Guy de Maupassant
Die Schnepfe
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Auf dem Lande

Die beiden Bauerhäuser lagen neben einander am Fuße eines Berges in der Nähe eines kleinen Badeortes. Beide Bauern mußten dem unfruchtbaren Boden schwer das Nötige abringen, um ihre Kinder großzuziehen. Jede Familie besaß deren vier. Vor den beiden einander gegenüber liegenden Thüren wimmelte das junge Volk von früh bis abends umher. Die beiden Ältesten waren sechs Jahre alt; die beiden Jüngsten etwa fünfzehn Monate. Die Hochzeiten und infolgedessen die Geburten hatten in beiden Häuser etwa zu gleicher Zeit stattgefunden.

Die beiden Mütter fanden ihre Kinder nur mit Mühe und Not auseinander und die beiden Väter verwechselten sie ganz und gar. Die acht Namen schwirrten in ihrem Kopfe herum, und wenn sie einen haben wollten, riefen die Männer oft drei, ehe sie den richtigen erwischten.

Das erste der beiden Häuser, vom Badeort Rolleport aus, war von der Familie Tuvache bewohnt, die drei Mädchen hatten und einen Jungen. Die andere Behausung hatte die Familie Vallin inne, die ein Mädchen besaß und drei Jungen.

Alle nährten sich kümmerlich von Suppe, Kartoffeln und frischer Luft. Um sieben Uhr morgens, dann mittags, endlich wieder um sieben Uhr abends versammelten die Mütter ihre kleine Gesellschaft zum Essen, wie ein Gänsejunge seine Tiere zusammentreibt. Die Kinder saßen dem Alter nach am Holztisch, der vom fünfzigjährigen Gebrauch einen ganz speckigen Glanz hatte. Das jüngste Wurm reichte kaum mit dem Munde bis zur Tischplatte. Man setzte ihnen die Schüssel vor mit Wasserbrotsuppe, die man mit Kartoffeln, einem halben Kohlkopf und drei Zwiebeln gekocht hatte. Und dann fing die ganze Gesellschaft an sich satt zu essen. Die Mutter fütterte selbst das Kleinste. Wenn es Sonntags ein Stück Fleisch gab, war das für alle ein großes Fest, dann blieb der Vater lange bei Tisch sitzen und sagte:

– Das wär' so was, wenn mer das alle Tage kennten haben!

An einem Augustnachmittag hielt ein leichter, herrschaftlicher Wagen vor den beiden Häusern kurz an und eine junge Frau, die selbst kutschiert hatte, sagte zu dem Herrn an ihrer Seite:

– Heinrich, sieh nur mal den Haufen Kinder. Sind die niedlich! Wie die da auf der Erde spielen.

Der Herr antwortete nichts. Er war offenbar an diese Ausrufe der Bewunderung, die für ihn einen Schmerz, fast einen Vorwurf bedeuteten, gewöhnt.

Die junge Frau fing wieder an:

– Ich muß sie mal auf den Arm nehmen. Ach Gott, ich möchte so gern einen davon haben, da den ganz Kleinen.

Dabei sprang sie vom Wagen, lief auf die Kinder zu, nahm eines der Kleinsten und zwar den kleinen Tuvache, hob ihn hoch und küßte leidenschaftlich seine schmutzigen Wangen, sein blond gelocktes Haar, in dem Schmutz und Erde klebte, küßte seine Händchen, mit denen er sie abzuwehren suchte.

Dann stieg sie in ihren Wagen zurück und fuhr in scharfem Trabe davon. Aber die nächste Woche kam sie wieder, setzte sich wieder an die Erde, nahm das Wurm in den Arm, stopfte es voll Kuchen und schenkte allen anderen Bonbons. Dann spielte sie mit ihnen wie ein Kind, während der Mann geduldig in dem kleinen Wägelchen wartete.

Sie kam noch einmal wieder und machte die Bekanntschaft der Eltern. Endlich erschien sie jeden Tag, die Taschen voll Näschereien und Pfennigen für die Kleinen.

