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II

Zeus

 

»Wer kennt nicht Cäsarn ohne mein Stammeln?
... Wie wahrhaft groß, rein und gut!
Unbeweglich und unwiderstehlich.
Weise, tätig, erhaben über alles,
sich fühlend Sohn des Glücks, bedächtig, schnell –
Inbegriff aller menschlichen Größe.«

Goethe

 

1

Der Sommer ist schwül in Rom, und wer an den Sprühwind gewöhnt ist, der das vorgeschobene Alexandria vor allen Häfen des Mittelmeeres auszeichnet, fühlt doppelt den Druck der Sommerluft am Tiber, die aus den nahen Sümpfen kommt und nur von seltenen Gewittern zerwirbelt wird. Deshalb fliehen die reichen Römer ihre Stadt und dehnen ihre bukolischen Monate in den albanischen Bergen aus, wo sich im Schatten von Lorbeer und Zypressen alle Intrigen und Geschäfte der Weltstadt bequem fortsetzen lassen und noch dazu die Dichter den unsterblich machen, der sie mit Wein und Frauen zu verwöhnen weiß. Zwar, Catull ist nun tot, der so boshafte und lasterhaft schöne Dinge zu sagen wußte, aber jetzt haben wir dafür den Virgil, der auch manches durch die Blume zu sagen versteht, und den jungen Horaz, von dem kein Mensch weiß, für welche Partei sich seine eleganten Verse entscheiden werden.

Übrigens ist es eine unsichere Geschichte, auf den Nachruhm zu viel zu verschwenden; was man seiner Freundin opfert, dafür hat man einen sicheren Lohn. Am Ende geht doch alles auf Geld hinaus. Ist wohl seit der Zeit der Väter ein armer Mann Konsul geworden oder auch nur Ädil? Viel Geld borgen, um Stimmen zu kaufen, dann an der Macht viel verdienen und noch ein Vermögen zusammenschlagen! Cato lebte wie die Alten und ersetzte sich den Mangel an Geld durch moralische Selbstgefälligkeit; dann endet man eben mit Selbstmord. Was hätten Pompejus und Crassus ohne ihr Geld erreicht? Und nun gar Cäsar! Der scheint in Bestechungen nur noch von seinen Beamten übertroffen zu werden. Die Republik ist alt und müde, man muß sich eilen, unter die Erben zu treten.

In solchen Gefühlen einer allgemeinen Götterdämmerung trieb die römische Gesellschaft schon damals ihr Spiel zwischen Stadt und Land, alle verschwenderisch, obwohl niemand mehr reich war, alle dürstend nach den letzten Genüssen, da keinem mehr Sicherheit für morgen blühte.

Nur in diesem Hochsommer des Jahres 46 blieb alles in Rom, weil Cäsar blieb. Soeben ist er von seinem afrikanischen Siege heimgekehrt, und die letzten Pompejaner hat er in einem großen Siege bei Thapsus geschlagen, die Führer sind gefallen oder getötet, nur der letzte überlebende Sohn ist nach Spanien entwischt. Inzwischen hatten seine Parteigenossen ihm schon auf die ersten Berichte hin die Diktatur auf zehn Jahre antragen lassen: Ein Novum an Gewalt in Roms Geschichte. Er aber hat in einer großen Volksrede beim Einzuge geschworen, er sei kein Tyrann und werde es niemals werden, die Diktatur übernähme er nur auf ein weiteres Jahr, so auch das Konsulat. Die Skeptiker lächeln, doch vorläufig ist alles eitel Freude.

Denn den Römern werden zwei große Sensationen beschert: Im August wird Cäsar seinen Triumphzug halten, und dort werden zwischen einer Million römischer Augen zwei fremde Blicke auf den Wagen schauen. Die Königin von Ägypten ist von Süden her in Rom angekommen, als Cäsar von Norden über Spanien heimkehrte. Ja, Cäsar hat jetzt zwei Frauen und einen Sohn in Rom: Wer wollte da in der Campagna sitzen! Wer immer dazugehören will, muß Cäsars fremde Geliebte gesehen haben.

Kleopatra hatte das Jahr seit der Trennung von Cäsar so still verbracht, wie er es mit Lärm und Siegen erfüllte. Sie hatte ihren Sohn ernährt und aufgezogen, der nun, im zweiten Jahre, bei der Überfahrt auf den Füßen zu stehen begann, wenn das Schiff nicht zu sehr schaukelte. Sie hatte ihr Land nach so vielen Stürmen zu beruhigen gewußt oder doch die paar hundert Männer, die sein Schicksal machten. Im Schutze der römischen Legionen, im Widerschein des machtvollen Protektors, im Gefühl einer gewissen Stabilität hatten sich die Alexandriner mit dem Doppelsinn der Liebschaft und Ehe ihrer Königin abgefunden, und da alle Welt an römischen Lieferungen verdiente, fanden sie bald, der römische General wäre offenbar wirklich der verkleidete Gott Amon gewesen und ihr Kronprinz von beiden Seiten ein Göttersohn.

Sie aber, seine Geliebte, als sie ihn gleich nach seiner Abfahrt in Kleinasien glänzend siegen sah, hatte, als wäre er früher nie siegreich gewesen, die Kraft der Verjüngung sich oder doch dem Sohne zugeschrieben, den unter allen Frauen sie allein dem Cäsar geboren hatte. Durch seine Berichte wußte sie viel, aber durch ihre Agenten suchte sie alles zu wissen, was er in der Ferne tat. Jeder Frau Namen und Züge mußte sie kennen, die sich ihm näherte; wie er mit seiner Gattin stand, das zu erfahren hatte sie ihre speziellen Spione in Rom. Sie hörte, wie er, vierzehn Monate nach seinem Weltsiege bei Pharsalus, mit dieser märchenhaften Verspätung in Rom eingetroffen, rasch alles zu ordnen oder doch zu beruhigen wußte, um zwei Monate später schon wieder aufzubrechen, die Erben des Pompejus zu besiegen. Dann erst, endgültig heimkehrend, hatte er sie nach Rom berufen: jetzt, da er hoffen durfte, wenn auch viel zu spät, doch endlich als Herr so zu regieren, wie es ihm die Alexander-Träume seiner Jugend vorgespiegelt hatten –: allein.

Allein, doch für einen Erben, das war der anfeuernde Gedanke dieses Jahres gewesen, und wenn ihn an einem Abend im Felde die Erinnerung oder in Rom der Vergleich mit jungen und schönen Römerinnen zu der zurückzog, die ihm den Sohn geboren, so sah er seinen Wunsch nach diesem mit seinem Verlangen nach der hinreißenden Geliebten jener kriegerischen Monate verschmelzen. Nun war er ungeduldig, sich ihr im Glänze seines Triumphes zu zeigen, den er im vorigen Jahre aufgeschoben, ihr, seiner zweiten Gemahlin; er war entschlossen, was sich ihm etwa hier entgegenstellte, als Herr zu vernichten.

Durch das Gepränge der Republik, umgeben von Senat und Beamten, hatte Cäsar die verbündete Königin der Ägypter mit ihrem brüderlichen Gatten, dem zwölfjährigen Ptolemäus, und einem Hofe empfangen, der durch den fremden Glanz der Trachten und Gebräuche die Römer gleich mit Staunen und Eifersucht erfüllte. In seinen reichen Gärten am linken Tiberufer – dort, wo heute der Park von Doria Pamphili zum Gianicolo emporsteigt – hatte ihr der Herr von Rom seine Villa und allen Luxus vorbereitet, mit dem der Gast vom Nil ihre Gastfreundschaft erwidern wollte. Dies und das wird er durch einen Befehl verschönert haben, bevor sie ankam, in irgendeinem kleinen, kühlen Räume mag ein Sessel verschoben, ein Vorhang ergänzt worden sein, in Erinnerung an das schwimmende Nilschloß. Als er sie dann am Abend ihres Einzuges allein besuchte, wurde ihm in seiner raschen Sänfte, auf dem Wege von seinem strengen Haus am Forum zu jener phantasievollen Villa, erst recht die Doppelexistenz bewußt, die er heute begann und deren Reize seinem verwöhnten Alter neu waren. Prüfte er im Kopf ihre Gestalt, wie er sie heute bei dem Staatsempfang durchforscht, so fand er sie wieder so knabenhaft wie damals, vor zwei Jahren, als der Teppich aufgeschlagen wurde. Immer aber verdrängte in dieser halben Stunde ein Wunsch jeden andern: das Kind von Angesicht zu sehen, das nach ihren Briefen seine Züge trug.

Als in dem dunstig roten Lichte des Juliabends die Sänfte unter den alten Steineichen hielt, war niemand an der Eisenpforte, alle Sklaven schienen durch ihren Befehl entfernt; er winkte den seinigen ab, trat ein und schritt den breiten Gartenweg zur Villa hinauf, der aufwärts führte. Leicht belustigt sah er in die Gebüsche, ob sie wohl eine neue Tollheit ausgesonnen. Wie heiter kam das alles dem Diktator vor, den alle Welt mit Scheu oder mit neugierigen Blicken erwartete, wo immer er eintrat! Halbwegs zum Hause hörte er ein leises Zischen, wie wenn einer rufen und sich doch nicht verraten will.

Auf einer halbrunden Marmorbank, im Schatten der großen Pinien, saß dort Kleopatra und ließ den Knaben so neben sich stehen, daß er ihr bis zum Halse reichte; indem sie ihn umfaßt hielt, schien sie gehindert, aufzustehen, aber sie lächelte zu einem Gruß von solcher Art, wie ihn dem Cäsar keine Legion und kein Forum anbieten konnte. Staunend blickte er von ihrem zu des Kindes und wieder zu ihrem Gesichte: Ihr war es gar nicht, ihm aber so ähnlich, wie ein Kind den durchfurchten Zügen eines alternden Lebensritters selten geglichen hat; nicht eine Kindererinnerung – es war der Cäsar von heute, in dem sich das Greisenhafte des Kindergesichtes zu wiederholen schien. Staunend blickte es aus schwarzen Augen auf den fremden Menschen.

Cäsar fühlte das Glück dieses Augenblickes, der ihm über so viele Gefahren weg von den Göttern vergönnt war; doch zugleich wußte er um die Vergänglichkeit des Augenblickes und sog seine Schönheit ein mit den Abschiedsgefühlen, die uns beim Sonnenuntergang durchbeben, ungewiß, ob uns ein neues Morgenlicht gegönnt ist. Aufs neue, wie damals, als sie schieden, fiel er bei diesem Wiedersehen in eine nicht zu bannende Schwermut, obwohl er aus Artigkeit zu lächeln versuchte.

Aufs neue war sie in der Kraft ihrer Jugend die Siegerin. Dieser mächtige Mann, den sie heute mittag zum ersten Male im Glänze seiner römischen Würden gesehen, saß hier an ihrer Seite, in einem einsamen Park vor der Stadt, und vertiefte seinen Blick in diesen Erben, den sie ihm verheißen, lenkte den Blick zurück auf sie, mit jener heimlichen Forderung, die sie schon mittags hinter seinem schmalgeschlossenen Munde wahrgenommen. Ja, er war der König von Rom. Der Traum begann sich seiner Erfüllung zu nähern.

2

Die Stimmung der römischen Gesellschaft konnte nicht schlechter sein. Alles strömte nach der Villa jenseits des Tibers, um die fremde Königin zu sehen und zu kritisieren. Den einen schien sie als Ägypterin zu einen Volke zu gehören, das Tiere anbetet, obwohl sie ganz und gar als die Griechin auftrat, die sie von Bluts wegen war. Andere spotteten über die Abkunft dieser sogenannten Königin von einem ptolemäischen Bastard und einer unbekannten Mutter. Man rechnete die Schulden zusammen, die ihr Vater, der ewig betrunkene Flötenspieler, hier hinterlassen, und spottete, ob sie wohl gekommen sei, sie zu bezahlen. Hatte man von Cäsars Gattin zehn Jahre lang nur abfällig gesprochen, so beklagte man sie plötzlich als die wahre, verkannte Gefährtin des Diktators, oder das falsche Mitleid wandte sich der gefangenen Schwester der Königin zu, die hier seit einem Jahre schmachtete, um dann im Triumphe mitgeschleppt zu werden.

Daß die Königin eigentlich gar nicht schön wäre, darin waren alle Frauen mit einem Teile der Männer einig, sicher weniger schön als ein Dutzend vornehmer Römerinnen. Das einzige, was Männer und Frauen an ihr bewunderten, war das Raffinement, mit dem sie diesem Manne von Mitte Fünfzig, der seit langem für unfruchtbar galt, die Abkunft eines Kindes eingeredet hatte, das ihr offenbar von einem frischen Adjutanten besorgt worden war. Da jeder glaubte, ihm könnte dergleichen nicht passieren, war endlich der Druck des überragenden Mannes an einer Stelle gelüftet.

Doch zugleich erhob sich um sie her ein Markt von Schmeichelei, denn eine legitime Königin von Ägypten, die der Diktator öffentlich als seine Erwählte anerkannte, war denn doch etwas mehr als ihr Vater, ein vertriebener König, der sich hier in Gold und Schulden verschwendete, um wieder eingesetzt zu werden. Da morgen oder doch im nächsten Jahre von Cäsar jede Überraschung zu erwarten war, konnte man seinen Vertrauten nie genug huldigen: Anstatt daß seine Verbindung mit einer Fremden jeden monarchischen Gedanken ferner rückte, gaben beide, wenn sie bei einem Feste zusammen erschienen, vielmehr deutlich das Bild eines Königspaares, einen Eindruck, der sich in den skeptischen Köpfen der führenden Römer zur Suggestion, zur unmittelbaren Befürchtung steigerte.

Und doch! Was alle erstaunte, die eben nicht blind bleiben wollten, waren Takt und Zurückhaltung der fremden Königin, über deren Ausschweifungen sich Rom zuvor unterhalten hatte. Statt übertriebenen Reichtums fand man in ihrer Toilette Geschmack, und wenn sie sich nicht nach römischer Mode anzog, so erschien sie dafür nur dezenter. In diesen zwei Jahren, die sie in Rom verlebte, hat keiner von den vielen Brief- und Verseschreibern, die ihr sämtlich übelwollten, eine Koketterie vermerkt, einen Klatsch, auch nur ein keckes Wort, aus denen sich ihr schlechter Ruf beweisen ließe: So voll war ihre Zurückhaltung auf fremdem Boden, so gespannt war ihr Geist auf das eine Ziel gerichtet, das nur hier zu finden war.

Im Innern mochte ihr die römische Gesellschaft nicht mehr imponieren als sie der Gesellschaft, während sie das Gewebe römischer Intrigen und Begierden zu durchschauen suchte. Auf diese Spur setzte sich zunächst die natürliche Neugier der Ägypterin, die von Kindheit an nach Rom ausgeschaut hatte, wo denn nun das Geheimnis seiner Macht über ihr eigenes Land liegen möge. Auch machte es ihr Spaß, sich große Leute zu kaufen, die ihrem Vater einmal Geld abgeschlagen hatten; sie bediente sich dazu desselben Amonios, den dieser hier zurückgelassen und der ihr, ein echt levantinischer Spürhund, nun die hundert Dessous der verschwägerten oder verfeindeten Familien im Zentrum einer Republik zuflüstern konnte.

Aber ihr wahrer und leidenschaftlicher Zweck war doch, die Charaktere zu erkennen, die auf Cäsar wirkten oder in der Zukunft wirken konnten; aus der Sicherheit, wie er jeden einzelnen unterschied, berechnete sie, wie tief er in diesem Boden wurzelte. Und all diesen Einflüssen und Interessen sollte sie, ganz allein mit ihrem Sohne, den Weltplan entgegensetzen, als ein ferner Fixstern sollte sie den Kometen aus dem Kreise von tausend Gestirnen ablenken! Dazu mußte sie die Natur dieser Gestirne kennen und ihre Attraktion an den Kometen.

