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IV

Ares

 

»Die Leidenschaft bringt Leiden.
Wer beschwichtigt, beklommenes Herz, dich,
das zu viel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt?
Vergebens war das Schöne dir erkoren!«

Goethe

 

1

Drei Jahre lang (39-36 v. Chr.) regierte Kleopatra allein in Alexandria, ohne die Geschichte Roms zu berühren. Wie unter den Vätern segelten die Schiffe auf und nieder, und wenn sie den Weizen vom Niltal aus ihrem Bauche an den Kai von Ostia ausgeschüttet hatten, kehrten sie wohl mit spanischem Silber heim oder auch mit gallischen Hölzern. Athleten und Schauspieler, Händler und Bankleute, Rhetoren und Forscher verbanden das sinkende Königreich mit der sinkenden Republik, aber die Geschichte der beiden Staaten entwickelte sich selbständig, und ein kurzer Frieden ließ ihnen und ließ den andern Küsten des Mittelmeeres Zeit zu einigen ruhigen Atemzügen. Daher verlebte Kleopatra diese drei Jahre nicht anders, nur in größeren Maßen als irgendeine andere Königin am Mittelmeer aus der Epoche Cäsars.

Und dennoch anders. Denn zugleich war sie eine Frau mit drei Kindern ohne Vater, in der Lage einer verlassenen Geliebten, der sich die Gesellschaft entgegengeworfen hätte, wenn ihre Macht die Gegner nicht abhielt, und auch mit dieser Macht war sie durch solche Umstände gefährdet. Lag es nicht nahe, eine Königin ohne legitimen Erben oder Vertreter zu vergiften, eine neue Dynastie zu begünstigen, wenn man als mißvergnügter großer Herr damals am Hofe von Alexandria lebte? Und was schien leichter, als mit Oktavian in Rom sich über solche Möglichkeiten zu verständigen, der in Caesarion seinen einzigen Rivalen haßte? Kein Dokument hat uns das Treiben jenes Hofes in diesen Jahren übermittelt, aber aus der allgemeinen Lage schließen wir auf die Seelenstimmung der Königin, die zwischen Vorsicht und Energie, Hoffnung und Entsagung schwebte.

Diese unerschrockene Amazone, die im Kriege hartes Brot gegessen und in einem zugigen Zelte geschlafen, war zugleich die verwöhnteste Frau ihrer Zeit und kannte nicht die Zahl der Sklavinnen und Eunuchen, die sie lautlos bedienten. Wenn sie morgens in ihrem Bade lag – einer jener großen Porphyrwannen, die sich erhalten haben –, wartete mit erwärmten Tüchern ein halbes Dutzend Mädchen, um sie zu frottieren und zu salben. Dann ließ sie sich vor einem grünlich opalisierenden, großen Spiegel, in kühlen Leinenkissen liegend, aufgestützt auf ihre Art, die kastanienbraunen Haare machen, aber niemals färben, obwohl blond die große Mode war; nicht im Turmbau, mit dem sich die römischen Damen zu überbieten suchten, doch auch nicht mehr in den Schüttellocken ihrer frühsten Jugend. Jetzt trug sie sie, wie die Büste zeigt, in sieben kurzen Wellen dicht angelegt, so zwar, daß kein Mittelscheitel die Linie der Nase fortsetzte; rückwärts war ein Knoten Kochgesteckt, und nur eine kleine kokette Locke über dem linken Auge unterbrach die streng griechische Form. Alles war Königin, nur die Locke war Kleopatra.

Sie liebte den Mafortes, ein Kleid, das eigentlich nur ein Schleier war und jeden Mann, der mit ihr sprach, unruhig machen mußte, weil er darunter ihre Brüste zu erraten trachtete. War dieser Schleier rosenfarben, so schien er die Weiße ihrer Haut zu überhauchen wie eine Neigung, die doch nicht wagte zu begehren. Darüber legte ihr eine Sklavin den Himation aus milesischer Seide, krokus- oder saphirfarben; war sie aber gelaunt, die Dalmatika zu tragen, ein Ärmelkleid, so halfen ihr gleich vier Hände, um den Augenblick der Überziehens zu verkürzen. Verfehlte eine Sklavin den Augenblick, so trat sie nach ihr, denn durch Prügel hätte sie ihre Hände nie beschmutzt. Solche Gesten waren in diesem Lande pharaonisch geblieben.

Auch Spangenkleider bevorzugte sie, wenn ein vornehmer Fremder zu erwarten war, weil Spangen und Gürtel die Hand eines Mannes zum Öffnen reizen und deshalb seine Phantasie beschäftigen, so daß er zerstreut und in Geschäften leichter zu fangen war. Die kleinen Lederschuhe, die für die große Zehe eine besondere Hülle hatten, trug sie, um sich ein wenig größer zu machen, auf hohen Absätzen, und ihr Aberglaube ließ sie an bestimmten Tagen, wenn sie einen wichtigen Gesandten empfangen wollte, heimliche Liebesformeln in die Sohlen legen, obwohl sie mit dem Manne nicht das mindeste anfangen wollte.

Sie liebte Zedernöl, weil es sie an die trockene Hitze der Wüste erinnerte; wenn aber die Parfumsklavin nicht ahnte, daß sie heute morgen auf Myrrhen gestimmt war, so lag ihr Flakon bald zerschlagen am Boden, und da es nun doppelt stark nach Zedern roch, erschraken alle Sklavinnen auf den Tod. Schmuck durfte ihr niemand ungefragt reichen, sie sah eine Menge Ketten vor sich hingebreitet und wählte, indem sie in der Richtung des begehrten Schmuckes das Kinn senkte. Manchmal gab sie Topasen den Vorzug, weil sie ihr Goldglanz in wollüstigen Zügen an Honig erinnerte; an andern Tagen durfte es nur Silber sein, das kühl aufglänzte. Dies geschah, wenn sie an Cäsar dachte.

Zwischen Katzen und zahmen Affen und einem Schwarm von Dienern sprangen die Zwillinge herein, aber sie hatten gelernt, daß man die Mutter nach der Toilette nicht anfassen durfte, und so zitterten ihre Gouvernanten, ob sie sie zurückhalten sollten oder nicht durften. Behutsam hob sie den Knaben Alexander zu sich empor; er allein unter den dreien war ihr ähnlich, er hatte ihre scharfe Nase geerbt und bemühte sich, ihren schönen Mund nachzumachen, zugleich war er so zierlich und behende wie die Mutter. Die kleine Kleopatra dagegen war ganz Antonius; die Leute lachten, wie komisch sich die breiten, männlichen Züge mit ihrem heiter belebten Ausdruck in der Miniatur eines zweijährigen Mädchens wiederholten. Die Mutter amüsierte diese pikante Vertauschung der Rollen, sie sah die Kleine schon vor sich, wie sie die Peitsche gegen ihre Leute brauchen und mit Behagen herumbefehlen würde. Alexander aber erschien ihr als Ephebe:

So wäre ich als Knabe geworden, dachte sie dann. Aber niemals wünschte sie sich in die Rolle des andern Geschlechtes.

Die mittelgroße Halle, in der sie die Minister empfing, mußte leer bleiben, bis sie kam, sie konnte dort keinen Diener leiden, bevor sie ihre Papiere gesehen. Hier gab es nur einen, der warten mußte. Caesarion.

Der Zehnjährige, fast so groß wie die Mutter, glich seinem Vater, wie es bei Homer heißen würde, »sowohl an Gestalt als an Stimme«, denn er war königlich und groß, sprach mit Bedacht und Wärme und hatte den Ernst, den auch der junge Cäsar vor seinen eleganten Jahren vielleicht noch besessen und den er in der spätesten Zeit wieder zur Schau trug, als er den Knaben zeugte. Mit diesem Ernst übernahm dieser eine Erbschaft, die alle Hoffnung seiner Mutter auf einen Thronerben stärkte, so daß er sich von Charakter und doppelter Abkunft, gleichsam von drei Seiten aufgerufen fühlte, alles so jung zu lernen und zu sammeln, wie es die Mutter getan.

Kleopatra lehrte Caesarion regieren. Die komplizierten Umstände dieses Reiches und seiner Hauptstadt, alle Völker- und Geldfragen, was das Land hervorbrachte und wem man es verkaufte, dazu die ganze Wirrnis von Herrscherhäusern am Mittelmeer sollte er zeitig begreifen lernen. Das war die Absicht, als sie ihm befahl, an jedem Vormittage hier und in der Audienz-Halle dabeizusein, sie wollte auch ihre Beamten an den künftigen König zeitig gewöhnen. Doch zugleich fühlte sie sich durch seine Gegenwart als Frau gestützt; Erinnerungen an ihre erste Jugend, dazu uralte aus der Geschichte ihres Hauses gaben ihr die Suggestion eines jüngeren Bruders, der, formell ihr Gatte, mitregierte. Ja, im geheimen glaubte sie sogar an eine Art von Schutz, den ihr bei ihren Staatsgeschäften Cäsar in Gestalt seines Sohnes gewährte.

Da war zuerst der Hof, dessen Stufenfolge der ernste Knabe in diesen Morgenstunden unterscheiden lernte, die Titel: Verwandter des Königs, Erster Freund des Königs, Oberleibwächter, bekamen Gestalt in Form von Großen des Reiches, die sich vor der Königin und vor ihm verneigten. Da waren die Schreiber, unendlich wie der Sand der Libyschen Wüste, damals wie zur Zeit der Pharaonen, deren Oberster einem Minister gleichkam und aus seinem Amtsbuch, den Ephemeriden, die Entscheidungen von gestern vorlas, die allmählich Rechtsquellen wurden. Da kamen Ratsherren, die Beschlüsse für Alexandria vorlegten, Prytanen, die sie ausführen sollten, denn immer war Alexandria als »außerhalb Ägyptens«, als »Freie Stadt« im Sinne der Griechen geschützt worden. Der Knabe lernte Demoi und Phylai, die Stämme und Familien unterscheiden, deren Alter und Rechte zu endlosen Prozessen führten; alle Vorrechte der Griechen und alle Schikanen gegen die Ägypter; die Rechtsstellung der Juden, die allein eine Million in Ägypten ausmachten, und die Bürgerrechte, die manche von ihnen erwarben; den Hochmut der Alexandriner und die Rache vereinzelter Ägypter, soweit sie mächtig wurden; die Eifersucht der Griechen gegen die Mazedonier oder solche, die sich so nannten, denn heute noch, 250 Jahre nach seiner Gründung, betonte das Königshaus seinen Ursprung aus Alexanders Lande, und jeder wollte dazu gehören.

Wenn dann die großen Priester mit ihren Anliegen und Vorlagen kamen, deren höchster, der Priester des Gottes Alexander, der erste Mann im Reiche nach dem König war, lernte Caesarion die Mischung der Gottesdienste kennen, die diese Griechen mit kluger Rücksicht auf die alten ägyptischen Kulte hier pflegten, und wie in Isis auch die Aphrodite steckte und Pluto im Serapis. Er entdeckte den falschen Ernst, mit dem die Königin nach dem Heiligen Stiere fragte, und ihr echtes Interesse, wenn die Listen der Tempelschätze vorgelegt wurden, bis zu den Goldbechern und Silberlöffeln. Und dicht neben diesen geheiligten Traditionen hörte er den Bericht eines Polizeioffiziers, wie sie gestern den Aufstand der Linsenverkäufer auf dem Platz unterdrückt hätten und daß man die Verkäufer von Kürbiskernen mehr gegen die See hin dirigieren sollte, denn durch die neue Konkurrenz sei der Krach entstanden.

Da stand Caesarion, immer etwas zurück, immer in gerader Haltung, und hörte den Gymnasiarchen, einen der höchsten Beamten des Reiches, in seinem roten Kleide und den hohen weißen Stiefeln über die Siege der heimischen Athleten bei den Kämpfen in Pergamon berichten und zugleich um eine größere Lieferung des besten Öls einkommen, das die Ringer zum Einreiben brauchten und das vom Monopol ausgenommen war. Dann kam der höchste Verwalter des Nils und stellte an Karten und Diagrammen dar, welche Kanäle verschlammt wären, welche erweitert werden müßten, warum oberhalb Theben die Gemüseernte schlecht gewesen und aus wessen Steuern man ein paar hundert neue Schöpfräder zur Bewässerung bezahlen sollte. Nach ihm legten die Verwalter der Monopole Abrechnungen vor der Königin nieder, in denen Papyrus und Weizen, Öl und Salz monatlich aufgeschrieben wurden. Da erkannte der Erbe das Staatsmonopol als die Quelle des berühmten Schatzes, den er als Quelle der Macht einmal erben sollte und der, so sagte seine Mutter, die Quelle der Freiheit war. Er erfuhr, wie die Pächter der königlichen Bank, der königlichen Reederei, der königlichen Güter ihre Zinsen abrechneten und darum alle Handelsleute reich wurden, während doch alle Bewegung Ägyptens dem Schatz der Ptolemäer diente.