Sie hieß Frau Heinrich von Hubières.

Eines Morgens, als sie wieder erschien, stieg ihr Mann mit ihr aus und sie drangen, ohne sich erst bei den Kindern aufzuhalten, die sie nun genau kannten, in die Wohnung der Bauern ein.

Die waren zu Haus und eben dabei, Holz klein zu machen, um die Suppe zu kochen. Erstaunt richteten sie sich auf, rückten ein paar Stühle heran und warteten, was da kommen sollte.

Da begann die junge Frau mit zitternder, stockender Stimme:

– Liebe Leute, ich bin hergekommen, weil ich gern . . . . ich möchte gern den kleinen Jungen hier mitnehmen.

Die Bauern waren ganz erstaunt, begriffen nicht und antworteten nicht.

Sie schöpfte Atem und fuhr fort:

– Wir haben keine Kinder, wir sind allein, mein Mann und ich. Wir würden das Kindchen bei uns behalten. Wäre Ihnen das recht?

Die Bäuerin fing an zu begreifen und fragte:

– Karlchen wollen Se uns wegnehmen? Nee, da giebts aber nischt!

Da warf Herr von Hubières ein:

– Meine Frau hat sich nicht richtig ausgedrückt. Wir wollen ihn an Kindesstatt annehmen, aber er soll wieder zu Ihnen auf Besuch kommen. Wenn er sich gut macht, und daran ist doch wohl nicht zu zweifeln, wird er unser Erbe sein und wenn wir wirklich doch noch Kinder bekämen, würde er zu gleichen Teilen mit ihnen erben. Aber wenn er auch nicht unserer Erziehung Ehre machen sollte, würden wir ihm trotzdem, wenn er erwachsen ist, die Summe von zwanzigtausend Franken auszahlen lassen, die sofort bei einem Notar auf seinen Namen hinterlegt werden wird. Wir haben aber auch an Sie gedacht und würden Ihnen auf Lebenszeit eine Rente zahlen und zwar monatlich hundert Franken. Haben Sie alles recht verstanden?

Die Bäuerin war wütend aufgesprungen:

– Was, Karlchen solln w'r verkoofen. Da giebts nischt. So was sagt man der Mutter nich. Keene Spur. Das is ene Gemeenheit.

Der Mann antwortete gar nichts, blieb ernst und nachdenklich. Aber durch fortwährendes Nicken stimmte er seiner Frau bei.

Frau von Hubières war ganz erschrocken und fing an zu weinen. Sie wandte sich zu ihrem Mann mit schluchzender Stimme wie ein Kind, dem sonst alle Wünsche erfüllt werden, und stammelte:

– Heinrich, sie wollen nicht, sie wollen nicht!

Da machte er einen letzten Versuch:

– Aber guten Leute, denkt doch an die Zukunft des Kindes, an sein Glück, an . . . .

Die Bäuerin schnitt ihm grob das Wort ab:

– Das ist schon Alles ieberlegt, das wissen mir Alles schon, machen Se, daß Se fortkommen und daß ich Sie nich mehr hier sehe. Das ist nich erloobt, einem sei Kind wegzunehmen.

Da bemerkte Frau von Hubières, als sie hinaus ging, daß zwei ganz kleine Kinder da waren und fragte unter Thränen mit der Zähigkeit einer eigensinnigen und verwöhnten Frau, die nicht zu verzichten gewohnt ist:

– Aber das andere Kleine gehört Ihnen doch nicht?

Der Bauer antwortete:

– Nee, das ist unser Nachbarsleuten ihres; da kennen Se ja hingehen, wenn Se wollen.

Und er trat wieder in sein Haus, aus dem die empörte Stimme seiner Frau klang.

Die Vallins saßen bei Tisch und aßen eben bedächtig ein paar Schnitten Brot, die sie möglichst sparsam mit etwas Butter schmierten, die sie mit dem Messer von einem zwischen ihnen stehenden Teller nahmen.

