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Biographie eines Engels.

Ein Bruchstück.

Ich wohnte in Neapel auf der Strada del Gigante; meine Wohnung war eine der angenehmsten der Stadt; aus meinen Zimmern hatte ich die Aussicht über den Golf. Ich war fleißig. Während der acht Monate, die ich mich in Rom aufgehalten hatte, war eine gewaltige Veränderung mit mir vorgegangen, und ich brauchte Zeit und anhaltendes Studium, um die Eindrücke, die ich dort empfangen hatte, zu ordnen und meinen Geist, der durch die Wunder der Kunst aufgeregt worden war, wieder zu einer ruhigen Thätigkeit zu gewöhnen.

Ich führte Skizzen aus, die ich in Rom entworfen hatte, und suchte dadurch meine ungebundene Phantasie zu den Regeln der Kunst, dem einzigen Wege, der zur Schönheit führt, zurückzubringen. Aber wenn ich an die unsterblichen Werke Raphaels zurückdachte, wenn ich im Geiste die Logen des Vatikans betrat, die sein Hohes Talent geheiligt hat, dann warf ich muthlos Pinsel und Palette weg, und nichts konnte mich in dem drückenden Gefühle meines Unvermögens erheitern, als der Anblick der Natur, die mit allen den unaussprechlichen Reizen, womit sie dieses Feenland geschmückt hat, vor mir dalag.

Wenn sich mein Blick auf dem herrlichen Meere wiegte, das Griechenland und Italien mit seinen Wellen bespült, oder wenn mein Auge die Dampfwolken des Vesuvs bis in das ewig heitere Azur des Himmels verfolgte, dann war es mir, als thäte ich einen Blick in die Unendlichkeit, und das gab mir wilder Muth und Selbstvertrauen. Es war die schönste Zeit meines Lebens.

Ich glaube, ich würde mich so bald nicht entschlossen haben, Neapel zu verlassen, wenn ich mich an den unerträglichen Lärm auf den Straßen und an die noch unerträglichem Besuche ultramontanischer Kunstkenner hätte gewöhnen können. Zweimalhunderttausend Menschen sehen den Tag über die Straßen von Neapel für ihren Wohnort, und wenigstens Vierzigtausend auch für ihr Quartier an; die Handwerker haben ihre Werkstätte aufgeschlagen und die Müßiggänger ihre Kaffeetische. Das Getöse der Wagen und Pferde –wird von mehreren Tausend Stimmen verschlungen, die sich um die Wette vereinigen, das harmonische Ohr des Neapolitaners zur Verzweiflung zu bringen. Dieser tobende Lärm störte die einsame Stille meines Zimmers und riß meine Gedanken unwillkürlich von der Arbeit weg.

Ich hatte einzige fertige Gemälde bei mir, die ich zur Lebensnahrung und Nothdurft verkaufen mußte, und das zog mir eine Menge Besuche zu, die mir meine Zeit raubten und oft meine Galle in Bewegung setzten. Es waren größtentheils vornehme Reisende, die eine bemalte Leinwand aus Italien nach Hause bringen wollten, um mit einer wichtigen Miene sagen zu können: »Das Stück habe ich selbst in Neapel gekauft!« Die Deutschen waren mir am meisten willkommen, ungeachtet sich meine Börse keinen sonderlichen Gewinn von ihnen versprechen konnte. Bescheidenheit war immer ein Hauptzug in dem Charakter dieser Nation. Wenn der Deutsche keine Kunstkenntniß besitzt, so affektirt er sie wenigstens nicht; und die Bemerkungen ihrer Kenner sind gründlich und durchdacht. Der Franzose hingegen lobte mich unverschämt ins Gesicht und brach in enthusiastische Phrasen aus, durch welche er meinen Gemälden zwar keinen Werth, aber wohl seiner eigenen Person eine große Bedeutung geben wollte. Am unausstehlichsten, aber, leider! auch am unentbehrlichsten sind die Besuche der Engländer. Sie treten in das Zimmer des Künstlers mit demselben Geradezu, wie in ihre Pferdeställe; sie berechnen die Schönheit eines Kunstwerks wie den Kours ihrer Banknoten; sie wissen, daß Alles feil ist, und behandeln Alles wie feile Waare; sie können mit ihrem Golde Menschen erkaufen, so viel sie wollen, Gewissen, so viel sie brauchen, was könnte ihnen noch ehrwürdig sein? Trotzig ziehen sie ihre vollen Börsen, zählen den geforderten Preis auf und eilen davon, ohne das nasse Auge des Künstlers zu bemerken, der mit schwerem Herzen von seinem Lieblinge Abschied nimmt. –

Der Maler ist unter allen Künstlern am übelsten dran; er hat in einem feierlichen Augenblicke ein schönes Bild der Phantasie empfangen, er hat es in vielen schweren und mühsamen Stunden geboren und erzogen, und jetzt, wenn es vollendet ist, wenn er ihm Leben und Wirklichkeit gegeben hat, muß er sich davon trennen, ohne es vielleicht je wiederzusehn.

Ein junger Lord mit einem aufgeblasenen dummen Gesichte hatte mir einen Johannes abgekauft, den ich in Florenz gemalt hatte. Ich bot das Bild noch einmal so theuer, um es nicht in seine Hände kommen zu lassen, aber er zahlte ohne Widerrede das Verlangte, rollte es zusammen und trug es fort, wie ein Stück Waare aus dem Laden. Da stand ich nun, sah ihm mit bitterer Empfindung nach. Ich hatte eine edle Gestalt, voll Seelengröße und innerer Vollendung gemalt, und sie jetzt an die erbärmlichste Gestalt unter dem Monde verkauft. Jahrelang hatte das Bild dieses Johannes vor meiner Seele gestanden, seit Monaten hatte es, im Rahmen gespannt, vor mir gehangen, hatte mir in mißvergnügten Stunden Heiterkeit, in gedankenleeren Gedanken gegeben, und jetzt trug es ein Mensch fort, um es, mit prächtigem Rahmen verziert, wie ein kostbares Meuble in den Spielzimmern seines Hauses aufzustellen. Ich wog das Gold in meiner Hand, und der Gedanke tröstete mich, daß ich nun beinahe auf ein Jahr dieser Seelenkäuferei überhoben wäre.

Ich beschloß, die Stadt mit ihren Alltagsgesichtern zu verlassen und auf irgend einem abgeschiedenen Winkel dieses Paradieses mir und meiner Phantasie zu leben. Ich packte meine Habseligkeiten zusammen; wohin? wußte ich freilich noch nicht; aber gebt mir Freiheit, Ruhe und schöne Natur, so ist mir jeder Ort gleich, und ich bin das sorgloseste fröhlichste Wesen auf der Welt. Darin war ich mit mir einig, daß ich zum südlichen Thore hinausfahren wollte.

Abends ging ich in die Academia dei cavalieri, die wenige Häuser von meiner Wohnung ihren Versammlungsort hat. Ich wollte von meinen Bekannten Abschied nehmen, und hoffte von ihnen Empfehlungsbriefe zu einer Reise in die südlichen Provinzen zu erhalten. Die Akademie war nicht zahlreich, aber ich traf meinen vortrefflichen Valorini mit seiner Familie. Ich drückte ihm die Hand für alle die herzlichen Stunden, die ich in seinem Hause genossen hatte, und sagte ihm mit zwei Worten, daß ich fort wollte, weil ich Geld hatte, und daß ich zurückkommen würde, wenn ich wieder arm wäre. Er meinte freilich, es sei gegen alles gute Herkommen, die Stadt mit vollem Beutel zu verlassen und mit leerem wieder aufzusuchen; aber kann ich dafür, daß ich nun einmal nicht dazu tauge, den gewöhnlichen Schlendrian des Lebens hinzugehen?

Um mich wenigstens nicht ganz aus den Augen zu verlieren, schlug er mir vor, eine leerstehende Villa hinter Portici zu beziehen. »Sie wünschen Stille und Abgeschiedenheit,« sagte er, »und ich kann Ihnen versichern, sie ist Beides in so hohem Grade, daß für den Orden La Trappe, wenn er anders in unserm Klima fortkommen könnte, kein abgeschiedenerer Ort ausfindig zu machen wäre. Seit zehn Jahren hat sie keinen Bewohner gehabt, als einen alten Aufseher …«

»Aber die Lage,« fiel ich ein.

