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Benno

Eine Erzählung

Es war gegen das Ende des elften Jahrhunderts, als Philipp der Erste Frankreich beherrschte. Sein Hof war der glänzendste von Europa, und er selbst nannte sich den König der Könige. In gewisser Rücksicht mochte diese Benennung wahr sein, denn er war der üppigste und sittenloseste Monarch seiner Zeit. Das Beispiel, das er seinen Unterthanen gab, wirkte so mächtig, daß seine Residenz bald zu einem Sammelplätze aller Wollüste ausartete, daß die stillen Tugenden des Bürgers, Religion und Sittlichkeit verachtet, und nichts geschätzt wurde, als das Laster mit seinem blendenden Glanze.

Der Geist der damaligen Zeit ertrug wohl Gewaltthätigkeiten, die der Stärkere an dem Schwachem ausübte, aber die entnervenden Laster der Ueppigkeit und der Wollust waren allgemein verabscheut. Man hing noch der Religion seiner Väter mit blinder Ergebung an, noch waren die Eide heilig, der Schwur der Ehe unverletzlich, und Keuschheit und Reinheit der Sitten war die Mitgabe, die der Sohn vom Vater, die blühende Jungfrau von der Mutter erhielt. Philipps Leben erregte daher allgemeinen Unwillen. Die Kirche bediente sich ihrer Macht, deren Anwendung wenigstens in diesem Falle wohlthätig war, und von dem päpstlichen Stuhle, auf welchem damals Urban der Zweite saß, fiel der Bannstrahl auf das Haupt des Königs.

Benno war aus Flandern. Sein Vater, der in dieser Provinz ein kleines Gut besaß, hatte ihn schon in seinem fünfzehnten Jahre, durch Verwendung eines Oheims, an Philipps Hof gebracht, um dort die Dienste eines Pagen zu verrichten, und dann bei zunehmendem Alter die ritterlichen Uebungen zu erlernen. Er genoß eine Erziehung, die in der damaligen Zeit vortrefflich war, das heißt, man lehrte ihn lesen, ein wenig schreiben, und sehr viel Christenthum. Er wuchs heran, und lernte reiten und turniren; er ward Knappe und that sich in mehreren kleinen und großen Fehden hervor, die damals zur Tagesordnung gehörten. Sein offnes, empfängliches Herz, sein feuriger Geist erwarben ihm überall Freundschaft und Zutrauen. Er war ehrerbietig und bescheiden im Kreise der Männer, froh in den Zirkeln der Jünglinge, sanft und anziehend in den Gesellschaften der Frauenzimmer.

Im dreiundzwanzigsten Jahre erhielt er endlich den Ritterschlag, und durch den Tod seines Vaters, der kurz darauf erfolgte, seine völlige Freiheit. War es ein Wunder, daß ihm diese an einem solchen Hofe gefährlich ward? Der Strudel riß ihn mit fort, sein gutmüthiges, zur Freude gestimmtes Herz war nur zu leicht zu gewinnen, und sein Geist hatte nicht Festigkeit genug, der Verführung zu widerstehen.

Es giebt in dem Leben eines jeden bessern Menschen einen feierlichen Augenblick, wo er sich selbst und den Weg, den er wandelt, übersteht, wo er jede Abweichung bemerkt und mit festem Tone zu sich selbst sagt: Ich will anders sein! Hat seine Seele Kraft, dieser innern Gesetzgebung zu folgen, so kann man von diesem Augenblicke an von ihm sagen, er besitze einen Charakter; ein Attribut, mit dem man im gemeinen Leben viel zu freigebig ist, und das man im Grunde nur wenig Menschen beilegen kann. Es war nicht die Furcht vor dem Bannstrahl Urbans, die den Ritter Benno zu bessern Entschlüssen führte, denn seine stolze Seele kannte keine Furcht; aber der allgemeine Unwille, der bei dieser Gelegenheit laut ward, öffnete ihm die Augen über sich und die Menschen, die ihn umgaben.

»Ich will sie fliehen, die Elenden, die mich um die Unschuld meines Herzens, um die Reinheit meiner Sitten betrogen haben,« sagte er zu sich selbst, und kaum graute der Morgen, so zog er, von einem einzigen treuen Diener begleitet, nach der väterlichen Burg.

Gottfried von Bouillon, Herzog zu Lothringen, war mit den edelsten seiner Vasallen aufgebrochen, um die heiligen Stellen, welche mit dem Blute des Erlösers gefärbt waren, den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Das Gerücht von seinen Thaten durchflog ganz Europa, überall sprach man von dem Ruhme der Helden, von ihren beschwerlichen Zügen, von der Pracht, mit welcher der Kaiser Alexius in Konstantinopel Hof hielt, und von den Künsten und Wissenschaften der Sarazenen in Asien. Alles rüstete sich, den Helden zu folgen und ihre Lorbern zu theilen, unter Andern Hugo, der Bruder Philipps von Frankreich, und Robert der Graf von Flandern, Benno's Lehnsherr.

Da ward dem Ritter Benno die Burg seiner Väter zu enge, der Durst nach Thaten ergriff ihn, er sehnte sich, die heiligen Länder zu schauen, wo der Wunderbare gewandelt hat, an den wir Alle glauben, und er verkaufte seine kleine Besitzung und trat in Roberts Gefolge seinen Zug nach Palästina an. Sie nahmen ihren Weg nicht wie die übrigen Kreuzfahrer durch die Staaten des Königs Coloman von Ungarn, sondern gingen nach Italien, empfingen da den Segen des Papstes und schifften dann nach Durazzo über, um sich mit den Helden, die vorausgegangen waren, bei Konstantinopel zu vereinigen.

Benno besuchte den Hof des Alexius. Alles, was der verfeinerte Kunstgeschmack der Griechen und die Ueppigkeit des Morgenlandes hervorgebracht hatte, war hier anzutreffen. Ein Fest verdrängte das andere, kostbare Geschenke wurden ausgetheilt, Freundschaftsversicherungen wurden gegeben; aber es entging dem scharfen Auge Benno's nicht, daß man dadurch nur die Armuth des Landes verstecken, und die Feindschaft, die man gegen die neuen Ankömmlinge hegte, verbergen wollte. Unter dem Heere, das zur Besiegung der Ungläubigen ausgezogen war, gab Jeder vor, er habe der Ehre Gottes sein Blut und sein Leben gewidmet, aber Jeder trug den niedrigsten Eigennutz in seiner Brust. Die Heerführer dachten nur an Eroberungen großer Provinzen, die Soldaten dürsteten nur nach Raub und Beute und überließen sich allen Gräueln einer schlecht geordneten Kriegszucht. »Ist sich denn der Mensch überall gleich?« rief Benno aus; »muß selbst das Heiligste entweiht werden, um seine niedrigen Triebe zu befriedigen? Mit welchen schönen Aussichten verließ ich mein Vaterland? und was werde ich hier anders sein, als das elende Werkzeug, die Raubsucht meiner Untergebenen zu befriedigen, und der Ehrbegierde meiner Vorgesetzten genugzuthun?«

Die Armee der Kreuzfahrer verließ die Gegend von Konstantinopel und eröffnete den Feldzug des Jahres 1097 mit der Belagerung von Nicäa, der Hauptstadt Bithyniens. Kunst und Natur hatten diese Stadt befestigt, und der Muth ihrer Einwohner vertheidigte sie hartnäckig. Umsonst wagten die Heere der Christen mehrere Stürme, sie wurden zurückgeschlagen, und Haufen von Leichen bezeichneten die Stellen, wo sie mit vergeblicher Anstrengung gefochten hatten. Der Sultan Kilidge-Arslan hatte den größten Theil seiner Schätze in der Stadt, und rückte daher mit einer Armee von funfzigtausend Mann zu ihrem Entsatz an. Die Christen waren davon benachrichtigt, erwarteten den Sultan und schlugen ihn nach einem hitzigen Gefechte wieder in die Gebirge zurück. Er ließ viertausend Mann auf dem Platze, aber auch den Christen war dieser Sieg theuer zu stehen gekommen. Mehrere Tausende waren geblieben, unter ihnen Balduin Graf von Gent, einer der besten Freunde Benno's.

