Fritz Mauthner
Böhmische Novellen
Fritz Mauthner

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Nachwort zum vierten Bande

Aus meinen »Erinnerungen« mag, wer für seine Zeit keine bessere Verwendung hat, erfahren, wie meine Stellung zu den nationalen Kämpfen meiner Heimat sich bildete, zu dem Lebenskampfe zwischen Deutschen und Slawen: wie ich, ohne jemals Politiker zu werden, doch in meiner Studentenzeit die unbedingte Parteinahme für die deutschböhmische Sache als eine Pflicht betrachtete, wie ich dann aus der Ferne manches Unrecht auf beiden Seiten sehen lernte, und wie ich auf meine alten Tage an mir selbst die Vereinigung von Gegensätzen erlebte: deutsch sein im furchtbaren Schmerze über Deutschlands Schicksal und erst recht gerecht werden gegen andere Völker.

Viele meiner kleinen Novellen und Skizzen (auch einige des sechsten Bandes) haben ihren Schauplatz, heimlich oder offen, in meiner deutschböhmischen Heimat; aber nur die beiden Erzählungen dieses vierten Bandes behandeln mit bewußter Absicht den politischen Kampf der beiden Stämme. In sehr ungleicher Stimmung. »Der letzte Deutsche von Blatna« entstand im Jahre 1885, als die Zeitungen und auch die Briefe meiner alten Schulkameraden keinen Zweifel mehr darüber ließen, daß dem Ansturm der Jungtschechen, denen die Regierung nur Heuchelei und die kirchliche Partei der Alttschechen nur Lüge entgegenstellte, der deutschböhmische Stamm zu erliegen begann. Für das Unrecht, das an den Tschechen seit der Hussitenzeit begangen worden war, hatte ich nur wenig Sinn; übrigens auch kaum Verständnis dafür, daß die Maßregeln der tschechischen Partei im Begriffe waren, die geschichtlich gewordene ökonomische Herrschaft der Deutschen in Böhmen zu brechen. Was mir nahe ging, war die Überzeugung: der Gebrauch der deutschen Sprache in Böhmen wird tödlich getroffen, der deutsche Stamm in Böhmen stirbt also aus, wenn es so weiter geht, wie es 1880, eigentlich aber schon seit dem Deutsch-Französischen Kriege, angefangen hat. In dieser Not schrieb ich, als eine Warnung für die Deutschböhmen, deren unbelehrbare Führer die Gefahr nur mit Hilfe der unbelehrbaren Habsburger beschwören zu können glaubten, die Geschichte vom letzten Deutschen. Sie hat in Deutschland mehr Glück gehabt als in Böhmen; dort wurde ich von den Tschechen beschimpft, von den Deutschen väterlich zur Unterwerfung unter eine Parteidisziplin gemahnt, die mich nichts anging.

Als heiteres Gegenstück gegen die düstere Geschichte »Der letzte Deutsche von Blatna« schrieb ich dann 1895 die Erzählung »Die böhmische Handschrift«, die ich selbst als ein harmloses Spiel der Phantasie empfangen hatte und geben wollte. Der Kampf zwischen Deutschen und Tschechen hatte sich zwar inzwischen noch mehr verbittert, der staatsrechtliche »Ausgleich« war an dem Widerstande der Jungtschechen gescheitert, ich selbst aber war freier geworden, unparteiischer, und hatte den törichten Mut, zum Frieden zu mahnen, über den Chauvinismus bei den Führern beider Parteien zu lachen. Und das Lachen wurde mir von beiden Seiten übelgenommen.

Als Buch erschien »Die böhmische Handschrift« im Herbste 1897. Ich sandte es an Theoder Mommsen, der den »Letzten Deutschen« schätzte, als geringe Aufmerksamkeit zur Feier seines achtzigsten Geburtstages. Mommsen fügte einer gedruckten Danksagung die folgenden vorwurfsvollen Verse hinzu:

»Die Musen, die holden Bringen es weit:
Können tschechische Mädel vergolden
In dieser Zeit.«

Ich könnte mich darauf berufen, daß ich beide Motive dieser Erzählung nicht erfunden habe. Vor hundert Jahren wurde die »Königinhofer Handschrift« in ebenso kecker Weise, in ebenso uneigennütziger Absicht in die Welt gesetzt wie bei mir die Handschrift von Opretal; heute sind die hübschen altböhmischen Gedichte aus dem Kirchturm von Königinhof allgemein als eine Fälschung anerkannt, von deutschen und von tschechischen Gelehrten, auch von Masaryk; es war mein künstlerisches Recht, den Seelenzustand eines Fälschers aus Vaterlandsliebe darzustellen. Und die tolle Geschichte der Auffindung einer Petroleumquelle, die sich nachher als ein leckes Petroleumfaß erwies, hatte sich wirklich irgendwo in Böhmen zugetragen. Ich könnte mich also darauf berufen, daß ich der Wahrheit treugeblieben war und daß Mommsen guten Grund hatte, mir Tschechenfreundlichkeit »vorzuwerfen«. Ich hatte vorurteilslos über die Fanatiker beider Parteien zu lachen geglaubt und namentlich auf den letzten Seiten der Erzählung eindringlich zum Frieden gemahnt zu haben. Beim Durchsehn des Neudrucks wurde es mir freilich bewußt, daß ich Licht und Schatten doch nicht ganz gerecht verteilt hatte.

Ich möchte die Erzählung jetzt den tschechischen Siegern widmen. Als eine Mahnung und als eine Warnung. Wehe ihnen, wenn sie nach der ungeahnten Erfüllung ihres Traumes, nach Sühnung manchen Unrechts, das seit fünfhundert Jahren an ihnen von den Habsburgern verübt wurde, selbst Unrecht tun werden. Die Deutschböhmen würden ihrer Muttersprache treu bleiben – hoffentlich –, doch kein Vaterland mehr haben.

Schwer und langsam nur festigt sich in meinem alten Kopfe die neue Überzeugung. Der Völkerhaß wird und muß aufhören, wie der Religionshaß unwirksam geworden ist. Es gibt keine Religionskriege mehr. Es darf auch keine Volkskriege mehr geben. Es waren immer nur Kriege um arme Worte, um liebe Sprachen.


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