Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8

»Warum?« fragte hinter ihm Derjenige, welchen Rurik gnädiger Herr genannt hatte.

»Hier wird nicht gefragt! Ich befehle es!«

»Oho!«

Rurik sah sich verrathen. Er sprang auf und zog das Messer aus dem Gürtel.

»Wer hat da zu befehlen!« sagte er. »Ein deutscher Hund jedenfalls nicht!«

»Gott! Das ist Rurik's Stimme!« rief Gökala.

»Ja, er ist's,« antwortete Steinbach. »Er trägt falschen Bart.«

»Nimm Dich in Acht.«

»Keine Sorge!«

»Gott! Schau, er hat das Messer!«

»Und ich die Pistole!« antwortete Steinbach. »Kerl, nieder mit Dir! Wirf das Messer fort, sonst jage ich Dir eine Kugel durch den Kopf – o Gott!«

Er brach mit dem letzteren Rufe zusammen. Da er Rurik im Auge haben mußte, hatte er nicht hinter sich gesehen. Der »gnädige Herr« hatte sich erhoben, mit dem Ruder ausgeholt und ihm damit einen fürchterlichen Hieb auf den Kopf versetzt. Ein zweiter Hieb, und Steinbach flog über Bord in das Wasser, in welchem er augenblicklich verschwand.

»Hilfe, Hilfe!« schrie Gökala.

Sie wollte sich dem Geliebten nachstürzen; da aber legte ihr der Mörder von hinten die Finger um den Hals und drückte ihr die Kehle so zusammen, daß sie nicht wieder schreien konnte und nach wenigen Augenblicken die Besinnung verlor.

»Fertig!« sagte Rurik. »Alle Teufel! Man hat den Hilferuf gehört! Dort der kleine Dampfer wendet und wirft sein Licht herüber. Machen wir uns aus dem Staube!«

»Schnell an's Ufer!« befahl der Herr. »Der Deutsche ist todt. Du, Rurik, bleibst bei mir und dem Mädchen. Wir steigen aus. Die andern Beiden mögen weiter rudern, als ob nichts geschehen sei, und das Kaik an Ort und Stelle bringen, vorher aber aufpassen, was dieser verfluchte Dampfer vor hat. Er scheint suchen zu wollen. Hol' ihn der Teufel! Sein Licht wird uns fast unbequem!« –

Als der Lord sich heut von Steinbach verabschiedet hatte, war er nach der Yacht zurückgekehrt und hatte dort Normann und Wallert getroffen. Beide waren gekommen, um zu berathen, was in Beziehung auf die Uhr zu thun sei. Der Lord hatte ihnen erzählt, daß er bereits mit dem Pascha gesprochen habe. Sie waren von dieser Nachricht nicht sehr erbaut, konnten es aber nun nicht ändern. Der Lord erhielt einen Verweis, den er geduldig hinnahm, und dann wurde beschlossen, nicht eher wieder einen Schritt zu thun, als bis das für heut festgesetzte Abenteuer draußen an den Wassern bestanden sei. Auf die Frage, wie man nun die Zeit am Besten hinbringen könne, hatte der Engländer eine Spazierfahrt in den Bosporus in Anregung gebracht, und dieser Vorschlag hatte Beifall gefunden.

So dampften sie mit der Yacht dem schwarzen Meere eine ziemliche Strecke entgegen, landeten einige Male und verhielten sich in Bujukdere so lange, daß sie endlich durch die vorgeschrittene Zeit an die Heimkehr gemahnt wurden.

Sie fuhren im Strome. Als sie Defterdar zur Rechten hatten, hörten sie einen ziemlich lauten Wortwechsel auf dem Wasser. Darauf folgte ein dumpfer Schlag und dann ertönte ein doppelter Hilferuf, von einer Frauenstimme ausgestoßen.

Der Lord stand mit den Freunden auf dem Hinterdeck; er hatte Alles gehört.

»Donner!« sagte er. »Da ist Etwas geschehen.«

»Geht uns aber nicht viel an!« meinte der Capitän, welcher sich in der Nähe befand.

»Oho! Nicht viel? Sogar sehr viel! Was war das für eine Stimme?«

»Na, eine weibliche!«

»Schön! Man hat es also auf eine Frau abgesehen. Wißt Ihr, was das hier in Constantinopel zu bedeuten hat?«

»Geht mich nichts an!«

»Mich aber desto mehr! Es soll jedenfalls eine Haremsfrau ersäuft werden, weil sie sich entführen lassen will. Steuermann, wenden! Herum mit dem Bug, damit die Laterne da hinüberleuchtet.«

»Hab schon, Herr!«

»Schön! Will, mach das Boot klar! Vielleicht werden wir es brauchen.«

Der Diener, an welchen diese Worte gerichtet waren, sprang von dem niedrigen Bord in das hinten am Stern befindliche Boot.

»Aber, Euer Lordschaft, es ist überflüssig!« wendete der Capitain ein. »Wer weiß, was für eine Art von Frauenzimmer da gequikt hat. Es ist ihr jedenfalls nur Etwas in die unrechte Kehle gekommen.«

»Natürlich! Das Wasser, in welchem sie ersaufen soll. Oho, Master Normann, sehen Sie da drüben ein Boot, welches landet?«

»Ja. Aber lassen Sie das! Da kommt Etwas geschwommen. Herrgott, eine Leiche! Will, aufpassen! Da, da taucht es wieder auf!«

Der Maschinist hatte gestoppt, so daß die Yacht nur mit dem Wasser trieb. Will, der Diener, hatte das Boot von dem Tau gelöst; er sah nach der Gegend, nach welcher Normann den Arm ausstreckte.

»Sehe es, sehe es!« meinte er.

Ein kräftiger Ruderschlag brachte ihn ganz an den treibenden Gegenstand. Er griff zu.

»Um Gott! Ein Mensch!« rief er.

»Hinein in's Boot mit ihm!« rief der Lord.

»Ja, wer kann das so allein fertig bringen! Er ist zu schwer.«

»Dann halte den Kopf über Wasser und treib heran zu uns!«

Der Steuermann legte das Ruder so, daß Will seinen Kahn nur treiben zu lassen brauchte, um an die Yacht zu kommen.

»Ein Tau her!« gebot Normann. »Wir lassen es hinab; Will bindet den Körper fest und wir ziehen ihn herauf an Deck.«

Das geschah. Kaum aber sahen die beiden Freunde die bewegungslose Gestalt, so schrieen sie vor Schreck laut auf. Sie erkannten den Landsmann.

»Steinbach!« rief Normann.

»Ja, Oskar Steinbach!« stimmte Wallert bei. »Wie um Gottes Willen ist er in das Wasser gekommen!«

»Ja, der deutsche Master von gestern, draußen auf dem Kirchhof,« meinte auch der Lord. »Wie der in das Wasser gekommen ist? Na, das ist doch höchst einfach! Sehen Sie das nicht ein?«

»Wie wollen wir das wissen!«

»Ich aber sage, daß es sehr einfach ist. Er ist derjenige, mit dem sie hat entfliehen wollen.«

»Wer denn?«

»Nun, die um Hilfe rief. Er hat sie aus dem Harem entführen wollen und ist dabei erwischt worden.«

»Unsinn! Ueberhaupt haben wir jetzt keine Zeit zu solchen müßigen Fragen. Wir müssen sehen, ob noch Leben in ihm ist. Wo schaffen wir ihn hin?«

»In meine Kajüte. Zieht ihn aus! Seine Kleider schaffen wir zum Maschinisten. Dort ist es heiß, da trocknen sie sofort.«

Während Kapitain und Steuermann dafür sorgten, daß die Yacht wieder in ihren vorigen Cours kam, transportirten die beiden Freunde den Verunglückten in die Kajüte, wo er entkleidet und in's Bett gebracht wurde. Will, der Diener, besorgte die Kleider nach dem Maschinenraum.

Nun begann man, zu bürsten, und Arme und Brust zu bewegen. Der Erfolg ließ glücklicher Weise gar nicht lange auf sich warten. Steinbach hatte fast gar kein Wasser geschluckt. Die beiden Hiebe hatten ihn betäubt; er war bewegunglos gewesen; dieser Umstand bildete den Grund, daß ihn das Wasser getragen hatte.

Er schlug die Augen auf, blickte erstaunt um sich und fragte ängstlich:

»Wo ist sie?«

»Wer?« erkundigte sich Normann.