Der stolze Sarazene war über seinen Verlust mehr wüthend als niedergeschlagen. Er erneuerte am andern Morgen das Treffen, die Besatzung unterstützte ihn durch einen heftigen Ausfall, und das Heer der Christen kämpfte den blutigsten Kampf, den es bis jetzt gefochten hatte. Benno stritt in der vordersten Reihe unter der Fahne Roberts von Flandern; ihm gegenüber that ein junger Sarazene Wunder der Tapferkeit; er hatte sich mit einem kleinen Haufen, der ihm folgte, durch das Vordertreffen der Christen durchgeschlagen und machte Alles nieder, was sich ihm entgegenstellte. Ein Pfeil verwundete seine rechte Hand, aber er faßte den Säbel mit der linken und stürmte gegen Benno an. Der Jüngling war ermattet, es gelang dem Ritter, ihn zu entwaffnen. Da fiel der junge Held ihm zu Füßen und sprach: »Christ, ich will Dein Sklave sein, nur schone meines Lebens!« Benno war ausgezogen, um das Blut des gefallenen Freundes zu rächen, er rief: »Ungläubiger, Du mußt sterben!« Da stammelte der Jüngling: »Ich habe einen alten Vater!« aber Benno haute ihn nieder. Kaum sah ihn sein Haufe fallen, so stürmte er mit erneuerter Wuth gegen den Ritter an, seine versuchtesten Leute fielen, er selbst mußte sich zurückziehen. Schon neigte sich die Sonne gegen Abend, und noch war der Ausgang der Schlacht ungewiß, die Priester liefen mit dem Bilde des Gekreuzigten durch die Reihen, die Weiber schrien und heulten im Lager, da siegte endlich die Menge und die Schwärmerei, und die Sarazenen flohen in die Gebirge.

Während am andern Tage das ganze Lager den entscheidenden Sieg feierte, saß Benno traurig vor seinem Gezelte.

»Warum so niedergeschlagen, tapfrer Ritter?« fragte der Kapuziner Bernard.

»Ich habe einen wehrlosen Menschen ermordet,« antwortete Benno.

»Ihr habt einen Ungläubigen geopfert,« erwiederte der Kapuziner.

»Mönch!« seufzte Benno, »es war der schönste, tapferste Jüngling, den ich je sah.«

»Es war ein Feind Gottes!« versetzte der Mönch.

»Er hatte einen alten Vater!«

»Wollte Gott, der alte Vater wäre auch in unsre Hände gefallen, so wär' die Brut vernichtet.«

»Mönch, Ihr seid entsetzlich!« sprach Benno und entfernte sich.

»Gott will es haben!« rief ihm der Mönch nach.

Einsam ging der Ritter in dem Walde spatzieren, der an den rechten Flügel des Lagers stieß. Das Bild des unglücklichen Jünglings schwebte vor seinen Blicken, es stiegen Gedanken in ihm auf, vor welchen er erschrak, er verlor sich in Dunkelheiten und Zweifeln und kehrte erst mit einbrechender Nacht wieder ins Lager zurück.

Nach einer langwierigen Belagerung ging endlich Nicäa durch Capitulation über. Das Heer der Christen bezeigte durch Gräuel und Grausamkeiten seine Freude. Benno sah dieselben Laster, die ehemals am Hofe Philipps mit dem Banne bestraft wurden, ungestraft unter den Augen der Geistlichkeit, ja von Geistlichen selbst verüben. Man war allgemein unzufrieden darüber, daß das Leben der Einwohner durch die Capitulation gesichert worden war, denn man hatte sich vorgenommen, Alles über die Klinge springen zu lassen und weder Alter noch Geschlecht zu schonen. Die Geistlichkeit sagte laut, man brauche den Feinden Gottes kein Versprechen zu halten, und munterte die Soldaten zum Mord auf, aber Butumites, der Feldherr der Griechen, hintertrieb es, indem er die Thore von Nicäa sperrte und nicht mehr als zehn Mann von der Kreuzarmee auf einmal hereinließ, welche dann bei ihrer Zurückkunft ins Lager durch zehn Andre abgelöst wurden. Damit das Mißvergnügen hierüber nicht laut ausbrechen möchte, so ließ er Geld unter die Soldaten vertheilen und erlaubte ihnen alle Ausschweifungen, denen sie sich im Lager überließen. Viele der gefangenen Christen, welche vermöge der Capitulation ausgeliefert worden waren, gingen wieder zu den Sarazenen über.

Während sich das Heer der Kreuzfahrer aller Ausgelassenheit der Freude überließ und sorglos vor den Mauern der eroberten Stadt schwelgte, sann der Sultan, den sein Unglück nur entschloßner gemacht hatte, auf ihr Verderben. Er hatte durch Kundschafter erfahren, daß sie Willens waren, nach Antiochien zu marschiren, und lagerte sich daher mit einem auserlesenen Heere in die Gebirge, durch welche sie ihren Weg nehmen mußten. Das Heer der Christen brach auf. Es kam in die Gebirgspässe von Phrygien. Die Wege waren eng und beschwerlich, der Zug ging nur langsam, und die Armee theilte sich daher in zwei Kolonnen, um schneller durch die Gebirge vorzurücken. Der Sultan benutzte diesen Fehler und fiel die Kolonne an, welche linker Hand marschirte und die schwächste war. Die Armee war auf nichts weniger vorbereitet, als auf einen solchen Anfall. Die Sarazenen stritten mit grenzenloser Wuth, um den Schimpf ihrer zweimaligen Niederlage abzuwaschen. Die Christen wurden umringt, eine unzählbare Menge Volks blieb, und beinahe ihre ganze Bagage fiel in die Hände der Feinde. Robert focht mit seinen Vasallen mitten unter den dichtesten Haufen der Sarazenen, aber vierzig seiner tapfersten Ritter fielen an seiner Seite, Benno ward gefangen, und Robert selbst so schwer verwundet, daß er bald nachher starb. Es würde um die ganze Abtheilung des Heers geschehen sein, wenn ihr nicht die andre Kolonne noch zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen wäre und die Sarazenen zurückgedrängt hätte.

Seiner Rüstung beraubt, mit Ketten belastet, ward Benno mit mehreren Gefangenen vor den Sultan geführt.

»Hattet Ihr zu Hause keine Gräber, daß Ihr so weit herkommt, sie zu suchen?« fragte der Sultan.

