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Zweiter Akt

Hotel-Terrasse am Meer. Links Glastür in den Salon.
Mehrere Tische. Blühende Büsche unter dem Geländer. Blauer Himmel und blaues Meer.

 

Erste Szene

Liane. Gaßner.

Gassner sitzt und zeichnet.

Liane in weißem Kleid, an das Geländer gestützt: Und wenn ich nicht dennoch ja gesagt hätte?

Gassner: Es war nicht anders möglich! Sie mußten mich rufen, Sie mußten kommen!

Liane: Ich wußte wohl. Je länger unsere Trennung währte, desto unumstößlicher ward es, daß Sie in meinem Leben das einzig Notwendige sind. Ohne Sie wäre ja alles sinnlos. Ich habe im Grunde immer gewußt, ich würde Ihre Geliebte sein: schon bevor Sie kamen. Es hat nur so lange gedauert, bis Sie kamen.

Gassner: Ihre Briefe in dieser Wartezeit! Sie wollten vernünftig sein und waren ungeduldig. Sie rieten mir Ruhe und Zweifel an, und ich hörte nur Sehnsucht, Überdruß an allem, was uns hemmte, den Kampf um das Glück!

Liane: Es war wundervoll, wenn ein Brief von Ihnen da war. Alles erhielt Tiefe und Würde. Ich glaube an das Wunder, das mich bezwungen hat.

Gassner: Es kam immer näher, das Wunder, jeden Morgen, mit jedem Blatt von Ihrer Hand! Es war wie das Anschwellen einer heißen, starken Musik –

Liane einfallend: – die Sie selbst geschrieben hätten.

Gassner: Ich? Ich arbeitete nur noch mit halber Kraft. Ich konnte nichts mehr, als die Morgenstunde erwarten, in der Ihr Brief kam.

Liane lächelnd: Und jetzt? Werde ich Sie denn immer hindern, Ihren Beruf zu erfüllen und den Leuten schöne Werke zu geben?

Gassner: Mein Beruf ist, Sie zu lieben. Wir sollen ein Wesen lieben und bei ihm lernen, den Herzen aller Menschen ein wenig weiter zu helfen, aus Torheit, Brutalität und Einsamkeit heraus. Kunst ist ein Mittel dazu. Sonst wäre sie eitles Spiel.

Pause.

Gassner: Freilich, gelernt muß man einiges haben. Und das da – er hält seine Zeichnung empor – habe ich niemals gelernt. Aber mir scheint, es wird sogar ähnlich.

Liane: Ähnlicher, als wenn Sie irgendein Maler wären.

Gassner: Falls die Kraft der Vision es macht –. Denn, Liane, ich weiß Sie auswendig. Tritt zu ihr. Innig: Dies ist das Gesicht, in das ich länger geblickt habe als in alle andern Menschengesichter. Meer und Himmel in unvergänglicher Bläue, und umflossen davon dies geliebte Gesicht. Das ist nun das Leben, so ist das Glück.

Liane: Sieh mich an! Sieh mich immer an! Unter deinem Blick wird mir leicht. Ich fühle, daß ich nicht mehr allein bin. Alles ist gut, ich habe nie gelitten, ich war nie einsam.

Gassner: Du wirst es nie mehr sein.

Liane plötzlich traurig: Nie mehr? Bleibt dieser Himmel denn immer wolkenlos?

Gassner: Süße Frau! Ich weiß wohl, du hast Furcht, es könne enden. Meinst du, ich sehe dich nicht zweifeln? Durch deine Augen streichen Schatten, dann zweifelst du.

Liane das Gesicht an seiner Schulter: Du siehst alles, für dich braucht es keine Worte, bei dir bin ich geborgen ... Nein, ich zweifle nicht, daß wir uns immer lieben werden ...

Gassner: Siehst du.

Liane suchend: Wie soll ich es sagen. Du verstehst mich doch, bevor ich selbst mich verstanden habe. Gibt es nicht für unsereinen Stunden, wo die tiefste Zusammengehörigkeit vergessen ist? Man fühlt die Liebe nicht immer. Man sieht sich an und erstaunt, wie fremd man ist. Plötzlich aber, wie wunderbar schön, erkennt man sich.

Gassner: Ich liebe dich immer.

Liane: Immer? So sehr wie ich, kann niemand zu allen Stunden lieben.

Gassner: Kaum hab ich dich verlassen, sehne ich mich schon nach dir.

Liane: Ich sehne mich am meisten nach dir, während du da bist. Sie gibt sich in seine Arme.

Pause.

Gassner: Hat dein Mann endlich geschrieben?

Liane trennt sich von ihm: Ja, warum?

Gassner: Ich merke es wohl, wenn du mich weniger liebst. Dann hast du Gedanken, die nicht mich angehen.

Liane: Was meinen Sie? Die Dinge daheim? Dort ist alles in Ordnung. Ich war töricht, mir einen Augenblick Sorgen zu machen wegen meines Mannes. Sein Schweigen hatte nur geschäftliche Gründe.

Gassner: Daß ich wochenlang mit dir an einer einsamen Küste bin, das scheint ihm natürlich?

Liane: Meine Freunde besuchen mich, wo immer ich hingehe.

Gassner: Ich weiß, zehn Tage noch und dein Freund Viktor Türk besucht dich hier. Warum nicht? Die Gesellschaft gibt ihm dieselben Rechte an dich wie mir.

Liane: Mein Mann schreibt mir, daß die Freundschaft des Herrn Türk ihm in diesem Augenblick besonders wertvoll ist. Es handelt sich, wie mir scheint, um ein wichtiges Geschäft. Sie aber, oh, sogar die Gesellschaft gibt Ihnen größere Rechte als anderen. Denn Sie sind berühmt. Man darf sich anstandslos Ihr Bild auf den Tisch stellen.

Gassner: Sage »Du« zu dem berühmten Mann.

Liane: Wozu einander immer daran erinnern, daß wir intime Stunden haben. Sie sollen ganz geheim bleiben, – leidenschaftlich – bis sie wieder da sind.

