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Liamande.

Ein Mährchen.

Fakir, der Sohn Abdullas, durchreiste ganz Asien, um Bemerkungen zu machen, und war eben im Begriff, das kleine Königreich Fu, das durch beinahe unersteigliche Gebirge von den berühmten Königreichen Kaschemir und Quassan getrennt ist, zu besuchen, als ihm beim Herabfahren vom Gebirge die Achse seines Wagens brach. Kein Mensch war in der Nähe, der das zerbrochene Fahrzeug hätte wiederherstellen können, und Fakir, der Sohn Abdulla, sah sich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, seinen Weg zu Fuße fortzusetzen.

Zwar hätte er gern einen von den Mauleseln bestiegen, die vor den Wagen gespannt waren, aber er wollte das Kostbarste, was er bei sich hatte, nicht im Stiche lassen, und das Kostbarste war sein Tagebuch. Er hatte nämlich während der Reise alle seine Bemerkungen niedergeschrieben, und seiner Bemerkungen waren so viele geworden, daß zwei Esel mit allen Kräften daran zu tragen hatten. Er belud also die beiden Thiere mit den Produkten seines Scharfsinnes, trieb sie vor sich her die Gebirge herab und erreichte noch vor Sonnenuntergang Risatula, die Hauptstadt des Königreiches Fu.

Als er unter das Thor gekommen war und die Esel mit den Bemerkungen schon vor der ersten Schildwache vorüber waren, ward Fakir angehalten und befragt. »Ich bin Fakir,« sagte er, »der Sohn Abdulla, und bin ganz Asien durchreist vom Ganges bis an die Berge Kion; Ihr werdet von mir gehört haben, denn der Ruf geht vor mir her. Jetzt komme ich zu Euch, um Bemerkungen zu machen und Euch zu beschreiben, wie ich andere Völker beschrieben habe, denn ich bin ein Stern der Weisheit und bin Mitglied der Gesellschaft der Ueberklugen zu Sophia und der Dintensozietat zu Katschemar.« Die Wache sagte: »Wir haben nichts von Dir gehört, Fakir, Sohn Abdulla, Stern der Weisheit und Mitglied vieler wunderbaren Gesellschaften, auch sehen wir nichts vor Dir hergehen, als zwei Esel.« Fakir erwiederte: »Die tragen die Schätze meines Verstandes, die Grundpfeiler meines Ruhms und erliegen fast unter der Last meiner wichtigen Entdeckungen.« Da entstand ein lautes Gelächter unter dem versammelten Volke und die Wache rief: »Ziehe ruhig weiter, Fakir, mit Deiner Weisheit, Deinen Schätzen und Deinen Eseln.«

Als er durch die Straßen zog, folgte ihm ein großer Haufe Volks und begleitete ihn zur Karavanserai. Fakir hielt es für eine Huldigung, die man seinen Verdiensten erzeigen wollte. Er stand still, zog die Schreibtafel aus seinem Busen und schrieb: »Die Einwohner von Risatula sind ein sonderbares Volk; sie drücken ihre Bewunderung durch Lachen aus, nehmen aber durchreisende Gelehrte mit gebührenden Ehrenbezeigungen auf.«

Jetzt war man bei der Karavanserai angekommen. Ein großer grüner Platz vor dem Hause war mit unzähligen Volksgruppen bedeckt. Hier tönte Musik, dort Gesang; hier ward getanzt, dort flog der Ball durch die Luft; hier standen Männer und Frauen in traulichen Gesprächen, dort saßen Greise und sahen lächelnd den Spielen ihrer Enkel zu. Ueberall war Freude und Leben. Aus allen Thüren und Fenstern des Hauses guckten Köpfe hervor. Die ganze Karavanserai schien bis unters Dach besetzt zu sein, und Fakir, der Sohn Abdulla, ward um die kostbare Ladung seiner Esel besorgt. »Fremdling,« sprach der Wirth, »ich wollte Dir gern einen Platz in meinem Hause anweisen, aber morgen ist das Fest des lustigen Königs Abadussa, und alles Volk ist herbeigeströmt, um die schönen Augen der Fee Liamande zu sehen; willst Du aber die Ladung Deiner Esel verkaufen, so tritt unter den Thorweg meines Hauses, und Du wirst Käufer in Menge finden.«

Unterdessen hatten viele Menschen die Esel umringt. Man glaubte, sie trügen Feigen, und drängte sich herzu, um zu kaufen. Aber Fakir sprang herbei, trieb das Volk aus einander, stellte sich mitten zwischen seine Esel und sagte: »Sehr verehrte Anwesende! Ich bin kein gemeiner Krämer, der mit Feigen handelt, und alle Schätze Asiens können die Kleinodien nicht bezahlen, die ich den Rücken dieser Thiere anvertraut habe.«

Die Mädchen von Risatula glaubten, er bringe köstliche Stoffe und Perlen, und da Jede von ihnen die sonderbare Meinung hatte, sie besitze auch etwas, das nicht geringer anzuschlagen sei, als um alle Schätze Asiens, so näherten sie sich, um, wo möglich, einen Tauschhandel einzuleiten.

