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8. Die Flucht

Bisher war mir das Schicksal auf meiner Reise insofern günstig gewesen, als niemand von meiner wirklichen Herkunft eine Ahnung hatte. Nun sollte mir aber mein dummer prahlerischer Metuaf einen Streich spielen, der meine Reise zu einem plötzlichen Ende brachte.

Ich war kaum von Arafa zurückgekehrt, als ich das große Bad von Mekka aufsuchte. Ssadak begleitete mich, um während meiner Anwesenheit im Dampfbade meine Kleider zu bewahren. Als ich eintrat, waren außer den Dienern nur etwa zwanzig Personen im Bade, von denen einige bereits gebadet hatten und nun entweder von den Anstrengungen ausruhten, oder sich von den jungen Badeknechten noch einmal recht gründlich durchkneten ließen. Der Badewirt, ein spindeldürrer Mekkaner, wies mir eine Nische an, in welcher ich mich meiner Kleider entledigte. Nun nahmen mich zwei junge, langgelockte Badeknechte in Empfang, zogen mir hölzerne Sandalen an und führten mich dann in den Dampfsaal. Soweit ging alles gut. Auch das Kneten, Reiben, Reißen der Glieder, Waschen, Einseifen, alles ging seinen gewöhnlichen Gang, und ich wurde geknetet, gestriegelt, gewaschen, gereinigt, hier und da auch ein wenig geschunden, und zuletzt mit einem Turban und weißen Gewändern bekleidet wieder in den ersten Saal zurückgeführt, wo ich mich ausruhen sollte.

Wer beschreibt aber mein Entsetzen, als ich hier meinen Metuaf mit vier bis fünf Männern im lebhaftesten Gespräch fand, welche – den reinsten algerischen Dialekt sprachen. Es war klar, daß Ssadak mit diesen Leuten über mich geredet hatte; auch war sicher, daß er ihnen die Fabel von dem »Prinzen von Algier« zum besten gegeben hatte, denn diese Maghrebier schienen die größte Lust zu verspüren, meine nähere Bekanntschaft zu machen. Ich wurde deshalb von den fünf Algerern mit der größten Neugier gemustert, und als sie endlich herausfanden, daß ich kein Bekannter von ihnen sei, da malte sich Enttäuschung und zugleich auch Mißtrauen auf ihren Zügen. Einer von den Leuten redete mich auch an und begann mich recht zudringlich auszufragen; aber ich antwortete, um mich durch meine schlechte Sprache nicht zu verraten, nur mit ja und nein, und so zogen sie sich bald zurück, um mit leiser Stimme, aber für mich doch hörbar, folgendes Gespräch zu führen:

»Was dünkt euch«, so sprach einer, »von diesem Prinzen von Algier? Unser letzter Pascha hatte ja gar keinen Sohn; wie soll also so ein elender, hergelaufener Kerl, den kein Mensch von uns, die wir doch Algerer sind, kennt, der Sohn unseres Pascha sein?«

»Die Sache«, so erwiderte ein anderer, »geht gewiß nicht mit rechten Dingen zu. Wenn dieser Mensch, der sich für einen Prinzen von Algier ausgibt, ein armer Teufel wäre, so würde ich keinen Verdacht schöpfen. Aber dieser Kerl scheint Geld zu besitzen. Das ist verdächtig. Ich vermute, daß er ein verkappter Rumi (Christ), vielleicht gar ein französischer Spion ist!«