Gassner: Oh! du verstehst zu lieben. Wenn ich je etwas geleistet habe, du bist mein Lohn.

Liane: Fassen Sie mich lieber nicht als Lohn auf. Es kann sein, daß Sie es mit mir schwerer haben werden als mit Ihren Arbeiten.

Gassner: Das Schwere ist, daß Sie einen Mann haben und ihn mir nicht haben opfern wollen.

Liane: Kind!

Gassner: Ich denke seiner mit Beschämung. Die Frau, die durch die tiefsten menschlichen Rechte mein ist, gehört vor der Welt einem andern.

Liane: Ich hätte mich der Gefahr ausgesetzt, mein Kind zu verlieren. Sie tun unrecht, daß Sie darauf zurückkommen.

Gassner: Nicht offen und ehrlich handeln zu dürfen! Sie mögen mir glauben, es mußte schon um das Glück meines ganzen Lebens gehen –

Liane: Damit Sie ihn betrogen? Nachdenklich: Ich habe nicht das Gefühl, ihn zu betrügen. Was ich Ihnen gebe, hat er nie von mir bekommen. Er würde es mir wohl nicht einmal danken. Er verliert nichts, vielleicht gewinnt er sogar. Ich werde ihm eine angenehmere Frau sein, möglichenfalls. So sind wir ja.

Gassner: Das Wunderbare ist, daß ich sein Kind liebe. Da es Ihres ist, liebe ich es mehr, als wenn es mein eigen und das einer andern Frau wäre.

Liane: Das ist ein Wort von dir!

 

Zweite Szene

Die Vorigen. Martin. Martin klopft an der Tür. Liane und Gaßner entfernen sich voneinander.

Martin: Befehlen die Herrschaften, daß ich den Tee hier draußen serviere?

Liane: Freilich. Wie immer. Es bleibt doch immer schönes Wetter bei euch?

Martin: So viel an mir liegt, gnädige Frau.

Gassner: Wir bitten um Ihre Protektion. Und sorgen Sie um Gottes willen auch dafür, daß die alte Französin sich nicht wieder hier herauf verirrt.

Liane zu Gaßner: Was haben Sie? Die alte Dame ist sehr angenehm.

Martin: Sie wird nicht kommen. Ich habe ihr eine wunderbare Laube gezeigt. Madame war entzückt.

Gassner: Den langen Herrn mit der Mütze habe ich seit heute früh nicht gesehen.

Martin: Er hat sich ein Boot genommen. Er langweilt sich. Wir sind ja noch in der Vorsaison; alle langweilen sich: besonders wenn sie hier vorüberkommen.

Liane: Warum denn?

Martin harmlos: Weil die gnädige Frau und der Herr Doktor sich nicht langweilen.

Gassner zu Liane: Sie fürchten sich vor uns. Ich kenne das.

Liane: Die Armen. Das große blonde Fräulein, mit der alten Dame, hat es denn noch keine Bekanntschaft?

Martin: Das ist eine Komtesse Törreck. Im Hotel schaut sie niemand an. Aber es ist ein Auto mit Herren gekommen. Die Komtesse ist mit ihnen am Tennisplatz.

Liane sieht hinab: Wirklich, sie spielen ... Die Komtesse spielt elegant.

Gassner: Sie interessiert das?

Liane: Sie nicht?

Gassner: Wenn Sie es wären, statt der Komtesse.

Liane: Die Komtesse gefällt mir.

Gassner: Eine blonde Stange.

Liane enttäuscht: Warum sagen Sie das?

Martin: Der Tee ist serviert. Darf ich das kleine Fräulein und die Miß rufen?

Liane: Bitte.

Drinnen im Salon entsteht Lärm und Kindergeschrei.

Liane: Um Gottes willen, die beiden werden sich doch nicht umbringen.

Martin: Nur eine Meinungsverschiedenheit, gnädige Frau.

Liane: Alice!

 

Dritte Szene

Die Vorigen. Alice. Miß Tornton.

Liane: Miß Tornton, was ist Furchtbares geschehen?

Alice: Miß will, daß ich den Ball wiederfinde. Ich kann ihn doch nicht finden.

Liane: Miß Tornton hat ganz recht. Wenn du ihn verloren hast, such ihn.

Alice wirft sich gegen die Wand und weint laut.

Liane: Du blamierst mich, jetzt, da du weißt, daß ich nichts tun kann. Das ist nicht fair.

Alice ist plötzlich still.

Gassner: Du armes Kind. Der böse Ball ist weggelaufen. Aber komm, wir werden ihn zurückholen, und dann wirst du ihn bestrafen.

Miss Tornton: Alice folgt nicht. Es ist sehr schwer mit Alice.

Liane: Hörst du, was Miß Tornton sagt?

Alice: Mutti, Herr Christoph wird in den Garten gehen und ihn holen.

Liane: Herr Christoph wird einem so schlimmen Kind nicht beistehen. Du wirst dich still niedersetzen und deine Milch trinken.

Miss Tornton: Alice folgt nicht. Sie muß den Ball suchen.

Liane: Später. Jetzt wünsche ich, daß sie die Milch trinkt. Wie wär's, Alice, wenn du den Martin bätest.

Alice: Bitte, lieber Martin.

Martin: Das Fräulein Alice kann immer auf mich zählen. Ab.

Gassner: Sehen Sie, gnädige Frau, daß nicht ich allein diese Schwäche habe?

Sie setzen sich um den Teetisch.

Alice: Mutti, bekomm ich heute zwei Stück Kuchen?

Liane: Eins wird genügen.

Gassner: Möchtest du meins?

Alice: Mutti erlaubt es nicht.

Gassner: Wir werden sehen. Gnädige Frau?

Liane: Nehmen Sie nicht Partei gegen mich, ich bitte Sie.

Gassner: Verzeihen Sie mir. Es ist so natürlich, daß ich dem Kind ein Vergnügen machen möchte. Was kann ich weiter tun für Ihr Kind?

Liane: Sie schmeicheln sich bei Alice ein, auf meine Kosten. Das ist nicht recht.

Gassner: Eifersüchtig?

