Pierre Loti
Reise durch Persien
Pierre Loti

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Dritter Teil

Freitag, 4. Mai.

Bei kaltem, klarem Sonnenaufgang brechen wir auf und reiten über die weißen Mohnblumen hinweg, auf denen noch der ganze Tau der Maiennacht liegt. Zum erstenmal seit Chiraz legen meine Perser ihren Burnus an und ziehen ihre Magiermützen tief über die Ohren.

Nachdem die Ebene hinter uns liegt, steigen wir noch einmal zu den großen Palästen des Schweigens hinan, um von ihnen Abschied zu nehmen. Aber das Licht des Morgens, das niemals verfehlt, das ganze Alter, den ganzen Verfall der Dinge bloßzulegen, zeigt uns weit mehr als die Abendsonne es vermochte, welcher Vernichtung die Herrlichkeiten des Darius und des Xerxes entgegengehen, wie verfallen die wunderbaren Treppen sind, wie traurig der Anblick der gestürzten Säulen ist. Nur die seltsamen Basreliefs aus grauem Kiesel, dem auch die Jahrhunderte nichts anzuhaben vermögen, können unter den Strahlen der aufgehenden Sonne bestehen: Prinzen mit glatten Bärten, Krieger oder Priester strahlen in dem hellen, grellen Licht mit einem Glanz wieder, der ebenso neu erscheint wie an dem Tage, als die mazedonischen Horden gleich einem Wirbelwind herangebraust kamen.

Während ich über den Boden der Geheimnisse dahinschreite, stößt mein Fuß auf ein halbverstecktes Stück Holz, das ich herausgrabe, um es näher zu betrachten; es ist ein Teil irgendeines riesengroßen Balkens aus den unverwüstlichen Zedern des Libanon gehauen, und – es herrscht kein Zweifel –, dies Stück gehört zu dem Gebälk der Gemächer des Darius. . . . Ich hebe es auf und kehre es um. Eine der Seiten ist geschwärzt, verkohlt und zerbröckelt unter dem Druck meiner Finger: Das Feuer, das die Fackel Alexanders angelegt hat! . . . Hier haben wir die Spur dieses sagenhaften Feuers, zwischen den Händen halte ich sie jetzt nach mehr als zweitausend Jahren! . . . Während eines Augenblickes verschwinden die dazwischenliegenden Jahre für mich; es scheint mir, als habe diese Feuersbrunst gestern gewütet; man könnte sagen, daß diesem Stück Zedernholz die Kraft innewohnt, Geister heraufzubeschwören, weit klarer als gestern, fast wie eine Vision sehe ich den Glanz dieser Paläste, das Leuchten der Emaillen, des Goldes und der purpurnen Teppiche, sehe ich den Prunk dieser unausdenkbar reichen Säle, die höher waren als das Schiff der Madeleine, und deren Säulenreihen gleich Riesenalleen sich in einen Waldesschatten verloren. Eine Stelle des Plutarch kehrt mir ins Gedächtnis zurück, eine Stelle, die ich einst, in Schülertagen, unter der Fuchtel meines Lehrers übelgelaunt und voll Langerweile übersetzte, aber plötzlich belebt sie sich, wird sie mir verständlich; es handelt sich um die Beschreibung einer Nacht der Orgien in der Stadt, die sich hier um diese freien Plätze ausdehnte, auf der Stelle, wo jetzt die wilden Blumenfelder liegen: Der Mazedonier ist durch einen zu langen Aufenthalt inmitten des ihm unbekannten Luxus aus dem Gleichgewicht geraten, er ist berauscht, hat sich mit Rosen bekränzt, ihm zur Seite sitzt die schöne Thaïs, die Beraterin in allen Ausschweifungen, und zum Schluß des Mahles erhebt er sich mit einer Fackel in der Hand – um eine Laune seiner Geliebten zu befriedigen – und begeht das nie wieder gutzumachende Opfer, entfacht die Feuersbrunst, legt das Freudenfeuer in den Gemächern der Achämeniden an. Alsbald ertönt das laute Geschrei der Trunkenheit und des Schreckens, steht plötzlich das Zederngebälk in hellen Flammen, hört man das Geknatter der Emaille an den Mauern, das Fallen der riesenhaft großen Säulen, die übereinander zusammenstürzen und mit Donnergetös gegen den Boden anprallen. . . . Der kleine schwärzliche Teil des Balkenstückes, das noch übriggeblieben ist, und das meine Hände berühren, wurde in jener Nacht zu Kohle verbrannt . . .

Die Etappe heute wird neun Stunden dauern und wir verlängern sie noch, indem wir einen Umweg machen, um den braunen Berg in nächster Nähe sehen zu können. Hinter Persepolis ragt dieser Berg gleich einer Mauer aus Kupfer auf, und schwarze Löcher, die Begräbnisstätten der Achämeniden-Könige, führen in sein Inneres hinein.

Um an den Fuß dieses Felsens zu gelangen, muß man über die endlosen Schutthaufen ausgehauener Steinblöcke, eingestürzter Mauerreste klettern; die gewaltige Vergangenheit hat diesen Boden befruchtet, in dem viele Schätze, viele Totengebeine ruhen müssen.

Drei ungeheuer große Begräbnisstätten liegen im Schoße des Berges voneinander getrennt, aber in einer Reihe; um die Gräber des Darius und der Prinzen seines Hauses unzugänglich zu machen, wurden die Öffnungen zu diesen Gewölben in halber Höhe der steilen Felswand gelegt, und wir können nur mit Leitern, Stricken, mit einem ganzen Belagerungs- und Einbruchsmaterial dort hinauf gelangen. Der monumentale Eingang zu jeder einzelnen dieser Stätten ist von Säulen umgeben und von figürlichen Basreliefs überragt; die alle in den Felsen selbst hineingehauen sind; die Verzierungen scheinen von den Ägyptern und den Griechen zugleich beeinflußt zu sein; die Säulen, das Gesims sind jonisch, aber der Gesamteindruck erinnert doch mehr an die schwere Pracht der Portale Thebens.

Unterhalb der Gräber, am Fuße des als Begräbnisstätte dienenden Berges, sieht man hier und dort, ohne irgendwelchen Zusammenhang, andere riesengroße Basreliefs in vertiefte Vierecke ausgehauen, sie gleichen eingerahmten Gemälden. Übrigens sind sie älter als die Begräbnisstätten, sie stammen aus der Zeit der Sassaniden-Könige; fast alle Gesichter der fünfzehn bis zwanzig Fuß hohen Figuren haben die Mohammedaner verstümmelt, aber trotzdem wirken verschiedene Kampfes- oder Siegesdarstellungen noch immer. Besonders ins Auge fallend ist ein Sassaniden-König, der in stolzer Haltung auf einem Kriegsroß sitzt, vor ihm kniet und demütigt sich wahrscheinlich ein Besiegter, ein römischer Kaiser, an seiner Toga erkenntlich, dies ist die ergreifendste und zugleich die größte aller Gruppen, die von dem roten Felsen eingerahmt werden.

Die Sieger alter Zeiten verstanden zu zerstören! Man ist bestürzt, wenn man heute dem Nichts gegenübersteht, in das so viele alte ruhmreiche Städte durch einen einzigen Stoß getaucht werden konnten, Karthago zum Beispiel und auch hier am Fuße dieser Paläste, dies Istakhar, das solange gestanden hatte, das einer der herrlichsten Plätze der Welt gewesen, und das im VII. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung unter dem letzten Sassaniden-König noch immer eine große Hauptstadt war: eines Tages aber zog der Kalif Omar vorbei, er befahl sie zu unterjochen und ihre Einwohner nach Chiraz zu verpflanzen; sein Befehl wurde ausgeführt, und nichts ist von der Stadt zurückgeblieben, kaum ein Haufen Steine unter dem Gras; man zögert, an diesem ihre Spur zu erkennen.

Ich suchte zwischen den Trümmerhaufen nach einem älteren Denkmal, nach einem Denkmal, das mehr in die Augen fällt und das die Zoroaster, die Emigranten in Indien, mir als noch erhalten bezeichnet hatten. Und jetzt liegt es ganz in der Nähe, wild und schweigend auf dem Postament eines Felsblockes vor mir. Nach der Beschreibung erkannte ich es sofort wieder, außerdem wurde mir seine Identität durch die Bezeichnung des Tcharvadaren »Ateuchka!« bestätigt – in der ich das türkische Wort ateuch wiederfinde, das Feuer bedeutet. Zwei schwere, einfache, abgestumpfte Pyramiden, von grobem Zackenwerk gekrönt, zwei Zwillingsaltäre für den Kultus des Feuers bestimmt, aus der Zeit der ersten Magier stammend, die mehrere Jahrhunderte vor Beginn des großen Baues der Persepolis und des ausgehauenen Berges lebten; sie waren schon sehr alt und ehrwürdig, als die Achämeniden diesen Ort erwählten, um hier ihre Paläste, ihre Stadt und ihre Gräber zu errichten, sie standen schon da in den dunkelsten Zeiten, wo die zur Begräbnisstätte dienenden Berge noch unberührt und jungfräulich waren, und wo die ruhige Ebene sich an Stelle so vieler ungeheurer Vorhallen und steinerner Plätze ausdehnte; sie haben die gesteigerten Zivilisationen anwachsen und verschwinden sehen, und immer sind sie auf ihrem Postament fast dieselben, die beiden Ateuchkas geblieben, unverwüstlich und gleichsam ewig in ihrer derben Herbheit. Wie man weiß, verschwinden die Feueranbeter immer mehr aus ihrem Heimatland, ja sogar von der Erde; die Übriggebliebenen sind, ähnlich wie das Volk Israels, in alle Winde verstreut; aber in Yezd, der Wüstenstadt, die ich auf meinem Wege rechts liegen ließ, gibt es eine noch ziemlich große Gemeinde, man findet auch einige in Arabien, andere in Teheran, und schließlich bilden sie eine wichtige, reine Kolonie in Bombay, wo sie ihre großen Begräbnistürme errichtet haben. Aber von allen Punkten der Erde, wohin sie ihr Schicksal auch geführt haben mag, kehren sie doch immer wieder als Pilger zu diesen beiden erschreckend alten Pyramiden zurück, die ihre heiligsten Altäre sind.

In dem Maße, wie wir uns entfernen, scheinen die schwarzen Löcher der Grabstätten uns gleich dem Auge des Todes zu verfolgen. Indem die Könige ihren Begräbnisplatz so hoch legten, wollten sie zweifellos bezwecken, daß ihr Schatten, noch von der Schwelle der dunklen Pforte aus, mit Herrscheraugen über das Land dahinschweben und immer von neuem den Betenden Furcht einflößen könnte.

Um weiter vorzudringen, folgen wir zuerst einem schmalen Bach, der eingeschachtelt und tief über Kieselsteine, durch Schilf und Weiden dahinfließt; ein Streifen Grün liegt halbversteckt in einem Spalt des Bodens, umgeben von den dunklen Steinregionen. Und bald, nachdem wir die Grabstätte alter Herrlichkeiten, nachdem wir auch das schattige kleine Tal aus dem Auge verlieren, umgibt uns von neuem die gewohnte, gleichmäßige Eintönigkeit: die baumlose Ebene, mit kurzen Gräsern und blassen Blumen bewachsen, dehnt sich, zweitausend Meter hoch gelegen, ruhig wie das Wasser eines Flusses zwischen zwei Bergketten aus, die eine aschgraue, oder vielmehr eine lederbraune Farbe, die Farbe des toten Tieres zeigen.

Und in dieser Ebene reiten wir dahin, bis zur Stunde der Dämmerung, bis es plötzlich ganz kalt wird.

Aber während die Sonne noch hoch am Himmel steht und ihre sengenden Strahlen auf uns herniederwirft, sehen wir schon am Ende der grünen Fläche das Dorf Ali-Abad liegen, wo wir zu übernachten gedenken. Doch zahllose tückische Spalten durchschneiden hier und dort die Ebene, die so leicht erschien, gefährliche Risse im Boden, über die der Reiter nicht hinwegsetzen kann, zwingen uns immer wieder, neue Umwege zu machen; wir sind wie in einem Labyrinth gefangen, kommen nicht von von der Stelle, und in diesen Schluchten liegen die Leichnahme der Pferde, Esel oder Maultiere, wie sie der ewige Durchzug der Karawanen dort hingesät hat, und bilden den Sammelplatz der schwarzen Vögel. Ali-Abad sehen wir noch immer sich in der gleichen Entfernung vor uns erheben, man könnte sagen, es sei ein befestigtes Schloß aus dem Mittelalter: dreißig Fuß hohe, mit Schießscharten und Türmen versehene Mauern bilden den Schutzwall gegen die Nomaden und Panther.