Benno erwiederte stolz: »Wir fragen nach dem Tode nichts, wir streiten und sterben für die Ehre unsers Gottes!«

Da erhob sich der Sultan von dem prächtigen Teppich, auf dem er saß, und fragte mit zornigem Blicke:

»Hält Euer Gott Rauben, Morden und Plündern für Ehre? Wenn es wahr ist, daß er hier gewandelt hat, warum befleckt Ihr seine Fußtapfen mit Gräueln? Was thaten Euch meine Unterthanen? überfielen sie Eure Hütten? trieben sie Eure Herden weg? entführten sie Eure Weiber? Ihr Unsinnigen, was trieb Euch über das Meer?«

Benno verstummte. Man führte die Gefangenen aus dem Zelte des Sultans, vor welchem sich eine Menge Volks versammelt hatte, um sie vorbeiführen zu sehen. Da drängte sich ein Jüngling durch den Haufen des Volks, und trat zu Benno, und sprach zu dem Offizier, der die Wache der Gefangenen commandirte: »Emir, laß mich diesem Christen seine Fesseln, lüften!« Benno blickte auf, und siehe! der Jüngling stand vor ihm, den er in der Schlacht bei Nicäa so schändlich niedergehauen hatte. Eine breite Narbe lief an seiner Stirn hin, sein Angesicht war blaß. »Also Du lebst noch?« rief Benno freudig. »Allah hat mich gerettet!« sagte der Jüngling und blickte dankbar zum Himmel. »O vergieb mir!« rief Benno, aber der Jüngling schwieg und lüftete ihm seine Fesseln.

Um seine Auslösung zu erleichtern, hatte sich Benno für einen gemeinen Krieger ausgegeben; aber er erschwerte dadurch seine Lage. Anstatt daß man die vornehmem Gefangenen als Geiseln im Lager zurückbehielt, so führte man ihn mit den Gemeinen nach Antiochien ab, und da man auch da ihren Aufenthalt nicht für sicher hielt, so transportirte man sie durch Syrien nach Kairo. Das Ungemach, das sie unterwegs ausstanden, war schrecklich. Mit elenden Lumpen bekleidet, mit Ketten aneinandergeschlossen, mußten sie die brennenden Sandwüsten dieser Gegenden durchwaten, ohne Obdach waren sie den Sonnenstrahlen unaufhörlich ausgesetzt, und oft vergingen mehrere Tage, ohne daß ein Trunk ihre trockne Zunge labte. Viele starben, und Benno blickte oft voll Sehnsucht zu dem Himmel und bat um das Ende seiner Qual, zumal da ihm durch den Tod Roberts jede Aussicht zu seiner Befreiung benommen war.

Endlich näherten sie sich Kairo. Ihr Weg ging nun durch fruchtbare Aecker, durch schattige Wälder, bei blühenden Gärten vorbei, und schon der Anblick dieser schönen Landschaft stärkte die Ermatteten. »Sind das die Menschen,« dachte Benno, »die unsre Priester Feinde Gottes nennen? warum läßt Gott die Saat seiner Feinde so schön aufgehen? warum erntet der Ungläubige so gut wie der Gläubige?«

Eine Menge Sarazenen, die sich vor den Christen geflüchtet hatten, hielten sich theils in Kairo, theils in den nahegelegenen Gegenden auf und hatten die Nachricht von den Grausamkeiten, die die Kreuzfahrer gegen die Anhänger des Propheten verübten, hierher gebracht. Die Ankunft so vieler Gefangenen und ihre öffentliche Ausstellung erregte daher einen Auflauf in der Stadt, und der Pöbel rottete sich zusammen und mißhandelte die Unglücklichen. Matt und entkräftet lag Benno auf den harten Steinen des Marktes. Ein sarazenisches Mädchen ging vorüber, der Anblick des unglücklichen Jünglings rührte sie, und ihre großen schwarzen Augen füllten sich mit mitleidigen Thränen. Sie nahte sich ihm schüchtern und fragte leise: »Armer Jüngling, bist Du krank?« Benno's Blicke ruhten mit Wohlgefallen auf ihrer schönen Gestalt, und er sprach: »Erbarme Dich, schönes Mädchen, und reiche mir einen Trunk!« Da flog das Mädchen davon, und kam eilends wieder, und brachte ihm in einem Körbchen Datteln und Feigen, und in einem Kruge einen Trank von ausgepreßtem Zuckerrohr. Benno ergriff ihre Hand und drückte sie an sein Herz, er wollte danken, aber die Thränen erstickten seine Stimme. Das Mädchen erröthete und entfernte sich schnell. Da hob Benno seinen dankbaren Blick zu dem auf, der den Unglücklichen nahe ist, und rief mit Thränen: »O du bist aller Menschen Gott! und unter jedem Himmelsstriche giebt es Seelen, die barmherzig sind wie du!«

Um die Gefangenen den Augen des Pöbels zu entziehen, befahl der Kalif, daß sie als Sklaven unter die geflüchteten Sarazenen und unter die Einwohner Aegyptens, deren Söhne bei dem Heere des Sultans waren, vertheilt werden sollten. Ehe sie aber abgeführt wurden, besah er sie selbst. Alle fielen vor dem Kalifen auf die Knie, nur Benno nicht. Aus seinen Augen strahlte jene Größe, die über die Schicksale der Welt sich erhebt, und jene Würde, die selbst das härteste Unglück einer edlen Seele nicht entreißen kann. Der Kalif sah ihn lange an; endlich sagte er zu einem Emir aus seinem Gefolge: »Bringe diesen Sklaven zu Ali Monzo!« Der Emir verneigte sich tief vor dem Kalifen, und trat zu Benno und sprach: »Ungläubiger, die Gnade unsers Kalifen ist wie die Sonne, deren Strahlen unzählbar sind; er hat befohlen, daß Du der Sklave des weisen Ali Monzo werdest, darum mache Dich auf und folge mir.« Benno folgte stillschweigend dem Emir; sie gingen durch die Thore von Kairo und wendeten sich südlich nach den Gebirgen.

Nach einer Stunde befanden sie sich an dem Fuße eines Bergs und betraten einen Fußsteig, der sich hinaufschlängelte. Der Berg war steil und der Tag so heiß, daß Benno mehrere Male unter der Last seiner Ketten erlag. Endlich erreichten sie seinen Gipfel und überblickten ein Thal, welches der Emir mit den entzückenden Gefilden verglich, welche der Prophet den Gläubigen im Paradiese versprochen hat, wo alle Blumen und alle Jungfrauen ewig blühen werden. »Und hier,« fuhr er fort, »Ungläubiger, wirst Du wohnen; jenes Haus, welches dort von den hohen Cedern beschattet wird, ist die Wohnung des weisen Ali Monzo; diesen Wald von Oelbäumen hat er selbst gepflanzt; jener Garten ist sein Lieblingsort, dort blühen die schönsten Blumen des Morgenlandes, aber Alinda, die Tochter des weisen Ali, blüht schöner denn sie alle; doch hüte Dich, in den Himmel ihrer Augen zu blicken, denn einem niedrigen Sklaven geziemt es nicht, das Hohe zu betrachten.«

Benno hörte wenig von dem, was der Emir sprach. Er war so ermattet, daß er niedergesunken war, und wenn er sich ja über etwas freute, so war es darüber, daß er nun den Ort seiner Bestimmung vor sich sah, und bald ein ruhiges Plätzchen zu finden hoffte, wo er sterben könnte; denn er glaubte gewiß, daß der Tod seine Fesseln bald zerbrechen würde. Wie er sich wieder erholt hatte, stieg er mit dem Emir in das Thal hinab.