Frau von Hubières fing wieder an ihre Vorschläge zu machen, aber diesmal mit mehr Schmeichelkunst und oratorischer Vorsicht und Hinterlist. Die beiden Landleute schüttelten den Kopf zum Zeichen, daß sie nicht wollten. Aber als sie hörten, daß sie monatlich hundert Franken bekommen sollten, blickten sie sich an und suchten gegenseitig ihre Meinung zu erforschen, denn sie waren doch wankend geworden.

Sie schwiegen lange Zeit zögernd und unsicher.

Endlich fragte die Frau:

– Vallin, was meenst De?

Der Mann antwortete weisheitsvoll:

– Ich sage, das is gar nich uneben.

Da fing Frau von Hubières, die vor Angst zitterte, an, mit ihnen von der Zukunft des Kleinen zu sprechen, von seinem Glück und von all dem Geld, das er ihnen später geben könnte.

Der Bauer fragte:

– Aber die eintausendzweehundert Franken jährlich da kriegen wir doch e Papier d'rieber.

Frau von Hubières antwortete:

– Nun gewiß, sofort, morgen.

Da sagte die Bäuerin, die anfing sich die Sache nun zu überlegen:

– Na, wissen Se, hundert Franken den Monat das derfte wohl nich genug sein, wenn mir den Kleenen hergeben sollen. Vergessen Se nich, daß das Kind in ee paar Jahren schon selber was verdienen kann. Mir missen hundertzwanzig Franken bekommen.

Frau von Hubières die ungeduldig hin und her trippelte, willigte sofort ein. Und da sie das Kind gleich mitnehmen wollte, so gab sie gleich hundert Franken im voraus, während ihr Mann etwas Schriftliches aufsetzte. Sofort wurde der Ortsvorstand gerufen und ein Nachbar, die als Zeugen dienen sollten.

Und die junge Frau führte strahlend das heulende Wurm von dannen, wie man etwa einen Nippesgegenstand aus dem Laden holt, den man sich lange gewünscht hat.

Die Tuvaches, unter ihrer Thüre, sahen stumm mit ernsten Mienen, vielleicht mit leiser Reue zu, wie sie davonfuhren.

 

Man hörte nichts wieder vom kleinen Johann Vallin. Die Eltern erhoben jeden Monat ihre hundertzwanzig Franken beim Notar und hatten sich mit ihren Nachbarn verzankt, weil die alte Tuvache sie beleidigte, indem sie fortwährend überall herumerzählte, das sei doch ganz wider die Natur, sein Kind zu verkaufen, es wäre einfach ein Greuel, eine Schmutzerei, eine Gemeinheit.

Und dann nahm sie ab und zu ihr kleines Karlchen, daß es Alle sehen sollten, in die Arme und sagte zu ihm, als ob er es hätte verstehen können:

– Ich hab' Dich nich verkooft, ich hab Dich nich verkooft, mei Kleener. Ich verkoofe meine Kinder nich, ich hab zwar keen Geld, aber verkoofen thu ich meine Kinder nich.

Und Jahre hindurch ging es so jeden Tag. Immer machten die Tuvaches vor ihrem Hause grobe Anspielungen und brüllten so laut, daß die Nachbarn sie hören mußten. Frau Tuvache bildete sich sogar wirklich ein, daß sie besser sei wie alle andern, weil sie ihr Karlchen nicht verkauft hätte. Und wer von ihr sprach, sagte:

– Die Versuchung war groß, aber sie hat eben wie eine echte Mutter gehandelt.

Man stellte sie als Muster hin und Karlchen, der achtzehn Jahre alt geworden war und immer mit diesem Gedanken aufgezogen worden, den man ihm unausgesetzt eingetrichtert, meinte nun selbst, daß er eigentlich viel mehr wert sei als seine Spielgefährten, weil man ihn nicht verkauft hatte.

 

Die Vallins lebten dank ihrer jährlichen Rente sehr behaglich. Daher kam auch die unstillbare Wut der Familie Tuvache, die arm geblieben war.

