.

Ein Stöhnen war die Antwort, aus dessen Tone sie hören konnten, daß der Gefangene reden wolle.

»Ah, Du willst uns etwas sagen? Das hat Zeit bis nachher, alter Freund. Für jetzt sind wir nicht im Geringsten neugierig. Vorwärts, Kurt!«

Nach kurzer Zeit erreichten sie die Mühle, deren Lichter ihnen hell entgegen glänzten. Sie setzten die Bahre abermals nieder.

»Bleibe hier,« meinte Walmy; »ich werde vorher rekognosziren.«

Er schlich sich leise und vorsichtig auf die hintere Seite des Mühlgartens zu, stieg dort über den Zaun und blieb dann zunächst horchend stehen, um sich zu vergewissern, daß sich Niemand in dem Garten befinde. Da vernahm er rechts von sich, außerhalb des Zaunes, ein leichtes Räuspern, und kurze Zeit später links von sich und außerhalb des Zaunes leise Schritte. Man hatte also Wachen ausgestellt, um jedes Nahenden sofort sicher zu sein.

Er legte sich auf den Boden nieder und kroch vorwärts. Nach dem Garten gingen fünf Fenster des Parterres; drei von denselben gehörten zur Wohn- und zwei zur Schlafstube. Die letzteren beiden waren geöffnet. Als Walmy nahe genug herangekommen war, konnte er die hellerleuchtete Wohnung, deren Fenster noch durch keinen Laden verschlossen waren, genau überblicken. Es befanden sich darin die Müllersleute, die beiden Mylungen, der Bowie-Pater, Holmers und sämmtliches Gesinde; sie wurden von zwei in Civil gekleideten Polizisten bewacht.

In diesem Augenblicke vernahm Walmy das nahende Rollen von Wagenrädern. Der oder die Wagen hielten vor der Thür der Mühle, und eine laute kräftige Stimme frug:

»Ist dieses Gebäude hier die Höllenmühle?«

»Ja,« ertönte die Antwort.

»Ist der Müller zu Hause?«

»Ja. Wer sind Sie?«

»Das wird sich finden.«

»Allerdings, und zwar sofort!«

»Was – –? Das ist ja ein beinahe amtlicher Ton!«

»Ich frage, wer Sie sind!«

»Papperlapapp!« erklang es lachend, und dann fuhr dieselbe Stimme fort: »Steigt aus und kommt herein.«

Der zweite Sprecher fügte hinzu:

»Und zwar alle, auch die Kutscher! Ich werde die Wagen einstweilen in Aufsicht nehmen.«

»Das ist ja förmlich polizeilich gehandelt. Sie werden mir Ihr Verhalten zu erklären haben!«

»Diese Erklärung werden Sie sofort nach Ihrem Eintritte erhalten.«

Einige Augenblicke später sah Walmy zehn Personen eintreten, den General von Helbig mit seinen drei Schwestern und dem Diener Kunz, den Steuermann Schubert nebst Karavey, Thomas Schubert und die beiden Kutscher.

»Ah,« rief der General, »da sind sie ja Alle versammelt, die ich suche, und – –« er hielt überrascht inne, als er den alten Mylungen erblickte, dann fahr er fort: »Was? Mylungen? Gott grüße Dich, alter Freund! Ich ahne den Grund Deiner Anwesenheit.«

Sie schüttelten sich die Hände.

»Wir haben Dich erwartet,« meinte der Graf. »Du kommst sehr recht, obgleich Du uns in einer Lage findest, welche nicht die angenehmste genannt werden kann.«

»So!« sagte der General, als er auch die Uebrigen begrüßt hatte. »Was willst Du mit diesen Worten sagen?«

»Laß Dich auf eine Nachricht vorbereiten, welche uns Alle in die größte Aufregung versetzt hat.«

»Welche?«

»Man sucht den Lieutenant.«

»Kurt?«

»Ja.«

»Man sucht ihn? Was soll das heißen? Weshalb sucht man ihn? Ist ihm ein Unglück geschehen?«

»Ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt; ich hätte sagen sollen: diese beiden Herren hier suchen ihn.«

Der General richtete sein Auge scharf auf die Genannten und fragte:

»Wer sind Sie?«

»Sie sind Beamte der hiesigen Polizei.«

»Alle Teufel! Du willst doch nicht etwa sagen, daß der Lieutenant – – –?«

»Ich will sagen, daß die Höllenmühle mit allen ihren gegenwärtigen Insaßen von diesen Herren und dem Gensd'armen, der Dich draußen empfangen hat, in Belagerungszustand erklärt worden ist.«

»In Belagerungszustand –?« rief der General erstaunt.

»In Belagerungszustand – – –?« jammerte die erschrockene Freya.

»In Belagerungszustand – – –?« stöhnte die entsetzte Wanka.

»In Belagerungszustand – – –?« hauchte die dicke Zilla, indem sie die Hände über ihrem Eichhörnchen zusammenschlug, daß es laut klappte.

»Ja, in Belagerungszustand!« wiederholte der Graf.

»Weshalb?«

»Der Lieutenant soll – erschrick nicht – einen Mord begangen haben.«

»Einen Mord?« frag der General, indem er einen Schritt zurücktrat.

»Einen Mord!« rief die Blaue.

»Einen Mord!« rief die Grüne.

»Einen Mord!« rief auch die Purpurne.

»Ja, einen Mord!« konstatirte der Graf.

»An wem?« frug Helbig.

»An einem Schenkwirth.«

»An einem Schenkwirth?« wiederholte monoton der General.

»An einem Schenkwirth?« stöhnte die Lange.

»An einem Gastwirth?« ächzte die Kleine.

»An einem Restaurateur?« jammerte die Dicke.

»Weshalb?« erkundigte sich Helbig.

»Wegen eines Streites im Spiele.«

»Das ist nicht wahr!« rief der General. »Kurt hat nie gespielt.«

»Niemals!« bestätigte Freya.

»Kein einziges Mal!« bekräftigte Wanka.

»Im ganzen Leben nicht!« schloß auch Zilla sich an.

Da trat mit einem raschen Schritte Thomas Schubert in die Mitte der Stube. Er zog den Rock aus und warf ihn zu Boden, streifte die Aermel seines blauen Schmiedehemdes empor, streckte die nervigen Fäuste aus und rief:

»Wer sagt es, wer? Nämlich daß der Herr Lieutenant ein Mörder sein soll? Der Kerl mag herankommen, und Gott strafe mich, ich drehe ihm das Genick um! Ich pin Thomas Schupert! Heiliges Pataillon, der Herr Marinelieutenant und ein Mörder? Auch die Parpara weiß es, daß dies eine ganz verfluchte Lüge ist. Heran also mit dem Pengel, der das zu behaupten wagt! Ich massakrire ihn auf der Stelle!«

Im Nu stand der Leibdiener Kunz an seiner Seite.

»Du hast Recht!« rief er. »Auch ich haue mit zu. Der Teufel soll den Elenden holen, der solche Schändlichkeiten zu behaupten wagt!«

Da öffnete sich die Thür, und ein schwarz gekleideter Herr trat ein. Ein Amtsdiener, welcher ein dünnes Aktenstück trug, folgte ihm.

»Was geht hier vor?« frug er, da er die lauten Stimmen gehört hatte.

Die beiden Polizisten machten ihm ein militärisches Honneur, und der Eine von ihnen antwortete:

»Herr Staatsanwalt, diese Herren sind soeben hier angekommen, die Nachricht von dem Geschehenen hat sie erregt.«

Der Beamte wandte sich an den General:

»Welches Amt ich begleite, haben Sie soeben vernommen. Ich komme von dem Thatorte, wo ich den Sachbestand amtlich aufgenommen habe, und verfügte mich nach hier, um zu sehen, ob man sich des Thäters bereits bemächtigt hat. Wer sind Sie?«

»Mein Name ist von Helbig, General der Infanterie in nor – – –«

»Ah!« unterbrach ihn der Staatsanwalt, »der Name Ew. Excellenz ist zu berühmt, als daß er mir unbekannt sein sollte. Ich bedaure – – –«

Auch er wurde unterbrochen. Der alte Graf trat vor und meinte:

»Und ich bin Graf Mylungen, Oberst-Jägermeister Seiner Majestät. Dieser Herr ist mein Sohn; diese Damen sind – –«

»Halt!« rief da hinter ihnen eine Stimme. »Lassen wir alle diese Weitläufigkeiten, denn der Mörder ist entdeckt und aufgefunden.«

Aller Augen wandten sich nach dem Sprecher. Es war Walmy, welcher durch das Fenster in das Schlafzimmer gestiegen und dann in die Stube getreten war.

»Walmy, es ist Walmy!« rief der junge Mylungen. »Wo hast Du gesteckt?«

»Ich konnte nicht bei Euch sein, weil ich mir die Aufgabe gestellt hatte, den Mörder zu fangen.«

»Und Du hast ihn?«

»Ja.«

»Er hat ihn!« rief die Blaue.

»Er hat ihn!« rief auch die Grüne.

»Er hat ihn!« wiederholte die Purpurne.

»Wer ist es?« frug der Bowie-Pater. »Doch nicht der Lieutenant?«

»Gott bewahre!« antwortete der Gefragte.

»Gott bewahre!« jauchzte die Lange.

»Gott bewahre!« echote die Kleine.

»Gott bewahre!« triumphirte die Dicke.

»Mein Herr, wer sind Sie?« frug der Staatsanwalt.

»Ich bin Baron Friedrich von Walmy, mein Herr,« lautete die Antwort, »und bereit, Ihnen alle mögliche Auskunft zu ertheilen.«

»Sie sagen, daß man den Mörder ergriffen habe?«

»Ich sagte es.«

»Wer ist es? Doch jedenfalls der Lieutenant Kurt Schubert?«

»Dieser ist es allerdings nicht, Herr Staatsanwalt,« lächelte Walmy. »Es steht überhaupt wohl keinem Beamten zu, eine Behauptung aufzustellen, bevor nicht genügende Beweise beigebracht worden sind.«

»Diese Beweise haben wir. Ich muß Ihre letztere Bemerkung hier etwas vorlaut erklären!«

Da trat Walmy auf am zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Mein Herr, was wagen Sie! Nicht ich bin es, sondern Sie selbst sind vorlaut und voreilig. Sie haben es keineswegs mit einem Schulknaben zu thun; merken Sie sich das! Ich bin gewohnt, daß man höflich mit mir verkehre. Ist Ihnen dies nicht möglich, so werde ich meine Mittheilungen an einer geeigneteren Stelle machen. Verstehen Sie mich?«

Der Staatsanwalt trat zurück. Die Adern seiner Stirn schwollen zornig an, und mit drohendem Tone frug er:

»Sie wollen mich in Gegenwart meiner Untergebenen beleidigen?«

»Ich habe weiter nichts beabsichtigt, als Ihre ungeeigneten Worte zu korrigiren, und dazu habe ich ein Recht.«

»Darüber werden wir später verhandeln. Jetzt ersuche ich Sie, mir Ihre Mittheilungen nicht länger vorzuenthalten.«

»Das, was ich zu sagen habe, ist nicht für Jedermanns Ohr. Lassen Sie Ihre Untergebenen und das Gesinde dieses Hauses sich entfernen.«

»Warum?«

»Die Gründe dieser meiner Forderung sind eben auch nicht für das Ohr Derjenigen, um deren Entfernung ich Sie ersucht habe.«

»Nun wohl, ich werde Ihre Bitte erfüllen, hoffe aber, daß sie sich als eine gerechtfertigte erweisen wird. Die Knappen, Knechte und Mägde bleiben natürlich unter polizeilicher Bewachung.«

Auf einen Wink von ihm entfernten sich die von Walmy Bezeichneten, und die Zurückbleibenden nahmen in gespannter Erwartung des Kommenden so viel wie möglich Platz in dem einfachen Räume.