»Dicht am Fuße des Vesuv, hinter sich die Stadt und den Pausilipp, vor sich die ganze Uebersicht des Golfs, die Inseln Capri, Nisita, Ischia, das Vorgebirge Massa und die Bergkette von Salerno …«


Am andern Tage war ich in der Villa. Ich stellte meine Staffelei auf, spannte meine Arbeiten in Rahmen, schnürte mein Felleisen aus, und, siehe da! ehe eine Stunde verging, war ich völlig eingerichtet. Ich besah nun meine Wohnung genauer, und je mehr ich sie in Augenschein nahm, desto mehr gefiel sie mir. Auf der rechten Seite hängt sie durch Gärten mit Portici und Nesina zusammen; auf der linken hat sie ein kleines, aber gutgebautes Bauerhaus zur Nachbarschaft, das ein Armenier, wie man mir sagt, bewohnen soll. Ein alter, ehrlicher Grankopf und seine Nichte sind die einzigen lebendigen Seelen, die mich umgeben; das Mädchen lächelt mich, trotz ihrer brennend schwarzen Augen, so freundlich an wie eine Wienerin, und der Alte macht früh und Abends meinen Bedienten, zu Mittage meinen Wirth und in müßigen Stunden meinen Gesellschafter. Meine Meublen sind unstreitig die lächerlichsten Antiken in ganz Portici; der Geschmack, in welchem sie gearbeitet sind, ist so gedreht und geziert wie die Trauerspiele unter dem unsterblichen vierzehnten Ludwig, und die Zeit, die keine matte Vergoldung leiden kann, hat auch die ihrige weggenommen und nur einen braunen Rand übrig gelassen; aber das Alles gefällt mir, weil es zu dem Ganzen paßt. Ich will nun einmal das Moderne vergessen.

Unter mir liegt eine große Stadt Ein Theil von Portici steht über der alten verschütteten Stadt Herkulanum. mit einer Menge ehemals thätiger und gewerbfleißiger Einwohner begraben; mich umgiebt eine blühende Natur, die mitten in ihren gesegneten Fluren mit Verderben droht und vielleicht in der nächsten Minute mich und die ganze herrliche Gegend vernichtet; um mich herum sind Tische und Stühle, auf denen weiland große und angesehene Männer arbeiteten und ausruhten, bis sie die Zeit in das Bette der Gleichheit hinabwarf, und ich sitze mitten unter den Denkmälern der Vergänglichkeit und male die Gestalten meiner Phantasie, sorglos wie ein Kind, das auf den Ruinen seiner väterlichen Hütte mit Blumen spielt. Was kümmert es mich, daß der Mensch und das Werk seiner Hände wie Schattenbilder vergeht, Eins ist ewig, die Schönheit, und Eins ist unsterblich, des Menschen Geist!


Ich war heute mit meinem alten Paul in das verschüttete Herkulanum hinabgestiegen; wir gingen mit Fackeln in das ehemalige Forum, und Paul meinte, es müßte doch eine schöne Zeit gewesen sein, da die Gerechtigkeit in einem so großen luftigen Raume ihre Sitze aufschlagen durfte. Der ehrliche Greis ward warm und polterte so Manches heraus, was man im Neapolitanischen Gebiete vielleicht nirgends, als in den Gräbern von Herkulanum, sich ins Ohr sagen darf. Ich lächelte und schwieg; wenn eine große Vergangenheit den Geist des Menschen emporhebt, dann hat er kein Auge für die Gegenwart mit ihren Leiden und ihren Freuden. Ich war in den Orkus hinabgestiegen, was kümmerte mich das kindische Treiben der Oberwelt!

In einer ernsten Stimmung kam ich wieder nach Hause. Der Pausilipp und Vesuv glänzten in den letzten Strahlen der Sonne, aber auf dem Meere lag das Abendroth, der Sirius warf einzelne Strahlen und der Flammengurt des Orions schwebte empor. So zogen einst die Gestirne über das glückliche Herkulanum herauf, sie beleuchteten die Opfer jener Götter, die Leben, Freude und Ueberfluß bezeichneten, und scheinen jetzt in die schmutzige Zelle des Mönchs, der vor dem Bilde des Jammers seine Gebete abzählt. –

Ach warum ist der Mensch verdammt, den Stempel seiner Zeit an sich herumzutragen und allen Werken seines Geistes aufzudrücken! Wo ist der Gelehrte, dessen Schriften, der Künstler, dessen Werke nicht die Denkungsart und der Geschmack seines Zeitalters hervorgebracht hätte! Seht nicht stolz auf uns herab, ihr erhabenen Geister der alten Welt! ihr lebtet unter einer schönem Sonne, eure Genien wurden unter einem freundlichem Himmel großgezogen, ihr mußtet das werden, was ihr wurdet. Eure Künstler erheben sich zu unerreichbaren Mustern der Nachwelt, aber ging nicht damals die Religion mit der Kunst Hand in Hand? In jener schönem Zeit erhob man sich durch die Betrachtung erhabener Kunstwerke zu dem Gedanken aller Vollkommenheit und Größe, und da erwachten eure Phidias und Praxiteles, wie in späteren Zeiten unsere Raphaels und Correggio's, jetzt ruft man leere Worte aus, oder kniet vor schlechten Bildern, welches einerlei ist; in jener schönen Zeit baute man heitere Tempel für freundliche Götter, die Gerechtigkeit ging an der Hand der Freiheit, und da stiegen eure Marmorsäulen empor und trugen den Portikus des Tempels und die Hallen des Forums, jetzt brauchen wir finstere Tempel für finstere Götter, und enge Rathhäuser für eine engherzige Gerechtigkeit; in jener seligen Zeit, wo Freude Gottesdienst, und Tapferkeit und Tugend das höchste Lob war, da rauschten die Gesänge eurer Dichter im stolzen feierlichen Fluge, jetzt schmeicheln sie bei den Gastmälern der Verschwender, betteln um die Börsen der Reichen und stöhnen den geschmacklosen Launen der Menge! Ach, wir armen Künstler der jetzigen unfruchtbaren Tage, wir fühlen das wohl, was uns fehlt, und sehnen uns nach einer wärmern Sonne, aber das Leben verfliegt mit unsern Wünschen, und der Zeiger am Rade der Zeit rückt vorwärts, aber zu langsam für die Spanne Tage eines Menschenlebens.

Die Dämmerung ward Nacht, die Wolkensäule des Vesuvs hatte sich zur Feuersäule verwandelt, der Orion stand höher am Himmel und das Siebengestirn an seiner Seite; ein sanfter Wind kräuselte die Wolken des Golfs und spielte mit den Lorberblättern vor meinem Fenster. Auf einmal erklang im Garten neben mir eine Guitarre, und eine schöne männliche Stimme sang:

Mir lächelte die Welt,
Ich pflückte ihre Blumen,
Ich klimmte ihre Berg' empor,
Und breitete vom hohen luftigen Gipfel
Die Arme liebend aus.

Ach, aber ein unendlich Sehnen zog
Nach einer unbekannten Gegend mich,
Und ich rief weinend aus:
»Wo werd' ich finden, was ich suche?«

Ich sank in Freundes Arm,
Ich nannt' ihn zärtlich Bruder!
An seinem Busen flossen meine Thränen,
An seinem Herzen schwieg mein Gram!
Der Tod zerriß den Bund vertrauter Seelen,
Das Grab verschlang mein Leben und mein Glück –

Und ein unendlich Sehnen zog
Nach einer unbekannten Gegend mich,
Und ich rief weinend aus:
»Wenn werd' ich finden, was ich suche?«

Die Liebe trat zu den Verlaßnen,
Die Liebe sprach: »ich helfe dir!«
Und fest umschlang mit zarten Armen
Ein ewig theures Wesen mich.
Du schönes Licht in meiner Nacht!
Mein Engel in der Lebenswüste,
Du schwandest wie ein Traumgesicht!
Und ein unendlich Sehnen zog
Zu einer unbekannten Gegend mich,
Und ich rief weinend aus:
»Ich finde nimmer, was ich suche!«

Der Sturm, der tief das Herz bewegt,
Wenn endet er?
Die Sehnsucht, die verlassen weint,
Wenn findet sie?