Jetzt müssen wir einen Gießbach überschreiten, der durch eine Schlucht dahinbraust. Bauern eilen zu unserer Hilfe herbei, um uns die Furt zu zeigen, sie heben ihre blauen, baumwollenen Kleider bis über den Gürtel auf, steigen in das schäumende Wasser und wir folgen ihnen, auch unsere Pferde werden bis an den Bauch durchnäßt. Endlich nähern wir uns Ali-Abad; noch eine halbe Meile reiten wir an Friedhöfen, eingestürzten Gräbern entlang; dann geht's an den Umzäunungen, den Gärten, den Lehmmauern vorbei, über die das zitternde Laub unserer heimatlichen Bäume herabhängt, Kirschen-, Aprikosen-, Maulbeerbäume, alle schon tragen sie kleine grüne Früchte; und schließlich erreichen wir das Eingangstor der Wälle, unter dessen großen Spitzbogen alle Frauen sich aufgestellt haben, um uns vorüberziehen zu sehen. Diese Warten, Mauern, diese Zinnen, dieser ganze furchteinflößende Verteidigungsapparat, dieses alles macht, in der Nähe besehen, den Eindruck eines bloßen Festungsschattens, dies alles besteht nur aus Lehm, hält sich nur wie durch ein Wunder aufrecht, genügt vielleicht als Schutz gegen das Gewehrfeuer der Nomaden, wird aber bei dem ersten Kanonenschuß wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.

Die Frauen stehen dicht gegen die mit großen eisernen Nägeln beschlagenen Türflügel gelehnt und beobachten uns, wie wir im bunten Durcheinander mit einer Herde Ochsen an ihnen vorüber zum Tor hineinziehen. Hier gibt es keine schwarzen Gespenster mit weißen Masken mehr, die die Straßen Chiraz' verdunkelten, die langen Schleier sind aus klarem Stoff, mit Palmenzweigen oder altmodischen Blumen übersät, und bilden mit ihren verblaßten Farben ein harmonisches Ganzes; man hält sie mit der Hand gegen den Mund, um nur die Augen zu zeigen, aber der Abendwind, der sich mit uns unter den Spitzbogengewölben verliert, hebt ihn in die Höhe und mehr als ein Antlitz, mehr als ein naives Lächeln können wir überraschen.

Die Karawanserei befindet sich an dem Tor selbst, und diese fast ganz gleichmäßigen Löcher, unterhalb der Zinnen, mit denen der Spitzbogen gekrönt ist, sind die Fenster unserer Schlafräume. Wir klettern auf Lehmtreppen dort hinauf, gefolgt von dem gefälligen Volk, man trägt uns unser Gepäck, schleppt uns Krüge mit Wasser, Näpfe mit Milch herbei, bringt uns Reisigbündel, um Feuer machen zu können. Und bald dürfen wir uns an den hellflammenden Scheiten erwärmen, die den ganzen Raum mit ihrem süßen Wohlgeruch erfüllen.

Zwischen den Wällen liegen zahllose Lehmdächer nebeneinander gedrängt, sie bilden die innere Terrasse, von wo aus man einen Überblick über das Dorf hat. Und auf diesen Dächern treten jetzt alle Frauen, all die bescheidenen, geblümten, verblaßten Schleier ihren gewohnten Spaziergang an; sie können nicht in die Ferne sehen, die Damen Ali-Abads, denn die sehr hohen Festungsmauern halten sie hier wie in einem Gefängnis gefangen, aber sie betrachten sich gegenseitig und unterhalten sich von einem Haus zum andern; in diesem eingeschlossenen und verlorenen Dorf müßte die abendliche Stunde im Freien besonders süß und reizvoll sein, und man würde dieselbe noch länger ausdehnen, wenn es weniger kalt wäre.

Der Gebetsausrufer singt. Und jetzt kehren die Herden heim. So oft haben wir diesen dicht gedrängten, blökenden Einzug gesehen, daß wir wirklich nicht wieder von neuem Gefallen daran zu finden brauchten, aber hier an diesem engen Ort ist er wirklich noch ganz besonders eigenartig: Durch das spitzbogige Eingangstor bricht die lebende, schwarze Flut herein, wie ein Fluß nach heftigen Regengüssen überschwemmt sie das Land. Und sofort teilt sie sich in verschiedene kleine Zweige, in kleine Bäche, die durch die engen Gäßchen laufen: Jede Herde kennt ihr Haus, trennt sich von selbst und zögert nicht; die Zicklein, die Lämmlein folgen ihrer Mama, die weiß, wohin sie zu gehen hat, niemand täuscht sich, und sehr schnell ist die Sache erledigt, das Geblöke schweigt, der Fluß der schwarzen Schafe hat sich aufgelöst und läßt nur in der Luft den Duft der Weiden zurück, all die kleinen artigen Tiere sind heimgekehrt.

Und auch wir sehnen uns nach unserem Lager, nach dem Schlaf unter dem eisigen Wind, der durch die Löcher unserer Mauern streicht, und lenken deshalb unsere Schritte dem Hause zu.

Sonnabend, 5. Mai.

Dieselben geblümten Schleier stehen bei Sonnenaufgang vor dem Tor, um uns fortreiten zu sehen; auch die Männer haben sich hier versammelt, alle in blauen Gewändern, alle mit schwarzen Hüten. Lange rosenrote Strahlen dringen durch die klare, kalte Luft und lassen die Zinnen, die Spitzen der Türme leuchten, während unter der morgendliche Schatten noch auf den unbeweglichen Gruppen ruht, die sich am Fuße der Wälle aufgestellt haben, und die uns bis zu dem Augenblick, wo wir in einem Spalt des sehr nahen Berges verschwinden, mit den Augen verfolgen.

Sofort befinden wir uns inmitten der wilden, engen und tiefen Schlünde, und über unseren Köpfen neigen die schrägen Felsen ihre drohenden Gipfel herab. Überall sieht man hier, was sonst in Persien eine Seltenheit ist, Sträucher, blühenden Weißdorn, der den Frühling verkündet, ja, sogar Bäume, große Eichen; und sie befreien uns für eine Stunde von dem ewigen Einerlei der Gräser und der Steine. Da diese Gegend scheinbar der Zufluchtsort der Räuber ist, hielten meine Reiter von Chiraz es für gut, sich drei kräftigen, jungen Leuten aus Ali-Abad anzuschließen. Diese gehen zu Fuß, sind mit langen Steinschloßgewehren, mit Hirschfängern und Amuletten bewaffnet; aber trotzdem halten sie uns kaum auf, denn sie sind gute Läufer und ungewöhnlich geschmeidig. »Vorwärts, vorwärts« – rufen sie uns immer wieder zu, – »trabt nur ruhig vorwärts, es ermüdet uns gar nicht.« Um besser laufen zu können, haben sie die beiden Zipfel ihres langen blauen Kleides mit einem Lederriemen, der um die Hüften geschnallt ist, hochgehoben, ihre braunen, muskulösen Schenkel kommen zum Vorschein, und sie gleichen also den Jägerprinzen auf den Basreliefs von Persopolis, die ihre Kleider genau auf dieselbe Weise mit dem Gürtel befestigten, wenn sie ausgingen, um die Löwen oder Ungeheuer zu bekämpfen.

Und sie machen Seitensprünge, sie finden noch Zeit, Wachteln und Perlhühner, die überall aufsteigen, zu verfolgen, – ja, sogar können sie uns Königskräuter, kleine duftende Sträuße mit ihrem schönsten Lächeln überreichen, wobei sie ihre weißen Zähne zeigen. Kaum, daß ihnen der Schweiß unter den schweren Mützen hervortropft.

Plötzlich öffnen sich die Schlünde, und vor uns liegt die Wüste, strahlend, ewig, unendlich. Die Gefahr, so sagt man uns, sei jetzt beendet, da die Räuber nur in den Schlünden der Berge arbeiten. Wir können also unseren drei Beschützern aus Ali-Abad danken und durch den weiten Raum dahingaloppieren; unsere Pferde wünschen sich übrigens nichts Besseres, sie waren schon ungeduldig, durch die Fußgänger, die zweibeinigen Läufer, zurückgehalten zu werden, jetzt setzten sie wie zu einer Fantasia davon. Die Pferde aber, die von meinen Reitern aus Chiraz geritten waren, sind weniger schnell, weniger launenhaft, sie scheinen mit einer Art Wollust dahinzugaloppieren und mit der Grazie eines Schwanes biegen sie ihre langen Hälse. Nirgends ein vorgezeichneter Weg, keine Einzäunung, keine Grenzen, keine menschliche Spur; es lebe der freie Raum, der jedermann und niemandem gehört! Die Wüste wird ganz in der Ferne, rechts und links, von schneebedeckten Gipfeln eingerahmt, sie dehnt sich vor uns aus, dehnt sich aus bis zu dem fliehenden Horizont hinan, den man niemals erreichen wird; die Wüste ist durchzogen von weichen, wellenförmigen Linien, sie gleichen den Wogen des Ozeans, wenn es windstill ist. Die Wüste zeigt eine blasse, grüne Färbung, sie scheint hier und dort von einer leicht violetten Asche bestäubt zu sein; – und diese Asche ist der Blütenflor der seltsamen, traurigen, kleinen Pflanzen, die unter der gar zu sengenden Sonne, unter dem gar zu kalten Winde ihre farblosen, fast grauen Kelche öffnen, die aber immer duften, deren Saft selbst ein Wohlgeruch ist. Die Wüste ist anziehend, die Wüste ist voller Reize, die Wüste ist reich an wunderbaren Düften; ihr fester, trockener Boden ist ganz von Wohlgerüchen durchtränkt.

So belebend scheint die Luft, daß man behaupten könnte, unsere Pferde seien unermüdlich; heute morgen galoppieren sie so leicht und munter dahin, und ihr kupferner Schmuck rasselt, und ihre Mähnen flattern launisch im Wind. Unsere Reiter von Chiraz vermögen nicht, uns zu folgen, wir verlieren sie aus dem Auge, jetzt verschwinden sie hinter uns in der Ferne der blaßgrünen, der blaßschillernden endlosen Ebene. Tut nichts! Man sieht so weit nach allen Seiten, und der leere Raum ist so tief, welche Überraschungen brauchten wir wohl zu befürchten?

Wir treffen eine große Herde schwarzer Rinder, schwarzer Kühe, kein Hirte bewacht sie; einige der jungen Stiere springen und schlagen hinten aus bei unserem Anblick, beschreiben seltsame Linien, aber nur zum Vergnügen und um Aufsehen zu erwecken, nicht um sich auf uns zu stürzen, da wir ihnen kein Leid zufügen wollen.

Gegen neun Uhr morgens sieht man, ungefähr im Abstand von einer Meile, zur linken Hand, in der sich neigenden Ebene, große Ruinen hervorragen, Ruinen der Achämeniden, zweifellos, denn die auf dem Steinhaufen noch aufrechtstehenden Säulen sind fein und schlank wie in Persepolis. Welch ein Palast ist dies, und welcher erhabene Fürst bewohnte ihn zu jenen Zeiten? Kennt man diese Ruinen, hat irgend jemand sie erforscht? Wir wollen nicht den Umweg machen und uns hier aufhalten, heute morgen haben wir einen schnellen Ritt von fünf Stunden zurückzulegen, und wir befinden uns ganz in dem physischen Rausch, vorwärts durch den Raum dahinzufliegen. Die höher steigende Sonne brennt ein wenig auf unsere Köpfe herab, um uns zu erfrischen, weht ein Wind, der über die Schneegefilde dahingestrichen ist. Die weißen Gipfel verfolgen uns noch immer zu beiden Seiten der Ebene. Diese gleicht einer endlosen Allee, ist mehrere Meilen breit, und lang, ja, man weiß nicht zu sagen wie lang . . .

