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Dritter Akt

Erste Szene

Leonie. Dora.

Dora: Gnädiges Fräulein, ich habe nochmals angerufen; der Herr Doktor ist nicht zu Hause.

Leonie: Hier ist ein Brief für ihn. Diesen andern aber bringen Sie zuerst an seine Adresse.

Dora: Jawohl, gnädiges Fräulein. Liest die Adresse, kehrt zurück. Verzeihung, gnädiges Fräulein, aber es geht, glaube ich, schneller, wenn Sie einfach dem Kommissär schreiben.

Leonie: Ja, wissen Sie denn –?

Dora: Verzeihen gnädiges Fräulein.

Leonie ändert die Adresse: Ich habe keine Erfahrung darin.

Dora: Ich schon. Freilich, die andern Duelle konnten dem gnädigen Fräulein gleich sein.

Es läutet.

Leonie: Schnell, sehen Sie nach, ob es Doktor Fork ist.

Dora ab.

 

Zweite Szene

Leonie. Merson. Rotau.

Rotau schiebt Dora fort: Keine Umstände, liebe Kleine. Unserer Leonie wird es niemals so schlecht gehen, daß sie ihre Kollegen nicht vorlassen könnte.

Leonie: Natürlich dürft ihr herein. Da sind Zigaretten. Wollt ihr sonst etwas?

Merson: Guten Tag, Leonie. Da ist deine Rolle zurück. Soeben wird sie mir geschickt; es ist doch wohl sicher ein Irrtum.

Leonie: Aber nein. Ich spiele sie nicht mehr.

Merson: Nach deinem Erfolg beim Publikum?

Leonie: Ich habe genug davon. Ich habe von allem genug.

Rotau: Wie kann man. Das ist Lästerung.

Merson: Ich weiß nicht, Leonie, was du vorhast; aber für so dumm, daß ich jetzt noch die Rolle nehme, darfst du mich nicht halten. Das ist kränkend.

Leonie: Du hast doch alles getan, um sie zu bekommen.

Merson: Willst du sagen, daß ich gegen dich arbeite? Du irrst, dazu genügen andere. Was die Kritik gegen dich sagt, darauf kann sie schließlich und endlich auch einmal von selbst verfallen.

Leonie: Du kennst es schon, bevor es erschienen ist?

Rotau: Aber meine Damen! Die Welt hat Ruhm genug für euch beide.

Leonie: Ach, lassen wir das. Ich schwöre euch, daß ich keine Hintergedanken habe. Noch heute bitte ich den Intendanten um meine Entlassung.

Merson: Gerade jetzt?

Rotau: Warum denn?

Leonie: Aus – Familiengründen.

Rotau: Ach so.

Merson: Daran glaubt man nicht mehr.

Leonie: Wenn ich von der Bühne gehe, muß es wohl ernst sein. Ich heirate.

Merson: Vielleicht heiratest du auch einmal; man wird schließlich schwach. Aber daß aus dieser Heirat nichts wird, liegt doch auf der Hand.

Rotau: Es wäre eine Degradation! Eine Infamie! Unsere Leonie! Man spannt das Genie nicht vor einen Karren.

Leonie: Ihr redet.

Rotau: Mach dir die Erfahrungen eines Kollegen zunutz, der ein paar Jahre länger dabei ist. Auch ich war einmal schlecht verheiratet. Meine Frau bekam sofort Zwillinge. Sie war eifersüchtig, sie reiste mir nach auf meinen Gastspielen und zog mein Idealbild herab ins Gemeine.

Leonie: Du Ärmster!

Rotau: Mein Heim war eine übervölkerte Kinderbewahranstalt. Meine Lorbeerkränze wurden zerpflückt, bildlich und wirklich.

Leonie: Nun, du hast sie noch gerettet.

Rotau: Mit Gottes Hilfe. Ich habe mich befreit. Die Kunst braucht Flügelfreiheit, um sich zu erheben, und die Menschheit mit.

Leonie: Die Menschheit. Deine Frau zu erheben, genügte dir nicht. Ich bin nicht so groß wie du.

Merson: Raoul, das ist Ironie.

Leonie: Nein ... Nur meine ich, die Flügel werden am Ende müde. Ich für meine Person fühle mich schon nicht mehr jung genug.

Merson: Verstehst du, Raoul?

Leonie: Wäre dir deine Frau jetzt nicht schon weniger unerwünscht?