Am stolzesten aber sah Caesarion die Römer eintreten, wenn sie eines großen Weizengeschäftes wegen bis zur Königin vordrangen oder ihre Wettläufer für das nächste Jahr anmelden und bei diesem Anlaß einmal die berühmte Fürstin sehen wollten, deren Legende in Rom blühte wie einst. Immer traten sie selbstbewußt auf, meist fordernd, und er beobachtete, wie die Königin vor einem Römer leicht eine Zahl vergrößerte, eine Forderung übertrieb, am Ende aber oft mehr bewilligte, als sie zu geben willens schien. In solchen Augenblicken empfand der Knabe sich an Abkunft seiner Mutter überlegen, denn obwohl er sie bewunderte, erhob seine Phantasie doch Cäsar höher, dessen Name den Menschen mehr Ehrfurcht zu erwecken schien als der Name Ptolemäus.

Da war sein Ehrgeiz auf dem Sprung, wenn sich nun – dies spielte schon in der großen Halle der Audienzen – Gesandte oder Fremde vom Obersten Hofmarschall vorstellen ließen, die er nach Tracht und Waffen zu unterscheiden lernte: Thraker und Bithynier, Lydier und Perser, Troglodyten vom Roten Meere, Nubier vom oberen Nil und wieder Galater, schließlich sogar Chinesen. Da stieg aufs neue der Respekt vor seiner Mutter, denn viele von ihnen hörte er sie in ihrer Sprache anreden, daß Fremde und Ägypter gleicherweise erstaunten.

In der heißen Zeit, zwischen zwei und sechs, sah der Knabe die Mutter nicht, niemand sah sie. Es waren die Stunden, da sie weder Königin sein wollte noch Mutter. Dann konnte sie lange Zeit allein auf ihrem bevorzugten Diwan liegen, zwischen einer neuen Ausgabe der Sappho, die kürzlich aus dem Museion übergeben worden, und einem Spiegel, eine wollüstige Katze streichelnd oder nach einer Rolle greifend, die mit obszönen Versen aus dem neuesten politischen Singspiel römische Luft herüberbrachte. Dann ließ sie sich die Briefe ihrer römischen Agenten bringen, las einen wieder und wieder, ließ ihn in ihrer langen Hand schaukeln, als wollte sie seine Wahrheit abwägen, zog die Brauen zusammen und überdachte, ob Sextus vielleicht doch stark genug wäre, Oktavian zu schwächen und dadurch Antonius zu stärken. Aber da stieg aufs neue der Schatten empor – Antonius' römische Gattin –, und sie zerfetzte den Brief. Das Weib vergiften lassen? Zum hundertsten Male verwarf sie's, und sie streichelte die Katze.

Manchmal – so flüsterten die Eunuchen den Spionen des Palastes zu – habe neben der Königin statt der Katze ein junger Sklave gelegen, aber nicht oft und nicht lange, und meistens wäre er dann in einem wohlbekannten Gewölbe verschwunden.

Gegen Sonnenuntergang, wenn sie ausfuhr, Caesarion an ihrer Linken, trug sie ein Purpurkleid mit lakonischen Streifen, keinen Hut, aber einen kleinen Sonnenschirm; die mazedonische Garde aber, die ihren Wagen einschloß, trug weiche Filzhüte, dazu noch immer die riesigen Lanzen aus Alexanders Zeiten, die so gefürchtet waren in der Welt wie die kretischen Bogen. Dann ging es zuerst am Museion vorbei und an der Bibliothek, wo sich von dem Getrappel immer ein paar gelangweilte Gelehrte ans Fenster locken ließen, und Caesarion sah, daß die Königin sie grüßte. Von weitem sahen sie Rennbahn und Zirkus liegen, und von den öffentlichen Bädern hörten sie das Gekreisch der jungen Leute, die sich tauchten und neckten.

Dann, wenn sie das Tetrapylon, das Vierer-Tor an der Kreuzung der Hauptstraße, erreichten, ging es langsam; im Gewühle suchte die Königin mit ihren Jägeraugen manches zu entdecken, was ihr die Räte verschwiegen. Ein Meter über der Straße war es Kleopatra möglich, Gedränge, Schmutz und Elend zu ertragen, trotz der Gerüche von Fleisch und Kloaken, denn sie hatte in Rom gelernt, wie die Stimmung des Volkes gekocht wurde, und ihre Verachtung hinderte sie nicht zu riechen, wie es dort stände.

Da drängten sich vor den Augen des lernbegierigen Knaben in offenen Kolonnaden die Glasbläser und die Leinenweber, Männer und Frauen, große Häuser in mehreren Stockwerken stellten die Fabriken der Papyrusblätter dar, von deren Staatsverkauf er am Morgen gehört, er sah es an den Ballen vor den Toren. Goldlöter summten bei ihrer Flamme, Silberschläger hämmerten mit kurzem Pochen, Fischhändler brüllten durch die Straßen, aber die Kupferschmiede übertönten alles mit ihren knallenden Flächen, und der Knabe glaubte zu bemerken, daß so ein Mann mit doppelter Wucht losschlug, weil die Königin vorüberfuhr, er wußte nur nicht, ob er aus Haß losschlug oder aus Liebe.

Auch abends war Caesarion nicht frei, in den großen Gärten der Burg mußte er sich von Damen und Herren der Gesellschaft begrüßen lassen, die Manieren der sogenannten steuerfreien Philosophen beobachten lernen, deren einige ihm am Nachmittag Unterricht gegeben. Wieviel er einer Sängerin erlauben durfte, lernte er, wann er sich zurückzuziehen hätte, aber noch spät von seinem Fenster horchte er auf die lasziven Lieder herunter, die irgendeine Diseuse zur Gitarre sang; er hörte, wie sich in einer Gartenecke der Anatom und der Großrichter das Pökelfleisch aus Byzanz nachservieren ließen und dabei stritten, ob zum Käse aus Chios der libysche oder der syrische Wein besser paßte.

Sehr spät fand ihn dann die Königin oft noch lesend bei seiner Lampe, und dann lachten sie miteinander über den neuesten Stadtklatsch, den sie im Garten erfahren. Wenn sie ging und ihn küßte, sah er an ihrem Finger einen großen Amethyst, aber was er von dessen Kraft gehört, verschwieg er ihr wohl. Dann saß sie zuweilen lange allein vor ihrem Spiegel und dachte mit realistischem Spotte nach über ihre Existenz:

Komisch, sagte sie sich und hob den Kopf etwas nach links, um die Wirkung der langen neuen Perlen im rechten Ohr zu prüfen. – Eine mächtige Königin, gilt für schön und gefährlich, lebt dabei nahezu verwitwet, denn sie findet keinen Mann, der ihr auf die Dauer gefiele. Der Stallmeister hatte elegante Beine, er ließ die Augen heraushängen und bildete sich was ein. Caesarion bekam fliegende Röte, als die Tänzerin ihm das Kleid zuschüttelte. Wem soll man ihn zuerst anvertrauen? Eine gesunde Hetäre ist besser als eine Prinzessin. Wenn man das Salz um eine halbe Drachme heraufsetzt, kann man den Ausfall an Öl für dies Jahr decken. Warum kauft Zypern weniger Papyrus? Die Kranzbinderinnen verdoppeln. Die Idee mit Milet ist nicht schlecht, aber wer weiß, wer mir die Schiffe kapert, ehe sie ankommen. Eines Tages kommt es doch zum Krach. Alle zittern davor, dieser Angst verdanken wir gerade noch die Ruhe. Wenn die Kleine lacht – genau wie der Vater! Nächstens wird sie Wein statt Milch verlangen. Komische Existenz. Morgen soll sie mir die Locke eine Spur näher an die linke Braue ziehen.

2

Antonius amüsierte sich unterdessen in Athen. Oktavia, seine Frau, gefiel ihm, nachdem sie wieder schlank geworden war, denn zuerst hatte sie ein paar Monate nach der Heirat noch eine Tochter von ihrem verstorbenen Gatten zur Welt zu bringen, die Antonius mit einem generösen Einfall Antonia nannte; dann machte es ihm eine Weile Spaß, die sittenstrenge Dame aufzulockern. Dieser Mann, dem Frauen schwerlich widerstanden, scheint sie, wenn auch nur für Stunden, in den Wirbel seiner Lebenslust gerissen zu haben. Oktavia glich einer ernsten Lehrerin, die ein hübscher Junge gegen ihren Willen zum Lachen bringt, die sich dann ein wenig geniert. Was tat er nicht, um sich und sie zu erheitern! Wenn er als Gymnasiarch bei den Wettspielen zwischen die Kämpfenden trat, um einen Streit zu schlichten, hob er mit seinen Riesenkräften einen mit seinem Arm empor, so daß er zappelte und das Publikum schrie. Von seiner Tür schickte er die Wache fort und bummelte mit Gelehrten oder Komödianten durch die Straßen. Dann lud er ganz Athen zu großen Spielen ein, die die Stadt bezahlen mußte. Über dem Theater baute er eine Bacchuslaube, ein Gerüst, in dessen Mitte er mit seinen Freunden auf Farren beim Wein lag, zwischen Tamburinen und Flöten.

Wie froh war er, Oktavian, den peinlichen Schwager, fern in Italien zu wissen! Ihm war bei seinem Anblick immer feucht und kühl zumute geworden. Als er jetzt hörte, der junge Mann ließe sich zum »Sohne des Göttlichen« erklären, beschloß er, ihn zu überbieten. Eines Nachts erstürmte er mit seinem brausenden Gefolge, vom Weine trunken, umrauscht von Fackeln, die Akropolis und ließ sich durch Herolde als den wiedererstandenen Dionysos ausrufen. Dann feierte er seine mystische Hochzeit mit der Athena und nahm dabei selber die Statue des Gottes im Tempel ein, worüber die Athener boshafte Epigramme machten; zugleich forderte er aber als Hochzeitsgabe von der Stadt eine Million Drachmen, worauf ein Ratsherr sagte: »Großer Gott! Zeus nahm deine Mutter Semele ohne Mitgift!« Antonius lachte, aber zahlen mußten sie doch.

Da die Siege seiner Obersten am Rande des Perserreiches die Herren der Küsten erschreckten, kamen diese zu ihm angefahren, und es machte ihm Spaß, kleine Könige zu ernennen: Herodes zum König der Juden, Darius zum König von Pontus, einen dritten von Lycaonien. Diese Könige, sagte er, wären nur Menschen, er wäre ein Gott Im Rausche glaubte er es selber.

Kleopatra erfuhr alles, doch scheint sie ihm in diesen drei Jahren niemals eine Botschaft geschickt zu haben. Die antiken Autoren berichten nur von einem einzigen Gespräch, in dem er, an seine verlassene Geliebte mit ihren Zwillingen erinnert, geantwortet habe: »Ich kann nicht einer einzigen Frau meinen ganzen Stamm anvertrauen. Herkules, mein Vorfahre, hat auch sein Blut überall hingetragen, um überall neue Dynastien zu gründen!« Sollte dies Wort zu ihr gedrungen sein, es könnte sie nicht verwundert haben. Sie blieb beobachtend in der Ferne. Kam ihr je der Wunsch, einen Boten oder einen Brief an Antonius zu senden, so verwarf sie es sogleich mit dem überlegenen Gefühl der Königin über diesen Bürger, den doch nur ein gewisses Talent im Felde zum Günstling Cäsars erhoben hatte. In Augenblicken weiblicher Furcht griff ihr gesunder Sinn sogar zur Verachtung des Antonius, um ihm in keinem Falle zu winken. In der Tiefe ihres Gemütes lebte ein sicheres Vorgefühl, er werde schon von selber wiederkommen.

Einmal ließ das Gerücht von einem Streite zwischen den neuen Schwägern sie hoffen, doch es verflog. Sextus Pompejus, beleidigt durch die brüske Scheidung seiner Nichte von Oktavian, übrigens in seinem verletzten Sohnesgefühl immer bereit, sich gegen die Cäsaren zu schlagen, hatte seine Versprechungen gebrochen und den zum Kriege herbeieilenden Oktavian in dessen erster Seeschlacht, bei Messian, vernichtend geschlagen; der fünfundzwanzigjährige Erbe Cäsars hatte völlig den Kopf verloren, mitten im Kampfe das Kommando aufgegeben, flüchtend die Küste gesucht, und nachher, ohne Flotte, hatte er den Antonius zu Hilfe gerufen.

Dieser, der selber manches zu fordern hatte, war am Ende des Winters zum Rendezvous nach Brindisi gesegelt, wohin Oktavian, inzwischen wieder restauriert, nicht kam. Beleidigungen erneuten und häuften sich jetzt und noch ein zweites Mal, und beide Male blieb der Bürgerkrieg nur aus, weil beide Männer Zeit gewinnen wollten.

Oktavia vermittelte. Antonius, der ihr nach seiner Gewohnheit sogleich ein Kind verschafft hatte, nannte nun diese eigene Tochter wie aus Trotz ebenfalls Antonia und beeilte sich, ein zweites Kind vorzubereiten, denn er wollte gern noch einen Sohn. Diese Zustände machten ihm die Frau zugleich als Geliebte uninteressant. Hatte er aber erst angefangen, sich mit ihr zu langweilen, so fielen ihm notwendig die Entzückungen ein, die er in Alexandria genossen. Er beobachtete seine Frau und faßte beinahe plötzlich einen Widerwillen gegen ihre Tugend. Er ließ sie von einem Freund in Versuchung führen und ärgerte sich über ihre Abwehr, die er sich nicht als Liebe zu ihm, sondern als altrömisch sittsamen Hochmut auslegte. Jene andere aber! Sie, die er verlassen und über die er ständig Berichte erhalten! Sie konnte sogar zwei Kinder auf einmal in die Welt setzen und trotzdem reizend bleiben! Ja, eigentlich konnte sie alles, und Oktavia nun, das war eine Familien-Mutter.