Wenn sie in den ersten Monaten an bestimmten Tagen in ihren Gärten empfing und sich das elegante Rom an ihre kühle Delikatesse zu gewöhnen schien, war Antonius nicht unter den Gästen. Er grollte Cäsar, denn dieser hatte ihn bei seiner Rückkehr aus Ägypten hart angefaßt, und dazu war Antonius zu groß geworden. Hundert Dinge, die er nach Cäsars Einsicht als sein Vertreter falsch gemacht, hätte dieser große Herr ihm rasch vergessen; daß er aber den Palast des ermordeten Pompejus gekauft, zugleich seine griechischen Statuen und seinen Weinkeller usurpiert und nichts davon bezahlt hatte, war ein Ärgernis, dergleichen die alten Pompejaner in Rom nicht gegen sein Regime verbreiten sollten. Er drängte darauf, der andere ließ sich nichts vorschreiben, es kam zum Wortwechsel, zum Bruch. Cäsar machte ihn nicht mehr zum Mitkonsul und zog seinen Rivalen Dolabella heran, den dieser um der Weibergeschichten willen haßte. Antonius aber schimpfte nun in Rom herum und stieß Drohungen gegen Cäsar aus.

Kleopatra studierte die Gesellschaft. Wenn Cicero zu der Königin aus dem Garten ins Atrium trat, wo sie gern ihren Hof hielt, forschten sich beide mit Blicken aus, sie mißtrauten einander. – Ist dieser noch ein Freund Cäsars? – fragte sich Kleopatra. Cäsar schwieg, als neulich von ihm die Rede war. Im Prozeß des Catilina wagte er Cäsar nicht anzugreifen, später hat er von ihm ein Darlehen genommen. Einmal soll er ehrenvoll verbannt gewesen sein. Was aber heißt »ehrenvoll« in Rom? Und wer war wohl nie verbannt, der heute abend in diesem Garten Intrigen spinnt? In Kleinasien soll er auch Geld gemacht haben wie die andern, trotz seiner moralischen Reden; wer hätte ihm sonst die schöne Villa bezahlt? – Aber nun lächelt sie, und da er in glänzendem Stil über ein gewisses Original spricht, das sich aus dem Brande der Bibliothek erhalten haben soll, verspricht sie ihm, sogleich darum nach Alexandria zu schreiben. Dann spannt sich ihr Blick, und gleich darauf empfängt sie zwei langgewachsene junge Leute.

Nie kommt er allein, denkt Kleopatra und muß sich zwingen, dem Hageren von beiden die Hand zu reichen. Dieser Sechzehnjährige ist ihr zuwider, aber Cäsar spricht freundlich von ihm. Es ist Oktavian mit seinem Freund Agrippa. – Was kann Cäsar an diesem Neffen gefallen, denkt sie und prüft aufs neue seine schlechte Haltung und den fleckigen Teint, immer blaß und nie sauber gewaschen, das hellbraune Haar wieder so schlecht gekämmt wie neulich, dabei beständig um seine Gesundheit besorgt, immer zwischen Büchern lebend, man sieht es. – Dabei hat der Junge in seinen glanzvollen Augen einen gierigen Blick, der von geheimen Lastern spricht. Hätte sein Großvater, der alte Wucherer von Velletri, nicht den Leuten das Gold aus der Tasche gezogen, sein Vater hätte nie in Cäsars vornehme Familie heiraten können.

Ich kenne deine dunklen Wünsche, Oktavian, denkt sie weiter. – Wenn du schon nicht Cäsars Feld pflügen kannst, so möchtest du doch um jeden Preis sich seiner Saat bemächtigen! – Und mit einem plötzlichen Einfall wendet sie sich einer Sklavin zu, läßt sich das schlafende Kind von der Wärterin bringen und hält es nun dem bleichen Jüngling vor die schnüffelnde Nase. Er sieht ihn nicht, den Pfeil, den sie aus ihren goldbraunen Augen ihm mitten ins Herz schießt. Der sechzehnjährige Oktavian, Großneffe Cäsars und sein Protegé, starrt nur auf die Züge von Cäsars Sohn. Schatten unbekannter Ereignisse, unübersehbar, aber vorgefühlt, schwanken zwischen diesen drei Menschen, während der harte Agrippa wartet, ob man sich nicht bald empfehlen kann.

Er gönnt ihm nicht das Leben, denkt Kleopatra und sieht mit leisen Blicken auf ihr Kind herab. – Träumt er davon, einmal den kinderlosen Cäsar zu beerben, so muß ihm Cäsars Sohn verhaßt sein. Man muß die Wache drüben am Pavillon verdoppeln.

Doch da tritt ein neuer, sonderbarer Besucher heran, und während sich die jungen Leute verabschieden, reicht sie die freie Linke dem Manne, denn im rechten Arm trägt sie noch das Kind. Ernst betrachtet der Fremde das schlafende Wesen. Die Königin merkt, man wird in Rom räsonieren, daß sie mit dem Kinde empfängt; auch hat sie dergleichen nie getan, und nur der Haß gegen den Jüngling hat es ihr heute eingegeben. Jetzt aber, da der Zufall so sonderbar waltet, hält sie es noch eine Weile fest: Der vor ihr steht, gilt selbst für Cäsars Sohn, denn es ist Brutus.

Auch diesen empfängt die Königin nur mit Geduld, weil Cäsar für ihn sprach. Kaum dreißig, müßte er in seiner männlichen Haltung, mit seinem ernsten, forschenden Blick der Frau von vierundzwanzig gefallen. Denkt sie sich ihn aber in der Liebe – und Kleopatra denkt jeden Mann in der Liebe, den sie beurteilen will –, dann lehnt sie ab: Sie fühlt, daß Brutus sich niemals hingibt.

Und doch ist er nicht Cäsars Sohn, denkt sie, obwohl sein Blick so sehr dem seinen ähnelt. – Oder Cäsar ist im Medium einer fremden Frau so ganz untergegangen wie ich hier in dem seinen! – Und als müßte sie beide Wesen scheiden, gibt sie das Kind der Pflegerin zurück und hört Brutus zu, der als der einzige nie von der Gesellschaft, immer gleich von Grundsätzen spricht und heute mahnt, sie sollte den Knaben pythagoräisch erziehen, damit er lerne, sich jeden Abend Rechenschaft abzulegen. Die Königin scheint ihm zuzuhören, sie nickt zuweilen, aber sie sieht nur einen Eiferer vor sich, der sich, wer weiß vor was für dunklen Trieben, in seine Rechtschaffenheit gerettet hat.

Wieder einer von diesen klotzigen Lateinern, denkt die Griechin. – Was hat er sich nicht alles moralisch zurechtgelegt! Erst wendet er sich dem Pompejus zu, der seinen Vater umgebracht hat, weil Recht und Ordnung, wie sie es nennen, auf seiner Seite sei. Vor der Schlacht soll er sich Auszüge aus dem Polybius gemacht haben, statt die Sättel seiner Reiter nachzuprüfen. Und doch hatte Cäsar ausdrücklich empfohlen, ihn zu schonen, wenn man ihn auf der Flucht erwischt, und als er dann mit dem Sieger ging, nahm dieser ihn glänzend auf. Zum Dank nimmt er sich eine Frau aus der gefährlichsten Ecke Roms: Tochter Catos und Witwe eines Erzfeindes! Da drüben stellt ja diese eingebildete Matrone!

Jetzt spricht Brutus über Varro und fragt, ob die Königin seine Schrift gegen orientalischen Luxus zur Erneuerung altrömischer Einfachheit gelesen habe. Sie verneint, heißt ihn weitersprechen, aber statt zuzuhören, denkt sie: Was für ein taktloser Römer! Diese ganze selbstgerechte Familie! Dabei hat er in Zypern als Gouverneur meinen Leuten Geld zu 47 % geliehen! Cäsar aber – wahrhaftig, diesem Menschen verzeiht er alles. Es ist, als fühlte er sich geehrt, daß sich der Herr Pompejaner zu ihm herabläßt! Neulich sagte er, er wolle ihn zum Prätor machen! Als ich ihn staunend ansah, lächelte er und sagte, man müßte seine Feinde vergessen! Was für ein elendes Leben muß das sein: ohne Rache! Gut genug, um sich Verschwörungen großzuziehen. Wir hatten genug davon zu Hause, diese Moralisten sind die gefährlichsten. Man muß Cäsar warnen – und wenn es wirklich sein eigener Sohn wäre!

Die heißhungrige Servilia hatte damals ein so weites Herz, daß niemand sicher weiß, ob ihr Sohn Brutus von Cäsar stammt. Cäsar glaubt es, aber Brutus, bei dem alles nach dem Gesetze gehen muß, will es nicht wahrhaben. Wieviel Mißgunst überall! Wie viele Feinde! Hat Cäsar noch einen Freund?

3

An manchem Morgen stand Kleopatra in ihrer Villa dem griechischen Bildhauer Archelaos Modell. Da das Werk nicht erhalten, wissen wir nicht, was sie dazu anzog, aber seine Bestimmung durch Cäsar zeigt, daß es sehr viel nicht gewesen sein kann. Von ihrer Schönheit ist nur eine einzige Büste sichergestellt und eine Münze; gut, die Beschreibungen sind karg, und so geht es ihr in der Geschichte ähnlich wie Alexander, dem im Leben nur ein großer Dichter fehlte, so wie ihr ein großer Künstler. Um so freier ist die Imagination. Wurde diese Statue zu spät angefangen, ist der Meister in seiner Arbeit durch Launen oder Gesellschaft zu oft gestört worden: Sicher ist, daß sie unvollendet vor die Augen des Volkes kam, und zwar unter erstaunlichen Umständen.

In diesen ersten Wochen, da der Hochsommer sonst die Straßen verödete, war ganz Rom in belebter Erwartung. Die Königin ließ sich gern unerkannt von wenigen Dienern allein durch die Straßen tragen; sie wußte, Cäsar ließ sie dabei bewachen, aber sie tat, als sähe sie es nicht. Wenn sie in Alexandria das Leben der Sklaven und der Armen gar nicht sah und kaum wußte, daß sie mit all ihrem Königsglanze auf diesen zahllosen Köpfen stand, hier spürte sie dem Leben des kleinen Mannes nach, denn hier hing Cäsars Macht noch von seiner Stimme ab, zum mindesten von seiner Stimmung, die umschlagen oder deren Umschlag die feindlichen Parteien wünschen konnten.

Wenn sie dann an einer unbewachten Ecke ausstieg und mit einer Sklavin durch die dumpfen Viertel der Weltstadt strich: Wie eng schien ihr alles, wie winklig und dazu so hügelig! Backsteinmauern, unübersehbar, viel Schmutz und wenig Licht, eine gepferchte, kinderreiche Menge im Gestank faulender Abfälle. Nur drei Straßen Roms waren mit Pferden zu befahren, und weil sich alles drängte, durften Lastwagen nur nachts fahren. Da hörte sie es vom Sonnenuntergang an dröhnen und erfuhr, wie nachts, bei hageren Fackeln, Marmor, Stämme und Ziegel von den Wagen polterten, und die skeptische Königin begann über die Nervenstärke der Römer zu staunen, die all dies schlafend ertrug.

Wieviel dieser Magazine hatte ihr eigenes Land gefüllt! Da war alexandrinisches Leinen und Glas und Häuser voll von Schreibpapier, dessen Fasern alle am Nil gewachsen waren. Aber dazwischen – das hatte ihr der Vater schon erzählt –, dazwischen rauschte das Wunder von Rom, das viele Wasser in Brunnen und Bädern, wonach sie ewig durstig schienen und das sie in Röhren bis an die Platte ihres Eßtisches zogen.

Da sah sie die Häuser verarmter Ritter, die während des Bürgerkrieges in die Hände von reich gewordenen Abenteurern gefallen waren. Der größte Bäcker von Rom gab in seinem Palaste politische Bankette, deren Gespräche selbst Cäsar interessierten. Sie erfuhr, wer hier aus Syrien kaufte und nach Gallien verkaufte, wer Lösegelder verwucherte und wer die Grundstücke in Wahrheit hergab, mit denen der nie gesättigte Landhunger der alten Legionäre gestillt werden mußte. Sie sah das Marmorschloß des Ritters Marmurra, der dem Lukullus nacheifern wollte, und davor am Festtage die tausend langen Tische, an denen Cäsars Volkspartei den Wahlvereinen hundert Ochsen servieren ließ. Alles schien ihr überfüllt in diesem sommerlich fiebernden Rom; nur die Tempel waren verödet.

Ja, auf den Straßen sah Kleopatra, was sie von der Gesellschaft nur lückenhaft, auch lügenhaft erfahren und was ihre Jägernatur mit Auge und Nase besser begriff: das Wanken einer alten Republik, die Verfälschungen der Demokratie, das Faulen alter Grundsätze, alles untergehend in Bestechungen, bis vom Gedanken gleichberechtigter Bürger nur noch ein fahler Schatten auf den Machtwillen einiger Glücksritter fiel. Je häufiger sie diese Männer mit Cäsar verglich, um so höher stieg Cäsar.

Gab es in diesem Rom noch Götter, fragte sich die Königin. Auch in ihrer Hauptstadt war der Glaube geschwunden, aber dort galt ein geheimes Abkommen, daß alle Welt die gleiche alte Form gelten lasse. Hier, auf der römischen Straße, fand sie den Mithrasdienst neben ihrer heimatlichen Isis, eine Art Abendmahl des persischen Gottessohnes neben ägyptischen Prozessionen, wo man aus einem Busen von Gold Milch tröpfeln ließ. Vielleicht hörte sie einmal im Theater den lauten Beifall, der sich bei den Versen des Ennius immer erhob: die Götter kümmerten sich ganz und gar nicht um unsere Sorgen oder sie war dabei, als ein altrömischer Nachzügler dem Schauspieler, der grinsend die Verbrechen der Diana vortrug, von oben zurief: »Mögen die Götter dir eine Tochter bescheren, die alle diese Verbrechen begeht!«

In dieser Stimmung des Unterganges fand sich alles fatalistisch gestimmt: Die Götter rührten ja doch keine Hand! Das einzige, dem man noch trauen konnte, waren Kometen und Meteore, Mißgeburten und Erdbeben. Hatte nicht Cäsar selber als Pontifex maximus im Senat gesagt, der Tod sei das Ende aller Dinge? Das war dem Mann auf der Straße aus dem Herzen gesprochen. – »Werft euch wie Cäsar ins Rauschen der Begebenheit«, rief er aus, »denn er versteht sich auf Feste und auf das Geld, und wenn er dann noch etwas für die Republik dazu erobert, so mag man ihm nur immer seine Diktatur verlängern. Er ist freigebiger als Pompejus, Crassus und Sulla zusammen gewesen!«

Wie klug war Cäsar! Mitten im Luxus hatte er soeben ein Gesetz gegen den Luxus erlassen, und während er die eleganten Frauen in ihren üppigen Sänften in der Verwendung von Purpur und Perlen um eine Kleinigkeit beschränkte, gefiel er den Handwerken mit seinem Gesetze; für sie verschwendete er seine Spiele und führte im neuen Zirkus sogar Krokodile vor, die er vom Nil mitgebracht, und wenn die Elefanten klagend trompeteten, war jedermann gerührt, der gestern noch mit rasendem Beifall den Tod eines Gladiators begrüßt hatte.