In stiller Nacht bei Sternenschein
Kommt Ruh' in meine Seele;
Gott schrieb des Glaubens Flammenschrift,
Der Hoffnung tröstungsvolle Worte
An das Gewölbe seiner Nacht!
Dort ist die Gegend, wo hinauf
Mich rastlos ein unendlich Sehnen zieht!
Dort werd' ich finden, was ich suche. –

»Haben Sie den Armenier gehört?« trat Paul herein.

»Aber wer ist der Armenier?«

»Das weiß kein Mensch, er lebt still vor sich hin, baut seinen Garten, lebt von den Früchten seiner Bäume und spielt auf der Guitarre.«

»Woher weißt Du, daß er ein Armenier ist?«

»Je nun, ein Christ Der gemeine Neapolitaner kennt keinen Unterschied zwischen Christenthum und Katholizismus. ist er nicht; er hört keine Messe, betet keinen Rosenkranz, und wenn die Sonne aufgeht, so kniet er auf einen Hügel in seinem Garten und breitet die Arme nach ihr aus. Unter uns gesagt, Signor, er ist,« auf den Kopf deutend, »hier nicht recht richtig.« –

»Ich muß den interessanten Menschen kennen lernen.«

»Ja, das wird nicht so leicht sein; er spricht mit Niemand als mit Kindern; wie meine Nani noch klein war, hat er ihr oft Blumen und Früchte aus seinem Garten geschenkt.


Ich habe ihn gesehen; er ging hinter den Garten nach dem Walde zu. Ich folgte ihm. Sein Gang war, ungeachtet seines Alters, lebhaft; er hat den schönsten Pauluskopf, den ich je gesehen habe; auf seinem Gesicht war freundlicher Ernst und kindliche Gutmüthigkeit verbreitet; aus seinem großen schwarzen Auge blickte erhabene Schwärmerei. Ich machte schnell einen Umweg, um eher in den Wald zu kommen und ihm zu begegnen; er hatte einen Fußsteig gewählt, der zu einer schroffen Felsenwand hinführt; ich sprang den Berg hinauf und setzte mich auf eine Rasenbank, die ich unter einer schattigen Pinie fand; er kam langsam, denn das Bergsteigen schien ihm beschwerlich zu sein, auf mich zu', ging bei mir vorüber und erwiederte stillschweigend, aber mit einer herzlichen Miene meinen Gruß.

»Signor,« rief ich, »der Weg führt an einen jähen Abgrund, Ihr seid alt und habt vielleicht Schwindel!« – Er wendete sich um und sagte, »sei ruhig, guter Mensch, ich gehe diesen Weg täglich.« – »Vielleicht ist diese Bank Euer Ruheplatz, wenn Ihr den Berg erstiegen habt; setzt Euch, ehrwürdiger Greis, ich will Euch nicht stören.« – Er schwieg, und ich entfernte mich.

Paul meint, ich müsse ihm sehr gefallen haben, daß er diese wenigen Worte mit mir gesprochen habe.

Meine Neugierde und noch mehr jener Sinn für das Mystische, der allen feurigen Seelen eigen ist, war geweckt, – ich suchte ihn mehr auf, als vorher; aber, ich weiß nicht, war es Zufall oder Absicht, es vergingen mehrere Tage, wo ich ihn weder im Garten noch auf seinem Spatziergange sah. Eines Abends hörte ich seine Guitarre unter den Bäumen, ich ergriff die Flöte, öffnete das Fenster und phantasirte; er schien mir aufmerksam zuzuhören, wenigstens bemerkte ich, daß er sich auf eine Bank setzte, die meinem Fenster nahe war. Wie ich geendet hatte, that er einige Griffe auf der Guitarre, gleichsam als wollte er mir den Nachhall meiner Phantasien zurückschicken, dann ging er.


Einsam – schreibt man mir – wär' ich? Was doch die Menschen für lächerliche Meinungen von der Einsamkeit haben! Kann auch ein heller Mensch einsam sein? – Die Gestalten der Vorwelt umschweben mich zu Tausenden – an den kahlen ausgewitterten Felsen dieses Erdwinkels steht die Geschichte der Natur geschrieben; auf den blühenden Fluren dieses Paradieses lese ich die Begebenheiten vergangener Tage, und die Sonne der Zukunft steht über den eingesunkenen Gräbern der alten Heroen!

O, dieses Gehen und Kommen! Diese unaufhörliche Wandlung der Gestalten!

Die Natur hat ihre Göttlichkeit vor meinen Augen entschleiert – und ich soll einsam sein? – Wohl mir! daß ich mit einer großen vollen Seele in ihre Fülle hineintreten kann, ohne daß mich ein kleiner Empfindler, der mit dem Zephyr spricht und beim Gemurmel der Quelle seufzt, in der Andacht meiner Betrachtungen stört.

Mich entzückt das Einzelne nur in der Verschlingung des Ganzen, in jedem Funken ahne ich die Flamme, in jedem Tropfen das Meer, und wenn ich dann sehe, wie das Verschiedene zu Einem schönen Ganzen zusammenwirkt, wie der ewige Streit der Kräfte die ewige Ruhe nie unterbricht, wie die Unendlichkeit über dem Endlichen schwebt – dann erhebt sich mein Geist von dem ganzen All, das vor ihm daliegt, zu der unbekannten Sonne, die es hervorrief!

Arbeiten kann ich selten, aber Pläne zu neuen Arbeiten strömen auf mich zu, – meine Phantasie ist üppig, wie das Land, in dem ich athme! Selige Augenblicke, wenn – der Blitz des Genies ein noch nie gesehenes Bild der Phantasie erhellt! – Aber welche beschwerliche Reise von der Idee zur Darstellung, und hat man sie vollendet – was ist's? Götter stehen vor unserer Seele, und Pigmäen sind das Werk unserer Hände! Das Materielle hängt an dem Geistigen und zieht es herab, und der Mensch schwankt zwischen der Geisterwelt und der Thierheit – ein unseliges Mittelding!

Der Armenier saß heute wieder unter der Pinie. Er sah mich nicht, aber ich betrachtete ihn lange. Dieser seltene Mensch hat etwas wunderbar Anziehendes für mich. Eine Menge Kinder waren um ihn herum, und er blickte mit seinem ehrwürdigen grauen Haupte so freundlich auf sie herab – daß ich das Original von Simeon zu sehen glaubte, wie ihn Guido gemalt hat. – Aber warum flieht er die Menschen? Hat er aus den Stürmen des Schicksals sein edles, menschenfreundliches Herz gerettet, und sucht er diesen kostbaren Schatz vielleicht nur dadurch zu bewahren, daß er die Menschen flieht?


Trübe Wolken jagten am Himmel hin, ein schneidender Wind wehte über das Meer, ich wollte auf dem Zimmer bleiben und arbeiten. Die Beleuchtung der See war trefflich, Licht und Schatten flogen in langen Streifen über die schäumenden Wellen hin. Ich suchte eine Skizze hervor, die lange liegengeblieben war; Orpheus, wie er am Acheron steht, voll Erwartung, seine liebe Gestorbene wiederzusehen. Ich hatte immer keinen Tag finden können, um daran fortzuarbeiten; der italienische Himmel erinnert zu sehr an die Oberwelt, und die nächtliche Haltung im Reiche der Proserpina stimmt zu wenig mit diesen lachenden und lebendigen Fluren, auf denen man nur zu oft fühlt, daß man noch Tellus liebender und geliebter Sohn ist. Heute glaubte ich dazu gestimmt zu sein; aber kaum waren meine Ideen im Lande der Schatten beisammen, so trällerte mich Nani's Metallstimme wieder in die Körperwelt zurück. Sie trat schalkhafter als je – wenigstens hatten mir ihre schwarzen Augen noch nie so brennend geschienen – in mein Zimmer; ihr Haar war sorgsamer geflochten, ihr Anzug gewählter, ihr Betragen leicht und ausgelassen. Sie setzte sich neben mich, schlang ihren Arm um mich, besah den dunkeln Hintergrund des Gemäldes, sagte, es sei abscheulich, und erzählte dann unter tausend Possen und Kindereien, sie gehe nach Resina zu einem ländlichen Feste und werde erst morgen gegen Abend wiederkommen.

»Bei dem Wetter?« fragte ich.