Fakir hatte sich schon lange mit der Idee getragen, daß die Abkunft eines Völkerstammes weit sicherer aus den weiblichen, als aus den männlichen Gesichtszügen zu bestimmen sei; er wollte eben neue Vergleichungen anstellen, um seine Hypothese zu befestigen, als sein Blick auf eine herrliche stolze Figur fiel, die mit schlankem Wuchs über Alle hervorragte. Der Feuerblick ihres Auges, der wallende Schnee ihres Busens, ihr ringelndes Lockenhaar – Fakir konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Zum ersten Mal in seinem Leben vergaß er sich selbst, den Zweck seiner Reise und die ganze Dintensozietät. Ach! die Strafe folgte ihm auf dem Fuße! Während er so für die gelehrte Welt verloren dastand, hatten sich andere Mädchen an die Körbe der Esel gemacht, daran gedreht, gezupft, gewackelt, bis das Tragband losging und ein gewaltiger Stoß Papier auf die Erde fiel. »Papier! Papier!« schrien die Mädchen laut auf. »Papier! Papier!« schrie das ganze Volk und lachte. »Weißt Du schon, was der Fremdling mitgebracht hat?« fragte Einer den Andern. »Papier! Papier!« war die Antwort, und Alles lachte und schrie: »Papier!«

Fakir, der Sohn Abdulla, warf sich voll Verzweiflung auf die Erde, suchte alle einzelne Blätter seiner Hefte wieder zusammen und verfluchte sein Schicksal, das ihn zu dieser barbarischen Nation geführt hatte. Aber wie sollte er seine Schätze vor diesen rohen Händen sichern? Wo sollte er die Geistesprodukte verwahren, die er mit Kummer und Schweiß zusammengebracht hatte, und die bestimmt waren, Asien zu erleuchten, Fakirs Namen unsterblich zu machen und die Gesellschaft der Ueberklugen um eine Stufe höher zu bringen? Ach, Alles hatte ihn mit unbarmherzigem Gelächter verlassen, nur das schöne Mädchen mit dem Feuerblick im Auge und dem braunen ringelnden Lockenhaar stand noch bei ihm und sah mitleidig seiner Arbeit zu.

»Hast Du Mährchen, Fremdling?« fragte sie neugierig. – »Ei, wollte Gott! meine Vortreffliche, daß es nur Mährchen wären, da wär' ich nicht halb so in Angst; aber was Sie hier auf der Erde liegen sehen, meine Wertheste, ist pure, lautere, wahrhaftige Wahrheit, und hat mich entsetzlich viel Geld gekostet, der Sorge und Mühe nicht zu gedenken!« – »Geld?« sagte das Mädchen und rümpfte das Näschen listig, und zeigte lächelnd zwei Reihen Zähne, weiß wie gefallner Schnee. – »Ei, wo denken Sie hin, meine Beste, glauben Sie denn, daß man umsonst gelehrt wird? Schulleute und Professoren kosten einen schönen Thaler Geld, dann muß man reisen, und das Fuhrlohn ist entsetzlich theuer, und die Zehrungskosten sind enorm, und die Wege schlecht.« –

»Närrischer Mensch! und was willst Du denn mit der papiernen Wahrheit anfangen?«

»Welche Frage! Erst werde ich sie aufs Reine schreiben, und hernach verkaufen, und dann mich darüber zanken, und endlich wird man mich den großen Fakir nennen.«

»Um des Propheten willen, Fakir, wer kauft denn Wahrheit?«

»Aber meine Vortreffliche, Sie sind auch in Ihrer Erziehung sehr vernachlässigt! Ist denn im ganzen Königreiche kein Engroshandel mit Vernunft, kein Detailkram mit Witz und Empfindung?«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Ach, Sie stellen sich nur so. Darf ich wohl fragen, was Sie mit Ihrem Verstande und Witze anfangen, wo Sie Ihre Gefühle hinthun?«

»Ih nun, unsern Verstand haben wir im Kopfe, unsern Witz auf der Lippe, unsere Empfindung im Herzen.«

»Wie? und kein Mensch handelt damit?«

»Seltsamer Mensch! ist es denn eine Waare, die man zu Markte führen kann wie Leder und Kameelgarn?«

Fakir war außer sich vor Erstaunen. »Wie?« rief er und schlug die Hände über den Kopf zusammen, »ist es möglich, daß ich in ein Land gekommen bin, wo kein Schriftsteller an der Feder kaut, kein Preßbengel regiert, kein Buchhändler Honorar zahlt? Wahrlich, es war hohe Zeit, daß ich hier ankam! Glückliche Nation! der Moment Deiner Wiedergeburt beginnt, die Macht der Barbarei entflieht! Fakir, der Sohn Abdulla, wird Dich aufklären, daß Du klar wirst wie helles Wasser, und Dich einweihen in die Geheimnisse der Fakultäten zu Katschemar! Methodisch sollen Deine Weiber empfangen und gebähren, methodisch sollen Deine Kinder aufwachsen und denken lernen, methodisch sollen Deine Jünglinge klug, Deine Mädchen verliebt, Deine Männer alt und Deine Greise jung werden, methodisch soll Alles leben und sterben und in das Paradies des Propheten eingehen, und das rohe Ungeheuer Natur soll mit Steckbriefen verfolgt und mit Interdikten verbannt werden, wo es sich zu zeigen wagt! Tretet zu mir, Einwohner von Risatula!«

Ach, sie traten Alle zu ihm und schrien: »Der arme Mann ist verrückt! Er hat zwei Esel mit Papier beladen, und hält es für Schätze; er spricht von Vernunft und will damit handeln, von Empfindung und will sie verkaufen; er sagt von einem Preßbengel, daß er uns regieren soll, und von der freundlichen Natur, daß er sie verbannen will. Führt den armen verwirrten Mann zu Salhindo, dem Wächter am Grabe des lustigen Königs.«

Fakir widersetzte sich, aber die Männer von Risatula umringten ihn, setzten ihn auf einen seiner Esel und brachten ihn zu Salhindo.

