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Adelheid von Montmorency.

Eine romantische Skizze aus der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Familie Montmorency war während der Minderjährigkeit Carls IX. auf den höchsten Gipfel ihres Ansehens gestiegen. Ein Montmorency bekleidete die Würde eines Connetabels von Frankreich, die höchste, die je ein monarchischer Staat ertheilte; alle Truppen standen unter seinem Commando, seine Befehle galten der Armee eben so viel, wo nicht mehr, als die Befehle des Königs, und sein Einfluß bei Hofe war eben dadurch der bedeutendste.

Als der König von Navarra der Königin Mutter, jener berüchtigten Katharina von Medicis, deren Namen die Geschichte nur mit Widerwillen ausspricht, den vorübergehenden Glanz der Regentschaft streitig machte, so war es eben dieser Montmorency, der mit dem Herzog von Guise und dem Marschall von Saint-André das Triumvirat bildete, welches Frankreich beherrschte und seinen Boden mit dem Blute eines bürgerlichen Krieges befleckte.

Alle Kräfte der damaligen Zeitperiode waren auf Untersuchung und Vertheidigung metaphysischer Träumereien gerichtet, die man mit dem ehrwürdigen Namen Religion belegte, die das Volk zu einem fanatischen Eifer entflammten und den intriguenvollen Ehrgeiz der Vornehmen hinter eine heilige Decke verbargen.

Die Gelehrten – ewige Charlatane ihrer Zeiten – stritten mit der Feder über Dinge, die so abgeschmackt und albern waren, daß nur Gelehrte darüber streiten konnten. Das Volk, das mit blindem Glauben an jeder alten oder neuen Meinung hält, die ihm schmeichelt, und überdies den Druck der geistlichen Hand eben so schwer fühlte, wie den Druck der weltlichen, theilte sich in Parteien und drohte die seichten Gründe der Theologen mit den Waffen zu verfechten. Die Großen des Reichs untersuchten mit schlauer Besonnenheit, welche Partei stark genug sei, um mit ihrem Blute die Urkunde von der Größe und dem Einfluß ihres Oberhauptes zu unterschreiben.

Deutschland, die Niederlande und England waren der Hauptsitz der neu entstandenen Meinungen; dort waren ihre Erfolge bedeutend, dort hatten sich ganze Provinzen dem allgewaltigen und eisernen Joche der Klerisei entzogen, und drohten auch allmälig ihre politische Verfassung zu verändern. – Die Machthaber Europens sahen mit Zittern das neue Gestirn, Denk- und Gewissensfreiheit genannt, das sich in die alte Ordnung der Dinge drängte und sie zu untergraben schien; sie gaben sich vergebliche Mühe, die entgegenstehenden Parteien durch gütliche Maßregeln zu vergleichen; sie stellten Disputationen der Gelehrten an, wo man viel schimpfte und wenig ausmachte; sie schrieben Kirchen- und Reichsversammlungen aus, auf welchen nichts entschieden wurde, als der Haß, den beide Parteien gegen einander hegten. Kurz, es entstand jene Krisis, welche ein ganzes Jahrhundert von Krieg und Blutvergießen über Europa brachte und der Welt das erste Schauspiel eines allgemeinen Krieges wegen Meinungen gab.

Diese Gährung, an sich so verderblich, war in ihren Folgen eine der wohltätigsten für das menschliche Geschlecht; sie entfesselte den Geist mehrerer Nationen von Europa und schuf die Denkfreiheit, die Mutter alles Edeln und Großen, das die Welt seit der Zeit sah.

Frankreich würde vielleicht den Gräueln des bürgerlichen Krieges entgangen fein; aber die Regierung eines minderjährigen Königs, der wenig Hoffnung gab, daß er je majorenn werden würde, stand unter dem verderblichen Einfluß Philipps II. von Spanien und Katharinens von Medicis, dieser Geiseln der Menschheit. Hierzu kam der unruhige Muth so vieler kühner und großer Männer der damaligen Zeit, die in der allgemeinen Parteisucht Gelegenheiten zu Thaten fanden und das unglückliche Vaterland ihrem Ehrgeize aufopferten. Ein Guise und Montmorency standen einem Condé und Coligny gegenüber, und zwischen ihnen ein Weib, deren niedrige Seele vor jeder Größe neben ihr erschrak, die nur durch Intrigue ihre Erhaltung, durch Verbrechen ihre Sicherheit erkaufen konnte. Die Geschichte jener Periode stellt daher die Gemälde der erhabensten Thaten dicht neben die Schilderung der schändlichsten Verbrechen. Doch genug schon zur Bezeichnung der damaligen Zeit.