Befremdet kehrte Kleopatra von ihren Wanderungen durch Rom zurück. Erwachsen zwischen Gift und Dolch, unbekannt mit allen Ressentiments der Platoniker, in ihrer Lebensfrische fühlte sie sich abgestoßen von diesem Schauspiel, in dem Volk und Gesellschaft seinen Lüsten nach Geld und Genüssen alte Namen gab, die nicht mehr galten – ein großer Selbstbetrug. Cäsar erschien ihr der einzige, der ihre eigene zynische Unschuld teilte, und wäre sie ihm erst hier und heute begegnet, um dieser souveränen Freiheit willen hätte sie ihn liebengelernt. Nur weil sie ihn von keinem Zweifel geschwächt fand, erschien er ihr als der geborene König und deshalb als ihr Partner.

Brutus aber, der sich vor seinem Gewissen rechtfertigen mußte, wenn er eine Partei mit der anderen wechselte, war ihr um seiner Moral willen verhaßt. Als man ihr auf dem Kapitol neben den alten Königen seinen Ahnherrn zeigte, jenen Brutus, der den letzten König von Rom gestürzt hatte, war ihr der Anblick des Kapitols verleidet.

4

Doch Cäsars Triumph begann mit einem Zeichen, vor dem Kleopatras nach Zeichen suchendes Gemüt erzitterte.

Dort kam unter dem Geschrei der Menge langsam seine Biga daher, hoch sah sie seinen Kopf über die andern ragen, und während er die Zügel der vier goldbraunen Pferde hielt, grüßte Cäsar den römischen Gruß. In der Sonne schienen ihr seine Züge grau und alt, aber sein nackter Arm war sehnig und rosig. Auf der Tribüne suchte sein Blick nur sie, die nahe Cäsars Gattin saß. Da, keine hundert Schritt entfernt, sah sie ihn plötzlich schwanken, dann herabspringen, laut rauschte die Menge auf: Eine Achse seines Siegeswagens war gebrochen! Man schickte, rannte, rief, er mußte auf einen zweiten Wagen warten, der erstaunlich rasch zur Stelle und bespannt war.

Nun aber, als er den neuen Wagen vorüberführte und alle die Tausende auf seine Miene blickten, faßte er Kleopatras Blick, für die er dies Fest verschoben hatte. Er lachte. Cäsar lachte sie von seinem Wagen an, dann wies seine Hand auf den Mann, dessen schwerklirrender Tritt vor seinem Wagen hallte, und als er sie nun aufs neue mit seinem kühnen, schwarzen Blicke traf, schien er ihr zuzurufen: Ist dem besiegten König die Kette gesprungen? Mein ist heute der Wagen, und sein ist morgen der Tod! – Mit diesem Ausdruck riß er sie hin, daß sie ihr dunkles Vorgefühl wie einen Funken mit dem Fuß austrat, bis es knisternd erlosch. Alles Volk jubelte und fand kein Ende, als er dann abends hinter seinem Wagen vierzig Elefanten mit aufgebundenen Fackeln zum Forum herunterführte.

Aber Kleopatras Rachelust befriedigte sich erst beim zweiten Triumphe; denn Cäsar, der noch nie einen gefeiert hatte, veranstaltete im August 46 im Laufe weniger Tage vier Triumphe: den zweiten über Ägypten. »Nur über die geschlagene Partei« – so hieß die offizielle Deutung –, zu Ehren der legitimen Königin, die dort auf der Tribüne saß. Da sah ihr begieriger Blick zuerst in Bildern ihre getöteten Feinde, Achillas und Pothinus, vorüberziehen, die sie einst vom Throne verjagt hatten; dann aber, dicht vor Cäsars Wagen, der diesmal nicht brach, kam gekettet Arsinoë, die zweite ihrer treulosen Schwestern; auch jetzt noch schleifte sie mit den Füßen. Ach, daß die Augenblicke fliehen und ihr der Anblick nur Minuten gegönnt war! Sie starrte ihr noch immer nach, die Rache genießend, und sah kaum die nachfolgenden traurigen Giraffen, die heute zum ersten Male dem brüllenden Volke gezeigt wurden. Kleopatras ganzes Sinnen blieb ganz der geketteten Schwester zugewandt.

Plötzlich trat ihr das Bild ihres Onkels aus Zypern vor Augen, der damals, als sie ein Kind war, das Gift dem Schicksal des Gefangenen vorgezogen. Zum zweiten Male im Leben fühlte die vierundzwanzigjährige Kleopatra, was Schande und Ehre, was der Triumphzug und was der Selbstmord bedeuteten, und mit dem nachtwandlerischen Vorgefühl genialer Naturen berührte sie in dieser Stunde ein noch weit entferntes Schicksal. Sie hörte deshalb auch nicht die frechen Verse, die die Veteranen im Zuge sangen und die sie und Cäsar mit Anzüglichkeiten trafen, so daß alles lachte und Cäsar dazu. Sie sah nur immer den gebeugten Hals der verhaßten Schwester, wie sie, den Blick in den Boden rammend, die Füße schleifend, versuchte, den Augen der Menge zu entgehen. Da Cäsar andern Tages ihr sagte, es wäre klüger, Arsinoës Leben zu schonen, verstand sie ihn nicht mehr.

Als schließlich am letzten Tage des Triumphes Karikaturen von Cato im Zuge getragen wurden, fing die Königin das unwillige Flüstern von ein paar Patriziern auf der Tribüne auf, aber da freute sie sich, daß Cäsar heute nicht klug war wie gestern; sie freute sich, daß er die ewig kalten Vornehmen reizte; vollends am Abend, als er nun auch den Pöbel zu harangieren begann, indem er sich am Schlusse seiner feierlichen Triumphe mit Pantoffeln an den Füßen zeigte. Diese Verachtung der Menge verbürgte ihr aufs neue den König in Cäsar. Denn Kleopatras Staatsklugheit ging zuweilen in dem leidenschaftlichen Wunsche unter, allen eine Nase zu drehen, dem Volk und den Großen, den Priestern und den Ministern, den Bäckern und den Waffenschmieden, ihnen allen auf dem Kopfe herumzutanzen und ihnen zu zeigen, daß sie alle Eunuchen wären!

Für so ausschweifende Stimmungen kam der große Tag schon im September, dicht nach den Triumphen. Cäsar hatte der Venus Genetrix, der Mutter seines Stammes, einen neuen Tempel gebaut und weihte ihn mit Volksfesten ein, die alle früheren übertrafen. Im Zirkus ließ er Gladiatoren nicht bloß gegeneinander, auch gegen wilde Tiere kämpfen, und einem verarmten römischen Ritter, der sich als erster zum Theater hatte erniedrigen lassen, gab er nach seiner Szene durch einen goldenen Ring die Würde wieder, die er als Schauspieler verloren. Er ließ Tragödien in allen Vierteln von Rom, und zwar für die vielen Fremden in vier Sprachen spielen, und schließlich gab er dem Volke das nie gesehene Schauspiel einer Seeschlacht, in der er auf einem künstlichen See vor der Stadt ägyptische Schiffe einander beschießen ließ. Unter solchem Lärm wurde der Tempel der Venus eröffnet.

Was aber sahen die vornehmen Römer, die der Weihe beiwohnten? Die Statue der Kleopatra als Venus. Den Häuptern der Republik führte Cäsar die Königin von Ägypten, seine Geliebte, in ihrem göttlichen Ursprung vor, wie sie in ihrer Heimat verehrt wurde. Ja, um dies mit weidenden Augen zu genießen und den andern zu zeigen, verlor er sogar seine größte Tugend, die Geduld, denn die Statue war noch nicht fertig, und das schöne Modell scheint seine weiblichen Wünsche ihm vergebens vorgetragen zu haben.

Es war ein Affront gegen alle Traditionen, die heiligen und die weltlichen. Was war es dagegen, daß Clodius als Statue der Freiheit einmal eine Kokotte dem Cicero vors Haus gestellt oder daß Pompejus seine schöne Flora zum Modell eines Gottesbildes gemacht hatte? Heute begriff jeder – und die meisten begriffen es mit Entsetzen –, was die Statue der vergöttlichten Königin im Tempel von Cäsars Familiengöttin bedeutete! Denn um es noch deutlicher zu sagen, brachte er zugleich eine Münze unter die Leute, auf der als Venus und Amor Kleopatra mit Caesarion im Arm zu erkennen war.

Mit diesem eleganten Einfall, an dem man den Dichter in Cäsar erkennt, hatte er den Bürgern seiner Hauptstadt die Auffassung vorgeschrieben, die sie von seiner Geliebten, und die Richtung angedeutet, die sie von seinen Plänen haben sollten. Kurz darauf ließ er ein Gesetz im Senate vorbereiten, das ihm nach orientalischem Muster mehrere Ehen gestattete. In der stets abwägenden Klugheit, durch die sein Alter die jünglinghafte Königin überragte, hatte er im Fall einer Scheidung ungünstige Folgen berechnet und deshalb diesen neuen Weg gewählt, um seinen Sohn auch nach römischem Rechte zu legitimieren. So baute er zugleich von oben und von unten, im religiösen und im juristischen Sinn am Fundamente seiner Familienherrschaft.

Denn eine Dynastie aus eigenem Blute zu gründen, war damals, anderthalb Jahre vor seinem Ende, Cäsars tiefster Wunsch. Vor der Erfüllung stand nur noch ein einziges, großes Unternehmen.

5

Kleopatras Spannung wuchs und damit ihre Wachsamkeit. Je mehr sie Cäsar wagen sah, um so höher schlug ihr Herz, aber es schlug auch in Mißtrauen. Hatte Cäsar noch Freunde? Das kahle, kalte Feld, das sie und ihn von der Gesellschaft trennte, schien in diesem Herbste rasch zu wachsen. Die Statue der Venus hatte allen Unzufriedenen willkommenen Stoff geboten. Es war nun klar: Nach vier römischen Ehen, aus denen nur eine Tochter hervorgegangen, die längst verschieden war, hatte der Diktator eine Fremde zur Mutter seines Geschlechtes erwählt. Was lag näher, als daß er sich zum König dieser Königin krönen würde? Schon hat er sich für das Jahr 45 zum alleinigen Konsul ernennen lassen und seine Diktatur zugleich auf ein weiteres Jahr erneuert: eine Ansammlung von Macht, die nicht einmal Sulla besessen! Die Erwartung stieg zugleich mit der Furcht, die allgemeine Ungewißheit mit der Erwartung. Alle Blicke spannten, alle Gehirne entzündeten sich: Rom war durch die monarchische Gefahr alarmiert.

Und nicht nur Rom. In Spanien hatten sich alle unzufriedenen Soldaten unter dem Sohn des Pompejus nochmals gesammelt; vier Jahre nach seinem Beginn war also der Bürgerkrieg noch immer nicht zu Ende. Im Augenblick, da seine Weltpläne sich endlich zur Verwirklichung zu runden schienen, mußte der Diktator aufs neue aufbrechen, um Römer zum Kampfe gegen Römer zu führen. Diese Unterbrechung aller Pläne bedeutete zugleich eine neue Trennung von Kleopatra, die im moralischen Sinne schutzlos blieb, wenn Cäsar Rom verließ. Seine Feinde pflegte er zu besiegen, das wußte sie. Wie aber, wenn ihn ein Geschoß traf, da er mit den Jahren nicht gelernt hatte, sich in der Schlacht zu schonen! War er noch stark genug? Es war Winter, die Straßen am Abhang des Appenins waren rauh, bei Tapsus, in seiner letzten Schlacht, hatte ihn plötzlich der Krampf befallen. Mit beklommenen Gefühlen schieden diese beiden Menschen; der Abgrund der Generationen, der zwischen ihnen lag und sich mit steigenden Jahren immer vertiefte, schien nur durch körperliche Gegenwart zu überbrücken. Waren sie getrennt, so erhob sie sich vor ihm in der Ferne als eine Traumfigur; er schien ihr ein alter Mann.

Mit einem Netz von Kurieren suchten sie sich dauernd zu verbinden, aber beide wußten, daß jeder den andern noch mit geheimen Spionen umgab, bei deren Auftauchen sie vielleicht lächelten. Konnte die schöne Königin nicht einem jungen Römer, konnte dem gewaltigen Herrn nicht eine andere Fürstin gefallen? Vorläufig schien seinen freien Augenblicken der Geist zu genügen, denn auf der Reise nach Spanien schrieb Cäsar den »Anti-Cato«, eine Schrift gegen die republikanische Ideologie, die Cicero verherrlichte. Dann wurde Cäsar wieder Feldherr und verschwand in den Gefechten.

Kleopatra kämpfte zugleich für ihn in Rom. Hatte Cäsar noch Freunde? Machte er nicht einen kapitalen Fehler, wenn er beständig seine Feinde zu vergessen suchte? Die alten Pompejaner, deren kalte Blicke die fremde Frau seit der ersten Begegnung empfunden, rückten leise zusammen, denn der Ausgang des neuen Bürgerkrieges war ungewiß, und jeder durfte hoffen. Kleopatras Agenten waren überall, sie hörten die Unzufriedenen auf der Straße räsonieren, den Schweigenden folgten sie in ihre Häuser; jedes noch so stockrömische Wort in den Epigrammen ließ sie sich erklären. Beständig suchte Kleopatra die Stimmung der Volksviertel zu erhaschen und verglich sie mit denen der Gesellschaft.

Dort suchte sie vorsichtig den Wechsel der Kriegsstimmung zu erlauschen. Was sann und spann Cicero, dessen Stimme noch immer eine der mächtigsten war? Dem Löwen war er immer ausgewichen. Jetzt gratulierte er ihm zu seiner neuen, in Rom rasch verbreiteten Schrift, um die Generosität eines großen Autors gegenüber einem dilettierenden General zu beweisen. Doch zugleich beschloß er, vor diesem zweiten Alexander den zweiten Aristoteles zu spielen, und schrieb ihm einen Brief, er möge, gleich jenem Griechen, nur als der erste Bürger Rom regieren. Es war ein Staatsbrief, im Grunde für die Nachwelt und den Ruhm geschrieben – aber zuletzt hielt der berühmte Autor auf den Rat eines schlauen Geldmannes seinen historischen Brief doch lieber zurück.

Kleopatra wußte alles, sie schrieb es dem Cäsar, der, neugierig wie alle Diktatoren, sich an dem Klatsch seiner Hauptstadt im Felde erfrischte. Sie wußte auch, daß Brutus beständig mit seinem Schwager Cassius zusammensteckte. Und was mochten ihre beiden Frauen planen, die doch alle im Schatten von Cäsars einstiger Geliebten Servilia zu leben schienen?

Wenn Cassius in die Villa jenseits des Tibers kam, denn in den Gärten war es jetzt zu kalt zum Sitzen, Cassius mit seinen scharfen Zügen, seiner entschiedenen Stimme, so zuckten Blitze von einem Augenpaar zum andern: Dieser metallene Mann hätte Kleopatra vielleicht gefallen, die geschmeidige Frau hätte ihn sicher gereizt, hätte nicht Cäsars Schatten zwischen ihnen gestanden, um den sie unsichtbar kämpften, denn daß Cassius ihn haßte, wußte sie längst. Eigentlich waren die Löwen schuld an diesem Hasse. Als die griechische Stadt Megara sich noch nach Cäsars Sieg bei Pharsalus weigerte, seinen Legaten die Tore zu öffnen, und dafür beschossen wurde, ließen die bedrängten Bürger am Ende ein paar Löwen los, die Cassius einige Zeit vorher aus Afrika mitgebracht und dort stehengelassen hatte, um sie später unter seinem Namen im römischen Zirkus kämpfen zu sehen. Diese wieder eingefangenen Löwen erklärten jetzt Cäsars Beamte für ihr Eigentum und gaben sie nicht mehr heraus. Cassius machte seinen Herrn verantwortlich: Wie konnte dieser Konsul, dieser Cäsar es wagen, ihm das Symbol der Macht zu stehlen, ihm, der die Trümmer des römischen Heeres in Persien gerettet hatte, während Cäsar Tausende von Römern zwecklos in Gallien opferte! Er wird es ihm nie vergessen!