»Führe mich zu dem weisen Ali Monzo!« sprach der Emir zu einem Araber, der in Ali's Diensten war, und der Araber öffnete ihnen die Thür des Gartens und führte sie durch einen langen Gang, der mit Mandelbäumen besetzt war, zu der Laube, in der Ali sich befand. Sie traten hinein und erblickten einen Greis, der an einem Tische saß und las. Ungeachtet sein Haar weiß war, wie der Schnee, so glänzte doch in seinen Augen noch das Feuer der Jugend; die Jahre und das Schicksal hatten auf seinen Wangen Furchen gezogen, aber sie hatten sein Haupt nicht gebeugt. Um seine Lippen schwebte eine Gutmüthigkeit, die Vertrauen erregte, und der Ton seiner Stimme war sanft und ernst, wie die Stimme eines Vaters. Zu seinen Füßen saß auf einem prächtig gestickten Polster ein Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren; ihre langen blonden Haare flogen in natürlichen Locken um ihre Schultern, Schönheit und Grazie schwebten auf ihrem Gesicht, aber ihre Augen waren mit einer schwarzen Binde bedeckt. Sie hatte Blumen auf dem Schooße, mit denen sie spielte, und neben ihr lag eine Zither. Der Emir sprach:

»Weiser Ali Monzo, Sohn Abdad, der Kalif, dem Allah Leben und Gesundheit geben wolle, sendet mich zu Dir, und hat mir aufgetragen, Dir diesen ungläubigen Sklaven, der in der Schlacht vom Heere des Sultans gefangen worden ist, zu überbringen.«

»Allah erhalte den Kalifen!« sprach Ali, dann wendete er sich freundlich zu Benno und fragte: »Mein Sohn, wo bist Du her, und wie ist Dein Name?«

»Ich heiße Benno, und mein Vaterland ist weit von hier, weiser Ali.«

»Nenne mich nicht so,« erwiederte der Greis, »Du bist ein Mitglied meines Hauses geworden, und darfst mich Vater nennen.«

Da fiel Benno zu Ali's Füßen und rief mit Thränen: »O mein Vater, gieb mir einen Platz, wo ich ruhig sterben kann!«

Ali sagte voll Mitleid: »Du bist krank und wirst genesen!« Er rufte dann einige seiner Diener und befahl ihnen, dem Ermatteten die Ketten abzunehmen und seiner zu pflegen.

Benno ward von seinen Ketten befreit, man wusch und salbte ihn, man gab ihm stärkende Nahrungsmittel und führte ihn dann wieder in den Garten, wo er in einem kleinen mit Weinreben überzogenen Hüttchen ein bequemes Lager für sich bereitet fand. Er fiel in einen tiefen Schlaf und erwachte erst am andern Morgen, da die Sonne schon hoch am Himmel stand. Der Schlaf hatte ihn erquickt und gestärkt, er fühlte sich ziemlich gesund, aber mit dem Gefühle seiner Gesundheit erwachte auch das Gefühl seines unglücklichen Schicksals in doppelter Stärke. Er, ehemals geachtet und geschätzt an dem Hofe des mächtigsten Fürsten von Europa, war jetzt ein niedriger Sklave, der auf den leisesten Wink gehorchen mußte, wenn es sein Gebieter verlangte; er hatte sein Vaterland verlassen, um Ehre und Ruhm zu erwerben, und schimpfliche Ketten, eine entehrende Gefangenschaft, die erniedrigendste Behandlung war sein Loos gewesen. Die Zukunft stand wie eine Nacht vor seiner Seele. Von wem sollte er Befreiung erwarten? Wer sollte ihn in dem Winkel der Erde ausfindig machen, in welchen er gebannt war? – Alle diese finstern Gedanken bestürmten seine Seele, sein geängstetes Herz ergoß sich in Thränen, er weinte laut.

»Was weinst Du, Benno?« fragte eine sanfttönende weibliche Stimme.

Benno sah sich um und erblickte das schöne Mädchen mit den verbundenen Augen, die gestern zu Ali's Füßen saß. Durch ihr Haar war ein frischer Myrtenkranz gewunden, eine Zither hing an einem seidnen Bande über ihre Schulter, und in den Händen hielt sie eine Blumenguirlande, die sie eben wand.

»Ach, was hat der Hülflose anders als Thränen?« antwortete Benno; »ich bin sehr unglücklich; laß mich weinen, gutes Mädchen!«

»Bist Du unglücklich?« erwiederte das Mädchen; »ach nein, Du bist nicht unglücklich! um Dich ist ein schöner glänzender Tag, Du kannst die Sonne sehen, und die Erde mit allen ihren Blumen, und die Gestirne der Nacht und den freundlichen Mond. Die arme Thirza kann das nicht sehen, die arme Thirza ist blind! Mein Vater sagt, Allah habe seine Herrlichkeit auf dem Angesichte des Menschen geoffenbart, ich armes Mädchen habe das schöne Menschenangesicht nie gesehen! In Deinen Träumen erscheinen Dir freundliche Gestalten, aber in Thirza's Träumen sind keine Gestalten, ach! die arme Thirza ist unglücklicher als Du!«

Da ergriff Benno die Hand des Mädchens und sprach: »Unglück bindet Seele an Seele, Thirza, sei meine Freundin!« Aber Thirza setzte sich stillschweigend nieder, nahm ihre Zither und sang:

»Allah giebt Licht in Nächten,
Allah giebt Trost in Noth!
Und bleichgehärmte Wangen
Färbt Allah wieder roth!

Blumen und Blüthen welken,
Jahre verschwinden im Flug;
Doch ach mein Herz wird bleiben,
Das hier voll Schwermuth schlug!

Fröhlich zu Allahs Wohnung
Werd' ich hinübergehn,
Dort wird die Nacht verschwinden,
Dort wird mein Auge sehn.«

»Wer hat Dich das schöne Lied gelehrt, Thirza?« fragte Benno. Thirza seufzte und sprach: »mein Herz und mein Unglück!«

Benno blieb mehrere Tage in dem kleinen Hüttchen, seine Füße waren geschwollen, seine Hände von den Ketten wundgerieben, er konnte nicht gehen. In seiner Einsamkeit sah er Niemanden, als die Diener Ali's, die ihn sorgfältig verpflegten, und die liebenswürdige Thirza, die täglich zu ihm kam, ihn jeden Morgen mit frischen Blumen beschenkte und wie ein guter Genius den Kummer seines Herzens linderte. Er nannte sie seinen Engel; denn der Ton ihrer Zither, die Melodie ihres Gesanges waren allein vermögend, die finstern Wolken zu verscheuchen, die auf seiner Seele lagen.

Endlich war er völlig genesen. Thirza begleitete ihn, da er zum ersten Male wieder ins Freie hinaustrat. In dumpfer Betäubung hatte er vormals das herrliche Thal übersehen, jetzt sprach die Stimme der Natur mit voller Kraft zu seinem Herzen; ein lebendiger Odem wehte Muth in seine Seele; er fühlte wieder eine Verwandtschaft mit seinem Leben, eine Lust an seinem Dasein; er drückte mit freudiger Rührung Thirza's Hand und sprach:

»O Thirza! in diesem schönen Thale werde ich Alles vergessen, meine Hoffnungen, meine Wünsche, mein Unglück, Alles, Alles!« – »Gefällt es Dir, Benno?« erwiederte das Mädchen; »o ja, es ist schön! ich fühle, daß mich ein leises Lüftchen umweht, ich höre es durch die Wipfel der Cedern rauschen und mit den Blättern des Feigenbaums spielen; ich höre das Summen in den Blumen und Blüthen, ich freue mich auch.«

»Gutes Mädchen!« rief Benno aus und küßte sie auf die Stirn. – »Komm', laß uns zu unserm Vater gehen, Benno,« sprach Thirza, »er hat oft nach Dir gefragt, und ich habe ihm viel von Dir erzählt, er liebt Dich.«