Liane: Sie haben nicht die Verantwortung zu tragen für Alices Erziehung.

Gassner: Leider nicht. Aber wenn es nur darauf ankäme, wie lieb man ein Kind hat ...

Alice schmiegt sich an Liane: Liebe, liebe Mutti.

Liane zu Alice: Schau, die Leute kommen vom Tennisplatz. Siehst du die schöne Dame? Auch du wirst einmal Tennis spielen. Meine Tochter wird außerordentlich schick sein und mir Ehre machen.

Gassner: Eine blonde Stange wird sie zum Glück nicht werden. Sie wird so klug sein, ihrer Mutti zu gleichen.

Liane: Das war kein glückliches Kompliment, lieber Herr Christoph. Sie wissen, solche Frauen gefallen mir.

Gassner: Weil sie der Gegensatz zu Ihnen selbst sind, und weil Sie, gnädige Frau, zu fein sind, um sich nicht nach Ihrem Gegensatz zu sehnen. Freilich, diese gut gehaltenen Rassefrauen, die Sie beneiden, kennen solche Sehnsucht nicht. Sie sind stärker.

Liane: Grund genug, sie zu beneiden.

Sie sind vom Tisch aufgestanden und stehen vorn an der Balustrade. Miß Tornton ist damit beschäftigt, Alice die Tasse leeren zu lassen, sieht aber mehrmals, sich steif aufrichtend, nach Liane und Gaßner hinüber.

Gassner: Um ihre Grenzen und Scheuklappen? Weil es Frauen sind, die eigentlich hundert Jahre vor Ihnen gelebt haben? Von allen Feinheiten eines Herzens wie des Ihren nie erfahren können und Ihnen nichts zu bieten haben als die Vervollkommnung der äußeren Zucht?

Liane: Das ist genug. Es gibt Zeiten, wo es für mich alles ist, Sie kennen mich nicht, wie ich bin, wenn ich unter solchen Leuten lebe, in Biarritz oder Rimini. Ich denke an nichts als den neuesten Sport und den gerade aktiven Flirt.

Gassner: Aber an den Flirt denken Sie nur. Von den schönen Männern in Rimini ist keiner Ihnen nahegekommen.

Liane: Wer weiß? Einer dieser herrlichen Conti war zu schön, ich glaube nicht, daß es viele Frauen gibt, die ihm widerstanden hätten.

Gassner gezwungen: Jetzt also fangen die Geständnisse an?

Liane: Oh, so unbedeutende. Es waren nur acht Tage, in denen er mir – Eindruck machte. Als er mich dann zu Hause besuchte, war der Zauber schon verbraucht.

Gassner: Acht Tage ...

Liane: Während derer ich nicht auf Sie gewartet habe, mein Prinz.

Gassner aufatmend: Versucherin! Sie wollen mich schwach sehen? Es wird Ihnen nicht gelingen. In der Stunde, wo diese Leute sich Ihnen am nächsten glauben, sehen Sie über alle hin und denken: Ihr Armen. Auch über den Conte, der zu schön war, sehen Sie dabei hin.

Liane leise: Vielleicht haben Sie recht?

Gassner: Sie glauben, in einer Gesellschaft würden wir uns nicht wiedererkennen? Ein Zeichen der Augen, ein Pulsschlag nur, und wir beide wären entrückt um tausend Meilen! Ich wäre nicht eifersüchtig, mitten in der buntesten Welt nicht, auf niemand. Nahe bei ihr, leise und leidenschaftlich: Ich halte dich, denn dir ist keiner gewachsen als nur ich.

Liane leise aufjubelnd: Wie stark! Ja, wie stark müssen Sie sein, um mich so in Ihre Welt hinüberzuziehen!

Alice: Mutti, kommt der Martin denn nicht?

Liane: Warum, mein Kind?

Alice: Er soll mir doch den Ball zurückbringen. Miß will schon wieder, daß ich ihn suchen geh.

Miss Tornton: Alice folgt nicht. Es ist sehr schwer mit Alice.

Liane: Also tu Miß Tornton schon den Gefallen. Geh!

Alice macht sich los von Miß Tornton, klammert sich an Liane: Mutti, du hast mich nicht mehr lieb. Den Herrn Christoph hast du lieber.

Liane vorwurfsvoll zu Gaßner: Hören Sie? In Alices Haar geschmiegt: Dummes, süßes Mäderl, du bleibst mir immer das Allerliebste.

Alice: Dann komm mit mir, Mutti.

Liane: Das ist nicht möglich. Ich komme dir nach.

Alice: Wirklich wahr?

Liane: Habe ich dich schon belogen?

Alice: Nein. Also ich gehe?

Liane: Ja, geh.

Alice mit Miß Tornton ab.

 

Vierte Szene

Liane. Gaßner. Dann ein Boy.

Liane: Sind Sie zufrieden? Mache ich's wieder gut, daß ich mich gegen meinen Herrn und Meister aufzulehnen gewagt habe?

Gassner: Kleine Liane.

Liane: Du lächelst über mich? Nur du darfst es. Ich war schlimm, wie die Alice.

Gassner: Manchmal möchtest du dich mir entziehen, schlaues Kind du. Tust wie eine fremde Frau. Und ich habe doch kein Geheimnis, o Sphinx, am kleinen Finger.

Liane: Du sollst immer so stark und überlegen sein: dann mag die Miß ihr Gesicht machen.

Gassner: Was für ein Gesicht?

Liane: Nun, es ist klar, daß sie mich mißbilligt.

Gassner: Sie sollte etwas gemerkt haben?

Liane: Gerade so viel, vermutlich, wie der Kellner Martin, die alte Französin und der lange Herr mit der Mütze. Was die Miß betrifft: immerhin möglich, daß sie mir eines Morgens erklärt, in einem solchen Hause zu bleiben, erlaube ihre Nationalität ihr nicht.

Gassner macht eine rasche Bewegung.

Liane: Oh, laß. Ich habe ohnehin die Absicht, mich zum Herbst von ihr zu trennen. Alice leidet unter ihr. Ich bin zu gut befreundet mit Alice, ich kann ihr weniger zumuten als andere Mütter ihren Kindern.