Um elf Uhr zeichnet sich ein wirklich grüner Fleck dort unten ab und wächst schnell heran, unseren Augen, die sich schon an die Oasen Irans gewöhnt haben, verkündet er ein Stückchen Erde, durch das ein Bach fließt, ein Stückchen Erde, das man bebaut, eine menschliche Ansiedlung. Und in der Tat, zwischen das ganz frische, zitternde Grün mischen sich Wälle und Zinnen; es ist ein kleiner Weiler, er nennt sich Kader-Abad, und gibt sich durch seine baufälligen Lehmmauern den Anschein einer Festung. Dort nehmen wir unser mittägliches Mahl ein, auf den Teppichen Chiraz' sitzend, in dem Gärtchen der bescheidenen Karawanserei, im Schatten der dürren Maulbeerbäume, die der Frost des Frühlings entblättert hat. Und nach und nach wird die Mauer hinter uns geschmückt mit den Köpfen der Frauen und der kleinen Mädchen, eine nach der anderen tauchen sie schüchtern hervor, um uns zu betrachten.

Wir wollten gerade aufbrechen, als ein verworrenes Getöse das Dorf erfüllt, alles eilt herbei, hier geht etwas vor sich . . . Man sagt uns, es sei eine vornehme Dame angekommen, eine sehr vornehme Dame, ja sogar eine Prinzessin mit ihrem Gefolge. Seit einer Woche befindet sie sich auf der Reise nach Ispahan, und für diese Nacht bittet sie in den Mauern Kader-Abdas um Schutz und Obdach.

In der Tat nähert sich jetzt ein Trupp berittener Männer, ihre Beschützer, sie reiten vor ihr her, sitzen auf schönen Pferden, deren gestickte Sättel goldene Fransen zeigen. Und in dem Tor der zinnengekrönten Mauer sieht man etwas ganz Seltsames zum Vorschein kommen: eine Karosse! Eine Karosse mit purpurroten, seidenen Vorhängen, die Pferde sind abgespannt, und sie wird von einer Anzahl Hirten gezogen; scheinbar kommt sie von Chiraz, man hat einen längeren, aber weniger gefährlichen Weg als den unsern gewählt; ein Rad ist gebrochen, alle Federn mußten durch Taue verstärkt werden, die Reise verlief nicht ohne Beschwerden. Und hinter dem beschädigten Wagen schreitet die geheimnisvolle Schöne ruhigen Schrittes daher. Jung oder alt, wer vermöchte es zu sagen? Natürlich ist es ein Schatten, aber ein Schatten voller Anmut; sie ist ganz in schwarze Seide gehüllt und trägt vor dem Gesicht eine weiße Maske, aber ihre kleinen Füße zeigen elegantes Schuhwerk, und ihre zarte Hand, die den Schleier zusammenhält, ist mit grauen Perlen bedeckt. Um besser sehen zu können, steigen alle Frauen Kader-Abads auf die Dächer, und die braunen Mädchen eines Nomadenstammes laufen so schnell die Füße sie zu tragen vermögen, aus ihrem Lager herbei. Der Dame folgen ihre Begleiterinnen, auch sie sind undurchdringlich verschleiert, zu zweien nähern sie sich auf weißen Maultieren, in großen, rotverhangenen Käfigen. Und endlich bilden zwanzig Maultiere den Beschluß, sie tragen Ballen oder Koffer, die mit kostbaren samtähnlichen Geweben bedeckt sind.

Wir unsererseits brechen jetzt auf und verlieren uns sofort in der großen Wüste. Von einem jeden dieser Hügel aus, die wir unaufhörlich erklimmen müssen, um dann wieder hinabzusteigen, entdecken wir immer neue Ebenen, und alle sind sie gleich leer, gleich unberührt und wild, alle liegen sie in der gleichen wunderbaren Klarheit da. Man atmet eine süße Luft ein, eine Luft, die unter einer blendenden Sonne doch kalt ist. Der mittägliche Himmel zeigt ein hartes Blau, und einige perlmutterfarbene Wolken zeichnen die bestimmten Umrisse ihrer Schatten auf den nimmer endenden Teppich, der hier den Boden bedeckt, ein Teppich aus zarten Gräsern, aus Königskraut und Quendel, aus kleinen seltenen Orchideen, deren Blüte einer grauen Fliege gleicht . . . Wir reiten in einer Höhe von zwei- bis dreitausend Meter dahin. Heute abend treffen wir keine Karawane, haben keine Erlebnisse.

Seit heute morgen haben die beiden Gebirgsketten uns verfolgt, jetzt wo der Tag erstirbt, nähern sie sich einander. Mit einer Klarheit, die das Auge täuscht, zeigen sie uns das ganze Chaos ihrer Gipfel, wie es in einem dunklen Blau, in den wunderbar violetten Tönen, die in Rosa übergehen, daliegt, man könne sagen, es seien Geisterschlösser, babylonische Türme, apokalyptische Städte, die Trümmer einer Welt; und der Schnee, der dort in allen Falten der Abgründe schläft, sendet uns eine wirkliche Kälte entgegen.

Indessen winkt uns ein neuer grüner Fleck in der Ferne, er zeigt uns unser Nachtquartier für heute abend. Die immer gleiche, kleine Oase, die Kornfelder, einige Pappeln und in der Mitte die Zinnen eines Walles.

Es ist Abas-Abad. Aber die Karawanserei ist besetzt, sie beherbergt eine reiche kaufmännische Karawane, und nicht für Gold kann man uns dort Platz verschaffen. So müssen wir uns also ein Obdach bei ganz bescheidenen Leuten suchen, die über einem Stall zwei aus Lehm erbaute Zimmer besitzen, das eine wollen sie uns abtreten. Die zahlreiche Familie, die Knaben und Mädchen siedeln in den andern Raum über, der sonst wegen eines schadhaften Daches, durch das die Kälte eindringt, unbewohnt war. Auf einer abgenutzten Treppe, auf der man ausgleitet, steigen wir zu diesem wüsten, verräucherten, schwarzen Lager hinauf; man beeilt sich, die armseligen Matratzen, die Krüge, die Näpfe, die Weizenkuchen, die Steinschloßgewehre, die alten Säbel fortzutragen und die Hühner mit ihren Küchlein hinauszujagen. Dann muß man uns ein Feuer anzünden, denn die Luft ist eisig. In diesem waldarmen Ländern, wo es nicht einmal Strauchwerk gibt, heizt man mit einer Art Distel, die wie die Sternkorallen in der Gestalt von stachlichten Fladen wächst; die Frauen sammeln sie in den Bergen und trocknen sie für den Winter. Diese Disteln schichtet man mehrere Fuß hoch im Herd auf, und sie knattern und brennen in tausend lustigen kleinen Flammen. Die Hauskatze war zuerst mit ihren Herren umgezogen, sie entschließt sich jetzt aber, zurückzukehren, um sich an unserem Feuer zu wärmen, und sie geht auch darauf ein, mit uns zusammen zu Abend zu essen. Die beiden jüngsten Mädchen, zwölf und fünfzehn Jahre alt, hatten bei unserm Auspacken wie versteinert dagestanden, jetzt schleichen sie auf Zehenspitzen heran und können sich gar nicht losreißen von dem Anblick, den ihnen unsere Mahlzeit gewährt.

Übrigens sind sie alle beide so komisch, daß man ihnen nicht böse sein kann, sind so unschuldig schön, unter ihren persischen Schleiern mit dem altmodischen Muster, mit ihren roten samtweichen Wangen, die einem Septemberpfirsich gleichen, mit den fast zu langen, zu geraden Augen, deren Winkel sich unter dem schwarzen Schleier verlieren – schauen aber vor allen Dingen so ehrlich, keusch, so naiv drein. Erst als wir uns hinlegen, ziehen sie sich zurück, nachdem sie noch einmal einen ganzen Haufen Disteln ins Feuer geworfen haben; und alsdann umfängt uns die Kälte, das erhabene Schweigen, das die nahen Gipfel und ihre Schneegefilde ausstrahlen, und das sich mit der Nacht über die Einsamkeiten der Umgebung lagert, über das kleine lehmerbaute Dorf, über unsere elende Kammer und unseren gesunden, traumlosen Schlaf.

Sonntag, 6. Mai.

Schon frühmorgens finden wir die Freude an Schnelligkeit und Weite wieder, in der immer gleichen Wüste, zwischen den beiden Gebirgsketten mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Die Wüste ist wie marmoriert, durch ihre verschiedenen Blumenfelder. Aber hier herrscht nicht mehr die Pracht der Ebenen Marokkos und Palästinas, die sich im Frühling mit Schwertlilien, Rosen, mit blauen Winden und roten Anemonen bedecken. Es scheint fast, als wenn alles sich unter den Strahlen einer zu nahen, zu blendenden Sonne entfärbte: Der Quendel zeigt eine unbestimmte Farbe, das Maßliebchen ein verblaßtes Gelb, das Violett der blassen Iris ist hier perlgrau, die Orchideen haben graue Blüten, und tausend kleine unbekannte Pflanzen scheinen zu Asche verbrannt zu sein.

Wir haben beschlossen, unsere Lasttiere mit den überflüssigen, langsamen Reitern aus Chiraz zurückzulassen; wir sind jetzt ganz vertrauensvoll, und so geht es denn vorwärts.

Aber dort hinten bewegt sich eine Herde, die unseren Weg kreuzen wird; es sind Nomaden, Leute von schlechtem Ruf, es ist ein Volksstamm, der auf eine andere Weide zieht. An der Spitze schreiten bewaffnete Männer, sie haben ganz das Äußere von Räubern; unsere Perser beschließen, im gestreckten Galopp, mitten hindurch zu sprengen, sie stoßen wilde Schreie aus, um die Pferde anzuspornen, und man weicht zur Seite, und macht uns Platz. Im langsamen Trab setzen wir unseren Weg durch das Gewühl der Tiere fort. Und schließlich kreuzen wir im Schritt die Nachhut, Frauen und kleine – sehr kleine Kinder, kleine Kamele, kleine Böcklein, ein lustiges, reizendes Durcheinander; – aus ein und demselben Korbe, auf dem Rücken eines Maultieres, sehen wir den Kopf eines Babys und den eines soeben geborenen Esels hervorlugen, und man vermag wirklich nicht zu sagen, welcher von beiden der hübscheste ist, der kleine Nomade mit den rollenden Augen, oder der kleine Esel mit dem noch ganz lockigen Fell; der eine sowohl wie der andere betrachten uns übrigens mit der gleichen Offenherzigkeit, demselben Erstaunen.

Nach vierstündigem Ritt machen wir vor dem verlassenen Dorfe Dehbid halt (zweitausendsechshundert Meter hoch gelegen.) Inmitten der grauen Ebene erhebt sich eine alte Festung, sie stammt aus den Zeiten der Sassaniden-Herrscher, elende, aus Lehm erbaute Hütten schmiegen sich an sie an, gleichsam als fürchten sie die Stürme, die über diese hohen Länder dahinfegen. Ein eisiger Wind, in der Nähe die endlosen Schneegefilde, und ein funkelndes Licht.

Aber unsere Lasttiere, wie auch unsere Reiter von Chiraz, denen wir heute morgen vorausgeeilt waren, schließen sich uns nicht an. Den ganzen Tag harren wir ihrer, sehen von dem Dach der Karawanserei nach ihnen aus, befragen den Horizont: Karawanen kommen zum Vorschein, Maultiere, Kamele, Esel, Tiere und Leute aller Art, aber die unsrigen nicht. Um die Stunde, wo die Berge übernatürlich großen Schatten auf die Wüste werfen, erscheint endlich einer der Reiter: »Beunruhigt euch nicht«, sagt er, »sie haben einen anderen, ihnen bekannten Weg eingeschlagen; schlafet hier, auch ich werde mich zur Ruhe begeben; morgen trefft ihr vier Stunden weiter mit ihnen in der Karawanserei von Khan-Korrah zusammen.«

So laßt uns also in Dehbid übernachten, es bleibt uns in der Tat auch nichts anderes übrig, denn bald schon senkt sich die schweigende Nacht herab. Aber man soll uns trockene Disteln auf den Herd schütten, wo wir unser Feuer anzünden werden.

Die langgezogenen Töne des Gebetsausrufers steigen hinauf in die Luft. Die Vögel stellen das Kreisen ein, sie begeben sich zur Ruhe in den Zweigen einiger verkrüppelter Pappeln, der einzigen Bäume, die es meilenweit im Umkreise gibt. Und kleine, zwölfjährige Mädchen drehen sich im Kreise, wie sie es wohl bei uns an einem schönen Maienabend zu tun pflegen; kleine persische Schönheiten, bald wird man euch verschleiern, kleine Wüstenblumen, euer Schicksal ist es, in diesem verlorenen Dorfe zu verwelken. Sie tanzen, sie singen; so lange die durchsichtige Dämmerung anhält, treten sie ihren Reigen, und ihre Fröhlichkeit steht im Widerspruch zu der herben Trauer von Dehbid . . .