Der muntere Greis saß eben vor der Thür seines Gartens und sah mit heiterm Blicke in die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, als der seltsame Aufzug bei ihm ankam. »Vater Salhindo,« riefen ihm die Männer entgegen, »wir bringen Dir hier einen armen verwirrten Mann, der über die Gebirge herübergekommen ist. Er heißt Fakir und spricht wunderliche Dinge. Nimm ihn diese Nacht in Dein Haus und führe ihn morgen zum Grabe des lustigen Königs, vielleicht erbarmt sich die Fee Liamande seiner Narrheit.«

»Hochzuverehrender Herr,« sagte Fakir, »Sie sehen in mir einen Märtyrer der Literatur, einen verfolgten Apostel der Aufklärung, ich beschwöre Sie, retten Sie mich aus den Händen dieser rohen Menschen und schützen Sie das Kostbarste, was Asien aufzuweisen hat, meine Papiere.«

Das Volk brach wieder in ein lautes Gelächter aus, aber Salhindo reichte ihm freundlich die Hand. »Sei ruhig, Fakir, die Männer von Risatula kränken kein Kind, sie sind fröhliche Menschen, und wer fröhlich ist, ist gut und meint es gut. Komm herein in meinen Garten und sei unbesorgt.«

»Ach, mein Bester,« stotterte Fakir, »Sie haben ein vortreffliches Herz. Ich werde nicht ermangeln, in der Vorrede zu meinen Werken Ihre Güte dankbar zu erwähnen.«

Salhindo lächelte und führte ihn in den Garten und verschloß die Thür, um die Neugierigen zu entfernen. Hierauf ließ er einen Diener die Papiere Fakirs holen und verwahrte sie.

Während dieser Beschäftigungen war das schöne Mädchen, das die unschuldige Ursache von dem Unglücke unsers reisenden Gelehrten war, in den Garten getreten. Sie brachte Brod, Datteln und Feigen in einem Körbchen, und einen Becher mit Wein. Fakir hatte sich ermüdet auf eine Rasenbank geworfen und sann über seine trostlose Lage nach. Das schöne Mädchen kam zu ihm, setzte das Körbchen und den Becher vor ihn hin und blickte ihn mit liebem, mitleidigem Gesicht an. Fakir bemerkte sie nicht. Sie trat jetzt näher, strich ihm mit wehmüthigem Lächeln das blonde Haar aus der Stirn und sagte: »Du armer Fakir! Du hast zu viele Mährchen gelesen, denn viele Mährchen machen das Herz traurig.«

»Ach,« seufzte Fakir, »ich habe keine Mährchen gelesen, was ich gelesen habe, ist wahr.«

»Das ist ja eben das Unglück, daß Du die Mährchen für wahr hältst,« fuhr das Mädchen traurig fort; »aber mein Vater wird Dir schon helfen, und die Fee Liamande wird Dich wieder gesund machen.«

»Sie sind so schön, meine Liebe, aber Sie sprechen wie ein Kind!« –

»Bist Du denn klüger als ich, Fakir?«

»Ich bin klüger als alle Menschen, und in Kurzem werde ich berühmter sein, als der große Ludasta, der zehn alte Systeme über den Haufen geworfen und fünfzig neue dafür hingesetzt hat.«

»Hat der weise Mann auch ein Liedchen gemacht, das bei Deinem Volke gesungen wird?«

»Mit dergleichen Lappalien hat er sich nie abgegeben!«

»Ach, Fakir, Du bist wahrhaftig nicht so klug, wie Du glaubst, denn die Fee Liamande ist weiser als alle Menschen, und die Fee Liamande hat zu dem guten König Abadussa gesagt: ›Wer Trauben auf seinen Bergen zieht und Gesänge macht, die das Herz erheben, den ehrt der Prophet, den lieben die Menschen, den führt Liamande an ihrer Hand und bringt ihn zu lauter heitern Seelen und in helle, freundliche Sterne.‹«

»In der That, wenn ich in Ihr schönes Auge sehe, komme ich in Versuchung, diese spitzfindigen Sätze als wahr anzunehmen. Aber sagen Sie mir, wenn ich bitten darf, wer ist denn die Fee Liamande und wo lebt der König Abadussa?«

»Ach, Fakir, der gute König lebt schon in den hellen, freundlichen Sternen, die ihm Liamande versprochen hat. Morgen ist es wieder ein Jahr, daß er seine Kinder verlassen hat, und morgen besucht uns die gütige Fee und feiert mit uns sein Gedächtniß.«

»Aber ich bitte Sie, erzählen Sie mir …«

»Da kommt mein Vater wieder zurück. Er war der beste Freund des guten Königs, er wird Dir erzählen …«

»Nun, Fakir,« sagte der Greis und setzte sich zu dem Fremdling, »wie gefällt Dir mein Garten? Pflanzt man bei Dir auch Bäume in erfrischende Gruppen und bindet Zweige zu Lauben und säet Blumen auf die Wiesenmatten?«

»Mit Ihrer Erlaubniß, bei uns ist Alles weit schöner; wir haben in unsern Gärten Blumen und Spargel, Altäre und Schaukeln, Tempel und Vogelhäuser, neue Pavillons nach antikem Geschmack, und ruinirte alte Gebäude nach dem neuesten Gusto; kurz, jeder von unsern Gärten ist eine Welt im Kleinen, und Alles beruht auf der wichtigen Theorie der Gartenkunst, wovon man hier zu Lande keinen Begriff hat.«

»Wozu braucht Ihr denn Eure Gärten, daß Ihr eine Welt im Kleinen daraus macht? Bei uns ist der Garten ein stilles Plätzchen außer der Welt, und wir hängen darin unsern Träumen nach und unterhalten uns mit unsern Lieblingsgedanken.«