Laßt uns von dem unruhigen Schauplatze jener Thaten und Verbrechen in das ruhige Stift von Nion eilen, wo Adelheid von Montmorency, die Nichte des Connetabels, den heitern Morgen ihrer Jugend genoß. Unbekannt mit den Unruhen, die ihr Vaterland zu verwüsten drohten, zufrieden mit einer Welt, die ihr reines und edles Herz nach sich maß, ohne Ahnung und Verlangen der eitlen Größe, an deren Begründung ihre Familie arbeitete, lebte sie unter der Aufsicht der frommen Aebtissin, der ihre Erziehung nach dem Tode ihrer Aeltern anvertraut worden war. In ihrer frühsten Jugend war sie hierher gekommen, zwölf Jahre waren ihr in dieser glücklichen Verborgenheit verflossen, und sie stand eben jetzt in dem Alter, wo der Frühling des Lebens seine Blumen und Blätter entfaltet und das Herz sich unbekannten Wünschen und leisen Ahnungen öffnet, als ihr Oheim beschloß, daß auch sie, die Unerfahrne, Mitwirken sollte, um das Haus Montmorency noch höher zu heben, oder wenigstens seinen jetzigen Einfluß zu befestigen.

Margaretha, die Schwester Karls XL, sollte in Kurzem einen eigenen Hofstaat erhalten. Der Connetabel ahnete die großen Plane Sie ward späterhin die Gemahlin Heinrichs, des Erbprinzen von Navarra. Wer kennt nicht ihr schauderhaftes Hochzeitfest?, welche Katharina von Medicis mit dieser Tochter hatte, und suchte eine der ersten Stellen an ihrem Hofstaate für seine Nichte zu erhalten, um auch da den Namen Montmorency geltend zu machen. Er schrieb an die Aebtissin, entdeckte ihr seine Absichten und befahl seiner Adelheid, daß sie auf einige Zeit zu der Gräfin Ricourt, einer nahen Verwandten, gehen und sich in der Gesellschaft dieser erfahrnen, in den Zirkeln des Hofs altgewordenen Dame zu ihrem Eintritte in die große Welt bereiten sollte.

Adelheid gehorchte mit Zittern dem Rufe, der sie ihrer schönen Einsamkeit entriß und von der Wiege ihrer Kindheit trennte. Sie weinte fromme, dankbare Thränen an dem Busen der Aebtissin, und diese zärtliche Mutter warnte sie vor den Verführungen der Welt, denen sie entgegenging, beschwor sie, der Religion ihrer Väter treu zu bleiben, und mitten in den Umgebungen so vieler verstellter, glatter Menschen immer ihr reines, frommes und kindliches Herz als den kostbarsten Schatz zu bewahren. Adelheid schloß diese heiligen Lehren tief in ihre Brust und schied, begleitet von den Thränen ihrer Gespielinnen und von den Segnungen ihrer mütterlichen Freundin.

Mit dem bangen Gefühle, das Jeden ergreift, der von lieben Menschen sich trennt und einer ungewissen Zukunft entgegengeht, sah Adelheid die Thürme des Stifts hinter dem Walde verschwinden. Es schien ihr, als ob ihr alles Das, was sie in der Welt finden würde, diese Ruhe, diesen stillheitern Frieden der Seele, diese Behaglichkeit nicht wiedergeben könne, die sie in dem glücklichen Nion so ungestört genossen hatte. Der Schmerz des Abschieds war der erste, der ihr Herz erschütterte, der die ersten Thränen des Kummers aus ihren Augen preßte.

Es ward Abend. Die Ruhe der Natur gab auch ihr Beruhigung; die Religion, damals noch der Trost jedes' bekümmerten Herzens, stärkte sie mit Muth und Ergebung, ihre Schwermuth ergoß sich in stille Gebete. Da schoß ein funkelnder Stern gerade vor ihr herab, und sein brennendes Licht fiel in die Gegend nieder, der sie zueilte. – Das fromme Mädchen hielt es für ein glückliches Zeichen, und ein leises: »Ich danke dir!« flog von ihren Lippen zu dem empor, der auf kummervolle Herzen mit Vaterliebe herabsieht.

Am andern Tage kam Adelheid auf dem Schlosse der Gräfin Ricourt an. Die schöne Lage dieses Schlosses, das vortheilhafte Aeußere der Gräfin, die herzliche und liebevolle Ausnahme, – Alles bewirkte, daß sich Adelheid in ihrer neuen Lage gefiel. Sie schrieb die Aufmerksamkeit, mit der man sie behandelte, die Schonung, mit der man alle die kleinen Fehler verdeckte, die sie zuweilen gegen die Konvenienz beging, auf Rechnung der Liebe, die man gegen sie hegte, da sie es doch größtentheils der Achtung zu verdanken hatte, die man der Nichte des großen Montmorency schuldig zu sein glaubte.