Er ging mit Thirza in die Laube, in der Ali Monzo saß. »Willkommen, mein Sohn!« rief ihm der Greis entgegen; »bist Du wieder hergestellt?«

»Habe Geduld mit mir, mein Vater,« antwortete Benno; »Deiner sorgsamen Pflege habe ich es zu verdanken, daß ich noch lebe; aber ich habe meine Freiheit, mein Vaterland, meine Freunde, Alles, was mir lieb ist, verloren.«

»Glaube nicht,« unterbrach ihn der weise Ali, »daß das Herz des Greises die Gefühle der Menschlichkeit nicht mehr kennt. Setze Dich, Benno, und erzähle mir von Deinem Vaterlande und Deinen Freunden. Was bewog Dich, sie so weit zu verlassen, und Dein Leben und Deine Freiheit dem ungewissen Spiele des Kriegs auszusetzen?«

Benno sagte: »Die heiligen Länder, wo die Geheimnisse unsrer Religion vorgegangen sind, sind jedem Kinde bei uns von dem zartesten Alter an bekannt. Wenn wir kaum den Namen unsers Vaterlandes wissen, hören wir schon von Aegypten, wo das Volk Gottes auszog; von dem hohen Sinai, wo der furchtbare Ewige seine Gesetze gab; von Bethlehem, wo ein Gott, der sanfter war, menschliche Gestalt annahm; von Jerusalem, wo sie den Freundlichen tödteten; von Thabor und Horeb, wo er sich in dem Glanze seiner Herrlichkeit zeigte. Da hatte ich schon von Jugend auf den Wunsch, diese wunderbaren Gegenden einmal zu sehen, und, wenn ich nach Hause käme, der Achtung zu genießen, die man Jedem bei uns erzeigt, der hier gewesen ist. Dieser Wunsch verlor sich, da ich an dem Hofe eines unsrer Könige lebte, und durch das üppige Leben, das dort herrschte, zerstreut und, ich möchte beinahe sagen, mir selbst entrissen wurde. Ich floh endlich den verderbenden Strudel des Hofs und lebte einsam auf der Burg meiner Väter. Da wachten alle die frommen Gefühle meiner Kindheit wieder in mir auf, und ich ergriff mit Freuden den Entschluß, den die größten Helden meines Vaterlandes nahmen, und zog bewaffnet aus meiner Heimath, um das heilige Land aus den Händen der Ungläubigen zu befreien; aber wir verdienten es nicht, die Ungläubigen zu besiegen, denn das Heer der Christen übergab sich allen Ausschweifungen und Lastern.«

»Was nennst Du ungläubig?« fragte Ali. »Jüngling, ich habe die Völker gesehen vom Ganges bis zum Nile, und jedes belegte das hohe Wesen mit einem eignen Namen, und erzählte besondre Geschichten von ihm, und nannte alle die Ungläubige, die ihm einen andern Namen gaben und andre Geschichten erzählten. Aber da ich sah, daß sie Alle glaubten, daß der hohe Ewige gütiger sei, als wir verstehen, und heiliger, als wir begreifen, daß wir Alle seine Kinder wären, und der Tugendhafteste sein liebstes Kind, da nannte ich sie Alle Gläubige. O Benno, Dein Gott hat nicht nur vor Zeiten hier gewandelt, er ist noch hier, er ist überall, er wandelt sichtbar vor uns, denn durch ihn blühen die Blumen, und reifen die Saaten, und das Menschenherz wird veredelt!«

»Aber mein Vater, unsre Priester sagen –«

»Die Menschen sind Kinder,« versetzte der weise Ali, »und die Priester sind ihre Wärterinnen; sie erzählen ihnen fürchterliche Geschichten, damit sie still sind, und freundliche, damit sie lachen, aber ihren Verstand lassen sie schlafen, damit sie der Ruthe nicht entwachsen.«

Giebt es ein schöneres Gefühl, als das der Offenheit und des Zutrauens? ach! wenn sich die Brust einer andern geliebten Brust öffnen, wenn sich das beklommne Herz einem andern Herzen aufschließen kann, da wachen alle entflohene Freuden wieder auf, und ihre bleiche Gestalt erhält durch die Erzählung Farbe und Leben; da gehen die Tage der Vergangenheit vor unsrer Seele vorüber wie geliebte Verstorbene, die wir im Traume wiedersehen; da erscheinen selbst kummervolle trübe Stunden in einem freundlichen Gewande, sie bringen eine süße Wehmuth in ihrem Gefolge, und freuen uns, denn sie sind unser, wir haben sie theuer erkauft, mit vielen Thränen.

Benno war bis jetzt mit Menschen umgegangen, die wenig Theil an ihm genommen hatten, um so mehr mußte er den edeln Greis lieben, der bei allem Ernste seines Alters jene zärtliche Theilnahme nicht verloren hatte, die Zutrauen erwirbt. Er liebte und achtete ihn auch wirklich wie seinen Vater, und glaubte ihm diese Achtung am besten durch unbegrenzte Offenheit zu beweisen. Er würde es für ein Verbrechen gehalten haben, sich dem Vortrefflichen anders zu zeigen, als wie er war, und daher verschwieg er ihm auch nicht den unbedeutendsten Umstand in der Geschichte seines Lebens.

Der weise Ali hörte ihm aufmerksam zu. Sein Blick ward finster, wie Benno erzählte, daß er den jungen Helden ungeachtet seines Bittens niedergehauen hatte, aber sein Angesicht erheiterte sich, als Benno seine Reue über diese That schilderte, und seine Freude, wie er den Jüngling im Lager wiedergesehen hatte. »Und nun,« fuhr Benno fort, »segne ich den Tag, wo ich auf Befehl des Kalifen Dein Sklave ward. Dein Volk hat Dir den Beinamen des Weisen gegeben, um seine Achtung gegen Dich an den Tag zu legen, aber welchen Namen soll ich Dir geben, um Dir zu sagen, wie sehr ich Dich liebe?«

»Du bist nicht mein Sklave,« versetzte Ali Monzo, »wen bloß Unterwürfigkeit umgiebt, der ist unglücklich; Liebe und Freundschaft haben mich durch das Leben geführt und sollen mir auch den Abend meiner Tage erheitern! O mein Sohn, wenn ich zurückblicke auf den Weg, den ich gewandelt bin, so wird mein Herz voll Dank und Freude! Oft hat mich Allah kummervoller Tage gewürdigt, ich danke ihm, denn sie bereiteten mich zu dem Genuß der schönern vor, die darauf folgten, und jetzt, da die Sonne meines Lebens immer tiefer und tiefer sinkt, jetzt fühle ich es, daß ich ohne sie nie das geworden wäre, was ich bin! Mein Volk benennt mich mit dem Namen des Weisen, aber Du denkst zu gut von der Menge, wenn Du glaubst, daß es geschieht, um mir seine Achtung dadurch an den Tag zu legen. In den Augen des großen Haufens bin ich weiter nichts als ein Sonderling. In meiner Jugend that ich mich hervor und forderte keine Belohnung, im reifern Alter wurden mir Ehrenstellen angetragen, ich schlug sie aus. Entfernt von dem täuschenden Wahne, auf das Glück eines ganzen Volks zu wirken, glaubte ich meine Pflichten als Mensch und Bürger weit gewisser zu erfüllen, wenn ich die Menschen glücklich zu machen suchte, die mich umgaben. Noch vor wenig Jahren trug man mir die Würde eines Kalifen an, aber was mich vielleicht in der Jugend geblendet haben würde, that im Alter keine Wirkung auf mich. Ich lehnte den Antrag ab und verhalf dem jetzigen Kalifen, den ich als einen redlichen und einsichtsvollen Mann kannte, dazu. Seitdem nennt mich der Kalif weise, und das Volk betet ihm nach.«

Ali Monzo ward durch ein Freudengeschrei unterbrochen, das sich auf einmal außerhalb des Gartens erhob. Man hörte den Namen Alinde ausrufen, und Thirza, die bis jetzt still zu Ali's Füßen gesessen hatte, fuhr auf und rief: »Alinde ist wiedergekommen! Komm', Benno, und führe mich zu meiner Schwester!« – Eben wollte er mit ihr die Laube verlassen, da flog Alinde den Gang herauf, stürzte an die Brust ihres Vaters, und Thirza hielt sie fest umschlungen. Man that tausend Fragen, und keine wurde beantwortet; man wollte sich Vieles erzählen, aber man stammelte nur abgebrochene Worte.