»Dafür ist bei uns auch gesorgt, unsere Gärten strotzen von schönen Gedanken, beinahe an jedem Baum ist einer angenagelt.«

»Das ist sonderbar, Fakir; warum thut Ihr das?«

»Im Grunde, weil wir so viel schöne Gedanken haben, daß wir nicht mehr wissen, wohin damit; und da doch die Fabrik immer fortgeht, so muß man auf den Absatz bedacht sein.«

»Wer fabrizirt denn bei Euch schöne Gedanken?«

»Eigentlich haben wir eine besondere Innung dazu, die sehr zahlreich ist, aber man nimmt es nicht so genau damit, und Jeder treibt das Handwerk, dem's bezahlt wird.«

»Welche Gedanken nennt Ihr denn schön?«

»Mit Ihrer Erlaubniß, das ist schwer zu sagen. Wir haben Leute, die das große Privilegium haben, und bei denen sind alle Gedanken schön, und dann haben wir wieder Leute, die das kleine Privilegium haben, und diese stempeln die Gedanken der Uebrigen, und nur was sie gestempelt haben, ist schön.«

»Das sind wohl die Weisesten Eures Volks?«

»Ohne Zweifel. Ich gehöre selbst darunter. Wir müssen mit Feder und Dinte umzugehen wissen und eine leserliche Hand schreiben.«

»Und die Fee Liamande besucht Euch nie?«

»Wie? glauben Sie denn im Ernste, daß es Geister gibt, und Feen und Gespenster …«

»Ich erlaube Dir noch daran zu zweifeln, aber morgen wird die gütige Fee ihr glückliches Volk besuchen und wird auf dem Grabe unsers Vaters Abadussa ihre Kinder segnen.«

»Das beliebten schon vorhin Ihre schöne Tochter zu sagen; aber ich bitte Sie, erzählen Sie mir doch die Geschichte dieses seltsamen Aberglaubens, ich werde in meinem Magazine für Aufklärung eine gründliche Widerlegung bekannt machen.«

»Sogleich, Fakir, ob ich gleich zweifle, daß Dein Magazin bei uns brauchbar sein wird. Aber vorher laß uns den Becher leeren, den Zalima für uns gefüllt hat.«

»Riefst Du mich, Vater?« fragte das Mädchen und kam durch das Gebüsch gehüpft.

»Nein, Zalima, ich nannte nur Deinen Namen; wir trinken aber den Becher, den Du für uns gefüllt hast. Komm' her, mein freundliches Mädchen, und singe uns das Danklied für die Gaben der Götter.«

Zalima hob ihr schönes großes Auge zu den Wolken empor, die, von der Abendsonne vergoldet, am Himmel hinzogen, und sang:

»Die ihr im Sonnenstrahle glänzt,
In warmen Tropfen niederregnet,
Die Felsengebirge mit Reben begrenzt,
Den zarten Halm mit Früchten segnet,
Sendet, ihr freundlichen Götter der Erde,
Sendet uns Strahlen der ewigen Lust,
Gebt bei der Fülle der lieblichen Gaben
Frieden und Freude der Menschenbrust!«

Der Greis nahm den Becher und trank und reichte ihn dem Fremdling. Fakir war von sonderbaren Empfindungen bewegt; die stille Heiterkeit, der große ruhige Sinn dieser Menschen ergriff ihn. Er blickte zu Zalima empor. Ihr kindlich frommer Blick ruhte auf dem seinigen. Er ergriff ihre Hand. Er zitterte. Das Mädchen bog sich zu ihm herab und küßte seine Stirn. – »Zalima,« sagte Fakir, »wenn ich Sie sehe, vergesse ich Alles.« – »Vergiß Du nur Alles,« flüsterte das freundliche Kind, »dann wirst Du gesund.«

»Als der König Pelandor,« fing der Greis seine Erzählung an, »die Einsamkeit seines Jugendlebens mit dem Geräusche des Palastes vertauschte und den Thron seiner Väter bestieg, hatte er unaussprechliche Langeweile. In Risatula gab es damals seltsame Menschen, man nannte sie Goliti, das heißt Weise, und sie gaben überall den Ton an und herrschten. Sie hatten Alles gelernt, nur nicht die Kunst, froh zu sein; sie wußten, wie alle Sterne sich bewegten, aber wie das Herz des Menschen schlug, war ihnen unbekannt; sie begingen täglich unzählige Lächerlichkeiten, aber Niemand durfte darüber lachen, denn wer lachte, ward verachtet; und daher machten alle Menschen ernsthafte Gesichter und lachten nur, wenn es die Goliti erlaubten. Der König Pelandor war aber ein großer Freund vom Lachen, und da er das nicht durfte, so behalf er sich mit Gähnen, und gähnte in jeder Minute einmal, und sagte zu seinen Vertrauten: ›Die Menschen sind verdrießliche Kreaturen und die Welt ist unerträglich langweilig!‹

»Seine Vertrauten aber sagten: ›Der König muß heirathen!‹ und da sie das immer wiederholten, so glaubte es endlich der König und sagte selbst: ›Ich muß heirathen.‹

»Eine Deputation, die aus den vornehmsten Weisen von Risatula bestand, ward nun ausgesandt, um eine Prinzessin für den König zu suchen. Sie kamen nach Kaschemir und hörten von der schönen Rolane. Die schöne Rolane war ein Wunder ihrer Zeit. Sie machte Verse in mongolischem Geschmack, und hatte witzige Einfälle, die man nicht verstehen konnte, wenn man nicht alle Bücher der Welt gelesen hatte. Die Gesandtschaft ward der Prinzessin vorgestellt. Man trug ihr die Hand des Königs an. Die schöne Rolane sagte: ›Wenn der König einfältig ist, so will ich ihn heirathen, denn ein Weib von meinem Geiste muß einen einfältigen Mann haben.‹ Da verneigte sich die Gesellschaft vor ihr; Alle sagten einmüthig: ›Unser König Pelandor ist der einfältigste Mann unter der Sonne,‹ und die schöne Rolane entschloß sich, ihm ihre Hand zu geben.

