Lukian von Samosata
Totengespräche
Lukian von Samosata

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Zehntes Gespräch

Charon, Merkur und verschiedene Tote, als Menippos, Charmoleos, Lampichos, Damasias, Krato, ein Soldat, ein Philosoph und ein Rhetor

Charon: Stille, und hört wie unsere Sachen stehen! Der Nachen ist, wie ihr seht, klein und baufällig und läßt ziemlich Wasser ein; wenn er sich stark auf eine Seite neigte, so würde er gar umkippen. Nun sind euer so viele auf einmal angekommen, und ein jeder bringt so viel Gerätschaft mit, daß ich besorge, wenn ihr mit allem euerem Gepäcke einsteigen wolltet, möcht' es euch sehr gereuen, sonderlich die, die nicht schwimmen können.

Die Toten: Was sollen wir also tun, um eine glückliche Fahrt zu haben?

Charon: Das will ich euch sagen. Ihr müßt alle diese unnötigen Sachen auf dem Ufer zurücklassen und nackend einsteigen; denn auch so wird euch meine Fähre kaum alle fassen können. Du, Merkur, trage Sorge, keinen passieren zu lassen, der sich nicht, wie gesagt, seines Gepäckes entladen hat. Stelle dich neben die Schiffsleiter, mustere einen nach dem anderen, und nötige sie alle, nackend einzusteigen.

Merkur: Ich werde nicht ermangeln. Wer ist der erste da?

Menippos: Ich bin Menippos. Da siehst du, Merkur, daß ich meinen Schnappsack und meinen Stecken in den See geworfen habe; den Mantel hab' ich zum Glücke nicht mitgebracht.

Merkur: Steig ein, Menippos, edelster der Sterblichen, und setze dich an den ersten und höchsten Platz neben dem Steuermann, um die Aufsicht über die übrigen zu führen. – Und wem gehört dies Mädchengesicht da? Wer bist du?

Charmoleos: Charmoleos von Megara, der so viele Liebhaber hatte, und dem ein einziger Kuß mit zwei Talenten bezahlt wurde.

Merkur: So? Leg also deine Schönheit beiseite und deine Lippen mit allen ihren Küssen und das lange Haar und die Rosen auf den Wangen und dein ganzes glattes Fell dazu! – So recht! So bist du leicht genug zur Reise. Steig ein! – Und du mit dem Purpurrocke und dem Diadem und der stieren Miene, wer bist du deines Zeichens?

Lampichos: Lampichos, Tyrann von Gela.

Merkur: Warum kommst du denn so schwer beladen, Lampichos?

Lampichos: Wieso, Merkur? Ein Fürst wird doch wohl nicht wie ein Bettler aufgezogen kommen sollen?

Merkur: Der Fürst nicht, aber der Tote. Leg also ab!

Lampichos: Hier sind meine Kostbarkeiten und meine Börse.

Merkur: So wirf auch noch die Aufgeblasenheit und das stolze Herabsehen auf andere weg, denn sie würden die Fähre sehr belasten, wenn sie mit dir hineinplumpsten.

Lampichos: Wenigstens laß mir mein Diadem und mein Oberkleid.

Merkur: Das geht nicht an, es muß auch fort.

Lampichos: Sei es dann! – Nun, was noch mehr? Du siehst, daß ich alles abgelegt habe.

Merkur: Auch die Grausamkeit, der Unverstand, die Gewalttätigkeit, der Jähzorn und die übrigen Unarten, womit ich dich noch beladen sehe, das muß alles fort!

Lampichos: Nun bin ich so nackt, als du verlangen kannst.

Merkur: Steig ein! – Und du, dicker Fleischklumpen, wer bist du?

Damasias: Damasias, der Athlet.

Merkur: Ah! Nun erinnere ich mich erst, dich auf den Kampfplätzen schon gesehen zu haben.

Damasias: Ich hoffe, Merkur, du wirst keine Schwierigkeit machen, mich aufzunehmen, da ich nackend bin.