Montag, 7. Mai.

Die Sonne ist gerade im Begriff aufzugehen, als wir durch die Löcher unserer Erdmauer einen Blick ins Freie werfen. Eine große Karawane, die soeben angegekommen ist, hat sich auf dem weißbereiften, glitzernden Grase gelagert; die höckerigen Rücken der Kamele, die Spitzen ihrer Sättel heben sich im klaren Osten von dem wunderbar reinen Morgenhimmel ab, und für unsere noch kaum geöffneten Augen geht dies alles zuerst in die zackigen Berge über – und doch liegen diese so fern dort hinten am Ende der weiten Ebene.

Von neuem reiten wir durch die eintönige Wüste dahin, wo einige Asphodelos auftauchen, ihre weißen Blüten ragen über den kleinen grauen oder violetten Blumen auf, denen wir immer wieder begegnen. In der Mittagsstunde, unter den Strahlen einer plötlich sengenden Sonne finden wir an dem bezeichneten Platz unsere verloren geglaubten Tiere und Leute wieder. Aber welch ein trauriger Ort des Wiedersehens ist diese Karawanserei von Khan-Korrah. Nicht das kleinste Dorf in der Umgegend. Inmitten einer großen Einöde, einer Wüste von Steinen, liegt hier nur ein hoher, krenelierter Wall, ein Platz, wo man im Schutze vor den nächtlichen Angriffen hinter Mauern schlafen kann. Gleich am Eingang bedecken ein Dutzend Skelette, die Gebeine von Pferden und Kamelen, und einige kürzlich gestürzte Tiere, auf denen die Geier hocken, den Weg. Riesengroße Hirtenhunde und drei, bis an die Zähne bewaffnete, wild dreinblickende Männer, sind die Wächter dieser Festung, in deren Schatten wir uns für kurze Zeit zum Schlafe niederlegen. Das Innere des Hofes ist mit Unrat, mit den Gerippen der Maultiere bedeckt, die hier den Verwesungsprozeß durchgemacht haben: nach irgendeinem gewaltsamen Marsch sind die Tiere an diesem Platz der Überanstrengung erlegen, und man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie hinauszuwerfen, sondern übergab sie der Obhut der Geier; jetzt zu dieser heißen Tagesstunde sind sie in eine Wolke von Fliegen eingehüllt.

Es wird zweifellos über Nacht frieren, aber in diesem Augenblick ist die Hitze kaum erträglich; und unser Mittagsschläfchen wird durch dieselben blauen Fliegen gestört, die vor unserer Ankunft die verwesten Tiere bedeckten . . .

Nachmittags machen wir einen fünfstündigen Ritt durch die graue Einöde, unter einer bleiernen Sonne, und begeben uns dann in die Karawanserei von Surah, in der Nähe einer alten Festung der Sassaniden, am Fuße der Schneegefilde zur Ruhe.

Dienstag, 8. Mai.

Heute tauchen die grünen Flecke der kleinen Oase zu beiden Seiten unseres Weges immer häufiger auf. Über einen ausgedörrten Boden eilen zahllose kristallklare Bäche dahin, sie springen aus den Spalten der schneebedeckten Berge hervor, werden von eifriger Menschenhand geleitet und verteilt und tragen hier und dort zu den verstreut liegenden, urbar gemachten Landstrichen dieser hohen Ebenen Leben und Fruchtbarkeit.

Gegen zehn Uhr morgens erreichen wir eine Stadt, die erste seit Chiraz. Sie nennt sich Abadeh. Ihre dreifachen Mauern aus Ton und Lehm fallen schon stellenweise zusammen, sie sind ungewöhnlich hoch, werden von drohenden Türmen überragt, und ihre blauglasierten Steine reihen sich zu Arkaden aneinander. Den Schmuck der Tore bilden Gazellenhörner, die man oberhalb des Spitzbogens in einem Kreise angebracht hat. Hier gibt es einen großen, überdachten Basar, in dem ein ungewöhnlich reges Leben herrscht; man verkauft Teppiche, Wolle, gewebt und in Strängen, verarbeitetes Leder, Steinschloßgewehre, Korn, Spezereien, die aus Indien gekommen sind. Heute findet außerdem in den engen Straßen ein Viehmarkt statt. Wohin das Auge sieht: Schafe und Ziegen. Die Frauen von Abadeh tragen hier nicht die kleine weiße, durchlöcherte Maske, aber ihr Schleier verhüllt sie deshalb nicht weniger: er ist nicht schwarz wie in Chiraz, hat keine gestickten Blumen oder Zweige wie auf dem Lande, nein, er ist stets blau, sehr lang, wird nach unten zu breiter und bildet eine Schleppe; um ihren Weg finden zu können, wagen sie von Zeit zu Zeit einen Blick durch die verborgenen Falten. Die also verschleierten Schönen gleichen anmutigen Madonnen, die kein Gesicht haben. Natürlich betrachtet man uns viel in dieser Stadt, aber ohne Mißtrauen, die Kinder folgen uns scharenweise, und in ihren Augen leuchtet die verhaltene Neugierde.

Wir beabsichtigten nach einer zweistündigen Ruhepause aufzubrechen, aber der Besitzer der Pferde weigert sich, er behauptet, die Tiere seien gar zu müde und wir müßten hier übernachten.

So sieht uns der melancholische Abend also in der Karawanserei von Abadeh vor dem Tore sitzend, auf dem man den Schmuck der Gazellenhörner angebracht hat. Hinter uns zeichnen die Zacken der jetzt im Schatten liegenden krenelierten Mauern sich von dem grüngoldenen Himmel ab. Und vor uns liegt die Stadt der Gräber: ein grauer Boden, auf dem kein Gras wächst, bescheidene Grabgewölbe aus grauem Stein, kleine Kuppeln, oder einfache Leichensteine; so weit das Auge reicht, nichts als Gräber, zum größten Teil sind diese schon so alt, daß wahrscheinlich niemand sie noch kennen wird. Die blauen Madonnen mit dem schleppenden Schleier wandeln in Scharen dort umher; in der hereinbrechenden Dämmerung gleichen sie mehr denn je Gespenstern. Im Hintergrunde wird der Horizont durch vier- bis fünftausend Meter hohe Gipfel abgeschlossen, deren Schneefelder in dieser Stunde bläulich leuchten, ihr Anblick erfüllt uns mit Kälte.

Sobald der erste Stern am klaren Himmel angezündet wird, schreiten die blauen Schatten langsam der Stadt zu, und die Tore schließen sich hinter ihnen. In diesen Ländern erstarrt das Leben mit Hereinbruch der Nacht; man fühlt die Traurigkeit, die unerklärliche Angst.

Mittwoch, 9. Mai.

Unsere Pferde haben sich jetzt ausgeruht, schon frühmorgens beginnen sie von neuem ihren schnellen Lauf durch den stets schweigenden, klaren Raum. Blühender Asphodelos und Akanthus verleiht dieser Einöde zuweilen den Anblick von Gärten, ein dunkler, farbloser Garten, der sich meilenweit erstreckt, ohne jemals eine Abwechslung zu zeigen. Zur Rechten und Linken, bis in die Unendlichkeit, verfolgen uns noch immer die beiden Gebirgsketten, sie bilden auf der Erdoberfläche einen doppelten Kamm, einen der höchsten der Welt. Aber heute gewähren uns die Öffnungen in der östlichen Kette einen Blick auf den Eingang zu den endlosen Sand- und Salzwüsten, die zweihundert Meilen lang sind, und die bis an die afghanistanische Grenze reichen.

Nach einem vierstündigen Ritt erscheint in dem glühenden, grauen Raum, an dem blendenden Horizont etwas Blaues, ein ganz unnatürliches Blau, es strahlt und lockt; man könnte glauben, es sei irgendein großer kostbarer Stein, irgendein mächtiger Türkis . . . Und es ist nur die glasierte Kuppel einer kleinen, alten, verfallenen Ruine, die in jenem traurigen, verlassenen Weiler steht; die Hütten gleichen den ehemaligen Höhlen wilder Tiere. Im Schatten eines Gewölbes aus getrocknetem Lehm machen wir dort halt, um uns in der Mittagsstunde auszuruhen.

Wie endlos, wie herbe ist dieser Weg, der gen Ispahan führt! Abends legen wir einen sieben bis acht Meilen langen Ritt in der Einöde zurück, und nirgends begegnen wir einer menschlichen Spur. Zweimal kreuzt eine Staubwolke sehr schnell unseren Weg, sie fliegt über dem blassen Teppich der Königskräuter und Quendel dahin: Gazellen auf der Flucht! Kaum haben wir sie erkannt, so sind sie wieder verschwunden, sie laufen wie der Wind. Und schon geht der Tag zur Neige.

Aber bei Sonnenuntergang erreichen wir auf unseren einsamen Hochebenen den Rand eines gewaltigen Spaltes, und dort unten erwartet uns die Überraschung eines fruchtbaren Gefildes, durch das sich ein Fluß dahinschlängelt, Karawanen, Maultiere, zahllose Kamele ziehen ihres Weges, in der Luft auf einem Felsen, wie man ihn sonst nirgends sieht, schwebt eine phantastische Stadt. Dieses Tal unter uns ist nur eine halbe Meile breit, aber es erscheint endlos lang zwischen den senkrechten Felswänden, die es von beiden Seiten einschließen und verbergen.

Während wir auf den gefährlichen Windungen hinabsteigen, ist man überwältigt von dieser hochgelegenen Stadt, dies ist eine Stadt, die keiner Mauern bedarf; aber wie können ihre Einwohner zu ihr gelangen? . . .

Ein großer, alleinstehender, sechzig Meter hoher Felsen dient ihr als Fuß, er zeigt die genaue Form eines Helmstutzes, ist nach unten zu ganz ausgehöhlt, voller Grotten und Löcher, wird aber nach oben hin beängstigend breit, und darauf haben die Menschen einen unglaublichen Bau aus getrocknetem Lehm errichtet, der dem Gesetz des Gleichgewichtes, dem gesunden Menschenverstand Hohn zu sprechen scheint: Hier schweben die Häuser eins über dem anderen, alle werden sie, wie der Felsen selbst, nach oben zu breiter, entfalten sich über dem Abgrunde in vorspringenden Balkons und Terrassen. Dieser Ort nennt sich Yezdi-Khast, man könnte sagen, es sei eine jener unwahrscheinlichen Ansiedelungen von Wasservögeln, wie sie an den steilen Felswänden über dem Meere schweben. Es ist alles so verwegen und außerdem so ausgetrocknet, so alt, daß der Zusammenbruch nicht auf sich warten lassen kann. Mittlerweile aber stehen auf jedem Balkon, an jedem Fenster Menschen: Kinder, Frauen, die sich hinabbeugen und ruhig dem Leben und Treiben dort unten zuschauen.

Am Fuße dieser phantastischen Stadt, die bald in Trümmer zerfallen wird, sehen wir Höhlen, unterirdische Gänge, tiefe und klaffende Löcher, aus denen man einst die viele Erde geholt hat, um sie dort oben in so unvorsichtiger Weise aufzuhäufen. Hier gibt es auch eine Moschee, eine große Karawanserei mit schön verzierten Mauern aus blauer Fayence; auch einen Fluß mit einer starkgewölbten Brücke, auch die frischen Ufer eines Baches, Kornfelder, junge Bäume; hier herrscht auch das Leben der Karawanen, das muntere Treiben der Kamel- und Maultierhüter, auf dem Grase liegen die Warenballen aufgestapelt, alles verrät einen großen Durchgangsort. Auf einem Felde hat man sogar einige hundert Zuckerhüte niedergelegt, heute abend werden sie von neuem auf die Rücken der Kamele geladen, um in den Dörfern der entfernter gelegenen Oasen zu stranden, – es sind dies ganz gewöhnliche, in blauem Papier verpackte Zuckerhüte, so wie man sie bei uns kennt, die Perser verzehren eine beträchtliche Menge von diesem Zucker zu ihrem ungemein süßen Tee, den sie sich gegenseitig abends und morgens in winzig kleinen Tassen anbieten. (Und diese Zuckerhüte, die bis vor einigen Jahren aus Frankreich geliefert wurden, kommen jetzt alle aus Deutschland oder Rußland: dies erzählen mir die Tcharvadare, und sie verhehlen mir nicht ihr ein wenig verächtliches Mitleid mit dem Zurückgang unseres Handels.) Große Scharen von Kamelen umgeben unsere Karawanserei, und dies ist der Augenblick, wo sie ihre lauten Wut- oder Leidensschreie ausstoßen, die durch Wasser hindurchzudringen scheinen, die an die gurgelnden Laute eines Ertrinkenden erinnern. In diesem Lärm, gleichsam inmitten einer Menagerie, nehmen wir unser Abendessen ein.