Endlich, da das erste tobende Entzücken einer ruhigern Freude Platz gemacht hatte, da blickte sich Alinde um und ward Benno gewahr. »Wer ist dieser Fremdling?« fragte sie, aber Benno, wie vom Blitz getroffen, stürzte sich zu ihren Füßen und rief: »Ja, Du bist es! Du bist es! Meine Wohlthäterin! meine Retterin! ich war verlassen, Du nahmst Dich meiner an; ich wäre verschmachtet ohne Deine Hülfe; erkennst Du nicht mehr den armen Sklaven in Kairo?«

Alinde erröthete, und der Greis schloß sie liebend in seine Arme und sprach: »Du bist die Tochter des Ali Monzo!«

Vieles hatte Alinde schon von ihrer Reise, von ihren Beschäftigungen in Kairo und von dem Oheim, in dessen Hause sie sich aufgehalten hatte, erzählt, aber es schien, als läge ihr noch etwas auf dem Herzen, das sie nur dem vertrauten Zirkel ihrer Familie eröffnen wollte. Es war Abend. Alle hatten sich an den Fuß einer hohen Cypresse gelagert, die sich hinter dem Garten erhob, da sprach der Greis zu Alinden, die in stilles Nachdenken versunken dasaß: »Hat mir meine Tochter nichts weiter zu sagen?« Alinde blickte ihn an, als wollte sie um Verzeihung bitten, und sprach: »Ja, mein Vater, aber nur Dir und Thirza.« – »Benno ist ein Mitglied meiner Familie,« erwiederte der Greis. – »Er ist mein Bruder,« sprach Thirza. – »Vergieb mir, Benno,« sagte Alinde und reichte ihm die Hand. »Du weißt, mein Vater,« fuhr sie fort, »mit welcher Grausamkeit die gefangenen Christen in Kairo behandelt werden; der Kalif sagt, es sei nothwendig, aber die Herzen der edeln Sarazenen sagen, es sei abscheulich. Kaum waren die ersten Gefangenen als Sklaven vertheilt, so kam ein zweiter Transport, gegen welchen der Pöbel mit der nämlichen Erbitterung wüthete.

»Ich hörte von dem Elende der Unglücklichen, die abgemattet von der beschwerlichen Reise, ohne Nahrung, ohne Erquickung, selbst ohne Obdach auf den öffentlichen Plätzen von Kairo lagen. Da hüllte ich mich in schlechte Kleider und brachte ihnen stärkende Nahrungsmittel. Ich glaubte es eben so unbemerkt thun zu können, wie das erste Mal, aber ein Emir, der die Wache der Gefangenen befehligte, erblickte mich. Er eilte auf mich zu und fragte: ›Wer bist Du, daß Du es wagst, diesen Sklaven beizustehen?‹ Man hat Muth, hast Du oft gesagt, Vater, wenn man sich einer guten Handlung bewußt ist; ich fühlte die Wahrheit Deiner weisen Lehren und antwortete unerschrocken: ›Ich bin eine freie Sarazenin und habe ein menschliches Herz!‹ Da blickte mich der Jüngling mit Wohlwollen an und ließ mich von einem seiner Diener nach Hause begleiten. Des andern Tages kam er in das Haus meines Oheims, er hatte sein kriegerisches Gewand abgelegt, es war nicht mehr der Emir unter dem Heere des Sultans, es war ein blühender, schöner Jüngling, voll Sanftmuth und Liebe. Er erfuhr meinen Namen und meinen Stand, er kam oft, und – Vater – ich sah ihn gern kommen. Er blieb mehrere Wochen, und ich sah ihn täglich. Endlich kam der Tag heran, wo er wieder zum Heere zurückkehren sollte. Er nahm Abschied, ach! ich war sehr traurig, ich fühlte es tief, wie theuer er meinem Herzen geworden war. Weinend drückte ich ihm die Hand. Schon wollte er fortgehen, da kehrte er wieder um und sprach: ›Edles Mädchen, wenn mir Allah das Leben fristet und ich wieder zurückkomme von dem Heere, darf ich dann zu Deinem Vater gehen und ihm sagen: gieb mir Alinden, daß sie mein Weib werde?‹ Ich lehnte mich an seine Schulter und sprach leise: – ›Du darfst!‹ – ›Omar ist glücklich!‹ rief er, drückte mich fest an seine Brust und stürzte zu dem Zimmer hinaus.«

»Verzeihe mir, Vater, ich konnte Dich nicht um Rath fragen, Du warst fern, und ich liebte den Jüngling.«

»Was hätte ich Dir rathen können?« versetzte der weise Ali; »der Mensch kennt an dem andern Menschen wenig mehr, als die Gestalt, aber der Geist der Welt kennt die Geister und die Herzen, und welche er mit Liebe verbindet, die gefallen ihm wohl und die segnet er!«

Benno hatte weiter kein Geschäft, als Thirza's Begleiter zu sein. Er führte sie früh in den Garten, durchflocht ihr blondes Haar mit frischen Blumen, führte sie dann zu Ali, oder ging mit ihr in den Hain und suchte Blumen, die sie zu Kränzen wand. Bei dieser Beschäftigung lehrte sie ihn Lieder, die sie selbst gemacht hatte, und er sang sie mit ihr, wenn sie die Zither spielte. Mit jedem Tage gewann er das stille, fromme Mädchen lieber. Stunden lang saß er bei ihr, sie hatte ihren Kopf auf seinen Arm gelehnt, und seine Hand ruhte in der ihrigen. Oft sagte sie zu ihm: »Seit ich Dich habe, Benno, seitdem ist es mir, als ob Allah meine Nacht heller gemacht hätte, als ob die Blumen, mit denen ich spiele, schöner dufteten, und als ob Alles um mich freundlicher wäre; ach Benno, ist Dir denn auch wohl an meiner Seite? Ich bin freilich nur ein blindes Mädchen, aber mein Herz ist gut.« – Benno küßte sie dann auf die Stirn und sagte: »Thirza, an Deiner Seite werde auch ich gut werden!«

Einst saßen sie so an einem schönen Morgen im Hain; zu ihren Füßen rauschte ein Quell, der sich ins Thal ergoß, und das Leben der erwachten Natur tönte in tausend Melodien um sie her. Da ergriff Thirza ihre Zither und sang:

»Die Quelle rauscht, die Mücke schwirrt
Im warmen Sonnenstrahl,
Die Biene summt, das Täubchen girrt,
Es lebt und webt im Thal!
Wem rauscht der Quell
So silberhell?
Wem tönt das Leben der Flur?
O Allah, dir!
Nur dir, nur dir,
Nur dir und der Natur!