Der älteste Sohn mußte zu den Soldaten, der zweite starb. Karlchen blieb allein zu Hause, um mit dem alten Vater zu arbeiten, daß er die Mutter und die beiden jüngeren Schwestern durchbrächte.

Als er einundzwanzig Jahre alt geworden war, erschien eines Morgens eine wunderschöne Equipage und hielt vor den beiden Bauernhäusern. Ein junger Mann mit goldener Uhrkette sprang heraus und half einer alten Dame mit weißen Haaren aussteigen. Die alte Dame sprach zu ihm:

– Dort ist es, liebes Kind, das zweite Haus.

Und er trat ein in das Haus der Vallins, als ob er dort zu Haus wäre.

Die alte Mutter wusch ihre Schürzen. Der kranke Vater saß am Herde und schlummerte ein wenig. Beide hoben den Kopf. Und der junge Mann sagte:

– Guten Tag, Papa, guten Tag Mama.

Erschrocken fuhren sie auf. Die Bäuerin ließ vor Bewegung ihre Seife ins Wasser fallen und stammelte:

– Nee so was, bist Du's mei Kind, bist Du's, mei Kind?

Er nahm sie in die Arme, küßte sie und wiederholte:

– Guten Tag Mama! während der Alte zitternd mit seinem ruhigen Ton, den er niemals verlor, sagte:

– Johann, na da bist De also wieder da? als ob er ihn erst vor vier Wochen gesehen hätte.

Als sie sich wiedererkannt hatten, wollten die Eltern sofort den Sohn mit hinausnehmen, um ihn im Dorfe zu zeigen. Man führte ihn zum Ortsvorstand, dann zum Pfarrer und zum Lehrer.

Karlchen stand auf der Schwelle seines Hauses und sah sie vorüberkommen.

Beim Abendessen sagte er zu den Eltern:

– Ihr seid ooch zu tot'g gewesen, den kleenen Vallin nehmen zu lassen.

Die Mutter antwortete beharrlich:

– Wir wollten doch nich unser Kind verkoofen.

Der Vater sagte nichts. Der Sohn fing wieder an:

– 's ist doch en wahres Unglick, daß ihr mich so geopfert habt.

Da rief wütend der alte Tuvache:

– Du willst uns wohl noch Vorwürfe machen, daß mir Dich behalten haben?

Und der junge Mann sagte roh:

– Grade werf ich eich's vor, ihr seid Schafsköppe! Solche Eltern wern den Kindern ihr Unglick. Egentlich verdientet ihr, daß ich eich wegloofe.

Die gute Frau ließ ein paar Thränen in ihren Teller fallen. Sie stöhnte, während sie ein paar Löffel Suppe aß und dabei die Hälfte verschüttete:

– Dazu schindet man sich nu ab, um seine Kinder groß zu ziehen.

Da sagte der Bengel:

– Ich möchte lieber gar nich geboren sein, als das sein, was ich jetzt bin. Als ich vorhin den andern gesehen habe, da is mirsch Blut zu Koppe gestiegen und da habe ich mir gesagt: so was kenntest Du nu jetzt sein.

Er stand auf:

– Es wäre schon besser, ich bliebe gar nich hier, denn ich weeß schon, daß ich's eich von früh bis abends vorwerfen werde und daß ich eich bloß noch's Leben sauer mache. Wißt ihr, das vergesse ich eich nie.

Die beiden Eltern schwiegen niedergeschmettert und den Thränen nahe.

Er fuhr fort:

– Nee, das wäre zu scheißlich, da mach' ich lieber fort und sehe zu, wie ich mir mei Leben verdiene.

Er öffnete die Thür. Der Lärm von Stimmen klang herein. Die Vallins drüben bewirteten festlich den heimgekehrten Sohn.

Da stampfte Karlchen mit dem Fuße auf den Boden, wandte sich zu seinen Eltern und rief:

– Verfluchte Bande!

Dann verschwand er in der Nacht.



 << zurück weiter >>