Merkur: Das nennst du nackend sein und bist in eine solche Menge Fleisch eingepackt, daß der Nachen untersinken müßte, wenn du nur einen Fuß hineinsetztest? Weg damit, und mit allen den Siegeskronen und Ehrenpreisen, die du bei dir führest.

Damasias: Nun bin ich, wie du siehst, wirklich im ganzen Ernst ausgezogen und um kein Haar schwerer als die anderen Toten.

Merkur: Je leichter, je besser! Du kannst einsteigen. – Du, mein guter Krato, lege deine Reichtümer, deine Weichlichkeit und deinen Luxus ab! Weg mit den kostbaren Leichentüchern und dem Stammbaum und den Ehrenzeichen deiner Voreltern! Kein Wort von deinem Adel und den prächtigen Titeln, die dir die Republik öffentlich beigelegt haben mag und den Aufschriften deiner Bildsäulen und dem gewaltigen Grabmal, das über dich aufgetürmt wurde! Die Erinnerung aller dieser Dinge macht nur schwerer.

Krato: Wohl, es soll alles fort, wie sauer mich's ankommt. Was will ich machen?

Merkur: Herr! Was will der eiserne Mann da in voller Waffenrüstung? Wozu schleppst du dich mit diesem Siegeszeichen?

Soldat: Weil ich mich im Treffen wohl gehalten und gesiegt und vom Staat eine öffentliche Ehrenbezeugung erhalten habe.

Merkur: Laß dein Siegeszeichen immer auf der Erde! Im Orkus ist Friede, und die Waffen sind dort ganz unbrauchbar. – Aber dieser Ehrenmann in dem gravitätischen Aufzuge, der so anmaßungsvoll auftritt und die Augbrauen so hoch hinaufzieht, der mit dem langen Barte dort, wer ist der?

Menippos: Es ist ein Philosoph, Merkur, oder richtiger zu sagen, ein Marktschreier und Windbeutel. Du wirst wohl tun, ihn auch auszuziehen. Es werden sich gar kuriose Sachen unter seinem großen Mantel finden.

Merkur: Befiehl ihm sich auszuziehen! – Himmel! Was für eine Last von Aufschneiderei, von Unwissenheit, von Streitsucht, von windiger Einbildung, von unnützen Streitfragen, spitzfindigen Untersuchungen und verwickelten Spekulationen! Wieviel vergebliche Arbeit! Wieviel Grillen, Schnurrpfeifereien und Mikrologie! – I! Da fällt ja auch Gold heraus und Wollust und Unzucht und Völlerei und ein ganzer Praß von garstigen Leidenschaften? – Ich sehe alles, wie gerne du es auch verstecken möchtest. Entlade dich auch des Lügens und der Aufgeblasenheit und der Meinung, als ob du besser als andere seiest. Wenn du mit allem diesem Plunder einsteigen wolltest, welche fünfzigrudrige Galeere möchte dich tragen können?

Philosoph: Es ist alles abgelegt, weil du so befiehlst.

Menippos: Laß ihn doch auch seinen Bart von sich tun, Merkur! Er ist so dicht und struppig, daß er wenigstens fünf Pfund wiegen muß.

Merkur: Wohl erinnert! Er muß auch fort.

Philosoph: Ist ein Barbier da?

Merkur: Menippos soll Charons Zimmeraxt nehmen und ihn, in Ermangelung eines Hackblocks, hier auf der Schiffsleiter abhacken.

Menippos: Es braucht nicht so viel Umstände; reiche mir die Säge dort – das wird noch lustiger sein.

Merkur: Die Säge tut's auch. – (Menippos sägt ihm den Bart herunter.)

Menippos: Schön! Nun siehst du doch wie ein Mensch aus, da du des böckischen Unrats los bist. – Soll ich auch ein wenig von den Augenbrauen abnehmen?

Merkur: Allerdings! Denn er sträubt sie ja vor lauter Einbildung, ich weiß nicht worauf, bis über die Stirne empor. – Nun kannst du einsteigen! Wie? Was soll das? Ich glaube gar, du weinst und fürchtest dich vor der Überfahrt? Steig ein, sag' ich!