Gassner: Warte also nicht bis zum Herbst.

Liane: Du fürchtest, daß die Tornton mir zu Hause Unannehmlichkeiten machen könnte? Ich bin darauf vorbereitet, daß sie meinem Mann einen anonymen Brief schreibt. Er hat schon mehrere zur unrechten Zeit bekommen, wenn nichts vorgefallen war. Da wird ihm einer, der zufällig zur rechten Zeit kommt, wohl gar nicht auffallen.

Gassner: Du bist kühn. Ihr seid erstaunlich kühn, wenn ihr liebt.

Liane: Es ist wohl nur die innere Gewißheit, daß uns beide niemand sehen und erkennen kann. Hast du nicht bemerkt, in der Gesellschaft bei uns, als wir uns fanden: alle machten uns Platz, als ob sie das nichts anginge; wirklich, als seien wir unsichtbar. Behielten harmlose Gesichter und verschwanden aus dem Zimmer, mein Mann mit den übrigen.

Gassner: Zauberin du!

Liane: Nein, sondern ich weiß, daß zwei Leuten, die sich so unvorsichtig benehmen wie wir, weniger mißtraut wird als andern.

Gassner: Dennoch war's an jenem Abend wie ein Zauber. Auch hier ist es so. Man ist miteinander allein gelassen, entfernt von allem, wie auf einem anderen Stern. Den Arm um ihre Schulter: Ich liebe eine Frau, deren weltliche Beziehungen und Interessen ich nicht kenne. Unser einziger Zusammenhang ist das Herz, und das ist stärker als die Welt. Sie hat alles vergessen, die fremde Frau, um meine Geliebte zu sein.

Es klopft. Sie schrecken aus der Umarmung.

Ein Boy bringt Liane eine Karte.

Liane: Die weltlichen Beziehungen melden sich, früher als ich dachte. Da!

Gassner: Viktor Türk? Ich dachte, erst in zehn Tagen?

Liane: Sie sehen, er ist da.

Das Folgende halblaut und schnell.

Gassner: Sie werden ihn empfangen?

Liane: Ich muß.

Gassner: Ich bitte Sie, weisen Sie ihn ab.

Liane: Wie kann ich. Ich befinde mich auf einer öffentlichen Hotelterrasse und in Ihrer Gesellschaft.

Gassner: Ich bitte Sie um die Gunst.

Liane: Sie sind unvernünftig. Sie wissen, daß viel auf dem Spiel steht.

Gassner: Für Ihren Mann. Gilt er mehr als ich?

Liane: Wenn Sie erst die Probe machen müssen.

Gassner wehrt ab.

Liane zum Boy: Ich lasse bitten. Der Boy ab.

Gassner: Verzeihen Sie! Ich war nicht vorbereitet.

Liane: Wir müssen es immer sein.

Gassner: Bestimmen Sie, daß ich mich zurückziehe?

Liane: Es würde auffallen. Ich hoffe, Sie werden sich Ihre Unzufriedenheit nicht anmerken lassen.

Gassner: Sie trauen mir auf einmal gar nichts mehr zu?

Liane: Armer, Lieber! Weil es mir selbst nicht leicht werden wird.

Gassner: So plötzlich! Nie mehr allein mit dir!

Liane: Still!

 

Fünfte Szene

Die Vorigen. Türk.

Türk tritt elastisch auf. Angestrengte Ruhe und Heiterkeit: Gnädige Frau! Ich habe Glück, daß ich Sie zu Hause finde. Er begrüßt Gaßner.

Liane: Wirklich. Denn meistens bin ich um diese Zeit draußen auf dem Meer. Aber Ihnen wäre es natürlich ein kleines gewesen, mir nachzusetzen. Wissen Sie, wie Herr Gaßner Sie nennt? Den rasenden Roland des Weltverkehrs.

Türk zu Gaßner: Sie haben sich diese stille Küste zum Arbeiten gewählt?

Liane: Ich bitte sehr. Hierher kommt man meinetwegen. Ich hoffe, Herr Türk, daß auch Sie keinen anderen Zweck haben.

Türk: Leider doch. Ich soll morgen früh in Brüssel sein, zu einer Generalversammlung.

Liane: Schon morgen? Aber dann müssen Sie heute abend weiterfahren.

Türk: Ich habe zwei Stunden. Zieht die Uhr. Nein, eine Stunde vierzig Minuten.

Liane und Gassner tauschen einen Blick.

Liane: Was für eine Hetzjagd! Setzen Sie sich wenigstens. Formell: Es ist sehr, sehr lieb von Ihnen, daß Sie nach mir schauen. Bei einem so vielbeschäftigten Mann kann man das nicht genug anerkennen.

Türk: Mein Gott, die Beschäftigungen.

Gassner: Die gnädige Frau hat Sie mit Ungeduld erwartet, Herr Türk. Es wäre zum Verwundern, wenn dieses Heranstürmen durch halb Europa auf eine Frau ohne Eindruck bliebe.

Türk: Ich versichere Ihnen, daß ich lieber so dasäße wie Sie.

Gassner: Im Gegenteil. Ich beneide Sie um Ihre bewegliche Tätigkeit. Sie muß frisch erhalten.

Liane zu Gaßner: Trotzdem sehen Sie jünger aus.

Sie betrachtet ihn lächelnd. Pause.

Liane besinnt sich. Zu Türk: Ah! Gut, daß Sie da sind. Jetzt werden Sie mich aufklären über etwas, das ich nicht verstehe.

Türk: Verfügen Sie über meine gesamte Lebenserfahrung.

Liane: Auch Herr Gaßner versteht es nicht. Herr Gaßner ist für die seelischen Angelegenheiten da. Dies aber sind gewisse Maschinen, die ich zwischen hier und der vorigen Station auf einem Kartoffelacker gesehen habe.

Türk: Freilich. Für die praktischen Dinge bin ich da.

Liane: Sie sind vorübergefahren: erinnern Sie sich nicht? Es waren Gerüste mit Löchern, viele Gerüste nebeneinander.