Sich scheiden war unmöglich, denn das wäre der Bruch mit ihrem Bruder gewesen. Warum auch? Man brauchte nur das Meer zwischen sie und sich zu legen, dann ging alles aufs trefflichste weiter, und so lange er nicht nach Alexandria ging, konnte sie ruhig mit einer Tochter und einem Sohn, den sie in Rom zur Welt bringen sollte, als des Antonius glückliche Frau mit ihm Briefe und Grüße wechseln.

Es war wohl nicht Kleopatra allein, es war auch die freie Bewegung des Junggesellen, die er sich wünschte. Wenn er aber nach Ägypten hinüberblickte, strahlten ihn hohe Vorteile einer politischen Verbindung an, denn die nächsten Jahre mußte man nützen, um schließlich als der Mächtigste drohend dazustehen. Da auch Oktavian einen entfernten Antonius lieber zum Freunde hatte und sich beide Männer wieder einmal mit Drohungen traktierten, so war es wahrscheinlich beiden gleich lieb, daß Oktavia sich als die unglücklichste Frau der Welt bezeichnete, wenn Mann und Bruder sich bekriegten.

So kommt es zur Erneuerung des Triumvirats in Tarent auf weitere fünf Jahre. Antonius überläßt seinem Schwager 130 Schiffe, um den Pompejus zu bekämpfen, erhält dafür zwei Legionen als Hilfe zum Perserkriege, der bisher fragmentarisch geführt und immer wieder unterbrochen worden war. Und um nach altem Muster dem Aberglauben der Soldaten ein Pfand zu geben, wurde die Tochter des Oktavian mit dem Sohne des Antonius und der Fulvia verlobt. Oktavian vereinigte jetzt mit sechsundzwanzig seine Tochter mit dem Bruder des Mädchens, dem er selber früher verlobt gewesen war.

Jetzt warf Antonius die weißen Schuhe ab und verwandelte sich wieder in den Feldherrn. Wie ein Signal erklang in ihm aufs neue der Perserruf, dessen Trompeten seine bacchischen Pauken zu lange überdröhnt hatten. Nach dem Gesetze der Diktaturen, wurde dieser Feldherr zum Kriege gedrängt, da das neue Triumvirat, ohne Neigung und ohne Logik geschlossen, die Rivalität doch nur eine Weile verhüllen konnte. Wer unter verfallenden Einrichtungen die usurpierte Macht behalten wollte, mußte kämpfen. Cäsars Papiere, die Antonius immer mit sich führte und niemandem anvertraute, hatten ihre symbolische Kraft nie verloren und ihre praktische in den letzten Jahren erneuert, als die Unruhen im Römischen Reiche den persischen Erbfeind draußen zu Vorstößen gereizt hatten.

Gegen Persien aber brauchte man Geld, selbst für ein mäßiges Heer, und wenn auch die Quästoren immer mehr Eisen und Kupfer in ihre Münzen legierten, so blieben die Legionen doch monatelang unbezahlt. Oktavian konnte sich freilich in Italien mit enteignetem Lande helfen, das er seinen Soldaten gab; Antonius mußte an bares Geld denken, denn ob sich in Syrien an Raub und Beute genug finden würde, war ungewiß. Wo war aber in der Alten Welt noch Geld zu finden als in Ägypten? War man umsonst zum Liebhaber der reichsten Frau der Welt emporgestiegen? Praktische und politische Berechnungen mischten sich also mit denen des Abenteurers und Don Juans, und der Liebling der Götter, denn das war er doch, konnte seine Motive nach Belieben vertauschen, sie paßten immer. Kleopatras Reichtum war der Schlüssel zu Persien, Antonius aber hatte den Schlüssel zu Kleopatra, und wenn er sie sich im Rausche nackt vorstellte, lag neben ihr ein Sack voll Gold.

Nun brach er auf. In Korfu trennte er sich von seiner Frau, wahrscheinlich klopfte er ihr auf die Wange und riet ihr mit väterlicher Zerstreutheit die Sorge für die Kinder an. Dann nahm er den Zweig der Heiligen Olive und das Wasser der Quelle Klepsydra nach einem Orakel mit sich in den Krieg. Zunächst galt es, alle diese kleinen Könige zwischen dem Meer und Persien abzuklopfen, um alle Intrigen herauszuschütteln, die sich seit drei Jahren gegen Rom, vor allem gegen Antonius, in ihren Röcken eingenistet hatten.

Oktavia trennte sich von ihm mit mütterlichen Gefühlen, in der Ergebenheit einer Frau, die zwischen allen Tollheiten und Eifersüchten der Ihrigen die wahrhaft Hilflosen, die Kinder, zu sich nahm, vorläufig Fulvias Kinder und ihre eigene Tochter; später sollten es mehr werden, als sie ahnte. Unglücklich war sie sicher nicht, als sie sich von dem Manne trennte, der ihr wie ein sympathischer Verrückter erschienen sein muß. Ihr altrömisches Pflichtgefühl forderte, dem Wohl ihrer Familie oder des Staates ein persönliches Wohlsein zu opfern; sie gewann innerlich durch ihr Opfer.

Dem Adieu der beiden Gatten schaute ein Dritter zu: Oktavians Blicke folgten schweigend dem scheidenden Antonius, geheimer Hoffnung voll. Die beiden Männer sollten sich nicht wiedersehen. Daß seine Schwester in dieser Affäre schließlich geopfert würde, fürchtete Oktavian nicht; er wünschte es. Konnte er, nach wiederhergestellter Macht gegen den ewigen Pompejus, allein in Italien waltend, von Antonius nun durch das weite Meer getrennt, das im Winter mit Truppen nicht passierbar war – konnte er sich hier in Ruhe festigen, so kam bald auch der Augenblick, wo die wahrscheinlichen Siege des Schwagers ihm in der öffentlichen Meinung schaden müßten. Denn er fühlte, wie Antonius überall beliebter, dazu als Feldherr höher geschätzt war als er selber. Eines Tages aber mußte es doch dahin kommen, daß sich aus den drei Männern des Bundes, die in Wahrheit schon heute zwei Männer waren, ein einziger zum Herrn aufschwang.

3

»Wie Platos gehorsames und rebellisches Pferd in der Seele des Menschen, das vornehme und das wilde, so brach auch Antonius über allen Rat und alle Überlegung weg und sandte Capito aus, um Kleopatra nach Syrien zu laden.« So spricht Plutarchs Stimme, als er begründen soll, warum Antonius so und nicht anders handelte.

Niemand hätte es anders erwartet. Erstaunlich war nicht, daß er sie rief; nur, daß fast vier Jahre vergangen waren, bis er sie rief. Vielleicht möchte der Leser jetzt die stolze Königin ablehnen und den reuigen Römer zu ihren Füßen eilen sehen? Nach den Berichten ging die Historie weit realistischer vonstatten. Antonius war Feldherr, ein großes Heer war mit ihm übers Meer gekommen, das nach Osten bestimmt war und nicht nach Westen marschieren konnte; sie dagegen, obwohl regierende Königin, war leicht beweglich. Alles rief sie auf, zu dem zu eilen, der einzig sie retten konnte aus ihrer Vereinsamung: Auch in ihr drängten alle Motive, politische und private, die der Königin von Ägypten und die der Mutter von drei Kindern, nach demselben Ziele.

Als sie zum zweiten Male jener östlichen Bucht des Mittelmeeres entgegenfuhr – denn Antiochia lag Tarsus an der syrischen Küste gegenüber –, da waren ihre Stimmungen mit denen vor fünf Jahren in nichts zu vergleichen. Damals lag unter dem roten Segel eine Frau, die sich den Rächern ihres ermordeten Geliebten nähern, zugleich Erobererhände von ihrem reichen, jedem Zugriff offen liegenden Lande forthalten wollte; tat sie es auf ihre elegante Art, so trieb ein ungewisser Wunsch nach fremden Genüssen sie an, das Kluge zart, das Lustvolle stolz zu tun. Damals ging eine kühne Frau von Mitte Zwanzig auf Abenteuer aus; es war noch Aphrodite.

Heute stand Kleopatra die Siebente dort vorn am Bug des Schiffes, Königin von Ägypten, die erblühte Frau von zweiunddreißig, aus deren Brüsten drei Kinder getrunken, in deren Schoß ein Herkules sich ausgerast hatte. Voller drückte ihr stehender Busen sich gegen die Seide ihres rosa Chitons, und in dem Maß, wie das Jünglinghafte schwand, strahlte aus ihr das Wissen um die Geschenke des Lebens und das Begehren einer Herrscherin, alle zu sammeln. Gespannter schienen die Blicke, die Ader trat schärfer hervor, der Haarknoten war höher frisiert. Nur die Lippen in ihrer Schönheit lagen noch immer, zwei Booten gleich, an einem schmalen Strande, einem unnennbaren Kuß entgegenwartend; niemand hätte geglaubt, daß sie sich öffnen könnten, um zu fluchen.

Ihr Wille zur Macht, dessen erstes Erblühen Cäsars Erscheinung aufgehalten hatte, war in den Jahren der Gefahr und Verantwortung, in beständiger Reibung mit unterlegenen Männern emporgewachsen. Aus der natürlichen Furcht der vereinsamten Frau, deren Jugend sich auf den größten Mann ihrer Zeit gestützt hatte, war das zurückgekehrte Selbstgefühl zu neuen Möglichkeiten aufgebrochen; nur waren es jetzt menschliche Pläne statt göttlicher Träume.

Der bacchische Winter, der sie die Tollheit gelehrt und schließlich halkyonisch mit Zwillingen geendet hatte, war dem kalten, zynischen Teil ihres Wesens bald wie eine fremde Episode verblichen; ja, als dann Oktavia am Horizont erschienen war, eine neue, nach dem großen Abenteuer frei erwählte Gattin ihres Liebhabers, war sie einen Augenblick geneigt gewesen, diesen gänzlich abzutun. Rasch hatte die Klugheit sie davon zurückgerufen, weil dieser Mann noch immer Herr der halben Welt war und ihr gefährlich werden konnte. Deshalb war auch die Eifersucht in ihr nur kurze Zeit lebendig, und die Vernunft vermochte ihre Rachegefühle zu zügeln. Die Kinder, die sie zur Welt brachte, gerade als Vater Antonius seine neue Hochzeit beging, sie zogen zuerst alle Lebenskraft der Frau auf sich und verwandelten, als echte Pfänder einer wilden Liebe, den Groll in ein Gefühl der Überlegenheit. Hatte sie sich mit einem römischen Bürger eingelassen, was Wunder, daß er, ohne Verständnis für sein Königsschicksal, sich gleich wieder zu einer römischen Bürgerin herunterbegab! So waren diese Plebejer!

Und doch hatten ihre Blicke in diesen vier Jahren den Mann nie losgelassen, dessen Rückkehr sie als verlassenes Weib wie als gefährdete Königin wünschen mußte. War unter den zwei Männern, die die Welt beherrschten, einer auf Leben und Tod ihres Sohnes Feind, so hätten ihre Gedanken dem andern zuschweifen müssen, auch wenn sie ihn nicht mehr geliebt hätte. Dabei war ihre Intelligenz der seinen so überlegen, daß sie zu gewissen Stunden allen Groll vergaß, seine Natur annahm, wie die Götter sie eben gebildet, und nur noch daran dachte, wie sie sich seine Schwächen unterwerfen könnte. War Gold denn weniger als Schönheit? Hatten ihre Ahnen durch drei Jahrhunderte nicht darum soviel gesammelt, damit eine ferne Enkelin einst in der Macht des Goldes ihre Freiheit fand, wenn alles andere versagte?

Diesmal, so dachte sie auf dem Schiffe weiter, und ihre Blicke spannten sich nach dem östlichen Ziele der Fahrt – diesmal würde sie dem Antonius nicht im Nachen der Aphrodite erscheinen! Natürlich wird er sie haben wollen, aber dafür wird sie Sicherheiten fordern, denn drei Kinder verlangten nach einem Vater und das Königreich nach einem Bündnis. Nie gegen Rom! hatte sie der Vater gelehrt. Mit Rom ein Weltreich zu begründen, hatte sie der große Traum verführt, aber dann war der Dolch des selbstgerechten Brutus dem in den Leib gefahren, der die Welt bedeutete. Damals wäre sie dem großen Römer gefolgt. War heute nur noch das halbe Rom ihren Plänen zugänglich, so mußte der kleinere Römer ihr folgen. Da sie niemand mehr über sich sah, stieg das Königsgefühl der Kleopatra nach mehr Macht und mehr Land, als ihre Väter besessen hatten.

