Guy de Maupassant
Das Haus
Guy de Maupassant

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Geschichte einer Magd

I

Da es schönes Wetter war, hatten die Leute auf dem Bauernhof schneller gegessen als gewöhnlich und waren zur Arbeit aufs Feld gegangen.

Rosa, die Magd, blieb allein in der großen Küche, wo das Herdfeuer unter dem Kessel verglimmte. Ab und zu entnahm sie dem Kessel Wasser, um das Geschirr auszuwaschen. Dann hielt sie hier und da einmal einen Augenblick inne und starrte auf zwei Lichtflecke, die die Sonne durchs Fenster auf den langen Tisch warf und worin sich die kleinen Fehler und Blasen im Glase abzeichneten.

Drei Hühner pickten unter den Stühlen die Krumen auf. Durch die halb offene Thür zog ein warmer Stallgeruch und in der Stille des heißen Mittags krähten die Hähne.

Als das Mädchen mit ihrer Arbeit fertig war, den Tisch abgewischt hatte, den Herd gereinigt und die Teller auf dem Küchengestell nächst der dumpf tickenden Holzuhr aufgereiht hatte, seufzte sie ein wenig beklommen ohne selbst zu wissen warum.

Sie betrachtete die alters- und rauchgeschwärzten Wände und Deckenbalken, wo Spinngewebe hingen, geräucherter Hering und ganze Reihen Zwiebeln. Dann setzte sie sich, und der Dunst vom tagsüber sonnenbeschienenen Boden, wo soviel verschiedene Dinge gelegen hatten und getrocknet worden, störte sie ein wenig. Dazu trat der beißende Geruch der Milch, die im Nebenraume Rahm absetzte. Doch sie wollte anfangen zu nähen wie gewöhnlich, aber die Energie fehlte ihr und sie trat auf die Schwelle hinaus, um frische Luft zu schöpfen.

Als die warme Sonne sie beschien, ward ihr wohlig zu Sinn, und ein süßes Gefühl strömte ihr durch alle Glieder.

Vom Düngerhaufen vor der Thür stiegen unausgesetzt kleine Dampfwolken, die Hühner saßen darauf, legten sich auf eine Seite und scharrten mit dem anderen Beine nach Würmern. Mitten unter ihnen stand der schöne Hahn. Jeden Augenblick wählte er sich eine Henne aus und lief um sie herum mit leisen, glucksenden Rufen. Lässig stand dann das Huhn auf und empfing ihn ruhig, indem es sich niederließ, ihn auf den Flügeln zu tragen. Dann schüttelte es sein Gefieder, daß der Staub daraus stob, und lagerte sich wieder auf dem Mist, während er ein triumphierendes »Kickericki« hören ließ. Und von allen Höfen in der Runde antworteten sämtliche Hähne, als ob sie sich von einem Bauernhaus zum anderen eine Herausforderung zusendeten.

Die Magd schaute ihnen gedankenlos zu, dann sah sie auf und war wie geblendet durch den Anblick der blühenden Apfelbäume, die weiß dastanden, wie gepuderte Köpfe.

Plötzlich lief vor ihr im Galopp ein junges Huhn in voller Daseinsfreude vorüber, jagte zweimal um die baumbepflanzten Gräben, die den Hof umsäumten, und blieb dann plötzlich stehen, als sei es ganz erstaunt, allein zu sein.

Rosa fühlte auch die Lust zu laufen, ein Bedürfnis nach Bewegung und zu gleicher Zeit den Wunsch, sich zu strecken, die Glieder zu dehnen und sich auszuruhen in der bewegungslosen, warmen Luft. Sie machte ein paar unentschiedene Schritte und schloß in wonnigem Behagen die Augen. Dann ging sie langsam zum Hühnerstall, um die Eier zu holen, und schloß sie im Küchenschrank ein. Dabei wurden ihr jedoch die Gerüche in der Küche wieder unangenehm und sie ging hinaus, sich ein wenig ins Gras zu setzen.

Der Hof des Bauerngutes, der mit Bäumen umpflanzt war, schien zu schlafen. Das hohe Gras, aus dem gelber Löwenzahn leuchtete, war von sattem, frischem Frühlingsgrün. Die Apfelbäume um den Stall warfen runde Schatten und die Strohdächer der Gebäude, auf deren Giebeln Schwertlilien wuchsen, dampften ein wenig, als ob die Feuchtigkeit aus Stall und Scheune sich durch das Stroh einen Weg bahne.

Die Magd trat unter den Schuppen, wo die Karren und Wagen standen. Dort daneben war der ganze Graben mit Veilchen bewachsen, die weithin dufteten. Jenseits der Böschung sah man die Felder weithin gestreckt, wo die Ernten reiften. Hier und da standen einzelne Baumgruppen, da und dort waren Leute bei der Feldarbeit, groß wie Püppchen. Ein paar Schimmel vor einem Rinderwagen sahen winzig aus, wie ein Spielzeug. Ein Männchen fuhr, das von weitem aussah wie ein Däumling.

Rosa ging auf den Boden, um eine Schütte Stroh zu holen und warf sie in den Graben. Dann setzte sie sich darauf. Aber es war ihr noch nicht bequem genug. Sie machte das Bündel auf, streute das Stroh herum und warf sich darauf. Dann kreuzte sie die Arme unter dem Kopf und streckte die Beine von sich.

Ganz leise schloß sie die Augen und überließ sich süßen Träumen. Sie war nahe daran, einzuschlafen, als sie zwei Hände fühlte, die ihre Brust betasteten. Mit einem Satz sprang sie auf. Es war Jakob, der Knecht, ein großer, kräftiger Picarde, der ihr seit einiger Zeit nachstellte. Er arbeitete an diesem Tage auf der Schäferei, und als er gesehen, wie sie sich im Schatten hinlegte, hatte er sich herangeschlichen mit angehaltenem Atem, blitzenden Augen, noch vom Liegen im Stroh ein paar Strohhalme im Haar.

