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3. Dschedda

Dschedda heißt also die Elternmutter, und hier soll Sittna Hauwa (Eva) die Ur- und Stammutter der sündigen Menschheit ihre letzte Lebenszeit zugebracht und ihr Grab gefunden haben. In Mekka errichtete Adam einen Altar, auf dem nahegelegenen Berge Arafa fand er seine Ehehälfte nach hundertzwanzigjähriger Trennung wieder vor; in Dschedda endlich starb Eva, nachdem sie vorher die sieben Umgänge um das heilige Haus in Mekka gemacht und den Monat Ramadan gefastet hatte. Adam ist dann freilich ausgewandert und im fernen Ceylon verstorben.

Dschedda gehört zu den wenigen muselmännischen Städten, die nicht wie die übrigen gänzlich verfallen und verkommen, sondern die sich ihren Wohlstand noch einigermaßen erhalten haben. Vom Schiff aus bot sich mir ein erfreuliches Bild dar, zu dem die unermeßliche Wüste den Rahmen bildete. Die Stadt liegt auf einer sanften Anhöhe, wird am Ufer von zwei langen Hafenmauern, auf den andern Seiten von hohen Festungsmauern begrenzt, von denen hier und da Wachttürme mit Zinnen und Kanonen emporragen. Darin liegen eine lange Reihe schöner weißlicher Häuser aus Korallenstein erbaut, über welche die beiden Hauptmoscheen mit luftigen Kuppeln und schlanken Minaretts emporsteigen. – Als wir jetzt der »Mutter des Friedens« nicht ohne Rührung und ihrem hautkranken Kapitän nicht ohne Mitleid Lebewohl sagten und uns auf kleinen Kähnen mit unsern Habseligkeiten ans Land rudern ließen, und als wir nun endlich an einer der beiden Hafenmauern landeten, da war meine Freude groß, in einer Stadt zu sein, die durch ihren Wohlstand und ihren Verkehr doch ein klein wenig an Europa erinnerte.

Doch ehe ich von der Stadt selbst berichte, muß ich von dem Empfange erzählen, der uns armen von jedermann geplünderten und geschundenen Pilgern hier am Zollhause bereitet ward. Gerade als ob die unglücklichen Hadschadsch nicht genug zu leiden hätten von Gestank, Ungeziefer, Fieber, Sonnenstich, Erkältungen, Erhitzungen, Durchfall und wie die Greuel sonst noch heißen, so hatte die türkische Regierung auch noch dafür gesorgt, daß sie hier die widerlichsten Zollplackereien durchmachen mußten. Kaum gelandet, wurden wir armen Ihramträger, von denen jeder unter der Last seines Gepäckes keuchte und schwitzte, von einer Bande von unausstehlichen, frechen und gemeinen türkischen Polizisten und Zollhaussoldaten in Empfang genommen. Man hatte mich schon auf dem Schiffe vor den Spitzbübereien dieser Polizeidiener und Zollbeamten gewarnt. Da der Pilger sein Geld in seinem Gepäck und nicht an seinem Körper mit sich führt, indem der Ihram keine Tasche besitzt und eine Geldtasche nicht getragen werden darf, so sehen die verruchten Zollwächter gleich, wieviel Geld ein jeder bei sich führt, und wenn es ihnen nicht immer gelingt, einen Diebstahl auszuführen, so können sie doch ihre Ansprüche auf Bakschisch (Trinkgeld) ganz danach einrichten, ob der Pilger viel oder wenig Geld hat. Die gewöhnliche Ausrede der Pilger, sie hätten sich das Geld nur geliehen, wird von den Zollbeamten stets mit einem Heidengelächter aufgenommen; einen fauleren Fisch als diese Ausrede gibt es hier gar nicht, und der Pilger kann gar nicht anders, er muß das Trinkgeld geben oder sein Gepäck so lange in ihren Händen lassen, bis es ihm gelingt, in der Stadt einen reichen Freund zu finden, der ihn aus den Klauen der Zollwächter befreit. –

Zuerst kam nun ein feister türkischer Unteroffizier auf mich los und forderte, mich, um mich einzuschüchtern, in sehr barschem Tone, auf, meine Papiere vorzuzeigen. Mein Paß war in schönster Ordnung, und ich glaubte, ihn nur vorzeigen zu brauchen, um gleich meiner Wege gehen zu können. Sowie der Türke aber meinen französisch geschriebenen Paß erblickte, verbeugte er sich recht höhnisch vor mir und erklärte mir, den müsse erst der in der Stadt wohnende französische Konsul unterschreiben. Als ich nun aber mit Sack und Pack und in Begleitung eines Polizeibeamten den Landungsplatz verlassen wollte, um erst den französischen Konsul aufzusuchen, da kam uns ein Zollhausbeamter in den Weg, der mir all mein Gepäck wegnahm und behauptete, dies dürfe ich unmöglich mitnehmen. Was also jetzt tun? Das Gepäck konnte ich nicht am Zollhaus zurücklassen, wenn ich nicht für den Rest der Reise mittellos dastehen wollte; denn die Polizei- und Zollhausbeamten hätten sich ohne Zweifel mein Geld und meine Habseligkeiten geteilt, und keine Macht der Erde hätte mir sie wieder zurückgeschafft. Als ich die Zollhausbeamten ersuchte, erst ihre Untersuchungen vorzunehmen, antworteten sie höhnisch: Erst rechtfertige dich vor der Polizei! So sah ich denn bald ein, daß die beiden Parteien das Spiel abgekartet hatten und nur ein möglichst hohes Trinkgeld aus mir herauspressen wollten. Ich ging also, vom Zollbeamten begleitet, zum Unteroffizier zurück und begann wohl oder übel mit ihm über ein Trinkgeld zu verhandeln. Die Ansprüche dieses Würdenträgers waren anfangs jedoch so lächerlich, daß ich zweifelte, je mit ihm einig werden zu können. Nach vielem Hin- und Herreden jedoch, nach vielem Handeln und Feilschen kamen wir endlich darin überein, daß er sich mit der Summe von hundert Piastern (damals ungefähr achtzehn Mark) zufriedenzustellen habe. Die andern Pilger hatten dagegen alle nur höchstens zwanzig Piaster per Kopf bezahlt.

