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Am See.

Sieh drunten auf dem See im Abendrot
Die Taucherente hin und wieder schlüpfend;
Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;
Seltsames Spiel!

A. v. Droste-Hülshoff.

1.

Nächst der Luft ist keins der vier Elemente, welche nach des Dichters Ausdruck »die Welt bauen«, so überallhin verbreitet als das Wasser. Ueber 6½ Millionen Quadratmeilen mißt die Fläche, welche der Ozean bedeckt, und einst ruhte auch die jetzt bewohnte Feste unter der Flut. Wann sie zuerst ihre Berge und Ebenen und damit eine ganz neue Schöpfung zum Lichte emporhob, welche Revolutionen damals den Planeten erschütterten, wird schwerlich je die Forschung zu enthüllen vermögen. Aber noch gebiert sich ununterbrochen im Schoße des Meeres eine Welt von Wesen. Es lebt in seinen Wellen ein Reich der Tiere und Pflanzen, das zwar nicht an Vollkommenheit und Schönheit, wohl aber an Fülle und Mannigfaltigkeit jenes der Kontinente weit zu übertreffen scheint. Unsere Wälder bergen, wie Charles Darwin behauptet, nicht so viele Tiere als die niedrige Waldregion des Ozeans, wo Tanggesträuche und Fucuszweige ihr zartes Laub entfalten, und selbst da, wo in bergetiefe Nacht kaum ein Schimmer des Lichts hinabdringt, regt sich 's allenthalben lebendig. Darum geschah es in richtiger, tiefbegründeter Ahnung, wenn griechische Philosophen das Wasser »den Ursitz und die Mutter des Lebens« nannten, oder wenn Inder und Aegypter betend an heiligen Strömen knieten und in ihnen die sichtbare Gottheit selbst verehrten. Ohne Wasser würde in der Tat nichts Lebendes bestehen. Wäre es möglich, daß mit einem Male seine Schleusen spurlos versiegten, dann müßte alles hinsterben, was atmet und sproßt, und die Erde würde nur das Medusenantlitz einer Wüste zeigen.

Aber »gleich einer sorgsamen Mutter«, die ohne zu ermüden jedem Bedürfnisse helfend entgegeneilt, wandelt das Wasser in ewigem Kreislauf seine Bahnen, allenthalben seine Wohltaten verteilend. Unter unsern Füßen, im Innern der Erde, ungesehen und ungehört, sprudelt es bald in zahllosen Gängen und Adern, bald sammelt es sich zu mächtigen Becken und Seen, zu »versiegelten Brunnen der Tiefe«, wie die Bibel so treffend sagt. Oder es tritt heraus ans Licht und zieht als segenbringender Strom durch die Länder und Städte der Menschen, freudebrausend dem großen Weltmeere entgegen, oder es öffnet auf dem Hochgebirge den Quell, die Gemse und das dürstende Moos zu tränken. So reicht das Meer mit seinen Wasserfäden durch und über alles Land bis hinauf zu den hängenden Gärten der Alpen, zu den ewigen Schneefirnen dort oben. Ueberall umgibt und beherrscht uns des Wassers Fülle, wenn es auch nicht überall von den Augen wahrgenommen wird.

Denn so weit dieses Element verbreitet ist, ebenso verschiedengestaltig ist es auch. Ein wunderbarer Proteus verflüchtigt es sich unter dem Hauche der Wärme in Nebel und Dampf und webt dann jene blauduftigen Säume um die Ferne, oder es steigt empor und bildet die ewig wechselnden Dekorationen des Himmels, während es sich unter dem Drucke der Kälte zu Schnee ballt oder in Hagel und Eis verfestigt. Man kann nicht leugnen, daß jede dieser Gestaltungen ein eigentümlicher poetischer Reiz begleitet. Sind Wolken und Nebel phantastisch und sehnsuchterweckend, so hat der Schnee in seiner fleckenlosen Weiße, in seinem leisen, traumhaften Niederschweben und in seinem ebenso wunderbaren Verschwinden etwas Friedevolles und Märchenhaftes. Grausig dagegen wirkt der Hagel, wenn er aus plötzlich verhängtem Gewölk seine Geißel auf die Aehrenfelder herabschmettert und in seinem Geleite der Sturm verheerend über die Wälder stürzt: es sind die gespenstigen »Schleuderer des Luftheeres«, die erbfeindlichen Mächte des Chaos, die dem Menschen grollend entgegenwettern. Das Eis endlich blickt uns erstarrend an; aber es hat zugleich etwas Geheimnisvolles, wenn wir über die berstende, krachende Fläche gleitend uns vorstellen, daß der Geist unter uns nur in einem Zauberschlafe liegt, aus dem er plötzlich und mit unentfliehbarem Grimm erwachen könnte.