Wenige Wochen waren verflossen, und Adelheid vermißte in dieser herrlichen Gegend nicht mehr ihr kleines, mit Mauern umgebenes Klostergärtchen, in diesen prächtigen Zimmern nicht mehr das enge Stübchen, das sie zu Nion bewohnte. Ihre Sehnsucht flog zwar oft zu ihren Gespielinnen, ihre Dankbarkeit dachte täglich an die fromme Aebtissin,« aber diese Sehnsucht war nicht mehr von jenem Kummer, diese Dankbarkeit nicht mehr von jener Wehmuth begleitet, womit sie anfänglich an die verlassenen Freundinnen zurückdachte. Hierzu kam noch, daß sich im Hause der Gräfin ein Fräulein Brússon als Gesellschafterin aufhielt, die beinahe von gleichem Alter mit Adelheid, und eines von den offenen, herzlichen Geschöpfen war, die sich leicht an Andere anschließen und, weil sie mit ihrem Vertrauen entgegenkommen, auch das Vertrauen des Andern erwecken. Adelheid war schon am ersten Tage ihre Bekannte, am zweiten ihre Freundin und kurz darauf ihre Vertraute.

Herzen, von der Welt noch nicht verdorben, von bittern Erfahrungen noch nicht gekränkt, geben sich so leicht jedem fremden weichen Herzen hin. Ach! dieses schöne Geschenk der Gottheit, dieser Brudersinn, den der Mensch zum Menschen in seiner Brust trägt, bringen wir ihn nicht Alle aus dem Paradiese unserer Kindheit in die rauhe, kalte Welt hinein? und ist sein Verlust nicht der unersetzlichste, den wir erleiden?

Amalie von Brússon kannte von der Welt noch weiter nichts, als was sie im Hause der Gräfin sah, und hier hatte sie nur Gelegenheit, sie von der bessern Seite kennen zu lernen; denn, ob die Gräfin gleich den größten Theil ihres Lebens in den glatten Zimmern des Hofs verlebt hatte, so hatte sie doch noch Energie des Geistes genug behalten, sich freiwillig dem geräuschvollen Prunk zu entziehen, um den Abend ihrer Tage mit Würde und Ruhe im Schooße der ländlichen Einsamkeit zuzubringen. Hier verflossen ihr die letzten Tage ihres Lebens in stiller Freude und Wohlthun, und sie bedauerte weiter nichts als daß es nur die letzten waren, die ihr so verflossen. Ihr nächster Gutsnachbar war der Baron Brússon, ein Mann, den sein Herz eben so schätzbar machte, als seine Talente; seine Gesellschaft war der Gräfin die liebste, ihr verdankte sie eine Menge froher und lehrreicher Stunden, und theils aus Dankbarkeit, theils um ihn noch mehr an ihr Haus zu fesseln, hatte sie seine Tochter zu sich genommen und gab ihr eine Erziehung, die ihr der Vater, nicht geben konnte, der, nach der Sitte seiner Zeit, Alles auf die Bildung seines einziges Sohnes verwendete und nur ein sehr geringes Einkommen besaß.

Die tägliche Gesellschaft des Hauses bestand also, außer Adelheid und Amalien, aus dem Baron Brússon, aus einer alten Verwandten des verstorbenen Grafen, die man als ein Erbstück der Familie betrachtete, und aus dem Pater Joseph, dem Hauskapellan der Gräfin, der die Theologie nur als ein einträgliches Handwerk betrieb, aber die Astrologie – ein Lieblingsstudium der damaligen Zeit – über Alles hochschätzte.

Zuweilen kam auch Anton, der Sohn des Barons, ein junger Mann von ungefähr zwanzig Jahren, mit seinem Vater herüber. Anfänglich geschah es freilich selten und nur um seine Schwester zu sehen; denn die Lebhaftigkeit des Jünglings gefiel sich nicht in den Zirkeln der alten Herren und Damen, die nur ihre Zeit lobten, die Gegenwart tadelten und alles Schlimme von der Zukunft befürchteten. Seitdem aber die Gesellschaft im Hause der Gräfin einen so reizenden Zuwachs erhalten hatte, so kam er öfter, ohne sich selbst die Ursache davon gestehen zu wollen; ja sogar die Blödigkeit, die ihn sonst von der Gesellschaft vornehmer Frauenzimmer zurückzog, verließ ihn, wenn er in Adelheids blaues, seelenvolles Auge blickte, und statt des Stolzen und Zurückschreckenden, das er bei so vielen Damen von Stande gefunden hatte, nur Liebe, Güte und den Ausdruck einer weichen Seele sah.