Dies war jedoch nur das Vorspiel. Jetzt kam das Zollhaus, wo die Haupthandlung vor sich gehen sollte. Einige zehn Zollbeamte fielen gierig über meinen Koffer (der zum Glück nur eine rotbemalte Bretterkiste vorstellte) und meine drei oder vier Bündel her, in denen Kleider und Waren eingewickelt waren. Der Koffer war im Nu ausgepackt, und meine sämtlichen Sachen lagen zerstreut auf dem Fußboden herum. Aber damit nicht genug, diese barbarischen Zollhäusler hatten noch eine andere Quälerei für die Reisenden ersonnen. Kaum hatten sie nämlich all meine Sachen ausgepackt und auf dem Boden herumgeworfen, so gaben sie sich alle das Ansehen, als hätten sie in irgendeinem andern Teil des Zollhauses etwas sehr wichtiges zu tun, liefen sämtlich davon und ließen mich allein inmitten all der weit herumgestreuten Gepäckstücke, die ich nicht einmal wieder einpacken durfte, um sie vor der Räuberei der mich dicht umdrängenden Pilger und Stadtbewohner oder wenigstens vor dem Zertretenwerden zu schützen. Nachlaufen konnte ich den Zollbeamten natürlich auch nicht. Zum Glück hatte ich Ali. Diesen sendete ich ab und befahl ihm, jedem Zollbeamten im geheimen Geldversprechungen zu machen, und zwar dem vornehmeren größere, den geringeren kleinere. Nach einer halben Stunde kam der Neger zurück und verkündete mir, daß die Zollbeamten zwar mit den erwähnten Summen zufrieden seien, aber auch gleich das Geld haben wollten. Und erst als ich Ali die Summe, die sich auf zweihundert Piaster (etwa siebenunddreißig Mark) belief, mit gab, da kehrten diese Biedermänner zurück, warfen noch einmal das Gepäck durcheinander, stahlen nur noch einen Turban, eine Schärpe, ein paar seidene Tücher, einige Paar Pantoffeln und was sonst ihnen noch alles gefallen mochte und erklärten mich endlich für frei. Nun durfte ich meine Sachen auf dem Boden zusammenlesen und wieder einpacken, wobei ich entdeckte, daß mir teils von den Zöllnern, teils von den frommen Pilgern, teils auch von den anwesenden Bewohnern der Stadt Dschedda, zusammen für fünfhundert Piaster Waren gestohlen worden waren. So mußte ich froh sein, mit einem Verlust von achthundert Piastern (damals in Dschedda etwa hundertsiebenundvierzig Mark) aus den Klauen der Polizei und Zollbeamten erlöst zu werden.

Endlich war ich frei. Ich atmete auf und vergaß schnell meinen schweren Verlust, den ich übrigens halbwegs erwartet hatte. Nun ließ ich von Ali den Koffer und von einem zerlumpten indischen Packträger meine Bündel tragen, und dann bewegten wir uns langsam und würdig der Stadt zu, um dort ein Obdach zu suchen.