Indessen bedeuten alle diese Wandelformen doch nur wenig gegen das Wasser selbst, gegen das fließende, freie, lebendige Element. Seine reizende Durchsichtigkeit, sein klarer Spiegel, der melodische Rhythmus seiner Bewegung, das leuchtende Grün und Blau der Wellen üben eine stille Macht über jeden Sinn, und fast möchte man behaupten, daß selbst der schönsten Landschaft die Seele fehle, wenn nicht das feuchte Element ihre Schönheit zurückstrahlt. Αριστον μέν γδωρ Sprich: áriston men hydor. (Wasser ist das Beste) ist wahrlich nicht bloß für den Arzt oder Landbauer gesagt. Es gibt kein großartigeres Epos als das erdumgürtende, himmelspiegelnde Meer und keinen kühnern Dithyramben als den Katarakt, ber brausend und dampfend in den Abgrund stürzt.

Aber man hat gar nicht nötig, so gewissermaßen zu den äußersten Spitzen aufzusteigen, um das Wasser in seiner Schönheit zu sehen. Schon sein erster Ursprung ist ein Bild von außerordentlicher Lieblichkeit. Der Quell, der Bote der Berge, wie unzählige Male haben ihn die Dichter besungen! Da hängen in den Wipfeln die Nebel, der Schatten tropft kühle Perlen, von jedem Blatt und Halm trieft es, und nun sickert und wühlt und schlüpft es in die Erde hinein und rinnt zusammen und wird lebendig. Kein Auge sieht das Wunder, Berggeister stellen sich hütend um seine Wiege; aber dort, wo der Felsen sich spaltet, haben sie einen Pfühl von Sand und Moos hingelegt, und mitten inne geht das Quellchen auf. Unermüdlich brodelt es hervor. Es spielt Ball mit den kristallenen Körnchen, und so leise lullt es in sich hinein, daß auch das Ohr des trinkenden Mäuschens nichts vernehmen mag. Aber hat das Elfenkind erst einmal das Licht geschaut, so eilt es von dannen. Espen und Weiden kommen und breiten die grünen Arme darüber, als wollten sie das flüchtig festhalten mit ihm zu tändeln, oder sie beugen sich horchend in das Gemurmel, das so märchenhaft durch die Stille klingt. Und nun hinaus aus dem Wald! hinab ins Tal! Welch ein ganz anderer, neureizender Anblick ist dort der Fluß, die schweifende, blitzende Silberlinie durchs Gelände schwingend! Friedliche Herden spiegeln sich in seinen Wassern, wogende Aehren antworten seinem Rauschen, ein Gebüsch, ein Hain drängt sich heran und stellt auf sanften Hügelkuppen seine Vorposten auf, indes ganz nahe ans Ufer schon die Erle sich schleicht und neugierig scheu den Fuß ins lockende Bad taucht. Aber jenseits in geschütztem Busen versteckt sich eine Mühle, ein stilles Dörfchen, oder mit Turm und Mauern erhebt sich geräuschvoll die Stadt.

Gewiß, es sind schöne Bilder, diese Bilder des Wasserlebens. Und selbst der Dorfbrunnen noch, das kunstlos gehöhlte Rohr, aus dem die gefangene Najade sich ergießt, ist schön und hat etwas von dem schmeichelnden, sinnbeschwichtigenden Reize des Elements in sich. Tieck sagt irgendwo, daß gerade die rauschenden Brunnen in Rom ihm das Herz so sehnsüchtig geschwellt, und Eichendorff schafft seine eigentümlichsten Szenen, wo er die einsamen Schlösser schildert, deren verfallene Fontänen durch die Mondnacht murmeln. In der Tat, das Wasser ist ein geistiges Element, es spricht uns wahlverwandt an, und gewiß war es kein leeres Spiel unserer Sprache, daß sie vom See auch der Seele den Namen lieh. Schon im Gotischen saivs und saivala.