Aber sie kannte Antonius durchaus; er war, das fühlte sie, nicht gleich ihr durch Cäsars Tod zu neuen Zielen gewachsen. Nie hatte sie geglaubt, der Genius Cäsars sei mit dessen Papieren auf seinen Reiterobersten übergegangen; nie hätte sie gewagt, den Alexander-Traum auf ihn zu übertragen. Sie wußte, bevor sie ihn wiedersah, er war der gleiche geblieben, liebenswert und wankelmütig, und wenn es galt, von nun an mit ihm zu handeln, so fiel ihr selber die Führung zu. Ob ihr gelingen würde, ihn von Persien fortzuziehen, war ungewiß; von Rom ihn fernzuhalten, war die Aufgabe. Gelang es ihr, seine griechische Natur aus der lateinischen Welt ganz zu lösen, die er ja nicht sehr zu lieben schien, so konnte er sie zur Herrin des südlichen Mittelmeeres machen. Es brauchte nur eine Kleinigkeit: Er mußte König von Ägypten werden.

Während Kleopatra an der Spitze ihres Schiffes im leichten Meerwinde solche Gedanken wehen ließ, stand neben ihr der Zeuge und Erbe des Mannes, dessen fast zufällige Landung in Ägypten einst all diese Weltpläne erzeugt hatte. Caesarion, dem diese Reise ein Stück neuer Welt erschließen sollte, war ihrer Politik und ihrem Stolz als der Gefährte ihrer Fahrten unentbehrlich: Überall sollten die Völker lernen, in dem ernsten, hochgewachsenen Vierzehnjährigen den künftigen Herrscher zu verehren. Dieser Frau, die an Kühnheit und Phantasie die Männer des Mittelmeeres überragte, kam gar nicht der Gedanke, ihrem zurückkehrenden Liebhaber seine eigenen Kinder vorzustellen; sie spürte, wie der rings durch die Welt liebende Bacchant nur das Lächerliche an den kleinen Menschen empfinden, in ihrem Anblick die wilde Zeit ihrer Zeugung eher ernüchtert betrachten würde. Der Sohn, den sie ihm statt dessen zuführte, war Cäsars Sohn und mußte ihn schon deshalb interessieren.

Mit einem klaren Programm, das alle Forderungen enthielt, näherte sich die Königin der schicksalsreichen Ecke des Meeres, an der jedem Eroberer drei Wege nach drei Himmelsrichtungen, offenstanden. Zugleich befahl sie, alle ihre Kleider zu einer großen Parade, bestimmte, welche Spangen und Ohrringe sie zu jedem Kleid tragen wollte und wie sich eine Steigerung ihres Auftretens in Farben, aber auch an Kostbarkeit der Juwelen erreichen ließe. Caesarion stand eine Weile neben ihr, blickte mit leeren Blicken auf den ganzen Plunder, dann wandte er sich einer Segelstange zu, die eben genagelt wurde.

4

In der Burg von Antiochia ging es hoch her. Mit einem nächtlichen Fest, wie er es noch nie gegeben, hatte Antonius die Königin von Ägypten empfangen wollen, um ihr zu zeigen, daß auch ein Römer zu feiern verstünde. Wochenlang hatte er alles herbeizuschaffen gewußt, was er einst bei ihren Festen gesehen, manches männlicher gestaltet, das Römische in vielen Bräuchen nicht vergessen. Als aber die Königin ihren Einzug gehalten, zu Pferde, umrauscht von einer Garde, glänzend anzuschauen, und neben ihr der schmale Sohn, der ihr Bruder sein konnte, war dem Antonius plötzlich alles schal erschienen, was er vorbereitet, und es bedurfte ihrer Höflichkeit, um ihm heute, zwei Tage später, den unerhörten Glanz seines Festes zu suggerieren.

Kleopatra hatte ihren alten Liebhaber zwei Nächte ferngehalten: ein Novum in seinem Leben. Mit seiner überwältigenden Frische hatte er in der ersten Stunde des Alleinseins zugreifen wollen, als gälte es nur, eine Liebschaft nach einer Reise fortzusetzen. Aber da fand er die verwandelte Frau. Nicht, daß er ihr nicht mehr gefiel; nur daß sie es nicht zeigte. Da kam keine Flut von Vorwürfen, wie sie ihm Fulvia damals in Athen zugeworfen. Diese Frau hier lächelte ihn an, und als er zwischen Bitten und Drohen den Herkules spielte, lachte sie ihm laut ins Gesicht. Sie rührte keine Hand, und doch trat er zurück, und da ihm nichts Besseres einfiel, fing er nun auch an zu lachen.

Am zweiten Tage ward die Heirat beschlossen, beide verhielten sich sachlich und kühl. Er willigte in eine gemeinsame Münze, wollte aber darauf nur Autokrator heißen, nicht König, weil er dann, obwohl Gemahl der Königin, römischer Prokonsul bleiben konnte. Sie anerkannte die Vorteile, ja die Notwendigkeit: Wurde er König oder sprach er etwa seine Scheidung von Oktavia aus, so war das Triumvirat gebrochen, das eben wieder auf fünf Jahre lief, der Krieg mit Oktavian war unvermeidbar. Ihn vom Perserzuge abzuhalten, war es zu spät, das zeigte ihr der erste Anblick des ungeheuren Lagers. Alle diese Truppen nach Ägypten zu führen, wäre unmöglich gewesen. Mit Mißbehagen sah sie die Tausende Talente aus ihrem Schatze nach Persien verschwinden, denn was er zum Feldzuge an Gold forderte, hatte sie mit einem einzigen Kopfnicken eingeräumt.

Top, sie ist die reichste Frau der Erde, dachte er seinerseits, als es galt, ihre Wünsche zu erfüllen. Ein Staatsvertrag wurde ihm vorgelegt.

Und nun, am dritten Abend, lärmten durch die Hallen die Musiken, Hunderte von Offizieren, aus Antonius' Stab und aus dem ägyptischen Gefolge, verbrüderten sich bei den schweren und süßen Weinen, die das Land Syrien wachsen ließ, die vornehmsten Tänzerinnen, die zum Lager gehörten, waren eingeladen und wurden jetzt von der Überzahl der Männer bedrängt, in einem halben Dutzend Sprachen wurde Liebe und Freundschaft so bekräftigt, daß wenige die Worte begriffen, aber alle den Sinn, und die Syrer, deren Adel mit zu Gaste geladen war, taten mit, aber im stillen lächelten sie, denn zu viele Eroberer hatten sich schon in ihrer alten Stadt verbrüdert und später bekriegt.

Drüben, in einem kleineren Raume, stand Kleopatra mitten vor einem großen Tische, der mit Lichtern bestellt war, vor ihr eine lange Karte aufgerollt, vier Sklaven hielten die Ecken. Caesarion, in mazedonischer Reitertracht mit Stiefeln, den Filzhut in der Hand, stand an der Schmalseite des Tisches, den Kopf über die Karte gesenkt, zwischen den Lichtern. Zwei Schritte entfernt saß Antonius, nicht eben glücklich in dem schweren Purpurmantel, den er heute als Imperator tragen mußte, tief zurückgelehnt in einen tiefen Sessel, starrte er auf die Königin. Niemals hatte er sie so schön gesehen; ja, er hatte zuvor alle Blicke der hier zu Gaste geladenen kleinen Könige eingesammelt, wie sie bewundernd an seiner berühmten Geliebten hängenblieben. Jetzt waren sie allein, Sklaven zählten nicht: Endlich konnte er sie ganz genau betrachten.

In ihrem Silberkleide mit den hohen Schuhen schien sie beinahe groß, und wie der Strahlenglanz der Kerzen sich in dem Geschmeide brach und sich das Diadem auf ihren Locken zu den schönsten Edelsteinen steigerte, die damals die Welt besaß, ward sie dem still gewordenen Zecher eine Erscheinung, fremden Göttinnen ähnlicher als den vornehmen Damen von Rom, denen er sie doch vergleichen mußte. Vor allem fesselte ihn der Ernst, mit dem sie auf die große Karte blickte, während sie mit einer Pfauenfeder über Länder und Meere ungewisse Kreise und Figuren zog, als ob sie spielte. Sie kannte ihre Wirkung und ließ ihm Zeit, den Zauber einzutrinken. Dann aber wandte sie den Kopf nach ihm, lächelte und zog seinen Blick mit der Bewegung ihres Kinns nach der Karte hinüber, bis er sich einen Ruck gab und nun gleich neben ihr stand, nahe ihrer Rechten, während der Knabe auf ihrer andern Seite an seinem Posten verharrte. So lag die Welt im Bilde ausgebreitet zwischen dem Römer, der ägyptischen Griechin und dem Erben des Alexander-Traumes, der einst beide verbinden sollte.

Sie aber, die Königin Kleopatra, vor der großen Karte, forderte als Braut ihre Hochzeitsgeschenke: Es waren die alten Provinzen, die die Pharaonen vor anderthalb Jahrtausenden besaßen. Diese mit einem Schlage zu erobern, ihren Ägyptern, besonders aber den immer murrenden mazedonischen Großen zu Hause ein Reich zu bieten, das sie seit Jahrhunderten nur geträumt hatten: das war der Weg, diese römische Heirat gegen alle zu erwartenden Widersprüche als Krönung ihrer Macht zum Glänze zu führen. Das war es, was sie an Bord immer aufs neue durchdacht und ihrem Sohn erklärt hatte, der jetzt mit schweigender Miene neben ihr stand, als ob durch ihn Cäsars Geist sie in dieser Stunde der Eroberung beschützen wollte. Denn was sie forderte, war, wenn nicht formales Eigentum der Republik Rom, so doch von Fürsten, die Rom als Vasallen gehorchten.

Da stand sie, gerade aufgerichtet in ihrem Silberkleide, leise wippte die Pfauenfeder in ihrer Rechten, sie tupfte damit auf ein paar Stellen der Karte, ohne die Namen zu nennen; dabei sagte sie nur leise: »– Dies – und dies – und dies –« Es war die Halbinsel Sinai, ein Stück von Arabien, Petra, das Fürstentum Chalzis, ein Stück des Jordantales, Jericho, Stücke von Samaria und Galiläa, phönizische Küste, Libanon, Zypern, ein Stück von Kreta und das Stück von Zilizien, das am Abhang des Taurus Zinn enthielt, westlich, bis zu den Zedernwäldern.

Antonius stand neben ihr, sie ließ es zu, daß sein Arm sie streifte. Als sie fertig war, dachte er: Eine teure Frau! – und er ließ seinen Arm plötzlich in den ihren sinken, um anzudeuten, daß er sonst vor Schrecken umgefallen wäre. Das machte ihr gar keinen Eindruck: Sie lächelte, hob die Pfauenfeder und warf sie, mit der Spitze nach vorn, über die Welt hinweg, von der sie eben ein paar Fetzen erobert hatte, bis die Feder den Kopf eines der vier Sklaven traf, aber der rührte sich nicht.

Antonius nickte. Er räumte alles ein bis auf zwei Punkte: Dem Herodes könnte er es nicht ganz wegnehmen, er habe ihn erst zum König von Judäa gemacht, Jericho müßte er also von ihr pachten; ferner sollte König Malchos den Sinai nicht abtreten, sondern Ägyptens Pächter werden unter der Garantie des Herodes. Es war also doch ein ganz kleiner Widerspruch möglich.

In diesem Augenblicke bedauerte Kleopatra, daß sie den Sohn hierher befohlen hatte: Sie spürte seine Spannung. Freilich hatte sie ihn gelehrt, zuweilen wäre es klüger, nachzugeben. Wird er es aber jetzt verstehen? Eine Debatte, etwa gar ein Streit war in der dünnen Luft dieser Sphäre unmöglich. Hatte Antonius ihre Wünsche en bloc angenommen, so war damit etwas so Großes geschehen, daß es zur königlichen Situation dieser Nacht nicht paßte, um eine Pacht zu schachern. Und so nickte auch sie, wortlos, wie er es vorher getan. Dann drehte sie sich plötzlich auf einem Absatz rund herum und lachte. Antonius starrte sie an, aber Caesarion zog die Stirnfalten kraus.

Sie faßte den Jungen am Schopfe, schüttelte ihn ein wenig; dann nahm sie den Arm ihres Mannes und ging mit ihm zum Feste zurück.

5

Noch ehe das ungeheure Heer nach Persien aufgebrochen war, mußte die Kunde von dem erstaunlichen Staatsvertrag von Antiochia und von Antonius' Heirat auch in Rom wie eine Bombe geplatzt sein. Schrecken fuhr den Bürgern in die Glieder. Aber die Boten des Antonius erklärten in seinem Namen, Rom sei nicht groß durch das, was es nähme, sondern durch das, was es schenke, überall hätte Antonius neue Dynastien gegründet, ein Dutzend Könige umschwärmten ihn, und was er davon Ägypten schenke, vergrößere nur den Ruhm Roms. In solchen Phrasen war Antonius groß.

Oktavian ließ sich dadurch nicht bestechen. Noch zögerte er, im Senate seinen Verbündeten anzuklagen, denn dadurch hätte er dieser längst verächtlich gewordenen Versammlung noch ein Stück Macht zuerkannt. Seine Kämpfe mit dem letzten Pompejus waren hart; er war noch nicht mächtig genug, den Bruch schon zu suchen. Dies eben wußte Antonius, als er seinen Schwager durch die Doppelheirat zu provozieren wagte. Und hatte Cäsar – so erwiderten seine Parteifreunde den Oktavianern –, hatte Cäsar selber nicht zuletzt durch ein Gesetz das Recht auf mehrere Frauen für sich verlangt? Ägyptisches sei nicht römisches Recht, er wolle ja seine ägyptische Frau nicht nach Rom bringen.