Wieder ein vergessener Feind, denkt Kleopatra, als sie Cassius an einer Säule stehen sieht. – Wieder ein zu schnell begnadigter Pompejaner! Hat er nicht unter Pompejus in Messina dem Cäsar dreißig Schiffe von seiner Flotte verbrannt? Dabei sprüht allen die Eifersucht aus den Blicken, denkt sie weiter. – Sieht Cäsar es nicht? Will er's nicht sehen? Allen diesen jungen Leuten kommt er zu alt vor, um so viel zu besitzen: Der eine mißgönnt ihm seine junge Geliebte, der andere seinen Sohn, der dritte seine Löwen! Dabei haben sie alle denselben Augenaufschlag, wenn von der Freiheit des Bürgers die Rede ist. Vorher, als Pompejus hier kommandierte, schwärmten sie für ihren Diktator, der dieselbe Freiheit mit Füßen trat, ja, dieser Cassius hat noch bei Pharsalus gegen Cäsar gefochten! Lauter Überläufer, die er nach dem Siege aufnahm! Hätte er sie gleich alle vernichtet, statt sie zu versöhnen, er läge nicht heute wieder im Kampf da draußen! Daß seine Weltpläne für morgen ihn den Feind von gestern vergessen lassen, daß er zu rasch lebt, um zu hassen, und kurz: daß Cäsar sich nicht rächt, das ist die einzige Schwäche, die ihn von uns Königen unterscheidet!

Jetzt sieht sie Cassius zu einem langen Menschen von gegen vierzig treten, dem sie mißtraut wie jenem: Decimus Brutus, der andere Brutus: Das ist nun vollends ein Liebling des Cäsar, der ihn ganz jung zum Admiral gemacht hat, denn auf der Überfahrt nach Britannien und später gegen die Veneter soll er sich großartig geschlagen haben. Diesen glänzenden Offizier, der auch immer bei seiner Partei gewesen, hatte Cäsar zweimal zum Gouverneur von Gallien gemacht und ihn dabei Millionen verdienen lassen. Was also sollte ihn verdächtig machen? Nichts als sein steigender Hochmut, Kleopatras Jägerauge hatte einmal einen Blick aufgefangen, mit dem dieser dem vorübergehenden Chef gefolgt war, voll abmessender Kritik, und das kleine spöttische Zucken um den Mund des Jüngeren, das diesem Blicke folgte, nur eine Sekunde lang, hatte ihr seinen Haß enthüllt und ihren eigenen ansteigen lassen, weil sie sich an einem Liebling Cäsars eben nicht rächen konnte.

Nun aber wird ihr Blick von der Gruppe abgezogen, denn eine stolze Frau von hohem Wuchse mit vollem schwarzem Haar ist auf sie zugetreten, die ihren Rücken noch besonders zu steifen scheint; es ist Oktavia, Cäsars Großnichte, die die Königin sowenig leiden kann wie ihren jüngeren Bruder Oktavian, den Jüngling mit dem schlechten Teint und den kalten Augen. Die Frauen fangen an, vom gestrigen Wettkampf zu reden, und als Kleopatra über das Nashorn lacht, das den Verbrecher aufgespießt hatte, legt die fromme Oktavia die Hand auf die Augen. Währenddessen erwägen beide Frauen, ob nicht die andere die ältere, ob eigentlich schwarzes oder braunes Haar schöner sei und was überhaupt einen Mann an der andern anziehen könnte. Alles an der »Ägypterin«, wie sie ihre Feinde nennen, muß der selbstgerechten Oktavia fremd, alles an dieser muß der Kleopatra zuwider sein, und doch sind ihre Gefühle verschieden.

Oben, im Stockwerk der Gespräche, befragen sie einander mit falschem Lächeln um neue Nachrichten aus dem spanischen Feldzug.

6

Als der siegreiche Cäsar im Frühling heimkehrte, schien seiner Freundin alles Gewölk zerstoben. Er hatte den Feind in der Schlacht bei Munda vernichtet, er schien erfrischt. Sie hatte von einer Liebschaft gehört, die er mit der Frau eines mauretanischen Königs angefangen. War das die Wahrheit, so mußte er die Fremde rasch vergessen haben, denn wie sie im Winter ein verdüsterter Liebhaber verlassen hatte, so gewann sie jetzt einen verjüngten zurück. Bei Munda mußte es heiß hergegangen sein, denn einer seiner Vertrauten erzählte ihr später, Cäsar wäre seinen zögernden Kohorten vorangeschritten, abends aber habe er mit leiser Stimme gesagt:

»Oft habe ich um den Sieg gekämpft, heute um mein Leben.« Das große Ereignis aber, das mit Cäsars Heimkehr das Forum wie die Gesellschaft erfüllte, war nicht der Sieg, den man wie etwas Gewohntes hinnahm; es war die Versöhnung des Antonius mit Cäsar.

Kleopatra hatte viel von ihm in Rom vernommen, auch daß er sich in den letzten Wochen von der gemäßigten Seite der Cäsarianer zum aktiven linken Flügel gewandt und dadurch jenen ewig Mißvergnügten die letzte Autorität genommen hatte, die sie für ihre Verfassungstreue brauchten. Es ging dem Antonius – so dachte sie wohl – wie einer grollenden Geliebten, die sich den Kritikern ihres Freundes aus Trotz anschließt, so lange er da ist; dann aber, wenn er draußen in neuen Kämpfen steht, wenn die Bequemen zu Hause seine Schritte bemängeln, hält sie es eines Tages nicht mehr aus, sie läuft ihm nach und wirft sich geradewegs in seine Arme. Zwei Feldzügen Cäsars gegen die Pompejaner war der grollende Antonius ferngeblieben, jede Botschaft hatte ihn aufgeregt, jeden Fehler eines Obersten, von dem man erzählte, würde er vermieden haben, Cäsars Triumphzüge konnte er nicht mitansehen – er hätte ja dicht hinter ihm reiten müssen! Jetzt aber, der letzte große Sieg bei Munda und noch einmal eine siegreiche Heimkehr: Das war zu viel! Da war Antonius dem heimziehenden Cäsar entgegengefahren, in Erinnerung der Tage, da er ihn am Rubikon traf und sie das große Abenteuer ihres Lebens gemeinsam begannen – und nun erzählte sich ganz Rom, daß Cäsar ihn in seinen Wagen genommen und einen ganzen Tag mit ihm zusammen gefahren wäre.

Der vereinsamte, alternde Cäsar, der wohl durchschaute, daß die tollen Dolabellas ihm folgten, ohne ihn zu lieben, gewann bei diesem Auftritt nicht weniger als Antonius: Dieser gewann den einzigen wieder, ohne den sein labiler Charakter verloren war; Cäsar gewann einen Freund.

Als er der Königin davon sprach, gab er gespannt acht, wie sie's aus seinem Munde aufnehmen würde, doch jeder Zweifel schwand. Hatte er auf dem schwimmenden Nilschloß eine leise Eifersucht auf den Abwesenden und noch dazu zurück in ferne Jahre verspürt, so fühlte sich der durch neuen Ruhm gestärkte Diktator, nun erst wahrhaft unbestritten, durch seine Gegenwart allein stark genug, um jeden andern auszustechen. Zudem konnte er diese beiden einzigen Menschen seines Vertrauens nicht trennen, er mußte sie zusammenführen, und er tat es.

Es war wieder Frühling geworden, als beide Männer der Königin jenseits des Tibers entgegentraten, in der Mitte der Zypressen-Allee, die das Tor mit der Villa verband. Starke Gefühle durchrauschten diese drei Menschen:

Cäsar umfaßte ihre Gestalt mit dem vollen Blicke des Besitzers. Ihm schien sein Glück erhöht durch die Bewunderung des Jüngeren an seiner Seite. Mit den väterlichen Gefühlen, die er für Antonius hegte, glaubte er ihm auch den Respekt des Sohnes vor seinen Abenteuern anzuweisen; zugleich genoß er aber die Seltenheit seiner Lage und fühlte, wie wenig ihm das Alter anhaben konnte. Er war so sehr im Gleichgewicht, daß er sogar die andern auszuforschen vergaß.

Antonius sah vor sich nichts als die Frau, die er hier in Rom bei jedem Anlaß aus der Ferne und manchmal näher, als sie's wußte, mit Blicken zu fassen gewußt, deren lange Hand er aber erst heute fassen, deren Blick und Lächeln, deren Parfüm er nun endlich einsaugen konnte. Damals, vor zehn Jahren, an der Königstafel ihres Vaters, war sie vierzehn gewesen, und er war zu vollblütig, um nicht heute eine Vierundzwanzigjährige vorzuziehen. Während er sie aber so ganz als Geschlechtswesen erfaßte, kam ihm kein Gedanke, daß er, der so viele Frauen besaß, es auch mit dieser versuchen könnte. Wie Cäsars Gegenwart ihm niemals erlaubt hätte, einen seiner Befehle abzuändern, so war sie ihm auch jetzt Befehl genug, die Frau zu ehren, die jenem gehörte.

Kleopatra, deren Anmut vom zweiten Augenblicke an beiden Gästen ihre natürliche Stimmung wiedergab, sah und begriff als einzige die beiden andern, weil sie in höchsten Augenblicken weiblicher Spannung sich selbst vergaß – wie damals, als sie aus dem Teppich stieg. Im Fluge verglichen ihre wachen Sinne die Männlichkeit der beiden Männer, deren vier Augen auf sie gerichtet waren:

Den schönen Obersten von damals sah sie zu heiterer Form entwickelt vor sich, einen Mann von Mitte Dreißig, noch herkulischer geworden, mit lockigem Kopf, die fleischigen Wangen vom braunen Bart umrahmt, selbstgewiß und offenbar im Einklang mit Göttern und Menschen. Alles, was von den Ahnen her in ihr zuweilen lässig werden wollte, fühlte sich vor diesem lustvollen Manne zu Genüssen hingezogen, die sie bisher nur in heißen Sommertagen verlocken konnten, bis sie sie verjagte. Der andere aber, größer und hager, dessen Knochigkeit so wenig Lust erweckte, von einer im Felde gebräunten, gegerbten Haut, an dessen mageren Wangen, hartem Kinn und gerader Nase man sich zu stoßen fürchtete, kahlköpfig und um zwanzig Jahre älter, strömte solch eine gebietende Macht aus, er schien statt wollüstiger Triebe einen so stark zeugenden zu besitzen, daß die spürenden Sinne der Frau bei aller angeborenen Neugier gar nicht in Zweifel fallen konnten. Er war, sie fühlte es, unter den beiden der König.

In diesem Augenblick erkämpfte Cäsar, ohne daß er es wußte, zugleich über Freund und Freundin, über den Mann und über die Frau seiner Wahl den größten seiner Siege.

7

Aber der neue Freund hatte selbst eine Frau, und mit Fulvia konnte die Königin nicht leben. Sie begriff nicht, wie eine Bürgerstochter dazu kam, die Herrschaft anzustreben, und während ihr eigener Ehrgeiz sie zwischen Verschwörungen von der Zweitgeborenen zur Königin erhoben und seit zwei Jahren nach einem unbegrenzten Felde der Macht hingezogen hatte, trug sie ihr Königsgefühl so hoch über alles Volk, daß ihr ein Bürger und ein Sklave im Grunde gleich fremd blieben. Cäsar galt ihr als die einzige Ausnahme, aber der schrieb ja auch sein Geschlecht von der Venus her. Warum rühmten sich in dieser Republik alle ihrer alten Familien? Sie waren auch alle verwandt, diese angeblichen Größen römischer Häuser, so wie ihre bekanntesten Männer und Frauen alle untereinander verschwägert, geschieden und politisch neu verheiratet waren. Nicht über die Unmoral ringsumher war die Königin erstaunt, noch ein Jahr nachdem sie Rom betreten; nur daß sich fast alle Liebesgeschichten um Geld drehten und alle Scheidungen um Parteien.

An Fulvia war wirklich, nach dem Wort eines antiken Autors, »nichts weiblich außer ihrem Körper. Ihr Sinn war ganz darauf gerichtet, einen Herrscher zu beherrschen und Feldherrin eines Feldherrn zu sein.« Trotzdem zog sie nicht kalte, ehrgeizige Männer an, die ihr ähnlich waren, sie hatte drei Wüstlinge hintereinander geheiratet und war, Mutter von vier Kindern aus allen drei Ehen, doch auch erst Mitte Zwanzig. Ob ihr erster oder ihr zweiter Gatte der lasterhaftere gewesen, war eine Frage der Gesellschaft; Curio jedenfalls, Busenfreund des Antonius, hatte an diesen ein Vermögen und nachher auch noch seine Frau verloren; Antonius heiratete sie aber erst, als der dritte dieser trinkfesten Kameraden, Dolabella, ihm seine eigene Frau Antonia weggenommen hatte. All dies hatte entscheidende Folgen, denn wer verschwägert war, würde leichter Ädil oder Konsul, und wer geschieden war oder betrogen, stimmte im Senat mit den Feinden.

Je tiefer die Königin ins Wirken dieses römischen Parteilebens blickte, um so verächtlicher schien ihr der Ursprung einer Macht, die von Stimmzetteln kam und durch Bestechung und Erbschaft, Heirat, Scheidung, Adoption immerfort neu gekauft werden mußte. Alles kam zusammen, um ihre Politik geradewegs auf Cäsars Staatsstreich und auf das Königtum zu lenken.

Und doch war sie zu klug, einem einzigen außer Cäsar sich zu vertrauen. Die Freundschaft des Antonius und auch der Fulvia nahm sie an, weil beide Cäsars Feinde haßten und denselben Männern und Frauen mißtrauten, die ihr schon verdächtig erschienen waren, als noch die neuen Freunde Cäsar grollten und deshalb auch ihr. Jetzt sah sie ihren Instinkt bestätigt, sie erfuhr, daß Antonius den Cicero haßte, weil dieser den zweiten Mann seiner Mutter zum Tode verurteilt hatte; übrigens habe der große Moralist bei seinem Lieblingssklaven Tiro geschlafen.

Wenn ihr an einem Abend Cäsar von Antonius' wüsten Gelagen erzählte und wie er sich, am Morgen nach dem Hochzeitsfeste des Komödianten Hippias, während seiner Volksrede auf dem Forum erbrochen habe; wie er ein andermal Sängerinnen vor die Häuser tugendhafter Familien schickte, damit sie sie durch unzüchtige Lieder aus dem Schlafe holten, da gefiel ihr der dionysische Held dieser Geschichten hundertmal besser als Cicero und Brutus, und sie sagte es Cäsar. Dann lächelte er wohl und fügte in väterlichem Tone bei, daß Brutus ein tiefer Philosoph sei und daß Antonius bei Pharsalus den linken Flügel zum Siege geführt hätte. Nur den Oktavian, seinen Neffen, erwähnte er nie, denn er hatte die Abneigung der Königin aus ihrem Schweigen gehört und war als Edelmann entschlossen, seine Familie jeder Kritik fernzuhalten, auch der ihrigen.

Nun aber entstand vor seinen Augen und nach seinem Willen hier vor ihm eine neue Familie, und wenn die Königin seinen Blick auf den Knaben gerichtet sah, der sich jetzt im dritten Jahre dem Vater, wie ein antiker Autor schreibt, »lächerlich anähnelte«, so blieb sie seines Planes gewiß, auch wenn sich Parteifragen vorzuschieben schienen. Im Schatten der hundert Intrigen um sie her, selber aber durch Cäsars schützende Hand auf einer Insel, die kein Ruder erreichte, von Neidern umspäht, zugleich von dem einzigen Freund geschützt, wurde Kleopatra in diesem zweiten Jahre ihres römischen Lebens hochmütiger. Villa und Garten öffneten sich seltener; aus einem Gast der römischen Gesellschaft war eine Königin mit ihrem Hof geworden, die Cicero in seinen Briefen einfach die Königin nannte.