Von den Straßen der Stadt sind besonders zwei nennenswert, eine Hafenstraße und eine dahinterliegende Hauptstraße. Die Häuser dieser Straßen sind oft recht stattlich, teils aus Korallensteinen, teils aus Granit erbaut, mit grellweißem Anstrich versehen, der alljährlich erneuert wird; sie haben meistens zwei Stockwerke, schöne Terrassen statt der Dächer und ziemlich große Fenster, die jedoch im Sommer die Hitze allzusehr einlassen. Die Hausflur in diesen Häusern, die ich öfter betreten habe, ist ebenso schön eingerichtet und ausgeputzt. Der Boden ist mit schönen indischen Matten bedeckt, die Wände sind in einigen Häusern ganz, in andern bis zu halber Höhe mit Perlmutter ausgelegt, nicht selten findet man chinesische Tischchen vom feinsten Lack, japanische Blumenvasen, indische Elfenbeinarbeiten, kurz Zieraten, die aus dem ganzen Morgenlande zusammengetragen worden sind. Dschedda soll aber auch nicht weniger als zwölf Millionäre besitzen, das heißt Geschöpfe, welche im übrigen Orient, wenigstens unter Moslems, zu den Fabelwesen gerechnet werden müssen. Unter diesen Millionären soll es sogar zwei geben, welche Dampfschiffe ihr eigen nennen! Ein Moslem, der ein Dampfschiff besitzt, ein Moslem, der Millionär ist, ein Moslem, der ein reinliches und geschmücktes Haus besitzt, das sind Dinge, an die ich nicht glauben konnte, ehe ich sie in Dschedda gesehen hatte. – Hinter den Häusern dieser Kaufleute, deren jedes seine eigene Zisterne mit genug trinkbarem Wasser besitzt, befinden sich die Warenlager, stallartige, große Gebäude, deren innerer geräumiger Hof von gewölbten Hallen und Sälen umgeben ist. – Das Leben im Hafen ist buntbewegt. Zwar können nur die kleinsten Schiffe unmittelbar an der Hafenmauer landen; aber die Schiffe, die weiter draußen liegen, müssen doch die mannigfaltigsten Waren ein- und ausladen. Das Wasser ist nicht zu allen Jahreszeiten gleich hoch. Das ganze Rote Meer hat überhaupt im Winter einen höheren Wasserstand als im Sommer, was von den im Sommer vorherrschenden Nordwinden herrührt, welche die Wasser in beschleunigtem Laufe durch die Meerenge Bab el Mandeb dem Indischen Ozean zutreiben, während im Winter die von Indien wehenden Südmonsuns gerade das Gegenteil bewirken. So ist zum Beispiel der Weg zwischen dem großen Hafen- und dem Galeerenhafen im Sommer, selbst zur Zeit der Flut, trocken, im Winter dagegen mit Wasser bedeckt. – Auf den drei dem Lande zugekehrten Seiten ist Dschedda von stattlichen, sieben bis acht Meter hohen Mauern umgeben, an denen sich von vierzig zu vierzig Schritten Wachttürme mit Zinnen und Schießscharten befinden. Als im Jahre 1817 die wilden Barbaren der arabischen Wüste die Stadt erstürmen wollten, da wurde jeder Familie von Dschedda ein Teil der Stadtmauer zur Verteidigung anvertraut, und noch jetzt erinnern daran die vorspringenden klobigen Mauersteine, die allemal die Grenze zwischen den Verteidigungsgebieten der Familien angaben. Mohammed Ali, der Vizekönig von Ägypten (bei uns heißt er meistens Mehemmed, das heißt der kleine Mohammed, das Mohammedchen) hat noch ein Schloß und eine Batterie zur weiteren Bewachung der Stadt und des Hafens erbauen lassen, die aber jetzt, unter der seit 1845 wieder eingeführten nachlässigen und nichtswürdigen türkischen Herrschaft, dem Verfall entgegengehen und bald zu den Ruinen gezählt werden dürfen, wovon jede türkische Stadt Überfluß besitzt.

Nachdem ich auf meiner Suche nach einer Herberge ein ungefähres Bild von der Stadt gewonnen hatte, gelangte ich endlich nach vielen vergeblichen Bemühungen zu einer Herberge, wo ich mein müdes Haupt niederlegen und meinen Gehilfen das schwere Gepäck, das sie schon beinahe eine Stunde durch die Straßen, Gassen und Gäßchen mit ihrem entsetzlich schlechten Straßenboden (denn an Pflaster ist hier natürlich nicht zu denken), geschleppt hatten, abgenommen werden konnte. Die bevorstehende Zeit der Wallfahrt nach Arafa, die nur einmal im Jahre vor sich gehen kann, hatte eine ungeheure Menge Pilger hierhergeführt, so daß alle Okala (Herbergen) übermäßig teuer und meist auch schon überfüllt waren, so daß viele Pilger bei Beduinen und Negern in elenden Schilfhütten Herberge suchten. Endlich fanden wir noch ein Okal, das sogar zu meinem Erstaunen fast leer war. Es bestand aus einem schmutzigen, verwahrlosten, mit Kamelen, Maultieren und Eseln angefüllten inneren Hof, um welchen herum im Erdgeschoß, das gewölbt war, und im ersten Stockwerk zusammen einige zwanzig größere und kleinere Stuben lagen. Eine der kleineren konnte ich nach einigem Handeln für die Summe von fünfundzwanzig Piastern (viereinhalb Mark) den Tag mieten, ein nach arabischen Begriffen ganz außerordentlich hoher Preis, der nur durch die gewaltige Überfüllung der Stadt zu erklären war. Ich traute mich aber auch nicht, mit derselben Roheit zu handeln und mit derselben Sündflut von Schimpfworten dabei um mich zu werfen, wie es die wirklichen Araber tun, aus Furcht, mich zu verraten. So blieb ich denn, was ich ja auch sein wollte, ein Maghrebi, das heißt ein Mitglied eines Volkes, das durch seine sprichwörtliche Dummheit berühmt ist, und bei einem Maghrebi wird man keine noch so große Dummheit unnatürlich finden. Ich ließ also mein Gepäck in das kleine, schmutzige, völlig kahle Zimmer bringen und verabschiedete den Indier, der sich zu meiner Überraschung mit einem sehr kleinen Trinkgeld zufrieden zeigte. Mein Erstaunen über diese Bescheidenheit verschwand aber erst, als ich entdeckte, daß er sich durch den Diebstahl verschiedener in den Bündeln enthaltener Gegenstände schon im voraus entschädigt hatte.