»Ach, was Wind und Wetter!« sagte sie lachend, »ich sehe davon nichts; Antonio kommt hin, ich liebe ihn, und ich sehe nur meinen Geliebten!«

Giebt es eine Melodie, die den Zauber ausdrückt, mit welchem das Mio caro von den Lippen einer feurigen Italienerin tönt?

Sie sprang zum Zimmer hinaus, warf mir noch in der Thür eine Rose ins Gesicht und schmetterte im hellen Diskant:

»Mein Herzgeliebter ist auf der Flur,
Was soll ich in der Hütte?
Wohl find' ich auf Berg und Thal seine Spur,
Wohl kenn ich seine Tritte,
Denn wo mein Herzgeliebter geht,
Da hat die Liebe Blumen gesä't
Zum duftenden Kranze! Tralla …

»Er hat zur Liebsten mich auserwählt,
Er hat zur Braut mich erkoren,
Die Liebe hat sich der Liebe vermählt,
Wir haben uns Treue geschworen;
Und frei ist die Liebe, mein freier Sinn
Fliegt zu dem theuern Geliebten hin
In seinen Busen! Tralla …

»Die Liebe giebt Rosen zum Busenstrauß,
Dem Herzen manch' seliges Hoffen!
Bald führt er mich heim ins Vaterhaus,
Die bräutliche Kammer ist offen,
Dann liegen wir fest aneinandergeschmiegt
In seligen Taumel von Liebe gewiegt
Und küssen und tändeln – Tralla …«

Weg waren alle Träume von Acheron und Kokytos! »Steige hinab in die Unterwelt!«; rief ich, »wessen erstarrtes Herz die Sonne der Erde nicht mehr aufthaut! aber wem warmes Blut durch ein warmes Herz rollt, der freue sich seiner Jugend und seines Lebens!«

Mein Orpheus nahm seinen Platz im Winkel wieder ein. Die Wolken schienen mir nicht mehr so trübe, der Wind nicht mehr so schneidend; ich eilte ins Freie.

Nani war fern, aber noch sah ich die rochen Bänder ihres Hutes und ihr weißes Tuch im Winde flattern. Ich winkte ihr zu, aber sie sah es nicht. – Mißmüthig, ich wußte selbst nicht, warum? ging ich am Gestade auf und ab. Sonderbar, ich wollte mir nicht gestehen, daß ein unbehagliches Gefühl mich bei Nani's Abschied ergriffen hatte, daß ein geheimer Neid gegen Antonio, dem sie so freudig entgegeneilte, in meinem Herzen versteckt war!

In einer Grotte am Seeufer sah ich den Armenier sitzen – er interessierte mich jetzt weniger – ich ging vorüber. Unweit der Grotte spielten zwei Knaben; sie saßen in einem Boote, das am Ufer befestigt war, und ließen sich von den Wellen schaukeln. Der Wind war am Gestade zu heftig; ich bog einen Weg ein, der durch die Felsen nach dem Walde zuführt. – Auf einmal höre ich ein ängstliches Geschrei, der Armenier stürzt aus der Grotte und zeigt auf die See; das Boot war umgeschlagen, die Kinder ins Meer gefallen. Ich springe zu, werfe die Oberkleider ab, stürze mich in die Wellen, und da das Ufer seicht war, so glückt es mir, Beide zu retten. Der Armenier stand händeringend am Ufer, ich übergebe ihm die Knaben, er umarmte mich, drückt die Geretteten an seine Brust, und ich eilte, erstarrt von Nasse und Frost, nach Hause, um meine Kleider zu wechseln.


Der aufgehende Mond kämpfte mit schweren Gewitterwolken, der Wind hatte sich gelegt, die See ward ruhiger. Ich saß unter dem Lorberbaum vor meiner Thür und nahm mein sparsames Abendessen ein; Brod, von Nani's Händen gebacken, und Wein, von den Trauben meines Gartens gekeltert; er war herbe, aber ich sehnte mich nicht nach der Falerner Flasche des Horaz. Was schadet's, daß jetzt die Kunst bloß spärlichen Unterhalt abwirft? giebt sie doch noch dasselbe fröhliche Herz, denselben großen und freien Sinn, den sie vor Zeiten ihren Lieblingen gab!

Die Thür des Armeniers öffnete sich, er trat heraus und kam auf mich zu; ich bat ihn, sich neben mich zu setzen; er that es und sagte, indem er meine Hand ergriff: »Ich liebe Dich, guter Mensch, Du hast heute eine edle That gethan.«

»Schweigt davon, ehrwürdiger Greis,« erwiederte ich, »habe ich dadurch Eure Liebe erworben, so ist meine That schon belohnt.«

Er küßte mich auf die Stirne und sagte: »Wer ein Bäumchen aufrichtet, das der Sturm gebogen hat, wer ein Samenkorn mit Erde bedeckt, wer das Leben eines Kindes vom Tode rettet, der hat mehr Verdienste um die Nachwelt, als Tausende, deren Namen die Geschichte nennt.«

»Schon lange sehne ich mich, Euch näherzukommen, Eure offene freundliche Miene flößt mir Zutrauen ein, Eure Verschlossenheit hat meine Neugierde geweckt, darf ich fragen, wer Ihr seid?«

Er sah mich forschend an; da ich ihm aber mit heiterer Stirne ins Auge blickte, so bog er sich lächelnd zu mir herüber und sagte leise: – »Ich bin ein Engel!« – Ich prallte zurück, er bemerkte mein Erstaunen, aber er fuhr fort: »Da mir Gott mein Liebstes genommen hatte, da tröstete er mich!«

»Würdigt mich Eures Zutrauens, guter Vater, und erzählt mir Eure Geschichte.«

»Meine Geschichte? Es sind viele Jahre vergangen, und ich habe mit keinem Menschen über mich selbst gesprochen. Die Geschichte meines Lebens ist nur ein kindischer Traum seit jenem feierlichen Augenblicke, wo ich erwachte und das Geheimniß meines Daseins erfuhr.«

Ihr spannt meine Erwartung!«

Er saß still, wie in tiefe Gedanken versenkt, dann zog er die Guitarre, unter seinem langen Oberkleide hervor und that einige. Griffe. Ich unterbrach ihn nicht. Auf einmal schien er sich wieder zu sammeln. »Verzeihe mir,« sprach er, »ich glaubte, ich sei in meinem Garten und säß' auf Euthokles Grabe! – Die Sterne funkeln hell, es muß schon spät sein. Komm' morgen früh unter die Pinie, wo ich Dich zum ersten Male sah.« Ich ergriff seine Hand und drückte sie; er erwiederte meinen Händedruck und ging.


Die ersten Strahlen der Sonne zitterten um die Gipfel der Berge, die Dämmerung lag noch auf den Thälern, langsam enthüllte die Gegend ihre Reize. Ich stieg den Berg hinan und fand den Greis auf mich wartend; er grüßte mich mit der Herzlichkeit eines Freundes, ich setzte mich neben ihn und suchte das Gespräch da, wo er gestern abgebrochen hatte, wieder anzuknüpfen.

»Die Erinnerung vergangener Tage,« sprach er, »ist die Richterin über das Leben der Menschen. Wohl dem, den ein guter Engel mit Frieden umweht, wenn er zurücksieht; wehe dem, dem fruchtlose Reue jeden Rückblick verbittert! Seit dem Hingange meiner Geliebten bist Du der Erste, den ich näher mit mir bekannt mache; ich liebe Dich, aus Deinen Augen flammen große Entschlüsse, Dein Busen hebt sich voll erhabener Gefühle, Du bist ein Mensch. Höre meine Geschichte; ich werde Dir sagen, wie ich die Welt fand, die ich durchwandelte; aber erlaß mir die umständliche Erzählung der Verwickelungen, in die mich mein rastloses Streben, mein emporloderndes Feuer warf.

»Die Welt führt tausend Bilder vor unsern Augen vorbei, wir sehen ihre bunten Erscheinungen, belachen, beweinen und vergessen sie; aber an den Bildern unserer Jugend hängen wir mit Innigkeit, sie allein begleiten uns durch das ganze Leben, denn sie allein gaben dem ganzen Leben feine Richtung. – Langsam sollen sie noch einmal bei mir vorüberziehen die Tage meiner jugendlichen Kraft; ihre verblühten Freuden und ihre vertrockneten Thränen will ich wie alte Freunde begrüßen!