Aber das Schweigen kehrt zur Stunde des Mondes, des Vollmondes zurück; wie immer, so folgen ihm auch heute Blendwerk und trügerische Beleuchtung, seltsam verschönert er die alte Stadt, die so lächerlich hoch dort oben in unserem Himmel schwebt, er hüllt sie in ein rosenrotes Licht, aber das Licht ist hart, ist eisig zugleich.

Donnerstag, 10. Mai.

Um aus der großen, außerhalb der Wüste gelegenen Oase hinauszugelangen, suchen wir uns frühmorgens mitten durch die Höhlen und Löcher am Fuße, ja fast unterhalb der hängenden, hohen Stadt einen Weg; der vorspringende Felsen, der sie stützt, hüllt uns noch immer in seinen kalten Schatten ein, während die schöne, aufgehende Sonne sonst alles erwärmt. Über unseren Köpfen, in ihrem Adlerhorst, stehen viele Leute, am Rande der schwindelerregenden Terrassen, oder sie neigen sich aus den vorspringenden Fenstern heraus und sehen senkrecht auf uns herab.

Ein schmaler Pfad führt an der oberen Felswand des Tales zu den Einöden hinauf, einige hundert gleichgültige Eselchen versperren uns den Weg und machen keinen Platz. Wie immer, wenn ihnen ein Hindernis begegnet, setzen unsere Perser auch diesmal im Galopp mit lautem Geschrei mitten durch den Schwarm hindurch.

Schrecken und Verwirrung entsteht unter den Eseln, und mit großem Gepolter gelangen wir dort oben in der dürren, grauen Ebene an, erreichen wir die Höhe, im üblichen Galoppe.

Heute ist der Eselmorgen, wir kreuzen tausende von ihnen, begegnen meilenlangen Zügen, sie kehren aus Ispahan zurück, wohin sie Waren gebracht haben, kehren müßig zurück, auf ihrem Rücken liegt nur die gestreifte Decke von Chiraz. Doch einige tragen ihren Herrn, der, in einen Filzkaftan gehüllt, der Länge nach auf dem Rücken seines guten Tieres liegt, die Arme um dessen Hals geschlungen hat, und seinen nächtlichen Schlaf fortsetzt. Man sieht auch Eselmamas, in einem Korbe haben sie ihr Junges bei sich, das am Vorabend geboren wurde. Und schließlich sind da auch kleine Esel, die schon laufen können und schelmisch hinter ihrer Mutter herspringen.

Die Gegend ist heute nicht gar zu verlassen, die kleinen, grünen Oasen liegen nicht gar zu weit auseinander, eine jede hat ihren Weiler mit den krenelierten Zinnen und wird von einigen schlanken, mächtigen Pappeln beschattet.

In dem Dorfe Makandbey machen wir um die Mittagsstunde Rast, mehrere Gespensterdamen neigen sich über den Rand der Mauern hinüber und sehen zwischen den Zinnen in die traurige Ebene hinaus. Unter den Bogen der Karawanserei, im Hof, haben viele stattliche Reisende mit Turbanen und in Kaschmirkleidern Platz genommen; wir tauschen feierliche Begrüßungen mit ihnen aus, auf Kissen, auf Teppichen von selten schönen Farben sitzen sie scharenweise um Samowars und kochen ihren Tee und rauchen ihre Kalyan.

Wir haben heute den vorletzten Tag des persischen Fastens, und morgen ist der Todestag AlisAli, Kalif von Islam, der vierte nach Mahomet, wurde besonders verehrt in Persien. Ali fiel unter dem Dolch eines Mörders, seine beiden Söhne, Hassan und Hussein, wurden niedergemetzelt.; deshalb ist die religiöse Begeisterung in Makandbey besonders groß. Auf einem Platz, vor der bescheidenen Moschee mit ihren Spitzbogen aus Lehm, bilden etwa hundert Leute einen Kreis um einen Derwisch, dieser singt, seufzt, schlägt sich in die Brust. Sie haben alle ihre Schulter und ihre linke Brust entblößt, und schlagen sich selbst mit einer solchen Gewalt, daß das Fleisch anschwillt und die Haut fast blutig ist; man hört die Schläge in ihrem breiten Brustkasten hohl widerhallen. Der alte Mann, dem sie lauschen, erzählt ihnen, halb singend, halb sprechend, in Versen die Leidensgeschichte ihres Propheten, und sie unterstreichen die ergreifendsten Stellen, indem sie Schreie der Verzweiflung ausstoßen oder lautes Schluchzen nachahmen. In immer größere Aufregung gerät der alte Derwisch mit dem wilden Blick; jetzt singt er wie die Gebetsausrufer mit schwacher, meckernder Stimme, und doppelt schnell sausen die Schläge auf die nackten Schultern hernieder. Alle Gespensterdamen kommen auf den umliegenden Dächern zum Vorschein; sie schmücken die Terrassen und die schwankenden Mauern. Der Kreis der Männer schließt sich, und es beginnt ein furchtbarer Tanz, sie tanzen und springen im Wahnsinn an ein und demselben Platz umher, sie reihen sich enger aneinander an, bilden eine dichte, runde Kette, schlingen den linken Arm um ihren nächsten Nachbar, aber schlagen noch immer in steigendem Schmerzenseifer mit der rechten Hand wie wütend auf sich ein. Einige werden durch diesen Rausch so sehr entstellt, daß sie Mitleid erregen, andere erlangen den höchsten Grad menschlicher Schönheit. Alle Muskeln sind gewaltsam angespannt, und in den Augen leuchtet es wider von Sehnsucht nach einem Blutbad, nach dem Märtyrertod. Gellende Schreie und rauhes, tierisches Gebrüll steigen aus diesem Knäuel menschlicher Gestalten empor; der Schweiß und die Blutstropfen rollen über die braunroten Körper herab. Der Staub wird vom Boden aufgewirbelt und hüllt den Ort, auf den die brennende Sonne ihre sengenden Strahlen wirft, in eine dichte Wolke ein. Auf den Mauern dieses kleinen wilden Platzes stehen die Frauen mit ihren Masken wie versteinert da. Und über dem allen ragen die Gipfel der Berge, die Schneegefilde zu dem wunderbar blauen Himmel hinauf.

Nachmittags reiten wir durch eine Gegend, die immer belebter wird, wir stoßen auf Städte, auf Kornfelder, auf eingefriedigte Obstgärten. Abends sehen wir schließlich eine große Stadt mit ihrer trügerisch drohenden Mauer vor uns liegen; es ist Koumichah, und von dort bis nach Ispahan sind es nur noch acht bis neun Meilen.

In Persien sind die Zugänge zu den Städten weit schwieriger und gefährlicher für die Pferde als das platte Land. Bevor wir das Tor der Wälle erreichen, mühen wir uns deshalb auf Pfaden ab, auf denen man sich den Hals brechen kann, wo die Gebeine der Kamele und Maultiere überall den Weg versperren; mitten durch die Ruinen, Trümmer und Erdhaufen führt der Weg hindurch, und immer müssen wir zur Rechten und Linken nach den klaffenden Löchern spähen, aus denen man die Bauerde für die Festungen, Häuser und Moscheen geholt hat.

Die Sonne geht unter, als wir durch das spitzbogige Tor reiten, das sich immer wieder vor uns zu verbergen wußte. Die Stadt lag fast ganz versteckt hinter den Mauern da, jetzt aber bietet sie uns einen bezaubernden Anblick. Sie ist von demselben rosenroten Grau, wie wir es in Chiraz, in Abadeh, in jedem Dorf am Wege sahen, denn überall bedient man sich beim Bau derselben tonartigen Erde, aber hier breitet sie sich auf dem hügeligen Boden aus, entfaltet sich in der Art einer prächtigen Dekoration. Wie kann man es nur wagen, so viele kleine Kuppeln aus Lehm zu errichten, sie miteinander zu verbinden, sie in Pyramiden übereinander aufzutürmen? Wie können die vielen Arkaden, die großen, eleganten Spitzbogen, die nur aus getrocknetem Lehm bestehen, wie können die vielen Minaretts, deren Galerien mit Stakalit verbrämt zu sein scheinen, wie können sie alle sich aufrecht halten und den Regengüssen widerstehen? Das Ganze zeigt, wohlverstanden, keine scharfen Linien, keine bestimmten Umrisse; der Schatten und das Licht laufen zwischen den immer weichen, runden Formen unmerklich ineinander über. Auf den Denkmälern sieht man keine blauen Fayencen, in den Gärten keine Bäume, nichts, was den eintönigen Farbenton dieser Gebäude, die alle von einem silbernen Tau durchtränkt zu sein scheinen, unterbrechen könnte. Aber dort unten in den belebten Straßen geht das Farbenspiel vor sich. Männer in blauen Kleidern, Männer in grünen Kleidern; Scharen von verschleierten Frauen, tief schwarze Scharen mit grellen, weißen Flecken; das Weiß der Masken, die das Gesicht verbergen. Vor allem aber herrscht dort oben ein prächtiges Spiel; oberhalb der grauen Kuppeln, der grauen Arkaden, stoßen die Farben aufeinander: in der Dämmerung breiten die nicht zu erklimmenden Berge der Umgegend das kostbare Violett des Bischofsgewandes aus, ihr Violett, durch das die Schneegefilde lange, silberne Streifen ziehen; und an dem grünlichen Himmel scheinen die rot-gelben Wölkchen in Brand zu geraten, sie leuchten wie Flammen auf . . . Wir befinden uns noch immer etwa zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, in der reinen Luft der Berge, und die Nachbarschaft der wasserlosen Wüste steigert noch mehr die Durchsichtigkeit, belebt noch mehr den zauberhaften Glanz der Abende.

Heute begeht man das große religiöse Fest der Perser, den Jahrestag des Martyriums ihres Kalifen. In den Moscheen stöhnen tausende von Menschen vereint; man hört von weitem ihre Stimmen, ein unverständliches Murmeln, das dem Rauschen des Meeres gleicht.

Sobald wir in der Karawanserei angelangt sind, eile ich nach dem heiligen Ort, um noch ein wenig von dem Fest zu sehen, das vor Hereinbruch der Nacht beendet sein wird. Zuerst will keiner mich dorthin begleiten. Schließlich aber willigen zwei Leute mit energischen Gesichtern und starken Schultern nach langem Zögern ein, gegen hohe Bezahlung mich an den Ort zu führen. Der eine von ihnen behauptet, ich müsse eins seiner Gewänder anlegen und seinen Astrachanhut aufsetzen, der andere erklärt, dies sei noch weit gefährlicher, und ich solle nur tapfer meine europäische Kleidung anbehalten. Schließlich bleibe ich, wie ich bin, und wir eilen im Sturmschritt nach der großen Moschee, denn es ist schon spät. Kurz vor Anbruch der Nacht befinden wir uns in dem dunklen Labyrinth, das ich schon im voraus zu kennen glaubte: Mauern ohne Fenster, hohe Gefängnismauern, in großen Abständen nur einige eisenbeschlagene Türen, Mauern, die von Zeit zu Zeit oben zusammenstoßen und uns in die in den persischen Städten so beliebte Dunkelheit eines Kellers hüllen. Aufstiege, Abstiege, Brunnen ohne Schutzwand, Höhlen und Löcher. Zuerst begegnen wir niemandem, und fast könnte man glauben, man eilte durch die düsteren, verlassenen Katakomben. Dann aber, als wir uns einem jener lärmenden Plätze nähern, an denen die Stadt heute abend reich ist, und von wo aus das Stimmengewirr wie Wogenrauschen an unser Ohr schlägt, treffen wir Scharen von Männern, alle kommen sie von derselben Seite, und fast ist diese Begegnung schrecklich. Sie haben die große Moschee, den Mittelpunkt des Geschreies und der Klagen verlassen, denn die Trauerfeier ist gleich beendet; haufenweise, zu zehn, zwanzig, dreißig eilen sie vorwärts, halten sich eng umschlungen, ihr Kopf fällt zurück, sie blicken nicht um sich; man sieht das Weiße in ihren Augen, die unnatürlich weit geöffnet sind, und deren gen Himmel gewandter Augapfel fast in die Stirn einzudringen scheint. Auch der Mund ist geöffnet, und unaufhörlich stoßen sie ein lautes Gebrüll aus; die rechten Hände fallen mit harten Schlägen auf die blutende Brust. Vergebens drückt man sich gegen die Mauern oder in die Türen, wenn man zufällig eine findet, man wird doch sehr empfindlich gestreift. Sie riechen nach Schweiß, nach Blut; blind, in unaufhaltbarem Lauf rollen sie wie eine große Welle vorüber.