Türk: Vielleicht Mausfallen? ... Zu denken, daß solche Antwort einen in langen Jahren mühsam erworbenen Ruf zugrunde richten kann. Aber ich mache Ihnen ein beschämendes Geständnis. Ich habe unterwegs geschlafen.

Liane: Bei Tage?

Türk: Nachdem ich schon zwei Nächte in der Bahn verbracht hatte. Ich mußte nämlich in Mailand einen Kongreß leiten und in Berlin eine Bank mit gründen.

Liane: Ärmster Freund! Und anstatt sich auszuschlafen heute nacht –

Türk: Fahre ich mit schlechten Zügen noch eine halbe Nacht, um mit Ihnen, gnädige Frau, eine Stunde vierzig Minuten lang plaudern zu können. Zieht die Uhr. Es sind nur noch eine Stunde zwanzig Minuten.

Liane herzlich: Niemand würde das tun als nur Sie. Auf Sie kann ich mich wirklich verlassen. Wenn Sie in Brüssel fertig sind, kehren Sie doch zu mir zurück?

Türk: Es wäre mein liebster Wunsch. Aber ich habe zu Hause einen Vortrag zu halten, vor Vertretern der Presse. Ich könnte ihn von einem andern halten lassen, aber er würde vielleicht nicht dieselbe Wirkung tun.

Liane: Sicher nicht. Sie gelten für so klug und energisch. Ich weiß wohl, auf welche von meinen Freunden ich am meisten stolz zu sein habe. Sie sieht Gaßner nach, der sich weggewendet hat.

 

Sechste Szene

Die Vorigen. Alice.

Alice: Mutti! Du bist nicht gekommen! ... Ah! der Onkel Türk.

Türk: Grüß Gott, du liebes Kind.

Alice küßt Türk auf die Wange: Grüß Gott, Onkel Türk; bleibst du lange bei uns?

Türk: Du wünschest mich, scheint es, schon wieder fort?

Liane: Aber nein.

Alice: Aber nein. Ich freue mich so sehr.

Türk: Sie wird der Mama immer ähnlicher ... Ich komme von deinem Papa, er schickt dir diesen Kuß. Er küßt Alice. Alice macht sich los, geht hinüber zu Gaßner: Warum sagen denn Sie nichts, Herr Christoph?

Liane zu Türk: Ich nehme an, daß Sie an mich wenigstens einen Gruß haben.

Türk lachend: Leider nur einen Gruß.

Liane: Es geht ihm gut, nicht wahr? Grad schreibt er mir. Zu Alice: Wo hast du die Miß Tornton gelassen?

Alice: Im Lesezimmer. Aber mit dir, Mutti, sprech ich nicht mehr. Du bist nicht gekommen, du hast mir dein Versprechen gebrochen, das ist nicht fair.

Liane rasch auf Alice zu: Zum erstenmal. Daran sind die beiden Herren schuld. Sieht Gaßner an. Ich komme mir vor wie eine Verbrecherin.

Türk bitter lächelnd: Sie holen als Mutter alle die Sentimentalität nach, die Sie in andern Fällen versäumen.

Liane kehrt zu Tisch zurück: Ich habe doch keinen Vertrag mit meinem Kind gemacht wie diese Miß Tornton, die von halb sechs bis halb sieben das Recht hat, die englischen Zeitungen zu lesen, und wenn Alice in Flammen stände.

Gassner von drüben: Sie sind erschütternd als Mutter, gnädige Frau. Der Fremdeste muß ein Kind lieben, das er so geliebt sieht.

Türk sucht in den Taschen: Wo hab ich nur die Schachtel für die Alice? ... In der Reisetasche wird sie sein. Er will aufstehen.

Liane: Nicht fortlaufen! Alice wird warten können. Sie müssen mir sagen, wie es mit meinem Mann steht, in Wirklichkeit, meine ich.

Türk: Eine wichtige Entscheidung steht bevor. Natürlich ist man da nervös.

Liane: Mein Gott, der Ärmste. Niemand kann helfen? Die Sache beschleunigen?

Türk sieht sie an; leise, mit Nachdruck: Wenn jemand helfen wollte, würden Sie seine Absicht nicht mißverstehen?

Liane senkt den Kopf.

Türk: Was täte man nicht, um in Ihren Augen ein Gentleman zu bleiben? Man ließe seine besten Freunde im Stich.

Liane: Oder man hülfe ihnen um ihrer selbst willen ... Leichter: Wissen Sie nichts Neues von Frau Huller?

Türk lachend: Nicht einmal das hat Ihr Gatte Ihnen geschrieben? Das ist sträflich.

Liane: Ich bin ganz Ohr.

Alice drüben, zu Gaßner: Herr Christoph, wird der Onkel Türk es nicht vergessen? Was er mir mitgebracht hat?

Gassner: Nun, dann bekommst du's von mir.

Alice: Das ist gar nicht nötig. Ich hab Sie so schon lieber als den Onkel Türk.

Gassner: Warum denn?

Alice: Weil auch die Mutti Sie lieber hat.

Gassner: Ja, du bist ganz wie deine Mutti. Eine richtige Frau bist du schon. Später gehst du gewiß zum Onkel Türk und sagst ihm dasselbe, was du mir jetzt gesagt hast?

Alice: O nein! Die Mutti spricht doch auch nur mit ihm allein, damit er nicht gekränkt ist.

Gassner küßt sie: Du glaubst?

Alice: Ich muß Ihnen etwas sagen. Sie dürfen aber nicht böse sein.

Gassner: Was gibt's denn?

Alice: Ich mag nicht, daß hier alle Leute Sie für meinen Papa halten. Sie sind es doch nicht.

Gassner: Die Leute sind dumm. Ist es nicht gleich, was sie denken?

Alice: Nein, denn Sie sind doch nicht mein Papa.

Liane ruft hinüber: Es scheint, man verschwört sich dort? Alice, was hast du jetzt gesagt?

Alice: Nichts, Mutti. Läuft hin. Liane ins Ohr: Ich sag dir's später.

Liane: Du bist sicher neugierig auf die Schachtel vom Onkel Türk.