Als ein Kind von ungefähr zwei Jahren fand mich ein Fischer an dem Gestade von Lemnos, er nahm mich in seine Hütte und erzog mich, weil es seine Religion ihm befahl, nicht, weil es sein Herz ihm sagte. Er war arm, und meine Erhaltung ward ihm beschwerlich. Täglich trieb ihn sein Gewerbe auf die See, und wenn er zurückkam, war er beschäftigt, das kleine Feld zu bearbeiten, das nur nothdürftig das Brod zu unsrem Bedürfniß hergab. Die Ausbildung meines Körpers und meines Geistes blieb dem Zufall überlassen. Als meine Kräfte zu kleinen Arbeiten zureichten, so hielt mich mein Pflegevater mit Härte – denn er war ein rauher Mann – zu dem an, was ich vermochte: Wasser tragen, Netze waschen, das Feld von Steinen reinigen, waren meine Beschäftigungen, und ungeachtet ich unverdrossen, bereitwillig und arbeitsam war, so warf er mir doch täglich mit Bitterkeit vor, daß ich ihm zur Last sei, und setzte mich seinen eignen Kindern – es waren zwei Knaben, im Alter wenig von mir unterschieden – auf die kränkendste Art nach. Oft erweichte ich mit meinen Thränen das harte Brod, das er mir nur ungern gab; ich fiel im freien Felde auf meine Knie und blickte mit unschuldigen Kindesaugen zu dem blauen Gewölbe des Himmels empor, noch ehe ich es wußte, daß jenseit dieses schönen Himmelbogens ein freundliches Wesen waltet, das mit Vaterliebe auf alle Bekümmerte herabsieht.

Da ich mehr heranwuchs, nahm mich mein Pflegevater mit auf die See. Hier auf diesem freien Elemente unter Stürmen und Gefahren erweiterte sich mein Herz, mein Auge hing mit Sehnsucht an den blauen Felsenufern der entferntern Inseln, und das feste Land, dessen Küsten mir nur, dann und. wann der heitere Himmel entwölkte, schien mir das Ziel meiner Wünschender Sammelplatz aller der Wundergestalten zu sein, die sich meine jugendliche Phantasie geschaffen hatte.

In dem Hause meines Pflegevaters war nur ein einziges Buch, – eine griechische Bibel, aus ihr lernte ich lesen, aus ihr schöpfte ich die Bilder, die ich mir von der unbekannten Welt entwarf, aus ihr schielt ich den unerschütterlichen Glauben an eine ewig weise Weltregierung, aus ihr den Enthusiasmus, den die orientalischen Dichter wie Feuerströme in ihre Gesänge gegossen haben, und der mein empfängliches Herz gewaltsam mit sich fortriß.

Wenn ich auf dem Felsenriff, das sich unweit unserer Hütte ins Meer hinausstreckte, saß, und über die schäumenden Wogen in die weite Ferne hinsah, da jauchzte ich in den Sturm, der mich umwehte, in das Wogengeräusch, das mich umbrauste, da stieg die Ahnung einer großen Zukunft in meiner Brust empor, und schnell und feurig, voll Erwartung des wunderbaren Geschicks, dem ich entgegenging, klopften meine Pulse. Ich stand vor dem Schauspiele des Lebens, ungeduldig, daß der Vorhang noch nicht aufgezogen und vor meinen Augen das Streben und Wirken der Menschen enthüllt wurde!

So reihten sich Tage an Tage, Jahre an Jahre. Die Phantasien meines jungen Herzens hielten mich aufrecht in der tödtenden Wirklichkeit, die mich umgab. Mein Pflegevater ward immer rauher und härter gegen mich; er behandelte mich auf die niedrigste Art, aber ich lebte in einer Welt, die ich mir selbst geschaffen hatte, in seligen Träumen, die mich entzückten, und höher und lebendiger flammte meine innere Kraft empor; sie würde aber dennoch im Kampfe gegen meine drückende Lage endlich untergelegen haben, wenn nicht ein Zufall meine Umgebungen plötzlich geändert hätte.

»Es war ein stürmischer Tag, die See ward bis in ihre Tiefen aufgewühlt, die Brandung an unsrer Küste war selbst für einen so erfahrnen Seemann, wie mein Pflegevater war, fürchterlich. Ein Schiff, welches, wie wir vermutheten, von den Dardanellen kam und seinen Lauf nach Kandia zu nehmen schien, kämpfte den ganzen Tag über mit den empörten Wellen; es gab Zeichen, daß man ihm zu Hülfe kommen solle; aber mein Pflegevater wagte sich nicht durch die Brandung, so gern er auch den Gewinn, der dabei zu erwarten war, mitgenommen hätte. Gegen Abend erhob sich der Sturm zu einer fürchterlichen Höhe, das Schiff ward, trotz aller Bemühungen, sich vom Lande abzuhalten, immer näher und näher unsern Küsten zugetrieben. Schon hörten wir das Hülferufen der Unglücklichen, schon sahen wir ihre emporgehobenen flehenden Hände. Meine Pflegevater holte ein Sprachrohr und wollte mit ihnen um den Preis ihrer Rettung handeln, aber in dem Augenblicke ward das Schiff auf eine Klippe geschleudert; das Vordertheil zertrümmerte, das Hintertheil saß zwischen den Klippen fest, und die Wellen schlugen darüber hinweg.

»Ich stand zitternd am User; das Geschrei drang durch mein Herz, das Geheul des Sturms gab mir Muth, der Anblick einer Mutter, die ihr kleines Kind emporhielt, setzte mich in Verzweiflung; ich ergriff ein Tau und stürzte mich in die wilde Brandung, die schäumenden Wogen um mich, Gottes Auge über mir – es gelang. Glücklich erreichte ich den Wrack. Sechzehn todtenbleiche Menschen klammerten sich mit ihren letzten Kräften an das Boot, mein Tau ward befestigt; nach einer Viertelstunde hoben die Geretteten ihre dankbaren Hände zum Himmel auf. Sie umarmten, sie küßten mich, sie fielen auf die Knie und nannten mich ihren Engel, ihren Erretter! – Es war der erste große Augenblick meines Lebens.

»Unter den Geretteten war Elides, ein reicher Kaufmann aus Korinth, mit seiner Familie; er blieb mehrere Tage auf unserer Insel; er erfuhr, daß ich ein Fremdling war, ohne Aeltern, ohne Freunde, ohne Liebe; er nahm sich des Verlassenen an. Mein Pflegevater blieb seinem Charakter treu, er schloß einen förmlichen Kauf über mich ab. Elides zahlte seine Forderungen, und ich verließ die Felsen, auf welchen ich den trüben Morgen meines Lebens verlebt hatte, nicht ohne dankbare Erinnerung an so manche Blume, die auf ihrem kahlen Scheitel für mich wuchs.

»Wir schifften uns auf einem kleinen Fahrzeug nach Morea ein, und reiften von da zu Lande nach Korinth.

»So war ich denn nun auf dem festen Lande, das ich immer als den Schauplatz großer Thaten betrachtet hatte, mitten unter dem Gewühls der Menschen, deren Streben ich in meiner unschuldigen Einfalt für edel und groß hielt. Die trüben Tage meiner Jugend hatten mich verschlossen gemacht, ich war allein gewesen als Knabe, ich blieb allein als Jüngling; die Welt der Phantasie, die in meinem Busen wohnte, verließ mich nicht, ich fand keinen Geschmack an den Zerstreuungen, die mir sie hätten rauben können; aber sie ward durch den Unterricht, den mir Elides geben ließ, bereichert, erweitert, berichtigt. Er wollte mich zum Kaufmann bilden; da er aber selbst mehr war, als sein Gewerbe, so achtete er auch das Mächtige in mir, das höher emporstrebte. Die Fesseln des Gewinnes binden nur kleine Seelen.

»Mit Enthusiasmus studierte ich die Geschichte, aus ihr lernte ich die Menschheit kennen, die Erfahrung des täglichen Umgangs zeigte mir den einzelnen Menschen. Wenn ich Völker und Jahrhunderte übersah, da verschwanden alle die kleinlichen Beziehungen der Gegenwart, da erhoben sich große Bilder vor meiner Seele und erzeugten große Entschlüsse, und eine tiefe Verachtung gegen Alles, was den Flug des Geistes, was die Selbstständigkeit des Willens hemmt, und einem Leben, welches zu erhabenen Zwecken bestimmt ist, unwürdige Bestimmungen unterschiebt.