»Die Deputation kam zurück. Man entwarf eine reizende Beschreibung von der zukünftigen Königin, und der König war voller Erwartung. Man machte eine breite Straße über die Gebirge; die schöne Rolane kam im Triumph herüber, und die Feierlichkeiten der Vermählung begannen. Aber der König Pelandor gähnte unaufhörlich bei den Festen, denn die Prinzessin hatte in ihrem Gefolge Weise mitgebracht, und diese Weisen hatten eine noch langweiligere und traurigere Weisheit mitgebracht, als die war, über welche der König schon so lange gegähnt hatte. Man führte Trauerspiele auf in mongolischem Geschmack, die traurig waren. Jedermann sagte laut, es wären Meisterstücke, und Jedermann fand sie im Stillen entsetzlich langweilig. Man gab Lustspiele, über die kein Mensch lachte, und die Weisen schimpften auf das Volk, weil es nicht lachen wollte.

»Die schöne Rolane studierte des Morgens die Weltweisheit, Nachmittags die Geschichte, machte Abends Verse, guckte die Nacht durch nach den Sternen, und der König Pelandor lag in seinem einsamen Bette und sagte: ›Es ist wahr, meine Frau ist klüger als Alle; aber wenn ich ein einfältiges Hirtenmädchen zum Weibe hätte, so hätte ich fröhliche Tage und lustige Nächte.‹

»Die schöne Rolane war herrschsüchtig, weil sie gelehrt war, und hitzig, weil sie Verse machte. Der gute König durfte nicht lachen, weil es gemein war, nicht widersprechen, weil sie Alles besser verstand, und wenn er es ja einmal wagte, so warf sie ihm einen Blick voll Verachtung zu und ward nicht eher wieder gut, als bis er ihre Verse lobte. So war also der gute König übler dran, als vorher, und er sagte zu seinen Vertrauten: ›Die Welt war langweilig, ehe ich geheirathet hatte, aber seit ich die geistreiche Rolane zur Frau habe, ist die Welt unausstehlich.‹ Da sagten die Vertrauten: ›Der König muß ein Kind haben!‹ und weil sie das so oft wiederholten, so glaubte es der König selbst und sagte: ›Ich muß ein Kind haben.‹ – Aber das war schwieriger zu bekommen, ungeachtet sich auch hier die Weisen alle Mühe gaben, dem guten Könige zu helfen. Die schöne Rolane glaubte, die Kinder ihres Geistes (so nannte sie ihre Verse) wären mehr werth, als andere Kinder, und der arme König verzweifelte schon an der Erfüllung seines Wunsches, als ihn ein Ball aus der Verlegenheit zog.

»Die schöne Rolane hatte viel getanzt und war sehr warm, und der König hatte auch viel getanzt und war auch sehr warm, und die schöne Rolane ging in ein Kabinet, um sich umzukleiden, und der König ging auch in das Kabinet, um sich umzukleiden, und der Zufall wollte, daß der König an seinen Wunsch dachte und daß die schöne Rolane ihre Weisheit vergaß. Kurz, sie kamen nicht wieder auf den Saal. Der König sagte: ›Wer das Tanzen erfunden hat, ist ein Mensch gewesen.‹ Die Weisen legten den Finger an die Nasenspitze, die Leibärzte flüsterten sich ins Ohr, und nach neun Monaten kam die schöne Rolane mit einem Prinzen nieder, den sie Abadussa nannte, weil der Held eines Trauerspiels im zirkassischen Geschmack, das man damals bis in die Wolken hob, diesen Namen führte.

»Der König Pelandor nahm das Kind in die Arme, und die Thränen standen ihm in den Augen. Er drückte es an sein Herz und sagte: ›Du kamst vielleicht aus einer heitern, fröhlichen Welt und beginnst jetzt Dein Leben auf der langweiligen, verdrießlichen Erde! Du bist an Liebe gewöhnt und an Freude, und hier liebt Keiner den Andern, und Niemand freut sich aus Grunde des Herzens! Aber sei willkommen zum Segen meines Volks, und mache dieses traurige, kranke Geschlecht wieder fröhlich und gesund!‹ – Hierauf wendete er sich zu der schönen Rolane und sagte bittend: ›Laß das Kind aufwachsen in seiner freien Natur!‹ Aber die schöne Rolane warf ihm einen verächtlichen Blick zu. ›Von der ersten Erziehung hängt Alles ab,‹ sagte sie und gab dem Kinde eine Amme, die poetisch war, eine Wärterin, die Weisheit gelernt hatte, und legte es in eine Wiege, die in mongolischem Geschmacke gearbeitet war.

»Der arme König wagte es nicht, sich zu widersetzen, aber das Herz war ihm gebrochen, er schlich sich traurig weg.