Nach den engen Straßen gelangen wir durch einen großen Spitzbogen in den Hof der Moschee, und dieser Ort erscheint uns jetzt unendlich weit. Zwei- bis dreitausend Menschen stehen dort dicht nebeneinander gedrängt und rufen mit lauter Stimme, mit einem schreckeneinflößenden Rhythmus: »Hassan, Hussein! Hassan, Hussein!«Hassan, Hussein, die beiden Söhne des Kalifen Ali. Im Hintergrunde führt ein zweiter, riesengroßer Spitzbogen, der alles beherrscht und der mit den unvermeidlichen blauen Fayencen verziert ist, in das dunkle Heiligtum ein. Auf den Zinnen der Mauern, am Rande aller Terrassen der Umgegend, stehen die Frauen unbeweglich und stumm, sie gleichen einem Schwarm schwarzer Vögel, der sich auf die Stadt herabgelassen hat. In einem Winkel, gegen den menschlichen Strom, durch den Stamm eines hundertjährigen Maulbeerbaumes geschützt, sitzt ein Greis und schlägt wie besessen auf eine gewaltige Trommel: im Dreitakt sausen die ohrenbetäubenden Schläge so schnell herab, als wollten sie irgendeinem Ungetüm zum Tanzen aufspielen; – das Ding nämlich, das zum Takt der Trommel tanzt, ist ein Haus, am Ende langer Stangen wird es von mehreren hundert Armen hochgehalten und trotz seines großen Gewichtes wahnsinnig schnell hin und her bewegt. Das tanzende Haus ist mit altem, gemusterten Samt, mit alten seidenen Stickereien bedeckt, es schwebt zehn Fuß über der Menge, über den erhobenen Köpfen, den wildblickenden Augen, und zuweilen dreht es sich herum, die Getreuen, die es tragen, laufen im Kreise mitten durch den dichten Haufen, es dreht sich, es wirbelt herum. Drinnen sitzt ein verzückter Derwisch, um nicht zu fallen, klammert er sich fest, seine gellenden Schreie durchdringen den Lärm dort unten; und jedesmal, wenn er den Namen eines iranischen Propheten ausstößt, dringt ein noch lauterer Schrei aus allen Kehlen, und die grausamen Fäuste fallen so schwer auf die Brust herab, daß der dumpfe Widerhall das Schlagen der Trommel übertönt. Einige Männer haben ihre Mützen von sich geworfen und bringen sich blutige Wunden auf dem Schädel bei; der Schweiß und die Blutstropfen rollen über die Schultern herab; neben mir gibt ein junger Mensch, der sich zu heftig geschlagen hat, einen roten Auswurf von sich, und auch ich werde damit bespritzt.

Zuerst hatte keiner meine Gegenwart beachtet, und ich drückte mich hinter meinen beiden besorgten Führern eng an die Wand. Aber zufällig fällt das Auge eines Kindes auf mich, es errät, daß ich ein Fremder bin und schlägt Lärm, alsbald kehren sich andere Gesichter mir zu, einen Augenblick herrscht Schweigen, Todesstille . . . »Kommt!« rufen mir meine beiden Leute zu, sie schlingen ihre Arme um mich, wollen mich mit sich ziehen, und rückwärts gehend, wie die Tierbändiger, die den Tieren ins Auge blicken, wenn sie den Käfig verlassen, wenden wir der Menge das Gesicht zu und erreichen glücklich den Ausgang . . . In der Straße verfolgt man uns nicht mehr . . .

Abends gegen neun Uhr, nachdem ein großes Schweigen sich über die Stadt herabgesenkt hat, die von dem vielen Geschrei, von all dem Klagen erschöpft ist, verlasse ich von neuem die Karawanserei und begebe mich zu einem vornehmen Bürger, wo ich zu einer ganz geschlossenen, religiösen Feier eingeladen bin.

Einsam liegt Koumichah unter dem Mond in seinem rosenroten Gewande da, so ernst und feierlich ist es hier, wie in einem großen Grabgewölbe. Nirgends eine menschliche Seele; der Mond allein beherrscht diese Stadt aus getrocknetem Lehm, der Mond beherrscht die ungezählten kleinen Kuppeln mit ihren weichen Umrissen, das Labyrinth mit seinen engen Gängen, die Trümmerhaufen und die Spalten.

Aber wenn auch die Straßen verlassen sind, so wacht man doch in allen Häusern, hinter den doppelt verschlossenen Türen; man wacht, man klagt, man betet.

Nach einer langen, schweigenden Wanderung zwischen meinen beiden Laternenträgern erreiche ich die geheimnisvolle Tür meines Wirtes. In dem von Mauern umgebenen kleinen Garten, beim Schein des Mondes und einiger Lampen, die an Jasminzweigen oder Weinlauben hängen, findet die Trauerfeier statt. Vor dem versteckt liegenden Hause hat man Teppiche auf die Erde gebreitet, und dort sitzen zwanzig bis dreißig Männer im Kreise, sie tragen hohe, schwarze Hüte und rauchen ihre Kalyan; mitten zwischen ihnen liegt ein Brett, mit einem Berg stengelloser Rosen – persische Rosen, die immer wunderbar duftenden Rosen, steht auch ein Samovar, auf dem man Tee kocht, und diesen schenken die Diener immer von neuem in die winzig kleinen Tassen ein. In Anbetracht des religiösen Charakters dieses Abends würde meine Gegenwart im Garten selbst unzulässig sein; deshalb bringt man mich allein mit meiner Kalyan in dem Ehrenzimmer unter, von wo aus ich durch die offen stehende Tür alles sehen und hören kann.

Einer der Gäste steigt auf eine steinerne Bank, zwischen den übervoll blühenden Rosen, er erzählt mit tränenerstickter Stimme von dem Tod des Ali, des Kalifen, den die Perser so sehr verehren, und zu dessen Andenken wir hier versammelt sind. Die Zuhörer unterstreichen selbstverständlich seine Beschreibung durch Klagen und Schluchzen, hauptsächlich aber durch Ausrufe, die ihren ganzen Zweifel ausdrücken sollen, sie haben diese Geschichte tausendmal gehört, und doch scheinen sie zu fragen: »Darf ich meinen Ohren trauen? Ist eine solche Schandtat überhaupt möglich?« Nachdem der Erzähler geendet hat, setzt er sich neben dem Samovar nieder, und während man ihm seine Kalyan anzündet, betritt ein anderer die Kanzel, um von neuem alle die Einzelheiten dieses unvergeßlichen Verbrechens auszumalen.

Der kleine Salon, wo ich, getrennt von den anderen, wache, zeigt eine wunderbare, nicht gewollte Altertümlichkeit; wenn man ihn auf diese Weise eingerichtet hat, wie man es auch schon vor fünfhundert Jahren hätte machen können, so liegt es daran, daß es in Koumichah keine neuere Mode gibt, daß bis jetzt noch keiner unserer westlichen Schundgegenstände in diese Wohnung eingedrungen ist, nirgends sieht man hier Spur von den bedruckten Baumwollstoffen, mit denen England jetzt Asien überflutet; die Augen können zum Zeitvertreib alle diese Dinge genau betrachten, ohne daß sie auch nur ein einziges Merkmal unserer Zeit darunter fänden. Auf der Erde liegen die alten persischen Teppiche; als Möbel dienen Kissen und große Zederntruhen, mit Kupfer oder Perlmutter eingelegt. In die dicken weißgekalkten Mauern hat man kleine Nischen, kleine spitzbogige oder ausgezackte Grotten eingelassen, sie ersetzen in diesen Ländern die Schränke, und werden mit kleinen, silbernen Kästen, mit Karaffen und Schalen verziert; dies alles ist alt, dies alles steht auf viereckigen, altertümlich gestickten Atlasdeckchen. Vor den inneren Türen, durch die mir der Zutritt verweigert ist, hat man Vorhänge aus seltsam reichen, harmonischen Seidenstoffen herabgelassen, die absichtlich verwischten Zeichnungen dieser Vorhänge zeigen ein buntes Gewirr von Linien, sie gleichen zuerst nur großen phantastischen Flecken, aber nach Art der Impressionisten enthüllen sie mir schließlich die Umrisse dunkler Zypressen.

In dem Garten, wo das Fest seinen Lauf nimmt, folgen die immer geschickter oder immer aufgeregter werdenden Erzähler einander auf der steinernen Bank. Die Redner, die jetzt sprechen, bringen durch Stellung und Bewegung einen wirklichen Schmerz zum Ausdruck. Bei gewissen Sätzen stoßen die Zuhörer einen verzweifelten Schrei aus, werfen den Körper nach vorne und schlagen mit der Stirn gegen den Boden; oder sie entblößen alle die Brust, die schon in der Moschee zerschlagen ist, und rufen mit angsterfüllter Stimme immer wieder die beiden Namen: »Hassan, Hussein! . . . Hassan, Hussein!« Einige bleiben ganz auf der Erde liegen, In der Allee des Hintergrundes unter dem vorspringenden Jasmingebüsch der Mauer stehen die schwarzen, gespensterhaften Frauen, man sieht sie kaum, sie treten auch nicht näher, aber man weiß, daß sie da sind, und ihre Klagen verlängern das Echo dieses traurigen Konzerts. Wie für die Sänger des Gartens, so hat man auch mir auf einem Brett Rosen gebracht, und diese fallen auf die alten, kostbaren Teppiche herunter. Auch der Jasmin da draußen durchflutet trotz der Kälte die klare, sternenglänzende Maiennacht mit seinem Wohlgeruch. Dies ist eine Szenerie aus der ganz alten orientalischen Vergangenheit mit ihrer unberührten Ausschmückung, die durch die vielen Mauern, die jetzt verriegelten Tore beschützt wird: doppelte, sich windende Mauern umgeben dies Haus; hohe Mauern schließen, das Viertel ein und sondern es ab, noch höhere Mauern beschirmen diese Stadt mit ihrer hundertjährigen Unvergänglichkeit – und dies alles liegt inmitten der einsamen Umgebung, auf die sich in diesem Augenblick das unendliche Schweigen herabsenkt, und deren Schneegefilde unter den Strahlen des Mondes bläulich leuchten . . .

Freitag, 11. Mai.

Als wir uns bei Aufgang einer strahlenden Sonne zur Weiterreise rüsten, ist es so kalt, daß die Fingerspitzen erfrieren. Wir befinden uns auf einem Platz, von wo aus man die tausend kleinen rosenroten Lehmkuppeln mit ihren Minaretts und ihren Trümmern, von wo aus man die herben violetten Berge sich im Halbkreis aufreihen sieht.

Die Stadt, die gestern von dem Geschrei, den Klagerufen widerhallte, ruht jetzt in dem frischen Schweigen des Morgens. Ein verzückter Derwisch predigt noch an irgendeiner Straßenecke und bemüht sich, einige Arbeiter, die gefolgt von ihren Eseln, die Hacke über der Schulter, nach dem Felde hinausgehen, heranzuziehen, aber vergebens, niemand bleibt stehen: Jedes zu seiner Zeit, und heute ist das Fest vorüber.

Die schönen Frauen von Koumichah sind wirkliche Frühaufsteher, schon kommen einige sehr elegante zum Vorschein, jede reitet eine weiße Eselin, jede hat rittlings vor sich auf dem Sattel ein Baby, das sie in ihren schwarzen Schleier einhüllt, und das nur seine Nasenspitze dem lustigen Morgenwind zeigt. Es ist Freitag, und man will außerhalb der Stadt, zwischen dem jungen Grün der Gärten, hinter den hohen, alles verbergenden Mauern den Maientau genießen.