»Jetzt bitte ich zu beginnen, Herr Baron,« sagte der Staatsanwalt.

»Vorher eine Frage, mein Herr!« antwortete Walmy.

»Sprechen Sie!«

»Ich meine, daß eine jede Gesetzgebung, also auch die Strafgesetzgebung, keinen Unterschied der Personen kennt. Vor dem Paragraphen ist jede Parteilichkeit ausgeschlossen?«

»Das versteht sich!«

»Ob der Bettler oder der Reichste, der Vornehmste, ein Dieb, ein Betrüger, ein Mörder sei, das ist gleich; Beide werden gleich bestraft?«

»Ganz gewiß! Aber wozu diese Fragen?«

»Sie werden das sofort hören. Der Mord, wegen dessen Sie sich hier befinden, steht im engsten Zusammenhange mit einem wenigstens gleich großen Verbrechen, wegen dessen Sie uns Alle hier versammelt sehen.«

»Ah!«

»Dieser Mord ist nicht die Folge einer momentanen Aufregung, sondern er wurde vorher reiflich erwogen, durchdacht und besprochen.«

»Sie setzen mich in Erstaunen, denn nach Ihrer Behauptung würde der Thäter nicht aus sich selbst heraus gehandelt haben. Er hat Mitschuldige?«

»So ist es.«

»Sie machen mich immer wißbegieriger, mein Herr. Bitte, erzählen Sie!«

Die Andern alle waren wenigstens eben so neugierig wie er. Walmy begann:

»Vor kurzer Zeit wurde Schloß Helbigsdorf, die Besitzung des hier gegenwärtigen Herrn Generales von Helbig, ein Raub der Flammen – – –«

»Ich habe davon gehört.«

»Das Feuer wurde angelegt, um sich bei dieser Gelegenheit der einzigen Tochter des Herrn Generales bemächtigen zu können.«

»Unmöglich! Brandstiftung und Menschenraub.«

»Gewiß. Der Thäter, der Frauenräuber entführte die Dame hierher. Wir folgten ihm. Der Marinelieutenant Kurt Schubert war der erste von uns, welcher hier anlangte. Der Räuber erfuhr dies und beschloß, ihn unschädlich zu machen. Dies sollte nicht durch einen Mord oder etwas dem Aehnliches geschehen, sondern es wurde beschlossen, ihn unter den Verdacht eines Mordes zu stellen, damit die Polizei sich seiner bemächtigen möge.«

»Das klingt ja vollständig romanhaft!«

»Ist aber leider kein Roman. Es gibt einen Menschen, welcher dem Lieutenant vollständig ähnlich sieht – –«

»Ah, Franz Geißler!« rief der Müller, der nicht an sich halten konnte.

»Sie sehen, Herr Staatsanwalt,« fuhr Walmy fort, »daß bereits eine meiner Behauptungen bestätigt wird. Dieser Franz Geißler, dessen Namen ich übrigens noch nicht genannt haben wollte, befand sich in der Residenz. Er wurde heimlich geholt und mußte sich in dasselbe Grau kleiden, welches der Lieutenant trägt. Dieser Letztere wurde heut überfallen, gefesselt und an einem sichern, verborgenen Ort versteckt, damit es ihm unmöglich sei, sein Alibi zu beweisen.«

»Gefangen genommen!« rief die Hände zusammenschlagend, Freya.

»Gefesselt!« jammerte die kleine Wanka.

»Versteckt!« klagte die dicke Zilla.

»Nach eingetretener Dunkelheit,« fuhr Walmy fort, »ging der erwähnte Geißler in das betreffende Zelt, mit einem Revolver bewaffnet. Er spielte, fing Streit an und erschoß den Wirth. Darauf entfloh er. Er hatte sich für Kurt Schubert ausgegeben, um den Verdacht sofort auf den Herrn Marinelieutenant zu lenken. Wie Sie wissen, ist ihm dies so vollständig gelungen, daß sogar Sie selbst sich täuschen ließen.«

»Aber, mein Herr, das klingt ja wirklich ganz so, als sei Ihre Erzählung aus der Feder von Alexander Dumas oder Eugèn Sue geflossen!«

»Ganz so; Sie haben Recht. Und dennoch rede ich die Wahrheit, ohne allen Schmuck, ohne alle Hinzufügung. Also dieser Geißler entfloh und wandte sich dahin, wo er bereits erwartet wurde, nämlich nach dem Orte, an welchem man den Lieutenant versteckt hatte. Dieser wurde in die Nähe der Mühle getragen, wo man ihn von seinen Fesseln befreite, nachdem man ihm als Beweis seiner Schuld den Revolver, dessen einer Lauf abgeschossen war, in die Tasche gesteckt hatte. Natürlich nahm man an, daß er sich sofort nach der Mühle begeben werde, wo die Polizei, wie es ja auch geschehen ist, sicher bereits auf ihn wartete.«

»Schrecklich!« äußerte sich die im hohen Grade aufgeregte Freya.

»Entsetzlich!« stimmte Wanka bei.

»Ganz teuflisch!« bestätigte Zilla.

Thomas Schubert streckte seine braunen muskulösen Arme aus.

»Ich schlage diese Hallunken todt, sopald ich sie erwische; das verspreche ich pei meiner Ehe mit Parpara Seidenmüller, meiner einzigen und vielgeliepten Frau und Gemahlin! Wenn es mir einfällt, schlage und stampfe ich das ganze verfluchte Gesindel zu Prei. Gottstrampach, das ist keine Lüge!«

Der Anwalt schüttelte den Kopf.

»Wenn Ihre Erzählung wirklich die Wahrheit enthält, Herr von Walmy,« meinte er, »so haben wir es mit den schlausten, gewissenlosesten und raffinirtesten Schurken zu thun, die mir jemals vorgekommen sind. Sprechen Sie weiter! Warum kam der Herr Lieutenant nicht zur Mühle?«

»Er hatte in seinem Verstecke lange Zeit zum Ueberlegen gehabt und war zu der Ueberzeugung gekommen, daß er es mit Verbündeten jenes Frauenräubers zu thun habe. Als er sich dann von der Augenbinde und den Fesseln befreit sah, erkannte er zwei dunkle Gestalten, welche schleunigst in der Finsterniß verschwanden. Er fühlte den Revolver in seiner Tasche. Diese Entdeckung brachte ihn auf den sehr richtigen Gedanken, daß in seinem Namen ein Verbrechen begangen worden sei, und daß man ihn eingesperrt habe, damit er sein Alibi nicht beweisen könne. War diese Vermuthung begründet, so befand sich die Polizei sicherlich bereits in der Mühle und daher also hatte man ihn bis in die Nähe derselben geschleppt.«

»Ich gratulire dem Herrn Lieutenant sehr zu seiner guten Kombinationsgabe,« meinte der Anwalt.

»Oh,« meinte der Schmied, »der Herr Lieutenant ist pereits als Junge ein gescheidter Kerl gewesen!«

»Immer klug,« bestätigte die Lange.

»Sehr klug,« nickte die Kleine.

»Außerordentlich klug,« behauptete die Dicke.

»Was that er nun?« frug der Beamte.

»Während man ihn zur Mühle schleppte, hatte er vorsichtiger Weise die Schritte gezählt. Er hatte ferner gemerkt, daß man ihn sehr steil abwärts trug. Er kehrte zurück und entdeckte in Folge dessen den Ort, an welchem er verborgen gewesen war. Eine weitere Kombination ließ ihn die Personen errathen, mit denen er es zu thun gehabt hatte. Er wollte sich überzeugen, ob er sich nicht irre und eilte nach der Wohnung der beiden Männer. Da sie einen bessern Weg, einen Umweg eingeschlagen hatten, so gelang es ihm, eher anzulangen als sie. Er belauschte sie und wurde dabei vollständig von allem Beabsichtigten und Geschehenen unterrichtet. Zugleich hörte er, daß Geißler, der wirkliche Mörder, sich wieder umkleiden und sofort nach der Residenz zurückkehren werde. Um nicht gesehen zu werden, wollte er den Weg durch den Wald, an dem Blitzkreuze vorüber, einschlagen. Der Lieutenant beschloß, ihn dort zu erwarten und fest zu nehmen.«

»Ein schwieriges Unternehmen,« meinte der Anwalt. »Warum holte er sich nicht Hilfe?«

»Man hielt ihn für den Thäter, man hätte ihn festgenommen, ihm nicht geglaubt. Uebrigens ist Kurt sehr stark und, was ich noch zu erwähnen habe, er traf auf mich.«

»Auf Sie? Wo befanden Sie sich, Herr Baron?«

»Ich stand hier im Garten, als der Gensd'arm eintrat um ihn zu arretiren. Ich hörte jedes darauf bezügliche Wort, und da ich an die Schuld meines Freundes unmöglich glauben konnte, so eilte ich ihn aufzusuchen.«

»Sie wußten wo er sich befand?«

»So ungefähr. Ich traf ihn wirklich, wie ich bereits erklärte. Er erzählte mir in Eile das Nöthige, und dann suchten wir das Blitzkreuz auf um den Thäter festzunehmen.«

»Kam er?«

»Ja.«

»Sie nahmen ihn gefangen?«

»Natürlich!«

»Wohin brachten Sie ihn?«

»Hierher.«

»Ich sehe ihn doch nicht. Wo befindet er sich?«

»In der Nähe der Mühle, unter der Bewachung des Lieutenants.«

»Schnell! Holen wir ihn herbei!«

»Halt, Herr Staatsanwalt! Noch sind wir nicht so weit.«

»Was noch?«

»Ich wünsche, daß der Gefangene zunächst nur von uns, nicht aber von Leuten gesehen werde, deren Plauderhaftigkeit uns das Ergebniß der noch weiter vorzunehmenden Recherchen vereiteln könnte. Der eigentliche Thäter, der Anstifter des Mordes ist nämlich eine sehr hochgestellte Persönlichkeit.«

»Wer ist es?«

»Sie sind hier in der Stadt angestellt?«

»Ja, beim hiesigen Bezirksgerichte.«

»Der Name Franz Geißler wurde genannt. Kennen Sie den Mann?«

»Es gibt wohl mehrere Geißler hier, einen Schuhmacher, einen Weber, einen Kaufmann Geißler. Auch der Schloßvogt heißt so.«

»Nun, der Gefangene ist der Neffe des Schloßvogtes, er hat den Schenkwirth erschossen und in Gemeinschaft mit seinem Onkel den Lieutenant gefangen und verborgen gehalten.«

Der Beamte sprang empor. Auf seinem Gesichte war die höchste Ueberraschung zu lesen. Seine Augen standen weit auf, und sein Mund hatte sich geöffnet.

»Ist es möglich! Höre ich recht? Der Schloßvogt?«

»Er und kein Anderer.«

»Er, der Schloßvogt hat den Mord angestellt?«

»Nein.«

»Ich verstehe Sie nicht. Wer sonst?«

»Er half ihn mit ausführen. Der Ansteller war ein noch Höherer.«

»Ein noch Höherer! Mein Himmel! Sie meinen doch nicht etwa – –«

»Wen? Herr Staatsanwalt, wen wollten Sie jetzt nennen?«

»Nennen Sie ihn selbst!«

»Nun wohl. Herr Anwalt, der Sie die Gerechtigkeit des Gesetzes, die öffentliche Anklage zu vertreten haben, ich klage den Prinzen Hugo von Süderland, welcher gegenwärtig auf Burg Himmelstein anwesend ist, der Anstiftung des Mordes an. Ich klage den Diener des Prinzen, Franz Geißler, des wohlüberlegten Mordes an; er hat ihn von dem Prinzen bezahlt erhalten und trägt das Blutgeld in seiner Tasche bei sich. Ich klage den Schloßvogt Geißler der Beihilfe zum Morde an; auch er ist bezahlt worden. Die Anklage wegen gewaltsamer und ungesetzlicher Freiheitsberaubung mag der Marinelieutenant Kurt Schubert selbst erheben. Er ist im Stande, Ihnen die unumstößlichsten Beweise beizubringen.«

Diese Worte machten auf alle Anwesenden einen unbeschreiblichen Eindruck. Am meisten erschrocken aber war der Staatsanwalt.