Rotau: Ich glaube, du willst andeuten, daß ich alt werde? So wisse denn, Kind, daß Kunst dasselbe ist wie ewige Jugend und daß Ruhm kein Alter kennt. Sooft ich irgendwo auftrete, fliegen mir noch heute die Frauenherzen zu. Willst du sehen? Greift an die Brusttasche.

Merson: Wir wissen sie ja auswendig.

Rotau: Die Schufte geben mir hier keine großen Rollen mehr. Aber ich appelliere an das Land. Mein Name macht überall volle Häuser.

Merson: Volle Scheunen sogar.

Leonie: Leiser! Es ist schrecklich.

Merson: So weit hört er nicht. Er hört doch kein Stichwort mehr.

Leonie: Er macht mich krank vor Mitleid. Das ist die Zukunft.

Rotau: Ja, auch deiner, geliebtes Kind, wartet solch große Zukunft.

Leonie: Es scheint so. Es gibt wohl keinen Ausweg. Ich wollte mir ein wirkliches Leben schaffen, aber es ist fehlgeschlagen. Ich werde nicht mehr heiraten.

Merson: Nun also.

Rotau: Das Leben, meine Tochter? Unsereiner erspielt es sich.

Leonie: Mit Rollen, wo man inmitten der entsetzlichsten Herzensqualen noch immer die erste bleibt, die eine neue Mode trägt ... Nein, nicht diese Rollen. Eine andere. Ich weiß eine andere.

Merson: Was für eine?

Leonie: Da ihr mich nicht ernst nehmen wollt, oh! ich kann euch mit Komödie dienen. Auf Rotau zu: Ah! mein Freund, du weißt noch nicht, ich habe die Polizei benachrichtigt, aus dem Duell wird nichts.

Rotau: Aus welchem Duell?

Leonie: Du glaubst doch nicht, daß ich dich von ihm töten lasse. Ich brauche dich, deine Brutalität, die Gefahr in deinen Armen.

Rotau: Zu wem spricht sie?

Merson: Ich weiß nicht; es ist eine Rolle.

Rotau: Ach so. Geliebte, du kannst auf mich zählen.

Leonie: Ihn liebe ich nicht, sowenig wie dich. Ich bin eine Lügnerin.

Rotau: Ha!

Leonie: Wozu wolltest du ihn töten? Wir werden weniger genießen, du und ich, wenn er tot ist. Ich brauche euch beide, ihr sollt euch nicht schlagen.

Rotau: Und meine Ehre?

Leonie: Er war zu schwach, mit mir zu leben, du hast nicht den Mut gehabt, mich zu töten. Ihr seid feige alle beide.

Rotau: Ein Mann wie ich?

Leonie: Rette mich doch! Gib mir den Frieden! Reise ab, verschwinde! Ich will noch einmal versuchen, zu lieben und wahr zu sein. Soll ich denn hinfallen vor dir?

Rotau: Dich freigeben? Niemals. Ich bete dich an, und will dich zu meinen Füßen haben.

Leonie: Ich vergaß, dich bewegen keine Worte, kein Schrei. Nicht einmal ihn, der so schwach ist, bewegen sie. Denn was ich verlange, ist wohl gegen die Natur. Wer wahr sein will, überhebt sich. Nur im Spiel und mit uns selbst allein dürfen wir alles wagen und alles gestehn. Das Leben verlangt Demut; man hat es mir gesagt, es verlangt Lüge. Ich werde seine Frau sein, und wir werden uns einreden, wir gehörten uns ganz. Du aber wirst mich manchmal so küssen, daß wir beide glauben, wir seien bereit zu morden und zu fliehn.

Rotau: Ich bin bereit!

Leonie: Wir werden Mitleid haben, einer mit des andern Illusionen, mit seinen Lügen selbst. So werden wir einander abnutzen, werden ruhig werden; und was anfangs tödlich aussah, wird zum Schluß nichts gewesen sein als ein gewöhnliches Menschenleben.

Rotau: Wir Armen.

Pause.

Merson: Was ist das? Wie heißt das Stück?

Leonie: Ich weiß nicht.

Rotau: Bravo! Das war gut. Es war warm. Man merkt meine Schule. Du weinst sogar.

Leonie: Man tut, was man kann.