Adelheid sah den Jüngling mit aller Unbefangenheit eines jugendlichen Herzens, und wenn sie ja etwas warmem Antheil an ihm nahm, so geschah es deßwegen, weil er der Bruder ihrer Freundin war, und vielleicht auch, weil die Gesellschaft eines liebenswürdigen jungen Mannes den Reiz der Neuheit für sie hatte. Als aber ein längerer Umgang ihn näher mit ihr bekannt machte, als sie gewahr ward, wie sein lebhafter Geist jedes Vergnügen zu erhöhen, jede Gesellschaft zu erheitern wußte, als sie die Liebe bemerkte, mit der er an seiner Schwester hing, die Achtung, mit der er seinem Vater begegnete, als sie die Bescheidenheit und Sanftmuth sah, die über sein ganzes Betragen verbreitet war; da fühlte sie mit jedem Tage mehr, daß Anton ihrem Herzen theuer war. Sie suchte ihn, ohne es zu wollen; ein unbehagliches Gefühl begleitete sie, wenn sie ihn fern wußte, und die Freude strahlte aus ihren Augen, wenn sie von weitem die Staubwolke sah, die der flüchtige Huf seines Rosses emporwarf.

Die Leute aus der großen Welt irren sich in nichts so sehr, als wenn sie die Empfindungen der unverdorbenen Natur zu berechnen glauben. Sie, die jede Intrigue verstehen, jede noch so künstliche Maske errathen, die mit feiner Behutsamkeit Alles zu lenken glauben, standen schon oft mit Beschämung und getäuschter Erwartung vor einem glühenden, enthusiastischen Herzen, das, von einer mächtigen Leidenschaft beseelt, alle Verhältnisse vergaß, alle Hindernisse verachtete, die sich zwischen dasselbe und den Gegenstand seiner Wünsche warfen. –

Die Gräfin war scharfsichtig genug, das Interesse zu bemerken, das sich zwischen Anton und Adelheid entspann; aber weit entfernt, diesen Umgang für gefährlich zu halten und einzuschränken, freute sie sich vielmehr darüber und gab absichtlich Gelegenheiten, ihn noch ungestörter fortzusetzen. Eine Herzensangelegenheit – glaubte sie – würde für die Bildung ihrer Adelheid von bedeutendem Nutzen sein, und ihr jenes gefällige Aeußere, jene Feinheit der Empfindung geben, die mehr das Werk der Natur als der Erziehung ist. Sie dachte, es verstände sich von selbst, daß Anton nie im Ernste daran denken könnte, seine Augen bis zu einer Montmorency zu erheben. Lächerlich! Liebe ist ein Kind der Natur, in ihrem Gebiete herrscht Gleichheit, sie zerbricht die Ketten der Konvenienz, und der Unterschied der Stände ist ihr fremd! Anton sah in Adelheid nur das Mädchen, das er liebte; was kümmerte es ihn, daß Frankreich vor ihrem Oheim zitterte? Sie liebte ihn, und diese Gewißheit würde ihm Muth gegeben haben, den Kampf mit einer Welt zu wagen, wenn es ihren Besitz gegolten hätte. Adelheid bemerkte, daß die Gräfin ihren Umgang mit Anton billigte, alle ihre Zweifel verschwanden, sie gab sich einer Leidenschaft hin, die den Beifall ihrer Familie zu haben schien und die ihr Herz zu einem Glücke emporhob, dessen Möglichkeit sie nie geahnet hatte.

Der Pater Joseph, ungeachtet er alle Nächte in den Sternen las, hielt es doch auch der Mühe werth, sein Augenmerk auf das zu richten, was am Tage um und neben ihm vorging. Die häufigen Besuche Antons waren ihm verdächtig. Er konnte weder den Baron noch seinen Sohn leiden, weil man Beide nicht ohne Grund in dem Verdacht hatte, daß sie im Stillen der protestantischen Lehre anhingen, und da der ehrliche Hauskapellan die alte Religion liebte, weil sie ihm Brod gab, und die neue haßte, weil sie ihn mit dem Verluste seines Dienstes bedrohte, so hatte er schon seit einiger Zeit Versuche gemacht, die Gräfin von der Familie Brússon abzuziehen. Jetzt verdoppelte er seine Wachsamkeit; er warnte die Gräfin laut, er machte sie auf die Leidenschaft aufmerksam, die unter ihren Augen emporwuchs, er beschwor sie, den Ketzern ihr Haus zu verschließen und Adelheid vor dem verführerischen Gifte des Calvinismus zu sichern. Unzeitiger Eifer! Die Gräfin lachte über seine Bedenklichkeiten, spottete über seine Warnungen, und im Vertrauen auf die Allgewalt ihres Willens, der noch keinen Plan aufgegeben hatte, setzte sie den vertrauten Umgang mit der Familie Brússon fort und erlaubte Anton täglich ihr Haus zu besuchen.