Unsere Pferde sind erschöpft, obgleich man ihnen während der ganzen Nacht die Füße gerieben, die Ohren gestrichen hat – was scheinbar das allerstärkendste Mittel ist. Deshalb reiten wir jetzt ganz langsam an den verschlossenen Gärten entlang, deren Lehmmauern an allen Ecken mit kleinen Türmen aus blauer Glasur verziert sind. An der Grenze der Einsamkeiten spiegelt eine sehr heilige Moschee ihre wunderbare Kuppel in einem Teich wider, nach den vielen Lehmgebäuden erscheint sie uns wie ein Stück feiner Juwelenkunst; sie leuchtet in der Sonne mit dem Glanz eines geschliffenen Achats; die Glasur, mit der sie bekleidet ist, zeigt ein Gewirr von blauen Arabesken, durch das sich einige gelbe Blumen mit schwarzen Kelchen hindurchziehen.

Und dann verschwindet plötzlich, hinter einem ausgedörrten Hügel, das große, aus Lehm erbaute Werk, das sich Koumichah nennt. Es verschwindet mit seinen Türmen, seinen fünfzig Minaretts, seinen tausend kleinen, höckerigen Kuppeln; vor uns liegt wieder der leere Raum, der Teppich, mit seinen unendlich vielen, farblosen Blümchen, die wir zermalmen, die noch im Sterben ihre süßen Düfte ausströmen. Wir glaubten, die traurige wohlriechende Wüste für immer verlassen zu haben, aber während unseres sieben- bis achtstündigen Rittes dehnt sie sich eintöniger denn je, unter einer sich steigernden Hitze, mit ihren ewigen Luftspiegelungen vor uns aus.

Hätten wir den Ritt ein wenig beschleunigt, so würden wir noch vor Sonnenuntergang Ispahan erreicht haben; aber es schien uns ein ungünstiger Augenblick, bei Hereinbruch der Nacht in eine Stadt einzuziehen, deren Gastfreundschaft nur zweifelhaft ist, und deshalb beschlossen wir, in einer Karawanserei drei Meilen vor den Mauern abzusteigen.

Luftspiegelungen, Luftspiegelungen wohin man sieht: man könnte glauben, sich in den einsamen Ebenen Arabiens zu befinden. Ein unaufhörliches Zittern bewegt den Horizont, der in stetem Wechsel begriffen ist, beständig neue Formen annimmt. Von verschiedenen Seiten spiegeln sich kleine, wunderbar blaue Seen, Felsen oder Ruinen wider, sie locken uns an, verschwinden alsbald, erscheinen in einer anderen Richtung, und verbergen sich abermals vor uns . . . Eine Karawane mit seltsamen Kamelen schreitet auf uns zu, die Kamele haben zwei Köpfe, aber keine Beine, sie verdoppeln sich in der Mitte wie die Könige und die Königinnen der Kartenspiele . . . In der Nähe gesehen, werden es plötzlich ganz natürliche Tiere, ganz gewöhnliche, brave Kamele, die schon weit hinter uns den Weg nach Chiraz verfolgen. In den verschnürten Ballen, die an ihren Seiten herabhängen, tragen sie Opium; nach dem äußersten Osten wird es geschafft; ein großer Vorrat von Traum und Tod, in den Feldern Persiens hat er als weiße Blume geblüht, jetzt schickt man ihn zu den schlitzäugigen Leuten des himmlischen Reiches.

Gegen Abend, nachdem wir durch die gefurchten Schlünde zwischen den spitzen, schwarzen Bergen, die Beduinenzelten gleichen, hindurchgedrungen sind, erreichen wir ein glücklicheres Persien; überall erscheinen in der Ferne die grünen Flecke der Kornfelder und der Pappeln.

Als Nachtquartier dient uns diesmal aber ein ziemlich wüstes, kleines befestigtes Schloß, das mitten in einem fruchtbaren Landstrich liegt. In der Abendröte der untergehenden Sonne langen wir dort an, und sehen, daß die Karawanserei von ungezählten Warenballen, von einigen hundert knienden Kamelen umgeben ist. Wir haben hier eine jener großen Karawanen vor uns, die, langsamer als Züge der Maultiere oder der Esel, die ganz schweren Frachtladungen befördern und fünfzig bis fünfundfünfzig Tage gebrauchen, um von Teheran nach Chiraz zu gelangen. Wie gewöhnlich bewohnen wir die Ehrenzimmer, oberhalb des spitzbogigen Eingangstores: ein hochgelegener Raum mit Lehmwänden, mit einer Wandelbahn, die über die Dächer, über den krenelierten Rücken des Walles führt. – Ispahan, das Ziel unserer Sehnsucht, liegt nur drei Stunden Weges von hier entfernt, aber der hügelige Boden verbirgt die Stadt vor unseren Augen.

Sobald die Sonne untergegangen ist, gerät die Karawane unter den Mauern in Bewegung, bei dem hellen Mondschein, bei dem Licht der funkelnden Sterne will sie durch die Nacht dahinziehen. Der Wind trägt uns den Moschusgestank der Kamele, ihre lauten Wut- oder Leidensschreie zu, die sie jedesmal dann ausstoßen, wenn man sie beladen will; wir stehen mitten in einer wütenden Menagerie und man versteht nicht mehr sein eigenes Wort.

Das rötlich goldene Licht verschwindet bei Sonnenuntergang vor dem runden Mond, der die Schatten unserer krenelierten Mauern und unserer Türme auf den Erdboden wirft. Allmählich werden die zahllosen Ballen, die verstreut umherlagen, auf die Rücken der Kamele gepackt und verteilt; die Tiere sind jetzt, wo sie stehen, wieder gefügig und bewegen leise ihre Glöckchen. Die Karawane bricht auf.

Die Kamele schreien nicht mehr, und jetzt entfernen sie sich im Gänsemarsch unter dem süßen Klang ihres Glockenspiels. Nach den Ländern des Südens, aus denen wir kommen, kehren sie langsam zurück; alle Spalten, alle Schlünde, die wir überwunden haben, müssen sie durchschreiten. Von einer Etappe zur anderen, von einem Stein zum anderen führt sie der mühsame Weg. Und immer von neuem werden sie wieder aufbrechen, bis sie schließlich zu Boden stürzen und den Geiern zum Opfer fallen. Der Wind trägt uns nicht mehr ihren Gestank, sondern den süßen Duft der Gräser zu. In einer langen Reihe entfernen sie sich, sind jetzt nur noch ein winziges Pünktchen, das sich durch die dunkle Ebene dahinschleppt; der Ton ihrer Glöckchen ist bald verklungen. – Von unseren Mauern herab sehen wir, wie die Burgherren des Mittelalters, in die vor uns liegende Ebene hinein. – Seitdem die Karawane verschwunden ist, kehrt das große Schweigen zu den weiten uns umgebenden Steppen zurück. Alle Zacken unseres kleinen Walles werfen jetzt ihre hellen, bestimmten scharfen Schatten auf den Boden. Unter uns schließt man mit großem Gepolter die eisenbeschlagene Tür, die uns vor nächtlichen Überraschungen schützen soll. Bei dem Lied der Heimchen senkt sich die Nacht immer tiefer auf uns herab, aber sie ist so durchsichtig, daß man unendlich weit, nach allen Seiten hin sehen kann; Von Zeit zu Zeit fühlen wir einen heißen Hauch, der uns den Duft des Quendels und der Königskräuter zuträgt. Und dann streicht unter dem gespenstischen Licht des Mondes ein Frösteln dahin, und plötzlich ist es kalt.

Sonnabend, 12. Mai.

Bei Sonnenaufgang brechen wir endlich nach Ispahan auf. Eine Stunde lang reiten wir durch eine traurige kleine Wüste, deren Boden aus braunen Lehmhügeln und Tälern besteht – zweifellos liegt die Wüste hier, um die Stadt der blauen Glasur mit ihrer frischen Oase doppelt schön erscheinen zu lassen.

Und dann, wie auf dem Theater, wenn der Vorhang aufgeht, teilen, trennen sich zwei einzeln dastehende Hügel; und das dahinterliegende Paradies entfaltet sich langsam vor unseren Augen. Zuerst sieht man Felder mit hohen weißen Blumen, und nach der Einförmigkeit der erdigen Wüste leuchten uns diese wie Schnee entgegen. Dann folgen mächtige Baumgruppen – Pappeln, Weiden, immergrüne Eichen, Platanen –, und zwischen den Bäumen hindurch leuchten all die blauen Kuppeln, all die blauen Minaretts von Ispahan auf . . . Ein Wald und eine Stadt zugleich. Dies Maiengrün ist noch üppiger als bei uns, ist von wunderbarer Frische, aber besonders ist es diese blaue Stadt, diese Stadt von Türkis und Lapislazuli, die unter den Strahlen eines Morgenhimmels so seltsam unwahrscheinlich, so zauberhaft schön wie eine alte orientalische Sage daliegt.

Ungezählte kleine Kuppeln aus rosenrotem Lehm tauchen zwischen den Zweigen auf, aber alles, was ein wenig höher in den Himmel hinaufragt, die schlanken, gleich Spindeln gewundenen Minaretts, die ganz runden Kuppeln, diese auf gebauchten Kuppeln, die Turbanen gleichen, und in einer Spitze enden, die majestätischen Kuppeln der Moscheen, die Mauervierecke mit ihren spitzbogigen Toren, dies alles glitzert, flimmert in so kräftigen, wunderbaren, blauen Tönen, daß man unwillkürlich an Edelsteine, an Paläste aus Saphiren, an eine überirdische zauberhafte Pracht erinnert wird. Und in der Ferne beherrschen, verteidigen die Schneegefilde diese hochgelegene, heute vereinsamte Oase, die zu ihrer Zeit doch der Mittelpunkt aller Herrlichkeiten, aller Wunder der Welt war.

Ispahan! . . . Aber welches Schweigen herrscht in seinem Umkreise! . . . Bei uns, außerhalb einer großen Stadt, sieht man noch kilometerlange Strecken mit rußfarbenen Schmutzhaufen, mit Kohlen, mit lärmenden Maschinen, vor allem aber mit dem Netz der Eisenbahnlinien bedeckt, die eine törichte Verbindung mit der übrigen Welt herstellten.

Ispahan, einsam und entlegen ragt es in seiner Oase auf, und nicht einmal Fußsteige scheinen dorthin zu führen. Große, verlassene Friedhöfe, wo Ziegen grasen, klare Bäche, die ungehemmt dahineilen, über die man keine Brücke geschlagen hat, alte eingefallene krenelierte Mauern, das ist alles. Lange suchen wir zwischen den Trümmerhaufen der Wälle, zwischen den fließenden Gewässern nach einem Durchgang und wagen uns schließlich vorwärts, auf einem geraden Pfade, der von zwanzig Fuß hohen Mauern eingeschlossen wird, der uns keine Aussicht gewährt und durch den mitten hindurch ein kleiner Bach fließt. Er gleicht einer langen Mausefalle und mündet in einen großen Platz, wo die summenden Stimmen der Menge ertönen, Käufer, Verkäufer, gespensterhafte Frauen, Tscherkessen mit anschließenden Waffenröcken, syrische Beduinen, die mit den Karawanen aus dem Osten gekommen sind (ihre Köpfe erscheinen von gewaltigem Umfang durch die darum gewickelten Seidenstoffe), Armenier, Juden . . . Auf der Erde, im Schatten der Platanen, liegen ganze Haufen von Teppichen, Decken, Sätteln, von alten Burnussen oder alten Hüten; im Vorübergehen treten die Esel mit ihren Füßen darauf – gleichfalls unsere Pferde, die sich jetzt ängstigen. Aber noch haben wir nicht die Stadt der blauen Minaretts erreicht. Dies ist nicht das Ispahan, das wir beim Verlassen der Wüste sahen, und das uns in der klaren Morgenluft so nahe erschien; das wirkliche Ispahan liegt eine Meile weiter, liegt hinter den Mohnfeldern, hinter einem großen Fluß. Hier haben wir es nur mit einer armenischen Vorstadt zu tun, mit der profanen Vorstadt, in der alle Fremden, die nicht der mohammedanischen Religion angehören, wohnen dürfen. Und diese bescheidenen, fast ganz verfallenen Viertel, mit der großen armen Bevölkerung, das sind die Überreste des Djoulfa, das am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, unter dem Schah Abbas, groß und mächtig war. (Es ist bekannt, daß dieser ruhmreiche Herrscher – allerdings durch ein etwas gewaltsames Verfahren – von den nördlichen Grenzen eine ganze armenische Kolonie kommen ließ, um sie hier am Fuße seiner Hauptstadt anzusiedeln, später überhäufte er sie mit Vorrechten, und so wurde diese handeltreibende Vorstadt eine Quelle großer Reichtümer für das Kaiserreich. In den darauffolgenden Jahrhunderten, unter anderen Schahs, sah sich diese immer wachsende armenische Ansiedlung bedrängt, verfolgt, auf jede Weise unterdrücktNeben den Erpressungen und Gewalttätigkeiten, die die Armenier zu erdulden hatten, erließ man ganz lächerliche Verordnungen gegen sie. So wurde es ihnen verboten, bei Regenwetter, wenn sie durchnäßt waren, die Stadt zu betreten, weil ihre Kleider in dem großen Basar die Gewänder der Muselmänner berühren und dann beschmutzen würden.. Heute jedoch, unter dem jetzt herrschenden Vezir von Irak, hat sie wieder die Erlaubnis erhalten, ihre Kirchen zu öffnen und in Frieden zu leben.)