»Noch hatte meine Thätigkeit keinen Punkt, auf den sie ausschließend wirkte; aber so viel sah ich ein, daß die Masse der widerstrebenden Kräfte da sei, um sich im Kampfe gegen einander zu versuchen und durch den Kampf zu läutern – daß das Leben der Menschen an sich unbedeutend und nur in dem Verhältnisse wichtig sei, als es zu einem großen Endzwecke angewendet wird – daß Sinnlichkeit das Gift sei, welches an der Menschheit frißt und an ihrem Verderben arbeitet, indem es sie dahin bringt, Ruhe und Wollust als Belohnung und den endlichen Zweck alles Bestrebens anzusehen.

»Xenophon und Plutarch wurden unter den alten Schriftstellern meine Lieblinge. Aus ihnen erfuhr ich, daß das Volk, zu dem ich mich zählte, einst den ersten und geachtetsten Platz unter den Völkern der Erde einnahm, daß ich der Abkömmling einer ehemals edeln, jetzt tiefgesunkenen Nation war, an der sich alles Erhabene beinahe bis auf die letzte Spur verwischt hatte. Der Anblick erschütterte mich, ich ward zum ersten Male offen, ich theilte meine Empfindungen mit. Ach, sie prahlen Alle gern mit den Thaten ihrer Väter, sie nannten große Namen, und dachten nicht an ihre eigene Kleinheit; sie redeten von Kraft, und ihre erbärmliche Nichtigkeit geizte um das Lächeln eines niedrigen Bassen, dem ein Bösewicht willkommner war, als ein ehrlicher Mann; aber ich schlug die Augen nieder vor der Schande des jetzigen Geschlechts.

»»Rette Dein Volk!« so rief eine innere Stimme; mein Auge flammte, meine Pulse flogen, ein großer Entschluß bemächtigte sich meiner Seele. Von diesem Augenblicke an erhielt mein Dasein vor mir selbst einen Werth. Ich verschloß meine Entwürfe in meiner Brust und nährte sie durch das Studium der Geschichte; sie lehrte mich, daß Stetigkeit des Willens der einzige Weg zur Größe, aber die seltenste Eigenschaft unter den Menschen sei. Ich trachtete, sie zu erringen.

»Armenien, gedrückt wie wir, unter die Knechtschaft eines verächtlichen Volkes, suchte sich zu befreien. Gewagte Schritte waren geschehen; dem Ganzen fehlte zwar noch Einheit und Plan; aber die Nachricht dieser kühnen Unternehmungen durchflog, um Vieles vergrößert, die nahegelegenen Länder. Ich erfuhr sie; meine Brust hob sich höher, ich glaubte, die Morgenröthe meines Tages sei angebrochen, ich beschloß, mich in die vordersten Reihen der Braven zu stellen, um aus der Ferne die schlummernde Kraft meiner Mitbürger zu erwecken und sie durch den Ruf großer Thaten zu erinnern, daß die Zeiten des Aristides und Leonidas nicht auf immer für Griechenland verschwunden sind. – Ich schrieb an Elides und dankte ihm für das, was ich ihm schuldig war.

»Es war Nacht, als ich Korinth verließ; ich nahm nichts mit als meine Waffen, meinen Muth und das wenige Geld, das ich zur Ueberfahrt brauchte. Der Abschied kostete mich wenig; denn unter allen Denen, die mich umgaben, war Keiner, der meinem Herzen nähergekommen war; mein Geist blieb ihnen fremd, wie konnten sie Freunde meines Herzens werden?

»Eine türkische Felucke brachte mich nach Armenien. An der Spitze der Mißvergnügten stand Euthokles, aus Sinope, ein geflüchteter Grieche. Eine schöne Gestalt, hoher Muth, hinreißende Beredsamkeit waren die glänzenden Eigenschaften, die er von der Natur erhalten hatte. Sein Idol war Ehre, ihr wollte er die Unterdrücker seines Vaterlandes zum Opfer bringen. Mein Streben war reiner als das seinige; er wollte Thaten und Ruhm, ich Thaten auch ohne Ruhm; er wollte Befreiung, aber zugleich den Namen des Befreiers: ich liebte mein Vaterland mehr als meinen Namen. Diese Verschiedenheit vereinigte uns, wir erkannten gegenseitig unsern Werth und wurden die innigsten Freunde. Ich lag endlich an einem Herzen, das hoch aufschlug bei der Erinnerung vergangner Größe und jeden Pulsschlag für verloren hielt, der nicht der Zukunft gewidmet war; wir schwuren, das große Spiel mit einander zu vollenden, Eins zu bleiben in Noth und Tod.

»Die Blitze von Euthokles Worten hatten die unterdrückten Armenier erschüttert; seine rastlose Thätigkeit, sein hinreißender Enthusiasmus hatten ihm eine Menge Anhänger verschafft, die sich durch die glücklichen Fortschritte seiner Waffen täglich vermehrte. Die ersten Streifereien ins Land glichen Triumphzügen, die schwachen Besatzungen zogen sich aus den offenen Städten, einzelne Korps versuchten Widerstand, aber er diente nur dazu, ihnen die Wahl zwischen Tod oder schimpflicher Gefangenschaft zu lassen. Indeß rückte eine furchtbare Armee von den Grenzen gegen uns an, Versprechungen und Drohungen gingen vor ihr her, Gräuel und Verwüstung folgten ihrem Zuge. Wir hatten sie vorausgesehen und erwarteten sie standhaft; aber ängstliche Besorgniß, zweifelnde Unentschlossenheit verbreitete sich unter der Menge.

»Ein langer Friede und noch mehr jener krafttödtende Handelsgeist, der nur Gewinn und Bequemlichkeit sucht, hatte das Volk entnervt und seine Männlichkeit in Verzärtelung umgewandelt. Gewohnt, ihren Reichthum für ihren Werth, ihre weibische Ruhe für Gewinn zu halten, haßten sie alle Aufopferungen, welche ihnen den Verlust dieser durch lange Verwöhnung unentbehrlichen Güter drohte. Anstatt alle Mittel zu unserer Unterstützung aufzubieten, schlugen die Vornehmem und Reichen den Weg jener kleinlichen Klugheit ein, die nur an sich selbst denkt, und indem sie sich im Kampfe zweier Parteien für jede sicherzustellen sucht, nur desto eher ihren eignen Untergang beschleunigt. Wir bemerkten die Niedrigkeit des Volks; aber schon längst überzeugt, daß die Menge zu träge und abgespannt ist, um über den Gedanken einer schönen Zukunft eine ängstliche Gegenwart zu vergessen, glaubten wir, daß der Sieg das einzige Mittel sein würde, den gesunkenen Muth der Unsern zu erheben und ihre Hoffnungen zu beleben. Wir rückten den feindlichen Scharen entgegen. Blutig flog die Morgenröthe am Himmel herauf, blutig war der Tag; der Tod würgte, die Flamme fraß, aber der Muth unserer Braven stieg über rauchende Trümmer und blutige Leichen. Euthokles focht, ein zweiter Themistokles, mit wildem, vernichtendem Feuer; ich stand mit fester Besonnenheit zwischen Tod und Leben, nützte die Zufälle der Schlacht, hemmte die Tollkühnheit des Einen und richtete den gesunkenen Muth des Andern auf. Die Sonne stand über unserm Scheitel, wir achteten ihre Hitze nicht, aber der weichliche Feind ermattete, sein Heer, dem unsrigen an Zahl überlegen, verließ das Schlachtfeld und zog sich in die Gebirge.

»Seine Niederlage war nicht vollkommen, seine Reihen zogen sich ungetrennt zurück, und ob wir gleich viel gewonnen zu haben glaubten, so hatten wir doch im Grunde nur wenig Gewinn. Der Feind hatte unsere Kräfte, die er anfänglich verachtete, kennen gelernt; er wagte sich nicht mehr in die Ebene herab, wo entschlossene Menschen vor Begierde brannten, ihn zu vertilgen; aber verborgen hinter Felsenwände, gesichert durch unwegsame Wälder, versuchte er Alles, was List und Ueberredung über ein schwaches, an Sklaverei gewöhntes, zwischen Furcht und Hoffnung schwankendes Volk vermögen.