»Gökala.«

»Ah! Gökala hat sie also geheißen!« sagte der Lord. »Wunderbarer Name! Um Hilfe gerufen hat sie.«

»Mein Kopf!«

Bei diesen Worten griff sich Steinbach an den Kopf. Dann aber besann er sich auf die Gegenwart und fragte:

»Wie komme ich hierher zu Ihnen?«

»Wir haben Sie aus dem Wasser gefischt.«

»Ah! Wo?«

»Nicht weit von Defterdar.«

»Wie lange Zeit ist seitdem vergangen?«

»Vielleicht zehn Minuten.«

»Ich höre an der Maschine, daß ich mich jedenfalls auf Ihrer Yacht befinde. Bitte, wo läuft sie jetzt?«

Normann warf einen Blick zum Kajütenfenster hinaus und antwortete:

»Wir sind bei Top Hane.«

»Da ist es zu spät. Die Schurken sind mit ihr fort.«

»Wir verstehen Sie nicht! Was ist Ihnen passirt?«

»Man wollte mich ermorden.«

»Donnerwetter!« rief der Lord. »Nennen Sie uns die Kerle und wir werden sie sofort bei der Parabel nehmen. Also Mörder! Haben Sie etwa eine Frau aus dem Harem entführen wollen?«

»Ist mir nicht eingefallen. Wo sind meine Kleider?«

»Im Maschinenraume, um zu trocknen.«

»Bitte, ich brauche sie; ich muß mich ankleiden. Sobald wir landen, muß ich fort.«

»Sie sind zu schwach dazu.«

»O nein. Ich habe einen Ruderschlag auf den Kopf bekommen. Das schmerzt ein Bischen, ist aber nicht von Bedeutung. Sie haben mir das Leben gerettet. Dankesworte zu machen, habe ich jetzt keine Zeit; das werde ich später nachholen. Jetzt aber muß ich die Mörder zu erwischen suchen. Also, bitte, meine Kleider!«

Sie wurden gebracht. Sie waren in der Hitze, welche der Kessel ausströmte, bereits fast ganz getrocknet. Er legte sie an und trat mit hinaus auf das Verdeck.

Es war ihm ganz eigenthümlich zu Muthe. Der Kopf war ihm benommen, und es flimmerte ihm vor den Augen. Ein Schluck Wein aber stärkte ihn.

Sie waren sehr langsam gefahren. Der gute Kapitain hatte noch weniger als halben Dampf geben lassen, um durch die so fühlbaren Stöße der Maschine nicht dem Patienten zu schaden. Ein Kaik hatte in Folge dessen der Yacht ganz gut folgen können. Jetzt nun legte diese Letztere an derselben Stelle an, an welcher sie vorher gelegen hatte.

»So! Hier sind wir,« sagte der Lord. »Nun sagen Sie uns, wo Ihre Mörder zu finden sind! Wir gehen mit und werden sie arretiren.«

»Besten Dank, Mylord! Ich will Sie nicht bemühen. Ich bin allein Manns genug, sie zu erwischen. Begleitung würde mir nur hinderlich sein.«

»Hinderlich? Sapperment! Ich bin in meinem ganzen Leben noch keinem Menschen im Wege gewesen.«

»Ich denke, Sie wollen mit uns, Mylord?« fragte Normann den Engländer.

»Natürlich.«

»Nun, da dürfen Sie nicht noch vorher an eine Excursion denken. Wir dürfen nicht zu spät kommen.«

»Haben Sie noch etwas vor?« fragte Steinbach.

»Das versteht sich!« antwortete der Lord. »Eine Entführung aus dem Harem.«

»Sie scherzen!«

»Oho! Wir sprechen die Wahrheit. Sie wissen ja von gestern her – bei Ibrahim Pascha.«

»Ist es wahr?« fragte Steinbach den Maler.

»Von einer Entführung ist keine Rede,« antwortete dieser. »Es handelt sich um eine kleine Recognition.«

»Wenn auch nur das. Nehmen Sie sich in Acht. Dieser Ibrahim Pascha ist mir mehr bekannt, als Sie denken. Er versteht keinen Spaß. Ich lege Ihrer Recognition keine ernstlichen Absichten bei, sonst würde ich Alles thun, um Sie davon abzubringen. Jetzt aber muß ich fort und bitte Sie um die Erlaubniß, morgen wiederkommen zu dürfen, um Ihnen meinen Dank dann besser abstatten zu können, als es mir jetzt möglich ist.«

Sobald er das Ufer erreichte, begab er sich zur nächsten Polizeiwache. Dasselbe Wort, welches gestern auf dem Begräbnißplatze Ibrahim Pascha zum Schweigen gebracht hatte, setzte ihn auch hier in Respekt. Er erhielt auf der Stelle die nöthige Anzahl Kawassen. So werden die Polizeisoldaten genannt. Mit diesen begab er sich schleunigst nach dem Hause, in welchem, wie der Kaffeewirth beschrieben hatte, der Russe Rurik wohnte.

Diesen in seinem Hause zu arretiren, dazu gehörte die Erlaubniß des russischen Residenten. Steinbach wußte aber, daß auf der Gesandtschaft jetzt nicht mehr expedirt werde, und darum beabsichtigte er, Rurik bei seiner Heimkehr auf der Straße ergreifen zu lassen. Dies durfte ohne Erlaubniß des Residenten geschehen. Er gab den Kawassen die nöthige Instruction und begab sich dann hinüber nach Altstambul zum Kislar-Aga, zu dem er bestellt worden war, um eine Neuigkeit zu vernehmen.

Er hörte, daß heut Ministerrath abgehalten worden sei, in Folge dessen Ibrahim Pascha schleunigst und unter anderm Namen nach Tunis gehen werde. Die Abreise habe bereits während der Nacht zu erfolgen.

Jetzt kehrte er zu seinen Polizisten zurück und erfuhr von ihnen, daß der Russe sich noch nicht habe sehen lassen.

Das hatte seinen guten Grund. Nämlich als Rurik mit seinem Herrn und Gökala gelandet waren, hatten die beiden anderen Ruderer das Kaik wieder vom Lande abgetrieben und waren dann Zeugen gewesen, wie Steinbach von der Mannschaft der Yacht aufgefischt wurde. Sie hatten dann dem kleinen Dampfer, da dieser nur mit Viertelkraft fuhr, leicht folgen können, und sich in die Nähe desselben postirt, nachdem sie das Kaik nebst Bezahlung dem Eigenthümer übergeben hatten.

Zu ihrem Erstaunen sahen sie den Todtgeglaubten über die Landebrücke kommen. Sie folgten ihm, sahen ihn zur Polizei gehen und schritten dann hinter den Kawassen her. So bemerkten sie, daß Rurik's Wohnung umzingelt worden sei, und wußten nun sogleich, woran sie waren. Sie mietheten sich ein anderes Kaik und ließen sich nach Dolmabagdsche rudern und in Kara Ayaly landen. Dort schritten sie durch einige enge Gäßchen, bis sie an eine nicht zu hohe Mauer gelangten, über welche sie kletterten, was sehr leicht war, da sich in der altersschwachen Mauer zahlreiche Breschen befanden.

Jetzt waren sie in einem ziemlich verwahrlosten Garten, durch den sie gingen, um in einen Hof zu gelangen, welcher zu einem ziemlich bedeutenden Gebäude führte. Dieses Letztere gehörte einem armenischen Händler, welches er aber nicht bewohnte, sondern auf unbestimmte Zeit vermiethet hatte.

Vom Garten aus gelangte man durch einen schmalen Gang in den Hof, in welchem es vollständig dunkel war. Doch wußten die Beiden sehr wohl Bescheid. Sie öffneten eine hölzerne Thür, kamen durch einen zimmerartigen Raum und klopften an eine Thür.

»Herein!« rief es von innen.

Jetzt traten sie in einen erleuchteten Raum, welcher ziemlich leidlich nach abendländischer Weise möblirt war. Am Tische saßen zwei Männer bei einer Flasche Wein – Rurik und sein Herr.«

»Endlich!« sagte der Letztere. »Ihr habt uns sehr lange warten lassen.«

»Es ging nicht anders, gnädiger Herr,« antwortete Einer der Beiden. »Wir wurden durch das, was unterdessen geschehen ist, so lange Zeit aufgehalten.«

»Was könnte denn geschehen sein!«

»O, es könnte noch viel mehr geschehen, wenn wir nicht so gut aufgepaßt hätten. Der Deutsche ist lebendig.«

»Was Teufel!«

»Ja. Das ist leider so!«

»Lebendig? Das ist doch unmöglich! Ich habe ihm zwei Hiebe gegeben, wovon einer reicht, einen Ochsen zu tödten. Und wir Alle sahen ihn in das Wasser stürzen.«

»Die auf dem kleinen Dampfer haben ihn herausgefischt.«

»Hole sie der Teufel! Aber ein Todter ist doch nicht wieder lebendig zu machen!«

»Er kann nicht todt gewesen sein. Wir ruderten dem Dampfer nach, welcher sich sehr Zeit nahm, und legten gleich mit ihm an. Da kam der Deutsche an das Land und ging auf die Zabtieh (Polizei).«

»Himmel und Hölle! Etwa um Anzeige zu machen«?«

»Natürlich.«

»Das nützt ihm nichts. Er muß auf das Consulat oder zum Gesandten!«

»O, der Kerl ist schlau. Zu dieser Stunde kann man bei keinem Gesandten mehr vorkommen. Er hat also Rurik's Wohnung umzingeln lassen. Auf der Straße kann ein Jeder arretirt werden, welcher Nationalität er auch sei.«

»Ist das wahr, was Ihr sagt?« fragte Rurik.