Ach, aber der unglückliche Augenblick nahte sich doch, der das Glück der Liebenden untergrub! Der Parteigeist griff in Frankreich mit jedem Tage weiter um sich, er mischte seine mürrische Laune in das süße Band der Liebe, seine Bitterkeit in die Freundschaft, seinen Argwohn in das Vertrauen, er machte die Zirkel der Fröhlichen verdächtig und entflammte den Fanatismus zur Verfolgung, bis endlich die Flamme des bürgerlichen Kriegs ausbrach.

Wir sind genöthigt, einen Blick auf die Geschichte der damaligen Zeit zu werfen.

Katharina von Medicis, um sich ein Gegengewicht gegen das steigende Ansehen des Triumvirats zu verschaffen, fing an, die Calvinisten zu begünstigen, trat mit dem Admiral Coligny, dem Chef derselben, in Unterhandlungen, und ließ plötzlich ein Edikt bekannt machen, in welchem verboten ward, sie wegen ihrer Religion zu beunruhigen. Die Calvinisten vermehrten sich mit jedem Tage. Die Begünstigung der einen Partei machte die Widersetzlichkeit der andern hartnäckiger, ihren Haß unversöhnlicher. Um, wo möglich, eine Vereinigung zu bewirken, hielt man Konferenzen, die unter dem Namen des Religionsgesprächs von Poisi bekannt sind, und ungeachtet diese nicht zum Vortheile der Protestanten ausfielen, so hatte man doch von Seiten des Hofs eine Mäßigung dabei gezeigt, welche die Protestanten so dreist machte, daß sie überall ihre Meinungen ausbreiteten, und in kurzer Zeit einen Anhang gewannen, der den Hof in Furcht setzte und ihn nöthigte, seiner eignen Sicherheit wegen, ihnen öffentliche und freie Ausübung ihrer Religion zu erlauben.

Philipp II. verfolgte die neuen Meinungen, weil sie ihn hinderten, die Niederlande zu unterjochen. Mit Unwillen sah er die Fortschritts, die sie in seiner Nachbarschaft gewannen; das Triumvirat ließ sich mit ihm in geheime Unterhandlungen ein; eine spanische Armee rückte zur Vertheidigung der katholischen Religion in das Königreich, französische Soldaten schlossen sich an die Reihen der spanischen Söldner, und das Bürgerblut floß.

Der Baron Brússon war, aus Ueberzeugung des Bessern, schon längst der neuen Lehre zugethan gewesen. Sein Aufenthalt am Hofe des Königs von Navarra hatte ihm die Bekanntschaft des großen Condé verschafft, und er ahnete die wohlthätigen Plane, die dieser erhabene Held für das Glück seines Vaterlandes entworfen hatte. Im Aeußern hatte Brússon die Gebräuche der herrschenden Kirche befolgt, um sich unnöthigen Verfolgungen zu entziehen, aber mit Ungeduld erwartete er den Augenblick, wo er sich öffentlich für eine Lehre erklären konnte, von der er hoffte, daß sie dem ganzen Europa eine veränderte und bessere Gestalt geben würde.

Als nach den Konferenzen von Poisi den Calvinisten freie Religionsübung zugestanden wurde, so glaubte er nicht mehr nöthig zu haben, seine Gesinnungen mit dem Schleier des Geheimnisses zu verbergen: – er bekannte sich öffentlich als einen Anhänger der Calvinischen Lehrsätze.

Die Gräfin Ricourt hatte mit allen Hofleuten das gemein, daß sie einen Widerwillen gegen Alles hegte, was sich schnell und aus eigner Kraft entschied. Brússons Grundsätze waren ihr längst bekannt; aber daß er so schnell damit hervortrat, daß er sich, ohne auf die Verhältnisse und Formen des bürgerlichen Lebens Rücksicht zu nehmen, so geradezu der Partei des Hofes, zu der sie sich auch zählte, gegenüberstellte, das mißfiel ihr, und sie zeigte ihr Mißfallen durch ein kälteres Betragen. Brússons Besuche wurden seltner, und Anton durfte es nicht wagen, ohne seinen Vater ein Haus zu besuchen, das ihm lieber geworden war, als das Haus seines Vaters.