»Ich will meinen alten Freund aufsuchen!« seufzte der König und schlich in den Garten und warf sich auf eine Rasenbank. Sein alter Freund war der Schlaf. – ›Er ist mir immer treu,‹ sagte er zu seinen Vertrauten; ›wenn ich ihn rufe, so kommt er schnell und drückt mir die Augen zu, daß ich das Unwesen nicht mehr sehe, was mich umgibt, und zeigt mir in heitern Träumen eine andere Welt, die ich lieb habe und über die ich die langweilige vergesse.‹ – Aber diesmal wollte der alte Freund nicht erscheinen und heitere Träume bringen; das Herz des armen Königs war zu sehr bewegt. Sein Blick lag auf den Blumen, die um ihn blühten. Ein sanfter Wind schaukelte sie. Sie spielten um seine Füße. – ›Ihr süßen Geschöpfe,‹ sagte der König, ›ihr brecht frei aus euern Knospen und lebt harmlos! Ihr tragt eure Farben offen und frei und kümmert euch nicht, ob euer buntes Kleid schöner oder schlechter ist, wie das bunte Kleid eures Nachbars …‹ Er würde noch länger mit den Blumen gesprochen haben, denn der gute König hatte die Gewohnheit, mit Thieren und Blumen und leblosen Dingen viel zu sprechen, mit Menschen aber wenig. Er würde also noch länger fortgesprochen haben, wenn er nicht durch die Töne einer Laute wäre unterbrochen worden. Hinter ihm war ein Gebüsch. Von daher schienen die Töne der Laute zu kommen. Der König war still und horchte. Er stand auf und schlich naher. Ein einfältiges Hirtenmädchen saß unter dem Schatten einer Birke. Ihr Gesicht war halb verschleiert. Ein Kranz von Wiesenblumen hing über ihre Schulter, zwei Veilchen und eine schneeweiße Rose blühten an ihrer Brust.«

»Das war Liamande!« rief Zalima.

»Sie war es,« sagte der Greis, »aber noch nannte sie ihren Namen nicht; sie schwieg und sang ihr schönstes Lied. Zalima, singe dem Fremdlinge Liamandens Gesang!«

Zalima sank erröthend an die Brust ihres Vaters und sagte: »Fakir wird über Liamandens Gesang spotten, und das könnte die Freundliche erzürnen.«

»Singe Du immer, mein gutes Kind,« erwiederte der Greis, »Fakir wird vorbereitet werden auf ihre Erscheinung.«

Und Zalima sang:

»Sieh' ringsum Licht und Freudenglanz,
Das Leben auf der Flur,
Der Sterne frohen Wirbeltanz,
Das Jauchzen der Natur! –
Des Menschen Herz nur ohne Ruh'
Geht freudenlos dem Grabe zu.
Was fehlt dir denn, du Menschenherz,
Im schönen Erdenland?
Was machst du dir doch Gram und Schmerz
Um Traum und leeren Tand?
Was sorgst du, wie die Zeit vergeht,
Da deines Busens Athem weht?
Ach, komm' zu mir! laß eiteln Harm;
Ergib dich meiner Lust!
Mein Kuß ist süß, mein Herz ist warm,
Komm', ruh' an meiner Brust!
An meinem Busen, an meinem Mund,
Da heilen die Schmerzen, da wirst du gesund!«

Zalima schwieg. Ihre Augen perlten von Thränen. Heiligere Tropfen hatte Fakir nie gesehen. »Zalima,« sagte er und ergriff ihre Hand, »Du hast einen schönen Glauben, Dein Lied hat meine Jugend mir zugeführt, und die Blumen, mit denen ich in meiner Kindheit spielte.« – »Ach, schöner Fremdling!« rief das herrliche Mädchen und schlang ihren weißen Arm um seinen Nacken, »Du mußt bei uns bleiben und werden wie wir, denn ich liebe Dich und kann Dich nicht lassen.« –

Fakir küßte zitternd ihre brennenden Lippen, und der Greis fuhr in seiner Erzählung fort.

»›Wer bist Du, freundliches Mädchen?‹ sagte der König. – ›Ich will Dir sagen, wer ich bin,‹ erwiederte das Mädchen, ›den guten Menschen nenne ich mich gern. Ich bin Liamande, die den Vögeln ihren Gesang lehrt, den Blumen ihre Farben gibt, im Krystall der Quelle rauscht und im Geflüster des Hains spricht; Alles liebt mich, und ich liebe Alles; aber die Menschen haben mich aus ihren Herzen verbannt.‹ – ›Die Menschen sind gut,‹ versetzte der König, ›aber die Weisheit macht sie närrisch und der Verstand macht sie langweilig. Wenn sie Dein Auge sähen und Deine Stimme hörten, so würden sie wieder Kinder werden und sich freuen!‹ Und dem guten Könige ging das Herz auf; er setzte sich an ihre Seite, vertraute ihr alle seine Sorgen und bat sie, sich des kleinen Prinzen anzunehmen, den die schöne Rolane gelehrt machen wollte. – Liamande versprach seine Bitten zu erfüllen; sie hob ihren Schleier auf und ließ ihn in ihr himmlisches Angesicht blicken, und nahm die schneeweiße Rose von ihrem Busen und legte sie auf seine Brust. Da kam der alte Freund, der Schlaf, und drückte dem guten Könige die Augen zu und breitete seinen Mantel über ihn aus, daß er die Schritte der Zeit nicht mehr hörte, und zeigte ihm die heitern Bilder der Traumwelt.

»Die schöne Rolane hatte während der Zeit eine Vorlesung über den mongolischen Geschmack von einem jungen Weisen, der keinen eigenen besaß, angehört; die Amme hatte Beiträge zu neuen Zeitgedichten geliefert, und die Wärterin über die Grundursache alles menschlichen Wissens nachgedacht. Niemand hatte des kleinen Prinzen gedacht, und als man jetzt zufällig nach der Wiege sah, war sie – leer.