In der Erwartung von Cäsars Staatsstreich, dem nichts mehr entgegenstand, hat sie, offenbar im Herbst 45, das letzte formelle Hindernis einer Ehe hinweggeschafft. Wir können es nicht beweisen, fest steht nur, daß ihr Bruder, der junge Ptolemäus, damals verschwand. Er hätte die Ehe seiner legitimen Frau sicher nicht durch Scheidung ermöglicht, sondern als Parteihaupt römischer und ägyptischer Feinde bekämpft. Warum ihn schonen? Ihr Gatte war er nie geworden; ihre Kindheit war zu Ende gewesen, als er, zwölf Jahre nach ihr, geboren wurde, die Mutter war unbekannt, der Vater ein Monstrum, Familiengefühle gab es bei den Ptolemäern nicht. Was also sollte Kleopatra hindern, den Knaben wegzuschaffen, der ihr im Wege stand? Daß er ihr Bruder war? Welches Sittengesetz sollte sie zurückhalten, da doch die Götter Griechenlands und Ägyptens, mit deren Legenden sie erzogen ward, ihre Blutsverwandten ebenso gern umbrachten wie die römischen Damen und Herren, zwischen denen sie heute lebte!

Ptolemäus verschwand. Der Weg war frei.

8

Und doch stand noch ein Schatten zwischen den beiden, die sich zur Sonnenhöhe menschlichen Glückes zu steigern geschaffen schienen. Es war Alexanders Schatten. Cäsar beschloß, ihm zu folgen.

Seit seiner Jugend hatte er in ihm sein einziges Vorbild erkannt, aber alles war legendär an ihm geblieben und unnachahmlich. In Rom wurde man gewählter Konsul, gemeinsam mit einem zweiten, vielleicht ein paarmal hintereinander, immer nur für ein Jahr. Was konnte man in einem kurzen Jahre vollenden! Eroberte man eine Provinz und eigentlich drei, wie Cäsar, blieb man dort ein paar Jahre Prokonsul, so wurde man erst recht von der Zentrale ausgeschaltet. War Sulla, war Pompejus je allmächtig gewesen? Hatten sie nicht die Parteien zerrieben? In Republiken wuchs kein Alexander empor.

Erst als der lange Bürgerkrieg den Bürger dem Soldaten, die Gesetze den Schlachten untergeordnet, als der Sieg bei Pharsalus Cäsar höher als alle römischen Machthaber der Vorzeit gehoben hatte, konnte Cäsar beginnen, die romantischen Wünsche des Jünglings in die Politik des alternden Diktators einzufangen. In diesen drei Jahren hatte er sich Alexanders Wirken schnell genähert. Es war am Nil, es war an Alexanders Grab und in dem schwimmenden Schloß auf dem Nil gewesen, wo ihn sein Geist berührte und aufzurufen schien, das zu vollenden, was er in Pharsalus doch erst angefangen hätte. Alexanders Wüstenritt zum Orakel des Amon hatte Cäsars Geist beschwingt und dem Skeptiker gezeigt, was auch in seiner aufgeklärten Zeit noch möglich wäre; die Gründung der Hauptstadt am westlichsten Punkt eines östlichen Reiches hatte ihm die Eignung Roms bekräftigt, dessen Lage ihn fast wider Willen bisher immer nach Norden getrieben hatte.

Seine empfänglichste Zeit und seine ersten Kämpfe hatte der sechzehnjährige Cäsar im Süden, im Feldlager jenes Königs Nikomedes erlebt, als dessen Liebling er noch bis in sein Alter verspottet wurde. Was Wunder, daß ihn jetzt, gegen Ende seiner Bahn, aufs neue mit allen verschönten Erinnerungen an die erste Jugend der Süden ergriff, der Geist des Mittelmeeres, Wärme und Bläue, die sich dem kahl und hager gewordenen alten Soldaten heilend und verjüngend um Kopf und Glieder schmiegten! Staunend hatte er sich am Nil, im üppigsten Teile der Welt, gefragt, warum er eigentlich das beste Jahrzehnt in teutonischen Wäldern verwildert, warum er mit rohen Alpenvölkern gehaust und mit düsteren Briten im Nebel gefochten hatte. Dort unten prangten Ephesus und Tarsus in der Gnade der alten Götter, besonnte Inseln kühlten ihre Arme in einem milden Meer, Kreta und Zypern, Antiochia und Athen luden mit Geist und Witz den fremden Eroberer ein, von reiferer Kultur zu kosten, statt mit seiner strengen zu paradieren. Alexander und das Mittelmeer riefen den alten Römer nach Osten.

Denn dem Eroberer ist keine Rast vergönnt. Nicht ungestraft sammelt ein kühner Soldat: Siege und Völkerschaften in seinen Jünglingsjahren; die Schatten seiner Siege folgen ihm wie die Frauen dem Don Juan und lassen ihn in keiner sicheren Gemeinschaft beruhigt altem. Hat er die Macht auf das Schwert gegründet, so muß er's immer aufs neue ziehen, da denn die Welt von jedem ihrer Heiden beständige Wiederholung verlangt. Eine Krone zu erwerben, Weltreich und Dynastie zu gründen wie Alexander, dazu genügten die alten Siege Cäsars am Ende seiner fünfziger Jahre nicht mehr. Die Republik, er fühlte es, würde ihre letzten Freiheiten nur neuen Siegen opfern: nur dem Eroberer Persiens würde sie sich hingeben, wie in den alten Sagen die fast bezwungene Jungfrau doch noch das schwerste Abenteuer von ihrem Helden verlangt.

Denn Persien, Alexanders Siegesfeld, bedeutete zugleich den großen, ewig unbesiegten Rivalen Roms, den einzigen, den die allmächtig gewordene lateinische Republik nach dem Untergang von Karthago ertragen mußte. Ein halbes Jahrhundert gingen nun diese Kämpfe, Sulla und Pompejus waren für kurze Zeit siegreich, Lukullus und Crassus waren geschlagen worden. Zehntausende lebten in Rom, die Tod und Knechtschaft der Ihrigen bei jenem letzten Zusammenbruch hatten ertragen müssen; es waren kaum acht Jahre verstrichen. Damals waren dem alten Crassus die Triumphe des Pompejus zu Kopfe gestiegen, und mit nur 40 000 Mann hatte er das unbekannte Perserreich erobern wollen. Auf einer Lanzenspitze hatte er den Kopf seines Sohnes gesehen, vorangetragen von dem siegreichen Feinde, und war am Ende mit Verachtung des Todes gefallen. Aber die Adler, die Fahnen waren mit den Leichen der Römer dort geblieben, und wer seither an die Volksgunst dachte, entwarf den Rachekrieg gegen die Asiaten.

Nur der Bürgerkrieg im eigenen Lande hatte das alles unterbrechen können. Heute, da Cäsar allein übriggeblieben, erwartete das Volk von ihm, was er sich selbst aus tiefer strömenden Gefühlen aufzuerlegen wünschte. Zugleich erkannte der kluge Rechner seinen Vorteil, denn bei allem spanischen Ruhme standen seine Legionen immer noch unbezahlt, und in jenen sagenhaften Ländern strömte, so sagte man, das Gold, denn Indien grenzt an Persien und hieß in jener Zeit das Wunderland. Alle Motive, politische, romantische, dynastische, mußten Cäsar auf Persien weisen, den Erbfeind Roms.

Als Feldherr hatte er die Fehler des Crassus durchaus studiert. Diesen hatten die Gerüchte von riesenhaften Bogen erschreckt, von denen die Perser ihre Pfeile in eine vorher nie erreichte Ferne schössen, von Reiterangriffen, denen kein Römer gewachsen war; sie trafen ihn auf einem Vormarsch, der nicht enden wollte, denn in seinem maßlosen Lande zog sich der Feind durch glühende Monate immer weiter zurück. Cäsar, dessen letzte Feldzüge nur wenige Monate gedauert hatten, setzte sich jetzt drei ganze Jahre aus, denn seine gewaltigen Pläne endeten nicht am Euphrat und nicht in Indien. Nach Unterwerfung des alexandrinischen Ostens wollte er über Hyrkanien, am Kaspischen Meer und Kaukasus vorüber bis zu den Skythen ziehen, den Nachbarn der Germanen, dann Germanien selber angreifen, zuletzt über sein Gallien heimkehren, so daß das römische Reich dann nur noch vom Ozean begrenzt würde. Für solch ungeheure Zwecke sammelte er jetzt Geld durch Landverkauf, legte überall in den Häfen des Mittelmeeres große Waffenmagazine an, bald war ganz Italien in neuer Bewegung, am meisten er selber, denn der Weltplan setzte seine höchsten Fähigkeiten noch einmal in Schwingung. Plutarch spricht hier in seinem wundervollen Stil von »Cäsars Wettlauf mit sich selbst als wie mit einem Dritten: eine Art Rangstreit der kommenden Taten mit den vollendeten«.

Staunend und mit beklommenem Herzen sah Kleopatra ihm zu. War es sein Plan, die Dynastie auf das Weltreich zu gründen statt umgekehrt, so mußte auch die furchtloseste von allen Frauen vor tausend Gefahren bangen, nachdem aus einer Amazone eine Mutter geworden war. Sie wußte, daß Cäsar sich nicht befragen ließ, und eben, weil er ihr mehr vertraute als jedem andern, wagte sie nicht, ihn festzulegen. Die Richtung seines Willens kannte sie, er ging aus auf die Krone und auf Caesarion; doch schien es ihr zuweilen, als hätte er über die Reihenfolge seiner Taten noch nichts beschlossen.

Staunend und mit beklommenem Herzen sehen die Römer zugleich eine Flut von Befehlen aus Cäsars Kanzlei bis in die fernsten Provinzen strömen. War's eine Ahnung, daß er im letzten seiner Lebensjahre stand? War es nach der Besiegung der letzten Pompejaner nur das Gefühl, zum ersten Male nach eigener Vision monarchisch regieren zu können? Eine ihm sonst ganz fremde Ungeduld schien ihn zu drängen, alles auf einmal in die Hand zu nehmen, Finanzen, Reformen, Wiederaufbau und den Weltkrieg. An einem Morgen erfuhr man in Rom, Cäsar plane, Anio und Tiber dicht vor der Stadt durch tiefe Kanäle abzufangen und so abzuleiten, daß sie bei Terracina ins Meer münden sollten. An einem andern Morgen erfuhr man in Rom, Cäsar wollte die Sümpfe bei Pontinum und Setia ableiten und dadurch fruchtbaren Boden für Tausende schaffen. Am dritten Morgen hieß es, Cäsar wollte das ganze Marsfeld bebauen, übrigens am Tarpejischen Felsen ein Theater errichten, glänzender als das des Pompejus. In der nächsten Woche wurde Varro beauftragt, in allen Vierteln der Weltstadt Bibliotheken zu errichten, und dies in mehreren Sprachen. Zugleich befahl er einigen Ingenieuren, einen neuen Hafen für Rom in Ostia zu entwerfen, und zwar so, daß das Meer durch Dämme aufgehalten, Bassins geschaffen und alle unsichtbar gefährlichen Stellen geglättet würden.

Aber sein Geist griff über Rom hinaus, er entwarf gigantische Pläne. Er plante eine Sammlung aller Gesetze, das erste Corpus iuris, und zugleich eine große Straße über den Apennin. Sein Auge erreichte den Peloponnes, er beschloß die Landenge von Korinth zu durchstechen und die Stadt wieder aufzubauen; es erreichte das besiegte Afrika, und er beschloß, Karthago zu erwecken, weil es zugleich mit Korinth zerstört worden wäre. Was war nicht alles möglich in diesem einen, langen Jahre! Die ägyptischen Astronomen, die Kleopatra für einen neuen Kalender kommen ließ, hatten dem Weltherrscher ein Jahr von fünfzehn Monaten beschert, um wieder mit der Sonne zurecht zu kommen und das Kalenderchaos der letzten hundert Jahre zu beenden. Um für Jahrtausende einen neuen Kalender zu schaffen, jenen, den wir noch heute besitzen, machte Cäsar sein letztes Lebensjahr zum längsten aller Jahre. Es war, als könnte sich die Geschichte nicht von ihm trennen.

9

Wie aber all dies einer zeugenden Phantasie entstammte, so ward es zugleich aus Staatsklugheit geboren: nur weil er beides vereinte, war er Cäsar. Zehntausenden von Arbeitslosen wollte er Brot schaffen, indem er ihnen befahl, sich selber die großen Bauten zu schenken. Freigelassene, Handwerker aller Art strömten bald seinen Fahnen zum kommenden Kriege zu, bald seinen Bauten. Den Städten legte er Zwangsanleihen auf, verstaatlichte alle Zölle, die Reichen zwang er durch Gesetze zum Ankauf von staatlichem Boden, damit er 40 000 Legionäre bezahlen konnte, denen er noch vor Pharsalus Lohn und Land versprochen, jedem 300 Sesterzen; da er aber ein König war, gab er als Verzugszinsen jedem hundert dazu. Damit jeder Bürger Roms merke, der Bürgerkrieg sei aus und es regiere eine wohltätige Hand, zahlte er jedem für ein Jahr den Mietzins bis zur Höhe von 2000 Sesterzen.

Und all dies Geld war in Wahrheit gar nicht da! In Persien sollte es liegen, vielleicht in Indien! Da am Ende dieses wie jedes Bürgerkrieges niemand zufrieden war, alle vielmehr mit der Entspannung eine gewissen Enttäuschung empfanden, trieb es den Sieger in neue Eroberungen, und je mehr er sich zum Monarchen entwickelte, um so eifriger schien er bestrebt, sich eine Volksgunst zu erhalten, deren er mit einer Krone auf dem Haupte gar nicht mehr zu bedürfen schien. Es wurde Kleopatra, während sie staunend zusah, nicht klar, ob er aus Neigung zum Volke dies alles entwarf oder aus Verachtung des Volkes.

Ein neuer, letzter Triumphzug über die Feinde in Spanien hatte viele, auch unten im Volke, befremdet, weil das ein Sieg des Römers über Rom war und Cäsar sich in gleicher Lage nach Pharsalus wohl gehütet hatte, öffentlich zu triumphieren. Ein Schmaus an 22 000 Tischen, auf die er zum erstenmal italischen Wein stellen ließ, Wettkämpfe und Spiele, wie man sie nie gesehen, belustigten Rom, aber diesmal ließ er in dem erweiterten Zirkus 5000 wirkliche Soldaten auftreten, nach ihnen Männer aus prätorischem Geschlechte auf Leben und Tod sich bekämpfen und schließlich Fürstensöhne aus Kleinasien einen Waffentanz aufführen. Während die Gesellschaft sich noch über solche Zeichen des Hochmuts alterierte, erließ er für alle alten Pompejaner eine Amnestie, gab Witwen und Söhnen die konfiszierten Güter der Ihrigen wieder, ja, er ließ in einem Tempel die Bildsäule des Pompejus aufstellen, des großen Feindes, den er erst jetzt in seinen Söhnen gänzlich besiegt hatte. Dies wieder war ein so erhabener Einfall, daß sogar Cicero schrieb, durch Aufstellung dieser Säule habe Cäsar der seinigen einen festen Boden geschaffen.

Gerade diese Einfälle befremdeten die Königin. Die zynische Unschuld ihres Wesens, die ererbte und seit der Kindheit zum Schutze des Lebens geübte Methode der Rache am Feinde steigerte sich in ihr zur Furcht um ihren Freund, als sie ihn beständig seinen Feinden verzeihen sah. Wie? Alle diese Mißvergnügten, die nur die Gier nach Geld und Stellen ihm zutrieb, wollte er hier in seinem Rücken lassen, wenn er den großen Feldzug antrat? War es möglich, daß er diesen Brutus, diesen Cassius vorweg zu Prätoren ernannte, statt sie wenigstens als Prokonsuln an die fernsten Provinzen zu fesseln?