»Meutereien wurden im Heere angesponnen, Erpressungen brachten die Städte gegen uns auf, Gewaltthätigkeiten machten die Landleute schwierig. Schlechte Menschen hatten sich überall geltend gemacht, weil die bessern zu furchtsam, zu träge, zu unverständig waren, und alle diese Uebel wurden – nicht auf die Verderbtheit des jetzigen Geschlechts – sondern nur auf Die geschoben, die das Geschlecht der Verderbtheit entreißen wollten.

»Ruhe wünschten wir Alle, aber wir wollten sie erkämpfen, um sie sicher zu haben; der größte Theil hingegen erwartete sie als ein Geschenk von den listigen Versprechungen des Feindes. Ein Land, das bloß im Handel seinen Werth sucht, handelt bald mit Allem. Die Bestechungen des Feindes fanden bereitwillige Diener, die Verkäuflichkeit des Volks machte ihren Einfluß bedeutend. – Parteien entstanden, das Heer ward muthlos gemacht, die Verräther wurden belohnt, die Niedrigkeit triumphirte, und um uns blieb, außer den Wenigen, die einer festen Ueberzeugung treu geblieben waren, nur ein verächtlicher Haufe, der das Elend des Vaterlandes zu Raub und Plünderung benutzte.

»Jetzt rückte der Feind, seines Sieges gewiß, wieder gegen uns, die muthlosen Räuber wurden geschlagen, die kleine Zahl der Edeln fiel, Euthokles suchte an meiner Seite den Tod, wir fanden ihn nicht – wir wurden als Rebellen verfolgt, ein hoher Preis unserm Mörder versprochen.

»Unerkannt, in Bettlerkleider gehüllt, niedergedrückt von der Schwere eines unverdienten Schicksals, gebeugt von der Ueberzeugung, daß unsere Kraft zu schwach war, die Lasten von dem Menschengeschlechte wegzuheben, die sich im Laufe langer Jahrhunderte aufgehäuft hatten, durchirrten wir die Gebirge von Asien. – Wir forschten nach Wahrheit und Licht, aber überall trafen wir Völker, die von großen Thaten der Vergangenheit erzählten, eine helle Zukunft ahneten und unter dem Drucke der Gegenwart erlagen!

»Von der höchsten Spitze des Kaukasus sahen wir auf die entzückenden Thäler Asiens herab. – Hier war die Wiege des Menschengeschlechts, hier wurden die Heroen geboren, die wie große Sonnen den dunkeln Anfang aller Völkergeschichten erleuchten – aber jetzt streckten sich öde, menschenleere Gefilde aus, wo einst blühende Nationen in Kraft sich regten! – Zwerge spielten auf den Gräbern der Riesen und machten Mährchen aus den Thaten der Vorwelt!

»Euthokles war unglücklicher als ich – ich blickte zu den Sternen und hoffte; er schlug den Blick zur Erde und verzweifelte.

»Sicher vor den Dolchen unserer Mörder, würden wir vielleicht für immer am Fuße des Kaukasus geblieben sein, aber eine neue Verfolgung erhob sich gegen uns; der religiöse Fanatismus trieb uns aus unserer ruhigen Einöde wieder in den Strudel der Welt. Ich ergriff den Wanderstab mit dem festen Muthe, den eine unbegrenzte Ergebung erzeugt; Euthokles mit zerrissener Seele. Der Kummer über seine fehlgeschlagenen Entwürfe, die Besorgniß über das Schicksal seiner Familie zehrten an seiner Kraft. Ich war von Kindheit an ein Fremdling auf der Welt gewesen, jetzt fühlte ich mich glücklich! Diese Welt war nicht die meinige, nichts kettete mich an sie, der Abschied von ihr ward mir leicht: ihre lockenden Versprechungen, ihre trügerischen Hoffnungen standen in armseliger Blöße vor mir da. – Müde, mich länger für Menschen aufzuopfern, die mir so ungleich waren, beschloß ich, nur für Den zu leben, der ein Herz hatte wie ich, für meinen Euthokles! Ihm zu Liebe unternahm ich das Wagestück, nach Armenien zurückzukehren. Unter tausend Gefahren kamen wir nach Sinope; das Volk war in härtere Fesseln geschmiedet, keine von all den Versprechungen war ihm gehalten worden. Euthokles Vater war unter den Streichen der Mörder gefallen, sein Weib und seine Schwester hatten sich mit dem Rest ihrer Habe nach Italien geflüchtet. Wir folgten ihnen und fanden sie hier. Sie hatten dieses Haus gekauft, diesen Garten bepflanzt, unter dem Schatten dieser Bäume ihr Vaterland und ihre Geliebten beweint. Unser Erscheinen war ihnen die Rückkehr aus dem Grabe.

»Seliges Leben, das nunmehr für mich begann! entzückende Ruhe nach langem Sturme! Althea, Euthokles Schwester – – soll ich sie Dir schildern? Denke Dir das liebste Bild Deines Herzens – so war sie! In ihrem Umgange fühlte ich, daß es ein Etwas giebt, was die Weisheit nicht ersetzen, die Freundschaft nicht ausfüllen kann, ein Etwas, das unser gesunkenes Leben und unsere zertrümmerten Hoffnungen wieder aufrichtet und uns emporhebt über die Welt und ein widriges Schicksal!

»Sind wir nicht alle Pflanzen, die aus einem milden, warmen Himmelsstrich in ein fernes, kaltes Land versetzt worden sind? Ach! daß wir Wurzel schlugen in diesem harten Boden, daß wir gedeihten und blühten, wem danken wir es anders als der Liebe – dieser mächtigen Sonne der Geisterwelt?

»Althea ward mein Weib. – Auf jenem nackten Felsen, da die Sterne langsam verglimmten und die Lohe des Morgenroths über unser fernes unglückliches Vaterland emporschlug, nannte ich sie zuerst mein Weib. – Die Liebe macht sanft, sie söhnt uns mit der Welt aus; ich sah jetzt Irrthum, wo ich vorher Bosheit, Thorheit, wo ich vorher Laster gesehen hatte; ich bedauerte die Schwäche der Menschen und liebte sie wie Kinder, die den Willen haben, stark zu werden.

»Althea gab mir einen Sohn. Die strenge Festigkeit des Vaters war mit der Sanftmuth der Mutter verschmolzen; er wuchs empor und bildete sich, ein Liebling Aller, die ihn umgaben.

»Siehe, die schönste Zeit war der höchste Punkt meines Glücks; sie flog vorüber wie ein flüchtiger Traum, der den Gefangenen in seinem Kerker besucht und ihm die zauberischen Gefilde seiner Heimath und die Gestalten seiner Geliebten zeigt, – aber wenn er seine Arme ausstreckt, um die theuern Bilder an sein Herz zu drücken, da klirren die Ketten, und sein Himmel zerfällt, und sein Elend bleibt!

»Euthokles war der Erste, der mich verließ. Die Reizbarkeit seiner Seele hatte die Kränkungen der Menschen zu tief empfunden, sein feuriger, gewaltiger Geist arbeitete unaufhörlich an der Zerstörung seines Körpers. Er starb – dem Schwure unserer Freundschaft bis zum letzten Augenblicke getreu. Ich begrub ihn in meinen Garten, Althea pflanzte Blumen um sein Grab, ich setzte ihm einen Lorberbaum! seine Asche verdiente unter Lorberen zu ruhen, die ihm sein kindisches Zeitalter verweigert hatte.

»Hella, sein Weib, sehnte sich in ihr Vaterland zurück; ohne Liebe schien ihr diese reizende Küste eine unwirthbare Wüstenei; in Armenien verzieh man es ihr jetzt, daß sie das Weib eines großen Mannes gewesen war. – Sie trennte sich von uns, um in den Armen ihrer Aeltern und ihrer Geschwister den Verlust eines Gatten zu beweinen, dessen Werth sie nur geahnet, aber nie verstanden hatte.

»Der Mann sehnt sich nach der Brust eines Mannes, um seine Gedanken, und nach dem Busen eines Weibes, um seine Gefühle ausströmen zu lassen. Ich vermißte Euthokles; er hatte meinen Geist gespannt erhalten, daß er nicht in die schlaffe Ruhe eines unthätigen Schäferlebens überging. Jetzt fühlte ich das Bedürfniß, über männliche Dinge mit einem Manne zu sprechen, und in mein Leben war eine Leere gekommen, die für diese Welt nicht wieder ausgefüllt werden konnte.