Türk: Also ich geh sie holen.

Liane: Es ist wohl sehr unhöflich, Herr Gaßner, daß wir hier über Leute sprechen, die Sie nicht kennen? Sie müssen verzeihen. Herr Türk ist mein ältester Freund.

Türk: Zuweilen bringt das dennoch Vorteile. Ab.

Alice: Onkel Türk! Ich geh mit dir! Ab.

 

Siebente Szene

Liane. Gaßner.

Liane: Sie sind sonderbar. Kein Wort haben Sie gesprochen. Was soll er denken.

Gassner: Ich habe es versucht. Aber ich werde bedrückt durch diesen Menschen, der sich mit seinem Leiden, seinem unnützen Gefühl in die reine Luft unseres Glücks drängt.

Liane: Es quält mich nicht weniger. Machen Sie es mir nicht noch schwerer. Sie sehen doch, welche Mühe es mich kostet, damit die Unterhaltung harmlos bleibt. Immer wieder versucht er, ihr eine peinliche Wendung zu geben.

Gassner: Ein Glück, daß die Minuten dieses peinlichen Herrn gezählt sind.

Liane: Um so mehr sollten Sie mir helfen. Sie legt die Hand auf seinen Arm. Sanft eindringlich: Sie müssen mich jetzt mit ihm allein lassen.

Gassner: Auch das noch?

Liane: Es ist nötig. Ich darf ihn nicht ohne Aussprache fortschicken.

Gassner: Ich will nicht, daß er dich quält. Es ist nicht Eifersucht.

Liane: Das wäre auch sehr töricht.

Gassner: Liane! Ergreift ihren Arm und küßt ihn.

Liane: Also gut. Man hat uns gesehen.

 

Achte Szene

Die Vorigen. Türk. Alice.

Alice läuft herbei: Mutti! Schau her! Der gute Onkel Türk!

Türk zögert an der Tür. Vortretend: So danken einem wirklich nur die Kinder.

Liane mit einem Blick: Sie irren sich. Auch wir andern können danken ... Alice, willst du nicht auch dem Herrn Christoph anbieten aus deiner Schachtel?

Alice: Da, Herr Christoph.

Liane: Miß Tornton könnte wirklich ihre Lektüre unterbrechen, um dich zum Nachtmahl zu begleiten.

Gassner: Ich bitte um die Erlaubnis, statt ihrer mit Alice zu gehen.

Liane: Sie sind sehr lieb.

Alice: Herr Christoph ist immer so lieb. Sie nimmt Gaßners Hand.

Gaßner und Alice ab.

 

Neunte Szene

Liane. Türk.

Türk sieht umher: Ach ja. Sie haben es schön hier, und Sie sind mit Ihrem Kinde.

Liane: Vielleicht ist es nicht gut für ein Kind, wenn es so viel reist. Aber ich kann nicht ohne Alice sein. Voriges Jahr, als ich in Davos krank lag: mein Mann schrieb mir, daß es Alice nicht gut gehe, und von dem Augenblick wußten die Ärzte nichts mehr anzufangen mit mir. Ich reiste nach Hause mit allem Fieber, das ich hatte ... Daß Sie monatelang Ihre Kinder entbehren mögen!

Türk: Sie sind bei ihrer Mutter – die ich nicht sehen will.

Liane: Die Frau hat ihr Unglück nicht verdient.

Türk: Habe ich meins verdient?

Liane: Mein Freund, Sie sollten aufhören, mir vorzuwerfen, was Sie freiwillig getan haben.

Türk: Es war nicht freiwillig.

Liane: Welchen Anlaß hatte ich Ihnen gegeben?

Türk: Sie waren da.

Liane: Auf diese Tatsache könnte sich jeder meiner Mitmenschen berufen. Zu Alice würde ich sagen: das ist nicht fair.

Türk: Sie können scherzen. Vermögen Sie einen Blick in mein inneres Leben zu tun, der Scherz würde Ihnen wohl doch vergehen. War ich nicht immer kühl und klar? Haben die Frauen ihre Macht jemals eine Spanne weiter über mich ausgedehnt, als ich selbst es ihnen erlaubte? Jetzt aber ist mir, was ich nie geglaubt hätte, die Arbeit nur noch Zeitverderb. Der Gedanke an Sie hetzt mich durch die Welt. Auf Reisen führen die Wege, wenn es ganz unerträglich wird, doch manchmal zu Ihnen. Zu Hause ist nur der Tod.

Liane: Ärmster! Wenn ich über Sie bestimmen dürfte, ich würde besser als Sie für Ihre Gesundheit sorgen.

Türk: Ihr Mitleid trifft mich noch grausamer als Ihre Gefühllosigkeit. Mein Trost ist, daß ich in den Dingen des Herzens an eine Vergeltung glaube.

Liane teilnehmend: Sie erschrecken mich.

Türk schwer: Sie werden mir einmal gestehen, daß Sie noch unglücklicher sind als ich.

Liane sieht ihn an, schüttelt den Kopf: Ich kann nicht. Eine andere würde mich lächerlich finden, vielleicht verderbt. Ich nehme Ihre Freundschaftsdienste entgegen. Es wäre so einfach, Sie zu heilen. Aber ich kann nicht. Ich muß lieben.

Türk: Dann lieben Sie also den Herrn Gaßner, der Ihnen den Arm küssen darf.

Liane: Seien Sie kein Kind! Ich dachte mir, daß das kommen würde. Man muß so sehr den Kopf verloren haben wie Sie, um die Huldigungen eines berühmten Mannes ernst zu nehmen.

Türk: Aus dem, was Sie mich in der kurzen Stunde meines Besuches haben sehen lassen, schließe ich auf das, was sogar Ihre Mitleidslosigkeit mir vorenthält.

Liane: Ich gebe mein Unrecht zu. Ich fühle mich wohl zu sicher. Grade meine Kälte ist wohl schuld, daß ich immer Flirts habe. Ich habe nichts davon, und man kompromittiert mich. Sie, mein Freund, am meisten.

Türk: Ich!