Er versuchte, sie zu küssen, aber sie, die ebenso stark war wie er, gab ihm eine Ohrfeige. Da bat er duckmäuserig um Gnade. Dann setzten sie sich neben einander und fingen ein freundschaftliches Gespräch an. Sie redeten vom Wetter, das der Ernte günstig wäre, davon, daß sich das Jahr gut anzulassen schiene, kamen auf ihren Herrn, einen ganz braven Mann, dann auf die Nachbarn, unterhielten sich darauf über die Gegend, über sich selbst, das Dorf, erzählten von ihrer Jugend, tauschten ihre Erinnerungen aus von der Heimat, von den Verwandten, die sie auf lange Zeit verlassen, vielleicht auf immer. Als sie daran dachte, wurde sie ganz weich, und er, der immer noch dumme Gedanken im Kopfe hatte, näherte sich ihr, zitternd vor Begierde, sich an sie schmiegend. Sie sagte:

– Ich habe die Mutter lange nicht gesehen. Es thut einem weh, so weit von einander zu sein.

Und sie blickte in Gedanken in die Ferne hinaus über das weite Land hinweg bis zu ihrem Dorfe, das sie verlassen, fern im Norden.

Da faßte er sie plötzlich um den Hals und küsste sie wieder. Aber sie schlug ihm mit geballter Faust so stark mitten ins Gesicht, daß er aus der Nase blutete. Er stand auf und lehnte sich mit dem Kopfe gegen einen Baumstamm. Da fühlte sie Mitleid und näherte sich ihm mit der Frage:

– Hat Dirsch weh gethan?

Aber er fing an zu lachen:

– Nee, es war nischt.

Sie hätte ihm nur die Nase gekitzelt.

Er brummte: »So 'n Luder!« und sah sie bewundernd an. Eine Art Hochachtung überkam ihn für dieses große, stramme Mädchen, eine ganz anders geartete Zuneigung: der Anfang wirklicher Liebe.

Als das Nasenbluten aufgehört hatte, schlug er ihr vor, einen Spaziergang zu machen, denn er fürchtete, wenn sie so neben einander sitzen blieben, noch einmal die Faust seiner Nachbarin spüren zu müssen. Aber sie nahm ganz von selbst seinen Arm wie Verlobte abends auf der Dorfstraße zu thun pflegen und sagte:

– Jakob, das ist nich hiebsch, so schlecht von mir zu denken.

Er widersprach. Nein, er dachte nicht schlecht von ihr, aber er liebte sie, das war's.

Sie fragte:

– Du willst mich also heuern?

Er zögerte und blickte sie von der Seite an, während sie den Blick in die Ferne schweifen ließ. Sie hatte rote, volle Wangen und eine starke Brust, die sich unter der bunten Jacke blähte, dazu frische, kräftige Lippen. Auf ihrem bloßen Halse standen kleine Schweißtropfen. Die Begierde überkam ihn von neuem und er näherte ihrem Ohr seinen Mund, indem er flüsterte:

– Nu meinetwegen, ich bin einverstanden.

Da legte sie ihm die Arme um den Hals und küßte ihn so lange, daß sie beide außer Atem gerieten. Von diesem Augenblick an spielte zwischen ihnen die alte Geschichte. Sie neckten sich in der Ecke, trafen sich beim Mondschein im Schutze eines Heuhaufens und pufften sich heimlich unter dem Tisch mit ihren groben, eisenbeschlagenen Schuhen. Dann war es, als ob Jakob sie satt hätte. Er wich ihr aus, sprach kaum mehr mit ihr und suchte ihr möglichst nicht mehr allein zu begegnen. Da überfielen sie allerhand Zweifel und große Traurigkeit. Und nach einiger Zeit bemerkte sie, daß sie schwanger war.

Zuerst war sie außer sich, dann überkam sie eine furchtbare Wut, die jeden Tag wuchs, weil sie seiner nicht habhaft werden konnte, so geschickt ging er ihr aus dem Wege.

Endlich eines Nachts, als alles im Bauernhof schlief, schlich sie sich ganz leise in Unterrock und bloßen Füßen hinaus, ging über den Hof, öffnete die Thür des Stalles, wo Jakob in einer großen Kiste, die mit Stroh gefüllt war, auf dem Boden über seinen Pferden schlief. Er hatte sie kommen hören und that, als ob er schnarchte. Aber sie schwang sich zu ihm hinauf, kniete an seiner Seite hin, und schüttelte ihn, bis er sich aufrichtete.

Als er saß, fragte er:

– Was willst Du denne?

Sie antwortete mit zusammengebissenen Zähnen, zitternd vor Wut:

– Du wolltest mich doch heuern, Du hast mirsch versprochen.

Er fing an zu lachen und antwortete:

– Weeßte, wenn man alle Mädel heuern wollte, mit denen man mal was gehabt hat, das kennte man gar nich.

Aber sie packte ihn bei der Gurgel und warf ihn, ohne daß er sich aus ihrer wütenden Umklammerung losmachen konnte, hinten über, würgte ihn und brüllte ihm in die Ohren:

– Ich bin dicke, hörst Du, ich bin dicke.

Er keuchte, nahe am Ersticken. So blieben sie beide unbeweglich im dunklen Schweigen liegen, das nur dadurch unterbrochen ward, daß ein Pferd Stroh aus der Raufe zog und es langsam kaute.

Als Jakob merkte, daß sie stärker war als er, stammelte er:

– Na, da wer ich Dich heuern, wenn's nich andersch is!

Aber sie glaubte seinen Versprechungen nicht mehr und sagte:

– Du wirscht uns sofort aufbieten lassen.

Er antwortete:

– Sofort.

– Schwör's bei Gott.

Er zögerte ein paar Sekunden, dann ergab er sich darein und sagte:

– Ich schwör's bei Gott.

Da ließ sie los und ging, ohne ein Wort zu sagen, davon.

Ein paar Tage lang gelang es ihr nicht ihn zu sprechen und von jetzt ab war der Stall immer nachts zugeschlossen. Aus Furcht vor Skandal wagte sie es aber nicht, Lärm zu schlagen.