Endlich war ich allein in meinem Zimmer, ein Vergnügen, was mir seit Kairo nicht mehr zuteil geworden war. Ali schickte ich schnell auf den Markt fort, nachdem ich mir vorher von ihm unter dem Vorwand, trinken zu wollen, Wasser hatte holen lassen, und nun schloß ich mich ein und ergab mich zwei Handlungen, welche für einen Hadsch, der den Ihram trägt, geradezu verbrecherisch sind und die mich gewiß als Ketzer, ja vielleicht als Ungläubigen verraten haben würden. Diese beiden strafwürdigen Handlungen waren erstens, daß ich auf das zahlreiche Ungeziefer, womit meine Reisegefährten mich angesteckt hatten, die energischste Jagd machte und dasselbe bis auf die letzte Laus vertilgte, und dann, daß ich mich von Kopf bis zu Fuß wusch, ein Vergnügen, was sich kein Pilger erlauben darf, da er ja bei dem Übergießen irgendein Ungeziefer ersäufen kann. Nun gewaschen und gereinigt, fühlte ich mich wie neugeboren, zog, was gleichfalls unerlaubt ist, einen reinen Ihram an und versteckte die beiden schmutzigen Tücher, daß niemand sie entdecken sollte. Nun kam mein Negersklave zurück und bereitete uns beiden auf meinem kleinen Kochherde eine einfache Mahlzeit. Ehe sie jedoch beendet war, sollte ich plötzlich in höchst unangenehmer Weise erfahren, in was für eine Herberge ich hineingeraten war.

Plötzlich erhob sich nämlich in dem Zimmer nebenan ein solcher Lärm, daß ich anfangs meinen Ohren nicht tränte und glaubte, mein Gehörapparat müßte in Unordnung geraten sein. Es war ein Geheul, Geschrei, Geächze, ein Seufzen, Jubeln, Jammern, Poltern, ein Gewimmer und Gekreische, abwechselnd mit näselndem Gesang, bald in höchsten Schrilltönen, bald in tiefem Gebrumme. Was bedeutete dieser gräßliche Skandal? Ich sollte es bald erfahren. Wenn man nämlich genau hinhörte, so entdeckte man in dem Mordspektakel einen gewissen Takt, ja man konnte sogar, wenn man sich besondere Mühe gab, einzelne Worte unterscheiden, welche in allen Tonarten getrillert, gebrummt, geschrieen, geächzt und gekrächzt wurden. Es waren die vielbekannten Worte: La illaha il Allah (Es gibt keinen andern Gott als Allah) und: Mohammed er-Rasul-Allah (Mohammed ist der Prophet Gottes). Das war es also! Es waren muselmännische Gebete, die von ganz besonders frommen Pilgern, von den sogenannten heulenden Derwischen, ausgestoßen wurden. Dahin also war ich geraten? Tag und Nacht sollte ich diesen gräßlichen Lärm in meiner nächsten Nähe anhören? Diese Derwische sind zudem wegen ihres liederlichen Lebenswandels verschrieen. Als es dunkel wurde, kam denn auch vielerlei Gesindel herein, um mit den Derwischen schlechte Streiche auszuführen. So konnte ich denn den ganzen Abend mein Zimmer nicht verlassen, aus Furcht, meine ganze Habe möchte mir von dem Gesindel gestohlen werden. Die ganze Nacht währte das wahnsinnige Geschrei der Derwische, dazu kam das Gebrüll der Kamele und Esel im Hofe und die Stiche zahlloser springender Ungetüme, die aus allen Ecken und Wänden meines Zimmers auf mich eindrangen, um die Qualen dieser Nacht wahrhaft schrecklich zu machen.