Das Täubchen girrt, das Täubchen liebt,
Die Liebe singt im Hain,
Ein Blümchen sich dem andern giebt
Zum seligen Verein.
Sag' an, Gesang,
Mein Saitenklang,
Wen liebt, wen liebt die Flur?
O Allah, dich!
Nur dich, nur dich,
Nur dich und die Natur!

Was rauscht um mich, was weht um mich?
Was spielt mir um die Brust?
Dein Athem ist's, du liebst auch mich,
Und füllst mein Herz mit Lust.
Und welk' ich hin,
Wie Blumen hin,
Und schwind' ich von der Flur,
Dann seh' ich dich,
O Allah, dich!
O, dich und die Natur!«

»O Thirza, Du bist glücklich!« rief Benno aus, »die bunten Erscheinungen dieser Welt gaukeln nicht vor Deinen Augen vorüber und stören Deine stille Seele in ihren frommen Betrachtungen, die Natur spricht zu Deinem Herzen wie ein geliebter Freund, mit dem man sich im Dunkeln unterhält.«

Thirza schlang ihren Arm um seinen Nacken und zog ihn an ihre Brust. »Benno,« sprach sie, »Deine Stimme spricht am schönsten zu meinem Herzen!«

So floh ein Monat nach dem andern hin, selten, daß man einen einzigen Tag von der gewohnten Lebensweise abwich, denn der weise Ali hatte die Meinung, man genieße sein Leben ungleich besser, wenn man es so viel als möglich vereinfachte. –

Anfänglich blickte Benno oft mit thränenden Augen der untergehenden Sonne nach, und wenn dann Thirza aus seiner zitternden Stimme seinen Kummer errieth und ihn schmeichelnd nach der Ursache fragte, da drückte er das liebe Mädchen an sein Herz und sagte: »Die Sonne steht tief in Westen, die Küste meines Vaterlandes glänzt im Abendroth; ach Thirza, mit diesem Abendrothe glänzen alle die schönen Tage zu mir herüber, die ich dort jenseits des Meeres lebte, die lieben Gestalten meiner Freunde stehen vor meinen Augen, und ich nehme Abschied auf ewig.« – Aber der zärtlichen Theilnahme Thirza's und der väterlichen Begegnung des weisen Ali gelang es endlich, diese Sehnsucht zu mildern. Benno gewöhnte sich nach und nach an den Gedanken, auf immer von seinem Vaterlande geschieden zu sein, ja, es gab schon Augenblicke, wo er fühlte, daß ihm der Abschied von Ali's Familie, besonders von Thirza, mehr kosten würde, als die Trennung von seinem Vaterlande. – »Und was habe ich denn verloren,« sprach er zu sich selbst, »wenn ich auch nie wieder nach Europa zurückkehre? Ist nicht das Vaterland überall, wo uns theilnehmende gute Menschen umgeben? Trennt uns nicht auch in der Heimath das Schicksal von alten Freunden, und führt uns neue zu? Ist denn diese Ruhe, dieser Friede meiner Seele, den ich hier unter den glücklichen Menschen fand, nicht werth, daß ich ihm den eiteln Wunsch aufopfere, ein geräuschvolles, ruhmsüchtiges Leben zu führen? Ich Thor! wie lächerlich war der Zweck, der mich bestimmte, mein Vaterland zu verlassen? Ehre wollte ich einernten, mit Ruhm gekrönt wollte ich zurückkehren! Dank dir, ewige Vorsehung, daß du mir statt Schattenbildern, die ich wünschte, Wirklichkeit gabst, die ich nicht kannte; statt leerem Flitterglanz, den ich schätzte, echtes Gold, dessen Werth mir fremd war. – O rätselhaftes Wesen! durch welche Labyrinthe muß der Mensch geführt werden, ehe er das begreifen lernt, was ihm so nahe liegt!«

Vergebens hatte Alinde von einem Tage zum andern auf Nachricht von der Armee des Sultans gewartet. Man wußte, aber nur ziemlich unbestimmt, daß die Kreuzfahrer immer weiter vordrangen, und die Armee des Sultans zu schwach war, dieses vom Fanatismus beseelte Heer aufzuhalten. Die Unruhe über das Schicksal Omars raubte Alinden jeden frohen Genuß; sie floh selbst den Umgang ihrer Familie, um ungestört an den entfernten Geliebten denken zu können.

Endlich, es war an einem Nachmittage, wo der weise Ali mit einigen seiner Diener ausgegangen war, um eine entfernte Pflanzung zu besehen, da traf er unterwegs einen Jüngling, der von Kairo gewandert kam.

»Führt dieser Weg zu der Wohnung des weisen Ali Monza?« fragte der Wanderer. – »Ich bin Ali, den Du suchst,« erwiederte der Greis. Da legte der Jüngling seine Arme auf die Brust und verneigte sich tief. »Weiser Ali,« sprach er, »Omar, der Sohn Kahidor, ist in Kairo, und sendet mich zu Dir, Dir diesen Brief zu überbringen.« – Ali überlas den Brief und eilte freudig nach Hause; der Bote folgte mit den Dienern Ali's von fern nach.

Als sich nun am Abend Alinde, Thirza und Benno um den Greis versammelten, da überblickte er mit freudiger Rührung seine Lieben und sprach mit lächelnder Miene zu Alinden: »Habe ich Dir nicht gesagt, meine Tochter, Herzen, welche Allah mit Liebe verbindet, die segnet er? Sieh', Du Verzagte, die Wahrheit meiner Worte, hier ist ein Brief von Omar.« – »Von Omar?« fuhr Alinde auf, »o mein Vater! von Omar?« – »Er ist in Kairo,« sprach Ali, »und wird morgen hier sein.« Alinde fiel an die Brust ihres Vaters, und Freudenthränen erstickten ihre Stimme. – »Die zweite Nachricht,« fuhr der Greis mit ruhiger Fassung fort und wendete sich zu Benno, »gilt Dir, mein Sohn. Die Christen haben endlich ihren Zweck erreicht, sie haben Jerusalem eingenommen und ihrem Gotte Grausamkeiten zum Opfer gebracht, vor denen sich die Menschheit entsetzt. Jetzt macht sich der größte Theil ihres Heeres zur Rückreise fertig. Du bist ein edler Jüngling, ich schenke Dir Deine Freiheit; kehre in Dein Vaterland zurück und sage den blutdürstigen Europäern, daß Du jenseit des Meeres Sarazenen fandest, die Dich wie einen Freund aufnahmen und wie einen Sohn liebten.« – Voll stummer Rührung küßte Benno die Hand des weisen Ali, aber Thirza fragte mit zitternder Stimme: »Hast Du mir nicht auch eine freudige Nachricht zu sagen, mein Vater?« Da schloß sie der Greis in seine Arme und sagte voll Wehmuth: »Allah liebt Dich, Du frommes Mädchen, sei Du geduldig und trage!«

Die Worte des Greises durchschnitten Benno's Herz; er eilte hinaus ins Freie, um in der Einsamkeit einem Gefühle Luft zu machen, das seine Brust beengte. Kaum war er einige hundert Schritte entfernt, als er einen fremden Jüngling erblickte, der mit Ali's Dienern sprach. Benno war in einer Stimmung, wo man die Menschen flieht; er wollte ausweichen, aber die Stimme des Fremden schien ihm bekannt. Ein Sklave, der im Garten arbeitete, sagte ihm, es sei der Bote, der heute von Kairo gekommen sei. Er näherte sich ihm, und wer beschreibt sein Erstaunen? Es war der Jüngling, den er in jener Schlacht so unmenschlich behandelt hatte und der sich hernach so edelmüthig an ihm rächte.