Da sah sie eines Morgens einen anderen Knecht zum Frühstück kommen und fragte ihn:

– Ist denn Jakob fort?

Er antwortete:

– Nu natierlich! Ich bin doch an seine Stelle gekummen.

Sie zitterte so stark, daß sie den Kochtopf nicht abhängen konnte. Als dann alle wieder bei der Arbeit waren, ging sie auf ihr Zimmer hinauf, weinte und vergrub das Gesicht in den Kissen, damit es niemand hören sollte.

Nun versuchte sie, ohne daß jemand Verdacht schöpfen konnte, Erkundigungen einzuziehen. Aber der Gedanke an ihr Unglück beherrschte sie dermaßen, daß sie meinte, alle, die sie nach ihm befragte, hämisch lachen zu sehen. Sie erfuhr auch nichts weiter, als daß er die Gegend ganz verlassen habe.

II

Nun begann für sie ein qualvolles Dasein. Sie arbeitete wie eine Maschine, ohne sich darum zu kümmern, was sie that, immer mit der fixen Idee: »wenn es nur niemand merkt«.

Dieser Gedanke, der sie ganz beherrschte, nahm ihr alle Kraft nachzudenken, sodaß sie sich nicht einmal überlegte, was sie thun könnte, um die Schande zu vermeiden, die sie kommen fühlte, die unerbittlich jeden Tag näher rückte wie der Tod.

Jeden Morgen stand sie früher auf als alle anderen und versuchte mit größter Beharrlichkeit in einem kleinen, Spiegel, den sie zum Kämmen benutzte, ihre Figur zu betrachten. Und jedesmal fürchtete sie, heute würde man es bemerken.

Tagsüber unterbrach sie alle Augenblicke ihre Arbeit, um zu sehen, ob die Stärke ihres Leibes nicht die Schürze zu sehr hebe.

Monate gingen dahin, sie sprach fast kein Wort mehr und, wenn man sie etwas fragte, so begriff sie nicht, sah verstört drein und blickte die Leute wie dumm an, mit zitternden Händen, sodaß ihr Herr sagte:

– Armes Mädel. Du bist ja ganz dämlich geworden seit einiger Zeit.

In der Kirche verbarg sie sich hinter einem Pfeiler und wagte es nicht mehr, zur Beichte zu gehen, da sie ein Zusammentreffen mit dem Pfarrer fürchtete, dem sie die übermenschliche Fähigkeit zuschrieb, in den Gewissen zu lesen.

Jetzt zitterte sie bei Tisch bei jedem Blick der andern und immer bildete sie sich ein, der Kuhjunge ein kleiner, tückischer, frühreifer Bengel, der sie stets mit blitzendem Auge ansah, möchte ihren Zustand entdecken.

Eines Morgens übergab ihr der Briefträger einen Brief. Sie hatte noch nie einen bekommen und war so erschrocken, daß sie sich setzen mußte. Vielleicht war er von ihm. Aber da sie nicht lesen konnte, so blieb sie ängstlich, zitternd, mit dem beschriebenen Papier in der Hand sitzen. Sie steckte es in die Tasche, denn sie wagte ihr Geheimnis niemandem anzuvertrauen. Und oft hörte sie in ihrer Arbeit auf, um lange die gleichmäßigen Zeilen zu betrachten, unter denen irgend ein Name stand. Sie bildete sich ein, daß ihr ganz plötzlich der Sinn davon aufgehen müsse. Endlich lief sie, da sie es vor Ungeduld und Unruhe nicht mehr aushalten konnte, zum Schullehrer. Er hieß sie sich setzen und las ihr vor:

»Meine liebe Tochter! Hierdurch teile ich Dir mit, daß mir's sehr schlecht geht. Unser Nachbar, der Herr Lehrer Dentu, schreibt hier für mich, um Dich zu fragen, ob Du nicht kommen kannst.

Für Deine Dich liebende Mutter

Cäsar Dentu, Hilfslehrer.«

Sie sagte kein Wort und ging davon. Aber sobald sie außer Sehweite war, setzte sie sich am Wegesrande nieder, so zitterten ihr die Kniee. Dort blieb sie bis Dunkelwerden sitzen.

Als sie heimkehrte, erzählte sie dem Bauern den Brief und der ließ sie fort auf so lange Zeit, wie sie nur wollte, indem er versprach, ihre Arbeit durch eine Tagelöhnerin verrichten zu lassen und sie bei ihrer Rückkehr wieder anzunehmen.

Ihre Mutter lag auf dem Totenbett. Sie starb am Tage, an dem die Tochter kam. Und am übernächsten Morgen kam Rosa mit einem Sieben-Monatskinde nieder, einem fürchterlichen kleinen Skelett, klapperdürr, das gräßlich zu leiden schien, denn es krümmte fortwährend im Schmerze seine armen kleinen mageren, wie Krebs-Scheren ausschauenden Hände.

Aber es blieb am Leben.

Sie erzählte, sie sei verheiratet, könne sich jedoch um das Kind nicht kümmern und ließ es bei Nachbarn die ihr versprachen, dafür zu sorgen.

Sie kehrte zurück.

Aber da erglühte, gleich dem Morgenrot, in ihrem so lange gepeinigten Herzen eine ungeahnte Liebe für dieses armselige kleine Wesen, das sie da drüben zu Hause gelassen. Und diese Liebe ward neues Leid, ein Leid, das sie keinen Augenblick losließ, da sie von dem Kinde getrennt war.

Sie empfand ein glühendes Bedürfnis, es zu küssen, es in ihre Arme zu nehmen, die Wärme seines kleinen Körpers an ihrer Brust zu fühlen. Sie schlief nicht mehr in der Nacht, immer dachte sie daran, und abends, wenn die Arbeit zu Ende ging, setzte sie sich ans Feuer und starrte vor sich hin, wie Leute, die an Dinge in der Ferne denken.