Kaum graute der Morgen, so schickte ich mich denn auch an, diese fürchterliche Herberge zu verlassen. Zunächst schickte ich Ali zu meinem ehrwürdigen Freund Schich Mustapha, durch dessen Rat ich hoffte, ein anderes Zimmer zu bekommen. Es vergingen vielleicht zwei Stunden, so kam er wieder, zu meiner nicht geringen Freude in Begleitung Mustaphas und seiner drei Neffen. Die guten Leute hatten mich schon für verloren angesehen, denn Schich Mustapha hatte mich am Abend vorher in allen Kaffeebuden Dscheddas gesucht, und da es niemals vorkommt, daß ein Pilger nicht den Abend in einer solchen Bude zubringt, so glaubte er schon, uns sei ein Unglück zugestoßen. Zu seiner Freude war dies nicht der Fall; aber in was für einer Gesellschaft mußte er mich finden. Solange meine Tür offen blieb, daß die Derwische ihn beobachten konnten, benahm er sich sehr ehrerbietig gegen diese elenden Heuchler; als aber meine Tür geschlossen wurde und einer der Neffen draußen Wache hielt, da konnte sich der gute Alte nicht mehr beherrschen. Er fiel mir um den Hals und rief: In was für einer Spelunke muß ich dich wiederfinden, mein Bruder! In was für eine Räuberhöhle bist du geraten! Mach schnell, daß du aus dieser Hölle herauskommst! – Und so weiter. Zum Schluß kamen wir überein, daß er mich mit in sein Quartier nehmen wolle. Seine drei Neffen nahmen mein Gepäck auf die Schultern, und so zogen wir alle zusammen nach unten. Eine Unannehmlichkeit wartete meiner noch an der Tür, nämlich der Wirt, der von mir die Zimmermiete von drei Tagen forderte. Aber da wehrte ich mich, indem ich auf das Geschrei des Wirtes mit noch größerem Geschrei antwortete, in welches, durch mein Beispiel ermutigt, die vier Ägypter bald mit einstimmten. So mußte der Wirt denn schließlich nachgeben, begnügte sich mit einer kleinen Entschädigung und ließ uns frei ziehen. Die drei Neffen riefen ihm noch, mit echt ägyptischer Feigheit, aus der Ferne eine Menge Schimpfwörter zu, worunter »Hund« und »Schwein« noch die allerzartesten waren. Da der Wirt von der Schwelle seines Hauses diese Schmeichelnamen mit Zinsen zurückgab, aber nicht Miene machte, zu uns herüberzukommen, so blieben die drei mutig wie vorher und lieferten ein Konzert von Schimpfwörtern, wie nur Araber es anstimmen können. Nur mit Mühe gelang es mir und dem Alten, dieser Aufführung ein Ende zu machen. Und nun begaben wir uns zu der Kaffeebude, wo Mustapha sich einquartiert hatte, und wo es mir möglich war, die Nacht über auf einer Bank und zwischen meinen Bekannten einigermaßen ungestört zuzubringen.

In den drei oder vier Tagen, die wir noch in Dschedda zubringen sollten, konnte ich mit Hilfe meiner ägyptischen Freunde noch manche interessante Bekanntschaft machen. So lernte ich unter anderen auch einen Sklavenhändler mit Namen Mohammed Raïs kennen, der uns freundlich in seinem Hause aufnahm, wo wir von jungen Negersklaven in zierlichen, perlenumringten Täßchen von chinesischem Porzellan mit silbernen Untergestellen feinster ostindischer Arbeit Kaffee vorgesetzt bekamen. Wir saßen in einem allerliebsten Zimmerchen, dessen Wände ganz mit Perlmutter ausgelegt waren, worin kleine Spiegel und hier und da vergoldete Tafeln mit buntgeschriebenen Koranversen angebracht waren. Auf dem Boden lagen seine indische Palmblattmatten, von der Decke hing eine schöne chinesische Lampe herab, und der Diwan, auf dem wir Platz nehmen mußten, war mit kostbaren Kaschmirschalen bedeckt. Die Reichtümer dieses Hauses stammten, wie gesagt, aus dem Sklavenhandel. Zwar haben die Regierungen den Handel mit Menschen verboten, aber die türkischen Verwalter führen so nachlässige Aufsicht, lassen sich auch bestechen und üben dann so viel Nachsicht, daß der Handel nach wie vor, freilich im geheimen, betrieben wird. Warum auch nicht, wird er doch sogar im Koran gutgeheißen! Mohammed Raïs wußte viele Streiche ans seinem Leben zu erzählen.

Einmal hatte er an der afrikanischen Küste einen englischen Missionar kennen gelernt, der sich bemühte, die Neger durch Geld, Eßwaren oder Tabak zu bewegen, zu seinem »gottlosen Glauben« überzutreten. Die Klügsten unter diesen Neubekehrten ließ er ein Handwerk erlernen, wodurch sie für jeden, der sie in seinen Dienst nahm, höchst wertvoll wurden. So hatte er unter andern auch zwei Negerjünglinge bekehrt und erzogen, den einen zu einem Schreiner, den andern zu einem Schlosser, und beide zeigten sich so geschickt, daß der Engländer beschloß, sie nach seinem Vaterlande zu senden. »Er schickte sie also«, erzählte unser Wirt, »nach Aden, wo die gottverfluchten Ungläubigen eine Kolonie haben, und von dort sollten sie mit einem englischen Segelschiff weiterbefördert werden. Zum Glück bekam ich Wind von der Sache, hörte auch, daß dies Segelschiff in Dschedda anlegen würde, und beschloß, mich der beiden Jünglinge durch eine List zu bemächtigen. Ich hatte auch gehört, daß die beiden Jünglinge, die man schon für gute Christen hielt, allein reisten. Nur dem Kapitän des Schiffes, einem gutmütigen Branntweinsäufer, waren sie anvertraut worden. So gelang es mir leicht, sie in Dschedda ans Land zu locken, indem ich mich unter einem Handelsvorwand an Bord schlich und ihnen glänzende Beschreibungen von dem üppigen Leben in den Kaffeehäusern von Dschedda, von den Tänzerinnen und andern Vergnügungen machte, so daß die Jünglinge nicht widerstehen konnten und sich auf dem kleinen Nachen, der mich nach der Stadt zurückführte, mit mir einschifften, um einige Stunden in Dschedda in tollem Jubel zuzubringen. Das erste, was ich bei ihrer Landung tat, war, sie nach meiner Wohnung zu bringen, wo ich sie hinter Schloß und Riegel brachte und sie von nun als meine Sklaven betrachtete. Jetzt war nur noch nötig, den englischen Kapitän zu täuschen, und das sollte nicht so schwer halten. Ich ließ alle meine Negersklaven antreten und entdeckte wirklich zwei unter ihnen, welche mit den beiden geraubten Jünglingen eine gewisse Ähnlichkeit hatten. Die Ähnlichkeit ließ sich noch ein bißchen vergrößern, indem ich ihnen die Haare geradeso stutzen und ihnen ebensolche Ohrringe anhängen ließ; dann mußten sie die Kleider der Handwerker anziehen, und nun schickte ich sie an Bord des englischen Segelschiffes, nachdem ich ihnen aufs strengste befohlen, vor der Abreise von Dschedda auch nicht ein einziges Wort zu sprechen, denn nur so könnten sie das große Glück erfahren, aus Verwechslung nach England gebracht zu werden, wo sie das köstlichste Leben von der Welt führen würden. Die armen Teufel scheinen ihre Rolle gut gespielt zu haben, denn nie hörte ich etwas davon, daß der Betrug entdeckt worden sei. In London mag man aber nicht wenig erstaunt gewesen sein, als man statt der beiden tüchtigen jungen Handwerker zwei rohe Naturkinder ankommen sah, die von irgendeiner nützlichen Beschäftigung auch nicht die geringste Ahnung hatten. Mit den beiden geraubten Jünglingen machte ich jedoch ein höchst vorteilhaftes Geschäft, indem ich sie um das Vierfache des Wertes nach Mekka verkaufte, wo kein Engländer sie entdecken wird, denn jene heilige Stadt darf bekanntlich kein Ungläubiger betreten.«