»Natürlich!«

»So kann ich nicht heim?«

»Nein. Du würdest sofort weggefangen werden.«

»Verdammt! Was ist da zu thun?«

Sie blickten alle Drei den Herrn fragend an. Dieser schritt im Zimmer auf und ab. Seine Brauen lagen tief auf der Stirn, und in seinen Augen funkelte es unheimlich. Dann blieb er stehen, schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte:

»Das ist ein Tag, an welchem wir zu kauen haben werden. Ich glaube, unsere Rolle ist hier ausgespielt.«

»Wieso?« fragte Rurik. »Weil man mich fangen will? O, mich bekommt man nicht.«

»Bilde Dir nicht zu viel ein! Was für einen Einfluß dieser Deutsche besitzt, hast Du erfahren, noch ehe wir wußten, daß er ein Deutscher ist.«

»Ich habe meine Schlupfwinkel!«

»Die man bereits morgen kennen wird!«

»Wer wird sie dem Deutschen nennen?«

»Der Wärter des Leoparden. Er ist Dein Vertrauter und wird Dich verrathen müssen, wenn der Deutsche ihn zur Rede stellt.«

»So bleibe ich bei Ihnen. Da bin ich sicher.«

»Bei mir?« hohnlachte der Herr. »Ich bin von jetzt an selbst keine Minute mehr sicher. Dieser deutsche Hund wird zur Prinzessin gehen. Diese weiß, wo Gökala wohnt, und dann haben wir die ganze Meute auf dem Halse. Dazu kommt, daß uns unser eigener Gesandter nicht schützt. Er ahnt gar wohl, daß wir nicht das sind, was wir scheinen.«

»So suchen wir uns ein anderes Quartier.«

»Hier? In Stambul?«

»Wo sonst?«

»Das wäre die größte Dummheit, welche wir begehen könnten. Nein, wir müssen fort, hinaus aus Constantinopel. Diese Parthie haben wir verspielt. Wir beginnen eine andere, welche wir aber gewinnen werden. Es ist nothwendig, die Stadt noch während dieser Nacht zu verlassen. Warten wir länger, so zieht sich die Schlinge um uns zusammen. Man wird uns zunächst des Mordversuchs anklagen, und während der Untersuchung wird auch alles Andere offenbart.«

»Aber eine so schnelle Entscheidung kann nicht auch eine wohl überlegte sein!«

»Sie ist wohl überlegt. Ich habe natürlich auch diesen Fall mit in die Berechnung gezogen. Geld haben wir genug, Pässe auch auf verschiedene Namen; visirt sind sie auch, natürlich falsch; so ist also Alles in Ordnung. Nun fehlt uns nur ein Fahrzeug, welches uns noch vor Tags aus dem Hafen bringt.«

»Das ist nicht zu bekommen.«

»Oho! Auch da habe ich gesorgt. Da ist da unten bei Kara Keul Kapussi ein alter Fischer, ein Spitzbube, der Haare auf den Zähnen hat; der hält bereits seit einigen Tagen einen Kutter für mich bereit. Ich habe nämlich außer dem, was Ihr wißt, noch ein anderes Spiel auf dem Brette; ich wußte, daß ich es leicht verlieren könne, und habe mich in Folge dessen auf alle Fälle vorbereitet.«

»Und Gökala? Sie geht nicht mit!«

»Werden gleich sehen! Gießt Euch ein und trinkt, bis ich wiederkomme!«

Er verließ das Zimmer. Er hatte mit den drei Männern ganz wie mit Seinesgleichen gesprochen, trotzdem er von ihnen Herr genannt wurde. Sie bildeten jedenfalls eine höchst räthselhafte Gesellschaft. Ganz gewiß aber war einer nicht mehr werth als der Andere.

Er schritt durch einige unerleuchtete Zimmer, bis er in eins kam, in welchem eine Lampe brannte. Da hockte eine alte Frau am Boden, ganz ohne alle Beschäftigung. Doch nein, sie that Etwas – sie rauchte eine Cigarrette. Als sie ihn erblickte, flog sie förmlich vom Erdboden auf, und machte ihm eine tiefe Verbeugung.

Er hatte eine ganz andere Haltung angenommen, als vorher bei den Kameraden. Er gab sich das Ansehen eines vornehmen Mannes, was ihm auch ziemlich gut gelang. Er fragte in herrischem Tone:

»Schläft sie?«

»Nein.«

»Was thut sie?«

»Sie sitzt.«

»Nennst Du das etwas thun?«

»Sie sitzt und thut nichts dabei!«

»Weint sie?«

»Nein.«

»Hat sie gesprochen?«

»Kein Wort.«

»Gegessen und getrunken?«

»Auch nicht. Als sie gebracht wurde, habe ich ihr die Schnuren von Händen und Füßen und den Knebel aus dem Munde genommen. Sie hat sich dann auf den Teppich gesetzt und nun sitzt sie noch ganz so wie erst.«

»Melde mich an!«

Die Alte öffnete eine Thür und rief hinein:

»Der Herr!«

Es war keine Antwort zu hören, doch trat er ein.

Dieses Zimmer war auf türkische Manier ausgestattet und zwar ganz komfortabel. An der Decke hing eine Ampel, welche den Raum erleuchtete. In einer der Ecken lag ein Kissen auf dem großen Smyrnateppich; auf diesem Kissen saß Gökala, bleich wie der Tod, mit geschlossenen Augen. Sie bewegte kein Glied, keine Wimper, als er eintrat. Er zog die Thür hinter sich zu, um von der Alten nicht belauscht und gehört zu werden, und sagte:

»Hast Du Dich erholt?«

Sie regte sich nicht und sie antwortete nicht.

»Hast Du mich verstanden?«

Diese Frage hatte ganz denselben Erfolg.

»Gut! Wenn Du die Sprache wieder einmal verloren hast, so kennst Du mein Mittel, sie Dir wiederzugeben!«

Da schlug sie die Augen auf. Wo war das herrliche Himmelblau derselben? Wo waren die funkelnden, brillirenden Goldfäden, welche Steinbach so entzückt hatten? Diese Augen waren glanz- und leblos. Es lag in ihnen wie eine Thränenfluth, welche hervorbrechen will und doch nicht kann oder nicht darf.

»Was wollen Sie?«

Diese Frage war mehr gestöhnt als gesprochen.

»Was ich will, das versteht sich ganz von selbst. Sprechen will ich mit Dir. Antwort will ich haben, wenn ich frage. Wir werden abreisen. Fühlst Du Dich stark genug dazu?«

»Nein.«

»So werde ich für Nachhilfe sorgen!«

Das klang drohend.

»Thun Sie es! Mir ist Alles gleich.«

»Ah! Wegen dieses Deutschen?« höhnte er.

»Ja,« gestand sie freimüthig.

»Das glaube ich Dir! Nach einer solchen Scene wie Diejenige unter dem Baume der Mutter, ist es schwer, Constantinopel zu verlassen. Ich lag hinter Eurer Bank und habe jedes Wort gehört. Es muß eine ungeheure Liebe sein, welche sich bereits nach einer einmaligen Begegnung dem ersten besten Fremden an den Hals wirft. Nur Eins von Allem war verständig, nämlich Euer

Es ist bestimmt in Gottes Rath,
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muß scheiden;
Obwohl doch nichts im Lauf der Welt
Dem Herzen, ach, so sauer fällt
Als scheiden.

Das gab freilich eine rührende Erkennungsscene. Er merkte, oder wollte bemerken, daß Du eine Hannoveranerin seiest, hat sich da aber doch ein Wenig getäuscht. Aber es lag doch Verstand in dem Liede: Ihr habt scheiden müssen, aber nicht so, wie es in der letzten Strophe heißt:

Nur mußt Du mich auch recht versteh'n
Wenn Freunde auseinander geh'n,
So sagen sie: Auf Wiederseh'n!