Adelheid verlor ihren Frohsinn, stiller Ernst wohnte auf ihrer Stirn, sie suchte die Einsamkeit. Im ewigen Kampfe zwischen Leidenschaft und Pflicht, fühlte sie, daß es unmöglich sei, dem Geliebten zu entsagen, und hielt doch ihre Liebe für ein Verbrechen gegen das, was ihrem Herzen am heiligsten war, gegen die Religion. Jetzt sehnte sie sich wieder in ihr glückliches Nion zurück, mit Wehmuth erinnerte sie sich ihrer frommen Mutter, der Aebtissin, nur bei ihr, glaubte sie, würde der selige Frieden in ihre Brust wiederkehren, der ehemals seinen Sonnenschein über die heitern Tage ihrer Jugend verbreitete. Ach, die Ruhe unsers Herzens ist einer zarten Pflanze gleich, die, einmal von einem kalten Hauche angeweht, nie wieder aufblüht. Umsonst sehnen wir uns in die Gärten der Hesperiden zurück, in welchen wir unsere Jugend verträumten, ein ernstes Schicksal wirft uns in den Strudel der Welt, mächtige Leidenschaften regen uns auf, im unruhigen Streben gehen wir der großen Ruhe entgegen, die alle Müde freundlich in ihre Arme nimmt und die Wunden des Lebens heilt.

Der Connetabel Montmorency sah die Unruhen voraus, deren Ausbruch in jedem Augenblicke zu erwarten war. Um seine Familie sicherzustellen, lud er die Gräfin Ricourt ein, nach Paris zu kommen, und bat sie, seine Nichte mitzubringen. Adelheid sah Anstalten zur Abreise treffen, man suchte sie ihr zu verheimlichen, aber ihre Besorgniß errieth Alles. Die Gräfin war zu sehr Kennerin des weiblichen Herzens, als daß ihr die Ursachen von Adelheids Schwermuth hätten unbekannt bleiben können; aber in der gewissen Hoffnung, daß die Zerstreuungen der Residenz und die Neuheit eines geräuschvollen Lebens sehr bald den Eindruck verwischen würden, den Anton auf das unerfahrne Herz des Fräuleins gemacht hatte, suchte sie die Abreise zu beschleunigen, und beschloß auch Amalien mitzunehmen, um der armen Adelheid nicht zu gleicher Zeit die Freundin und den Geliebten zu entreißen. Den Abend vor ihrer Abreise fuhr die Gräfin auf das Gut des Barons, um von ihm Abschied zu nehmen und um ihn – wenigstens glaubte sie es seiner Freundschaft schuldig zu sein – vor der Zukunft zu warnen und ihm von einer Partei abzurathen, die ihre Stärke nur in ihren Muth, nicht in ihre Macht setzen konnte. Adelheid und Amalie begleiteten sie.

Während die Gräfin und der Baron sich in ein wichtiges Gespräch über Politik und Religion vertieften, sahen sich Adelheid und Anton zum ersten Male, seit der unglücklichen Entfernung beider Familien, wieder allein. Ach, aber diese längst ersehnte Stunde war zugleich die Stunde des Abschieds! Anton stellte Adelheid die Unmöglichkeit vor, sich von seinem Vater in einem Augenblicke zu trennen, wo ihn Gefahren umringten, aber zugleich versprach er ihr, während seines ganzen Lebens einer Religion getreu zu bleiben, durch welche er allein hoffen konnte, den Besitz einer Montmorency zu erlangen. Adelheids Zweifel waren beruhigt, ihr Gewissen war wieder mit ihrer Liebe ausgesöhnt; sie gab ihm das feierliche Versprechen einer ewigen unwandelbaren Treue und erhielt das seinige. – Die Hoffnungen der Liebe sind allmächtig wie die Liebe selbst, sie führen den glücklichen Geliebten hoch empor über die träge Wirklichkeit des Lebens und zeigen ihm von fern das gelobte Land seiner Wünsche und die Paradiese seiner Zukunft!