Kleopatra entschloß sich, Cäsar zu warnen. Nicht durch Antonius, denn dieser polterte nur drauflos und hätte alles vergröbert. Es war an einem jener Winterabende, die Cäsar im vorigen Jahre meist einsam im spanischen Lager verfroren hatte und die er in diesem Jahre um so häufiger in der Villa jenseits des Tiber genoß. Am Ende des Getöses, am Ende der hundert Gesichter, die er devot: oder frisch oder lauernd oder flehend vor sich gesehen, sehnte er sich nach dem Klang ihrer Stimme, nach dem goldbraunen Blick ihrer Augen, die abends nicht mehr blitzten, aber schimmerten, nach dem Raffinement ihrer Kleider und Parfüms, ihrer Lampen und Ruhebetten, und wenn er einen Augenblick seinen Sohn gesehen hatte, trat eine tiefe Pause ein, die er mit langsamen Atemzügen einsog. Auch diesmal wartete sie lange, bis sie, im Sessel vor dem liegenden Manne, mit kalten Worten die Warnung aussprach. Es hätte ihm in seiner Sachlichkeit wie eine militärische Meldung geklungen, hätte es nicht mit ihrer Stimme angeschlagen.

Er hörte ihr unbeweglich zu, dann sagte er wohl etwas Ähnliches, wie Cicero und Appian es aus diesen letzten Monaten von ihm zitieren: »Ich habe schon zu lange gelebt. Besser einmal sterben als immerfort warten.«

Und doch drückten solche Worte nur eine Depression aus, wie sie jeden einmal befällt, der der Zeit und dem Tode das Ungewöhnliche abgewinnen will. Sein Vertrauen zu Kleopatra läßt darauf schließen, daß er ihr dann die Grenzen der Gefahr erklärt hat. Oder wie sollte er nicht plötzlich, mit der Bewegung eines Jünglings, aufgesprungen sein, um ihr von einer Verschwörung zu erzählen, die er selber als junger Mann mit Crassus und zwei andern Freunden angezettelt hatte? Mit Dolchen wollten sie in den Senat und auf ein Zeichen alle Senatoren töten, die vorbestimmt waren; das Zeichen aber war, daß Cäsar die Toga von der Schulter warf und sich entblößte, dann sollte Crassus Diktator, Cäsar Reiteroberst werden. Aber der feige Crassus ist aus Angst im letzten Augenblicke nicht gekommen!

Ein zweites Mal ging es gegen ihn selber! Und Cäsar erzählt ihr, wie er später, bei der Verschwörung des Catilina, im selben Senat gegen die Todesstrafe sprach, die Cicero gefordert hatte. Da stürmten ein paar wütende Senatoren mit Schwertern auf ihn ein, und nur die Nächsten retteten den Waffenlosen, indem sie sich dazwischenwarfen. Damals ist er lange Zeit nicht in den Senat gegangen. Mit alldem will er ihr nur sagen, daß diese Schliche niemand besser kennt als er; daß man ihn füglich nicht zu warnen braucht.

Die Königin schwieg. Sie konnte gegen jene Männer nichts anführen als ihren Instinkt, der sogar den Gedanken der Männer selber vorauseilte.

Als Cäsar wieder allein war, vielleicht schon auf dem Rückwege von der Villa, stellte er sich in seiner militärischen Art Gesicht, Wesen, Vergangenheit jedes der drei Männer vor, die der Königin so verdächtig vorkamen: – Cassius? Seit drei Jahren immerfort vorzüglich gearbeitet. Die Verbrennung der Schiffe, ein Meisterstück. Bleich ist er allerdings und zu intim mit Cicero, auch das ist richtig. Offenbar gekränkt, daß er nicht noch näher herankommt. Kann man deshalb auf einen von den paar Selbständigen verzichten? Wird nächstes Jahr Prätor. – Nun gar Decimus Brutus! Seit zwanzig Jahren erprobt. Nie aus der Fassung zu bringen; brüllte er noch den Leuten zu, als die Wellen damals über ihn weggingen an der britannischen Küste. Unentbehrlich im Kommando, kommt gleich hinter Antonius, und dazu nie betrunken. Geborener Konsul. Steht per 42 schon auf der Liste.

Und Brutus? Das versteht sie nicht. Sonderbar. Vielleicht späte Eifersucht? Sie war noch nicht auf der Welt, als das zwischen mir und Brutus' Mutter spielte. Dafür ist sie eben zu jung. Was das bedeutet, einen Sohn dort zu vermuten, wo man stark engagiert war, und doch ungewiß zu bleiben, ob er's ist – das bleibt ihrer Leidenschaft noch verschlossen. Cornelia war die erste Jugend, Brutus' Mutter die zweite. Kleopatra ist die dritte. Die Krämpfe kommen öfter. Jeden Augenblick kann man tot umfallen.

10

In den letzten Wintermonaten wuchs die Unruhe der Königin. Je mehr sie Cäsars Ratlosigkeit sich steigern sah, um so stärker schwankten in ihr Hoffnung und Furcht. Der Preis, um den sie gemeinsam spielten, war nichts weniger als die Welt, der Gegner war beinahe nichts als Cäsars Alter. Konnte ein Mann von Ende Fünfzig die Welt noch erobern, gemeinsam mit einer Frau, die fünfundzwanzig war, für einen Sohn, der eben sprechen lernte? War die produktive Kraft noch stark genug, um die eigene schwankende Gesundheit zu überwinden, dazu Eifersucht des Stabes, Groll der Überwundenen, Strapazen eines tropischen Krieges? Wenn Cäsar die dichten braunen und schwarzen Haarschöpfe seiner Offiziere sah und daneben seinen kahlen Kopf im Spiegel oder in seiner Phantasie verglich, schien es ihm, als sei er der älteste Mann in Rom und um ihn her eine Jugend, deren Haare und Zähne, deren springenden Schritt und langen Atem er mit all seiner Allmacht nicht einholen könnte. Und blieb einmal die lange Hand in den braunen Locken seiner Freundin hängen oder strich sie gar über die zarten Seidenhaare seines Sohnes, so mochte er Zeus grollen, daß der Gott allein sich ewig verjüngen konnte.

Was er jetzt unternahm, war kühner als Alexanders Werk, weil er es so spät unternahm. Vergebens sah er sich nach anderen Vorbildern um, die zu ihm paßten: es blieb nur der eine, dem er als zweiter folgen wollte. Diesen endlich, nach dreißigjährigem Anlauf zur monarchischen Macht gelangten Diktator drängte niemand, Rom zu verlassen, um die entehrten römischen Fahnen vom Euphrat heimzuholen. Jetzt konnte er zwanzig Altersjahre in Rom regieren, drinnen geschützt durch seine Truppen, ohne Gefahr eines äußeren Feindes, er konnte die Königin heiraten, seinen Sohn erziehen und bei einem imaginativen Anlaß von einem unterworfenen Senat sich und seinen Nachkommen den Königstitel verleihen lassen.

Aber der Alexander-Traum war stärker; er war es, weil ihn zwei Menschen träumten. Denn hier war nicht eine fremde, schlaue Herrscherin, die durch ihre Reize den mächtigen Römer verführen und eine noch größere Königin werden wollte. Hier war, er fühlte es wohl, ein Weib, dessen mythische Gefühle nach den Sternen langten, während sie zugleich alle Lust der Erde zu trinken entschlossen war. Beide Menschen waren in den Legenden ihrer Völker aufgewachsen; die griechischen Studien, die Cäsar und Kleopatra in ihrer ersten Jugend an verschiedenen Küsten desselben Mittelmeeres begeisterten, lebten tief in ihren Seelen fort. Beiden schien der Ruhm ein Bote der Götter.

Dies alles berührte nicht ihre staatsmännische Sachlichkeit, und in einer niederen Gemütslage berechneten beide ihre Vorteile genau, sowohl aus dem Bündnis wie aus den Eroberungen. Cäsar kannte den Prozentsatz, um den ihn die ägyptische Flotte und der Schatz der Ptolemäer bei seinem persischen Unternehmen stärken würde. Aber die weltgeschichtlichen Aspekte, in die ein reif gewordener Geist die Träume seiner Jugend verwandelte, trieben ihn an, sein Schicksal und das ihre in den großen Formen zu vollenden, die ihnen das Erstaunliche ihrer Begegnung und ihrer Erfolge vorschrieb. Da war denn Persien nicht mehr eine bloße Provinz, es war das große Symbol der östlichen Welt, die jetzt der westlichen zufallen und dem Königstitel erst seine mythische Kraft geben sollte. Cäsar, als ein Künstler sein Leben gestaltend, machte sich die Krönung schwer.

Daß er sie durch einen dreijährigen Feldzug nochmals gefährdete, mußte Kleopatra als Königin fürchten und als Mutter. Solange er lebte, hatte sie weit mehr als einen Staatsvertrag in Händen; sie hatte das große Pfand, den Knaben, in dessen Existenz er sich unsterblich machen wollte. Auch an der Unbeständigkeit seines erotischen Wesens brauchte sie nicht zu zweifeln, dazu war er zu alt und sie zu schön. Aber zwischen dem Auszug seines Heeres und der Heimkehr schwirrten tausend lange Perserpfeile, strömten hundert Flüsse, dünsteten die Fieber aus den Sümpfen und die Verschwörungen dazu. Die allgemeine Feindschaft, die sie ringsumher seit anderthalb Jahren sich hatte steigern sehen, die Eifersucht der ersten Mitarbeiter, das Netzwerk von Neid, an dem die politischen Frauen wirkten, der allgemeine Groll einer Jugend, der es in dieser zynischen Epoche an Verehrung fehlte, um einem überragenden Geiste zu dienen, vor allem Cäsars verfallende Züge mußten ihre Zweifel schüren, ob das Weltziel noch zu erreichen war.

Daß er Caesarion als seinen Sohn anerkannte, wußte ganz Rom, aber aufgeschrieben war es nicht. Ihr hätte daran mehr gelegen als an einer römischen Ehe, da Cäsar ja doch nach ägyptischem Recht als ihr Gatte galt. Im letzten Winter hatte er ein Gesetz entworfen, das ihm erlaubte, mehrere Ehen zu schließen; auch dies Vorrecht war noch nicht Gesetz geworden. War es Sorglosigkeit?, so mochte sie sich fragen. Gab es politische Gründe, die beide Entschlüsse in ihm hemmten? Sie wußte nicht, daß Cäsar in diesen Wochen sein Testament nochmals geöffnet und durch ein Kodizill verändert hatte: er adoptierte darin seinen Großneffen Oktavian als Sohn.

Dieser Zusatz, dessen weltgeschichtliche Folgen sich Cäsar nicht ausmalen konnte, kann nur für den Fall eines plötzlichen Todes erdacht worden sein, im Krieg oder durch sein krampfhaftes Leiden. Er zeigt nur die Vorsorge eines reichen Privatmannes an, der in diesem unpolitischen Testamente seine eigenen Güter verteilt; auch den Willen eines mächtigen Mannes, der seiner Familie für die Zukunft große Möglichkeiten im Staat eröffnen will. Es war der linke Arm, den Cäsar hier nach seiner Vergangenheit ausstreckte, nach seinem Geschlechte, dem eingebornen Landes- und Standesgenossen; der rechte wies in die Zukunft, er griff nach einer Krone, die niemals für den Großneffen bestimmt war. Kleopatra vollends konnte in einem Testamente nicht vorkommen, das nur für den Zwischenzustand bis zur Vermählung und Krönung galt. Oder was konnte ein römischer Diktator ohne erbliche Rechte der reichen Königin von Ägypten an Macht und Stellung vermachen? Nur in einem Satze kam sie vor, wenn auch ohne Namen: Cäsar ernannte nämlich mehrere Vormünder für einen, vielleicht nach seinem Tode geborenen zweiten Sohn. Welche andre Frau konnte dessen Mutter sein, da die alternde Calpurnia nie Kinder geboren hatte. Das Ganze war eines jener Testamente, dessen Siegel der Erblasser selber wieder zu öffnen hofft.

Welche Erbfolgen hätte Cäsar anordnen können? Er hatte sich zuletzt zum Konsul auf zehn Jahre ernennen lassen, das war neu in Roms Geschichte, aber es umging die eine Hälfte der königlichen Rechte durch den Wegfall des Titels und schloß die andere Hälfte, die Erbfolge, geradezu aus. Da das Volk von Rom seit der Vertreibung der alten Könige einen wahren Aberglauben gegen die Monarchie hegte und doch alles zu ihr hindrängte, besonders der allgemein bekannte Wunsch Cäsars, kam man auf einen abstrusen Einfall. Irgendein Schlauer wollte in den Sibyllinischen Büchern entdeckt haben, Persien könnte nur von einem König erobert werden. Man plante also, Cäsar zum König in allen Teilen des Reiches zu erheben, nur in Italien sollten Namen und Embleme verboten sein. Das einzige, wovon niemand zu sprechen wagte, war die Erbfolge.

Und konnte er es beim Aufbruch zu einem jahrelangen Feldzuge auch nur wünschen, in Rom eine fremde Königin zurückzulassen, damit sie an seiner Statt regierte und ihren Sohn als Kronprinzen vom Volke verehren ließe, bevor sie dem Volke die neue Dynastie vorgespielt hatten? Hätte die Ausländerin als einsame Regentin nicht all jenen Groll der echten Römer gestärkt, der einem formellen Ende der Republik auf alle Fälle folgen mußte? Um aber den persischen Krieg zu verschieben, dazu war die Vorbereitung zu weit gediehen, die allgemeine Spannung war zu groß, innere Feinde hätten an Macht gewonnen.

Cäsar wußte nicht, was die Königin ahnte: daß diese inneren Feinde sich zusammenzuschließen begannen; sonst hätte er sie nicht im Beginn des Jahres 44, in seinen letzten Wochen, noch stärker gereizt. Er tat's, indem er auf alle Art im Stile der Kleopatra den König herauskehrte, zu dem er sich doch noch nicht erklären wollte. Jetzt ließ er Münzen mit seinem Profil schlagen, trug bei festlichem Anlaß, auf einem ägyptischen Wagen sitzend, einen goldenen Lorbeerzweig auf seinem Kahlkopf; er bekam einen goldenen Stuhl im Senat, sogar ein Standbild auf dem Kapitol, neben den sieben antiken Königen.

Zugleich trieb ihn das ägyptische Vorbild, seine Büste in der Pompa Circensis zwischen den Göttern aufstellen zu lassen, ein glänzendes Ruhebett für sich in den großen Tempeln vorzubereiten, den »Genius Cäsars« in die öffentlichen Gebete aufnehmen zu lassen. Ihm wurde das Recht zuerkannt, im Innern der Stadt begraben zu werden, wie Alexander. Man sieht, Cäsar glich in diesen Wochen einem Manne, der von einer lange umworbenen Frau nur noch durch eine Wand getrennt ist und nicht mehr schlafen kann.

Mit Behagen sahen tausend Neider seiner Umgebung, wie der klarste und geduldigste von allen Machthabern zuletzt launisch und hochfahrend wurde. Täglich erzählte sich Rom eine neue Geschichte. Einmal ernannte er ein paar Unbekannte, sogar Gallier zu Senatoren, oder er gab Söhnen von Geächteten wichtige Ämter. Ein andermal sagte er, Sulla wäre dumm gewesen, weil er die Diktatur zurückgab. Ein drittes Mal: »Mein Wort genügt, es ist Gesetz, die Republik besteht nur noch dem Namen nach.« Als ein Volkstribun vor dem Vorübergehenden nicht aufstand, tadelte er ihn öffentlich.