Ihr werdet Euch niemals wiedersehen!«

»Und doch! Sehr bald!«

»Ah! Wo denn wohl?«

»Jenseits. Ich sterbe auch.«

»Papperlapapp! Denke an die Deinen! Du hast alle Gründe, leben zu bleiben! Du kennst mich und weißt, daß ich ganz im Stande bin, das fliehende Leben in Dir zurückzuhalten. Also mache Dich bereit. In zwei Stunden reisen wir ab.«

»Wohin?«

»Das geht Dich nichts an! Du bist mein Eigenthum. Rechenschaft bin ich Dir nicht schuldig.«

»Ich bleibe!«

»Das wird sich finden!«

»Und ich bleibe! Ihre Macht ist gebrochen. Ihre Drohungen haben keine Schrecken mehr für mich. Nun dieser Mann gemordet ist, mögen alle andern auch sterben. Ich bin mit dem Leben fertig. Es wird mich kein Mensch aus diesem Zimmer bringen.«

Sie schlug die Arme über der Brust zusammen, lehnte sich in die Ecke und schloß die Augen. Grad in dieser starren Verzweiflung war sie von einer eigenthümlichen, marmornen, steinernen Schönheit. Er betrachtete sie mit stechendem, aber glühendem Auge. Es begann die Ahnung in ihm zu dämmern, daß er die Saiten denn doch zu stark angezogen habe. Er liebte dieses herrliche Wesen, freilich aber mit der Liebe eines Teufels. Er konnte und wollte sie nicht einbüßen. Es war möglich, daß sie aus Verzweiflung in den Tod ging. Das wollte er nun freilich nicht. Darum sagte er:

»Wenn er nun noch lebte?«

Sie schlug die Augen auf, warf ihm einen matten, vergehenden Blick zu und antwortete:

»Lügner!«

»Und ich wiederhole: Wenn er noch lebte, würdest Du auch dann noch sterben wollen?«

»Er ist todt.«

»Nein. Leider hat dieser Hund ein zu zähes Leben gehabt. Er ist aufgefischt worden und hat sich bereits so sehr erholt, daß er sich jetzt das Vergnügen macht, mit der Polizei nach mir zu suchen.«

Da färbten sich ihre Wangen.

»Beweisen Sie es!« sagte sie.

»Beweisen? Pah! Wenn ich es auch wollte, ich könnte es nicht: ich habe keine Zeit dazu.«

»So glaube ich es nicht!«

Sie lehnte sich wieder in die Ecke zurück. Er lachte grimmig auf und knirschte:

»Was für ein infernalisches Geschöpf so ein Frauenzimmer doch sein kann! Ich bemühe mich so viele Jahre lang um einen einzigen freundlichen Blick und werde behandelt wie ein räudiger Hund. Da kommt ein Fremder daher – ihn sehen und seinetwegen sterben wollen, das ist eins. Ich brauche nur zu sagen, daß er lebt, da werden die bleichen Wangen sofort wieder roth.«

»Also doch! Es war nur eine Probe, eine Lüge!«

»Nein, es ist Wahrheit. Der Kerl ist von einem kleinen Dampfer aufgefischt worden. Jetzt hat er mit der Polizei die Wohnung Rurik's besetzt, um ihn wegzufangen. Am Morgen wird er zur Prinzessin gehen und von ihr Deine Wohnung erfahren. Dann kommt er. Darum eben will ich fort, nur darum!«

»Aus keinem andern Grunde?«

»Nein. Meinst Du, daß ich hier alle meine Chancen aufgebe, um eines Pappenstieles willen. Es handelt sich um meine Freiheit, um mein Leben. Ich muß fort!«

Da sprang sie empor, wie von einer Feder geschnellt.

»Gott sei Dank! Oh, es giebt doch noch eine Vorsehung, eine himmlische Liebe, eine ewige Gerechtigkeit. Bereits wollte ich verzweifeln!«

»Das hast Du nicht nöthig. Deine Vorsehung bin ja ich; meine Liebe ist für Dich himmlisch, und Gerechtigkeit wirst Du bei mir finden, sobald ich den ersten Kuß von Dir erhalte. Also mache Dich fertig. In zwei Stunden reisen wir ab.«

»Ich muß mich von der Prinzessin verabschieden!«

»Das bilde Dir nicht ein! Welches Spiel Du da getrieben hast, das weiß ich nun. Die Strafe folgt nach; darauf kannst Du Dich verlassen. Ich muß Dich aber darauf aufmerksam machen, daß Du mir nicht den mindesten Widerstand während unserer Abreise leisten darfst. Es ist am Besten, Du erklärst Dich bereits jetzt über Deine Absichten.«

»Ich reise mit.«

»Ohne an Flucht zu denken?«

»Ich fliehe nicht.«

»So halte Wort! Du weißt, was ich im Gegenfalle thun würde. Jetzt schicke ich Dir die Alte.«

»Als was reisen Sie?«

»Als Türke. Du wirst osmanische Kleidung tragen und mit keinem Menschen ein Wort sprechen!«

Nach der angegebenen Zeit erschienen eine Anzahl Packträger, welche die hergerichteten Packete nach Kara Keui Kapussi zu dem Fischer trugen. Rurik und die beiden Andern gingen mit ihnen; der Herr aber nahm mit Gökala und der Alten ein Kaik, um sich hinfahren zu lassen. Fracht und Menschen waren bald untergebracht, und dann lichtete das kleine Fahrzeug die Anker.

»Aber um Gotteswillen, wohin?« fragte Rurik leise den Herrn.

»Nur zunächst aus Stambul fort und zu den Dardanellen hinaus. Dann lassen wir uns auf eine der Inseln setzen, wo wir die erste beste Schiffsgelegenheit benutzen, nach Egypten zu kommen.«

»Warum dorthin?«

»Dummkopf! Das ist nicht Deine, sondern meine Sache!«

Derjenige Dampfer, auf welchem Steinbach seinen Boten mit dem Bilde der Prinzessin eingeschifft hatte, war in seiner Fahrt aufgehalten worden. Eben als sie die Dardanellen passirt hatten, war der Maschinist zum Kapitain gekommen, um einen Defect der Maschine anzuzeigen und nach vorgenommener Untersuchung hatte der Kapitain erklärt, daß es nothwendig sei, am nächsten Lande anzulegen, um den Schaden auszubessern. Das war die kleine Insel Imbros, wo der Anker geworfen wurde.

Die Passagiere waren mit dieser Reiseunterbrechung nicht sehr einverstanden, mußten sich aber darein fügen. Als Aequivalent erlaubte der Kapitain ihnen, an das Land zu gehen; er werde durch das Hissen der Flagge und Läuten mit der Schiffsglocke das Zeichen geben, wenn man wieder an Bord kommen solle.

Leider aber war der Defect größer, als man erst geglaubt hatte. Es verging der Tag und die Nacht, und noch während des ganzen Vormittags erklang das Hämmern des Kesselmeisters. Dann endlich, kurz vor Mittag, konnte die unterbrochene Fahrt fortgesetzt werden.

Kurz vorher war ein kleiner, aber ziemlich schwerfällig gebauter Kutter an das Land gelaufen und hatte neben dem Dampfer Anker geworfen. Von dem Letzteren aus erblickte man auf dem Decke des Fahrzeuges einige Passagiere, bei welchen sich auch eine tief verschleierte weibliche Person befand. Einer der Männer, dem Anscheine nach der Vornehmste von ihnen, fragte, ob es erlaubt sei, an Bord zu kommen, und es wurde ihm gestattet.

Er erzählte, daß er von dem Dampfer gehört habe, welcher hier in Reparatur liege und nach Egypten wolle, und fragte, ob er Passage nehmen könne. Er zeigte seine Papiere vor, und da dieselben sich in Ordnung befanden und noch Platz vorhanden war, konnte es dem Kapitain nur lieb sein, einige Passagiere mehr zu bekommen.

Der Türke ließ die Seinigen kommen, seine Frau, drei Diener und eine alte Dienerin.

Der Dampfer setzte sich bald in Bewegung. Steinbach's Bote hatte den besten Logierplatz erhalten; der Kapitain kannte ihn und seinen Herrn. Beide standen neben einander unter der schmalen Commandobrücke und unterhielten sich.

»Herr Sekretair,« fragte der Kapitain, »sind Sie ein Freund der Damen?«

»Wenn sie interessant sind, warum nicht?« antwortete der junge Mann.