Liane: Sie haben sich meinetwegen scheiden lassen. Aller Welt zeigen Sie offen, daß Sie mich lieben. Man muß mich schon so gut kennen, wie mein Mann mich kennt, um unsere Beziehungen für harmlos zu halten. Und Sie kommen und machen mir eine Szene.

Türk: Mir war nur bewußt, daß ich mich selbst bloßstellte; und das wollte ich. Es gibt einen Grad des Leidens, wo es nur noch erträglich bleibt, wenn man vor aller Welt darauf trumpft. Liane! Er schluchzt auf.

Liane mütterlich: Nun also. Soll ich einen weinenden Mann lieben?

Türk: Sie nehmen Rücksicht auf Ihren Mann – den Sie doch auch nicht lieben, und der Sie noch dazu mit Sorgen belästigt.

Liane: Ich müßte Ihnen antworten, daß seine Art, mich zu lieben, mir sympathischer ist. Wenn ich Ihnen erst Rechte auf mich gegeben hätte, welch Leben würde ich haben ... Und Sie selbst: Sie glauben, dann hielten Sie das Glück? Bei unseren Charakteren? Mein armer Freund, dann würden Sie erst lernen, was Unglück heißt.

Pause. Es beginnt zu dunkeln.

Türk richtet sich auf: Wenn Sie mich denn nicht lieben: eine Heirat mit mir würde Ihnen gesellschaftliche Vorteile bringen und die Zukunft Ihrer Tochter sichern.

Liane: Die Zukunft meiner Tochter wird am besten gesichert sein, wenn ich ihr den Vater lasse, den sie liebhat.

Türk hart: Dann muß ich Ihnen etwas sagen, was ich lieber verschwiegen hätte. Ihr Mann ist verloren. Wenn ich nicht eingreife, ist er verloren.

Liane stockend: Was sagen Sie da? Ich weiß, er ist in ein kritisches Unternehmen verwickelt.

Türk: In eins, das den Kopf kostet. Es ist nicht seine Schuld. Er ist so ruhig als Kaufmann wie als – Gatte. Aber es ist nun so. Bleiben Sie bei ihm, sind Sie verloren.

Liane: Ah! Sie erfinden das? Sie wollen mich zwingen?

Türk wehrt ab.

Liane: Ach nein. Lassen Sie. Sie sind ein ehrlicher Mann. Erklären Sie mir nichts. Auch er hat mir diese Dinge niemals erklärt. Wir waren niemals intim genug. Eine Frau wie ich, sehen Sie, steht einigermaßen in der Luft. Ich weiß kaum, ob ich das Recht hätte, als große Dame zu leben, oder ob ich morgen nicht das Geld zur Heimreise bekommen werde.

Türk: Aber diese nicht gesicherte Existenz ist Ihrer unwürdig. Brechen Sie damit! Lassen Sie sich von mir führen!

Liane: In solchem Augenblick? Wie können Sie das fordern. Ein anständiger Mann wie Sie! Wollen Sie eine so gemeine Frau aus mir machen?

Türk hebt die Arme: Wenn einer untergehen soll – auch ich bin ein Mensch! Er läuft hin und her, während sie spricht.

Liane: Ihm den Todesstoß geben? Denn so wenig ich ihm sein kann: ich weiß, daß er mich nötig hat, und daß erst mein Verlust sein Ende wäre. Ihn verlassen? Nicht einmal, wenn ich Sie liebte. Hören Sie? Nicht einmal dann. Nehmen Sie an, ich hätte einen Geliebten –

Türk drohend: Sie haben einen!

Liane: Nein! Aber nicht einmal für ihn täte ich's. Ich frage mich selbst, was mich zurückhält. Die Pflicht wohl.

Türk: Pflicht! Was heißt das, für eine Frau wie Sie!

Liane: Unser Instinkt, zu erhalten, was um uns ist. Unser Mitleid. Beklagen Sie mich, weil ich so schwach bin, oder so fein. Die große Liebe? Ich kann wohl nur von ihr träumen. Sie kann nur neben meinem Leben hergehen. Ihr das Leben opfern? Einen Mann verlassen, der zusammenbricht? Das Glück ist mir unzugänglich, wenn Leichen davor liegen.

Türk: Aber mir nicht. Soll hier einer untergehen: ich will's nicht sein. Ich bin der Mann, meine Macht auszunützen. Verlassen Sie sich nicht länger auf die Furcht, in der Sie mich halten!

Liane: Ich würde mich höchstens auf Ihre Einsicht und Menschlichkeit verlassen.

Türk: Wo ist die Ihre, gegenüber meinem Elend? Der Augenblick ist gekommen, wo ich der Stärkere bin.

Liane sieht ihn starr an: Drohen Sie mir nur! Machen Sie Gebrauch von Ihrer Macht! Fast wünsche ich es mir.

Türk erschrickt, sinkt zusammen: Liane! Sie trauen es mir nicht zu. Ich weiß, dann wäre alle Hoffnung verloren für mich.

Liane: Vielleicht nicht. Vielleicht brauche ich Brutalität. Sie wissen, ich bin schwach.

Türk: Versuchen Sie mich nicht! Fügen Sie meinen Qualen nicht auch noch diese unnütze hinzu. Sie wissen zu gut, ich muß ihrem Mann helfen und werde nichts dafür haben.

Liane warm: Meine Achtung. Den Stolz auf Ihre Freundschaft.

Türk: Nichts ... Die Stunde, die mir gegönnt war, ist herum, die arme Stunde. Sie haben gesiegt – wie Sie wohl immer siegen werden. Ich reise nun weiter, als der rasende Roland des Weltverkehrs, wie Ihr Freund Gaßner sagt.

Liane senkt den Kopf und schweigt.

Türk leise und zitternd: Sie werden mich nicht zurückrufen?

Liane: Ich weiß nicht. Haben wir diese Stunde voraussehen können? Ich weiß gar nichts mehr.

Türk: Niemals werden Sie mich lieben können?

Liane: Ich weiß gar nichts. Vielleicht rufe ich Sie einmal.

Türk: Wie oft werde ich inzwischen noch so herbeistürzen müssen und so fortschleichen?