»Herr Baron,« rief er, »das sind ja ganz fürchterliche, ganz entsetzliche Anklagen. Sie sehen mich denselben vollständig rathlos gegenüber!«

»Rathlos? Einen Staatsanwalt? Erinnern Sie sich der einleitenden Frage, welche ich aussprach? Ich verlange gleiches Verfahren, gleiches Recht und gleiche Strafe, ganz egal, ob Hoch oder Niedrig.«

»Zunächst müßte die Wahrheit Ihrer Aussage erwiesen werden.«

»Wir werden diese Wahrheit beweisen.«

»Das mag sein, aber selbst in diesem Falle sind Rücksichten zu nehmen, Rücksichten, die sich auf die hohe Stellung, auf die allerhöchste Verwandtschaft des Angeklagten beziehen.«

»Ah! Ich danke Ihnen für die freundliche Aufklärung, welche Sie mir da über die Rechtsverhältnisse dieses Landes geben! Den armen Teufel, welcher im höchsten Stadium der Noth, im tiefsten Elende, getrieben von der Pein und den Schmerzen des Hungers nach dem Brode greift, welches er nicht bezahlen konnte, den wirft man in das Verließ, ohne Gnade und Barmherzigkeit, ohne Rücksicht auf die »niedrige Stellung« und die »allerniedrigste Verwandtschaft«, die der so leicht begreifliche und zu bedauernde Grund seines Vergehens ist; dem hohen Herrn aber, der nur im Uebermuthe, in Verachtung und Verlachung jeder bestehenden Ordnung Menschen raubt und Menschen mordet, dem will man seine teuflischen Vergnügungen unbestraft hingehen lassen seiner »hohen Stellung« und »allerhöchsten Verwandtschaft« wegen! Herr, ich sage Ihnen zum zweiten Male, daß Sie es nicht mit Schulbuben zu thun haben! Wollen Sie auf hohe Stellung Rücksicht nehmen, so steht hier der General von Helbig, Excellenz, der seine Tochter von Ihnen fordert, so – –«

»Halt,« fiel ihm der Anwalt ein; »Sie irren, wenn Sie meinen, daß ich so ohne Weiteres eine That zu verfolgen hätte, welche jenseits der Grenze, also in einem anderen Lande begangen wurde. Ich kenne meine Pflicht und ich werde sie erfüllen, aber eben diese Pflicht verbietet mir, in einem so schwierigen Falle, der mit so ungeheurer Verantwortlichkeit verbunden ist, besinnungslos und eigenmächtig zu handeln. Ich werde sofort dem Generalstaatsanwalt telegraphiren; dieser mag kommen und bestimmen, was zu geschehen hat.«

»Und unser Gefangener?«

»Er soll verhört werden. Sowohl er als auch der Lieutenant Kurt Schubert werden nach dem Amtsgefängnisse gebracht, um gleich morgen – –«

»Nach dem Gefängnisse? Beide?« unterbrach ihn Walmy.

»Ja.«

»Als Gefangene?«

»Natürlich!«

»Schön, Herr Staatsanwalt! Leider aber bin ich einer andern Ansicht. Ich sage Ihnen, daß ich Sie mit dieser meiner Faust zu Boden schlage, wenn Sie es wagen sollten, meinen Freund anzurühren. Verstanden?«

»Herr, Sie wollen mir drohen!«

»Allerdings! Ich war Prairiejäger; meine Faust hat Uebung, Herr!«

»Wissen Sie, daß ich Sie arretiren lassen werde?«

»Oder ich Sie!«

Da trat der Schmied Schubert zu Walmy:

»Herr von Walmy, soll ich diesem Manne da einen Klapps gepen, daß er denkt, Purg Himmelstein ist ihm auf die Nase gefallen? Wer meinen Lieutenant einstecken will, den haue ich zu Schnupftapak!«

Da nahm der General das Wort:

»Herr Anwalt, vermeiden Sie alle Schärfe; es ist für beide Theile vortheilhafter. Sie hören aus dem Erzählten, daß der Lieutenant unschuldig ist, es wird Ihnen dies sogar sofort bewiesen werden. Wollen Sie sich trotzdem seiner Person versichern, so leiste ich mit meinem Ehrenworte alle Bürgschaft, daß er Ihnen zu jeder Zeit zur Verfügung stehen wird. Ich hoffe, dies ist Ihnen genug.«

Der Beamte verbeugte sich höflich.

»Ihr Ehrenwort genügt, Excellenz.«

»Und dieser Franz Geißler?«

»Ich lasse ihn in die Zelle schaffen.«

Der General lächelte.

»Wollen Sie nicht auch ihn mir anvertrauen, Herr Staatsanwalt?«

Der Gefragte blickte überrascht empor.

»Ihnen? Warum? Wieso?«

»Sie vertreten Ihr Interesse und ich das meinige, oder vielmehr das unserige. Sie erblicken hier eine ganze Anzahl von Personen, welche so oder anders irgend eine Abrechnung mit dem Prinzen zu halten haben. Es liegt in unserem Interesse, daß derselbe von dem Vorgefallenen nicht das mindeste erfährt, und daher möchte ich Ihnen den Gefangenen auf einen Tag vorenthalten.«

»Excellenz, er gehört in das Untersuchungsgefängniß!«

»Der Prinz ebenso!«

»Noch habe ich keine hinlänglichen Unterlagen, um einen Schritt gegen ihn thun zu können. Uebrigens habe ich ja bereits des Herrn Generalstaatsanwaltes erwähnt.«

»Keine Unterlagen? Hier stehe ich, eine Excellenz, hier sind die beiden Grafen Mylungen, hier ist ein Baron, die Andern gar nicht gerechnet. Wir verlangen die Arretur des Prinzen, wir klagen ihn des Mordes an. Ist dies nicht genug?«

»Al – ler – dings,« dehnte der Beamte in höchster Verlegenheit. »Jedoch muß ich bemerken – –«

»Nichts bemerken Sie weiter! Lassen Sie den Lieutenant mit dem Gefangenen holen. Das Andere wird sich dann sicherlich leicht finden.«

»Wo sind die Beiden, Herr von Walmy?«

»Herr Anwalt,« antwortete dieser, »Sie haben den Wunsch Seiner Excellenz gehört, daß außer uns Niemand von dem Geschehenen etwas erfahren soll. Sie haben zwei Posten an den Garten gestellt?«

»Der Gensd'arm hat dies gethan.«

»Lassen Sie diese Posten einziehen, so befinden sich die beiden Genannten in fünf Minuten in diesem Zimmer!«

»Sicher?«

»Gewiß!«

»Ihr Ehrenwort?«

»Ich gebe es.«

»So kommen Sie!«

Der Anwalt verließ mit Walmy das Zimmer. Während der Erstere den betreffenden Befehl ertheilte, drückte der Letztere zunächst die Läden zu und suchte dann den Lieutenant auf. Er fand ihn an derselben Stelle, an welcher er ihn verlassen hatte.

»Walmy?«

»Ja.«

»Du warst verteufelt lange. Wie steht es?«

»Ich konnte nicht eher. Höre!«

Er erzählte ihm das Nothwendigste in aller Eile, dann nahmen sie den Gefangenen auf und brachten ihn durch eine Seitenpforte in den Garten. Hier stieg Walmy in das Schlafzimmer, um sich Franz Geißler durch das Fenster reichen zu lassen, dann folgte ihm Kurt.

»So, da haben wir ihn unbemerkt hereingebracht. Nun komm!«

Sie traten in die Stube.

»Lieber Kurt!« rief Freya, auf ihn zueilend und ihn umarmend.

»Mein lieber Kurt!« rief auch Wanka, indem sie ihn fest umschlang.

»O, lieber Kurt!« rief Zilla, ihn von hinten umfassend, da sonst kein Platz weiter war.

»Sie haben Dich überfallen?« frug die Lange.

»Eingesteckt?« die Kleine

»Herumgeschleppt?« die Dicke.

»Du sollst gespielt haben, denke Dir nur!« zürnte die Blaue.

»Totgeschlagen!« die Grüne.

»Gemordet!« die Purpurne.

Er war gerührt von diesen Beweisen der Liebe und Anhänglichkeit und meinte, indem er die Angekommenen der Reihe nach umarmte und begrüßte:

»Ja, Ihr Theuren, man hatte ein sehr schlimmes Komplott gegen mich geschmiedet, aber Gott hat es zu Schanden gemacht.«

»Und dieser Mann will Dich noch jetzt einstecken!« sagte Freya.

»Arretiren,« fügte Wanka hinzu.

»Einsperren,« bestätigte Zilla.

»Wer?« frug er.

»Ich bin gemeint, Herr Lieutenant,« meinte der Anwalt. »Ich bin nämlich der Vertreter der hiesigen Staatsanwaltschaft. Man machte mir die Anzeige, daß ein Marinelieutenant Schubert einen Mord begangen und sich dann in die Höllenmühle geflüchtet habe; ich begab mich nach hier, um an Ort und Stelle meine Bestimmungen zu treffen, und erhielt von Ihren anwesenden Freunden Mittheilungen, die mich an Ihrer Schuld beinahe mit Sicherheit zweifeln lassen. Wollen Sie die Güte haben, mir Ihre Erlebnisse von heut ausführlich zu erzählen!«

»Ich denke, Freund Walmy hat dies bereits gethan?«

»Allerdings, doch läßt sich erwarten, daß Sie es ausführlicher thun und doch vielleicht diese oder jene Bemerkung einflechten können, welche ein schärferes Licht auf diese ebenso traurige wie für Sie fatale Angelegenheit wirft.«

»Nun wohl, ich werde Ihrem Wunsche nachkommen.«

Er begann seinen Bericht. Hatte der Anwalt noch Zweifel gefühlt, so waren sie, als Kurt geendet hatte, sicherlich verschwunden, denn er reichte ihm die Hand und sagte:

»Herr Lieutenant, ich bin überzeugt, daß Sie unschuldig sind. Also Sie glauben, daß der Steinbruch wirklich derjenige Ort ist, an welchem Sie gefangen gewesen sind?«

»Sicherlich.«

»Sie haben den betreffenden Rockfetzen noch?«

»Hier ist er.«

»Der Verlust des Stiefelabsatzes ist Thatsache?«

»Gewiß.«

»Der Gefangene liegt hier nebenan?«

»Ja.«

»Bringen Sie ihn herein!«

»Gebunden?«

»Geben Sie ihm nur die Füße frei.«

Kurt trat mit Walmy in die Kammer. Als sie mit dem Mörder zurückkehrten, ließ sich ein allgemeines »Ah!« der Verwunderung hören, welches der Aehnlichkeit galt, die zwischen Kurt und Geißler herrschte. Der Staatsanwalt begann ein Verhör, erhielt aber auf alle seine Fragen keine einzige Antwort. Geißler hatte, hart neben der Thür liegend, die ganze Erzählung des Lieutenants Wort für Wort vernommen und hielt es heut für das Beste, keinen Laut über seine Lippen kommen zu lassen. Der Anwalt ließ ihn wieder abtreten und fesseln. Dann wandte er sich an den General:

»Excellenz, Sie halten Ihr Ehrenwort?«

»Zweifeln Sie?«

»Nicht im Mindesten. Aber geben Sie mir auch in Beziehung auf diesen Geißler Ihr Ehrenwort, wenn ich ihn in Ihrer Verwahrung zurücklasse?«

»Ja.«

»Nun gut. Ich werde mich jetzt mit den Meinen zurückziehen, bitte aber, Sie sofort nach Ankunft des Generalstaatsanwaltes wieder belästigen zu dürfen.«

»Sie werden uns willkommen sein.«

Der Beamte entfernte sich mit seinem Begleiter, auch der Gensd'arm zog mit den Polizisten ab. Nun jetzt erst brach unter den Zurückbleibenden eine wahre Sturmfluth von Begrüßungen, Fragen und Antworten los, die sich erst legte, als die Müllerin die beiden Tische aneinander schob, um sie für das verspätete Abendbrod zu decken. Freilich wurde demselben nur sehr wenig zugesprochen. Der General genoß gar nichts, ebenso Kurt. Dieser drückte dem Ersteren die Hand.