»Nun, so habe ich Ihnen eine allerliebste Ueberraschung vorbehalten. Ich habe nämlich diese Türkin neben Ihre Kajüte gelegt.«

»Doch nicht! Ich glaube, daß da nur zwei Kabinen sind?«

»Ja; die Ihrige, und diejenige, welche die Dame bewohnt.«

»Aber wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«

»Auf die sonderbarste Weise. Was ich nicht für möglich gehalten habe – diese Frau trat zu mir, als sie sich unbemerkt sah, und bat mich um einen völlig abgeschiedenen Platz, an welchem sie auch nicht von ihrem Herrn gestört werden könne. Herr heißt bei den Türkinnen natürlich Mann. Vielleicht hat es einen kleinen Zwist zwischen ihnen gegeben; oder giebt es irgend einen religiösen Grund, daß sie sich einstweilen absondert. Kurz und gut, ich habe ihr die Nebenkabine gegeben.«

»Ich bin Ihnen nicht sehr dankbar dafür.«

»Warum?«

»Die Holzwände sind so dünn, daß man sich gegenseitig sicherlich hört und stört.«

»Das ist richtig. Aber vielleicht gewinnen Sie Veranlassung, mir dieses kleine, hinterlistige Arrangement zu verzeihen. Ich will Ihnen da ein Geheimniß mittheilen. In der Zwischenwand befinden sich mehrere viereckige Fächer, welche um ein kleines Mittelfach gruppirt sind. Dieses Letztere hat auf Ihrer Seite einen hölzernen Knopf und läßt sich nach links verschieben.«

»Herr, führe uns nicht in Versuchung!«

»Nun, ich will Sie damit nicht in Versuchung führen; aber Ihr gnädiger Herr, prinzliche Durchlaucht, hat Sie mir auf die Seele gebunden, und da dachte ich, Ihnen eine kleine Abwechselung in dem Einerlei der Seefahrt zu bieten.«

»Sehr verbunden! Doch bin ich überzeugt, daß ich von dem Schieber keinen Gebrauch machen werde.«

»Warum nicht?«

»Ein Ehrenmann thut so etwas nicht!«

»Sehr gut gesagt und gedacht! Ich habe Ihnen keineswegs etwas Ehrenwidriges zugetraut, sondern es nur für meine Pflicht gehalten, Sie auf den Schieber und auf Ihre Nachbarschaft aufmerksam zu machen.«

Der Türke hatte sich ein sammetnes Kissen auf das Deck legen lassen und auf demselben Platz genommen. Er rauchte eine Wasserpfeife. Seine drei Diener lungerten in der Nähe herum. Das alte Weib hatte sich auf eine Rolle Taue gesetzt und starrte gedankenlos in die Luft und das Wasser. Später kam die Frau des Türken. Die Dienerin mußte auch ihr ein Kissen holen. So befanden sie sich Alle auf dem freien Verdecke.

Das benutzte der Sekretair, um in seine Kabine zu gehen. Er hatte bis jetzt gewartet, um die Türkin nicht zu incommodiren. Sie mußte ihn ja hören. Er nahm sich vor, möglichst viel auf dem Deck zu sein. Es fiel ihm gar nicht ein, an eine Benutzung des Schiebers zu denken; aber als er jetzt den Knopf erblickte, ergriff er ihn doch und probirte, ob er wirklich zur Seite zu schieben sei. Es ging.

Die Probe war gelungen; das war genug. Er warf keinen Blick durch die kleine Oeffnung hinüber, sondern er verschloß sie wieder und legte sich in seine Hängematte, indem er ein Buch nahm, um zu lesen.

Die Lectüre war nicht anstrengend. Er konnte lesen, ohne viel denken zu müssen; später dachte er gar nichts mehr und endlich fielen ihm die Augen zu – er war eingeschlafen.

Als er erwachte, vermochte er nicht zu sagen, wie lange er geschlafen hatte. Er wäre wohl gar nicht aufgewacht, wenn er nicht durch ein drüben in der Nachbarkabine geführtes Gespräch aufgeweckt worden wäre. Er vernahm eine männliche und eine weibliche Stimme, und da die Zwischenwand wirklich kaum einen Zoll stark war, so konnte er jedes Wort verstehen. Noch im Beginn des Gespräches, welches er belauschte, ging er mit sich zu Rathe, ob er sich wohl entfernen solle oder nicht. Discret war es jedenfalls nicht, wenn er liegen blieb. Stand er aber auf, so hörte man ihn vielleicht und dann war das Uebel ärger als vorher. Bald aber nahm das Gespräch einen solchen Verlauf, daß er auf seine Entfernung ganz und gar verzichtete.

Zu seinem allergrößten Erstaunen war die Unterhaltung in französischer Sprache geführt, welche von der Frau um sehr viel besser ausgesprochen wurde, als von dem Manne. Die ersten Worte, welche er hörte, sprach der Letztere:

»Wer hat Dir erlaubt, hier zu wohnen?«

»Der Kapitain.«

»Auf wessen Vollmacht hin?«

»Auf die meinige.«

»So hast Du ihn um diese Kabine gebeten?«

»Ja.«

»Das ist stark! Was muß der Mann denken!«

»Er wird denken, daß ich allein sein will.«

»Ich habe Dich für meine Frau ausgegeben.«

»Das ist nicht mein Fehler, sondern der Ihrige.«

»Von einem Fehler ist da gar keine Rede. Du befindest Dich bei mir, und das kann ich gar nicht anders erklären, als dadurch, daß ich den Leuten Veranlassung gebe, zu denken, Du seist meine Frau.«

»Das Wort Schwester würde eine ebenso gute Erklärung bilden.«

»Ist aber nicht nach meinem Geschmacke.«

»Und die Frau nicht nach dem meinigen.«

»Ich glaube, daß es hier weit mehr auf meinen Geschmack ankommt, als auf den Deinigen. Ich werde also dem Kapitain befehlen. Dich hier auszuquartieren.«

»In diesem Falle werde ich nicht gehorchen.«

»Oho!«

»Ganz gewiß! Ich bin leider gezwungen, Ihre Sclavin zu sein; das ist genug. Mehr dürfen Sie nicht verlangen. Sobald Sie mich für Ihre Frau ausgeben, hört meine erzwungene Fügsamkeit auf. Sie haben das noch nicht gethan. Jetzt versuchen Sie es zum ersten Male. Ich hoffe, daß es zugleich das letzte Mal sein werde.«

»Welch eine Sprache! So spricht entweder eine wirkliche Königin, oder eine Theatermamsell, welche eine Fürstin darzustellen hat. Aus Deinem Munde aber ist dieser Ton die reine Lächerlichkeit. Spukt Dir Deine dumme Liebschaft noch im Kopfe, meinetwegen, aber nöthig ist es nicht, es mich merken zu lassen. Du verschlimmerst Dir nur Deine Lage. Also, ich wünsche, daß Du diese Kabine verlässest.«

»Ich bleibe!«

»Weißt Du, daß ich Gewalt anwenden werde!

»Der Kapitain wird mich beschützen!«

»Das bilde Dir nicht ein. Er hält Dich für meine Frau. Ich bin Türke und möchte den kennen lernen, der es wagt, im Harem eines Moslem eine Stimme zu haben.«

»So werde ich dem Kapitain mittheilen, daß sie kein Türke, sondern ein Russe sind, ein aus Sibirien entsprungener Sträfling, der erst noch gestern Abend einen Mordversuch auf jenen Deutschen gemacht hat, welcher mich bei Prinzessin Emineh kennen lernte.«

»Katze, falsche!« zischte er. »Das wirst Du bleiben lassen!«

»Ich werde es thun, ich versichere es Ihnen! Hüten Sie sich, Ihre Härte zu weit zu treiben!«

»Gut, ich will mich dazu bereit zeigen, doch nur unter der Bedingung, daß auch Du nachziehst. Ich verlange von jetzt an jeden Morgen und jeden Abend einen Kuß von Dir.«

»Niemals, nie!«

»Mädchen, hast Du denn gar keinen Verstand! Was ist es denn um einen Kuß für eine so große Sache! Du thust ja ganz so, als ob Du damit das Leben opfertest!«

»Wenn ein Kuß so gar nichts ist, warum verlangen Sie ihn denn? Freilich giebt man das Leben mit ihm hin!«

»Ah, schön! Das heißt, man küßt nur Denjenigen, dem man sich für das ganze Leben schenken will! Mir wird diese lächerlich geringfügige Bitte nicht erfüllt; aber jener Deutsche mußte sich küssen lassen, ohne daß er es wollte, dieser süße, innigstgeliebte – oh, wie hieß er doch nur? Oskar, glaube ich. Seinen eigentlichen Namen wollte er nicht sagen. Nun, ich will jetzt darauf verzichten, Dich zu Verstand zu bringen. Sind wir wieder auf dem Lande, so geht es anders. Ich habe in Egypten eine neue Rolle für Dich und hoffe, daß Du sie besser spielst als Deine letzte in Stambul. Da hast Du die Verrätherin gespielt; das verzeihe ich Dir einmal, aber nicht zum zweiten Male. Merke Dir das!«

Er ging. Drüben ertönte ein tiefer, tiefer Seufzer der Erleichterung, und dann hörte der Sekretair in deutscher Sprache die Worte:

»Mein Gott und mein Heiland! Wann wird das ein Ende nehmen! Es ist nicht mehr zu ertragen. Ich werde gewiß noch wahnsinnig dabei!«

Er wußte nicht, was er thun solle. War der vermeintliche Türke wirklich ein aus Sibirien entsprungener russischer Sträfling? Wer und was aber war das Mädchen? Nur ein verkommenes Subjekt konnte in dieser Weise sich in der Gewalt eines Verbrechers befinden. Und doch wollte es dem Sekretair schwer werden. Diejenige, deren Worte er gehört hatte, unter die Verlorenen zu zählen. War dieser Russe ein Industrieritter, ein Beutelschneider, ein Bauernfänger, mit welchem sie reiste, um aus ihrer Schönheit Geld zu ziehen? Auch das war unwahrscheinlich. Ihr Verhalten sprach dagegen. Und wer war jener Deutsche, von welchem sie gesprochen hatten? Oskar war sein Vorname, und bei Prinzessin Emineh hatte er sie kennen gelernt.