Man fing an über sie zu reden, man neckte sie mit einem Liebhaber, den sie doch wohl haben müsse, fragte, ob er schön wäre, groß, reich, wann die Hochzeit sei und wann die Taufe. Und dann lief sie davon, um ganz allein zu weinen, denn all diese Fragen stachen ihr wie Nägel ins Fleisch.

Um über die Gedanken hinweg zu kommen, warf sie sich mit Leidenschaft auf die Arbeit und immer in Gedanken an ihr Kind suchte sie soviel Geld als möglich zusammen zu raffen.

Sie beschloß, so zu arbeiten, daß ihr Lohn erhöht werden müßte. Da begann sie allmählich Alles an sich zu reißen, was es um sie herum zu thun gab. Eine Magd, die entbehrlich geworden, seitdem sie für zwei schaffte, wurde fortgeschickt. Sie sparte am Brot, am Öl, an der Beleuchtung, am Futter, das man den Hühnern zu reichlich streute, am Futter für das Vieh im Stall, das verschwendet ward. Sie geizte mit dem Gelde ihres Herrn, als ob es ihr eigenes gewesen wäre. Und weil es ihr gelang günstige Einkäufe zu machen, die Produkte des Bauernhofes teuer zu verkaufen und die Bauern, die ihre Erzeugnisse anbieten wollten, hereinzulegen, ward ihr Kauf und Verkauf ganz allein übertragen. Die Beaufsichtigung der Tagelöhner und die Abrechnung über die Vorräte wurden ihr anvertraut. Sie wachte dermaßen über Alles, daß der Bauernhof unter ihrer Leitung wunderbar gedieh. Zwei Meilen in der Runde sprach man von Vallins Magd. Und der Bauer erzählte überall: »Das Mädel laßt sich nicht mit Gold aufwiegen.«

Aber die Zeit verstrich und ihr Lohn blieb immer derselbe. Sie arbeitete wie ein Pferd, doch es ward nur angenommen wie etwas, das ein guter Dienstbote zu thun schuldig ist, wie nichts weiter als ihre Pflicht. Da dachte sie mit Bitterkeit daran, daß, obwohl der Bauer durch ihr Verdienst monatlich 50 oder 100 Fünffrankenstücke mehr einnähme, sie ihre 240 Franken jährlich behielt und nicht mehr kriegte und nicht weniger.

Sie beschloß, um eine Lohn-Erhöhung zu bitten. Dreimal ging sie zum Bauern und jedesmal, wenn sie vor ihm stand, sprach sie von etwas Anderem, als ob sie sich dessen schämen müsse. Endlich eines Tages als der Bauer allein in der Küche frühstückte, sagte sie ihm mit verlegenem Gesicht, sie möchte einmal mit ihm unter vier Augen reden. Er hob erstaunt den Kopf. Beide Arme auf den Tisch gestemmt, in der einen Hand das Messer mit der Spitze in der Luft, in der anderen ein Stück Brot, starrte er seine Magd an. Sie verlor unter seinem Blick wieder den Mut und bat, zwei Tage nach Hause gehen zu dürfen, sie sei nicht ganz wohl.

Das erlaubte er ihr sofort und fügte noch selbst etwas verlegen geworden, hinzu:

– Weeßt De, ich mechte ooch mal mit Dir reden, wenn Du wieder kommst.

III

Das Kind war fast acht Monate alt. Sie erkannte es nicht wieder. Es war pausbackig, rosig, wohlgenährt und sah aus wie ein kleines lebendes Fleischpacket. Seine Finger, die durch Fettpolster auseinanderstanden, bewegten sich ganz leise, daß man der Kleinen das Wohlgefühl ansah. Rosa warf sich über ihr Kind wie ein Tier auf seine Beute, und küßte es so heftig, daß es vor Furcht anfing zu heulen. Da weinte sie selbst mit, weil das Kind sie nicht erkannte und weil es, sobald es sie sah, der Amme die Ärmchen um Rettung entgegenstreckte.

Aber vom anderen Tage ab gewöhnte es sich an ihr Gesicht und lächelte, wenn sie kam . . . Sie nahm es mit aufs Feld und lief wie toll dahin, das Kind in den Armen. Dann setzte sie sich im Schatten eines Baumes und schüttete zum ersten Mal in ihrem Leben, obgleich das Kind sie nicht verstand, einem anderen Menschen ihr Herz aus, erzählte von ihrem Leid, von ihrer Arbeit, von ihren Sorgen und Hoffnungen.

Es machte ihr unendliche Freude, das Kind in ihren Händen zu fühlen, es zu waschen und anzuziehen. Sie war sogar glücklich, es trocken zu legen, wenn es seine Windeln genäßt, als ob diese kleinen Sorgen eine Bestätigung ihrer Mutterschaft gewesen. Sie blickte es an und wunderte sich immer darüber, daß es ihr Kind sei. Leise sagte sie immerfort, während sie das kleine Ding auf dem Arme wiegte:

– Du bist ja mei Kleenes! Mei Kleenes!

Als sie zum Bauernhof zurückkehrte, schluchzte sie auf dem ganzen Heimwege und kaum war sie dort, so rief sie der Bauer in sein Zimmer. Sie trat, sehr erstaunt und etwas bewegt bei ihm ein, sie wußte eigentlich nicht warum. Er sagte:

– Setz Dich mal her.

Sie nahm Platz, und sie blieben ein paar Augenblicke Seite an Seite, beide verlegen, unschlüssig mit schlaff herabhängenden Armen, ohne sich anzusehen, sitzen, wie es nun einmal Bauernart ist.

Der Bauer, ein kräftiger jovialer etwas starrköpfiger Mann von fünfundvierzig Jahren, schon zum zweiten Mal Witwer, war auffallend befangen, wie's ihm sonst nicht geschah. Endlich entschloß er sich und fing an mit gleichgiltiger Miene zu sprechen, stotterte ein wenig und sah in die Weite auf die Felder hinaus:

– Rosa, haste nie dran gedacht, Dich selbständig zu machen?

Sie ward totenbleich. Und da er sah, daß sie ihm nicht antwortete, fuhr er fort:

– Du bist 'n braves Ding, anständig, fleißig und sparsam. Eene Frau wie Du, das wär 'nem Mann sei Glück.