Liane: Ich weiß nicht. Auf Wiedersehen, mein Freund.

Türk küßt ihr die Hand. Ab.

Liane geht, indes es tiefer dunkelt, langsam bis zum Ende der Terrasse, kehrt zurück, lehnt sich an das Geländer. Pause. Dann winkt sie hinab: Gute Reise! Sie wissen doch, wir haben Rendezvous, mein Mann und ich, für den Anfang des nächsten Monats ... Wo? Das ist noch unbestimmt. Er wird es Ihnen sagen. Wir rechnen auf Sie. Sicher, ja? Auf Wiedersehen! Sie neigt sich weiter hinab. Auf Wiedersehen!

 

Zehnte Szene

Liane. Dann Gaßner. Später ein Boy.

Liane bleibt stehen, sieht ins Dunkel hinaus.

Gassner: Sie sind allein?

Liane: Für diesmal ist er fort.

Gassner: Sie sind traurig? Arme Liane, er hat Sie gequält wegen meines Kusses.

Liane: Das ist wieder in Ordnung. Er hatte es zu nötig, mir zu glauben. Seine Hoffnungen beruhen darauf, daß ich weder meinen Mann noch sonst jemand liebe, und daß mein unentwickeltes Temperament doch einmal heranreifen muß für ihn, den Herrn Viktor Türk. Dann soll ich ihn rufen.

Gassner: Sie werden ihn niemals rufen!

Ein Boy überreicht Liane einen Blumenstrauß: Eine Empfehlung von dem Herrn, der abgereist ist. Ab.

Liane: Tuberosen! Er weiß, was ich liebe, und erinnert mich täglich daran, daß er's weiß. Täglich, so lange ich hier bin, wird so ein Strauß kommen.

Gassner dringlich: Werden Sie ihn jemals rufen?

Liane: Weiß ich's? Werd ich diesen Jammer immer weiter ertragen können? Wir sind doch schwächer als er. Aber die eigentlich Schwachen sind diese Starken. Sie verstehen uns nicht und verstehen nicht ihre Ohnmacht.

Gassner: Brechen Sie ab.

Liane: Sie glauben, das ginge? Mein Mann ist ruiniert, ohne die Dazwischenkunft meines Freundes Türk. Begreifen Sie?

Gassner: Diese erbärmlichen Fesseln! Sie müssen heraus aus alledem!

Liane: Das sagt auch er – und übersieht, daß ich, bei solcher Gewissenlosigkeit, auch mit ihm leichter fertig wäre. Nun aber komm ich mir vor wie eine Betrügerin, die verspricht und nie bezahlt.

Gassner: Sie haben ihm etwas versprochen?

Liane: Ich kann nichts dafür, daß mein Wesen, mein Lächeln, was weiß ich, meine harmlosesten Worte ihnen allen wie Versprechungen aussehen. Dann geben sie: ihre Freundschaft, ihre Liebe, alles was sie haben, ihre Existenz, und bringen mich in ihre Schuld.

Gassner: Was geht das alles Sie an. Mein Gott, denken Sie zurück, wie es war, bevor dieser Mensch hier eintrat. Wir fürchteten niemand. Wir waren in der Welt allein.

Liane: So recht allein waren wir nie.

Gassner: Ich war einmal das einzig Notwendige in Ihrem Leben. Aber sobald die Erfüllung da ist –

Liane: Sie sind schon enttäuscht?

Gassner: Um Gottes willen! Es ist natürlich, daß unsere Rollen sich umkehren. Einst hatte ich Ihnen viel zu geben. Jetzt handelt es sich nicht mehr darum, ob ich mehr vorstelle als andere. Meine Leistungen liegen dahinten. Jetzt lieben wir – und in der Liebe seid immer ihr die Meister. Ihr prüft uns, ihr treibt vorwärts, schafft Verwicklungen, verzeiht, belohnt. Was bin ich noch? Dein Geliebter.

Liane mit Leidenschaft: Ich aber bin nur durch dich! Habe Nachsicht mit meiner Schwachheit. Auch du sagtest noch heute, du betrügst nicht gern.

Gassner: Es müßte nicht sein.

Liane: Doch. Ich brauche die Welt. Dich aber liebe ich. Sie will ihn umarmen.

Gassner zieht sich zurück.

Liane: Hörst du nicht? Ich liebe dich.

Gassner reißt sie an sich. Umarmung.

Liane: Jetzt betrügst du gleich zwei.

Gassner küßt sie.

Liane: So hast du mich noch nie geküßt. Warum küßt du mich so heiß? Weil dies kein ferner Stern mehr ist? Weil deine Geliebte ein Wesen von dieser Welt ist?

Gassner trennt sich von ihr. Bleibt drüben stehen.

Liane: Jetzt fängst du wohl an zu merken, daß es nicht so einfach ist, eine verheiratete Frau zu lieben?

Gassner: Versprich mir, daß du ihm, so lange der Sommer dauert, keine Zusammenkunft mehr gewährst.

Liane: Im Gegenteil. Er wird kommen, wahrscheinlich gleich mit meinem Mann, dorthin, wo wir uns treffen werden. Du aber wirst erst später kommen; vielleicht viel später. Vielleicht sehen wir uns erst im Herbst wieder, wenn ich zu Hause bin.

Gassner: Du sprichst das aus, als ob es nichts wäre.

Liane tritt zu ihm hin: Lieber! Wir werden oft lange Zeit getrennt bleiben, und andere werden um mich sein: auch Männer, die auf mich hoffen, die vielleicht um mich leiden, wie der arme Türk. Sind wir darum einander weniger nah?

Gassner faßt ihre Hände: Gestehe, daß es schrecklich wäre!

Liane umarmt ihn: Verzeih! Ich bin schwach, ich muß mich in Gedanken auf das Unglück vorbereiten, weil ich es sonst nicht überleben würde. Du darfst mich nie quälen. Von allen würde ich alles ertragen, von dir nichts. Nur wolkenloses Glück.

Gassner: Ich liebe dich, um dich glücklich zu machen.

Vorhang.


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