Merson: Dies liegt dir besser als die Clarissa, das ist zuzugeben. Die Kritik wird dir wieder sagen, daß du strahlst, vielmehr gleißt. Das ist man schon gewohnt zu sagen. Ich will aber ehrlich sein. In dieser Rolle hast du sogar Herz.

Leonie: Ich danke dir.

Merson: Nun sei aber auch du ehrlich. Was ist das, wie kommst du dazu.

Leonie: Wenn ich das selbst wüßte.

Rotau: Ganz glänzend. Du siehst mich ehrlich ergriffen. Damit kannst du reisen, Kind.

Merson: Mit wem intrigierst du? Was geht vor?

Leonie: Beruhige dich, Teckerl. Du irrst.

Merson: Ich kriege Herzkrämpfe. Die Clarissa soll ich dir nachspielen; du hast eine Bombenrolle; und du machst dich noch lustig.

Leonie: Ich versichere, daß ich dir nicht schaden will.

Merson: Aber du sollst mich kennenlernen.

 

Dritte Szene

Die Vorigen. Dora.

Dora bringt eine Karte: Ich habe die Dame ins Speisezimmer geführt.

Leonie: Oh! ... Plötzlich erregt: Entschuldigt mich, Kinder, etwas Wichtiges. Um Gottes willen, Teckerl, ich habe Spaß gemacht! Eine Rolle ist das nicht. Ich werde das niemals spielen, du darfst mir glauben. Dora!

Merson: Da ist deine Clarissa, ich nehme sie nicht.

Leonie: Dora! Rasch! Ein einfaches Hauskleid.

Mit Dora ins Schlafzimmer.

Rotau: Lebt wohl, verehrte Diva.

Merson: Pfui Teufel, kann man so falsch sein.

Rotau: So wird's gemacht, mein Kind.

Merson: Was glaubst du nun?

Rotau: Sache!

Merson: Auf der Stelle gehe ich zum Intendanten.

Rotau: Höher hinauf, mein Kind.

Merson: Du meinst? Bei ihr freilich weiß man nie. Gegen eine Kokotte ist mit ernster Kunst nichts zu machen.

Rotau: Wem sagst du das, mein Liebling. Das Theater: ich will dir etwas gestehen, es kann niemand geben, der es mehr verachtet als ich.

Merson und Rotau ab.

Leonie mit Dora aus dem Schlafzimmer: Wie seh ich aus?

Dora: Es ist schon richtig für die Dame, gnädiges Fräulein.

Leonie vor dem Spiegel: Ich habe zu viel Puder. Warum sagen Sie mir's nicht. Nimmt ihn weg. Führ die Dame herein.

Dora ab ins Speisezimmer. Leonie atmet tief, steht und blickt auf die Tür.

 

Vierte Szene

Leonie. Frau Seiler.

Frau Seiler in Schwarz, tritt scheu ein. Plötzlich stürzt sie vor Leonie auf die Knie: Geben Sie mir mein Kind zurück! Haben Sie Mitleid mit uns. Wir sind eine unglückliche Familie. Harry ist unser Ernährer.

Leonie: Gnädige Frau, ich bitte Sie, beruhigen Sie sich.

Frau Seiler: Sie machen ihn ehrlos! Denn er hat seinem Vater auf dem Sterbebett geschworen, daß er sich nicht früher verheiraten will, als bis seine kleinen Geschwister versorgt sind.

Leonie: Er hat mir nie davon gesprochen. Was bedeutet auch solch Schwur.

Frau Seiler springt auf: Ihnen ist wohl nichts heilig. Mit Ihnen muß ich anders reden. Außer sich: Es ist am Äußersten. Wieviel wollen Sie haben, wenn Sie ihn freigeben.

Leonie weicht zurück: Mein Gott ... Ich wollte für Harrys Mutter, sie hätte das nicht gesagt.

Frau Seiler schmollt: Was soll ich denn sagen. Ich will doch mein Kind retten.

Leonie: Vor mir? Sie wissen freilich nicht, daß ich ihn grad eben gerettet habe.

Frau Seiler: Sie?

Leonie: Er wollte sich schlagen, und ich habe es verhindert.

Frau Seiler sinkt in einen Sessel: Oh!

Leonie: Eine Frau, die nur an sich denkt, tut das nicht.

Frau Seiler: Was war geschehen? Das ist, um den Verstand verlieren.

Leonie: Ich habe erfahren, daß Harry sich schlagen wollte.

Frau Seiler: Für Sie!