Sie blieb immer noch unbeweglich, verwirrt umherblickend, sitzen. Sie konnte keinen rechten Gedanken fassen, so wirbelig war ihr im Kopfe, als stehe ein Unglück bevor. Er wartete eine Sekunde, dann fuhr er fort:

– Weeßte, ee Hof ohne Bäurin, das kann nich gehen, selbst wenn so eene Magd da is wie Du eene bist.

Dann schwieg er. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Rosa blickte ihn entsetzt an, wie jemand, der meint, einem Mörder gegenüber zu stehen und bereit ist, bei der geringsten Bewegung das Weite zu suchen. Endlich fragte er nach fünf Minuten:

– Na, was meenst De, paßt Dirsch?

Sie antwortete mit einem Gesicht wie ein Idiot:

– Was soll ich?

Da sagte er derb:

– De Bäurin werden, weeß der Teifel.

Sie richtete sich plötzlich auf und fiel dann wie gebrochen in den Stuhl zurück. Bewegungslos blieb sie sitzen, wie einer, dem ein großes Unglück widerfahren ist. Der Bauer wurde endlich ungeduldig:

– Na, heer mal, was willst De denn nu eegentlich?

Sie sah ihn verstört an. Dann traten ihr plötzlich die Thränen in die Augen und sie wiederholte zweimal mit erstickter Stimme:

– Das kann ich nich! Das kann ich nich!

– Warum denn nich? – Nu mach doch nich de Dumme. Du kannst Dirsch ja bis morgen ieberlegen.

Und er ging eilig davon, denn er war heilfroh, daß der Schritt nun endlich gethan, vor dem er sich lange gefürchtet. Er zweifelte nicht im geringsten daran, daß die Magd morgen einen Vorschlag annehmen würde, der für sie gar nicht zu erhoffen gewesen und für ihn ein vorzügliches Geschäft bedeutete, da er so mit sich und seinem Interesse eine Frau verknüpfte, die ihm gewiß mehr Vorteil bringen würde als die größte Mitgift der Gegend.

Zwischen ihnen konnte von Mißheirat keine Rede sein, denn auf dem Lande gilt einer etwa soviel wie der andere. Der Bauer arbeitet wie sein Knecht, der oft dann wieder seinerseits früher oder später Herr wird und die Mägde werden jeden Augenblick einmal Bäuerinnen, ohne daß sich dadurch ihr Leben oder ihre Gewohnheiten irgendwie verändern.

Rosa ging diese Nacht nicht zu Bett. Sie setzte sich auf ihr Lager. Sie war so niedergeschmettert, daß sie nicht einmal die Kraft fand, zu weinen. Unbeweglich blieb sie sitzen. Sie spürte ihren Körper nicht mehr, ihr Verstand war wie fortgeflogen, als ob man ihn mit einem jener Instrumente zerfetzt, dessen sich die Wollkämmer bedienen, um die Wolle der Matrazen auszufasern.

Nur ab und zu gelang es ihr, einen Augenblick ihre Gedanken zu sammeln und Entsetzen packte sie bei der Idee an das, was nun kommen sollte.

Ihr Schrecken wuchs und jedesmal, wenn in der Stille des Hauses die große Küchenuhr langsam die Stunden anzeigte, trat ihr der Angstschweiß aus.

Ihr wurde ganz wirr, sie hatte Traumgesichte. Das Licht an ihrem Bett verlosch. Da fing sie an, in Raserei zu geraten, jene vorübergehende Raserei der Landleute, die sich einbilden, irgend ein Unglück habe sie getroffen. Ein wahnsinniges Bedürfnis überkam sie, zu entfliehen, wie ein Schiff vor dem Sturme, vor dem Unglück davon zu laufen.

Eine Eule stieß ihren klagenden Schrei aus. Rosa fuhr zusammen, richtete sich auf, wischte sich mit der Hand über das Gesicht, über das Haar und betastete ihren Leib wie eine Wahnsinnige. Dann ging sie, gleich einer Traumwandlerin, hinab in den Hof. Dort schlich sie hin, daß sie nicht irgend ein nächtlicherweile Umherirrender sehen sollte, denn der schon dem Untergehen nahe Mond beleuchtete noch hell die Felder. Sie öffnete nicht das Thor, sondern kletterte über den Zaun. Und dann, als sie auf freiem Felde stand, lief sie davon, geraden Wegs vor sich hin. Ab und zu schrie sie unbewußt auf. Der mächtige Schatten, den sie seitwärts auf den Boden warf, lief mit ihr. Ein Nachtvogel flatterte ihr um den Kopf. Die Hunde in den Höfen bellten, als sie sie vorbeilaufen hörten. Und einer sprang über den Graben und verfolgte sie, um sie zu beißen. Aber sie schrie ihn dergestalt an, daß das entsetzte Tier entfloh, in seine Hütte kroch und schwieg.

Ab und zu sprang eine Hasenfamilie über das Feld. Aber als die wahnsinnige Läuferin, wie eine irrsinnige Diana, erschien, stoben die furchtsamen Tiere auseinander. Die Jungen verschwanden mit der Mutter in einer Ackerfurche, während der Vater flüchtig ward, was er nur konnte. Dann erschien ab und zu im Sprung sein Schatten mit großen aufgerichteten Löffeln, auf der Scheibe des untergehenden Mondes abgezeichnet, der jetzt weit drüben niederstieg und mit seinem fahlen Licht die Ebene beleuchtete gleich einer mächtigen Laterne, die man dort draußen am Horizont auf den Boden gesetzt.

Die Sterne erblichen am Himmel. Ein paar Vögel zwitscherten. Der Tag brach an. Das Mädchen war ganz außer Atem, und als die Sonne durch die purpurne Morgendämmerung brach, blieb sie stehen.