»Ungestört, zwischen kleinen Beschäftigungen, dem Umgang mit einem holden Weibe und der Erziehung meines Sohnes verflossen meine Tage. Liebe und Zärtlichkeit hielten mich schadlos für den trüben Morgen meines Lebens und die gescheiterten Plane meiner Jugend; da kam wie ein Blitz aus heiterm Himmel der fürchterliche Augenblick, der mir Alles nahm, was mir theuer war.

»Es war ein schöner Abend, mein Weib saß an meiner Seite auf Euthokles Grabe, mein Sohn kniete vor uns und wand einen Kranz für seine Mutter – auf einmal hörten wir wildes Geschrei aus der Ferne, eine Feuerlohe schlug zum Himmel empor, die Häuser am Gestade standen in Flammen. – Althea springt auf und stürzt zum Garten hinaus, der Knabe ihr nach. Ich raffe so schnell als möglich Gefäße zusammen, öffne meinen Gartenbrunnen und eile zu Hülfe. Ein ängstliches Schreien: »»Zu den Waffen!«« schallt mir entgegen, eine Menge Fliehender stürzen auf mich zu; ich halte den Ersten an und frage – »»Drei Tuneser Schiffe sind gelandet; sie rauben und plündern, sie ermorden die Männer und führen die Weiber weg!«« – »»Mein Weib!«« schrie ich in Verzweiflung; ich riß ein Schwert aus der Hand eines Fliehenden und stürzte mich in das Gefecht. »»Althea! Althea!«« rief ich und focht wie ein ergrimmter Löwe.

»Mein Sohn hört meine Stimme, er eilt zu mir, er riß mich fort; Althea ist gebunden, drei Barbaren schleppen sie ohnmächtig in ein Boot, wir fallen über diese Henker her, aber o barmherziger Gott! – ein Schuß tödtet meinen Sohn, ein Kolbenschlag wirft mich sinnlos zu Boden!

»Da ich erwachte, lag ich auf einem Felsen am Meere; es war tiefe Nacht, Leichname lagen um mich, Sterbende hauchten ihren letzten Seufzer aus, das Blut meines Lieblings klebte an meinem Gewande. Ich blickte zu dem Himmel auf, aber eine schwarze Gewitternacht bedeckte alle Sterne; das Meer braus'te, der Sturmwind tobte, der Blitz warf sein bleiches Licht über die rauchenden Aschenhaufen. – »»Wenn wird es Morgen?«« rief ich aus und blickte empor, aber Nacht war um mich, Nacht über mir, und kein Stern! – Der Sturm hielt an – horch! da wimmerten die Verstümmelten auf dem Felde, sie ruften den Tod, aber er kam nicht; sie ruften den Morgen, aber er erschien nicht; sie rangen mit ihren Schmerzen, aber da war Niemand, der sie tröstete. Heftiger rollte der Donner über die blutige Erde, der Blitz zischte durch die Wipfel der Wälder, und die Unglücklichen erhoben ihre Stimme und riefen zu dem schwarzen Himmel empor: »»Vernichte uns! vernichte uns!«« Da fielen meine Thränen heiß und brennend auf den Felsen, und ich rief mit zitternder Stimme: »»Laß es Tag werden, Allmächtiger!«« Ich blickte auf, aber Nacht war um mich, Nacht über mir, und kein Stern. In Westen fuhr ein jähes Licht auf und beleuchtete die Gegend, die Flamme hatte weitergefressen; ich sah Menschen, welche flüchteten, Mütter mit ihren nackten Säuglingen, Väter mit wenigem geretteten Hausrath; ich hörte ihr Rufen und Schreien: »»Wir hatten einen eignen Herd, aber der Feind hat ihn umgestürzt; wir hatten eine eigene Hütte, aber der Feind hat sie verbrannt; wir hatten Nahrung und Kleider für uns und unsere Kinder, aber der Feind hat Alles genommen!«« – Ich schrie hinauf zu dem Himmel wie ein Wahnsinniger: »»Wenn wird es Tag werden!«« aber über mir war ein eisernes Gewölbe, und es ward nicht Tag. Da haderte ich mit dem, der die Zügel der Welt mit starken Händen faßt, und mitten in meiner Verzweiflung rief ich aus: »»Es ist kein Gott und über den Sternen ist kein Regierer!«« – Der Blitz schoß neben mir herab und schleuderte ein Felsenstück in das Meer; aber ich rief noch stärker: »»Es ist nur ein blindes Ungefähr, welches sich über die Welt herlegt und ihr Mark aussaugt, wie die Spinne das Blut einer Fliege!«« Da zitterte die Erde unter mir, und der Felsen fing an zu wanken und legte sich weit über das Meer hinüber; aber ich rief zum dritten Male: »»Es ist kein Gott, und wir vergehen Alle und werden vernichtet!«« Da theilten sich unter mir die Wellen, und eine erhabene Gestalt schwebte langsam herauf; ein kalter Schauer bebte durch meine Gebeine. Die Gestalt ergriff mich, ich fühlte mich emporgehoben und mit Blitzesschnelle davongetragen. Meine Haare wehten in der Luft, meine Augen starrten auf die dunkle Erde hinab, ihre Blitze schienen mir wie Irrlichter – die Gestalt schwebte immer höher und höher mit mir empor, und die Erde verschwand.

»Siehe, ich war auf einmal in einer Welt voll Frieden, und alle Geister lagen anbetend vor einem großen ewigen Lichte, und ich lag mitten unter ihnen, und gehörte zu ihrer Zahl; eine selige Ruhe wohnte in meiner Brust, eine heilige Stille in meiner Seele. Es war mir, als hätte ich immer hier gelebt, und Alles liebte mich und ich liebte Alles. Vor meinen Blicken zogen die Sonnen des Weltalls langsam und feierlich um eine große, Sonne, und kleine dunkle Körper schwammen in abweichender Richtung zwischen den leuchtenden Sonnen. Und ich sah die Verschiedenheit im Reiche der Geister; einige hatten einen hohen Verstand und einen kräftigen Willen; aber der Wille des Einen zuckte wie emporlodernde Gluth gegen den Willen des Andern, und da war kein Herz, das sich zwischen die Streitenden legte, keine Macht, welche die Zügellosen hielt, kein Band, das das Ungleichartige vereinigte. – Aber in der Welt der Engel war Seligkeit und Frieden; da ward der hohe Verstand und der kräftige Wille in Ordnung gehalten von einem Herzen, das nur das Gute wollte und das Edle liebte, da war das Ungleichartige nur dazu da, um durch Zusammenstimmung ein vollkommenes Ganzes zu bilden, wie man die Blumen des Gartens und der Wiese zu Einem Kranze flicht, und um die große selige Welt breitete sich ein blauer, reiner Aether, in ihm lebten und athmeten alle Geister; es war – die Liebe!

»Und ich fragte: »»Wer wohnt auf den dunkeln Körpern, die zwischen den leuchtenden Sonnen hinschwimmen in unstäter Bahn?«« – Eine Stimme sprach: »»Es sind die Menschen, sie bereichern den Himmel mit ihren Tugenden, die Hölle mit ihren Lastern und benetzen die Erde mit ihren Thränen! ihrer Tage sind wenige, ihre Freuden sind kurz, ihre Lasten sind schwer; aber sie gehören der Ewigkeit an, und werden geläutert und kommen zu uns!«« Die Hölle rief: »»Sie sind mein!«« Die Engel jauchzten: »»Sie sind unsere Brüder!««

»Da dauerten mich die Geschöpfe von Staub, und ich fiel nieder vor dem Strahlenglanze des Ewigen und bat: »»Allliebender! laß mich ein Mensch werden, daß ich die Menschen zu meinen Brüdern führe!«« Da ging ein milder Schein aus von dem strahlenden Lichte, und eine sanfte Vaterstimme sprach: »»Ich trage alle meine Kinder in meinem Herzen, und wer sie veredelt, ist mein Liebling; seine Pflicht ist schwer, aber sein Lohn ist groß!«« Zwei meiner Brüder begleiteten mich triumphirend herab, und da sie von mir schieden, erkannte ich sie – Euthokles und Althea!

»Der Engel der Erde gab mir einen Kuß, und ich lag, ein hülfloses Kind, auf dem rauhen Felsengestade von Lemnos.«


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