»Großmüthiger Mensch! treffe ich Dich endlich wieder?« rief Benno aus und eilte auf ihn zu. Da erkannte ihn der Jüngling und reichte ihm die Hand. »Christ, ich bin Dir vielen Dank schuldig,« sagte er, »ohne Deine Grausamkeit wäre ich jetzt nicht mehr. Die Wunde, die ich von Dir erhielt, verhinderte mich bei der Schlacht von Antiochien zu sein, und in dieser mörderischen Schlacht hätte ich mein Grab gefunden, denn Keiner von der Mannschaft, die unter meinem Befehl stand, entkam der Wuth der Europäer.« – »O das vermindert meine Schuld nicht,« erwiederte Benno, »komm' zu dem weisen Ali und kündige mir in Gegenwart dieses edeln Greises meine Vergebung an!«

Wider seinen Willen zog er ihn zu der Laube, in welcher Ali Monzo mit seinen Töchtern saß. – »Sieh' hier den großmüthigsten Menschen, mein Vater!« rief er aus; aber auf einmal ward er unterbrochen, Alinde sprang auf und stürzte sich mit dem lauten Schrei: »Omar! mein Omar!« in die Arme des Jünglings.

Omar drückte das liebende Mädchen fest an sein Herz und stammelte: »Weiser Ali, verzeihe mir diese Ueberraschung!«

Benno entfernte sich bald von dem Zirkel der glücklichen Menschen. In seinem Herzen kämpfte die Sehnsucht, wieder in sein Vaterland zurückzukehren, mit der Liebe zu Thirza. War nicht dieses stille, sanfte Mädchen der Genius gewesen, der ihn auf die Bahn der Tugend zurückgeführt, der ihn mit sich selbst und der Welt ausgesöhnt hatte? O diese fromme Seele hing so fest an ihm, liebte ihn mit der Reinheit eines Engels, und er sollte sie verlassen? In Betrachtungen verloren, irrte er im Haine umher, da vergoldete der letzte Blick der scheidenden Sonne die Wipfel der Bäume. »Ach dort! dort!« rief er aus, »dort ist das Land, wo ich geboren ward, dort ist die heilige Erde, die die Asche meiner Vorfahren in sich schließt; schönes Land, soll ich dich nie wiedersehen? stille Gräber, soll ich euch nie wieder besuchen? Aber wie? bin ich nicht selbst auf dem Boden meiner Muttererde fremd? gehört nicht die Burg meiner Väter einem fremden Besitzer? soll ich als ein Bettler in meiner Heimath ankommen? Die Freunde meiner Jugend werden mich liebreich aufnehmen, ihre Unterstützung wird mir bald einen neuen Besitz verschaffen, ich werde dann in Friede und Ruhe meine Tage beschließen und mich dankbar an euch erinnern, ihr edeln Menschen, die ihr mich lehrtet, wie man glücklich leben muß! Ich werde dein denken, Thirza!« –

Die Thränen rollten über seine Wangen herab, er lehnte sich an einen Baum und sah mit unverwandtem Blicke der verschwindenden Abendröthe nach. – Horch! da erklang der Ton von Thirza's Zither, die Abendluft trug ihn sanft über die Flur, aber er durchzitterte Benno's Brust. Seine Thränen strömten heftiger, leise schlich er sich durch das Gebüsch zu dem Orte, wo Thirza saß. – Es war das Plätzchen, wo er so oft mit ihr gesessen hatte, wo sie ihn so manches Lied gelehrt hatte, das aus ihrer schönen Seele emporgestiegen war.

Schwermüthig saß sie da, ihren Kopf stützte sie mit ihrer linken Hand, die Zither ruhte nachlässig in ihrer Rechten. – »Es ist der erste Abend, daß er nicht hier bei mir sitzt!« sagte sie leise; »ach! er wird nie wieder bei mir sitzen! Er zieht in ein fernes Land – Thirza bleibt allein, aber Allahs Segen und Thirza's Geist werden ihn begleiten. Sie schwieg eine Weile, dann nahm sie die Zither und sang:

»So willst du mich in meiner Nacht verlassen,
Mein treuer Führer? willst du gehn?
Soll ich nicht mehr die liebe Hand umfassen?
Nicht mehr an deiner Seite stehn?

O denke, wie wir hier so oft gesessen,
Wie oft mein Herz an deinem schlug!
Ist's möglich! kann man jemals das vergessen,
Was man so tief im Busen trug?

Wohl kummervoll sind meiner Jugend Tage,
Und meines Schicksals Gang ist Nacht;
Doch, armes Mädchen, schweig' und duld' und trage,
Bis dir ein schönrer Himmel lacht!«

»Nein, Thirza, nein! mein Entschluß ist gefaßt!« rief Benno, und stürzte durch das Gebüsch, und fiel zu Thirza's Füßen, und umschlang ihre Knie, »ich verlasse Dich nicht, ich bleibe bei Dir, ich will Dein Führer sein durch mein ganzes Leben, frommes Mädchen, ich liebe Dich unaussprechlich!«

Thirza war erschrocken, ihre Zither war ihren Händen entsunken, leise lispelte sie: »Willst Du das, Benno? wird Dir das Opfer nicht zu theuer sein? O fühle an mein Herz, jeder seiner Schläge klopft für Dich?«

Da umfaßte sie Benno und trug sie zu ihrem Vater: »Ali,« sprach er, »Du hast mir die Freiheit gegeben, ich stehe vor Dir als ein freier Mensch; willst Du mir dieses Mädchen zum Weibe geben, so will ich bei Dir bleiben, ich will Dich pflegen in Deinem Alter, ich will jeden Deiner Winke befolgen, ich will mich bestreben, besser und tugendhafter zu werden, um den Engel zu verdienen, der in meinen Armen ruht. Ali, ich beschwöre Dich bei Allah, Deinem Gott, mache dieses Mädchen und mich nicht unglücklich!«

Ali sagte lächelnd: »Fragtest Du mich nicht heute, Thirza, ob ich Dir keine freudige Nachricht zu geben hätte? Dies,« fuhr er fort und legte Benno's Hand in die ihrige, »dies ist die freudige Nachricht, die ich Dir gebe! Und nun, meine Kinder, tretet um mich her.« Da umringten ihn Alinde und Omar, und Benno und Thirza. Und der Greis blickte zu dem nächtlichen Himmel empor und sprach: »Der Geist der Welt, welcher in Osten seine herrlichen Gestirne aufgehen läßt und sie in Westen ins Meer hinabsenkt, der ruft den Menschen aus dem Nichts hervor, und läßt ihn über die Erde hingehen, und senkt ihn ins Grab; aber der Weg ist schwer und lang, und damit er seinen schwachen Kindern nicht zu mühsam würde, so gab er ihnen drei Genien zur Begleitung, die Liebe, die Freundschaft und die Tugend. Sie führen uns leicht und sicher, und der letztere von ihnen bleibt bei uns, bis wir hinabsinken in das Meer der Ewigkeit. O Ihr Geliebten, wandelt mit diesen freundlichen Genien Hand in Hand, und kommt dereinst mit ihnen hinüber an jenes ferne Gestade, wo Euer alter Vater Ali Euch erwartet.«


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