»Das könnte nur der Prinz sein,« dachte der Sekretair. »Ich werde doch versuchen, dieser Angelegenheit auf die Spur zu kommen.«

Er huschte leise aus der Hängematte und verließ langsam und vorsichtig, so daß kein Geräusch entstehen konnte, die Kabine. Jetzt nun betrachtete er sich den Türken genauer, als er es vorher gethan hatte. Er sagte sich dabei, daß es nicht leicht sei, zu so einer Physiognomie Vertrauen zu hegen. Auch die Gesichter der drei angeblichen Diener gefielen ihm nicht. Dann kehrte er nach der Kabine zurück, diesmal aber laut, so daß sie sein Kommen gewahren mußte. Er räusperte sich einige Male, dann klopfte er leise an die Holzwand.

Hatte er geglaubt, daß er eine Antwort erhalten werde, so war dies ein Irrthum. Sie verhielt sich still, auch als er das Klopfen wiederholte. Endlich fragte er so, daß er drüben ganz gewiß gehört werden konnte:

»Ist Jemand drüben?«

Keine Antwort.

Er hatte in französischer Sprache gesprochen. Nun aber bediente er sich der Deutschen:

»Wenn Jemand drüben ist, so bitte, antworten sie!«

Er hatte auch jetzt keinen Erfolg.

»Bedürfen Sie der Hilfe, Fräulein?«

Sie schwieg noch immer. War dies ein gutes oder ein schlimmes Zeichen? War dies ein Beweis, daß sie trotz Alledem mit dem entwichenen Verbannten harmonirte, oder wurde sie vom weiblichen Zartgefühl abgehalten, eine Antwort zu geben? Er spielte jetzt einen bedeutenden Trumph aus, indem er fortfuhr:

»Befürchten Sie nichts; fassen Sie Vertrauen zu mir. Kennen Sie einen Herrn Namens Oskar!«

Jetzt endlich war es, als ob sich drüben Etwas bewege.

»Ich bin in seinem Namen da, Sie in meinen Schutz zu nehmen. Bitte, antworten Sie!«

Da hörte er einen leichten Schritt, und dann fragte sie mit leiser Stimme hart an der Wand:

»Wer sind Sie?«

»Ich bin ein Deutscher. Ich komme von Konstantinopel und will nach Kairo. Haben Sie, als Sie an Bord kamen, den Kapitain bemerkt?«

»Ja.«

»Auch den jungen Mann, welcher neben ihm stand?«

»Ja. Es war ein Türke.«

»Ich war es. Ich trage orientalische Kleidung. Man hält mich für einen Eingeborenen.«

»Was wünschen Sie von mir?«

»Ich möchte gern wissen, ob Sie meiner Hilfe bedürfen.«

»Ich danke. Nein!«

»Und doch glaubte ich, daß es vortheilhaft für Sie wäre, wenn Sie mir erlaubten, Ihnen meine Theilnahme zu widmen.«

»Woraus schließen Sie das?«

Er durfte natürlich nicht sagen, daß er sie belauscht habe; darum antwortete er:

»Ihre Haltung, Ihr Gang, Ihr ganzes Wesen erschien mir so gedrückt und niedergeschlagen.«

»Das haben Sie bei den vielen Hüllen gesehen, welche ich trug! Ich verstehe! Sie suchen ein Abenteuer, werden aber keins finden. Leben Sie wohl!«

Er hörte deutlich, daß sie sich entfernte.

»Ein Abenteuer,« sagte er schnell. »Bei Gott nicht! Sie haben es mit einem Ehrenmanne zu thun. Ich habe wirklich Gründe, Ihnen meine Hilfe anzubieten. Denken Sie an jenen Oskar, welchen ich nannte!«

Dieser Name zog sie sofort wieder herbei. Sie fragte:

»Wen meinen Sie damit?«

»Einen Deutschen, welcher sich jetzt in Konstantinopel befindet. Ich glaube, daß Sie ihn gesehen haben.«

»Wo?«

»Bei Prinzessin Emineh.«

»Herrgott! Woher wissen Sie das! Sie befanden sich an Bord als wir kamen, und dieses Schiff hat bereits gestern das goldene Horn verlassen!«

»Nun, ich will aufrichtig mit Ihnen sein, damit Sie bemerken, daß ich Ihr Vertrauen verdiene. Ich bewohne diese Kabine und befand mich hier, als Sie sich mit Ihrem angeblichen Manne unterhielten.«

Drüben ertönte ein Ruf des Schreckes.

»So haben Sie Alles gehört?«

»Ja.«

»Herrgott! Und Sie nennen sich einen Ehrenmann!«

»Ich bin es. Ich wollte mich bemerkbar machen; aber eines theils vernahm ich, daß Sie der Hilfe bedürfen und beschloß in Folge dessen, weiter zuzuhören, und anderntheils interessirte ich mich für den sogenannten Oskar, von welchem Sie sprachen. Ich vermuthe nämlich, daß ich ihn kenne. Es kann aber nur diesen Einen geben, diesen einen Deutschen, welcher bei Emineh war.«

»Wer ist er?«

»Bitte, sagen Sie mir vorher, ob Sie die Prinzessin kennen!«

»Ich habe das Glück, ihre Freundin zu sein, oder vielmehr ich hatte es.«

»Und waren Sie bei ihrer Begegnung mit dem Deutschen vielleicht anwesend?«

»Ja.«

»Wenn ich dies glauben könnte! Bitte, überzeugen Sich mich dadurch, daß Sie mir sagen, wovon gesprochen wurde!«

»Das ist Geheimniß.«

»Erhielt der Deutsche etwas von Emineh?«

»Ja.«

»Was?«

»Das ist ebenso Geheimniß.«

»Können Sie ihn mir beschreiben?«

»Gewiß. Hohe, starke und sehr gut proportionirte Figur; Haar, Bart und Augen kohlschwarz.«

»Das stimmt. Können Sie sich eines interessanten Ereignisses erinnern, welches bei dieser Begegnung stattfand? Es handelte sich um ein Thier.«

»Ah, Sie meinen den Leopard?«

»Ja. Jetzt nun sehe ich, daß Sie die Wahrheit sagen. Ich stehe im Dienste dieses Herrn; ich bin sein Sekretair und habe den Gegenstand, welchen er erhielt nach Kairo zu bringen, um ihn dem Vicekönig zu überreichen.«

»Wirklich?« erklang es drüben in freudigem Tone. »O, dann will ich mein Mißtrauen schwinden lassen. Zwar bedarf ich keineswegs einer Hilfe, wie Sie irrthümlicher Weise meinten, aber wir können doch mit einander sprechen.«

»Und uns sehen.«

»Auf Deck? Ich Sie, ja, nicht aber Sie mich.«

»O doch!«

»Ich muß verschleiert gehen.«

»Auch jetzt in Ihrer Kabine?«

»Nein, da nicht.«

»So könnte ich Sie sehen. Nämlich dieses mittlere Fach der Kajütenwand läßt sich beseitigen.«

»Um Gotteswillen!«

»Sie dürfen nicht?«

»Nein!«

»Wie schade! Ich wollte Ihnen Etwas zeigen. Ich habe nämlich eine Photographie meines Herrn bei mir. Sie hätten sich das Bild ansehen können, um mir zu sagen, ob es wirklich Derjenige ist, mit welchem sie sich im Serail begrüßt haben.«

»Oeffnen Sie! Schnell, öffnen Sie!«

Das klang so hastig, daß er sich eines vergnügten Lachens nicht erwehren konnte. Er schob das Fach zurück. Die Oeffnung, welche dadurch entstanden war, hatte eine solche Größe, daß man den Kopf hindurchstecken konnte. Gökala dachte gar nicht mehr daran, daß sie unverschleiert sei und daß sie sich nicht hatte sehen lassen wollen. Sie stand hart an der Oeffnung und bat:

»Bitte, bitte, die Photographie!«

Er zog seine Brieftasche, nahm das Bild heraus und gab es ihr. Als ihr Auge darauf fiel, stieß sie einen Ruf des Entzückens aus. Ja, das war er, und zwar noch dazu in der Uniform eines Husarenoberstwachtmeisters. Sie stand inmitten ihrer Kabine, beleuchtet von dem hellen Lichte, welches durch die Lucke fiel. Sie vergaß die Anwesenheit des Sekretairs. Sie drückte das Bild an die Brust, an die Lippen, wieder und immer wieder.