Ihre geschwollenen Füße verweigerten den Dienst. Da sah sie einen großen Teich, dessen stehendes Gewässer beim roten Licht des jungen Tages wie Blut ausschaute. Und mit kurzen Schritten, hinkend, die Hände auf das Gesicht gepreßt, ging sie dorthin, um die Füße darin zu baden.

Sie setzte sich auf ein Grasbüschel, zog die bestaubten dicken Schuhe aus, legte die Strümpfe ab und steckte die blau angelaufenen Waden in die unbewegliche Flut, auf der ab und zu eine Luftblase platzte.

Köstliche Frische stieg ihr von den Fersen bis zum Herzen hinauf und plötzlich ergriff sie, während sie starr das tiefe Wasser betrachtete, ein Schwindel und der glühende Wunsch, tief hinab zu tauchen, tief, tief. Dann waren dort unten alle ihre Leiden für immer verlöscht. An ihr Kind dachte sie nicht mehr, sie wollte nur Frieden haben, vollkommene Ruhe, ewigen Schlaf. Da richtete sie sich auf, erhob die Arme und machte zwei Schritte nach vom. Nun sank sie bis zu den Oberschenkeln ein und wollte sich schon hineinstürzen, als sie heftige Bisse an den Knöcheln fühlte, sodaß sie zurücksprang und einen verzweifelten Schrei ausstieß. Von den Knien bis zu den Fußspitzen herab sogen lange Blutegel ihr das Leben aus, füllten sich langsam, an ihre Haut geklebt. Sie wagte nicht, sie anzufassen und heulte vor Entsetzen. Ihr verzweifeltes Geschrei lockte einen Bauern herbei, der in der Ferne mit seinem Wagen vorüberkam. Er riß die Blutegel einen nach dem anderen ab, bedeckte die Wunden mit Gras und führte das Mädchen in seinem Wagen bis zum Bauernhof ihres Herrn zurück.

Zwei Wochen lag sie zu Bett. Dann stand sie auf und an diesem Morgen, als sie vor der Thüre saß, pflanzte sich der Bauer vor ihr auf und sprach:

– Na, nich wahr, mir sein einig?

Zuerst antwortete sie nicht. Dann aber, da er sie starr anblickte, antwortete sie mit Mühe:

– Nee, Bauer, ich kann nich.

Da wurde er plötzlich böse:

– Mädel, Du kannst nich? Du kannst nich? Warum denn nich?

Sie fing wieder an zu weinen und wiederholte:

– Ich kann nich.

Er sah sie an von oben bis unten und brüllte:

– Du hast wohl 'n Liebsten?

Sie zitterte, stotternd vor Scham:

– Das kennte schon sein!

Der Mann wurde purpurrot und stammelte in seinem Zorn:

– Du giebst's also zu, Du altes Aas. Wer is denn der Lümmel? Wohl so'n Lump, so'n Vagabund, 'n Landstreicher, 'n Hungerleider. Wer is es denne? Rede, Mädel!

Und da sie nicht antwortete, sprach er weiter:

– Ach! Du willst wohl nich? Ich wer' Dirsch sagen: der Johann is es!

Sie rief:

– Nee, der nich.

– Dann is es Peter!

– Nee, Bauer.

Und er nannte verzweiflungsvoll hinter einander alle jungen Leute der Gegend, während sie immerfort leugnete und sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Augen wischte. Aber er forschte fortwährend weiter, ließ sie nicht los und wollte durchaus ihr Geheimnis ergründen, wie ein Jagdhund, der den ganzen Tag über in einem Kaninchenbau gräbt, um das Tier zu packen, das er dort unten wittert. Plötzlich rief der Bauer:

– Ach, ich weeß's, Jakob is es, der Knecht vom vorigten Jahr, 's hat ja geheeßen, ihr habt was zusammen, ihr wär't versprochen!

Eine Blutwelle stieg in Rosas Wangen, plötzlich stockten ihre Thränen und versiegten auf den Backen, wie Wassertropfen auf glühendem Eisen, und sie rief:

– Nee, der is es nich! Der nich!

Der Bauer, der die Wahrheit dahinter witterte, kniff die Augen zu und fragte:

– Is das ooch wahr?

Sie antwortete schnell:

– Ich schwör Sie's.

Sie suchte irgend etwas, worauf sie schwören könnte, da sie keine heiligen Dinge anrufen mochte.

Er unterbrach sie:

– Er ist Dir aber doch immerfort nachgestiegen und hat Dich beinahe aufgefressen mit Blicken beim Essen. Du hast ihm nischt versprochen? Nischt?

Diesmal sah sie dem Bauer gerade ins Gesicht:

– Nee, niemals nischt, und ich schwöre beim lieben Gott, daß, wenn er heut käme und mich haben will, nich ansehen will ich'n.

Sie schaute so aufrichtig dabei aus, daß der Bauer zögerte. Dann begann er von neuem, als spräche er zu sich selbst:

– Nu, was is's denn dann? Dir ist doch nischt passiert! Das wüßte man doch. Und da nischt gewesen is, da wird doch so'n Mädel nich ihren Herrn desterwegen 'n Korb geben. Da muß doch irgend etwas gewesen sind.

Sie antwortete nicht mehr, die Angst schnürte ihr die Kehle zusammen. Er fragte noch einmal:

– Du hast also keene Lust?

Sie seufzte:

– Bauer, ich kann nich!

Und er wandte ihr den Rücken.

Sie hoffte, ihn los zu sein, und der Tag verstrich ziemlich ruhig. Aber sie war so gebrochen und so ermattet, als hätte sie an Stelle des alten Schimmels vom Morgen ab die Dreschmaschine drehen müssen.

Sie legte sich, sobald es ging, ins Bett und schlief ein.

Gegen Mitternacht erwachte sie. Zwei Hände betasteten ihr Bett. Sie zitterte vor Schreck, aber sie erkannte sofort die Stimme des Bauern, der zu ihr sagte:

– Rosa, Hab' nur keene Angst, ich will mit Dir reden.