Solche und ähnliche Geschichten erzählte Mohammed Raïs unter den Beifallsbezeigungen der Ägypter, denen ich mich anschließen mußte, wenn ich nicht auffällig werden wollte. Nachdem wir dann noch lange Zeit seine Klagen anhören mußten, daß der Handel mit Sklaven und besonders mit Weißen schlechter und schlechter werde, verließen wir sein gastliches Haus und begaben uns wieder in die Straßen von Dschedda hinaus.

Auf unseren weiteren Streifzügen durch die Stadt sahen wir uns auch die Wechselstuben an. Hier findet man fast alle Münzsorten Südeuropas und Westasiens, die türkische Lira so gut wie das französische Zweifrankenstück, den österreichischen Dukaten, die alte venezianische Zechine, die spanische Dublone, ja selbst die englische Guinee. Münzen, die in Europa nicht mehr gelten, erfreuen sich hier noch großer Beliebtheit, der Piaster sinkt fortwährend an Wert. Die Schuld daran trägt besonders die Regierung, die schlechtere und immer schlechtere Piaster prägen läßt. Die Geschichte des türkischen Piasters gleicht vollkommen der Geschichte des türkischen Reiches.

Die Haupthandelsgegenstände in den Verkaufsläden sind Zucker, Bohnen, hartes Schiffsbrot, geräuchertes Fleisch und Fische, eingemachte Früchte. Diese Waren werden von arabischen Händlern verkauft, von Leuten, die sich als Dienstboten, Lastträger und Handlanger in der Stadt niedergelassen haben und sich durch Sparsamkeit und Fleiß allmählich zu Ladenbesitzern aufschwingen. Sie sind dunkelfarbig, haben lange, kühne Adlernasen und schwarzes, ungepflegtes, zuweilen sehr feines Haar. Die indischen Waren werden dagegen von mohammedanischen Indiern verkauft, nämlich Zucker, Indigo, Baumwolle, Gewürze aller Art, das rotfärbende Kraut Henna, Korallen, Edelsteine, seidene Stoffe, Kaschmirschale, Palmstrohmatten, Elfenbeinarbeiten und chinesische Waren. Die indischen Kaufleute, die hier wohnen, behalten das Kostüm ihres Vaterlandes, die langen, weiten Beinkleider, den weißen oder bunten baumwollenen Kaftan, die Schärpe und den Turban. Sie haben schöne, dunkle, regelmäßige Gesichter, große, sprechende Augen und schlanke Körperformen. Unter ihnen sind die reichsten Kaufleute von Dschedda zu finden. Der Reichste von ihnen, der mir gezeigt wurde, war früher Sklave gewesen, hatte sich die Freiheit und allmählich ein Vermögen, unter anderm auch zwei oder drei Dampfschiffe erworben; aber er trug noch ebenso alte und, schmutzige Kleider, wie er wohl ehedem als Sklave getragen. Dann gibt es noch viele Neger in der Stadt, arme ehemalige oder auch wohl entlaufene Sklaven, die zum Arbeiten zu faul sind und sich durch das Auflesen weggeworfener Eßwaren, durch Stehlen und Betteln ernähren und von den Arabern aufs gründlichste verachtet werden. Die Beduinen, die eigentlichen Wüstenbewohner, haben hier in Schilfhütten ihre kleinen Läden, in welchen sie Milch von Kühen und Kamelen, Pferdefutter, Federvieh, Eier, Butter und Früchte und namentlich Datteln verkaufen.