Empörte sich jemand in Rom über einen Triumvirn, der beinahe König eines fremden Landes sei, so hielt man ihm die neuen Münzen entgegen, auf denen kein Wort von einem ägyptischen König stand. Dies alles sei nur die klügste und mildeste Form, Ägypten zur römischen Provinz zu machen, ohne daß die Ägypter es merkten. Um ganz deutlich zu sein, hatte Antonius zugleich mit der Nachricht von seiner zweiten Vermählung der ersten Frau einen freundlichen Brief geschickt, auch ihrem Bruder Oktavian, als wäre nichts geschehen. Zu solchen Schritten fühlte sich der Komödiant in ihm getrieben, dann glaubte er fest an die Redlichkeit seiner Rolle, denn unter Römern war er Römer und mußte eine Rechtfertigung bei sich finden. Bald aber vergaß er wieder Rom und bramarbasierte mit dem Basse eines Silen, er werde so viele Frauen mit seinem Samen ausstatten, als seine Zeugungskraft verlangte.

Übrigens blieb er jetzt ganze Wochen nüchtern: Wie hätte er sonst die gewaltige Aufgabe lösen können! Solche Heerschau, wie er sie seiner neuen Frau gleich nach dem Hochzeitsfeste zeigte, hatte wohl noch kein Auge gesehen. 60 000 Mann römisches Fußvolk, 10 000 Reiter, Spanier und Gallier, dazu noch 30 000 Truppen zu Fuß und zu Pferde von seinen Trabanten: genauso groß war das Heer gewesen, das Cäsar in seinen Aufzeichnungen entworfen hatte. An den Karten zeigte Antonius seiner Gefährtin, wo Cäsar marschieren wollte: länger, vielleicht auch sicherer von Norden her, um erst in Kleinasien Römer und Orientalen zu vereinen. Ein kolossaler Train und Belagerungspark. Vormarsch bis zum Aras. Dort würde wohl die berühmte persische Reiterei zu finden sein, die sich der ehemalige Herr Reiteroberst etwas näher anzusehen denke.

Als er an einem Abend ihr und dem Knaben Cäsars Route zeigte und seine eigene dagegenhielt, schweiften Kleopatras Gedanken von seiner Darstellung ab. Leise zog sie sich so weit in den Schatten hinter Antonius zurück, daß sie Caesarion beobachten konnte, und wie er nun dem Feldherrn vorsichtige Fragen stellte. Das gefiel dem leutseligen Manne wohl, er nickte und gab genauen Bescheid. Als dann der Knabe nach den Gebirgen fragte und wo die Pferde ihr Futter hernehmen würden, wenn es dort rauh sei und der Winter käme, horchte Antonius mit heiterem Gesichte, drückte den Knaben an der Schulter vor eine Spezialkarte nieder, zeigte ihm Wege und Flüsse, auf denen aus der Ebene herauf das Futter kommen würde. Dann lachte er und stieß ihn auf seine Art vor die Brust, als wollte er sagen, du wirst einmal ein Soldat.

Kleopatra in ihrer Schattenecke konnte sich nicht sattsehen an diesem Bilde, wie sich Antonius mit Cäsars verjüngtem Geiste unterhielt, und sie empfand diese Augenblicke als Bestätigung dessen, was vor ihrer Seele schwebte, als sie hierher nach Antiochia gefahren war, um ihren tollen Liebhaber zu heiraten.

Bis zum Euphrat zog sie mit ihm und mit dem Heere. In Zeugma gab es rauschenden Abschied. Antonius, ganz Nerv, ganz Spannung, war zuerst froh, daß sie umkehrte. Seine Natur hatte ihre gewöhnliche Rache genommen und die Frau wieder schwanger gemacht; diese Art von Beglaubigung brauchte der Athlet. Jetzt drehte sie mit ihrem Sohne um.

Auf dem Heimwege belauerte sie der Tod. Sie war über den Libanon nach Damaskus, dann am Jordan entlang bis nach Jericho gekommen. Dort begrüßte sie der König Herodes, dessen elegante Zweideutigkeit den Antonius kaptiviert hatte. Jetzt schacherte er mit ihr über das Stückchen Judäa, das sie bekommen sollte. Er plante, sie auf der Straße nach Jerusalem ermorden zu lassen. Es war nicht schwer, der Zickzack erleichterte schon damals solche Hinterhalte; er glaubte seinem Freund Antonius damit gefällig zu sein. Schließlich wagte er es doch nicht, soll aber, so erzählt Josephus, verbreitet haben, die schöne Dame wollte ihn verführen, doch er wäre standhaft geblieben. Mit diesen beiden erbärmlichen Anschlägen und einem Geschenk von Balsamsträuchern streift Herodes die Geschichte Kleopatras.

Wäre sie damals umgekommen, natürlich mit ihrem Sohne, so hätte die Geschichte, zwar nicht Ägyptens, aber Roms, einen andern Lauf genommen. Der bacchische Imperator wäre mit dem kalten vielleicht noch lange zusammengegangen, Oktavia hätte noch ein halbes Dutzend Kinder von ihm bekommen – vielleicht.

So aber brachte Kleopatra in ihrem Palaste ihren dritten Sohn zur Welt. Ein Weib solcher Art kann nur Söhne gebären, sie läßt eine Tochter höchstens als Zugabe zu einem Sohn passieren. Wieder war der Vater fern wie damals, vor vier Jahren. Aber jetzt war er doch ihr rechtlicher Gatte, die Höflinge durften gratulieren oder sie mußten, die Priester sprachen Dankgebete. Nur Caesarion war unzufrieden.

Warum, dachte er, hat er ihr das angetan, während er selber zu Felde zog? Cäsar ist damals nicht abgesegelt, bis ich zur Welt kam. Und warum hat er Furcht, sich König zu nennen, und führt einen fremden Titel? Ist es so schwer, König von Ägypten zu sein und doch zugleich ein Römer?

6

Der Perserzug des Antonius verlief wie eine große Parodie. Cäsar hatte die Erneuerung von Alexanders Glanz geträumt, Antonius persiflierte den Alexander. Cäsar hatte sich drei Jahre ausgesetzt, Antonius wurde nach ein paar Monaten ungeduldig. Cäsar sah eine Krone dicht vor seinen Händen und schob sie zurück, um sie erst im persischen Osten zu erobern, Antonius spielte mit einer andern Krone zwischen Wein und Liebe. Cäsar bereitete der Phantasie ein großes Schauspiel vor und rechnete doch mit jedem Pferd und jedem Sattel, Antonius hielt die Erbschaft einiger Papiere für den Talisman, der ihm die Hilfe der Götter garantierte. Dies geschah, weil im Herzen des Antonius die Flammen eines leicht berauschten Gemütes bald wild loderten, bald ganz erloschen, während Cäsar von einem stetig wachsenden Feuer innerlich erleuchtet wurde, ohne daran zu verbrennen.

Und doch gab der Perserzug vom Jahre 36 dem Antonius Gelegenheit, sich vor der Nachwelt als ein Mann zu bewähren. Dergleichen Naturen, Launen und Begierden unterworfen, solange sie vordringen, wüst und ungeduldig beim kleinsten Widerstande, sind stark im Zusammenbruch, wenn er sie nicht verschlingt. Antonius hat sich in zwei Zusammenbrüchen bewährt.

Ganz Vorderasien bis nach Baktria hatte gezittert, als das gewaltige römische Heer sich nach Osten vorschob. Der armenische König, ein Nachbar und Feind der Perser und Meder, dessen Hilfe ein Kernstück in Antonius' Plänen bedeutete, hatte den Römer glanzvoll empfangen, Rat und Truppen gegeben und hatte weder Ursache noch eigentlich Anlage zum Verrat. Dieser Artavasdes war nicht bloß König und Soldat, er war auch Philosoph und Dichter, Plutarch hat noch einige von seinen Tragödien gekannt. Vielleicht hat ihn die Person des Antonius enttäuscht, in dem ein Kenner freilich den geborenen Eroberer nicht entdecken konnte. Nur weil er Dichter war, interessieren uns aus der weiteren Ferne seine Motive. Auch hat er die Katastrophe nicht allein herbeigeführt.

Gewiß ist, daß Antonius in Medien die Geduld verlor und plötzlich den Entschluß kundgab, noch vor dem Winter ans Meer zurückzukehren. Er handelte, sagt Plutarch an dieser Stelle, »ohne völlig klare Überlegung, wie ein Mann, der unter dem Druck einer magischen Gewalt steht«. Aber der Wunsch, seine interessante Frau wiederzuhaben, war hier offenbar nicht entscheidend; Antonius war nicht wählerisch, er fand überall im Felde, was er brauchte. Eher scheint es, daß ihn die riesenhaften Massen dieser Länder erschreckten, daß Cäsars Geist ohne Cäsars Befehl ihn erdrückte und er aus dem Grauen, das den dionysischen Menschen so plötzlich und so furchtbar anfaßt, sich in die Heiterkeit seiner leicht gekräuselten Tage zurückretten wollte. Da zeigte sich, daß er dem Weltplan Cäsars nicht gewachsen, daß er nur sein rechter Arm gewesen war und sich der Kopf nicht durch ein paar Papiere, die Leidenschaft nicht durch den Ehrgeiz eines Erben ersetzen ließ. Er rannte in den Zusammenbruch hinein.

Statt Winterquartier in Armenien vorzubereiten, um dann den Frühling zu nutzen, wenn die Perser herauszukommen pflegten, stürmte er in Eilmärschen auf die Hauptstadt Mediens los und mußte die 300 Wagen zurücklassen, die die Belagerungsmaschinen so rasch nicht nachbringen, auch nicht ersetzen oder reparieren konnten, denn dort wächst kein hartes Holz. So wurde der gesamte Train, während er selber mit ein paar Leitern die Hauptstadt vergebens belagerte, vom Feinde abgeschnitten und zerstört. Der armenische Verbündete war plötzlich verschwunden, nirgends in dem fremden Lande Hilfe, das Heer mußte umkehren und ließ sich noch von den aus der Stadt ausfallenden Feinden schlagen. Mit furchtbaren Strafen dezimierte Antonius die schuldigen Legionen und gab ihnen Gerste statt Korn, die gefürchtete Entehrung des römischen Soldaten, wodurch er sich dem Tiere gleichgestellt fühlte.

Ein einzelner Römer, der seit der letzten römischen Niederlage unter Crassus hier geblieben war und sich zufällig einfand, diente dazu, den Rückweg bis zum armenischen Grenzflusse zu zeigen. Alle die Tausende, die hier die altrömischen Adler zurückerobern sollten, sie, die sich schon im Triumphzuge durch die Straßen Roms hatten dröhnen hören, trotteten jetzt einem einzelnen Römer nach, den mancher General und mancher Mann für einen Betrüger hielt. Der Winter fiel in die Gebirge, mit ihm kam der Hunger, mit dem Hunger die Krankheit.

Da ward Antonius ein großer Mann! »Sie liebten ihren General«, schreibt Plutarch, »und hatten dazu viele Gründe: seine Abkunft, Beredsamkeit, offene Art, seine generösen Gewohnheiten, die Sicherheit, mit jedem zu reden, jetzt aber vor allem Güte und Zuspruch für jeden Kranken, alle Leiden zu teilen, ihnen alles Nötige zu beschaffen, so daß die Verwundeten und Kranken bereiter waren, ihm zu dienen, als die Gesunden.« Da gab es giftige Pflanzen, die die Hungernden toll machten, daß sie plötzlich ganz sinnlos riesige Steine zu wälzen anfingen; gab man ihnen Wein als Gegengift, so wurden sie gesund, aber dann gab es keinen Wein mehr, und sie starben. Da gab es Spione und Aufrührer zwischen den alliierten Völkern, die, bisher friedlich gesinnt, im Unglück plötzlich die Überlegenheit ihrer Rasse erkannten und die andern beschuldigten. Als endlich der Aufruhr bis zu seinem eigenen Wagen drang, als seine Soldaten ihm die goldenen Becher stahlen, drang Antonius mit dem Schwert auf sie ein.

Auf diesem Tiefpunkt, als auch Antonius dem römischen Wegeweiser zu mißtrauen begann, der in der Dürre immerfort seinen Araxes verhieß und mit dem Flusse Wasser und die Sicherheit eines verbündeten Landes; in diesen letzten Tagen der Auflösung, als sich das glänzende Heer in eine Räuberbande, die mutige Jugend in ein Feld von Leichen und Kranken verwandelte: da ließ sich Antonius von seinem Schildhalter schwören, ihn, wenn er es beföhle, zu töten und seinen Kopf abzuschneiden, damit der Feind den Leichnam nicht erkenne. Er sollte diesen Befehl noch einmal im Leben, in seinem zweiten Zusammenbruche, wiederholen.

Endlich, am siebenundzwanzigsten Tage des Rückzuges, spürten sie frischere Luft, das Wasser kam näher, Tausende von Halbverdursteten stürzten sich darauf. Was übriggeblieben war von dem glänzenden Heere, fühlte sich gerettet; beinahe die Hälfte war verloren. »Oh, ihr Zehntausend!« soll Antonius auf dem Rückzug ausgerufen haben. Wirklich fehlte dieser zweiten Anabasis, an die der Römer bei seinem Ausruf dachte, nichts als ein neuer Xenophon, um unsterblich zu werden.