»Du denkst an Magda, nicht wahr, Papa?«

»Kurt, wie mag es ihr gehen?« seufzte Helbig.

Des Lieutenants Augen funkelten.

»Wehe diesem prinzlichen Schurken, wenn er es gewagt hat, sie nur mit den Fingerspitzen zu beleidigen!«

»Was thun wir?« frug Walmy. »Wir warten doch nicht etwa die Ankunft dieses Generalstaatsanwaltes ab? Wer weiß, was dem gnädigen Fräulein bis dahin geschehen kann!«

»O!« seufzte die Lange. »Sie kann auch ermordet werden!«

»Erstickt!« wehklagte die Kleine.

»Vergiftet!« jammerte die Dicke.

»Ja, was sollen wir thun?« frug der General. »Wir können doch nicht gewaltsam in Burg Himmelstein eindringen?«

»Oho!« rief Thomas, der Schmied. »Gept mir einen schweren Schmiedehammer, und ich zerpoche das Thor dieser Raupmörderpurg, daß die Fetzen wie die Schneeflocken fliegen und herumwirpeln sollen. Dann dringen wir ein und schlagen alles Lebendige, pis es todt ist. Das ist meine Meinung!«

»Ich mache mit!« sagte Kunz, der Leibdiener. »Die ganzen Kanaillen da oben soll der Teufel holen. Verstanden, he?«

Da erhob sich Schubert, der Steuermann.

»Ich habe zu dem großen Garne, welches heute abgewickelt worden ist, noch kein Wort gesagt, nun aber ist meine Meinung, daß wir die Anker lösen, die Segel hissen und das Piratenschiff Himmelstein ansegeln. Wir legen Bord an Bord, entern und knüpfen Alles, was wir finden, an die Fockraae, wie es ehrlicher Seemannsbrauch ist. Wer meinen Herzenssohn zum Mörder machen will, der muß hängen. Dabei bleibts!«

Auch Bill Holmers, der Riese, ergriff das Wort.

»Meine Meinung geht dahin, daß wir allerdings dieses Indianernest umrennen. Auf das Gesetz können wir uns nicht verlassen, Ihr habt es ja gehört, daß Rücksichten genommen werden sollten. Bis da die Sache klar geworden ist, wird die kleine liebe Miß verdorben und gestorben sein. Bedenkt in wessen Händen sie sich befindet. Well!«

Das war zu viel für den General. Er schlug auf den Tisch, daß es dröhnte, und meinte:

»Recht habt Ihr Alle. Dieser Bube fragte nicht nach dem Gesetze, als er Helbigsdorf niederbrannte und meine Tochter raubte, warum soll ich jetzt das Gesetz fragen, ob ich Recht bekommen soll, da unterdessen mein Kind zu Grunde gehen wird. Folgt mir! Ich werde ohne Gesetz und Richter Gerechtigkeit üben. Vorwärts.«

Er erhob sich. Karavey ergriff ihn am Arme.

»Excellenz, eilen wir nicht zu sehr! Wird man uns einlassen? Wollen wir die Thore zerschmettern und die Mauern stürmen? Es gibt einen andern Weg.«

»Welchen?«

»Zarba hat ihn mir genannt. Es mündet in den Steinbruch ein Gang, der sowohl nach den beiden Klöstern als auch nach dem Schlosse führt. Wir werden ihn finden.«

»Vielleicht ist es der Ort, an welchen ich gebracht worden bin,« sagte Kurt.

Da trat der Bowie-Pater aus der Ecke hervor.

»Excellenz, wollen Sie wirklich in das Schloß?«

»Ja, unter allen Umständen, und sollte es mein Leben kosten.«

»Gut! Ich werde Ihnen den Weg zeigen.«

»Sie? Sie, der Amerikaner? Wie wollen Sie hier den Führer machen?«

Der Pater nahm sehr ruhig sein Bowiemesser hervor, prüfte die Schärfe desselben am Fingernagel und untersuchte dann sehr genau die Zuverlässigkeit seiner beiden Revolver. Er war Allen bisher ein ungelöstes Räthsel gewesen, darum hingen ihre Augen mit gespannter Erwartung an seinen steinernen unbeweglichen Gesichtszügen.

»Ich? Hm!« machte er endlich. »Wer mich kennt, der hat erfahren, daß ich stets weiß woran ich bin. Ists nicht so, alter Bill Holmers?«

»Well!« antwortete der Gefragte.

»Na, also! Wenn ich demnach jetzt in das Schloß will, so werde ich wohl auch den richtigen Weg dorthin wissen. Die Sache ist nämlich, daß ich eine kleine Abrechnung mit dem Prinzen habe; diese Abrechnung soll gerade heut stattfinden, und darum muß ich nach Burg Himmelstein.« Jetzt erhob er das bisher gesenkte Angesicht, und nun begannen seine Augen seltsam zu funkeln, und auf seine Züge legte sich der Ausdruck eines grimmigen Hasses, den man fast blutdürstig hätte nennen mögen. Dann fuhr er fort: »Wenn ich nämlich sage, daß ich mit Jemand eine Abrechnung habe, so hat das eine sehr eigene Bedeutung; es geht dann gewöhnlich Skalp um Skalp, nicht wahr, alter Bill Holmers?«

»Yes!« antwortete dieser.

»Also das ist es, was ich zu sagen habe,« fuhr der Pater fort. »Ich gehe und rechne mit ihm ab, auch wenn mich Niemand begleiten sollte. Aber da es so schön paßt, so wäre es ja Thorheit, wenn Ihr mir nicht folgen wolltet.«

»Sie haben also den Prinzen bereits gekannt?« frug der General.

»Gekannt? Hm! Ja, nämlich wie die Taube den Geier oder das Lamm die Hyäne kennt. Bill Holmers und Fred Walmy, erinnert Ihr Euch noch jenes Abends am Rio Pekos, als wir die Hunde von Komanchen besiegt hatten? Wir erzählten damals einige hübsche Geschichten, in denen auch von dem tollen Prinzen die Rede war.«

»Ich besinne mich,« sagte Walmy.

»Schön! Ihr brachtet die Rede damals auch auf eine Sängerin oder Tänzerin, mit welcher Euer verlorener Bruder entflohen sein sollte. Er hatte angeblich ihretwegen ein Duell mit dem tollen Prinzen gehabt.«

»So ist es.«

»Diese Miß Ella – ach ja, eine Kunstreiterin war sie wohl – soll ein außerordentlich schönes Weibsbild gewesen sein. Nicht, Fred?«

»Gewiß!«

»Hm! Möchtet Ihr sie vielleicht einmal sehen?«

»Sehen?« rief Walmy. »Lebt sie noch?«

»Versteht sich!«

»Wo?«

»Ich habe Euch schon damals am Rio Pekos gesagt, daß sie Theodor von Walmy herzlich liebte, aber der Teufel blendete sie, sie ließ Liebe Liebe sein und ging dem Golde nach, womit sie der Prinz verführte. Als er ihrer satt hatte, ging sie in das Kloster, welches da oben auf dem Berge liegt, und wo sie der Schurke zuweilen noch besuchte. Dann aber kam die Reue, die mit Teufelskrallen ihr in das Herze langte. Gewisse Anzeichen brachten sie auf die Vermuthung, daß Theodor von Walmy weder entflohen noch im Duell gestorben sei. Sie mußte Gewißheit haben. Sie entfloh aus dem Kloster und forschte Jahr um Jahr nach einer Spur des einstigen Geliebten. Sie reiste nach Nord und Süd, nach Ost und West, bis es ihr endlich, endlich gelang, diese Spur zu entdecken –«

»Ist es möglich!« rief Walmy. »Pater, um Gotteswillen, heraus damit! Lebt Theodor, lebt er noch?«

»Ja.«

»Wo?«

»Dort oben im Kloster.«

»Als Mönch?«

»Nein, als Gefangener, eingekerkert seit vielen, vielen Jahren in ein finsteres Steinloch, in welchem Die verschwinden müssen, die dem Prinzen im Wege sind.«

»Herrgott! Hinauf, hinauf! daß wir ihn erlösen! Sofort, sofort!«

»Halt, Freund, erst muß ich ausreden! Neben dem Loche, in welchem er vermodert, gibt es ein zweites, welches gleichen Zwecken dient. Auch dort steckt ein Wesen, das er verschwinden ließ, weil es ihm nicht gehorchen wollte, ein Weib, einst schön wie die Morgenröthe und rein wie ein Engel. Rein ist sie noch, aber ihre Schönheit ist gewichen, und sie hält den Tod für ihren einzigen Erlöser. Soll ich ihren Namen nennen? Erschreckt nicht, Graf! Es ist die Komtesse Toska von Mylungen.«

Der alte Graf fuhr sich mit der Hand an das Herz.

»Träume ich?« frug er mit sinkender Stimme.

Sein Sohn aber faßte den Pater am Arme.

»Herr, ist es wahr, was Sie da sagen?«

»Die volle Wahrheit!«

»Woher wissen Sie es?«

»Die Cirkusreiterin hat es mir gesagt. Sie will diese Beiden aus ihren Löchern erlösen, damit sie Verzeihung erhalte für die Fehler der Jugend.«

»Wo und wann haben Sie mit ihr gesprochen?«

»Wo und wann? Hm! Immer und überall. Alter Bill Holmers, der Bowie-Pater, vor dessen Tomahawk die Weißen und die Rothen zitterten, der war und ist – ein Weib. Ich selbst bin es, Miß Ella und Bowie-Pater in einer Person.«

»Ists möglich!« rief es rundum aus Aller Munde.

»Ein Weib!« erstaunte die Blaue.

»Eine Frau!« erschrak die Grüne.

»Eine Dame!« entsetzte sich die Purpurne.

»Ja,« meinte der Pater sehr ruhig, »ein Weib, aber ein Teufelsweib, welches aus Liebe sündigte und in der Rache Vergessenheit und Vergebung sucht. Wollt Ihr diesem Weibe nach Burg Himmelstein folgen?«

»Wir folgen!« riefen sie Alle, nachdem sie sich von ihrem Erstaunen erholt hatten.

»Auch ich gehe mit! Darf ich?« fragte der Müller.

»Ja, Sie dürfen,« antwortete der Pater. »Vielleicht bekommen Sie die Zelle zu sehen, in welcher Ihre Tochter bezwungen werden sollte. Aber ich führe Euch nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist es?«

»Den Prinzen, den überlaßt mir!«

»Zugestanden!« rief es im Kreise, denn bei allem Hasse war es doch eine sehr prekäre Sache, um die es sich hierbei handelte.

»Gut. So sorgt für Laternen und so viel Lichter, als wir Leute sind. Unterwegs aber wird keines derselben angebrannt, damit wir uns nicht verrathen. Ich werde Euch auch im Dunkeln richtig führen. Einer aber bleibt zur Bewachung dieses Franz Geißler zurück.«

Aber Keiner wollte sich dazu bereit finden lassen, und so wurde die Bewachung des Mörders der Müllerin und den drei Schwestern des Generals übertragen. Er war ja an Händen und Füßen gefesselt und konnte nicht entkommen.

Alle die Betheiligten versahen sich mit Waffen und allerlei Werkzeugen, welche vielleicht zur Oeffnung von Thüren nöthig waren. Die Frauen befanden sich doch in Sorge um die Ihrigen. Die Müllerin allerdings beherrschte diese Besorgniß, die drei Schwestern aber sprachen sie in den dringendsten Bitten aus, sich ja nicht unnöthig in Gefahr zu begeben.