Als aber der ganze Senat erschien, zusammen mit Konsuln und Prätoren, um ihm die lebenslängliche Diktatur anzubieten, blieb er selber sitzen. Diese Haltung machte den nachhaltigsten Eindruck, viele Senatoren verließen den Saal. Nach Plutarchs Bericht wollte er aufstehen, wurde aber durch Balbus zurückgehalten, der sagte: »Gedenke, daß du Cäsar bist. Willst du, der Höhere, nicht unsere Ehrerbietung annehmen?« Gewiß ist, daß er sich rasch nach Hause tragen ließ, sein Kleid abwarf und ausrief: »Jetzt kann mir jeder, der mag, den Hals abschneiden!« Auch schützte er seine Anfälle vor: »Bei meinem Zustande kann man die Ruhe nicht wahren, wenn man stehend zu einer Versammlung sprechen muß: da gibt es Schwindel, Krämpfe, Bewußtlosigkeit.«

Mit Spannung, zuweilen mit Schrecken folgte Kleopatra diesen unsicheren Gesten, sie mußte darin Zeichen sinkender Lebenskraft erkennen, da gerade seine souveräne Sicherheit sie früher so gefügig gemacht hatte. Wenn sie Antonius befragte, den einzigen, dem sie traute, so bekam sie nur eine brüske Soldatenantwort. Denn dieser blühte in der Gunst seines Herrn, Cäsars höchstes Vertrauen, Zugang zu allen seinen Kriegsplänen hatte in diesem letzten Winter nur Antonius, er wurde sogar von ihm zum Mitkonsul ernannt; seine Brüder wurden Prätor und Volkstribun, und als seine Freunde die Staatskasse beraubten, schwieg Cäsar dazu. Antonius hätte Cäsars Staatsstreich lieber heute als morgen gesehen, er machte sogar den Versuch dazu. Denn im Februar steigerte sich die Königskrise zu drei Ereignissen:

Einmal, als Cäsar feierlich durch die Straßen zog und ihm ein paar Leute zuriefen: »König!«, erwiderte er: »Ich bin nicht König, ich bin Cäsar!« Ein anderes Mal, als er seine Bildsäule mit einer Krone geschmückt vorfand und die Volkstribunen sie wegnehmen ließen, setzte Cäsar einen von ihnen ab, nannte ihn spöttisch den neuen Brutus, weil der alte das Königtum gestürzt hatte, und noch dazu Cumäer, das bedeutet Esel.

Das dritte Mal saß er auf goldenem Stuhl auf dem Forum, um dem Wettlauf zuzuschauen, den die jungen Leute zum Hirtenfeste der Luperkalien veranstalteten, eine alte Sitte, bei der sie sich gegenseitig mit haarigen Peitschen schlugen. Antonius, der sich, immer froh über eine neue Rolle, halb nackt und mit Schwänzen behangen, den jüngeren anschloß, nahm ein Diadem, mit Lorbeer umschlungen, lief mit und, als er vor Cäsars Thron ankam, hob er es zu ihm empor und rief ihn als Lupercus an, eine Art Jupiter-Amon, vielleicht auch nur als »König« des Festes. War das ein Einfall des dionysischen Menschen, war's eine Abrede? Gewiß ist, daß die Parteigenossen ringsum klatschten, das tausendköpfige Volk aber zusah und schwieg. Darauf lehnt Cäsar den Kranz ab – oder war's eine Krone –, jetzt applaudiert ihm das Volk. Antonius wiederholt es, und Cäsar wiederholt unter vielem Beifall seine Geste. Dann aber ließ er die Krone auf das Kapitol tragen und in den Kalender schreiben, Cäsar habe sie an diesem Tage zweimal abgelehnt.

All diese Vorgänge muß Kleopatra mißbilligt haben: es waren Spiele um ein Symbol, das ihr angeboren war, also heilig. Zugleich hörte sie von ihm ein Wort, das das späte Zwielicht in seiner Seele widerspiegelte. »Der Tod«, sagte Cäsar, »ist weniger schrecklich, als man sich einbildet; jedenfalls ein Unheil, das man nicht zweimal zu erleben braucht.« Diese seltsam skeptischen Worte, die ein Moriturus sprechen könnte, werden durch ein noch merkwürdigeres beleuchtet, das Plutarch überliefert. Als ihn jemand vor Brutus warnte, sagte Cäsar: »Auch mir gefällt er nicht recht; er ist so blaß.«

Cäsar war also innerlich mit dem Tode und mit der Möglichkeit eines Umschlages beschäftigt. Doch zugleich erfuhr die Königin, er habe seine Leibwache entlassen und lasse sich nur noch von ein paar Liktoren begleiten. Erzogen zwischen Gift und Dolch, erkannte sie, was Antonius entging: daß sich aus jenen kleinen Vorgängen eine Verschwörung entwickeln konnte.

Daß sie schon da war, konnte sie nicht wissen.

11

Die Männer, denen sie so sehr mißtraute, waren nicht die einzigen, aber sie waren die Führer; gegen achtzig Senatoren scheinen zuletzt Verschworene gewesen zu sein, denn man wollte nachher dem Volke die breite Zone des Unwillens beweisen. Die Republik zu retten und die Freiheit der Väter, die nach einem Sieg über Persien verloren schien, war das Motiv, den Mord zu beschleunigen; denn auf den 17. März war Cäsars Abreise von Rom festgesetzt. Im Senat, den er auf den fünfzehnten, seit langer Zeit zum ersten Male, berufen hatte, war die Gelegenheit gegeben. Sicher gab es unter den Männern solche, die um der Freiheit willen handelten; die drei Führer taten es nicht.

Drei hohe Beamte zwischen Ende Zwanzig und Vierzig, alten Familien entstammend, alle drei von Cäsar mit Gunst überschüttet, doch alle drei von Ehrgeiz unterwühlt, aber auch sämtliche andere ließen das Motiv der Rache ideell und persönlich vermissen. Da war keiner, der Tod oder Verbannung seines Vaters oder Sohnes rächen wollte, denn Cäsar hatte beinahe immer verziehen.

Decimus Brutus, in einer beispiellosen Karriere, die er ganz durch und unter Cäsar gemacht, in der Vertrauensstellung eines Sohnes, kann nur durch den Wunsch des Zweiten erregt worden sein, der Erste zu werden. Solange Cäsar nur sein General war oder sein Konsul, hielt er es aus, denn jener war viel älter, man würde ihm folgen und bald selber Konsul sein und General; ein Cäsar aber, der sich der Krone näherte, rückte von ihm fort und verstellte ihm zugleich durch eine Dynastie den Aufstieg. Cassius wiederum, neidisch und mißgünstig von Natur, als besiegter Pompejaner von Cäsar generös entschuldet, kam über diese Wohltat nicht hinweg, die er erdulden mußte, und rechtfertigte sich in der Geschichte mit den Löwen, die ihm den Schlüssel zur Seele eines Cäsar zu geben schien, so wie er ihn brauchte.

Brutus aber, auf dessen moralischen Ruf sich die ganze Verschwörung stützte, war – wie aus Ciceros Briefen hervorgeht – einer jener dunklen Ehrenmänner, die sich ihre allzu menschlichen Gefühle beständig durch ethische trüben, zugleich verschönen und jede Begierde mit einer Mission zuzudecken wissen. Hatte er in der Provinz Geld auf Wucherzinsen verliehen, so war das sicher zum Wohle des Vaterlandes geschehen; erstrebte er ein hohes Amt, so glaubte er, seine Studien der Staatsraison zu opfern. Zog er aus, um Cäsar zu töten, so rief ihn der Geist des alten Brutus auf, der, bärtig und mißmutig anzuschauen, mit seinen großen Lederohren zwischen den Bildsäulen der Tarquinischen Könige stand, zu deren Sturz er seine eigenen Kinder geopfert hatte.

In Wahrheit haßte Brutus in Cäsar den Mann, der sein Vater sein wollte. Die Vorstellung dieses Patriziers von der Reinheit der Familie duldete den schlechten Ruf seiner Mutter nicht, die, inzwischen eine alte Frau geworden, noch heute dicht bei dem Sohne wohnte. Ein Brutus durfte nur ehelich erzeugt sein, denn nur wenn er es war, stammte er selber von dem berühmten Königsmörder und Befreier. Die alte, jahrelange Liebschaft seiner Mutter mit Cäsar, einst Stadtgespräch, war heute eine übergrünte Legende und verschwand, wenn sie der Sohn durch den Glauben an seinen legitimen Vater widerlegte. Mit einer schöneren Seele, mit hellerem Geist und Blick hätte Brutus Cäsars echter Sohn werden können; denn wenn dieser einen Großneffen adoptierte, der halb aus schlechtem Blute kam, so hätte er das erst recht mit dem getan, den er für seinen eigenen Sohn hielt: vollends, wenn dieser ihm jene Bewunderung und Liebe darbrachte, die er der Natur und dem Genie des Vaters schuldete.

Aber des Brutus selbstgerechte Moralität, die sich beständig rechtfertigen mußte, ließ ihn seinen natürlichen Vater hassen, auch wenn er dafür selbst seinen legitimen Vater verraten sollte! Denn dieser, von Pompejus getötet, hätte doch als Geist seinen Sohn anrufen müssen, in Cäsars Reihen seinen Tod zu rächen. Statt dessen ging dieser Sohn, als es zum Bruche zwischen beiden Triumvirn kam, zum Feinde über und bekämpfte Cäsar zwei Jahre lang, bis dieser bei Pharsalus siegte. Statt jetzt loyal den Söhnen des Pompejus zu folgen, ging Brutus sofort zum zweiten Male zur herrschenden Macht über, als er erfuhr, Cäsar würde ihn gern aufnehmen. An dem Objekte dieses doppelten Verrates mußte Brutus sich rächen, um sein erschüttertes Selbstgefühl wiederzuerlangen.

Zwar, das fühlte er wohl, in Cäsar tötete er den Mann, der seines Vaters Mörder besiegt hatte; er tötete in ihm den Mann, der seinen ersten Verrat verziehen und ihn nachher mit jeder Gunst beschenkt hatte. Aber all diese Gefühle verstummten in Brutus' Herzen, wenn er dagegenhielt, daß er in Cäsar den Mann töten würde, der seine Mutter verführt und ihn, Marcus Brutus, aus der Reihe seiner glorreichen Väter gelöst hatte. Und war die Art, wie Cäsar der Freiheit Gewalt antat, nicht eine Bekräftigung dafür, daß er sein Vater nicht sein konnte? Lag er dann aber hingestreckt am Boden, so war das Problem für immer gelöst, die ewige Frage schwieg: Brutus hatte durch seine Tat bewiesen, daß er vom Königsmörder Brutus stammte.

Folgt man ihm bis dorthin, was mußte Brutus tun? Im offenen Senat vor Cäsar treten, ihm ein Wort der Freiheit zurufen und ihn niederstechen: allein, ein Mann den andern. Dann war er zwar kein Held wie Cäsar, denn er überfiel sein waffenloses Opfer, aber er war doch wenigstens ein Mann. Was tat Brutus statt dessen? Er wurde einer von zwanzig feigen Mördern, die einen unbewaffneten Soldaten, der hundert Schlachten durchgekämpft, hinterrücks, in wohlberechneter Überzahl überfielen. So wurde er verächtlich, und keine Anwandlung Cäsars gegen die Freiheit kann noch nach zwei Jahrtausenden des Brutus erbärmliche Tat entschuldigen.

12

Als Cäsar einen der letzten Abende vor den Iden des März bei der Königin zubrachte, war er gehobenen Mutes. Alle trüben Stimmungen waren verflogen, Trommelschlag und Paukenschall, die die Straßen Italiens unter den nach den Häfen abziehenden Truppen erfüllten, die Abrundung eines lange gehegten, mühsam ins einzelne verwirklichten Planes, alles verjüngte den Feldherrn, der ja im Felde doch immer glücklicher gewesen war als in der Stadt, auch wenn er es in resignierten Stunden anders wahrhaben wollte. Stimmungen des Aufbruches belebten ihn, das Ende dieser weltlichen Idylle, das Versprechen einer neuen, rauschenden Begebenheit. Kleopatras Plan war, bald nach seiner Abfahrt heimzukehren, dann durch syrische Truppen und Kuriere mit ihm verbunden zu bleiben, die seiner gewaltigen Armee zugehörten. Denn nun sollte der letzte große Schlag beginnen, hinter dem die Erfüllung seines Traumes stand.

Es war ihr Traum wie seiner, und in solch einer seltenen Stunde der Muße erhob er sich aufs neue aus all den dicken Decken und Tüchern, die der Tag mit seiner Vielfalt darüberwarf. Vielleicht ließen sie beide, Cäsar und Kleopatra, an diesem letzten Abend die Szenen von Alexandria wieder an sich vorüberziehen, einander erinnernd und ergänzend, wie Liebende tun, die den Schauder vor neuen Gefahren im Rückblick auf glücklich überstandene besänftigen wollen. Alles lief heute mehr als je auf Caesarion hinaus; wie ein Ephebe schien seine Gestalt den Alexander-Traum zu bewachen.

Aber Cäsar bemerkte hinter ihrem Lächeln auch noch an diesem Abend jene Unruhe, die sie seit Wochen zu entfremden drohte. Sie hatte von schlechten Vorzeichen gehört, ganz Rom war voll von Gerüchten: von verlassenen Vögeln, die nachts laut schreiend auf dem Forum aufgeflogen wären, von Opfertieren ohne Herz, von plötzlichen Blitzen unterhielten sich die Menschen, und der Instinkt der Königin fand sich in solchen Vorzeichen bestätigt. Das konnte sie dem Manne nicht sagen, der eben aufs neue das Schwert ergriff. Er aber sagte es ihr: er wüßte schon, daß seine, den Göttern geweihten Pferde am Rubikon seit einiger Zeit nicht mehr fräßen, daß die Iden des März ihm gefährlich wären und daß gestern eine Vogelschar einen Lorbeerzweig in die Kurie des Pompejus getragen habe. War es nicht so? Und Cäsar lachte.

Doch die Königin stimmte nicht ein, und so versuchte er es auf elegantere Art: ob sie sich wohl der Chaldäer erinnere, die Alexander vor Babylon rieten, mit dem Einzüge bis morgen zu warten! Doch warum warten? Hat sie, Kleopatra, jemals Furcht gezeigt in jenen verteufelten Wochen in Alexandria? Die fremde Stadt ist es, die sie bedrückt, und Euripides sang: »Der ist der beste Seher, welcher glücklich rät!« Cäsar versprach ihr, den letzten Abend bei ihr zu verbringen.

Als er am nächsten Abend bei Lepidus speiste, saß Decimus Brutus dabei und genoß schweigend sein Wissen um das, was dem Herrn der Welt morgen geschehen sollte. Vielleicht war er es, der das Gespräch auf den Tod lenkte; überliefert ist, daß man über den Tod sprach. Cäsar unterschrieb einige Papiere, die man ihm an die Tafel gebracht. Während er las und zugleich der Frage zuhörte, welcher Tod am meisten zu wünschen sei, sagte er: »Ein plötzliches Ende.« Zugleich unterschrieb er seinen Namen.

Am nächsten Morgen zitterten achtzig Männer, die ihre kurzen Schwerter und Dolche in der Toga trugen; nur der keinen Dolch trug, zitterte nicht. Aber er fühlte sich nicht wohl, schreckliche Träume, die ihm Calpurnia erzählte, ihre Bitte und sein Wunsch, ihr in diesen letzten Tagen vor der Abreise gefällig zu sein, hielten ihn zurück, bis Decimus Brutus kam, von den Verschwörern entsandt, und ihn zu bereden suchte, doch noch zu kommen: Was würde der Senat, den er berufen, sagen, daß ein Traum seiner Frau ihn umstimmen konnte! Als aber Cäsar noch immer verneinte, hatte jener (nach Plutarch) ein letztes Lockmittel, das er in diesem Augenblicke offenbar erfand: Heute, dicht vor seinem Aufbruch in den Krieg, wollte der Senat ihm den Königstitel außerhalb Italiens antragen, nach dem bekannten Plane. Dies entschied, denn es traf Cäsar ins Herz seiner Pläne.