7

Mit gemischten Gefühlen nahm Kleopatra die Kunde auf von dieser Niederlage. Dachte sie des Ruhmes, so fühlte sie sich beleidigt; dachte sie Cäsars und wie sie zusammen damals in Alexandria gesiegt hatten, so fühlte sie sich von ihrem zweiten Römer enttäuscht. Dachte sie aber an ihr eigenes Schicksal, wie sich's in der Herrschaft über Ägypten und in der Sicherheit ihrer vier Kinder darstellte, so hatte sie keinen Grund zur Klage. Nur einen großen Sieg in Persien hatte sie zu fürchten gehabt: Er würde den Antonius aufs neue zum römischen Triumphator machen. Da würde er den Sieg auf dem Kapitol feiern, dabei würde er für eine Weile seine römische Frau in ihren häuslichen Tugenden wiederentdecken und sich auch sonst, als der interessanteste Mann von Rom, in den Salons und in den Kneipen die Frauen aussuchen, die ihm von heute bis morgen gefielen. Was war die Königin von Ägypten denn noch für einen siegreichen Antonius? Ihr Gold und ihre Schönheit, die Erbmasse der Ptolemäer an Schätzen und an erotischer Finesse hatte er erobert. Warum sich dann weiter durch den Zwiespalt schwächen, in den das Doppelleben eines alexandrinischen Römers ihn doch verwickeln mußte!

So lange Kleopatra realistisch dachte – und sie tat's nur noch mehr mit steigenden Jahren und mit vermehrter Kinderzahl –, mußte sie sich einen geschlagenen Antonius wünschen: dann war er reif für Ägypten! Dem Spotte würde der Schlaue schon zu begegnen wissen, denn eine Niederlage in einen Sieg umzulügen, in dieser Kunst waren sie alle sorgsam erzogen, die römischen Feldherrn. Durch ihre Agenten wußte sie nicht bloß alle Einzelheiten der Katastrophe, sie wußte auch, was die Welt davon wußte, und das war geringe und verworrene Kunde. Wer aber an ihrem Hofe zu viel erfuhr und nach und nach die ganze Wahrheit, den konnte ihre Politik mit der neuen Karte Ägyptens zum Schweigen bringen, die von demselben Antonius um ganze Provinzen erweitert worden war.

Denn wie die alten Ägypter, so waren die neuen Herren des Landes nie geborene Krieger gewesen. Als der brennende Kometenschweif des großen Alexander erloschen und nur als ein ferner Fixstern am Himmel der Geschichte sichtbar geblieben war, hatten seine Nachfolger durch beinahe drei Jahrhunderte ihr Licht von ihm geborgt, soweit es in Rüstungen erglänzte. An Gold und Luxus, auch an Gelehrsamkeit glich ihr Hof dem der alten Pharaonen, und während sie im Grunde die verworrene Theogonie der Ägypter verachteten, übernahmen diese Alexandriner nur den unkriegerischen Charakter ihrer örtlichen Vorgänger, der ihnen so angenehm war, wie er ihrer Abstammung zur Schande gereichte.

Da mußte denn eine Königin unwiderstehlich wirken, die ohne Schwert das Land vermehrte und bereicherte, im Grunde nur, weil sie verstand, ein Weib zu sein. Vollends eine, die diese magnetische Wirkung auf einen Römer auszuüben wußte und so die große, stets umworbene Macht, die einzige, die zu fürchten war, in der Gestalt eines Triumvirn gleichsam paralysierte. Die Zukunft aber schien durch den ernsten Jüngling gewährleistet, der die symbolischen Namen Cäsar Ptolemäus führte und den noch zwei andere halbrömische Brüder ersetzen konnten: So fest hatte Kleopatra ihre Hausmacht gesichert. Welcher mißvergnügte Fürst oder Parteiführer in Alexandria konnte dagegen aufkommen, nur weil Antonius im fernen Perserlande geschlagen war! Der einzige, der ihn dafür tadeln durfte, saß nicht in Ägypten, er saß in Rom: Es war der andere Triumvir.

Aber Oktavian hatte ebenso gute Gründe, die Niederlage des Antonius zu wünschen, und während er in dem höchst volkstümlichen Perserkriege für den Sieg Roms in den Tempeln opfern ließ, drehte er wohl im geheimen den Daumen nach unten; denn auch ihm war nur ein siegreicher Antonius gefährlich. Den schwachen Lepidus hatte er bei einem Streite kurzerhand abgesetzt, sich selber dessen afrikanischen Teil genommen; dann hatte er, der immer verstand, andere für sich siegen zu lassen, durch seinen Freund und Feldherrn Agrippa nun endlich auch den letzten Pompejus besiegt und vertrieben. Sechs Jahre hatte dieser Bürgerkrieg gedauert, der kleiner war als Cäsars, doch aber Süditalien und die Inseln dauernd unsicher machte. War es ein Wunder, daß sich jetzt alles vor dem Sieger niederwarf und der Senat beschloß, er möge selber alle Ehren bestimmen, die er wünschte? An der Spitze von 43 Legionen, vielen Tausenden von Reitern, von 600 Schiffen stand jetzt dieser Siebenundzwanzigjährige, der nie persönlich einen Sieg erfochten, der keinen Tropfen von Cäsars Blut und keinen Blitz von seinem Geiste besaß, sondern in allem dem Großvater-Wucherer ähnlich war, denn er war grausam, habsüchtig und ein geschickter Spekulant.

Kleopatra erfuhr alles über diesen ihren Feind, nicht bloß was er tat, auch was er plante; und was er fühlte, flüsterte ihr der eigene Haß ins Ohr. Sie lachte, wenn ihr der Schwächling in glänzenden Rüstungen einziehend geschildert wurde, umgeben von echten Kriegern, selbst furchtsam und barbarisch. Sie lachte, wenn sie ihn in Steueramnestien und in Verboten gegen den Purpur den volksbestechenden Cäsar nachmachen sah. Sie lachte, wenn sie von seinen Plänen zu einem großen Apollotempel auf dem Palatin hörte und wie er den Horaz auszeichnete, weil er ihn besang. Doch Haß und wilde Funken sprühte sie, als sie erfuhr, Oktavian, der soeben auf dem Forum des Antonius' Siegeswagen vor die Rednerbühne hatte stellen lassen und seine Bildsäule in den Tempel der Eintracht, hätte ein paar Monate zuvor dem Armenierkönig heimliche Boten geschickt, um ihn im Abfall von demselben Antonius zu bestärken, seinem Verbündeten und Schwager. Erzogen zwischen Verbrechen, eine Frau ohne Gewissen, war sie fähig, jeden töten zu lassen, der ihren Weg störte; für solche Tücken aber war Kleopatra zu sehr Königin.

Nein, es wurde unmöglich, sich mit diesem Römer zu vertragen. Da er nun aber wirklich und allein Rom bedeutete, so mußte sie die Grundlinie ihrer fünfzehnjährigen Regierung ändern: Sie mußte den ererbten Grundsatz des Vaters fahrenlassen und eine neue Politik aufbauen. Mit allen Mitteln mußte sie den andern Römer, ihren Gatten, von seiner Heimat zu lösen suchen. Nur wenn er König wurde und mit ihm Caesarion, dann stand in Alexandria Rom gegen Rom!

Der Augenblick, Antonius sich ganz zu unterwerfen, schien ihr gekommen. Die Hilferufe des kläglich zurückkehrenden Feldherrn klangen ihr harmonischer ins Ohr, als seine Siegestrompeten geklungen hätten. Nun saß er wieder an der syrischen Küste, diesmal im »Weißen Dorf«, nicht weit von Sidon, und sandte ihr einen Boten nach dem andern, sie möge kommen und helfen. Zu diesem dritten Rendezvous packte sie auf ihre Dreiruderer keine Teppiche und Goldbestecke, keine Harfnerinnen und zimbelschlagende Jünglinge. Diesmal war alles voll von Schuhen und Uniformen, von Mänteln und Waffen für Tausende abgerissener Soldaten, und dann kamen Säcke voll Gold, denn der Schatz der Ptolemäer schien unerschöpflich.

Antonius saß indessen Tage und Nächte zu Tische, vertrank seinen Ärger, fluchte und schwor, das zweite Mal werde er den Perser vernichten und den Armenier dazu; aber dazwischen lief er – so erzählt Plutarch – von der Tafel fort, zur Küste, um auszuschauen, ob die ersehnten Segel vom Nil noch immer nicht kämen. Dann, als sie endlich kamen, stieg alle Dankbarkeit der Legionen zum Genius der Königin empor, und der Feldherr ging von Zelt zu Zelt, um seine Frau zu rühmen, die gekommen wäre, sie alle zu retten. Doch kaum hatte Antonius, der sich beständig auf sein Glück verließ, ein weniges zurückerlangt, so vergaß er das viele, was ihm fehlte, und sein Wille zur Rache, zumindest an dem ungetreuen Armenier, gewann an Festigkeit.

Aber da fand der Mann, der sich bisher die Frauen alle, sogar die « Ägypterin, unterworfen, zum ersten Male das harte Nein, das ihm noch nie entgegengerollt war. Er wollte nach Osten, diese Frau aber forderte seine Rückkehr nach Westen. Er wollte dem Ruhme nach und nicht der Frau, sie aber rief ihn in ihr Haus. Als diese beiden leidenschaftlichen Menschen anfingen sich zu bekämpfen, da krachte es im Gebälk der Liebe, aber es brach nicht, und sicher hat sich ihr Streit zum wilden Zusammensturze der Geschlechter gesteigert, um aus der Asche ihres Liebeskampfes aufs neue in zischendem Zanke aufzulodern. Der Feind tat ein übriges, um diese große Krisis des Antonius zur Entscheidung zu treiben.

Denn mitten in das Treiben dieses syrischen Lagers, in dem kein Soldat mehr wußte, wohin man morgen marschieren würde, in dem sich der Stab in Parteien bekämpfte und die Kritik am Feldherrn mit jedem Tage stieg, kam ein Bote aus Athen: Niger, ein vornehmer Römer. Die ihn schickte, war Oktavia. Denn auch Oktavian hatte seine Späher, auch er erkannte den Augenblick, um Antonius zur letzten Wahl zu zwingen. Darum hatte er seine Schwester mit Truppen, Waffen und Stoffen abgeschickt, um sie dem heimkehrenden Gatten als Hilfe des Freundes zu überbringen. Er fügte in einem tröstenden Briefe hinzu, wie er es verstanden habe, dem Volke den wahren Ausgang des Perserzuges zu verschleiern. Konnte man den Liebling der Fortuna empfindlicher treffen, als indem man ihn bedauerte? Oktavian wußte die Antwort voraus! Daß er dabei seine Schwester entehrt sehen würde, war ihm gleich: wenn er nur im Falle des Bruches die moralische Entrüstung Roms gegen Antonius erregen konnte.

Ja, jetzt nähert sich das Schicksal des Bacchanten der komischen Verwicklung: jetzt sind zu gleicher Zeit, auf demselben Mittelmeere seine beiden Frauen von zwei Seiten her ihrem ungetreuen Gatten entgegengefahren, um ihn nach Norden oder nach Westen in eine seiner Heimaten, zu einer seiner Gruppen von Kindern zu locken: jede mit einer Menge Schiffe voll von Stiefeln und Kleidern für sein geschlagenes Heer, dazu die eine mit Gold, die andere mit 2000 neu ausgestatteten Prätorianern. Die eine bietet den Königsthron, die andere die Freundschaft der mächtigen Heimat.

Auf dem Schiff der Oktavia ruhte im Kiel, unter allen Waffen und Kleidern, eine Welt, dem Manne wohlvertraut: Es war die römische Welt, Forum und Kapitol, Arena und Senat, die kühlen Villen der Campagna und die dumpfen Kneipen an der Appischen Straße, rauschende Triumphe und das wohlbekannte Summen und Schwirren der Parteien, alles in der Muttersprache, in den Lauten der Jugend, alles im Schatten von Cäsars Namen, Ruhm und Tempel! Durfte Oktavia nicht hoffen, mit so überwältigenden Rufen der Jugend und der Heimat zu siegen?

Aber die andere, Kleopatra, hatte eines voraus, was nichts überbieten konnte. Es war nicht das Gold und nicht die Königskrone; es war ihre Gegenwart. Hätte Oktavia Kampflust und Mut ihrer Rivalin besessen, wäre sie selber nach Syrien bis in sein Feldlager gesegelt: Die beiden Frauen hätten sich endlich gegenübergestanden, und der Roman hätte ein überraschendes Kapitel mehr. Aber die Römerin war viel zu sehr Dame, viel zu sehr von Familie, um einen Wettkampf zu wünschen. Das konnte eine Königin wagen, die zugleich eine Amazone und eine Künstlerin der Liebe war, weil, was sie tat, schon richtig war, weil sie es tat; nicht aber eine patrizische Bürgerin, deren Würde vom Urteil der andern Bürger bestimmt wurde.