»Ein fürchterliches Geschrei erhob sich. Die schöne Rolane stellte sich dreimal als wäre sie ohnmächtig, und dreimal that man ihr den Gefallen und glaubte es. Alles ward durchsucht, überall Boten ausgeschickt, der König aus seinem süßen Schlafe aufgeweckt, aber der kleine Thronerbe war nirgends zu finden! Betrübt schlich der König an die leere Wiege und fand ein Veilchen an der Stelle, wo sein liebes Kind gelegen hatte. ›Liamande!‹ sagte er still gerührt und steckte das Veilchen zu der schneeweißen Rose, die er auf seiner Brust trug. ›Sei ruhig,‹ wendete er sich zu der schönen Rolane, die wie eine Furie den Palast durchstürmte, ›sei ruhig, unser Kind wird aufwachsen wie die Blumen.‹ Aber die schöne Rolane schlug ein bitteres Gelächter auf, und der König schlich sich davon.

»Der Abend kam. Die schöne Rolane warf sich an ihren Schreibtisch und schrieb ein Trauerspiel: Das geraubte Kind. Die Amme machte eine Elegie und die Wärterin bewies, daß das ein unangenehmer Vorfall sei, woran im Grunde kein Mensch gezweifelt hatte. Das Trauerspiel machte ungeheuere Sensation; die Elegie ward für ein Meisterstück erklärt; der Beweis wurde für das Scharfsinnigste gehalten, was man je gelesen hatte, und nach acht Tagen dankten alle Drei dem Himmel, daß das Kind geraubt worden war.

»Achtzehn Jahre waren verflossen. Der König hatte kein Kind bekommen, so oft auch wieder Bälle veranstaltet worden waren. Die schöne Rolane hatte ihre Schönheit verloren, aber an Weisheit so unglaublich gewonnen, daß sie einmal drei Nächte hinter einander wegen der schwierigen Untersuchung: Ob wohl von einem Floh, wenn er seine Flohnatur ausgezogen hätte, noch ein Floh zurückgeblieben sei? kein Auge zuthun konnte. Die Weisen waren über diese wichtige Frage in zwei Parteien zerfallen; die eine behauptete, es wäre sodann ein Nichtfloh vorhanden; die andere hingegen versicherte, es sei dann ein Flohnichts da. Der Streit darüber ward mit solcher Erbitterung geführt, daß von jeder Partei mehrere große Männer an Gallenfiebern starben, daß Viele ihren guten Namen dabei im Stiche ließen und Alle ihre Ehre zweideutig machten. Aber von beiden Theilen wurde doch unglaublich viel Scharfsinn gezeigt, und ganz Persien mit allen seinen talentvollen Köpfen und allen seinen geistreichen Weibern – und deren gab es in der That eine respektable Menge – nahm daran so lebhaften Antheil, daß beinahe jede Familie darüber in Nichtflöhe und Flohnichtse zerfiel.

Hierbei sollten aber die Fortschritte der Weisen nicht stehen bleiben. Von Tage zu Tage ward man feiner, geistreicher, gelehrter. Freilich war man dabei verdrießlich, neidisch und aufgeblasen, freilich gähnte jetzt der gute König Pelander täglich funfzigmal mehr, und hatte schon seit Jahren nicht gewagt, mit der schönen Rolane und ihrer gelehrten Gesellschaft ein Wort zu sprechen; aber was galt dies gegen die unglaublichen Fortschritte in der Weisheit?

»Endlich – es war eine ruhmvolle Periode – war man bis zu der Höhe gelangt, wo kein Goliti den andern verstand, wo kein Mensch die Goliti's verstand, und wo die Goliti keinen Menschen verstanden. Da – das achtzehnte Jahr war vorbei, Abadussa, der Liebling Liamandens, war unter ihrer Pflege aufgeblüht, wie die Blumen des Hains, sein Geist war hell, wie das ewige Feuer vor dem Throne, der Unsterblichen, und sein Herz war rein, wie der Thautropfen im Kelche der Rose – da beschloß Liamande, ihren Zögling auf dem Schauplatz der traurig lächerlichen Welt erscheinen zu lassen, und das Herz des alten Königs durch den Anblick seines Sohnes wieder zu vergnügen.

»Abadussa erschien, ein Geist aus der Fremde, mit rüstiger, jugendlicher Kraft, und wollte die kranken Menschen gesund machen; aber sie verlachten ihn und bewiesen ihm, daß er einfältig wäre, daß er einfältig sein müßte, und daß er einfältig bleiben werde, so lange er lebe. Nur der alte gute König schloß ihn mit Freudenthränen an sein Herz und zeigte ihm die schneeweiße Rose Liamandens, die an seiner Brust unverwelkt blühte. Aber der Jüngling breitete seine Arme in die blaue Luft aus, und wollte wieder zu seiner Lehrerin und Freundin eilen, und an ihrem Busen bleiben, und die Menschen und ihre Possen mit Verachtung vergessen.