Man kann sich denken, daß mir bei diesen Worten die Haare zu Berge standen. Das entsetzliche Wort Rumi war ausgesprochen, ich war entdeckt! Ich fühlte mich schon ergriffen, gebunden, vor den Kadi geschleppt und gerichtet. Das wäre auch ohne Zweifel mein Schicksal gewesen, wenn es bei den Moslems nicht üblich wäre, alles mit der größten Ruhe zu betreiben; denn eben traten die Badeknechte ein, und die Algerer waren doch gekommen, ein Bad zu nehmen; so verschoben sie denn ihre Anzeige und ließen sich vorerst in den Dampfsaal führen. Kaum waren sie hinter der Tür verschwunden, als ich aufsprang, mich im Nu ankleidete und den erstaunten Ssadak aus dem Badehause mit fortriß. Draußen schickte ich unter einem Vorwand Ssadak davon, eilte in meine Wohnung zurück, nahm nichts als einen Anzug und Mantel und ging eilends in die Vorstadt der Beduinen, wo es mir ohne Mühe gelang, einen Esel nach Dschedda zu mieten. Ich sagte also der »Hauptstadt der Welt«, der »Gepriesenen«, »Glückseligen«, dem »Schatten Gottes auf Erden«, Lebewohl und trabte in Begleitung eines Beduinen schnurstracks und ohne Aufenthalt davon, eine wahre Hedschra, ähnlich der des Propheten des Islam. Leider mußte ich nun auch die beabsichtigte Reise nach Medina aufgeben.

Ich ritt beinahe unaufhaltsam vierzehn Stunden und kam am elften Du el Hödscha um 3 Uhr morgens in der Hafenstadt an. Hier war alles wie in Mekka im Festesjubel, die Reichen glänzten in ihren Feiertagskleidern, die Kaffeehäuser waren gestopft voll, hier und da ertönte Musik, Tänzerinnen durchzogen singend und hüpfend einzelne Straßen, kurz, ganz Dschedda war in der schönsten Feier begriffen.

Ich hatte dagegen nur den einen Gedanken, Dschedda so bald wie möglich zu verlassen. Deshalb ging ich gleich nach dem Hafen und fand zu meiner unbeschreiblichen Freude auch richtig eine kleine englische Brigg »Mary Ann« aus Glasgow, welche nach drei oder vier Tagen nach Ostindien gehen sollte. Der Kapitän war nicht wenig erstaunt, einen vermeintlichen Araber geläufig englisch reden zu hören; indes machte er, als ich ihm eine wohlgespickte Börse zeigte, keine Schwierigkeit, mich mitzunehmen.

Von Bombay, nachdem ich mich mit Hilfe eines englischen Schneiders und Barbiers wieder in einen Europäer verwandelt hatte, schrieb ich an meinen Doppelgänger in Algerien und schickte ihm seinen Paß zu, der ihm von nun an den frommen Titel eines Hadsch sichern sollte. Der Brief, den mir der alte Kifraucher, welcher nie aus seinem besoffenen Zustande ganz herauskam, als Antwort auf den meinigen sandte, möge als Schlußstein meiner Wallfahrt nach Mekka hier stehen:

»O Rumi!« so begann dies seltsame Schreiben, »wenn es Wahrheit wäre, daß du an meiner Stelle in der heiligen Stadt gewesen wärest, so müßte sich mein Gewissen dadurch sehr beunruhigt fühlen, denn ich hätte ja unsere heilige Religion geschändet. Aber als ich in Tunis sechs Monate lang in dem Kaffeehaus der frommen Gläubigen und Gottseligen (nämlich der umnebelten Haschischraucher) lag und mich ganz der Gnade Gottes hingab, da suchte mich die göttliche Offenbarung heim, und ich sah im Geiste mich selbst in Dschedda ankommen, nach Mekka pilgern, die Kaaba besuchen, nach Arafa wallfahrten und den Teufel im Tale Menaa steinigen. Ja, ich könnte dir genau alles sagen, wo ich wohnte, wie Mekka aussieht, mit wem ich umging, wenn ich dies nicht seitdem vergessen hätte. Da nun alle Wirklichkeit nur Schein und die Gnade Gottes (der Haschischrausch) allein Wahrheit ist, so ist es unzweifelhaft, daß ich der wahre Pilger bin und folglich mit dem größten Rechte den frommen Titel eines Hadsch führen kann. Deshalb zeichne ich, indem ich dich im Namen der Gnade Gottes, die in uns wohnt, grüße, zum erstenmal in meinem Leben mit dem religiösen, mit Recht von mir getragenen Titel

Hadsch Abd-er-Rhamann ben Mohammed,
Algier, am 12. Dschema el Ual 1277.«


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