Lukian von Samosata
Totengespräche
Lukian von Samosata

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Viertes Gespräch

Merkur und Charon

Merkur: Rechnen wir einmal zusammen, Fährmann, wenn du so gut sein willst, wieviel du mir schuldig bist, damit wir nicht wieder Streit darüber bekommen!

Charon: Gut, wir wollen rechnen. Es ist immer besser, wenn wir miteinander im reinen sind; wir haben gleich eine Sorge weniger.

Merkur: Für einen Anker, den du bei mir bestellt hast, zwanzig Groschen.

Charon: Das ist viel Geld!

Merkur: Beim Pluto, ich habe zwanzig bare Groschen für ihn ausgelegt; und für einen neuen Ruderriemen sechzehn Pfennige.

Charon: Schreibe einundzwanzig Groschen, vier Pfennige.

Merkur: Für eine Nadel, das Segel zu flicken, drei Groschen, vier Pfennige.

Charon: Schreibe sie dazu.

Merkur: Für Wachs, die Ritzen im Kahn zu stopfen, item, für Nägel und für einen Strick, den du gebraucht hast, die Segelstange am Maste zu befestigen, Summa zwei Groschen, vier Pfennige.

Charon: Schön! Da hast du einmal wohlfeil eingekauft.

Merkur: Das wäre es also, wenn wir nichts vergessen haben. Und wann versprichst du denn zu bezahlen?

Charon: Jetzt, lieber Merkur, ist es unmöglich; sobald uns aber eine Pest oder ein Krieg die Toten haufenweise zuschicken wird, dann läßt sich schon eher durch einen kleinen Rechnungsfehler am Fahrgeld etwas auf die Seite bringen.

Merkur: Also bleibt mir nun nichts übrig, als mich hinzusetzen und den armen Sterblichen das Ärgste an den Hals zu wünschen?

Charon: Es ist einmal nicht anders, Merkur; in Friedenszeiten kommen, wie du siehst, so wenige miteinander an, daß nicht viel dabei zu gewinnen ist.

Merkur: Es ist doch so besser, wenn ich dir gleich desto länger borgen muß. Indessen muß man gestehen, Charon, daß sich die Zeiten sehr verändert haben, wenn man die jetzigen Ankömmlinge aus der Oberwelt mit den ehmaligen vergleicht. Ehmals waren es lauter stattliche und größtenteils mit Blut und Wunden bedeckte Männer, jetzt sind es beinahe lauter blasse, hagere oder aufgedunsene Siechlinge, die entweder von ihren eigenen Kindern oder Ehweibern vergiftet oder durch ihre Ausschweifungen und üppige Lebensart vor der Zeit hierher befördert wurden. Und den meisten, die zu uns kommen, merkt man's an, daß sie einander ihres Geldes halber auf den Dienst gelauert haben.

Charon: Es ist eben auch eine gar zu gute Sache darum!

Merkur: Es wäre mir also wohl nicht zu verdenken, wenn ich meine Schuldforderung an dich ein wenig schärfer eintriebe?


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