»Wenn der Prinz nun schießt, lieber Bruder?« meinte Freya.

»Oder sticht!« sagte Wanka.

»Oder schlägt!« sprach Zilla.

»Oder wenn Ihr Euch in den Gängen verirrt!« klagte die Lange.

»Oder stolpert und stürzt!« fügte die Kleine hinzu.

»Oder gar von einstürzenden Steinen verschüttet werdet!« mahnte die Dicke mit schaudernder Miene.

Sie wurden so viel wie möglich getröstet, und dann setzte sich der geheimnißvolle Zug in Bewegung. Der General, der Lieutenant, die beiden Mylungen und Friedrich Walmy waren fieberhaft erregt, die Andern aber folgten dem voranschreitenden Pater mit ruhigerem Blute. Alle aber waren entschlossen, nicht ohne Resultat zurückzukehren.

Der Zug ging zunächst über den Bach hinüber und zwischen den Felsen hindurch, welche das Höllenthal einengten; dann stieg man in derselben Richtung den Berg hinan, welche Kurt eingeschlagen hatte, als er von seinen Fesseln befreit worden war. Sie erreichten glücklich den Steinbruch, tappten im Dunkeln, Einer hinter dem Andern, nach dem innersten Winkel desselben, wo der Pater die Brombeerranken zur Seite schob.

»Tretet ein,« sagte er halblaut »Ich halte die Höhle offen.«

Als der Letzte in die Oeffnung geschritten war, folgte er ihnen indem er die Ranken wieder fallen ließ.

»Wie viele Laternen haben wir, Müller?« frug er.

»Fünf.«

»Und offene Lichter?«

»Für jeden eins.«

»Die Laternen genügen jetzt. Laßt mich voran; ich werde Licht machen!«

Er drängte sich an den Andern vorüber und wollte eben nach den Zündhölzchen greifen, als er weit vor sich ein leises Geräusch vernahm.

»Pst! Man kommt. Nieder zur Erde und nicht gemuckt!«

Sofort folgten Alle seiner Aufforderung. Ein fahler Lichtschein ließ sich sehen und dabei bemerkte man, daß der Gang, in welchem man sich befand, ungefähr zwanzig Schritte vom Eingang entfernt einen Winkel schlug. Dadurch wurde eine Ecke gebildet, hinter welche sich mit schnellen katzenartigen und unhörbaren Sprüngen der Pater schlich. Der Schein wurde heller, und es wurde eine Blendlaterne sichtbar, welche von einem Manne getragen wurde.

Es war der Schloßvogt.

Dieser schritt ahnungslos an dem Pater, der sich hart an das Gestein gedrückt hatte, vorüber. Ein schneller Blick vorwärts belehrte den Letzteren, daß der Vogt allein sei.

»Geißler!«

Bei dem unerwarteten Klange seines Namens drehte sich der Vogt um. Er sah den Pater und erschrak, als ob er ein Gespenst gesehen habe. Doch rasch ermannte er sich wieder.

»Was ist das? Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?« frug er mit drohender Stimme.

»Hm, sei nicht bös, Alter!« antwortete der Pater. »Ich will einige alte Freunde besuchen.«

»Wen?«

»Na, den Prior, die Priorin, Pater Filippus, den Küchenmeister, der Dein Bruder ist, auch Dich selber, alter Fuchs, und dann endlich den Prinzen, den allerliebsten Hallunken, den es geben kann.«

»Kerl, wer bist Du?«

»O, ein alter Bekannter von Euch allen. Aber Namen sind ja nicht nöthig. Willst wohl den verlorenen Stiefelabsatz suchen, alter Schelm?«

Der Vogt erbleichte.

»Mensch, woher weißt Du – –«

Er hielt inne, denn er bemerkte, daß in diesen Worten ein Geständniß lag.

»Na, ja oder nein, das ist ganz egal. Gib einmal Deine Laterne her!«

Diese Worte waren noch nicht verklungen, so hatte er ihm auch bereits die Laterne entrissen.

»Mensch!« drohte Geißler. »Zurück mit der Leuchte oder –«

Er sprach nicht weiter und wich um einige Schritte zurück, denn er sah die Mündung des Revolvers auf sich gerichtet.

»Schmied!« gebot der Pater.

»Hier!« antwortete Schubert, welcher der Vorderste in der Reihe war. »Soll ich diesem Vogt der Räuperhöhle einen Klapps gepen, he?«

Er trat näher. Der Vogt sah sich um.

»Wer ist dieser?« frug er erschrocken.

»Ich pin der leiphaftige Teufel und komme, um Dich zu holen!« antwortete Schubert. »Mach keinen unnützen Summs, Du mußt mit!«

Er legte ihm die riesenstarken Arme um den Leib und hielt ihn so fest, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Der Pater hatte das Taschenruch hervorgezogen und zusammengeballt. Der Schmied sah das und sagte also:

»Mach das Maul auf, Alter! Du sollst einen Stopfer pekommen, gerade so wie Ihr dem Herrn Lieutenant einen gegepen hapt.« Und als Geißler nicht sofort Gehorsam leistete, legte er ihm die Finger um die Kehle. »Paß auf, wie rasch Du aufmachen wirst? So, ists gemacht! Nun langt einmal zwei von den Schnuren her, die wir mitgenommen hapen. Wir wollen ihm zwei Schlipse um die Arme und die Peine legen.«

Der Vogt wurde gebunden. Dabei untersuchte der Pater seinen Rock.

»Seht!« meinte er. »Hier fehlt das Futter am Schooße. Der Schlingel ist es also wirklich gewesen.«

Jetzt trat Kurt hervor und ließ den Schein des Lichtes auf sich fallen.

»Kennst Du mich, Schurke?« frug er. »Den Stiefelabsatz werden wir selbst suchen, und vielleicht finden wir auch die Stiefel da oben unter dem Dache des Thurmes, wenn Ihr sie nicht bereits dem Knecht Jakob geschenkt habt.«

Der Vogt konnte nur stöhnen. Er erkannte, daß er verrathen war.

»Es muß Einer bei ihm zurückbleiben. Aber wer?«

»Kunz bleibt hier,« gebot der General.

Der Diener mußte sich gehorsam fügen, so gern er auch weiter mitgegangen wäre. Er erhielt eine Laterne. Dann brannten auch die Uebrigen die ihrigen an, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Der Gang war ganz aus Stein gehauen, drei Fuß breit und sieben Fuß hoch. Man kam nach einiger Zeit an eine Stelle, wo man eine natürliche innerliche Spalte des Gesteines benutzt hatte, eine lange Reihe von Stufen emporzuführen. Es waren über fünfzig solcher Stufen. Nahe bei der obersten theilte sich der Gang.

»Hier links geht es nach den Klöstern,« sagte der Pater.

»Dorthin gehen wir später. Jetzt aber halten wir uns rechts, nach dem Schlosse zu. Wir haben die größte Strecke bereits hinter uns zurückgelegt.«

Zunächst ging es eben weiter, dann stieg der Gang steil an, bis man wieder eine Stufenreihe erreichte. Ueber derselben kamen sie in einen zellenartigen Raum, welcher durch eine Thüre verschlossen wurde. Dieser Raum war groß genug sie alle aufzunehmen.

»Was nun?« frug der General, indem er das Licht seiner Laterne auf die Thüre fallen ließ. »Sie hat weder Riegel noch Schloß!«

»Aber einen Mechanismus, welchen ich aus früheren Zeiten recht gut kenne,« antwortete der Pater. »Sehen Sie her!«

Er zog sein Messer hervor und fuhr damit in die zwischen der Thür und ihrer Umfassung befindliche Ritze. Ein leises Knarren ließ sich vernehmen, dann sprang die Thür auf. Ein feuchter kalter Dunst kam ihnen entgegen.

»Wo sind wir?« frug der General.

»Am Schloßbrunnen. Blicken Sie links hinab. Aber fallen Sie ja nicht hinein!«

Er leuchtete voran. Vor ihnen lag ein runder Raum, in dessen Mitte ein tiefes Loch hinunterführte. In ihm verschwand das Brunnenseil, welches von oben herniederhing.

»Sehen Sie sich diesen Raum genau an, ehe wir ihn betreten. Wir müssen die Laternen verdecken, denn ihr Licht könnte uns verrathen, wenn zufällig Jemand da oben zum Brunnen käme. Wir gehen rechts um das Loch herum und grad gegenüber durch die Thür, welche ebenso wie diese hier geöffnet wird. Ich schreite voran.«

Sie bedeckten die Laternen und traten in die gefährliche Rundung. Zwischen dem Brunnenloche und der Rundung gab es einen Raum von höchstens drei Fuß Breite, doch kamen sie glücklich vorüber und drüben durch die Thür, welche der Pater geöffnet hatte. Beide Thüren waren natürlich von dem letzten Manne wieder zugedrückt worden.

Nun konnten sie die Laternen wieder von ihrer Hülle befreien. Sie sahen einen Gang vor sich, welcher einige Zeit ganz eben weiterführte, bis er an eine Wendeltreppe führte, welche innerhalb eines runden Gemäuers emporstieg.

»Jetzt bitte ich leise aufzutreten!« sprach der Pater.

»Wo befinden wir uns?« frug der General.

»In einem Thurme, der nur diesen geheimen Treppenraum und zwei darüber hegende Zimmer hat, eine Wohn- und eine Schlafstube. Da oben befindet sich Ihre Tochter, wenn sie nicht in einem Verließe untergebracht worden ist, was ich aber nicht erwarte. Der Prinz pflegt seine weiblichen Gefangenen zunächst mit Liebe zu behandeln und nur, wenn diese fruchtlos bleibt, die Strenge anzuwenden.«

»Vorwärts, vorwärts!« mahnte der erregte General.

»Halt! Erst noch einige Weisungen. Wenn wir die Treppe halb erstiegen haben, führt eine verborgene und mit demselben Mechanismus versehene Thür in einen unbelebten Gang des Schlosses. Von diesem aus gelangt man einestheils hinaus in den Garten und anderntheils an die Treppe, welche zu den beiden erwähnten Zimmern führt. Eine andere Thür geht auf einen Korridor, welcher in die bewohnten Räume mündet. Wir müssen alles Aufsehen vermeiden und dürfen den Prinzen nur da vernehmen, wo man nichts von uns hören kann. Das ist erstens der Garten und zweitens sind es diese zwei Zimmer. Lassen Sie mich zunächst emporsteigen, um zu rekognosziren.«

Er schlich sich mit lautlosen Schritten die Treppe empor. Ganz oben blieb er halten, um eine Weile zu lauschen, dann kehrte er zurück.

»Excellenz, wir kommen zur glücklichen Stunde. Ihre Tochter ist oben und er befindet sich bei ihr.«

»Ists möglich!«

»Ich hörte beide deutlich. Ich erwarte, daß Sie meinen Anordnungen Folge leisten. Sie, Excellenz, der Herr Marinelieutenant und die beiden Grafen Mylungen steigen bis zu dem Punkte empor, an welchem Sie mich jetzt gesehen haben. Dort warten Sie bis ich wiederkehre um Ihnen zu öffnen.«

»Wo gehen Sie hin?«

»Ich werde mit Holmers, Herrn von Walmy, dem Steuermann und dem Schmiede den Gang besetzen, daß dem Prinzen, wenn er Ihnen entwischen sollte, nur der Weg zum Garten offen bleibt, wo er uns nicht entrinnen kann. Karavey bleibt mit dem Müller hier zurück, um ihn zu empfangen, falls er diesen Ausweg suchen sollte. Wir tödten ihn, ehe wir ihn entrinnen lassen.«

»Er wird nicht entfliehen. Er ist Herr von Himmelstein.«

»Pah! Er wird ausreißen wollen, um Alles leugnen zu können. Vorwärts, meine Herren! Aber leise, leise. Vermeiden Sie jedes Räuspern.«

Helbig stieg mit Kurt und den beiden Mylungen voran. Der Pater folgte mit seinen vier Leuten. Auf dem Halbschiede der Treppe blieb er halten, während die Vorangestiegenen über ihm standen. Er zog sein Messer und öffnete eine schmale Thür, durch welche sie stiegen. Sie standen in einem dunklen Gange, welcher hier mit allerlei Geröll und altem Werkzeug belegt war. Nachdem der Pater aufmerksam gehorcht hatte, schritten sie vorwärts und kamen an eine Treppe.