Von den Frauen kann ich nicht viel sagen, da natürlich, wie überall im Morgenlands, die anständigen Frauen meistens im Hause bleiben und, wenn sie auf die Straße gehen, sich so dicht verschleiern, daß man nur eben ihre Augen zu sehen bekommt. Die Beduininnen sind meistens sehr mager und fangen schon mit dem fünfzehnten Jahre an zu verblühen. Sie sowohl wie die Ägypterinnen glauben, sich durch Färben ihrer Haut zu verschönern, und finden es sehr reizend, schwarze Fußsohlen und Hände zu haben. Auch Stirne, Brust und Wangen bemalen sie mit künstlichen Strichen, außerdem färben sie mit Henna ihre Arme und Beine sanft rot, dann bemalen sie wohl das Gesicht mit weißer Schminke und legen darauf dicke rote Schminke, dazu kleben sie Goldblättchen auf die Stirn und die Augenbrauen, und endlich schmieren sie wohl über diese ganze Farbenkruste noch eine Lage flüssiger Butter. So glauben sie schöner und schöner zu werden und werden doch schließlich wahrhaftige Hexen, vor denen man bange werden könnte.

Am zweiten Tage nach meiner Übersiedlung aus dem Okal in die Kaffeebude unternahm ich mit sämtlichen mir bekannten Ägyptern die Wallfahrt nach dem Grabe der Elternmutter. Das Grab der Ur- und Stammutter liegt etwa zweieinhalb Kilometer in nördlicher Richtung von Dschedda; der Weg dahin führt durch das Bab el Dschedid (das neue Tor), und der fromme Pilger, der hier hinauswandert, wird schon gleich vor dem Tore aus seiner Andacht herausgerissen. Hier stehen nämlich einige fünfzig Schilf-, Reiser- und Bretterbuden, in denen Tag und Nacht ohrenzerreißender Lärm ertönt. Trommeln werden geschlagen, Flöten geblasen, Baßstimmen brüllen und gellende Weiberstimmen jauchzen dazwischen. Wir setzten uns bald in eine dieser Kaffeebuden, und selbst der edle Schich Mustapha ließ es sich nicht nehmen, hier seinen Kaffee zu schlürfen. Die Menschen, die hier wohnten, gehörten zum Stamme der Suakim, welche die größten Vagabunden Arabiens und wohl würdig sind, mit den Zigeunern Europas verglichen zu werden. Fast in allen größeren Städten Arabiens gibt es solche Suakim, welche fast immer, wie hier, in elenden Hütten vor dem Tore wohnen. Sie stehen im schlechtesten Ruf und verdienen ihn, glaube ich, auch so ziemlich, denn sie ergeben sich dem liederlichsten Leben und treiben das schändlichste Gewerbe. Was sie in den Augen des Moslems besonders gottlos erscheinen läßt, das ist ihre Vorliebe für berauschende Getränke, woraus sie gar kein Hehl machen. Namentlich die Busa, ein sehr berauschendes Getränk, welches eine Art von Traubenbranntwein ist, erfreut sich großer Beliebtheit. Meine Reisegesellschaft nun, diese ganz besonders frommen Pilger, waren oder gaben vor, abgesagte Feinde dieses gottlosen Getränkes zu sein, und fielen mit argen Schimpfworten über die armen Teufel her. Besonders Schich Mustapha konnte es nicht unterlassen, den Männern, Jünglingen und Tänzerinnen, die sich um uns gesammelt hatten, eine derbe Strafpredigt zu halten:

»O ihr Ausbund aller schändlichsten Laster! O ihr gottlosen Vagabunden! O ihr Reisigbündel der Hölle! Schämt ihr euch nicht, eure gottlosen Angesichter vor der Sonne zu zeigen?« Und so weiter! – Das Merkwürdigste dabei war, daß diese Strafpredigt von den Suakim ganz ruhig, ja ich möchte sagen, mit einer gewissen Andacht angehört wurde, und als er endlich seine langen Ermahnungen und Beschimpfungen beendigt hatte, da hörte man hier und da den Ausruf: »Maschallah, dieser Mann ist ein Heiliger!« – Ich glaube zwar nicht, daß diese Predigt viel Früchte getragen hat, aber ich freute mich doch, ein Zeugnis dafür gewonnen zu haben, daß im Islam noch nicht alles Gute erstorben ist.

Endlich verließen wir die Hütten der Suakim und betraten nun auf unserem Wege das völlig öde, einsame Wüstenfeld, das Dschedda von allen Seiten umringt. Hier sucht man umsonst nach Gärten, nach Bäumen, nach grünen Plätzen; nur auf einige verkrüppelte Akazien stößt man hier und da, die wohl andeuten, daß hier früher ein Brunnen gewesen sein mag. Wir mochten in dieser Einöde etwa eine halbe Stunde gegangen sein, als wir ein Gewirr von armseligen Hütten und Kaffeezelten gewahr wurden, aus dessen Mitte sich eine Kuppel erhob. Diese elenden Baulichkeiten bezeichneten den heiligen Ort, der heute das Ziel unserer Wallfahrt bildete. Es waren schon einige hundert fromme Hadschadsch vor uns gekommen, die nun vor der Tür einer Ummauerung standen und warteten, bis ihnen geöffnet wurde. Es waren auch, wie ich zu meinem Schrecken an der Sprache der Leute erkannte, einige Maghrebia darunter. Glücklicherweise aber war ich ja in Pilgertracht und sah daher nicht anders aus wie alle übrigen; dem würdigen Schich Mustapha aber, der mich gleich auf meine Brüder aufmerksam machte, schwatzte ich vor, dies seien Tunisi (Leute aus Tunis), nichtswürdige Haschischraucher, deren Gemeinschaft man zu meiden habe, womit er sich auch einverstanden erklärte.