Menippos: Halt! Er hat noch das Schwerste unter der Achsel.

Merkur: Was denn?

Menippos: Die Schmarotzerei, die ihm in seinem Leben was Ehrliches eingetragen hat.

Der Philosoph: Und du, Menippos, wie wär' es, wenn auch du deine ungezäumte Freiheit und dein loses Maul und deine Sorglosigkeit und Zuversichtlichkeit und das ewige Lachen ablegtest? Denn du bist der einzige von uns allen, der noch lacht.

Merkur: Das soll er nicht! Das sind lauter Dinge, an denen er nicht schwer trägt, und die uns bei der Überfahrt sehr wohl zustatten kommen werden. – Ihr, Herr Redmeister, werft den ungeheuren Schwall unnützer Wörter und die Antithesen, die weitschweifigen Perioden, die Barbarismen und alles übrige weg, was eure Reden so schwerfällig machte!

Rhetor: Ich gehorche.

Merkur: So wäre denn alles in der Ordnung! (zu Charon) Mache nun den Nachen los – die Schiffsleiter hereingezogen! Den Anker aufgehoben! Das Segel aufgespannt! Frisch ans Steuerruder, Fährmann, und Glück zur Überfahrt! – Nu? Was heult ihr, ihr Strohköpfe? Und du besonders, Herr Philosophus, du weinst doch nicht, daß wir dir den Bart abgekappt haben?

Der Philosoph: Ich weine darüber, daß ich die Seele unsterblich glaubte.

Menippos: Er lügt! Glaube mir, es sind ganz andere Dinge, die ihn anfechten.

Merkur: Und was dann?

Menippos: Daß er nicht mehr an den Tafeln der Reichen schmausen und die Nacht durch, in seine Kapuze versteckt und von niemand erkannt, in allen H...winkeln die Runde tun und dafür am folgenden Morgen seinen Zuhörern für ihr bares Geld Tugend predigen kann, – das ärgert ihn!

Philosoph: Du, Menippos, lässest dich's also nicht verdrießen, daß du tot bist.

Menippos: Wie könnt' ich das, da ich dem Tod ungerufen entgegen gegangen bin? Aber während wir hier schwatzen, läßt sich nicht von der Erde her ein Getöse von vielerlei lauten Stimmen hören?

Merkur: Ja, Menipp, und aus mehr als einer Gegend. Denn zu Gela läuft das Volk auf dem Markte zusammen und läßt seine Freude über den Tod des Tyrannen Lampichos aus. Sein Weib wird von den Weibern geängstigt, und sogar seine kleinen Kinder von anderen Kindern, wo sie sich nur blicken lassen, mit einem Hagel von Gassensteinen begrüßt. Zu Sikyon wird dem Redner Diophantos, der diesem Krato hier die Leichenrede hält, heller Beifall zugeklatscht, und laut ächzend führt die Mutter des Damasias den Chor der Klageweiber bei seiner Bestattung an. Nur um dich, Menippos, klagt niemand, und du liegst einsam und ruhig unter freiem Himmel auf der Erde.

Menippos: Nicht so einsam, als du glaubst, Merkur: Es wird nicht lange anstehen, so wirst du die Hunde ganz erbärmlich über mir zusammen heulen und die Raben mit den Flügeln schlagen hören, wenn sie sich versammeln werden, mich zu begraben.

Merkur: Du bist ein braver Kerl, Menippos! – Unsere Überfahrt ist nun vorbei. Steigt also aus, ihr andern, und wandert da geraden Weges dem Gerichte zu! Ich und du, Fährmann, wir gehen zurück, um wieder andere zu holen!

Menippos: Glückliche Reise, Merkur! (zu den übrigen Toten) Wir marschieren vorwärts. – Nu? Worauf wartet ihr? Gerichtet müssen wir nun einmal werden, dafür hilft nichts; und die Strafen sollen hart sein: Man spricht von Ixionsrädern, Tityosgeiern und Sisyphossteinen – da wird sich's zeigen, wie ein jeder gelebt hat!


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