Wie war sie da in ihrem Element, die reife Kleopatra mit dem scharfen Profil! Ging jetzt ein großes Spiel an, mit aller Kunst wußte sie wohl zu siegen. Sie aß beinahe nicht mehr, um mager und abgezehrt vor Kummer zu erscheinen. »Ihr Blick« – so erahnt sie Plutarchs dichterische Vision, die niemand übertreffen kann –, »ihr Blick verriet, wenn er bei ihr eintrat, eine Art von Entzückung; ging er, so blickte sie ihm schmachtend nach und wie erschlagen. Manchmal schien sie mitten im Weinen überrascht, trocknete sich rasch die Tränen und tat, als wollte sie ihren Schmerz vor ihm verbergen.« Zugleich flossen ihre goldenen Geschenke den Offizieren des Antonius zu, vielleicht auch ihr Glück verheißendes Lächeln, damit sie ihm sagten, wer hier die wahre Liebende wäre, denn diese große Königin würde seinen Verlust nicht überleben.

So kam es, daß Antonius seiner römischen Frau die Antwort nach Athen sandte: Truppen und Proviant möge sie nur gleich schicken, ihr Bruder habe ohnehin an ihn eine Schuld in Schiffen. Sie sollte sich aber selber nicht weiter über das Meer bemühen, er sei im Begriffe, aufs neue gegen die Perser zu ziehen, und diesem rauhen Klima könnte er sie nicht aussetzen. Sie möge die Kinder und den Bruder grüßen; wenn er aus Persien siegreich heimkehre, dann gäbe es sicher ein schönes Wiedersehen!

Niger verneigte sich vor dem Feldherrn, dann vor der stummen Königin und ging. Antonius aber gab Befehle, wie seine Armee hier überwintern sollte, um im nächsten Frühling unter ihm nach Armenien aufzubrechen. Dann sagte er allen Lebewohl und segelte mit der Königin nach Alexandria.

8

Es war dasselbe Alexandria nicht mehr. Der »Club der Unnachahmlichen« war längst verklungen und mit ihm alle Tollheit jenes bacchischen Winters. Die sonderbare Zwischenstellung, die sich Antonius ausgedacht: nicht König, aber Gatte der Königin, ägyptischer Autokratos und doch zugleich noch römischer Prokonsul, dies Mittelwesen, in das er seine Ressentiments retten wollte, ließ die Heiterkeit nicht aufkommen, ohne die er doch nicht leben mochte.

Freilich gab es Feste genug und eine Menge belebter Stunden und Wochen, denn das Genie der Königin war unerschöpflich im Erfinden zarter und wilder Genüsse. Es gab jetzt auch drei kleine Kinder im Palaste, und sie war mit Mitte Dreißig noch eine junge Mutter; er aber rückte den Fünfzig zu, war schwer und etwas aufgeschwemmt. Es war ein Eheleben geworden, und beide mochten zuweilen ihre Unfähigkeit zur Ehe empfinden, besonders bei Windstille in den Ereignissen. Nach Art launischer Naturen zog sich Antonius dann in den kleinen Kreis römischer Offiziere zurück, als wollte er den Alexandrinern nicht ganz verfallen; jedenfalls konnte man dort lateinisch reden! Mußte sich das Gespräch dieses meist müßigen Kreises nicht immer wieder auf Rom richten und auf Oktavian? Konnten sie ihre Freunde und Brüder vergessen, die dort vielleicht weniger Gold und Frauen, dafür aber doch das alte römische Pflaster hatten, das ihnen selber auf die Dauer verdammt fehlte, obwohl es holpriger war als hier auf der Plateia?

Zugleich empfanden sie die Kritik in den Blicken dieses Hofes, der ihnen mit seinen Eunuchen doch immer fremd bleiben mußte. Wenn Plancus, des Antonius Sekretär und Freund, als Tänzer und Clown in grün-blauem Trikot beim Gelage als Glaukos auftrat, Schilf im Haar, mit Algen behangen, einen Fischschwanz nachschleifend, dann stießen sich die alexandrinischen Herren leise an und staunten, wie sich ein Mann des römischen Adels so entehren könnte; die römischen fragten einander, wieviel er wohl dafür aus der Kasse seines Herrn gestohlen hätte. Antonius aber lachte über seinen Clown, er wußte, daß er ihn bestahl. Er selber hatte nie etwas wirklich erworben; bestahl man ihn, so hatte er nichts dagegen.

Zum Ausgleich tat die spürsame Königin alles Erdenkliche: Sie machte einen römischen Senator zum Direktor der Königlichen Webereien, einen Obersten zum Leiter der Zirkusspiele. Ihm selber, ihrem Manne, zeigte sie vieles, was seiner Tätigkeit in der Armee entsprach. Besonders förderte sie seinen armenischen Plan, er war leicht und kurz, und ein Sieg sollte ihn von dem persischen Weltplane ablenken. Dann heckten sie zusammen eine gute Täuschung des treulosen Königs aus und luden durch Gesandte ihn ein, nächstes Jahr nochmals mit Antonius gegen die Perser zu ziehen. Kleopatra, wie ein großer Regisseur, wußte alles Vorhandene auszunutzen. Wozu waren eigentlich die Zwillinge da? Und so wurde ihr kleiner Alexander, der Zwilling, dem Armenierkönig zur Verlobung mit seiner Tochter vorgeschlagen, um diesen vollends sicher zu machen.

In solchem Treiben behielt Caesarion seinen verschlossenen Ernst: Er wußte nicht, ob ihm Antonius gefiel, und gab scharf acht, wie er seiner Mutter gefiel. Da Antonius Cäsars Mörder vernichtet hatte, mußte er ihn achten; da er aber ein Römer war, hätte er ihn strenger gewünscht. Indem Caesarion mit Leidenschaft alles studierte und an sich riß, was ihm die Natur der Römer erklärte, faßte er einen so hohen Begriff von ihnen, daß niemand außer Cäsar ihm genügte. Wenn sie berufen waren, in Ägypten mitzuregieren, so mußten sie mehr sein als die Ptolemäer. Zwar, er fing an zu erkennen, daß es schlechte und feige Menschen auch unter seinen Vorfahren gegeben habe. Seine Mutter aber, war sie nicht eine große Königin? Wie hätte sie sonst den alternden Cäsar bezwungen? Und Cäsar, war er nicht der größte Mann seit Alexander? Wie hätte er sonst seine Mutter erwählt? Hier fand er festen Boden, und da alles Pathos seiner jungen Seele noch aus Tugend und Tapferkeit, aus Macht und Großmut strömte, erfüllte schon den Elfjährigen das reife Gefühl einer großen Abkunft, der er die größten Taten schulden würde.

Wie konnte ihm in diesen Stimmungen sein Stiefvater gefallen? Wäre er doch mit aller Leidenschaft ein Römer geblieben! Hätte er doch seine Mutter bekämpft, ja verlassen! So aber dachte er, daß dieser Mann nur vom Golde der Ptolemäer angezogen war, vielleicht auch von der Schönheit seiner Mutter. Freilich, manchmal konnte man von ihm lernen; wenn man ihn aber nach Cäsar fragte, wich er aus, und Cäsars Sohn begriff noch nicht, warum Antonius auswich. Seinem heldensüchtigen Gemüte fehlte in Antonius der Held.

Als er ihn mit dem neuen Jahr zum neuen Kriege sich rüsten sah, gefiel er ihm besser. Diesmal war auch der Feldzug glücklich. Mit dem Trick der Verlobung ihrer Kinder war es wirklich gelungen, den König der Armenier trotz seines schlechten Gewissens herauszulocken. Dann wurde er, als er zum Abschlusse des Bundes angeritten kam, gleich in Ketten geschlagen, es waren silberne Ketten, aber die Geschichte sagt nicht, ob das Silber dem Könige galt oder dem Dichter. Der Kampf mit denen, die ihn befreien wollten, war kurz und siegreich. Das Ganze wurde zu einem unerhörten Beutezug, in dem die Legionen ein goldenes Standbild der Landesgöttin zerschlugen und verteilten; sogar für römische Gewohnheiten war diese Plünderung ein Novum. Antonius aber war froh, daß seine Soldaten sich jetzt selber bezahlt machten.

Vor allem konnte er mit Siegesberichten in Rom seinen Namen wieder festigen und damit Oktavian ärgern, was eigentlich der Hauptzweck dieses Feldzuges gewesen war. Dann ließ er verbreiten, nächstens ginge es nach Persien. Der Mederkönig, der mit den Persern in Fehde lag, war gern bereit, ihm zu helfen, und der männliche Zwilling, der nach der armenischen Episode wieder frei war, wurde wenige Monate nach seiner ersten Scheinverlobung jetzt der medischen Königstochter versprochen.

Das ganze Abenteuer ward in ein paar Sommermonaten beendet. Kleopatra sah ihren Zweck erreicht, Antonius einen leichten Sieg zu schaffen. Dieser Mann brauchte, so hatte sie berechnet, sehr viel Wein zum Weinrausche, aber sehr wenig Sieg zum Siegesrausche, denn nur an jenen und nicht an diesen war er gewohnt. Jetzt kam ihr ein Antonius zurück, der sich als großer Feldherr bestätigt und dem Cäsar gleich fühlte, ein Glücklicher, bereit, alles zu wagen, was die Götter ihm darboten und seine mächtige und schöne Frau.

Wie klug sie war, wußte er kaum. Seit Jahr und Tag hatte sie alles wohl durchdacht und seit der Heirat und dem Vertrage von Antiochia, nun zwei Jahre hin, diesen naiven und leichtsinnigen Menschen mit Kunst immer weiter von seinem römischen Ursprung gelöst. Jetzt war der Augenblick gekommen, das letzte Seil durchzuschneiden. Jetzt mußte er, es mußte Caesarion ägyptischer König werden.

9

In weiter Ferne, jenseits des Ozeans, in Rom, saß indessen Oktavia und hütete die Kinder, darunter vier von Antonius. Von allen Frauen, die um diese Zeit ins Weltgeschehen griffen, hatte sie allein sich mit dem Entschlusse abgetrennt, weder dem Ruhm noch der Wollust noch dem Golde nachzurennen, sondern die Unmündigen zu pflegen, die sonst in all der Hast am Wege liegenblieben. Sie tat es ohne moralischen Lärm, und es scheint, daß gerade die falschen Töne bei ihrem Bruder, die nationalen Lügen, die allenthalben laut wurden, sie zu einer Lebensform von solcher Stille antrieben, wie sie der Schwester des mächtigsten Mannes in Rom nicht gebührte. Da sie der römische Klatsch bis in ihr spätes Alter nicht erreichte, hat sie offenbar ganz ohne Männer gelebt, obwohl sie damals nicht älter war als Kleopatra und für schön galt.

Vielleicht hatte sich der kühle Teil in der Natur dieser Familie bei ihr ins Sinnenleben gezogen, wo er bei ihrem Bruder keineswegs saß; vielleicht war sie auch religiös oder doch philosophisch genug, um die ihr zugedachte Rolle als Schicksal oder ironisch zu ergreifen. Jedenfalls schien sie mit diesem ernsten Stolze der Patrizierin ihren Kreisen altmodisch, und gerade das war ihr Wunsch. Und doch sammelte sich auf dem Haupte dieser Schwester des Oktavian viel Licht, denn er benutzte ihre Tugend, um sie als Eigenschaft seines Hauses anzupreisen; er fing gerade an, sich als Kaiser zu stilisieren. So war er auch glücklich gewesen, als Antonius Oktavia, seine römische Frau, heimschickte: Mit strenger Miene hatte er der entehrten Schwester befohlen, das Haus eines solchen Mannes zu verlassen.

Sie aber widersetzte sich, und Oktavian erlebte dies Nein aus dem Munde einer Frau beinah zur gleichen Zeit wie sein Rivale. Man sollte nicht sagen, um ihretwillen sei es zum Bürgerkrieg gekommen: Das war auch jetzt noch das Argument der Oktavia gewesen. Sie war geblieben, hatte die Kinder des Antonius weiter gepflegt, auch seine Freunde empfangen. Denn wenn er jemand in Rom empfehlen, ihm weiterhelfen wollte, so schrieb er rasch einen freundlichen Brief an seine römische Frau und merkte gar nicht, wie seine generöse Geste auf Kosten anderer ging. Alle Welt hatte ihre Geduld gerühmt und den ungetreuen Gatten verurteilt.

Aber die Menge in Rom war wankelmütig wie Antonius und hatte nicht ungestraft zwei Jahrhunderte lang den Sieg als Boten der Götter verehren gelernt. Die Sonne seines Ruhmes, die Antonius nun in den Hohlspiegel seiner Lobreden sammeln und von den römischen Tempelsäulen aufstrahlen ließ, machte ihn rasch wieder in Rom zu einer Lichtgestalt, und da seine Natur dem Volke stets verwandter war als die des ewig frostigen Oktavian, so war man jetzt froh, ihn wieder lieben zu dürfen.

Oktavian, dessen Volksfeindschaft seine Nase für Volksstimmungen nur feiner machte, fuhr rasch mit großen Spielen dazwischen, die seit langem ausgefallen waren, ließ dabei eine Art Lotterie im Zirkus los und gab zum Schluß eine riesige Tafel mit Geschenken denen preis, die am schnellsten Zugriffen, bis alles in einem Handgemenge endete, das den fürstlichen Donator populär machte. Zugleich zog er neue Truppen zusammen, um es in Italien allein auf 30 Legionen zu bringen. Im Senat stellte er die gefährlichen Vergrößerungen Ägyptens durch neue Provinzen und Inseln dar, doch noch immer, ohne den Antonius direkt anzugreifen.