Und er stand vor der Oeffnung und konnte den erstaunten Blick von ihrer herrlichen Erscheinung nicht wenden.

»Ah,« dachte er, »so eine Schönheit sah ich noch nie. Da verdenke ich es dem Prinzen nicht, daß er – aber zum Scherz? Das thut er nicht. Und im Ernste? Eine, welche mit einem entflohenen Sibirier reist? Das ist mir ein Räthsel. Vielleicht ist es zu lösen.«

Natürlich mußte Gökala sich doch erinnern, daß sie nicht allein sei. Eine tiefe Gluth überzog ihr Gesicht. Sie hatte ihre Liebe gezeigt. Doch faßte sie sich schnell und fragte:

»Haben Sie mehrere dieser Bilder?«

»Nein.«

»O weh! Ich darf Sie nicht berauben, und doch stand ich in Begriff, Sie zu fragen, ob ich es aufbewahren dürfe.«

»Ich gebe es Ihnen gern. Behalten Sie es also.«

»Ich danke! Ich werde ihn niemals wiedersehen; nun habe ich doch sein Bild. Um Gott, da denke ich erst jetzt daran, daß vielleicht auch Sie ihn nicht mehr sehen.«

»Wieso?«

»Vielleicht ist er todt.«

»Alle Teufel! Todt? Wieso?«

»Man hat gestern Abend einen Mordanfall auf ihn unternommen. Er ist mit einem Ruder auf den Kopf geschlagen und in das Wasser geworfen worden.«

»Von wem?«

»Von – von – man kennt den Thäter noch nicht.«

»O, Fräulein, ich kenne ihn.«

»Gewiß nicht!«

»Gewiß. Sie vergessen, daß ich Zeuge Ihrer Unterhaltung war. Jener Russe, für dessen Frau Sie gelten, ist der Mörder. Ich werde ihn festnehmen lassen.«

»Nein, nein! Halt!« antwortete sie voller Angst. »Handeln Sie um Gottes willen nicht vorschnell! Noch wissen Sie ja nicht, wie sich die Sache zugetragen hat.«

»Ich hoffe, es von Ihnen zu erfahren.«

»Gewiß. Sie sollen Alles wissen.«

Dennoch aber erzählte sie ihm nicht Alles, doch ließ sie ihm Das, was sie nicht sagte, wenigstes ahnen. Er hätte ja sonst Mißtrauen fassen können. Er hörte ihr in stiller Bewunderung zu. Sein Auge hing an ihrem herrlichen Körper, ihrem unvergleichlichen Angesichte und ward gefangen genommen von all' den anmuthigen Bewegungen, welche sie machte, ihre Rede gestikulirend zu begleiten. Und seine innere Aufmerksamkeit wurde gefesselt durch die Art und Weise, in welcher sie ihm von ihrer Liebe erzählte und von der glühenden Erwiederung derselben, ohne doch ein Wort davon zu sagen. Sie war ganz Weib; sie ging ganz auf in der Erinnerung an die glücklichste Stunde ihres Lebens und doch bewahrte sie eine Würde, eine Hoheit, welche ihn mit stiller, demüthiger Bewunderung erfüllte.

Nur ein einziges Mal gerieth sie in's Stocken. Sie mußte ihm sagen, daß sein Herr noch lebe, durfte aber doch nicht erwähnen, wie und von wem sie es erfahren hatte. Sie konnte doch nicht von ihrer traurigen Sclaverei zu ihm sprechen. Doch auch über diesen Punkt gelangte sie glücklich hinweg. Als sie dann fertig war, sagte er:

»Gnädiges Fräulein, ich gestehe aufrichtig, daß Sie mich in eine große Verlegenheit bringen.«

»Wieso?«

Das Beiwort gnädig gab er ihr unwillkürlich. Sie hatte etwas so Gebieterisches, Hoheitsvolles an sich, daß er sich ihr freiwillig unterthänig gab.

»Sie nennen und bezeichnen mir den Mörder und verlangen zugleich, daß ich mich nicht seiner bemächtige.«

»Sie können mir das überlassen. Ihr Herr wird Sie später deshalb loben.«

»Aber wie nun, wenn mein Herr nicht gerettet ist, wenn er wirklich getödet wurde?«

»Dann ereilt die Strafe den Mörder ganz gewiß.«

»Und die drei Burschen waren also auch dabei?«

»Ja.«

»Gut. Ich will Ihnen gehorchen und so thun, als ob ich gar nichts wisse; aber wehe ihnen, wenn mein Herr todt ist! Ich werde bereits in Alexandrien Gewißheit erlangen –«

»O, wie lieb wäre mir das! Auf welche Weise aber soll Ihnen diese Gewißheit werden?«

»Auf telegraphischem Wege. Ich erwarte dort Instructionen. Finde ich sie auf dem Consulate vor, so lebt mein Gebieter; finde ich sie aber nicht, dann dürfen Sie nicht verlangen, daß ich schweige.«

»Nein. In diesem Falle werde ich selbst als Zeugin auftreten, mag daraus werden, was da wolle. Und jetzt nun noch Eins. Dürfen Sie mir zu der Photographie vielleicht noch eine Kleinigkeit geben?«

»Was?«

»Es fehlt der Name unter dem Bilde.«

»Nun, Oskar,« antwortete er lächelnd.

»Weiter!«

»Weiter nicht. Hat mein Herr es vorgezogen, zu schweigen, so bin ich erst recht zu demselben Verhalten gezwungen. Ich habe ja außerdem so voreilig gehandelt, daß ich es jedenfalls gar nicht zu verantworten vermag.«

»Ich wußte nicht –!«

»Was wird mein Herr sagen, wenn er erfährt, daß Sie im Besitze seiner Photographie sind. Sie sehen die Uniform seines Regimentes. Nun ist's nicht schwer, auch den Namen zu erlangen, von welchem er doch wünscht, daß er ein Geheimniß bleiben soll.«

»Da machen Sie sich keine Sorge! Ich werde dieses Bild keinem Menschen zeigen, um den Namen des Originales zu erfahren, und – schnell, zu! Man kommt!«

Er verschloß schleunigst die Oeffnung, und im nächsten Augenblicke hörte er drüben die Kabinenthür öffnen. Die alte Dienerin war bei ihrer Herrin eingetreten. –

Am vorigen Morgen hatten Normann und Wallert den Lord aufgesucht, um wegen der Uhr mit ihm zu sprechen. Er war aber bereits fort gewesen. Sie bestellten sich zur bestimmten Zeit wieder auf die Yacht und trennten sich dann. Jeder seinen persönlichen Angelegenheiten nachgehend.

Normann dachte an die Nachmittagsstunde, in welcher er wieder das Glück haben werde, am Portrait der Geliebten zu arbeiten. Er gedachte der gestrigen Glückseligkeit, und dabei überkam es ihm wie eine plötzliche Angst, deren Grund er eigentlich nicht so recht einzusehen vermochte.«

Der Derwisch hatte ihm mißfallen. Warum wollte dieser Mensch grad Tschita sehen, er, der als armer Derwisch sie doch nicht kaufen konnte? Die einzige Antwort auf diese Frage war die, daß er im Auftrage eines Andern, eines Reichen gekommen war. Und jetzt, bei diesem Gedanken, wurde es Normann angst um das Herz. Es war ja möglich, daß Tschita verkauft sein konnte. Zwar war sie für den Padischa bestimmt; aber wenn ein Anderer gut zahlte, konnte er sie ja ebenso leicht erhalten.

Unter diesen Gedanken hatte er seine Schritte beschleunigt und sie nach der Gegend gelenkt, in welcher Barischa, der Mädchenhändler, wohnte. Dort lag das Haus. Sollte er hineingehen? Jetzt, zu so außergewöhnlicher Zeit? Pah, es gab ja Ausreden!

Er ging also durch den dunklen Flur und klopfte an die Thür, durch deren Fensterchen Barischa stets die lange Nase zu stecken pflegte. Sie erschien auch jetzt.