Zuerst war sie erstaunt, aber als er versuchte, unter die Decke zu kriechen, begriff sie, was er wollte, und fing an zu zittern, da sie sich allein fühlte in der Dunkelheit, noch schlaftrunken, unbekleidet und im Bett dicht neben diesem Mann, der sie begehrte. Sie gab sich nicht hin, aber sie wehrte sich auch nicht, selbst gegen die Sinnlichkeit ankämpfend, die bei gewöhnlichen Menschen stärker entwickelt ist. Sie drehte den Kopf bald zur Wand, bald zur Seite, um den Küssen des Bauern auszuweichen. Und ihr Leib wand sich, matt geworden durch die Anstrengung des Widerstandes, unter der Decke. Mit schneller Bewegung, zog er die Decke fort. Da fühlte sie, daß sie nicht mehr widerstehen könnte und im Gefühl der Scham machte sie es wie der Vogel Strauß, versteckte ihr Gesicht in den Händen und wehrte sich nicht mehr.

Der Bauer blieb die Nacht bei ihr. Den nächsten Abend kam er wieder, dann täglich.

Sie lebten zusammen.

Eines Morgens sagte er zu ihr:

– Ich habe uns in der Kirche aufbieten lassen. Nächsten Monat wollen mir Hochzeit machen!

Sie antwortete nicht; was konnte sie sagen? Sie widerstand nicht. Was sollte sie thun?

IV

Er heiratete sie. Sie hatte ein Gefühl, als wäre sie in einen Abgrund geraten mit ringsum unersteiglichen Wänden aus dem sie nie entkommen könnte, und als ob über ihr in Gestalt von mächtigen Felsen alles Unglück hinge, bereit, jeden Augenblick auf sie niederzustürzen. Es war ihr, als habe sie ihren Mann bestohlen und als müsse er das über kurz oder lang merken. Und dann dachte sie an ihr Kind, das an allem Unglück schuld war, aber das auch ihr einziges Glück ausmachte auf dieser Erde.

Zweimal jährlich besuchte sie es und kam jedesmal traurig zurück.

Aber mit der Zeit schwiegen ihre Gewissensbisse, ihr Herz ward' ruhiger, und größeres Vertrauen zog in ihre Seele. Nur manchmal überfiel sie eine unbestimmte Furcht.

Jahre verstrichen. Das Kind wurde sechs Jahre alt. Jetzt war sie fast glücklich. Da ward der Bauer plötzlich schlechter Laune.

Schon seit zwei oder drei Jahren überkam ihn manchmal eine seltsame Unruhe, als beschäftige ihn eine fixe Idee, vielleicht war es eine nahende Geisteskrankheit. Nach dem Essen blieb er lange am Tisch sitzen, vergrub den Kopf in die Hände und sah aus, als nage irgend ein Kummer an seiner Seele. Ab und zu war er schnell mit einem groben Wort bei der Hand, und es hatte beinahe den Anschein, als ob er irgend einen Hintergedanken gegen seine Frau hätte, denn manchmal antwortete er ihr ohne Veranlassung grob, fast wütend.

Als eines Tages der Bengel einer Nachbarin gekommen war, um Eier zu holen und sie ihn ein bißchen angefahren, weil sie's eilig hatte, erschien plötzlich ihr Mann und sagte mit boshaftem Ton:

– Wenn's Dei Junge wäre, würdest De ihn nich so behandeln.

Sie war erstaunt, wußte nicht, was sie antworten sollte. Dann ging sie ins Haus und ein Gewicht lag auf ihrer Seele.

Bei Tisch sprach der Bauer nicht mit ihr und sah sie nicht an. Er schien sie zu hassen, sie zu verachten, es war, als wüßte er irgend etwas.

Da verlor sie die Fassung und wagte es nicht mehr, nach Tisch mit ihm allein zu bleiben. Sie riß aus und lief in die Kirche.

Die Nacht brach herein. Das kleine Kirchenschiff war dunkel, aber drüben tönte ein Schritt durch die Stille nach dem Chor zu. Es war der Sakristan, der die ewige Lampe nachfüllte für die Nacht. In der Dunkelheit zitterte das rote Licht und erschien Rosa wie ein letzter Hoffnungsschimmer. Sie richtete die Blicke darauf und sank in die Kniee.

Die Kette der ewigen Lampe klang und das kleine Lichtchen stieg in die Höhe, dann tönte auf den Fliesen das regelmäßige Geklapper der Pantoffel und das Geräusch einer nachschleppenden Schnur. Darauf ließ die kleine Glocke das Abendgeläute durch die immer dichter werdende Dunkelheit schallen. Als der Mann hinausging, lief sie ihm nach und fragte:

– Is der Herr Pfarrer derheeme?

Er antwortete:

– Das gloob ich, der ißt immer beim Abendläuten.

Da öffnete sie zitternd die Thür des Pfarrhauses.

Der Pfarrer war gerade im Begriff, sich zu Tisch zu setzen. Er bot ihr auch einen Stuhl an:

– Ja, ich weiß schon, Ihr Mann hat mir schon davon gesprochen, weshalb Sie kommen.

Die arme Frau war einer Ohnmacht nahe und der Geistliche fuhr fort:

– Was wollen Sie denn, mein Kind?

Und dabei schüttete er schnell ein paar Löffel Suppe hinunter, wobei auf seinen bauschigen Priesterrock, der eine Fettstraße über dem Magen zeigte, die Tropfen fielen.

Rosa wagte nicht mehr zu sprechen, wagte nicht, ihn zu bitten, ihn anzuflehen. Sie stand auf und der Pfarrer sagte:

– Nur Mut.

Sie ging hinaus.

Sie kam zum Hof zurück, ohne zu wissen, was sie that. Der Bauer erwartete sie. Die Tagelöhner waren während ihrer Abwesenheit davon gegangen. Da fiel sie ihm schwer zu Füßen, stöhnte und ihre Thränen rannen:

– Was hast Du denn gegen mich!

Er fing an zu schreien und fluchte:

– Was ich hab! Gott verdamm' mich, keene Kinder hab' ich. Wenn man eene Frau nimmt, da ist's doch nich, damit man ganz alleene bleibt, bis man ins Gras beißen muß! Das hab' ich. Wenn eene Kuh keen Kalb kriegt, da taugt se nischt, wenn eene Frau keene Kinder hat, dann taugt se ooch nischt.