»Da oben ist er,« flüsterte der Pater. »Weiter!«

Bereits nach wenigen Schritten erreichten sie eine Thür zu ihrer linken Hand. Der Führer probirte sie.

»Sie ist nur eingeklinkt und führt in den Garten. Holmers und Walmy, Ihr geht hinaus und versteckt Euch, bis Ihr andere Weisungen erhaltet. Und die beiden Andern – sehen Sie da hinten die Thür? Sie führt in den Korridor, welchen ich vorhin erwähnte. Dort postiren Sie sich und lassen den Prinzen nicht durch. Sie verdecken Ihre Laterne, bis er vor Ihnen steht. Also lieber todt, als entkommen!«

»Keine Sorge!« flüsterte der Schmied. »Wen der Thomas Schupert anfaßt, der kommt nicht weiter.«

»Ich werde zu Ihnen zurückkehren und will nun vorerst den Andern da oben öffnen.«

Er wandte sich wieder zur Treppe zurück, wo der General mit seinen Leuten auf ihn wartete.

»Ich höre jedes Wort, welches sie sprechen,« flüsterte Helbig. »Wir befinden uns unter ihrem Fußboden?«

»Ja! Hier hüben ist der Fußboden der Schlafstube. Kommen Sie!«

Ein Schritt brachte sie von der Treppe auf eine halbkreisförmige Plattform, von deren hinterstem Theile einige Stufen emporführten, und zwar in eine enge Nische, in welcher sie eine Thür erblickten.

»Diese Thür ist mit einem Bilde verkleidet. Hier ist der Drücker, an dessen Stelle sich drin eine Erhöhung in der Rosette des Rahmens befindet.«

»Wird sie sich lautlos öffnen?«

»Sicher. Der Prinz und Geißler halten sehr darauf, daß sich die Geheimnisse dieses Ortes stets in brauchbarem Zustande befinden. Passen Sie auf!«

Ein kleiner Druck genügte, und die Thür war geöffnet.

»Treten Sie ein. Das Uebrige ist Ihre Sache. Ich gehe fort, um ihn draußen zu empfangen, wenn er Ihnen entkommen sollte.«

Er schlich sich zurück. Der General trat ein, und die drei Andern folgten ihm. Sie befanden sich in einem kleinen Stübchen, welches nur mir einem Bette, einem Nachttischchen und zwei Stühlen ausgestattet war. Ein Fenster gab es nicht, aber durch die Spalte der nur angelehnten Thür fiel ein leiser Lichtschimmer herein. Helbig huschte zur Spalte und blickte in das Nebengemach.

Auf einem kleinen Sopha saß der Prinz und in der äußersten Ecke stand Magda mit angsterfülltem Angesichte und die Hände flehend erhoben.

»Täuschen Sie sich nicht, mein Täubchen,« sagte eben der Prinz. »Kein Mensch ahnt, wo Sie sich befinden; Niemand wird Ihnen Rettung bringen. Nur die Erhörung meiner innigen Liebe kann mich auf den Gedanken bringen, Sie den Ihrigen wiederzugeben.«

»Ich liebe Sie nicht, ich hasse, ich verabscheue, ich verachte Sie!« lautete die mit zitternder Stimme gegebene Antwort.

»O, ich habe schon manches Vögelein gekirrt; auch Sie werden bald zahm werden, wenn Sie eines der Löcher betreten, in denen ich Widerspenstige zu zähmen weiß.«

»Ich werde sterben!«

»Es stirbt sich nicht leicht.«

»Gott wird mich beschützen und retten!«

»Meinen Sie? Ich möchte doch wissen, wie er dies anfangen wollte. Wenn ich jetzt zu Ihnen trete und Sie in meine Arme nehme, wie will er Sie da retten? Sie sind schwach; ich bin stark. Ich werde es Ihnen beweisen.«

Er erhob sich und trat auf sie zu.

»Wagen Sie es mich anzurühren!« drohte sie jetzt mit blitzenden Augen. »Ich werde mich vertheidigen.«

»Womit?«

»Mit meinen Händen, mit meinen Zähnen – –«

»Pah! Wollen es versuchen!«

Er wollte sie umfassen, wich aber schreckensbleich zurück, denn die Thüre hatte sich geöffnet, und unter ihr war der General erschienen.

»Elender!« donnerte dieser.

Dieses Wort brachte den Prinzen sofort wieder zu sich. Wer sprechen kann, der ist kein Gespenst.

»Mein Vater, o Gott, mein Vater!« schrie Magda und warf sich in die Arme des Generales, in denen sie bleischwer und leblos hängen blieb.

»Was wollen Sie hier!« zürnte der Prinz, indem er auf ihn zutrat.

Da aber erblickte er das Gesicht Kurts, seines größten Feindes, und dahinter die beiden Mylungen.

»Ha, dieser Geißler!« rief er. »Aber Ihr sollt mir nicht entkommen!«

Mit einem raschen Griffe riß er das Licht an sich, sprang zur Thür hinaus und drehte den Schlüssel um. Dann hörte man, daß noch zwei eiserne Riegel vorgeschoben wurden.

Kurt hatte ihm folgen wollen, aber der General, welcher mit der leblosen Magda noch im Eingange stand, versperrte ihm den Weg.

»Entkommen!« rief er. »Was ist zu thun!«

»Bleib ruhig hier, Kurt!« mahnte der General. »Der Pater wird ihn ergreifen. Ich habe mein Kind, mein liebes, gutes Kind, das Andere ist mir jetzt gleichgiltig!«

Unterdessen war der Prinz zur Treppe hinabgesprungen und an die Thür geeilt, welche zur Wendeltreppe führte. Er fand sie offen und blickte hinab. Da unten stand eine Laterne, und im Scheine derselben erkannte er den Müller und einen andern, stark und kräftig gebauten Mann.

»Alle Teufel, hier geht es nicht!« raunte er. »Ich muß zum Schlosse hinaus und den Berg hinab in den Steinbruch, um in den Gang zu kommen, wo ich in der Brunnenstube die Platten fortnehme. Dann sind sie gefangen und müssen elend verschmachten.«

Er wandte sich um und eilte an der Gartenthür vorüber auf den Eingang des Korridors zu. Aber plötzlich taumelte er zurück. Der Schein der Laterne blitzte auf, und vor ihm standen drei Männer.

»Wer seid Ihr?« stammelte er.

»Ich bin Dein böser Geist. Blicke mich an!« grollte der Pater mit dumpfer Stimme.

»Ella!« schrie der Prinz.

Er hatte die einstige Kunstreiterin erkannt trotz ihrer Verkleidung und trotz der Veränderung, welche die Jahre in ihrem Angesichte hervorgebracht hatten.

»Ja, Ella ist es! Die Rächerin ist da! Wo willst Du hin, um mir zu entfliehen? Deine Rechnung ist abgeschlossen, Scheusal!«

»Noch nicht!« rief er.

Er schleuderte ihr das brennende Licht in das Gesicht und sprang durch die Gartenthür. Ihr höhnisches Lachen erscholl hinter ihm.

»Besetzt die Gartenthür!« gebot sie dem Schmiede und dem Steuermanne. »Er darf ohne meinen Willen nicht wieder herein.«

Mit einem Sprunge war sie dem Flüchtlinge nach und in den Hof hinaus. Holmers und Walmy tauchten vor ihr auf. »Wo ist er?« frug sie.

»Durch die Pforte hinaus in das Gärtchen.«

»Ah, sie hat offen gestanden! Besetzt sie!«

Sie schnellte hinaus und lauschte. Von der Mauer, gerade oberhalb der Gartenbank erscholl ein Geräusch. Das war dieselbe Stelle, an welcher Kurt die Unterredung zwischen dem Prinzen und den beiden Geißler belauscht hatte, hüben die Steinbank, von welcher aus man die Mauer ersteigen konnte, und drüben die fürchterliche Felsentiefe. Die Angst hatte den Prinzen da hinauf getrieben. Er wollte, auf dem Mauerkranze hinkriechend, den Graben im Sprunge erreichen und so entkommen.

»Er ist dort hinauf! Er ist verloren, und – ich vielleicht mit ihm,« dachte der Pater. »Schnell, ihm nach!«

Sie sprang auf die Bank, ergriff die Mauerkante und schwang sich hinauf. Unter ihr gähnte die schwarze Tiefe, aus welcher weit, weit, wie aus der Hölle herauf, die Lichter der Höllenmühle schimmerten. Wie ein Eichhörnchen kroch das Mann gewordene Weib über die wackelnden Quader; da – da sah sie ihn vor sich. Ein Griff, und sie hatte ihn am Fuße. Der Stein, auf welchem sie jetzt lag, hielt fest in seinen Fugen – sie fühlte sich sicher und hielt den Flüchtling mit eisernem Griffe fest.

»Halt, mein süßer, lieber Hugo! Was eilst Du so?« frug sie mit halblauter Stimme. »Deine Ella ist hier. Setze Dich aufrecht. Wir wollen von Liebe reden, von Liebe, Liebe, Liebe!«

»Laß mich, Ungeheuer!« stöhnte er, sich festklammernd.

»Ah, nicht von Liebe? Also von Haß und Rache, von Tod und Hölle? Mir auch recht! Ungeheuer nennst Du mich? O, wäre ich es gegen Dich gewesen, wie Du es gegen mich und Viele warst. Ich könnte jetzt lange mit Dir reden, reden von der Vergangenheit, könnte predigen wie ein Pfaffe, um Deine Seele für den Himmel zu retten. Aber sie gehört in die Hölle und soll zur Hölle fahren. Ich habe keine Zeit für Dich, denn ich muß noch in dieser Nacht die Opfer befreien, welche dort unter dem Kloster schmachten. Dein Sand ist abgelaufen!«

»Laß mich, Ella! Was willst Du haben für mein Leben? Ich gebe Dir Tausende, viele, viele Tausende!«

»Das Elend und einen ewigen Kerker würdest Du mir geben, wenn ich Dich frei ließe; ich kenne Dich. Eins nur kann ich für Dich thun: Ich will Dir Deine letzten Augenblicke versüßen durch eine Nachricht, die Dein gutes Herz bis zu Thränen rühren wird: Lieutenant Schubert ist frei. Er hat Euch hier an derselben Stelle belauscht, an welcher wir jetzt liegen. Er hat jedes Eurer Worte gehört und auch gesehen, daß Du Deinem Diener das Sündengeld gabst. Dann hat er ihn unten am Blitzkreuze gefangen genommen und zum Staatsanwalt in die Mühle gebracht.«

»Lüge!« stöhnte der Prinz.