Leonie: Nein, nein ... Jemand hatte mich verleumdet.

Frau Seiler: Einer Ihrer Liebhaber!

Leonie: Jemand, den ich nie gesehen habe ... Eine hochgestellte Persönlichkeit.

Frau Seiler: Harry hat ihn gefordert?

Leonie: Ersparen Sie mir doch das übrige. Ich bin noch zu krank von alledem. Ich habe mich gedemütigt, habe eingestanden, was ich nie beging. Harry ist so stark, so ehrlich. Er liebt mich so rückhaltlos, ich bin ihm die ganze Welt wert. Wie konnte ich ihn sterben lassen. Jetzt verachtet er mich wohl. Ja, er haßt mich. Aber lieber das schwerste, lieber auf ihn verzichten, als daß er stirbt.

Frau Seiler: Sie verzichten? Ist das denn wahr?

Leonie: Ich tue, was Sie wollen. Ich gebe Ihnen Ihr Kind zurück.

Frau Seiler: Ich kann es nicht glauben. Sie lieben Harry wohl nicht mehr?

Leonie: Haben Sie mich nicht für eine Spekulantin gehalten?

Frau Seiler: Nun ja. Aber Sie retten ihn? Sie sind unsere Wohltäterin? Wie soll ich das fassen?

Leonie: Ich habe ihn sehr geliebt. Das können Sie wohl fassen, Sie, seine Mutter.

Frau Seiler: Habe ich Sie so falsch beurteilt? Aber Sie sind es doch, die ihn mir entfremdet hat.

Leonie: Nicht ich. Sie waren es selbst.

Frau Seiler: Ich habe uns verteidigt. Sollte ich dulden, daß Sie die Einkünfte unserer Fabrik verschlangen?

Leonie: Ich schwöre Ihnen –

Frau Seiler: Schwören Sie nicht! Reisen nach Paris, Feste, Toiletten. Die zukünftige Frau eines simplen Fabrikanten trägt nicht solch ein Hauskleid ... Und Sie betrügen Harry.

Leonie: Nein! Sie beleidigen mich.

Frau Seiler: Wie kann Sie das beleidigen? Böse: Sie werden doch nicht leugnen, daß Sie vor Harry schon Liebhaber hatten. Es mag wohl nicht leicht sein, mit allen rechtzeitig zu brechen. Harry ist blind, und er läßt sich die Augen nicht öffnen. Warum aber sollen Sie auch noch seine Mutter belügen.

Leonie: Ich belüge nicht einmal ihn. Ich habe nur einmal gelogen: eben heute, da ich zugegeben habe, daß ich schuldig sei. Und mit dieser Lüge habe ich ihm vielleicht das Leben gerettet.

Frau Seiler: Es ist wahr, Sie haben ihm das Leben gerettet. Mein armer Harry!

Leonie: Er ist nicht zu bedauern, gnädige Frau, weil ich ihn liebe. Verstehn Sie doch, wie's gekommen ist. Sie sind eine Frau, und sind seine Mutter. Er ist anders als die meisten Männer.

Frau Seiler: Ich weiß das nicht. Ich hab ihn richtig erzogen.

Leonie setzt sich, niedriger als Frau Seiler: Ich wußte auch nicht, daß ich ihn so ganz anders würde lieben müssen. Er ist feiner und weicher. Er hat mich nicht überwältigt: er hat mich tausendfach umklammert. Jetzt bin ich wehrlos, bin viel schwächer geworden durch ihn, als ich war ... Ich verzichte. Sie haben Ihren Sohn zurück. Aber es wird wohl mein Ende sein.

Frau Seiler: Das sagt man immer. Erregt mein Sohn wirklich solche Leidenschaft? Und bei Ihnen, die so viel verehrt wird! die so berühmt ist!

Leonie: Glauben Sie, daß man davon lebt? Manchmal stirbt man daran ... Ich war doch, als ich damals von Hause fortging, ein junges Mädchen wie alle. Sehen Sie, wie ganz allein ich nun bin. Die andern wissen das nicht; sie denken, man ist so geschaffen, ganz für sich. Ich habe in diesen acht Jahren vieles durchgemacht, wovon niemand etwas ahnt. Es war wenig Gutes und sehr, sehr viel Schlimmes. Ich bin noch immer allein damit fertig geworden. Sie sind die erste, der ich klage.