Sie weinte und stammelte:

– 's is doch nich meine Schuld! Meine Schuld is's doch nich.

Da ward er etwas weicher und setzte hinzu:

– Das sag ich ooch nich, aber man kann sich doch drüber fuchsen!

V

Von diesem Tage ab hatte sie nur noch einen Gedanken: noch ein Kind zu haben. Und ihren Wunsch teilte sie aller Welt mit. Eine Nachbarin gab ihr ein Mittel an: sie sollte ihrem Mann jeden Abend ein Glas Wasser zu trinken geben, in das sie eine Fingerspitze voll Asche gestreut. Der Bauer ging darauf ein, aber das Mittel schlug nicht an.

Sie sagte sich, vielleicht ist irgend ein Geheimnis dabei und zog Erkundigungen ein. Ein Hirt, der zehn Meilen entfernt wohnte, wurde ihnen bezeichnet. Der Bauer spannte den Wagen an und fuhr hin. Der Hirt gab ihm ein Brot, über dem er ein paar Zeichen gemacht und in das er Kräuter geknetet. Beide sollten sie davon ein Stück essen in der Nacht, sowohl vor wie nach der Liebkosung.

Das ganze Brot wurde aufgebraucht – ohne Erfolg.

Ein Lehrer setzte ihnen ein paar Geheimnisse auseinander, unfehlbar, wie er sagte, Dinge, die auf dem Lande nicht bekannt waren. Es mißlang.

Der Pfarrer riet zum heiligen Blut von Fécamp zu pilgern. Rosa schloß sich der Menge an, um sich in der Abtei vor dem Heiligtum niederzuwerfen. Und indem sie mit all' den anderen Bauern ihre Seele ausschüttete, bat sie den, vor dem alle knieten, ihren Leib noch einmal zu segnen. Es war vergebens. Da bildete sie sich ein, vom Himmel für ihren Fehltritt bestraft worden zu sein und ward unendlich traurig.

Sie kam vor Kummer ganz herab. Auch ihr Mann alterte zusehends.

Nun entbrannte zwischen ihnen der Krieg. Er beschimpfte sie und schlug sie. Den ganzen Tag zankte er und abends im Bett überkam ihn der Haß, und er warf ihr alle möglichen Beleidigungen an den Kopf. Als er eines Nachts nicht mehr wußte, was er ihr zufügen sollte, befahl er ihr, aufzustehen und bis zum Morgengrauen vor der Thüre im Regen zu warten. Da sie nicht gehorchte, packte er sie beim Hals und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Sie sagte nichts und bewegte sich nicht. Da kniete er ihr auf den Leib und würgte sie wie toll vor Wut, mit zusammengebissenen Zähnen. In diesem Augenblick überkam sie die Empörung, daß sie ihn mit verzweifeltem Stoß gegen die Wand warf, sich aufrichtete und mit fauchender, ganz veränderter Stimme schrie:

– Ich hab' 'n Kind! Ich hab' eens! Ich hab' eens! Von Jakob hab' ich's gehabt, Du weeßt, der, Jakob. Er wollte mich heuern is aber fortgemacht.

Der Mann war ganz erschrocken, war so verzweifelt wie sie. Er stammelte:

– Was red'st Du da! Was red'st Du?

Da fing sie an zu schluchzen und stammelte unter strömenden Thränen:

– Deshalb hab' ich Dich nich heiraten wollen, weeßt De, deshalb; ich konnte Dirsch doch nich sagen, ich hätt' doch mei Brot verloren mit meinem Kind! Du hast keen Kind, das verstehst De nich!

Er antwortete mechanisch, mit immer größer werdendem Erstaunen:

– Du hast e Kind? Du hast e Kind?

Und unter Schluchzen antwortete sie:

– Du hast mich mit Gewalt rumgekriegt, das weeßt De doch noch, ich hab' Dich nich heiraten wollen.

Da stand er auf, steckte Licht an und begann, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, im Zimmer auf und ab zu laufen. Sie weinte noch immer, in ihr Bett vergraben. Plötzlich blieb er vor ihr stehen:

– Da bin ich also dran schuld, wenn De keens hast!

Sie antwortete nicht. Er setzte sich wieder in Gang. Von neuem blieb er vor ihr stehen und fragte:

– Wie alt is denn Dei Wurm?

Sie murmelte:

– Es wird gerade sechse.

Er fragte noch einmal:

– Warum hast De mir das nich gesagt?

Sie stöhnte:

– Das konnt' ich doch nich.

Er blieb unbeweglich:

– Vorwärts, steh mal uf.

Mühsam richtete sie sich empor. Als sie dann auf den Füßen stand, an die Mauer gelehnt, fing er plötzlich an zu lachen, herzlich wie früher. Und als sie ganz erschrocken war, fügte er hinzu:

– Nu weeßte, da werd'n mir eenfach das Kind holen, da mir zwee beede keens zusammen haben.

Sie war so erstaunt, daß sie davongelaufen wäre, wenn sie die Kraft gehabt hätte. Aber der Bauer rieb sich die Hände und brummte:

– Ich wollte eens annehmen, nu, da haben wir ja gleich eens, da haben wir gleich eens. Ich hatte schon den Pfarrer um 'n Waisenkind gebeten.

Dann küßte er seine weinende, erstaunt dreinschauende Frau auf die Wange und brüllte, als hörte sie es nicht:

– Na, Alte, sieh mal nach, ob mir noch Suppe haben, ich wer noch 'n Teller wegmachen.

Sie zog ihren Rock an und ging hinunter. Während sie knieend unter dem Kessel das Feuer wieder ansteckte, lief er mit großen Schritten strahlend vor Wonne in der Küche auf und ab und sagte fortwährend:

– Das freit mich aber kulussal, ich kann's gar nich sagen. Nee, wie mir das wohl thut, wie mir das wohl thut!

 


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