Eine eigentümliche, besonders schöne Gestaltung nimmt das Wasser in dem ebengenannten See an. Quell, Bach, Fluß eilen unaufhaltsam vorüber, ein Bild des unaufhaltsam eilenden Lebens. Daher hat das Gefühl, welches sie in uns erwecken, so mannigfach es sich auch sonst färben möge, immer den Grundton der Sehnsucht: die ziehende Welle zieht auch uns mit fort; wir versenken uns in sie, bis sich, ihr gleich, Auge und Sinn ziellos in unbekannte Fernen verlieren. Lenau sang:

Die Seele sieht in ihrem Leid
Sich selbst vorüberfließen.

Diesem entgegengesetzt wirkt der See. Er ist ein »stehendes« Wasser, in breite, große Becken gesammelt. Er entbehrt der gleitenden mäandrischen Linien, die schon Homer am Skamander rühmt, und nur vom Sturm erregt, rauscht sein Gewässer. Dafür aber gibt er jeden Ton des Lichts, jede Stimmung der Luft in reinem Spiegel wieder. Frisch und heiter am Morgen, weich und sehnend bei Abend, gespenstisch im Nebel, feierlich, wenn der Sternenkranz über ihm strahlt, zieht seine glatte, unbewegte Welle in der Tat den Himmel auf die Erde. Dazu tritt der Ring des Ufers hier wirksamer als bei irgendeinem Wasser hervor. Die wechselvolle Umrahmung schließt den See zu einem Ganzen, zu einem fertigen Bilde ab, und wie sie der Welle Schranken setzt, so hält sie auch das Gefühl des Betrachters in beruhigter Grenze. Die sonnigen und doch versteckten Buchten geben den Eindruck des Heimlichen und Heimischen, die sanfte Woge ladet zur Rast; friedeatmend breitet ein Idyll sich aus.

Und doch wiederholen keineswegs alle Seen dieses Bild. Dazu greift die Szenerie der Ufer und selbst die Farbe des Wassers hier zu bedeutsam ein. Der dunkelumschattete Bergsee wird schon immer einen tiefern, romantischeren Charakter haben als der Landsee, dessen hellen Spiegel breite Wiesensäume sonntäglich freundlich, aber einförmig umschließen. Wieder anders gestaltet sich der Eindruck auf kahler Hochebene. Man denke an den Mummelsee auf dem Schwarzwalde. Vgl. J. Kerner, das »Wildbad«. S. 27 Dort in einer weiten, stillen Moorfläche, in der kaum ein Gesträuch der Krummholzkiefer sich fristet, nur von fahlen Seggen umgeben schlägt das finstere Wasser seine Wellen. Kein Fisch wird sichtbar, selten ertönt das Geschrei der Wildente oder der Ruf des Auerhahns in der beängstigenden Stille, und über den Himmel ziehen schwer und langsam die Wolken. Hier fühlt man sogleich, daß man im Banne düsterer Sage steht: die Geister grausiger Balladen tauchen aus der Tiefe. Aehnlich stimmen Seen in den Kesseln erloschener Krater, wie etwa der Lachersee am Rhein. Die Oede der vulkanischen Umgebung, in der die tiefen Wasser unbewegt stehen, wirkt melancholisch, aber zugleich feierlich und großartig, indem sie an die gewaltigen Naturkämpfe erinnert, die hier einst getobt. Wie wunderbar reizend erscheint gegen diese der grüne, bis zum Grunde durchsichtige Alpensee: ein Feenmärchen im Schoße der Waldberge beschlossen! Und nun gar die herrlich offenen Spiegel Italiens, Schottlands und der Schweiz, die großen Kristalle, um die eine gleichsam in der Natur verkörpert Phantasie den ganzen Reichtum ihrer kühnsten und prächtigsten Schöpfungen hergestellt


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