Er hörte deshalb, in seiner Sänfte zur Kurie des Pompejus getragen, weder einen Sklaven an, der ihm mit aufgeregten Gesten etwas anvertrauen wollte, noch las er eine Rolle durch, die ihm Artemidos, ein griechischer Gelehrter, aus der Menge heraus übergab, mit dringenden Zeichen und Worten: er sollte sofort lesen! Diese Rolle, den Plan und die Namen einzelner Verschwörer enthaltend, behielt er als einziges Papier in der Hand, um es gleich nach der Sitzung zu lesen, denn die Erregung des Philosophen war ihm aufgefallen. Als ihn dann ein Senator in der Pforte ansprach und lange in leiser Rede aufhielt, glaubten die Verschwörer aufs neue, sie wären entdeckt, einige wollten entfliehen. Zugleich wurde Antonius, den man schonen wollte, in der äußeren Säulenhalle aufgehalten.

Drinnen, vor den thronartigen Sessel, tritt nach der Verabredung Cimber zuerst auf ihn zu, um die Begnadigung seines verbannten Bruders zu erbitten, und als Cäsar die Frage verschieben und zu den wichtigen Dingen kommen will, treten viele Verschworene heran, um jene Bitte zu unterstützen; einige küssen ihm, wie in Verehrung, Hals und Brust, um zu sehen, ob er nicht heimlich einen Panzer trage. Cäsar sieht sich bedrängt, er will sie alle mit einer Bewegung der Rechten entfernen – da greift Tullius nach Cäsars Toga, so daß sie ihm von der Schulter gleitet und seine Brust unter der dünnen Tunika sichtbar wird. Das war das beschlossene Zeichen. Cäsar ruft: »Das ist Gewalt!« und springt auf. »Jetzt stieß ihm« – so schreibt Appian – »Casca, der ihm zu Häupten stand, zuerst mit dem Schwert gegen seine Kehle, glitt aber ab und verwundete ihn in der Brust. Cäsar riß sein Kleid aus Cimbers Hand, ergriff Cascas Hand, sprang herab und packte ihn mit großer Gewalt. Während er mit ihm rang, durchbohrte ein anderer mit dem Dolch seine durch die Wendung entblößte Seite. Cassius verwundete ihn im Gesicht, Brutus stieß ihn in die Lende.« »Gegen die andern« – so schreibt Plutarch – »hatte sich Cäsar gewehrt und dabei unter lautem Schreien seinen Körper nach allen Seiten herumgeworfen. Als er aber auch Brutus mit gezücktem Dolch erblickte, zog er sich das Gewand über den Kopf und gab sich preis.«

Mit dreiundzwanzig Wunden ist Cäsar schließlich zusammengebrochen. Zwei Senatoren hatten einen Augenblick versucht, ihm beizuspringen, jetzt floh alles aus der Halle, niemand wollte Brutus reden hören, die Verschworenen selber, ratlos, verließen rasch den Ort. Der tote Cäsar blieb ganz allein im leeren Saale liegen, und der einzige, der auf ihn herabsah, war ein marmorner Pompejus, der vor ihm ermordete, große Feind. Später nahmen zwei seiner Sklaven den Leichnam auf, um ihn in sein Haus zu schaffen.

Da blieb in der Halle nichts zurück als jene Rolle mit der Liste der Verschworenen.

13

Kleopatra, jenseits des Tiber, mag die Kunde um einige Minuten später erfahren haben als das übrige Rom. Sie hatte irgendein Unheil um Cäsar erwartet. Jetzt, statt zu klagen oder anzuklagen, erfaßte die junge Königin sofort die Gefahr und handelte für ihren Sohn, der zugleich Cäsar war. In diesen Tagen schimmert der metallene Glanz ihrer Natur in heldenhaftem Lichte. Während Hunderte mächtiger Römer aus Rom flohen, blieb diese ungeschützte Frau, die jeden Augenblick ermordet werden konnte; sie blieb noch einen Monat. Der einzige, dem sie vertraute, Antonius, war zugleich der Mann, dessen Interessen den ihrigen entsprachen.

Daß Antonius im Laufe von vier Tagen verstand, aus der Gefahr, der er entronnen, eine unerwartete Chance zu machen, verdankte er wesentlich Fulvia, seiner Frau, deren rastloser und erfinderischer Geist jetzt endlich das Feld fand, um ihr verwegenes Spiel zu treiben – jahrelang, bis zu ihrem Tode. Fulvia war vielleicht der einzige römische Bürger, der Kleopatra im kommenden Kampfe gewachsen war.

In der ersten Verwirrung, verdoppelt durch die mangelnde Voraussicht der Verschworenen, geschah nur eine Tat. Antonius, der aus der Halle des Mordes geflohen war, sein Haus verschanzt hatte, am nächsten Abend den Mörder Cassius zum Abendbrot einlud – Brutus speiste bei Lepidus, einem andern Freunde des Cäsar –, Antonius schien auf alles einzugehen, was die Verschworenen wollten, stimmte ihrer Straffreiheit und öffentlichen Ehrung zu; er konnte es wagen, denn er war im Besitz eines Machtmittels, das niemand sonst besaß. Noch nachts, nach dem Morde, von ein paar Sklaven begleitet, hatte er sich zu Cäsars Hause gestohlen und von der verstörten Witwe Cäsars Papiere und Vermögen abgeholt, um, wie er sagte, beides sicherzustellen. Dann ging er schnell, sich im Tempel des Ops den Staatsschatz zu holen, an fünfundzwanzig Millionen Goldfranken wert. Die andern, die, von ihrer Tat erschrocken, durcheinanderliefen, hielten dagegen nichts in Händen als die Freiheit.

Bei Cäsars Papieren lag sein Testament.

Als Antonius dieses Testament durchflogen, bat er durch einen Boten die Königin zu sich. Die Straße war von Fackelträgern erhellt, aber alles lief rasch vorüber, die Türen knarrten auf und schlugen dann rasch zu, niemand wußte, welcher Dolch an der Ecke ihn erwartete; sicher war die griechische Amazone die einzige Frau, die sich in dieser Nacht auf die Straßen Roms wagte. Dann aber stand sie in Antonius Haus und las das Papier: Drei Großneffen erben Cäsars Vermögen, davon der älteste, Oktavian, drei Viertel. Falls einer der Neffen die Erbschaft nicht antritt, soll Decimus Brutus an seiner Stelle Erbe sein. Sollte Cäsar nach dem Tode noch ein Sohn geboren werden, so werden mehrere Freunde, die nun unter seinen Mördern waren, zu Vormündern ernannt. Cäsars Gärten jenseits des Tiber, darunter die Wohnung der Königin, gehören dem römischen Volke. Jeder Bürger Roms erbt 300 Sesterzen. Nachtrag: Oktavian wird an Sohnes Statt adoptiert.

Da sitzen sie sich gegenüber, Cäsars Freund und Cäsars ägyptische Gattin, und finden sich in seinem Testamente nicht. Da sie nicht hier sind, dem Toten zu grollen, sondern sich selbst zu retten, haben sie kaum Zeit, den Gründen dieses Dokumentes nachzudenken, noch alle Bitterkeit und Ironie nachzufühlen, die in der Prämiierung einiger von den Verschworenen liegt. Der einzige Satz, mit dem sie beide fertig werden müssen, ist der letzte: Oktavian!

Warum vernichteten sie nicht das Papier und ließen in dieser Nacht ein neues schreiben und siegeln? Cäsars Geheimschreiber Faberius hat für Fulvia in den nächsten Wochen Dutzende von Cäsars hinterlassenen Papieren gefälscht, mit deren Hilfe Antonius Senatsbeschlüsse, Amnestien, Schuldbriefe, Schuldverschreibungen schuf, Vermögen verschob und gewann. Unmöglich, daß sie die ungeheure Chance nicht erkannten, die der siebzehnjährige Oktavian als Zentrum einer ihnen übelwollenden Partei hier finden mußte. Es scheint also doch die Ehrfurcht gewesen zu sein, die diese drei nächtlich sich beratenden Menschen ein paar Stunden nach seiner Ermordung vor Cäsars Namenszug noch ergriffen hat.

Antonius zeigte mehreren Verschworenen, die er an einem der nächsten Abende zu einem festlichen Mahle einlud – so klug war Fulvia –, das echte Testament und erhielt beim Wein ihr Einverständnis, es bei der großen Leichenfeier auch dem Volke vorzulesen: so töricht waren Brutus und Cassius. Dort hat er mit dem einen Satze, daß jeder Bürger Roms Cäsars Erbe war, das Volk zur Wut gegen die Verschwörer aufgestachelt und die Geschichte der nächsten Jahre gemacht.

Kleopatra zwang sich, nur an Caesarion zu denken. Der Traum war aus: das muß sie in den ersten Minuten durchzuckt haben. Aber das kostbare Pfand des Toten, der Knabe, lebte, und es galt, ihm sofort bei seines Vaters Ende den Weg vorzubereiten, den er einstmals beschreiten sollte – auch wenn er dann vielleicht nichts mehr besaß als den phantastischen Reiz, aus Cäsars Blute zu stammen. War Antonius sein Rivale? Wenn sie auf Fulvia blickte, mochte sie's argwöhnen. Zunächst aber waren sie beide zusammen Rivalen des bleichen Oktavian. Was würde er tun? Jetzt saß er in Apollonia, attachiert an einige Legionen, die Cäsar nach Griechenland vorausgeschickt hatte, umgeben von seinen Lehrern, die ihn weiter zum Philosophen erziehen sollten, während er zugleich ein kleiner Offizier war, denn als solcher, als Cäsars Adjutant, hatte er diesem im letzten Kriege gefallen. Wäre dies ihr eigenes Land gewesen, Kleopatra hätte sofort Boten ausgesandt, ihn auf der Überfahrt zu töten. Die Weltgeschichte wäre anders verlaufen.

Für heute beschlossen beide, ihn zu bekämpfen. Die Königin brauchte Antonius, um Caesarion zu legitimieren; Antonius brauchte den dreijährigen Knaben, um für ihn und gegen den Siebzehnjährigen zu regieren.

So ward in der Nacht nach Cäsars Ermordung ein stummes Bündnis geschlossen zwischen seinem Freund und seiner Freundin, zwischen Antonius und Kleopatra, und vielleicht dachte sie für Sekunden an jenen glücklichen Sommerabend zurück, an dem ihr Cäsar den Vertrauten zugeführt. Tiefe Gefühle schliefen zwischen diesen beiden lebensvollen Menschen, als sie sich bei ihrem Scheiden die Hände reichten und er ihr noch einen zweiten Trupp Soldaten mitgab, um sie auf dem nächtlichen Heimwege und dann in ihrer einsamen Villa zu beschützen.

Als sich nach wenigen Tagen durch Fulvias Schlauheit Antonius' Stellung erstaunlich gefestigt hatte, trat er im Senat – er war ja Konsul – mit der amtlichen Mitteilung hervor, Cäsar habe den Sohn der Königin von Ägypten als seinen echten Sohn anerkannt, und er fügte noch das Zeugnis von Oppius hinzu, Cäsars mächtigem Finanzberater. Damit hatte Antonius alles, was er selber zivil und militärisch zu tun gedachte, an die romantische Existenz von Cäsars Sohn geknüpft, als dessen Vormund er kurzerhand die ganze Macht ergriffen habe. Es war ein Meisterstreich. Niemand widersprach, und niemand sprach von Oktavian.

Aber er kam! Er eilte auf die Kunde hin nach Rom und stand wenige Wochen nach Cäsars Tode vor des Antonius Tür; das heißt, er saß im Vorsaal, denn jener ließ ihn warten. Als dann Oktavian mit seiner leisen und listigen Stimme erklärte, er träte das Erbe Cäsars an und fordere alle Papiere und alles Geld, da fand er in seinem doppelt so alten Rivalen eine Art General, der einen Leutnant heruntermacht: er möge ja nicht glauben, ein solcher Jüngling könnte Cäsars Erbe sein! Und gleich darauf – so berichtet Appian – ließ er ihn stehen und ging aus dem Zimmer.

Furchtbarer Irrtum – und Antonius wird ihn büßen!

Auch der Königin konnte Oktavian dicht vor ihrer Abreise seine Visite machen. Daß ihr Sohn sein Rivale war, wußte er wohl, aber seine schönen, kalten Augen suchten heute nur zu ergründen, was sie selbst von ihm hielt. Er begegnete einem forschenden Blick, denn ihr Jägerauge suchte irgendeinen fernen Zusammenhang mit Cäsars Blute. Mit Befriedigung entdeckte sie nur das andere Blut in ihm, das sie im stillen Wucherer von Velletri nannte.

Alles war ungeklärt, als sich in den nämlichen Tagen die Königin mit ihrem großen Hofe zu Schiffe begab. Alles rief sie in ihr Land: Unsicherheit des Knaben, der manchem im Wege zu stehen begann, böse Blicke auf der Straße, auf der man jetzt mit einigem Spott erklärte, die Gärten, in denen sie noch immer wohnte, gehörten nach Cäsars Willen dem Volke; vor allem Unruhen, die ihre Feinde zu Hause erregen könnten, jetzt, da der mächtige Mann gefallen war, auf den sie ihres Landes Zukunft gebaut hatte.

An einem Morgen um Mitte April stand Kleopatra am Heck ihres Schiffes, um die italische Küste so lange wie möglich noch zu erkennen. Vor ihrem Sinn erhob sich der letzte Augenblick, in dem sie Cäsar gesehen, die Leichenfeier. Sie sah wieder, wie sich, auf den einzelnen Ruf eines Unbekannten hin, plötzlich die Menge erhob, und, statt den toten Cäsar zur Verbrennung aufs Marsfeld zu tragen, gleich hier den Holzstoß zu formen begann: wie Soldaten und Matrosen, Bürger und Kinder, wie hunderttausend Menschen alles ergriffen, was ringsum brennbar schien, wie sie ihre Oberkleider herunterzerrten, die Frauen ihren Schmuck, die Männer ihre Waffen, die Spielleute ihre Flöten nahmen, um alles, was sie besaßen, dem Helden zu opfern, dessen Leib sich in der Flamme verzehren, dessen Seele sich vergöttlichen sollte. Nie zuvor war ein Scheiterhaufen aus der Hingabe eines Volkes entstanden, und wie sie ihn nun wieder vor sich aufsteigen sah, wie sie den Rauch wieder zu riechen glaubte, sah sie sich auch selber an jenem Fenster stehen, zu fern, um etwas ins Feuer zu werfen.

Damals – so dachte sie und sah den Turm von Ostia kleiner werden –, damals warf sie von ihrem fernen Fenster einen Traum in die Flammen, groß wie das Feuer und groß wie der, den sie darauf verbrannten. Es war der Alexander-Traum, und all sein Geschmeide, alle Farben und Gewänder, Thron und Diadem verbrannten mit in dem Riesenfeuer, das das Volk der Republik seinem toten Konsul angezündet hatte, weil es nicht wollte, daß er König wurde.

Schwere Gefühle über die Flüchtigkeit des Glückes, tiefe Gedanken über Könige und Erbfolge, ein gesteigerter Abscheu vor der Herrschaft der Menge erfüllten sie, als der Scheiterhaufen vor ihrem Auge erlosch. Mit ihm war die italische Küste verschwunden. Von Cäsars Macht war nichts mehr an Bord als ein schlafender Knabe.

Da ging Kleopatra zur Spitze ihres Schiffes und spähte nach Süden aus, über das Meer, als ob sie mit den Blicken das Ufer ihrer Heimat schon erfassen könnte.


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