Adelheid und Anton verloren sich in süßen Träumen ihres Glücks, ohnmächtig schienen ihnen alle Versuche des Schicksals, sie zu trennen, und sie schieden mit der festen Ueberzeugung von einander, daß ihre Trennung nur auf kurze Zeit, aber ihre Wiedervereinigung auf ewig sein würde. –

Warum murrt der Mensch gegen euch, ihr unsterblichen Mächte, daß ihr die Tage der Zukunft vor seinem Blicke mit Nacht umhüllt? Würde der Becher der Freude unsern Lippen süß schmecken, würde der Kuß der Liebe uns mit Seligkeit berauschen, wenn das Gespenst der Zukunft vor unsern Augen stände und an die Vergänglichkeit alles Glücks und an die Thorheit unserer Wünsche uns mahnte? Würden nicht die Herzen der beiden Liebenden gebrochen sein, wenn sie den Augenblick geahnet hätten, in welchem sie sich wiedersehen würden?


Adelheid kam in Paris an und ward Hofdame bei der Prinzessin Margarethe. Es war Winter. Der Hof war glänzend, und ungeachtet Besorgniß wegen der drohenden Gefahren Aller Herzen einnahm, so suchten doch Alle diese Besorgniß durch Feste und Zerstreuungen zu bekämpfen. Adelheid hatte zu lange in einer glücklichen Beschränktheit gelebt, als daß sie an dem Geräusche dieser ausgelassenen Vergnügungen hätte Geschmack finden können. Ihr reines, stilles Herz war einsam mitten in den Umgebungen eines glänzenden Hofs; ihre treue Liebe dachte nur an den entfernten Geliebten mitten unter den Höflingen, die sich vor ihrem Namen bückten und um einen freundlichen Blick ihrer schönen Augen geizten. Die Zeit verfloß ihr zwischen der Pflege ihres alten würdigen Oheims und den Besorgungen ihres Dienstes.

Der Frühling brach an und mit ihm der bürgerliche Krieg. Der Connetabel stellte sich an die Spitze der königlichen Truppen; Brússon und sein Sohn stritten unter den Fahnen des Prinzen Condé. Blutige Schlachten wurden geliefert, Wunder der Tapferkeit, wie sie nur die Geschichte der bürgerlichen Kriege aufzuweisen hat, geschahen, Schwärmerei und Fanatism standen einander gegenüber, die Provinzen wurden verwüstet, die friedlichen Hütten des Landmanns zerstört, blühende Städte in Aschenhaufen verwandelt und fremde Truppen überschwemmten das Land.

So verflossen mehrere Jahre. Kurze Friedensschlüsse unterbrachen zwar zuweilen die Szenen des Kriegs; aber da sie nur von der Ohnmacht und Furcht der einen Partei erpreßt waren, und von der Eifersucht der andern bewacht wurden, so dauerten sie nur wenige Monate, und die Flamme des Kriegs brach mit verdoppelter Wuth wieder aus. Die Gefangenen behandelte man mit einer Härte, die auch nur in bürgerlichen Kriegen, an welchen jeder Einzelne durch persönlichen Haß Theil nimmt, möglich ist. Man enthauptete sie, oder schmiedete sie in die Ketten der Galeeren.

Adelheid erhielt dann und wann durch Amalien Nachricht von Anton. Seinem Versprechen getreu, stritt er unter dem Heere des Prinzen von Condé, weil das Glück seiner Familie an das Schicksal dieses Helden gebunden war, aber er trat nicht den Calvinischen Meinungen bei. Das Leben im Lager erhöhte seinen Muth und gab ihm jenen festen Geist, welcher nach Thaten ringt und die Gefahren verachtet. Das Bild Adelheids lebte in seinem Herzen und spornte ihn zu Thaten, um eine Montmorency zu verdienen, oder mit einem ehrenvollen Tod das Versprechen seiner Treue zu besiegeln.

Condé, groß in seinen Planen, verwegen in der Ausführung derselben, beschloß, Paris zu blockiren und den Hof zu einem Frieden zu zwingen. Er bemächtigte sich der wichtigsten Vorstädte, steckte die Mühlen in Brand und verschloß der Stadt alle Zufuhr der Lebensmittel. Umsonst versuchte Katharina den Weg der Unterhandlungen; Condé, zu oft dadurch getäuscht, verlangte schnelle, unbedingte Bewilligung der Religionsfreiheit. Der Mangel an den nothwendigsten Bedürfnissen stieg mit jedem Tage, das durchdringende Geschrei des Volks setzte den Hof in Schrecken, man beschloß, ein entscheidendes Treffen zu wagen.

In der Ebene von Saint-Denis stellten sich beide Armeen in Schlachtordnung. Die königliche Armee war dem Heere der Protestanten in Allem unendlich überlegen, aber die Geschicklichkeit eines Coligny und die Unerschrockenheit eines Condé ersetzten den Mangel ihrer Truppen.