Frau Seiler über Leonie gebeugt: Kind, Sie sprechen, als ob es wirklich ernst wäre.

Leonie gleitet auf die Knie: Glauben Sie mir nun? Ich bin nicht die Theaterprinzessin, die Ihr Kind verdirbt. Ich bin eine arme Frau, die leben will, und habe zum Leben nur ihn.

Frau Seiler: Wollen Sie ihn wirklich so liebhaben? Meine Tochter? Wenn Sie nicht als Schauspielerin gesprochen haben, dann sind Sie meine Tochter.

Leonie küßt Frau Seiler die Hand: Ich spreche doch nur so zu Ihnen, weil ich weiß, Sie werden meine Mutter sein. Müßte ich sonst nicht sterben vor Scham?

Umarmung. Pause.

Frau Seiler steht auf: Seien Sie heute abend bei uns, wollen Sie? ... Sie sind aber sehr schön eingerichtet.

Leonie: Was mir daran noch liegt. Sie sollen sehen, ich werde geizig werden.

Frau Seiler: Sie sind ein sonderbares Mädchen. Wie nur Harry an Sie geraten ist.

Leonie langsam: Er hat mich zuerst, wie Sie, für eine Prinzessin gehalten. Stürmisch: Wie glücklich bin ich, daß Sie mich jetzt kennen.

Frau Seiler: Aber Sie entzücken mich ja, ich weiß nicht wie. Jetzt muß ich Harry sprechen. Auf heute abend.

Leonie begleitet Frau Seiler hinaus: Auf heute abend.

 

Fünfte Szene

Leonie. Dann Harry.

Leonie kehrt zurück, geht umher, bleibt stehen, hebt selig den Kopf, breitet die Arme aus: Welch Triumph! Sie setzt sich, sinnt und lächelt. Ich bin müde und glücklich, wie nach einer großen Rolle. Erschrickt. Um Gottes willen ... Wie ich mich verachte!

Pause. Es klopft. Harry tritt ein.

Leonie ihm rasch entgegen: Mein Liebling! Wir sind glücklich, wie? An seinem Hals: Es kommt nicht zu früh; aber genug, es kommt.

Harry: Was kommt denn?

Leonie: Du hast deine Mutter gesehen?

Harry: Heute früh, sie war noch schlimmer als sonst. Sie hat mir mit furchtbaren Enthüllungen gedroht, für später, nach der Hochzeit.

Leonie: Was für Enthüllungen? Jetzt eben bist du ihr nicht begegnet?

Harry: Ich war auf der Polizeidirektion. Man ist von dem Duell unterrichtet, es kann nicht mehr stattfinden. Ich möchte wissen, wer uns angezeigt hat.

Leonie: Ich, Lieber.

Harry: Du? Also du entehrst mich.

Leonie: Ich lasse dich nicht sterben.

Harry: Fork wird glauben, wir haben uns verabredet. Die ganze Stadt wird es glauben, ich selbst würde es. Das ist wohl deine Liebe?

Leonie: Laß doch, ich bitte dich.

Harry: Damit du deinen Willen bekommst, trittst du mein wichtigstes Interesse mit Füßen.

Leonie: Ist nicht unser wichtigstes Interesse, daß wir uns lieben? Laß das Duell, das sind alte Geschichten. Deine Mutter war hier.

Harry: Bei dir?

Leonie: Ja; und sie ist gewonnen. Sie billigt unsere Heirat. Du siehst, daß du leben mußt.

Harry: Ach was. Und du glaubst ihr's.

Leonie: Wer so miteinander gesprochen hat wie deine Mutter und ich.

Harry: Glaube ihr doch nur nicht. Sie ist verrückt. Heute abend ist wieder alles anders.

Leonie: Heute abend soll ich bei euch sein.

Harry: Du hast sie um ihren Willen geredet, du hast ihr imponiert oder sie gerührt, was weiß ich. Nicht umsonst bist du eine Schauspielerin, eine große Schauspielerin.

Leonie: Ich bin eine Frau, die liebt.

Harry: Aber wenn du meinst, daß deine Wirkung dauert –

Leonie weich, eindringlich: Du sagst das, du?

Harry kläglich: Verzeih, Leonie.

Leonie: Wo ist euer Ernst, die ihr keine Komödianten seid? Ich habe deiner Mutter meine ganze Seele hingegeben; und für euch dauert das nicht bis zum Abend?