»Wahrheit, mein Hugo! Auch der Vogt liegt unten im Gange gebunden. Euer Spiel ist aus, und Du kannst nichts weiter thun, als wie ein ächter Cirkusclown mit einem Salto mortale von dem Schauplatze Deiner segensreichen Thätigkeit abtreten. Diesen Salto mortale werde ich Dir erleichtern. Siehst Du die Tiefe da unten? Wie sie lockt, wie sie winkt? »Halb zog sie ihn, halb sank er hin« – ich werde ziehen, ja, gewiß! Bete ein Vaterunser! Ich zähle bis Drei, dann fährt Deine Seele trotz der heiligen Worte zum Teufel!«

»Ella, vergib!«

»Ich will Dir vergeben, was Du an mir thatest, aber was Du Andern thatest, dafür kann ich Dir keine Absolution ertheilen.«

»Ich gebe Dir nicht Tausende, ich gebe Dir eine Million!«

»Pah! Jeder Pfennig von Dir würde Unheil bringen! Eins –!«

»Ich habe nichts gethan, was Andere nicht auch thaten!«

»Also keine Reue! Mensch, ich hätte Dich doch vielleicht laufen lassen, denn ich bin trotz alledem ein Weib und habe ein Herz im Busen; aber ich sehe, daß Du das Raubthier bleibst wie zuvor. Zwei –!«

»Weib laß mich los! Ich rufe!« ächzte er mit aller Anstrengung, sich an den Stein festzuklammern.

»Rufe, Unverbesserlicher! Passe auf – Drei –!«

»Hil – –!«

Die zweite Silbe des Hilferufes wurde von einem lauten Prasseln und einem darauf folgenden dumpfen Krachen übertönt. Der Pater hatte mit einem fast übermenschlichen Rucke Mann und Stein von der Mauer gerissen, beide verschwanden in der Tiefe.

»Was war das?« frug es vom Garten her.

Mit einem Sprunge stand der Pater im Gärtchen.

»Er ist von der Mauer gestürzt.«

»Mein Gott!« rief Holmers.

»Leise!« gebot der Pater. »Jedenfalls hat man den Ruf gehört. Wir müssen schleunigst retiriren. Kommt!«

Sie eilten in den Gang zurück, nahmen den Schmied und den Steuermann auf und schlüpften hinaus auf die Wendeltreppe. Der Pater verschloß die Thür.

»Geht hinab zu den Zweien! Ich hole die Andern.«

Er stieg die Wendeltreppe vollends empor und über die Plattform in das Gefängniß Magda's. Diese hatte sich wieder erholt.

»Wo ist der Prinz?« frug Kurt.

»Todt!«

»Todt? Ah! Wie?«

»Er wollte über die Mauer entkommen, gerade an der Stelle, wo Sie ihn belauschten, und ist hinabgestürzt.«

»Heiliger Himmel!« rief der junge Mann entsetzt.

Auch des Paters Angesicht war blaß wie der Tod, aber er beherrschte sich.

»Kommen Sie schnell! Man könnte etwas gehört haben und uns verfolgen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

»Aber Magda, und dieser feuchte, kalte und schmutzige Gang!« meinte besorgt der General.

»Ich werde sie tragen. Vorwärts!« sprach Kurt.

Er nahm das nicht widerstrebende Mädchen auf die Arme und schritt voran. Die Andern folgten. Der Pater ging zuletzt und verschloß die Bilderthür hinter sich. Sie gelangten bis in die Brunnenstube. Als sie dieselbe passirt hatten, gebot der Pater Halt. Er bat Holmers, ihm zu helfen. Beide rissen hinter sich die Steinplatten des Fußbodens auf und ließen sie in den Brunnen fallen.

»So, nun sind wir sicher. Nun kann man uns nicht folgen,« meinte er, indem er die Thür zuwarf. »Jetzt laß mich wieder voran!«

Als sie die Stelle erreichten, wo sich der Gang theilte, wandte sich der Pater an Kurt zurück:

»Nehmen Sie Karavey und eine Laterne, und tragen Sie die Dame bis dahin, wo Kunz den Vogt bewacht. Wir bedürfen Ihrer nicht.«

Die beiden Genannten folgten dieser Weisung. Die Uebrigen folgten dem Führer in den dunklen Gang hinein.

Auch dieser führte eine Zeit lang eben fort, und verwandelte sich dann in eine Treppe, welche auf zwei Gänge mündete.

»Warten Sie hier,« bat der Pater. »Gerade aus geht es in das Kloster der Mönche. Ich muß einmal rekognosziren, ob wir vor Störungen sicher sind. Holmers mag mich begleiten. Verbergen Sie die Laternen, und bleiben Sie im Finstern. Sollte Jemand von links herkommen, so halten Sie ihn fest. Dies ist der Gang, auf welchem die Herren Patres die frommen Schwestern besuchen.«

Er verschwand mit Holmers in dem dunklen Stollen. Die Uebrigen mußten lange warten, bis er zurückkehrte. Er sagte ihnen, daß sie ungestört sein würden, und führte sie dann links in den Gang hinein.

Dieser war breiter und bequemer gehalten als bisher, und von Zeit zu Zeit kam man an eine Nische, in welcher eine Bank stand.

»Wozu diese Sitze?« erkundigte sich Walmy.

»Hier pflegen die Patres von den Schwestern Abschied zu nehmen.«

Nach längerem Wandern sahen sie am Boden ein mit Wasser halb gefülltes Holzgefäß stehen. Daneben lag eine Kette.

»Wozu dies?« frug der General.

»Warten Sie!«

Er setzte seine Laterne auf den Boden nieder und verschwand in dem Gange. Nach vielleicht zehn Minuten kehrte er wieder.

»Dort geht es nach dem Frauenkloster. Ich mußte mich auch da überzeugen, ob wir sicher sind.«

»Sind wir es?«

»Ja.«

»Also dieser Wasserkübel und diese Kette?«

»Wir stehen vor den geheimen Gefängnissen.«

»Ah!«

»Suchen Sie einmal nach den Thüren!«

»Man sieht keine.«

»Treten Sie hier weg, und passen Sie auf!«

Er bückte sich und nahm einen kleinen Stein aus dem Fußboden. Es kam das Ende einer eisernen Stange zum Vorscheine. Er drückte dieselbe seitwärts, und sofort öffnete sich vor ihnen eine schmale Bohlenthür, welche an ihrer Außenseite mit einem täuschend nachgemachten Felsen bekleidet war. Ein fürchterlicher penetranter Geruch strömte ihnen aus dem Loche entgegen, welches hinter dieser Thür lag. Als der Pater hineinleuchtete, erblickten sie eine in Lumpen gehüllte menschliche Gestalt, die an eine Kette gefesselt am Boden lag. Ein halb zerbrochener Wasserkrug stand neben dem Bündel faulen Strohes, welches als Lager diente.

»O mein Gott!« rief der General. »Soll das ein Mensch sein?«

Die Gestalt erhob sich von dem Boden. Zwei dunkle unheimliche Augen stierten aus einem todtenkopfähnlichen Gesichte den Männern entgegen.

»Fort mit dem Lichte!« erklang es dumpf und heiser. »Es verbrennt mir die Augen und das Hirn. Packt Euch! Ich bete nicht!«

»Wer ist es, Pater, wer ist es?« frug der General.

Der Pater antwortete nicht, sondern frug den Gefangenen:

»Wollen Sie frei sein?«

»Frei?« antwortete es. »Frei, das heißt bei Euch todt? Ja, tödtet mich, obgleich ich bereits gestorben bin!«

»Herr von Walmy, wir bringen Ihnen wirklich die Freiheit!«

»Walmy! Walmy nennst Du ihn, Pater. Ist er es, o sag, ist er's?« rief Friedrich von Walmy.

»Er ist es.«

»Theodor!« schrie der junge Mann auf und stürzte sich in die Zelle.

Ein unartikulirter Schrei erklang, dann war es still in dem Loche, nur das Geräusch der Küsse hörte man, mit denen der Jüngling den Mund seines ohnmächtigen Bruders bedeckte.

Die Hände des Paters zitterten, und seine Stirn war von dicken Schweißtropfen bedeckt, aber er bezwang sich.

»Lassen wir die Beiden,« meinte er. »Kommen Sie weiter!«

Eine kurze Strecke entfernt hob er wieder einen Stein, um eine zweite Thür zu öffnen. Derselbe Duft und dasselbe Stroh, auf welchem aber dieses Mal eine weibliche Gestalt ruhte. Sie sprang auf. Ihre Haft war kürzer gewesen als die des vorigen Gefangenen, darum erkannte man noch die Spuren der Schönheit in den bleichen eingefallenen Zügen. Das Mädchen starrte die Männer einen Augenblick lang an, dann breitete sie die Arme aus.

»Vater, mein Vater! Bruder! Vergebt!«

Auch sie sank bewußtlos nieder. Die beiden Mylungen knieten neben ihr nieder, und aus ihrem Munde war nichts als ein lautes herzbrechendes Schluchzen zu vernehmen.

»Lassen wir sie jetzt; kommen Sie bei Seite!« bat der Pater mit gebrochener Stimme. Auch er schluchzte wie ein Kind.

»Aber die Ketten?« frug der General.

»Ich kann sie lösen. Unter dem Wassergefäß liegt stets der Schlüssel.«

Unterdessen hatte Kurt unter Karaveys Begleitung den alten Kunz erreicht, der sich vor Freude über den Anblick seiner wiedergefundenen Herrin kaum zu fassen vermochte. Nach diesen ersten Ausbrüchen des Entzückens aber wurde es wieder still. Die beiden Männer flüsterten leise mit einander, und in einiger Entfernung davon saßen die zwei jungen Leute Hand in Hand und hatten sich viel Heimliches zu sagen. Nur einmal hörte der alte treue Kunz die leisen Worte:

»Kurt, Du hast mich auf Deinen Armen von da oben fortgetragen; Du sollst mich auf diesen Armen auch durchs Leben tragen. Willst Du?«

»O wie gern, wie so unendlich gern!«

Dann ertönte ein leiser indiskreter Schall, so daß sich Kunz schmunzelnd den Schnurrbart strich und fast laut gebrummt hätte:

»Gott sei Dank, nun ist mein Herzenswunsch erfüllt! Verstanden?«

Endlich langten auch die Andern an, an ihrer Spitze der Pater.

»Auf und vorwärts!« gebot er. »Nehmt dem Vogt die Schnur von den Füßen, daß er laufen kann; aber laßt ihn nicht entwischen. Er soll seinem Herrn Neffen Gesellschaft leisten.«

Die Höhle wurde verlassen. Holmers und der Schmied hatten den Gefangenen zwischen sich. Kurt trug wieder Magda und der junge Mylungen seine Schwester. Theodor von Walmy wurde von seinem Bruder und dem Steuermanne mehr getragen als geführt; so ging es den Berg hinab. Es hatte sich ein leichter Wind erhoben, der in den Wipfeln der Tannen rauschte. Da blieb der Pater plötzlich stehen.

»Horch! War das nicht ein Schrei!« frag er.

»Auch ich hörte ihn,« antwortete Holmers. »Er klang wie vom Himmel herab.«

Da ertönte derselbe Schrei zum zweiten Male.

»Pah, es ist eine Weihe oder sonst ein Raubvogel!« sagte der Müller, und die Gesellschaft setzte ihren Weg fort.

Als sie im Scheine der Laternen die Mühle erreichten, wurde die Thür von den zurückgebliebenen Frauen geöffnet.

»Habt Ihr sie?« frug Freya.

»Ist sie da?« erkundigte sich Wanka.

»Bringt Ihr sie?« wollte auch Zilla wissen.

»Hier ist sie!« rief der General jubelnd.

»Ich habe sie!« jauchzte die Lange, indem sie die Nichte an sich zog.

»Nein, ich habe sie!« behauptete die Kleine, indem sie Magda umarmte.

»Seht her; ich bins, die sie hat!« rief die Dicke, der leider wieder nur eine Umarmung von der Rückseite ermöglicht war.

»Na, na, nur sachte!« warnte der Schmied. »Wenn sie zerrissen wird, dann hapen wir sie umsonst herpeigepracht!«

Sie wurde im Triumphe in das Zimmer geschoben und gezogen, die Andern folgten.