Mit beispielloser Tapferkeit hielt diese kleine Heldenzahl die immer erneuerten Angriffe der katholischen Armee aus. Endlich sprengte der beinahe achtzigjährige Greis Montmorency mitten in das Handgemenge der Truppen und entschied den Sieg; aber diese Entscheidung kostete ihm das Leben; er blieb tödtlich verwundet auf dem Schlachtfelde liegen. Anton von Brússon achtete nicht der Gefahr, er eilte zu dem sterbenden Helden, suchte seine Schmerzen zu lindern, und der Connetabel segnete ihn für die Beweise seiner Menschlichkeit.

Adelheid war trostlos, als man ihr die Nachricht von dem Tode ihres Oheims meldete. Die Stütze ihres Lebens war gesunken, der Glanz der Familie Montmorency war erloschen. Sie erfuhr es, daß Anton von Brússon den letzten Segen des Sterbenden erhalten hatte, und ein Strahl von Trost und Muth drang in ihr bekümmertes Herz: »Ist er gesegnet,« sprach sie mit frommen Thränen, »so bin ich es auch!«

Die protestantische Armee wuchs aus ihren Trümmern wieder empor und lieferte, ungeachtet des eingebrochenen Winters, noch mehrere Gefechte, welche aber nichts entschieden.

Im Frühling verließ der Hof, der mit den Chefs der Protestanten einen Frieden oder vielmehr einen nothgedrungenen Waffenstillstand geschlossen hatte, Paris und machte eine Reise in die Provinzen, um durch seine Gegenwart den gesunkenen Muth seiner Getreuen wieder aufzurichten.

Adelheid fühlte jetzt mehr als je das Lästige ihrer Lage. Ihr Herz trauerte noch über den Verlust ihres Oheims: eben so sehr ward sie von der Unruhe über das Schicksal Antons, von dem sie seit jenem unglücklichen Tage nichts gehört hatte, gefoltert, und doch war sie gezwungen, allen den Feierlichkeiten beizuwohnen, die die Städte zum Empfange des Hofs anstellten.

Den ganzen Sommer hindurch dauerte die Reise. Spät im Herbst kam der Hof nach Toulon. Hier hatte man schon große Vorbereitungen gemacht; denn Heinrich von Bourbon, Erbprinz von Navarra, wurde erwartet, um eine Zusammenkunft mit der Königin und der Prinzessin Margaretha zu halten. Er kam an, und man beeiferte sich, dem jungen Prinzen einen Begriff von dem Glanze und der Macht eines Königs von Frankreich zu geben. Ein Fest verdrängte das andere, man zeigte ihm die Zeughäuser, die Anstalten der Marine, man ließ die Truppen manövriren, man besichtigte die Flotte. Ein Aufzug der Matrosen sollte die Feierlichkeiten beschließen. Mit klingendem Spiele, mit fliegenden Fahnen zogen sie bei dem Hofe vorbei, der unter einem prächtigen Baldachin vor der Thür des Palastes stand. An ihren Zug schlossen sich unter einer zahlreichen Bedeckung von Soldaten die Galeerensklaven an, für heute ihrer Fesseln entledigt.

Mitten unter diesen hohlen, von Gram und Verzweiflung verzehrten Gesichtern schritt ein blühender Jüngling daher, sein Schritt war stolz, sein Blick zur Erde gesenkt, auf seiner Stirn saß der Kummer über ein unverdientes Schicksal, das ihn in die Reihen der Verbrecher geworfen hatte. Er näherte sich dem Palaste, Aller Augen waren auf ihn gerichtet, aber er sah mit unverwandtem Blick zur Erde. Da weckte ihn ein Schrei aus seiner Betäubung, er blickte empor, und Adelheid lag leblos zu den Füßen der Königin. Barmherziger Gott! es war Anton! Nach der Schlacht von St. Denis hatte man ihn zum Gefangenen gemacht und auf die Galeeren geschmiedet. Das war der Augenblick, wo er seine Adelheid nach langer Trennung wiedersah.

Katharina, zum ersten Male menschlich, ward von dem Schicksale der Liebenden gerührt, sie schenkte dem unglücklichen Jünglinge die Freiheit, und Adelheid, jetzt völlig Herr über sich selbst, gab ihm ihre Hand.

In ländlicher Ruhe, fern von dem Schauplatze des Kriegs, der noch viele Jahre lang ihr Vaterland verwüstete, genossen sie den Lohn ihrer Liebe und Treue in einem schönen und zufriedenen Leben.


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