Harry: Verzeih! Verzeih! Aber du kennst sie doch. Bis abends erfährt sie wieder irgend etwas. Für wen ist die Lage schwerer zu ertragen als für mich.

Leonie: Es ist aber keine Gefahr; denn, Harry, ich habe deiner Mutter alles gesagt.

Harry schnell: Mehr als ich selbst weiß?

Leonie: Nein. Es gibt doch nichts. Oder hast du einen Verdacht? Bist du nicht ganz aufrichtig?

Harry: Und du?

Leonie: Sei aufrichtig! Halte zu mir! Die Hände auf seinen Schultern: Du!

Harry: Ich habe es getan, soviel ich konnte.

Leonie: Wir, die wir das ganze Leben zusammenbleiben wollen!

Harry: Mir scheint es fast leichter, zusammen zu sterben.

Leonie: Weil du den Kampf scheust? Ich aber will kämpfen ... Was hast du? Sieh mich an!

Harry: Ich bin endlich müde.

Leonie schreit: Du willst nicht mehr!

Harry: Ich sage nicht –

Leonie über der Lehne eines Sessels zusammengebrochen: Ach! du entgleitest. Nie das letzte Wort, nie der tiefste Gedanke. Wie ihr schwankend seid, weich und kalt. Wer grad hindurch will, mattet sich ab an euch.

Pause.

Leonie richtet sich auf: Warum hast du Fork gefordert?

Harry: Weil er dich verleumdete.

Leonie: Du weißt, daß es keine Verleumdung war.

Harry: Leonie!

Leonie: Du weißt es.

Harry: Wie magst du mir das sagen.

Leonie: Hast du's nicht gewollt? Du sinnst schon längst auf nichts anderes, als wie du mich los wirst.

Harry: Ich bin krank, mit der ganzen Welt liege ich im Kampf, deinetwegen: und du verrätst mich, du machst mich zum Gespött. Dirne!

Leonie: Danke Gott, daß ich eine bin. Du darfst mich verlassen ohne Bedenken. Du bist zu anständig, mein Lieber, zu gütig, zu fein. Da du mich lange genug besessen hast, warum noch so viele Anstrengungen, nicht wahr? Was schuldest du mir, du hast mich doch nicht verführt. Daß ich dir mehr gegeben habe, als ein Mädchen gegeben hätte, oh, das zählt nicht: daß ich zum erstenmal mich selbst gegeben, mich aufgegeben habe, und daß ich mich nie mehr zurückbekomme.

Harry: Leonie, an allem ist wohl das Schicksal schuld. Ich habe Mitleid mit dir.

Leonie: Mir fehlt nur noch dein Mitleid. Ein schönes Schicksal, das gelenkt wird durch deine Schwäche und Heuchelei. Was sprichst du immer von Sterben und von Gift? Hast du letzthin mit Gift zu tun gehabt? Der Sainthal ist daran gestorben. Es gibt noch mehr Dinge, die du dir selbst nicht gestehst.

Harry: Was heißt das?

Leonie: Dem Sainthal gab es Fork, und wer gab es dem?

Harry zuckt zusammen.

Leonie: Da! Lügner!

Harry: Ich weiß nichts. Muß ich's denn wissen? Ich gebe täglich Gift fort, an Apotheker, an Ärzte.

Leonie: Und du glaubst das selbst... Daß du lügst: gut. Daß du sogar mir lügst: gut. Aber daß du auch dich vor eigenen Gedanken durch eine Wand schützest, durch Schloß und Riegel! Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn du immer von Gift sprichst? Nein, du weißt es wirklich nicht. Ich, ich weiß es längst; aber ich lerne von dir, mich selbst zu betrügen. Es heißt: ich soll es nehmen.

Harry: Mein Gott! Welch ein Wahnsinn!

Leonie: Ich soll dich befreien. Ich soll dir helfen, anständig, fein und gütig zu bleiben und mich dennoch los zu werden.

Harry: Hör auf! Du lästerst. Ich, der ich so namenlos um dich gelitten habe.

Leonie: Das leugne ich nicht. Leise und sanft quälst du mich zu Tode, und deine Entschuldigung ist eben, daß auch du leidest.

Harry: Ich selbst wollte sterben: das vergißt du. Ich wollte mich schlagen für dich und wünschte mir zu sterben für dich.