Antonius lachte bei diesem Bericht. Von Alexandria aus erwiderte er dem römischen Senat nach wenigen Wochen – denn die Nachrichten kamen im Sommer rasch übers Meer –: Er habe nur verschenkt, was andern gehörte, solche Tauschgeschäfte seien die kleinen Vasallenkönige von jeher gewohnt. Oktavian dagegen – und er ging zum Angriff über – habe den Lepidus abgesetzt und sich dessen Provinzen allein behalten, ebenso Sizilien und Sardinien, das er dem letzten Pompejus abgenommen; dazu halb Italien unter seine Veteranen verteilt, übrigens auch ihm die geborgten Schiffe nie wiedergegeben. Nachdem die Parteifreunde des Antonius ihre Anklage hingeschmettert, kam in der nächsten Sitzung des Senats der geschmeidige Oktavian und erklärte mit seiner essigsauren Stimme: Sogleich wolle er die Hälfte dieser Provinzen herausgeben, wenn nur Antonius das gleiche mit Armenien täte und mit Ägypten. Der Beifall war groß, aber niemand im Saale wußte, daß Oktavian mit seinen Freunden für alle Fälle Dolche unter die Toga gesteckt hatte. Im heraufziehenden Gewitter wollten sie klüger sein als der waffenlose Cäsar von einst.

Antonius lachte auch bei diesem Bericht und wollte noch gröber antworten, aber da hinderte ihn seine Frau. Ägypten römische Provinz? Nichts anderes lag in Oktavians Worten! Da spannte Kleopatra alle ihre Energien, denn nun galt es, dem verhaßten Erben Cäsars vor der Welt zu zeigen, wer Herr wäre über Ägypten. Jetzt warf sie sich auf Antonius:

Sie zeigte ihm den Bruch, den der kalte Feind zu verschleiern suchte; sie sprach von ihren Kindern und wie man sie sichern müßte; sie bewies ihm mit Briefen, wie die Gegner bewaffnet im Senat erschienen waren, was für Dolche also auf ihn warteten, wenn er sich einbildete, er könnte noch in Frieden zurück; sie zählte ihm die Machtquellen auf, die der Feind angesammelt und die er freiwillig nie mehr teilen würde; sie häufte alle Nachrichten, wahre und falsche, die die Volkstümlichkeit des Rivalen darstellten; sie pries das neue medische Bündnis als den sicheren Absprung für einen künftigen Perserzug; sie berief sich auf Ägyptens immer steigenden Handel und auf ihren Goldschatz; ja, diesmal gab sie Alexanders Namen preis, um den römischen Mann auch von dieser Seite zu verwirren: Alles, was die Karten zeigten und was sich in Zeichen ausdrücken ließ, mischte sie mit allem, was die Gefühle verbargen und was doch in ihrer melodischen Stimme lockte.

Die Offiziere, die sich mit herausgefordert fühlten, taten ein übriges, und wenige Tage später wurde die entscheidende Proklamation beschlossen, die sie für das Volk, besonders für den lebensvollen Spieler an ihrer Seite zu einer Maskerade ohnegleichen auszustatten entschlossen war.

Noch immer ließ Antonius seinen Hemmschuh an ihrem Siegeswagen nicht los, in unbewußter Furcht, er könnte rasch in den Abgrund rennen. Noch immer glaubte er an sein Doppelspiel, Alexandriner und zugleich Römer zu sein, und wollte nicht König heißen. Tiefströmende Vorgefühle, wie sie die Republikaner seit hundert Jahren mit Scheu vor der Krone erfüllten, Erinnerungen an Cäsars Hand, die die Krone zurückgeschoben, als er, Antonius, sie ihm reichte, mochten sich in seiner Seele bewegen. Zugleich erkannte er wohl, daß ihn seine Frau in diesem Punkte nicht bedrängte.

Denn Kleopatras Gedanken waren einzig auf den Sohn gerichtet. Ihn zu krönen, noch während sie lebte und regierte, war ihr leidenschaftliches Bestreben, denn damit setzte sie den Traum ihrer Jugend fort: Caesarion war Cäsar. Dergleichen aber war Alexandria so neu, daß es der mächtigen Stimme eines Fremden, daß es eines welthistorischen Rahmens bedurfte, und da Caesarion ein halber Römer war, konnte er symbolisch nicht ohne einen Römer gekrönt werden. In solchen Kombinationen, die zugleich für das Volk und für die Geschichte arbeiteten, überstrahlte ihre Staatsklugheit die aller regierenden Männer ihrer Zeit und zeigte, wie Kleopatra mit aller Helle und Schärfe, mit Witz und Verstand die Feinheit der morgenländischen Tradition zu mischen wußte, dazu mit einem Instinkt, der nur den Frauen gegeben ist.

10

Erst kam der Triumphzug: Welch eine Verführung der Alexandriner! So lange Rom stand, hatte kein Römer gewagt, in der Ferne zu triumphieren; sein Traum war immer das Kapitol gewesen, von dem man dann aufs Forum fuhr, um dem Senat und Volk von Rom sich vorzustellen. Das war der Lohn für alle Abenteuer, es gab keinen größeren Tag für ein römisches Herz.

Heute fuhr zum ersten Male ein Römer in der Biga durch die breiten Straßen einer andern Weltstadt und raubte Rom zugleich die Ehre von Jahrhunderten, denn alle, die ihm zuschrien, brauchten griechische oder noch fremdere Worte und Gesten. Niemals hatte Alexandria, die Millionenstadt, erlebt, was jetzt Stil und Regie der Frau, zugleich des Mannes Freude an Maskenaufzügen vollbrachten.

In der Morgensonne kam der Zug vom Palast über den Hügel von Pochias zum Forum, durch die Gärten nach der Hauptstraße, vorbei am Grabe Alexanders, an den Gräbern der Ptolemäischen Könige, am Gymnasion und Museion. Den römischen Legionären, die mit S P Q R den Zug eröffneten, folgte in Ketten der armenische König mit Frau und Kindern; diesmal waren die Ketten von Gold. Dann kam der Wagen des Antonius, gezogen von vier weißen Pferden. Ihm folgten armenische Gefangene, dann fürstliche Vasallen, die Kronen und Kränze trugen, dann ägyptische Truppen mit krummen Perserschwertern, zum Schluß römische Legionäre.

Auf ihrem Thron inmitten eines weiten Platzes erwartete Kleopatra den Sieger; jetzt stieg er ab und führte ihr die Gefangenen vor. Aber da besann sich der armenische König, daß er ein Dichter war, und weigerte sich, vor der Königin zu knien. Er sprach sie nur mit ihrem Namen an, und als die beiden Gatten Blicke wechselten, begriffen sie, daß man ihm dafür das Leben schenken mußte, statt ihn morgen zu töten. So ist es geschehen. Das Volk aber warf sich auf ein Gastmahl, wie sie es nie gesehen, und es war gut, daß die Krönung nicht schon morgen kam; da schlief halb Alexandria seinen Rausch aus. Denn ein paar Tage später steigerte sich auf einem weiten Felde am Rande der Stadt das Schauspiel zu höherer Bedeutung. Sechs Throne waren aufgebaut, zwei goldne große und gegenüber vier kleinere von Silber. Jetzt war es Nachmittag. Eine Kette von Wagen eröffnete den Zug, darauf Silene, die aus Schläuchen und Krügen dem umdrängenden Volke ihren Wein fließen ließen, dann eine Reihe halb gefesselter Elefanten, beides, der Wein und die Tiere, den Alexandrinern heimatlich vertraut. Als schließlich die Hauptakteure ihre Plätze eingenommen, stand Antonius in seiner Lieblingsrolle da: Dionysos, im golddurchwirkten Purpurmantel, den Efeukranz in den noch immer braunen Locken, den Thyrsosstab in der Hand. Und neben ihm saß Isis, die ägyptische Aphrodite, die Doppelkrone ihrer Väter auf dem Haupte, die goldne Schlange gerade über der Stirn, in Gold und Silber angetan: so unbeweglich wie die Götterbilder, die an den Mauern der Tempel die Ägypter lehrten, wie anderthalb Jahrtausende vorher die Pharaoninnen als Isis geglänzt hatten. Sie allein saß, denn heute war Kleopatra eine Göttin.

Ihr gegenüber, dort, vor dem ersten der silbernen Throne, stand Caesarion: nun ein langer, vierzehnjähriger Jüngling, im mazedonischen Mantel, mit der dreihundertjährigen Krone, die Alexanders Nachfolger alle getragen hatten; aber zur Seite hing ihm das kurze römische Schwert. Die Fünfjährigen hatte man höher gestellt, damit das Volk sie sehen könnte: Alexander in armenischer Tracht, mit einer Tiara auf dem kleinen Kopfe, in einer Tunika mit Ärmeln und Hosen auf persische Art; die kleine Kleopatra in weißer Seide mit einem wilden, lydischen Diadem; zuletzt der zweijährige Ptolemäus, ganz mazedonisch, in hohen Stiefeln, Chlamis und dem Filzhut, auch er mit einem Diadem. Jedes der Kinder war umgeben von seiner Leibgarde in ihren nationalen Uniformen.

Nach den Fanfaren erhob Dionysos den dröhnenden Baß. Er sprach von seinen Siegen, dann las er alle die Länder vor, die er vor zwei Jahren in Antiochia der Königin geschenkt hatte; von Rom war nicht die Rede, nur von ihm selbst, und es scheint, er verweilte gern bei seinen Taten. Nun aber proklamierte er den Anbruch einer neuen Zeitrechnung, die sie auf allen Münzen finden würden, geführt von ihr, Kleopatra der Siebenten, Königin von Ägypten, Zypern und Syrien. Der dort steht, Cäsar Ptolemäus, wird heute zum »König der Könige« erhoben, als Mitregent seiner Mutter über Ägypten. Der Knabe Alexander wird König von Armenien und Medien, die Zwillingsschwester Königin von Lydien, der Jüngste, Ptolemäus, wird König von Phönizien und Zilizien.

Und unter dem Geschrei des Volkes, unter dem Dröhnen der Pauken verließen die drei kleinen Kinder den Kreis ihrer Garden und liefen zu ihren Eltern hinüber, um sie mit ihren neuen Kronen auf dem Kopfe zu begrüßen. Die Sonne ging unter: So war es im Programm vorausberechnet.

Kleopatra rührte sich nicht. Sie spielte die Göttin für ihre Ägypter, wie sie es alljährlich beim Feste des Serapis getan. Sie hörte die Menge toben und rufen und dachte sich, daß Antonius sich nicht zu verstellen brauchte, um Dionysos zu sein. Sie sah die Kinder nicht, die sich mit unsicheren Schritten in ihrer Verlegenheit an sie zu drängen suchten. Die Priester und die Offiziere, Hunderte von Köpfen, die ihr seit der Kindheit vertraut waren, das ganze höfische Schauspiel sah sie nicht. Sie sah nur Caesarion.

Dort stand er ihr gegenüber, unbeweglich wie sie, er blickte sie aus schwarzen Augen an, unter gefalteter Stirn, über den wogenden Abgrund hinweg. Er allein fühlte sich wahrhaft gekrönt, und als er zum König der Könige ausgerufen wurde und die Tausende ihm zujubelten, war er der einzige, der ein Gewicht auf seinem Kopfe spürte, nicht einen Schmuck, nicht eine Maske, nicht ein Spiel. Um sein kurzes, römisches Schwert hatte er mit seiner Mutter lange gekämpft, die ihm zuerst ein mazedonisches anbefohlen. Er wußte, daß er immer ein Ptolemäer sein werde, Erbe Alexanders. Aber Cäsar war ihm näher, Cäsar war größer als die Ptolemäer: Er war sein Vater, und er fühlte, daß seine Mutter nie einen andern Geliebten hatte als diesen. Cäsars römisches Schwert wollte er tragen, mit ihm wollte er einst das Land seiner Mutter verteidigen.

Sie aber las hinter seiner gefalteten Stirn, was er dachte. Über den wogenden Abgrund hinweg strahlten ihm aus dem ägyptischen Isisbilde ihre goldbraunen Jägerblicke entgegen, denn er war es, er allein, für den sie durch all die Jahre den Plan und die Krone, für den sie heute dies Schauspiel bereitet hatte. Ja, sie hatte gesiegt. Der Traum ihrer Jugend war dennoch in Erfüllung gegangen: denn dort stand Cäsar mit der Krone! Das große Abenteuer ihres Lebens hatte sich gerundet. Die Kühnheit ihrer Bahn, dies brennende Vertrauen in ihr Schicksal, der Glaube an die Macht und an die Schönheit, alles, was sie seit zwanzig Jahren auf den Wegen der Gefahr durch Kämpfe und Listen, durch Tollheit und Niederlagen erhalten und gesteigert hatte: Jetzt stand es gesammelt vor ihr in dem Bilde dieses Jünglings, der Cäsars schwarze Blicke zu ihr schickte, während die goldne Krone Alexanders sich im scheidenden Lichte zu röten begann.

Plötzlich machte die Göttin eine erschrockene Bewegung: hinter Caesarion erschien ihr Oktavians kalter Blick.


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