»Da erbarmte sich Liamande ihres verlassenen Lieblings und des ganzen thörichten Geschlechtes; und wie eine zärtliche Mutter ihre Kinder zu Bette bringt, wenn sie zu lange gespielt haben, und sich nicht mehr mit einander freuen, sondern streiten, so ließ Liamande einen langen Schlaf fallen auf Aller Augen, und da die Menschen wieder aufwachten, hatten sie Alles vergessen und wußten weiter nichts, als daß sich ein blauer Himmel über ihnen wölbte voll glänzender Sterne, und daß eine grüne Erde um sie blühte voll lieblicher Blumen, und daß sie eine Sehnsucht nach Liebe in ihrer Brust trügen, die gestillt, und ein Verlangen nach Freude, das befriedigt werden mußte. Alle die Papiere, (Fakir erröthete,) welche die Menschen mit ihrer Narrheit schwarz gemacht, und alle Denkmäler, durch welche sie ihre Thorheit zu verewigen geglaubt hatten, waren verschwunden, und nur die Lieder der Sänger Gottes und die kindischen Mährchen einer unschuldigen Welt waren übrig geblieben; denn was aus der Tiefe des Menschenherzens hervorgeht in Wort und Bild, ist ewig und unveränderlich; und ob gleich mehr als dreitausend Bücher voll Gedichte untergingen, so ging doch kein kleines Lied verloren, das aus der Fülle eines reinen Gemüths hervorgegangen war. ›Die Glücklichen, die sie sangen,« sagte Liamande, »habe ich geküßt und gesegnet vor ihrer Geburt, und habe sie zu meinem Dienste geweiht, und sie sind mir treu geblieben, mitten unter den Thorheiten ihrer verkehrten Zeit.‹ –

»Abadussa bestieg den Thron. Achtundneunzig Jahre regierte er sein glückliches Volk. Nie war das Regieren so leicht, nie das Gehorchen so froh, nie eine Zeit so lustig, als die langen Jahre hindurch, da Vater Abadussa auf dem Throne saß. Daher nennt ihn das Volk noch immer den lustigen König und segnet sein Gedächtniß.

»Als er fühlte, daß seine Tage gekommen waren, bat er seine Freundin, sie möchte sein Volk immer vor jener fürchterlichen Krankheit beschützen, welcher es nur durch ihre Hülfe entgangen war, und sie versprach es, und kommt jetzt jährlich einmal zu uns und feiert mit uns das Andenken ihres Lieblings. Da blicken wir in ihr schönes Auge, und sie reicht den Edelsten unter uns ihren Mund zum Kusse und schenkt unsern Kindern schneeweiße Rosen, die nie verwelken und die wir auf unsern Herzen tragen, bis wir sterben.« –

Hier schloß der Greis seine Erzählung. – »Und morgen wirst Du sie auch sehen, die Herrliche,« sagte Zalima und umschlang den Fremdling, und Fakir erwiederte ihre Umarmung, und eine nie gefühlte seltsame Rührung ergriff ihn, und er sagte: »Ach, ich verdiene sie nicht zu sehen!« –

Wie Fakir allein war, fühlte er die alte Sehnsucht in seiner Brust, die er als Jüngling bei seiner ersten Liebe empfunden hatte; sein Auge füllte sich mit Thränen, und er schlug seinen Blick zu den Sternen empor. In den geheimnißvollen verschlungenen Zügen dieser ewigen Schrift schien ihm jeder Gedanke zu liegen, der im Menschen erwacht ist und erwachen wird. Was er wußte, schien ihm so klein, was er fühlte, war ihm so groß, und sein Herz ging auf für jenes schönere kindliche Leben, mit welchem jeder bessere Mensch seine Laufbahn beginnt und endet. Er sank in die Arme des Schlafs, und Zalima's Bild stand vor seiner glücklichen Seele, und das Mädchen bekränzte ihn mit Blumen und legte eine unverwelkliche Rose auf seine Brust. –

Das Jauchzen des Volks erweckte ihn, als die ersten Purpurstreifen am Himmel hinflogen. Die Eindrücke des gestrigen Abends waren verschwunden; er fragte nach seinen Eseln und wollte seine Papiere untersuchen; aber da trat Zalima zu ihm, schön, wie eine aufbrechende Rosenknospe, geschmückt, wie eine Braut, und ergriff seine Hand und führte ihn in den lebendigen Morgen hinaus und eilte mit ihm auf den Platz, wo das Volk versammelt war, Liamandens Ankunft zu erwarten. Mitten auf dem Platze erhob sich ein Hügel mit den schönsten Blumen geschmückt. Es war das Grab des guten Königs Abadussa. Das Volk hatte einen weiten Kreis um den Hügel geschlossen, und in der Mitte des Kreises knieten die Kinder und die Greise.

Und da die Sonne über den Horizont heraufgestiegen war, senkte sich eine Purpurwolke herab und kam näher und immer näher, und das Volk jauchzte ihr entgegen, und Alles hielt sich umarmt und umschlungen, und nannte sich Bruder und Schwester und Geliebte. Jetzt hatte sich die Wolke auf den Hügel niedergelassen; sie zertheilte sich, und Liamande stand auf dem Grabe, mild wie ein Engel des Friedens, voll hoher Würde, wie eine der unsterblichen Jungfrauen aus den Wohnungen der Seligen. –

Und sie hob ihren Schleier auf, und ihr heiliges großes Auge blickte segnend auf die Versammlung herab, und sie fragte mit süßer Stimme: »Kennet Ihr mich?«

»Wir kennen Dich! wir lieben dich! wir gehören Dir ewig an! Verlaß uns nicht!«

»Ich kenne Deine Stimme,« rief Fakir, »ich hörte sie in den Tagen meiner schuldlosen Jugend! Du, Heilige, riefst mich, und ich folgte Dir und war glücklich. Nimm mich wieder auf und segne mich!«

Da winkte Liamande Zalima. Erröthend kniete das Mädchen auf den Hügel, und Liamande legte Fakirs Hand in die ihrige und küßte sie Beide auf die Stirn und sagte leise zu ihnen:

»Bleibt mir ergeben!«


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