Leonie: Nicht für mich, nur aus Feigheit, um der Wahrheit endgültig ledig zu sein und nie zu erfahren, daß du mich verlassen wolltest, und daß ich dich betrogen habe.

Harry: Ich wollte sterben, nachdem du mich betrogen hattest. Das sind die Tatsachen.

Leonie: Oh! die Tatsachen habt ihr immer für euch. Die Wirklichkeit ist nur der Körper eurer Lügen. Ich habe es gelernt durch dich. Du glaubst, ich liebte dich noch? Ich wollte zur Ruhe kommen durch diese Heirat, und auf Fork würde ich darum nicht verzichtet haben.

Harry: Schweig!

Leonie: Was für eine Komödie ich deiner Mutter vorgespielt habe! Die arme Frau!

Harry: Ich bin an einem Abgrund hingegangen.

Leonie: Und ich? Ich kannte nur die Kunst, ich war bei mir und war wahr. Ihr wolltet mich zur Lügnerin machen. Wie der Ernst des Lebens schmutzig ist. Ich bin ihm noch entronnen. Es ist aus.

Harry: Es ist aus. Leb wohl. Geht zur Tür.

Leonie: Leb wohl. Ich werde wieder Komödie spielen. Ein schlechter Künstler, wer an ein Glück glaubt, das nicht Spiel wäre ... Harry! Du gehst wirklich? Was soll ich tun.

Harry: Du wirst Komödie spielen.

Leonie: Kann ich's denn noch? Durch dich hab ich's verlernt. Alles ist anders geworden: ich kann nicht mehr allein sein. Ich will mich nicht mehr spielen sehen. Ich liebe mich nicht mehr. Auf ihn zu: Dich lieb ich, dich!

Harry: Das ist nicht wahr. Es war niemals wahr.

Leonie: Ich schwöre es. Ich wollte mich rächen, als ich es leugnete. Aus Verzweiflung hab ich dich betrogen. Ich liebe dich.

Harry: Nein. Sondern du bist einsam und leidest Angst. Lieben kannst du nicht.

Leonie prallt zurück: Ist das das Letzte? Nun geh! Ah! ich kann nicht lieben. Aber bei wem ist die Schuld? Wäret ihr denn stark genug, dies schwere Herz zu tragen? Geh! ... Harry!

Harry wendet sich um.

Leonie: Nein, geh!

Harry ab.

 

Sechste Szene

Leonie. Dann ein junges Mädchen.

Leonie ruft nach der Tür hin: Ja, ja, was mir geschieht, ist gerecht. Ihr seid gerecht. Sie stößt die Tür auf. Kein Mensch! Schläft denn alles um mich her? Ich bin wie begraben. Luft!

Sie öffnet das Fenster, der Vorhang flattert auf. Sie geht keuchend umher. Dämmerung.

Ein junges Mädchen erscheint in der Tür.

Leonie aufschreiend: Wer ist da? Was tun Sie hier?

Das junge Mädchen: Verzeihung. Die Türen standen offen. Da bin ich hereingekommen. Ich habe auch geklopft, aber Fräulein hörten nicht.

Leonie: Ich – arbeitete an einer Rolle.

Das junge Mädchen: Wie schön!

Leonie: Ich glaube, Sie bringen mir Blumen?

Das junge Mädchen: Aber wenn ich Sie störe –

Leonie: O nein! Das eilt nicht. Ich habe das nicht so bald wieder zu spielen ... Schöne Blumen.

Das junge Mädchen: Für die Clarissa. Ich danke Ihnen so heiß. Wenn ich es schon gestern abend gewagt hätte –

Leonie: Warum denn nicht? Zu einer Schauspielerin kommt jeder, der mag. Darauf ist sie stolz.

Das junge Mädchen: Ach, Fräulein Hallmann, doch nicht, weil ich komme. Freilich bring ich Ihnen meine ganze Seele.

Leonie: Gewiß macht mich das stolz – und vieles andere auch. Denken Sie: heute sollte meinetwegen schon wieder ein Duell sein. Lacht auf, bricht ab. Aber Sie sind sehr jung: warum gefällt Ihnen gerade die Clarissa. Es ist doch eine Frau, die viel durchmacht.

Das junge Mädchen: Ja, aber durch Sie, Fräulein, wird alles edel. Unser Literaturprofessor sagt, Sie werfen über alles den Schleier des Ideals.

Leonie: Der auch? Merkwürdig, wie viel man verehrt wird. Man müßte eigentlich glücklich sein.