Endlich, nachdem wir etwa eine halbe Stunde vor dem Tore des Grabes der Mutter Eva gestanden und an seine Wände geklopft hatten, um den Wächter herbeizurufen, und nachdem wir von den brennenden Sonnenstrahlen beinahe einen Sonnenstich davongetragen, fiel es dem Schich ein, ein wirksameres Mittel, den schwerhörigen Wächter herbeizurufen, zu versuchen, was denn auch gelingen sollte. Er stimmte nämlich mit lauten, schrillenden Fisteltönen den berühmten Pilgerruf »Labik« an, und bald tönte dieser Ruf, von zweihundert Hadschadsch wiederholt, so laut und einstimmig, daß selbst der harthörige Wächter sich ihm nicht mehr entziehen konnte. Endlich erschien also der Akil (Wächter), und jetzt merkte ich auch, worin denn seine vermeintliche Harthörigkeit eigentlich bestand. Er öffnete nämlich die Tür nicht eher, als bis jeder Pilger ihm ein Trinkgeld, das zwischen fünf und fünfundzwanzig Piaster schwankte, eingehändigt hatte. Hierauf drangen wir in das Heiligtum ein.

Das Grab der Mutter Eva stellt nur einen großen Platz dar, der rings von Mauern umgeben ist. Es müßte schon eine sehr große Moschee sein, die imstande wäre, die gewaltige Tote zu überwölben, deren Oberkörper, wie berichtet wird, ungefähr dreihundert und deren Unterkörper zweihundert Fuß lang war. Nur über der Mitte des Leibes erhebt sich eine aus rohen Korallensteinen erbaute und grellweiß angestrichene Kapelle. Durch die einzige nach Westen gerichtete Tür traten wir ein, sahen aber zwischen den völlig kahlen und nackten Wänden nichts als einen viereckigen Stein auf dem Boden, der genau die Mitte des Leibes der darunter begrabenen Elternmutter bezeichnet. Dieser Nabelstein, wie man ihn nannte, war mit vielen eingemeißelten Verzierungen und Inschriften bedeckt, war jedoch im Laufe der Jahrhunderte durch die vielen Küsse von fettigen Pilgerlippen so schmutzig geworden, daß man jetzt die Verzierungen, ja auch die Steinart nur noch höchst undeutlich erkennen konnte. Diesen heiligen Stein mußten wir, nach der Anweisung des langnäsigen Akils, mit brünstigen Küssen bedecken und an ihm ein kurzes Gebet verrichten. Dann galt es, auch an den übrigen Körperteilen der Elternmutter, von Kopf bis zu den Füßen herab, die teilweise durch große Steinblöcke bezeichnet werden, Gebete zu verrichten. Auf dem Wege vom Kopf zu den Füßen kamen wir auch an einem Ort vorbei, der die Stelle einer Beule bezeichnen soll, die von den Prügeln herrührt, welche die Elternmutter von Sidna Adam, ihrem Herrn und Gemahl, bekommen hat. Auch die Füße, die ganz gewaltige Umrisse hatten, küßten wir, beteten dann, und damit war das ganze fromme Werk beendigt. Jeder fromme Muselmann glaubt, daß die Kubba (Kapelle) Evas schon vor sechstausend Jahren von ihren eigenen Kindern auferbaut und nur von Noah nach der Sündflut, die ihr einigen Schaden getan hat, etwas ausgebessert worden sei. Sie liegt auch, wie eine echte Mohammedanerin, mit dem Gesicht nach Mekka gerichtet, das freilich zu ihrer Zeit noch nicht existieren konnte.

Nach fünfstündiger Abwesenheit trafen wir wieder in Dschedda ein, wo wir nun damit begannen, alle unsere Vorbereitungen für die morgen bevorstehende Reise nach Mekka zu treffen. Ich hatte dafür drei Kamele gemietet, deren eines mich, das zweite Ali und das dritte mein Gepäck tragen sollte. Die Ägypter wollten fast alle die Wallfahrt zu Fuß machen, nur einige von ihnen mieteten kleine Eselchen. Wir besuchten dann noch den Fischmarkt, um Fische, und den Buttermarkt, um für den beispiellos wohlfeilen Preis von fünfzehn Pfennig das Pfund süße und fünfundzwanzig Pfennig das Pfund gesalzene Butter einzukaufen. Dann kehrten wir noch beim Metzger und Bäcker vor, und dann waren wir reisefertig. Ich wußte freilich nicht, daß in diesem Lande alle Reisen nur in der Nacht gemacht werden, sonst hätte ich den Ankauf von Fischen auf den andern Tag verschoben. Da mich aber keiner meiner Gefährten darauf aufmerksam machte, so fand ich mich nun im Besitz einer Menge von frischen Waren, die bei der Hitze leicht verdarben.


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