Da drinnen erhob sich nun ein unendlicher Jubel, bei dem wohl auch gar manche Thräne perlte. Bald aber öffnete sich die Thür wieder, und es trat eine Gestalt hervor, welche einige Augenblicke wie unschlüssig stehen blieb und dann langsam am Garten vorüber nach dem Walde schritt. Es war der Pater. Unter einer hohen Tanne angekommen, legte er sich mit einem tiefen Seufzer in das Moos nieder. Legte? O nein! Hätte der Mond geschienen, so hätte Jeder, der in die Nähe gekommen wäre, eine Gestalt knien sehen im tiefen, innigen – Gebete. – –

Man hatte sich in der Mühle sehr spät zur Ruhe gelegt. Dies war der Grund, weshalb die Betheiligten erst gegen Mittag erwachten. Beim Kaffee versammelten sie sich. Da trat Klaus der Knappe herein. Seine lange Nase machte allerhand bedenkliche Bewegungen, und endlich nahm er sich den Muth, zu fragen:

»Herr Lieutenant, wissen Sie es schon?«

»Was!«

»Die Neuigkeit!«

»Welche?«

»Vom Prinzen! Das versteht sich ganz von selber.«

»Was denn? Heraus damit!«

»Er ist von der Mauer gestürzt.«

»Ah! Und todt natürlich?«

»Nein. Das versteht sich ganz von selber.«

»Was! Weiter, weiter!«

»Er ist mit dem Rocke an einem alten Tannenkrüppel hängen geblieben, der da oben im Felsen steckt, und hat die ganze Nacht gerufen. Erst gegen Morgen hat mans gehört und ihn mit Stricken und Seilen heraufgeholt. Aber sein Kopf ist schneeweiß geworden vor Angst. Er soll ganz verwunderlich aussehen; das versteht sich ganz von selber.«

»Er ist nun krank vor Schreck?«

»Gott bewahre, sondern kerngesund. Er ist gleich zur Bahn gegangen und auf und davongefahren. Er soll gesagt haben, daß er in seinem ganzen Leben nicht mehr nach Himmelstein kommen werde, vielleicht auch nach Süderland nicht. Das versteht sich ganz von selber.«

Nachdem seine Nase einige ganz außerordentliche Drehungen gemacht hatte, verließ er brummend die Stube.

Keins der Anwesenden sprach ein Wort, aber über das Angesicht des Paters ging ein Zug stiller seliger Befriedigung. Doch dauerte diese Stille nicht lange. Sie wurde unterbrochen von einer furchtbaren Detonation, welcher sofort eine zweite und dann eine dritte folgte. Alle erhoben sich, um vor die Mühle zu eilen. Da oben war der Steinbruch eingestürzt, und diese ganze Seite des Berges zeigte sich bedeckt von Fels- und Baumtrümmern. Die Menge des Volkes, welche die nahende Wallfahrt bei den beiden Klöstern vereinigt hatte, sah man nach der Gegend der Verwüstung fluthen.

»Was mag das sein?« frug der General.

»Man sagt, der Berg sei inwendig hohl, weil er früher ein feuerspeiender gewesen ist,« antwortete der Müller. »Nun ist er zusammengebrochen. Ein großes Glück, daß das Schloß und die Klöster noch stehen!«

Der Pater aber neigte sich zu dem alten Mylungen:

»Ich weiß es.«

»Nun?«

»Es sind seit langer Zeit Minen bereit, die heimlichen Gänge einzuschütten, sobald einer derselben entdeckt wird. Man hat die Gefangenen vermißt und die Minen angezündet. Nun machen Sie Anzeige!«

»Ich weiß es, daß man da oben Alles leugnen wird. Ich werde mit dem Generalstaatsanwalt sprechen, der ja baldigst kommen muß. Aber wenigstens die beiden Kerls, welche wir da drin gefesselt hegen haben, sollen ihrer Strafe nicht entgehen.«

 

Zwei Jahre später wurde das neu erbaute Schloß Helbigsdorf eingeweiht. Der Prachtbau kostete beinahe, die innere Ausstattung mit gerechnet, eine Million. Die Mittel des Generales hätten dazu bei Weitem nicht ausgereicht, aber König Max, der frühere Schmiedesohn, hatte aus seiner Privatschatulle die sämmtlichen Kosten des Baues bestritten, um dem Generale ein Geschenk damit zu machen.

Natürlich war nun Seine Majestät zur Feier dieses Tages geladen. Er war der Einzige, denn Helbig wollte nur die bei sich sehen, die seinem Herzen nahe standen. Die Mylungen und Walmy waren bereits eingetroffen, der Schmied Schubert nebst Frau, der Müller Uhlig auch nebst Frau, ebenso Pastor Walther nebst Frau.

Da kam eine lange Wagenreihe den Schloßberg heraufgefahren. Voran sah man die königliche Equipage.

»Sie kommen!« rief die Blaue.

»Alle!« fügte die Grüne hinzu.

»Alle miteinander!« vervollständigte die Purpurne.

»Seine Majestät voran! Thue ich meine Bibi weg?« frug Freya.

»Und ich meine Lili?« frug Wanka.

»Und ich mein Mimi?« frug Zilla.

»O,« meinte der nahe bei ihnen stehende Schmied, »die Damen mögen Ihre Mimi, Lili und Pipi immer pehalten. Seine Majestät nimmt so etwas gar nicht üpel. Ich glaupe im Gegentheil, daß er sehr viel Freude an den hüpschen Thierchens hapen wird.«

Die Wagen rollten in den Hof und ihre Insassen wurden gebührender Maßen empfangen. Neben dem Könige stieg – Kurt Schubert aus. Dann folgten aus einem eigenen Wagen der Steuermann Schubert nebst Frau, dann der riesige Bill Holmers, dann Karavey, und endlich eine zwar ältliche aber immer noch sehr anziehende Dame in reicher Sammetrobe; es war – der Bowie-Pater, Miß Ella.

Das gab ein Grüßen und Händedrücken, ein Fragen und Antworten, welches kein Ende nehmen wollte, und es dauerte lange, sehr lange, ehe man das Schloß in allen seinen prachtvollen Räumen besichtigt hatte und zur Tafel gehen konnte.

Der König saß natürlich obenan. Er strahlte vor Vergnügen, und der Widerschein seines Glückes fiel auf das schöne Angesicht seiner Nachbarin Magda. Er hatte eine ganz eigene Weise der Unterhaltung; es war ihm fast anzusehen, daß er Verschiedenes in Petto hatte. So wandte er sich nach einem freundlichen Worte zum Generale plötzlich an Karavey:

»Sie wissen wohl, daß ich ein sehr guter Freund einer gewissen Zarba war?«

»Gewiß weiß ich das, Majestät!« antwortete der Bootsmann.

»Ich habe gehört, daß Sie mit Ihrem Freunde Schubert den Abschied nehmen wollen?«

»So ist es, königliche Hoheit. Wir werden alt und –«

»Ja ja,« unterbrach ihn der König. »Aber als Bootsmann geht man nicht zur Ruhe. Wollen wir Lieutenant sagen?«

»O, Majestät – – –!« stammelte der Glückliche.

»Schon gut! Sie sind doch damit einverstanden, Kapitän Schubert?«

»Heilige Braamstange, ach Verzeihung, Majestät, ich Kapitän?« rief der bisherige Steuermann.

»Sie haben das verdient, mein Guter, und ich freue mich, zwei Seekapitäne gleichen Namens, nämlich Vater und Sohn, an dieser Tafel zu sehen.«

Kurt erhob sich freudestrahlend.

»Königliche Hoheit, das habe ich nicht verdient!«

»Ich bitte sehr, die Entscheidung darüber doch mir zu überlassen.«

»Majestät beglücken mein Haus in so ungewöhnlicher Weise, daß ich nicht Worte des Dankes finde,« meinte der General. »Ist doch dieses Haus selbst nur ein Geschenk aus hoher Hand, welches ich – –«

»Halt!« unterbrach ihn der König. »Es ist nun endlich Zeit diesen Irrthum aufzuklären. Nicht ich bin es, der Ihnen dieses Haus baute, sondern der brave Steuermann und jetzige Kapitän Schubert war es.«

Ein allgemeines »Ah!« des Erstaunens ließ sich hören.

»Ja,« fuhr der König fort. »Der Kapitän hat dort hinter Indien so etwas wie einen außerordentlichen Schatz gehoben, der ihn zum Besitzer vieler Millionen macht. Hat er noch nichts davon erzählt?«

»Kein Wort!« rief der bestürzte General.

»So mag er es uns nachher beim Weine erzählen.«

»Ists wirklich, Majestät?«

»Ich bestätige es!«

Da sprang Helbig auf und umarmte den alten Seebären.

»Schubert, Freund, nimm Dein Glas und sage »Du« zu mir. Wir sind Väter eines Sohnes, also wollen wir Brüder sein!«

Die Gläser klangen, der König aber frug:

»Warum nur Väter eines Sohnes? Warum nicht auch Väter einer Tochter? General, ich bitte Sie hiermit für meinen jungen Marinekapitän Kurt Schubert um die Hand Ihrer Tochter Magda. Bekomme ich einen Korb?«

Es erhob sich ein allgemeiner Jubel und bald lagen sich die beiden jungen Leute in den Armen.

»Siehst Du, Parpara,« meinte Thomas, »grad so war es auch pei uns, als ich von Dir den ersten Schmatz pekam!«

Alles lachte, der König aber fuhr fort:

»Ich glaube nicht, daß diese beiden Verlobten die einzigen sind, die sich gern finden möchten. Graf Mylungen, verweigern Sie dem Herrn Baron von Walmy die Hand ihrer schönen Tochter? Beide sind sich in den traurigsten Jahren ihres Lebens nahe gewesen, mögen sie nun für die glücklichen auch vereinigt bleiben!«

Dem Grafen standen die Thränen im Auge. Er reichte Theodor von Walmy seine Hand hinüber und antwortete:

»Majestät, ich weiß, daß sich ihre Herzen gefunden haben, sie sollen sich nicht verlieren.«

Wieder klirrten die Gläser an einander; aber der König schien noch nicht zu Ende zu sein:

»Zwei Verlobungen? Damit wäre nicht einmal ein heutiger Theaterdichter zufrieden. Drei wenigstens müssen wir haben. Fräulein Ella, ich weiß, daß Sie die treue Seele lieben, die ich jetzt für Sie im Sinne habe. Bill Holmers hat an Ihrer Seite gekämpft, bleiben Sie auch im Frieden an seiner Seite!«

Da wandte sich die Angeredete mit fröhlichem Lächeln zu dem Genannten:

»Bill, bist Du mir wirklich gut?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn es mir einfällt, nein zu sagen!« antwortete er glücklich. »Ich bin Dir gut gewesen, als Du ein Mann warst, und nun Du auf einmal eine Miß geworden bist, so ist mir das Dings da unter der Weste ganz außer Rand und Band gerathen. Bist Du mir auch ein wenig gut, he?«

»Das versteht sich! Willst Du Deinen Bowie-Pater haben?«

»In Gottes Namen dreimal statt einmal! Well, ich denke, daß wir ganz außerordentlich gut zusammen passen. Schlag ein.«

»Hier, topp!«

Die Gläser erklangen zum dritten Male, und nun konnte der frühere Steuermann Schubert seine Geschichte von der Juweleninsel beginnen.

Als die drei Schwestern sich am Abende dieses Tages in ihre Schlafgemächer zurückzogen, sahen sie einander lange schweigend an. Endlich nahm Freya das Wort:

»Drei Verlobungen an einem Tage, hm!«

»Ja, drei! Hm!« bemerkte auch Wanka.

»Volle drei! Hm!« bestätigte auch Zilla.

»Und wir?« frug zornig die Lange.

»Ja, wir?« frug auch die Kleine.

»O, wir!« meinte sehr indignirt die Dicke.

»Ich heirathe überhaupt nicht!« bemerkte die Blaue.

»Ich nehme niemals einen Mann!« entschied sich die Grüne.

»Und ich, ich verlobe mich nicht einmal, nie, nie, niemals!« zürnte die Dicke, indem sie ihr Mimi zärtlich an sich drückte. –


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