Das junge Mädchen: Sind Sie es denn nicht? O Gott, das wollte ich nicht sagen.

Leonie: Man wird anspruchsvoll bei einem Dasein wie meins. Ja, man verlangt vom Leben zuviel.

Pause.

Das junge Mädchen: Ich wollte auch zum Theater.

Leonie: Natürlich.

Das junge Mädchen: Aber seit gestern abend will ich nicht mehr. So schön wie Sie werd ich niemals sein, und soviel leiden werd ich auch nicht können.

Leonie: Liebes kleines Mädel! ... Denken Sie an mich, wenn Sie einmal sehr glücklich sind ... Da, nehmen Sie mein Bild. Auch das. So war ich, als ich ganz jung war.

Das junge Mädchen: Aber Sie geben mir zuviel. Was bleibt dann Ihnen?

Leonie: Ich brauche keine Bilder. Ich sehe das alles mit geschlossenen Augen – und bin froh, daß es vorüber ist.

Das junge Mädchen: Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen. Nicht nur für die Bilder: für alles. Für Ihr ganzes Leben. Ab.

Leonie blickt nach der Tür: So war ich nie. Wenn ich verehrt hätte, mich gebeugt hätte, dann war ich nicht hier. Dann wär es jetzt nicht ernst, nicht todernst. Aufschreckend: Es ist aus. Schrecklich! Ich habe mich verraten. Harry! ... Nie wieder? ...

Doch! Ich weiß einen Beweis. Du sollst staunen, wie sehr ich dich geliebt habe. Das ist kein Spiel, was so endet.

Ab ins Schlafzimmer. Man hört von innen die Tür verriegeln.

 

Siebente Szene

Harry. Dann Dora.

Harry: Leonie! Er sieht umher, blickt ins Speisezimmer, drückt den Türgriff des Schlafzimmers nieder: Leonie! öffne, ich bitte dich ... Ich bin da, Leonie. Du hast doch nicht geglaubt, wir könnten uns so trennen ... Antworte mir! Was tust du? Leonie! Mein Gott! Ist denn etwas –. Zur Tür: Dora, Dora! Es muß etwas geschehen sein. Das gnädige Fräulein öffnet nicht. Wie lange ist sie schon drinnen?

Dora: Noch vor zehn Minuten war eine Dame hier. Horcht. Das gnädige Fräulein ist auf.

Harry horcht: Was tut sie? Sie gurgelt.

Dora: Das gnädige Fräulein war sehr erhitzt.

Harry: Heute abend soll sie spielen. Es ist nichts Besonderes geschehen. Sie öffnet nicht, weil sie nervös ist. Leonie, öffne! ... Um Gottes willen, rasch einen Schlosser. Ruft Dora nach: Bringen Sie den Doktor Fork mit! Laufen Sie!

Dora ab.

Harry: Leonie! Vertrau mir doch. Du begreifst: im ersten Augenblick –. Du hattest mir Dinge gesagt, die kein Mann leicht hinnimmt. Aber du siehst, ich bin zurückgekehrt, ich glaube dir, ich vertraue dir. Pause. Er horcht, er rüttelt. Leonie! Es ist doch nicht zu spät? Mitleid! Leonie!

 

Achte Szene

Harry. Fork. Bella.

Fork: Was stehn Sie da und jammern. Tritt die Tür ein. Leonie liegt hinter der Tür auf einem Diwan.

Bella schreit auf.

Harry bricht vor dem Diwan in die Knie: Leonie! Hör mich an!

Fork: Sie braucht Sie nicht mehr anzuhören. Er richtet Leonie auf, sie fällt zurück.

Harry: Sie ist nicht tot!

Bella: Wie furchtbar! Sie hat keine Zunge mehr. Was ist aus ihren schönen Händen geworden.

Harry: Sie hat mich geliebt. Sie war ein Kind, ein unschuldiges Kind.

Fork: Ich bürge dafür ... Seien wir ehrlich. Wir dürfen sagen, daß wir sie getötet haben.

Bella: Ihr? Sie kannte nur sich. An uns hat sie nicht gedacht. Bei verriegelter Tür hat sie sich zum Sterben hingelegt und nicht daran gedacht, daß wir fühlende Menschen sind. Sie hat gespielt. Sie hat sich ihren Tod gespielt. Ich beneide sie.

Vorhang.

   


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