»Du bist es!« sagte der Alte erstaunt. »Komm herein!«

Er öffnete, betrachtete den jungen Mann verwundert und fuhr dann fort:

»Warum kommst Du am Morgen, da doch Nachmittag die Zeit zum Malen ist?«

»Ich habe heut am Nachmittag nicht Zeit, darum wollte ich Dich fragen, ob Du mir nicht erlauben willst, die Arbeit jetzt vorzunehmen.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht? Die Zeit kann Dir doch gleichgiltig sein. Deine Sclavinnen haben weder jetzt noch später Etwas zu thun.«

»Ja, die Zeit ist mir auch gleichgiltig; aber Du kannst weder jetzt am Morgen noch dann am Nachmittag malen.«

»Warum nicht?«

»Ich habe das Bild nicht mehr.«

Normann war es, als ob er einen Schlag über den Kopf erhalten habe. Er war todesbleich geworden und fragte:

»Wo hast Du es denn?«

»Verkauft.«

»Es ist ja noch gar nicht fertig.«

»Das schadet nichts.«

»Oho! Es ist auch noch nicht bezahlt. Es ist bis jetzt mein Eigenthum, und Du darfst es nicht verkaufen.«

»Mache keinen Scherz! Ich habe das Bild bestellt. Du hast es hier gemalt; es sind die Gesichtszüge einer meiner Sklavinnen. Es gehört also mir!«

»Ich mache keinen Scherz. Die Leinwand, welche ich bemalte, ist mein, die Farben waren mein, und die Arbeit ist die meinige. Ich will mein Bild haben!«

»Es ist verkauft.«

»Wohl mit der Sclavin?«

»Ja. Glaubst Du, daß ich Deine Farben verkaufen würde ohne das Mädchen? Kein Mensch würde mir einen Piaster dafür geben!«

»Wer hat Beides gekauft?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Ah, ich soll nicht erfahren, wer mein Bild hat?«

»Nein.«

»Ich werde es erfahren, denn ich werde zum Richter gehen.«

»Gehe hin! Kein Kadi und kein Mollah wird mir zumuthen, den Mann zu nennen, der sich von mir eine Sclavin gekauft hat.«

»Aber ein Kadi wird Dich zwingen, mir den Mann zu nennen, der mein Bild hat.«

»Er zwingt mich nicht, da es das Bild einer Sclavin ist. Uebrigens bezahle ich es Dir!«

»Es ist mir nicht feil!«

»Oho! Es war bereits der Preis ausgemacht!«

»Für das fertige Bild, aber nicht für das unvollendete. Ein Bild, welches noch nicht fertig ist, kann ich nicht verkaufen und nicht bezahlt nehmen. Ich verlange mein Bild zurück oder fordere, daß ich es vollenden darf für Den, dem es jetzt gehört!«

»Schweig! Hier nimm dreihundert Piaster! Das ist so gut bezahlt, als ob ich der Padischa sei.«

»Meinst Du?« Ich würde es Dir für Dreitausend Piaster nicht lassen.«

»So geh!«

»Gut, ich gehe, aber zum Richter.«

»Gehe zum Teufel oder zu wem Du sonst willst, nur packe Dich fort von hier!«

Normann erkannte, daß er nichts erreichen werde, und entfernte sich. Er war voller Wuth, nur hatte er sich zu beherrschen gewußt, um in dem Alten nicht die Ahnung zu erwecken, aus welch eigentlichem Grunde er wissen wolle, wohin das Bild gekommen sei.

Also hatte ihn die Angst, welche er vorher empfunden hatte, doch nicht getäuscht. Tschita war verkauft. Aber an wen? Er zermarterte sich den Kopf. Er hätte sich gleich hier auf der Gasse mit aller Welt zanken und prügeln mögen. Am Allerbesten war es, er suchte Freund Waller auf. Er fand ihn bereits auf der Yacht. Der Engländer war noch nicht aus dem Serail zurück.

Auch Wallert erschrak, als er das Geschehene vernahm. Beide überlegten mit einander, doch resultatlos, bis der Engländer endlich heimkehrte. Er hörte von Tschita und dem Bilde und sagte augenblicklich:

»Da steckt dieser verdammte Derwisch dahinter.«

»Natürlich!« antwortete Normann. »Das wissen wir auch, aber was hilft uns das?«

»Nehmt ihn vor! Er muß es sagen!«

»Wird sich hüten.«

»Na, Kinder, glaubt mir einmal: Der wird sich nicht hüten. Bringt ihn mir hierher auf meine Yacht; ich spanne ihn zwischen zwei Pfosten und lasse ihm die Peitsche oder das Tauende so lange auf- und anmessen, bis er beichtet.«

»Das glauben wir Ihnen. Was aber geschieht dann?«

»Dann? Hm! Dann haben wir eben das Mädchen.«

»Nein, geholt werden dann wir, und zwar wegen Mißhandlung eines Unterthanen des Großherrn, eines rechtgläubigen Moslem, eines frommen oder wohl gar heiligen Derwisches. Sie würden dann erfahren, was das zu bedeuten hat.«

»Pah! Ich bin Engländer!«

»Das schützt Sie vor der Genugthuung nicht. Nein. Auf diese Weise ist mir nicht geholfen.«

»Ich habe eine Idee,« sagte Wallert. »Sollte nicht Ali, der Eunuch, wissen, wo Tschita sich befindet? Du hast ihn gut bezahlt und er ist auf seinen Herrn zornig. Es steht sehr zu erwarten, daß er das Geheimniß verräth.«

»Wenn er es überhaupt kennt.«

»Das muß man eben versuchen.«

»So müßte man hingehen.«

»Natürlich.«

»Ich darf mich nicht wieder sehen lassen.«

»So gehe ich.«

»Du erhältst nicht die Erlaubniß zum Eintritt. Ungläubige werden nicht hereingelassen. Der Eunuch hat ja wegen Mylord hier die Peitsche erhalten.«

»So verkleide ich mich als Moslem!«

»Du? Dazu reicht Deine Kenntniß der türkischen Sprache nicht aus. Nein. Es kommt mir da ein Gedanke, welcher vielleicht zum Ziele führt. Ich selbst gehe hin, um mit dem Schwarzen zu sprechen.«

»Ich denke, Du darfst dem Alten nicht mehr kommen?«

»Allerdings. Zu ihm aber will ich ja auch gar nicht, sondern zu dem Schwarzen. Wir müssen auf ein Mittel sinnen, den Händler auf kurze Zeit aus dem Hause zu locken, wenigstens so lange, als ich mit dem Eunuch spreche.«

»Das geht. Aber das Mittel, den Alten zu entfernen?«

»Sinnen wir nach. Uebrigens hat es noch Zeit. Gleich darf man ihm keineswegs kommen; das könnte auffallen.«

Darauf brachte der Engländer die Idee einer Spazierfahrt zum Vorschein, und die Beiden stimmten bei. Hätte Normann gewußt, daß diese Fahrt sich bis zum späten Abende ausdehnen werde, so hätte er freilich verzichtet. Die Ansicht, daß er mit seiner Erkundigung nach Tschita noch warten könne, war keineswegs so gemeint, daß er bis morgen noch warten wolle. Nein, heute wollte er es schon wissen. Sie war verkauft, also das Eigenthum eines Andern. Was konnte da bis morgen Alles geschehen.

Aus diesem Grunde bemächtigte sich seiner am Abende eine große Unruhe, welche zu beherrschen er große Mühe hatte. Der Vorfall mit der Rettung Steinbach's brachte ihn auf andere Gedanken, und dann gab es ja den Gang hinaus nach dem Harem Ibrahim Paschas. So wurde der Gedanke an den Verlust der Geliebten so ziemlich zurückgedrängt.

Es war wohl anderthalb Stunden vor Mitternacht, als die Drei sich auf den Weg machten. Natürlich hatten sie sich wieder in die Anzüge gesteckt, welche sie bereits gestern getragen hatten.

Der Lord schritt mit langen Schritten voran. Er mußte von Zeit zu Zeit stehen bleiben, um die andern Beiden, denen er vorausgeeilt war, herankommen zu lassen.

Außerhalb des eigentlichen Straßengewirres angekommen, konnten sie sich nun auch besser unterhalten. Der Lord begann. Er war bisher still gewesen, drehte sich aber jetzt plötzlich zu Wallert hin und sagte:

»Natürlich werde ich der Brautführer!«

»Bei welcher Hochzeit?«

»Na, bei der Ihrigen.«

»Sie meinen, daß ich die Dame gleich heut mitnehme?«

»Ja. Es ist das Allerbeste.«

»Warten wir es ab! So schnell, wie Sie denken, entwickeln sich solche Angelegenheiten nicht. Zunächst habe ich mit ihr noch kein einziges Wort gesprochen.«

»Na, ich darf doch mit ihr reden, wenn sie kommt.«

Wallert blieb erstaunt stehen. Er fragte:

»Wollen Sie etwa mit hinein in den Garten?«

»Soll ich etwa draußen bleiben und Pfannkuchen backen?«

»Und mit hin zum Stelldichein?«

»Warum denn nicht?«

*


 << zurück weiter >>