Man drängt sich um uns, wir sollen in Djoulfa bleiben: Christen, so erzählt man uns, dürfen nicht in dem heiligen Ispahan wohnen. Auch werden unsere Pferde uns nicht dorthin bringen, ihr Besitzer weigert sich; es steht nicht im Kontrakt, folglich läßt es sich nicht machen. Armenier bieten uns Zimmer in ihren Häusern zur Miete an. Unser Gepäck und unsere Waffen liegen auf der Erde, und da stehen wir, umringt von der Menge, die einen immer dichteren Kreis um uns schließt, die immer lebhafter wird. – Nein, ich will in der schönen, blauen Stadt wohnen, deshalb bin ich hierher gekommen, und man soll mir keinen anderen Vorschlag machen! Man bringe mir Maultiere oder Esel, gleichgültig was, und dann fort aus dieser kaufmännischen Vorstadt, die nur der Ungläubigen würdig ist.

Wie ich vorausgesehen hatte, sind die Maultiere, die man herbeiführt, störrische, boshafte Tiere, zwei-, dreimal werfen sie ihre Last zu Boden. Und die Leute sehen unseren Vorbereitungen zum Aufbruch mit spöttischem Gesicht zu, mit einem Gesicht, auf dem geschrieben steht: Man wirft sie hinaus, und dann kommen sie zurück. Was tut das? Vorwärts auf den schmalen Pfaden, durch die engen Gäßchen, an den dort fließenden Bächen entlang, die in den nahen Schneegefilden entspringen. Bald befinden wir uns von neuem in den Korn- und Mohnblumenfeldern. Und dort liegt der Fluß von Ispahan, nur wenig tief fließt er in seinem Bett von Kieselsteinen dahin; er könnte als Verkehrsweg dienen, wenn er sich ins Meer ergösse, statt in die unterirdischen Lager einzudringen und schließlich in dem See zu münden, den wir zu Anfang unserer Reise inmitten der Einöden haben liegen sehen; an seinen Ufern trocknet man hunderte von diesen Wandbekleidungen, auf die man Muster in Form eines Tempelportals druckt, und die dann ganz Persien, die ganze Türkei überschwemmen.

Es ist eine prachtvolle, seltsame Brücke, auf der wir der Stadt entgegenziehen; sie stammt, wie aller Luxus in Ispahan, aus der Zeit des Schah Abbas; sie ist dreihundert Meter lang und besteht aus zwei übereinander liegenden, spitzbogigen Arkaden, deren graue Steine durch das herrliche Blau der Glasur hervorgehoben werden. Gleichzeitig mit uns hält eine Karawane ihren Einzug, eine sehr lange Karawane; sie kommt aus den Wüsten des Westens, und ihre Kamele sind alle mit wilden Federbüschen geschmückt. Zu beiden Seiten der Fahrstraße, die die Mitte der Brücke einnimmt, liegen die für Fußgänger bestimmten Wege, geschützt von anmutigen, fayencebekleideten Bogenwölbungen; sie gleichen gotischen Klostergängen.

All die schwarzen, gespensterhaften Frauen, die auf den überdachten Pfaden lustwandeln, halten einen Rosenstrauß in der Hand. Rosen, überall Rosen. All die kleinen Zuckergebäck- und Teeverkäufer am Wege haben ihre Aufsatzplatten mit Rosen überladen, haben Rosen in den Gürtel gesteckt, und die in Lumpen gehüllten Bettler unter den Spitzbogen entblättern die Rosen zwischen ihren Fingern.

Die blauen Kuppeln, die blauen Minaretts, die blauen Zinnen zeigen uns jetzt die Einzelheiten ihrer Arabesken, die den Zeichnungen alter Gebetsteppiche gleichen. Und unter dem wundervollen Himmel, der sich über Ispahan wölbt, tummeln sich viele Taubenschwärme, sie fliegen auf, sie kreisen in der Luft, sie lassen sich von neuem auf den fayencebekleideten Türmen nieder.

Nachdem wir die Brücke überschritten haben, erreichen wir eine große, gerade Allee, die allen unseren bis jetzt gesammelten Eindrücken von orientalischen Städten widerspricht. Zu beiden Seiten des Weges läuft eine Hecke von dichten Rosenbüschen entlang; im Hintergrunde sieht man die Gärten liegen, aber die Häuser, die vielleicht schon verfallenen Paläste, schimmern nur undeutlich zwischen den hundertjährigen Bäumen hindurch; das Laub ist gar zu dicht. Diese Rosenwände, die hier auf offener Straße stehen, und die die Vorübergehenden plündern können, haben in toller Üppigkeit geblüht, und da jetzt die Zeit der Ernte gekommen ist, da man jetzt an die Essenzbereitung geht, stehen die verschleierten Frauen mit der Schere in der Hand zwischen den Büschen und schneiden und schneiden; sie lassen einen Blätterregen herniederfallen; überall Körbe, gefüllt mit Rosen, überall Berge von Rosen auf der Erde . . . Erzählte man uns nicht in Djoulfa, daß wir einen üblen Empfang haben würden in dieser Stadt der großen Bäume und der Blumen, die so offen daliegt, und in die man uns so ruhig hineinziehen läßt?

Aber die Eingeschlossenheit, die Beklommenheit der Ruinen und des Geheimnisvollen wartet unser bei der ersten Biegung des Weges. Plötzlich finden wir uns wie in Chiraz in einem Labyrinth von verlassenen, dunklen Gäßchen, zwischen hohen, fensterlosen Mauern wieder, und auch hier ist der Boden mit Unrat, mit Gebeinen, mit verreckten Hunden bedeckt. Alles ist unbewohnt, baufällig und finster; zuweilen sehen wir durch einen Riß in der Mauer einige Häuser, aber diese können nur Geistern und Eulen als Unterschlupf dienen. Und in der unendlichen, grauen Eintönigkeit der Wände streuen die immer reizvollen alten Türen mit ihren wunderbar glasierten Einfassungen ihr Mosaik in kleinen blauen Stückchen auf die Erde, so, wie die Bäume im Herbst ihre Blätter über den Boden säen. Es ist kalt, und man atmet schwer zwischen diesen Trümmern, durch die wir im Gänsemarsch dahinziehen, und mehr als einmal verlieren wir unsere störrischen Tiere, die uns nicht folgen wollen, aus dem Auge. Wir wandern, wir wandern immer weiter, ohne recht zu wissen, wohin.

Unser Führer scheint auch nicht zuversichtlicher als die Armenier in Djoulfa in bezug auf den Empfang zu sein, den man uns wird zuteil werden lassen. Zuerst wollen wir es in den Karawansereien versuchen, später können wir uns immer an die Einwohner wenden . . .

Wir erreichen jetzt die großen gewölbten Schiffe der Basare und befinden uns plötzlich mitten im Volksgewühl, hier ist es schattig und kühl. Die Stadt kann also doch nicht überall ausgestorben sein, denn ein lautes Gesumme dringt an unser Ohr. Aber es ist fast dunkel, und das Kommen und Gehen der burnusgekleideten Kaufleute, der gespensterhaften Frauen, der Reiter, der Karawanen, das Treiben, in das man plötzlich nach den vielen Trümmern, nach dem großen Schweigen hineingerät, erscheint zuerst fast märchenhaft.

Die Basare Ispahans, einst die reichsten Handelsplätze Asiens, sind eine Welt für sich. Ihre steinernen Schiffe, ihre Reihen hoher Kuppeln verlieren sich in der Unendlichkeit, sie kreuzen sich, bilden regelmäßige Plätze, und diese sind mit Springbrunnen geschmückt, und sind inmitten ihres Verfalls noch immer großartig anzusehen.

Löcher, Kloaken, ein holperiges Pflaster, auf dem man ausgleitet; nur mühsam dringen wir vorwärts, wir werden von den Leuten, von den Tieren gestoßen, und immer wieder müssen wir uns mit unseren Maultieren beschäftigen, die sich in dem seltsamen Gewühl verlieren.

Zu beiden Seiten dieser Alleen öffnen sich die Karawansereien, sie werfen eine Flut von Licht auf den Weg. Alle besitzen sie ihren unter freiem Himmel gelegenen Hof, wo die Reisenden ihre Kalyan im Schatten einer alten Platane, neben einem plätschernden Springbrunnen, zwischen den Büschen der rosenroten, der weißen Rosen rauchen, kleine, ganz gleiche Zimmer, die zwei oder drei übereinander liegende Stockwerke bilden, gehen auf die inneren Gärten und erhalten ihr Licht durch die blauglasierten Spitzbogen.

Wir haben an der Tür von drei, vier, fünf Karawansereien um Einlaß gebeten, und immer wurde uns die Antwort zuteil, daß alles überfüllt sei.

Hier wohnt scheinbar niemand; aber welch ein trauriges, dunkles Schmutzloch ist dies, das am Ende eines verlassenen, einstürzenden Stadtviertels liegt! – Um so schlimmer! Es ist nach zwölf Uhr mittags, wir sterben vor Hunger, wir können nicht mehr, also laßt uns hineingehen. – Außerdem weigern sich unsere Maultiere und Maultiertreiber, ihren Weg fortzusetzen, sie werfen alles von sich auf das Pflaster, vor die Tür, in der einsamen, unheimlichen Straße, die unter den dicken Gewölben fast ganz in Dunkelheit gehüllt daliegt. – »Alles ist überfüllt«, antwortete uns der Wirt mit seinem höflichsten Lächeln . . . Was jetzt anfangen? . . .

Ein alter Mann mit schlauem Gesicht verfolgt uns seit einem Augenblick, jetzt nähert er sich uns und will mich im Vertrauen sprechen: Ein Herr, der sich in Geldverlegenheit befindet, flüstert er mir ins Ohr, hat ihn beauftragt, ein Haus zu vermieten. Es mag ein wenig teuer sein, fünfzig Tomans (zweihundertfünfzig Franks) im Monat, aber immerhin, wenn ich es mir ansehen möchte . . . Und er führt mich weit, sehr weit, eine halbe Meile durch Trümmer- und Schutthaufen hindurch, um schließlich, am Ende einer Sackgasse, eine wurmstichige Tür zu öffnen, die in eine Totengruft zu führen scheint.

Ach! Welch eine wunderbare Wohnung ist dies! Ein Garten, oder vielmehr ein Nest von Rosen: schlanke Rosenstämme, hoch wie Bäume, Kletterrosen, die die Mauern unter einem Netz von Blüten verbergen. Und im Hintergrunde liegt ein kleiner Palast aus Tausendundeiner Nacht, mit einer langen, schlanken Säulenreihe, in altem persischen Stil, der noch von der achämenidischen Architektur, von dem Glanz des Königs Darius erzählt. Im Innern herrscht der alte, sehr reine Orient; ein hoher Saal, einst Weiß mit Gold, jetzt aber in Elfenbeinton, durch ein verblaßtes Purpurrot belebt. An der Decke sieht man ein Mosaik aus winzig kleinen Spiegelteilchen zusammengesetzt, es leuchtet mit dem Glanz getrübten Silbers, und dann die Behänge jener unvermeidlichen Ornamente der persischen Paläste, sie gleichen Perlen aus Stalaktit oder ungezählten Bienenzellen. Die Diwane sind mit graugrüner Seide bedeckt, in die ein altmodisches Muster von roten Flammen hineingewebt ist. Kissen, Teppiche aus Kerman und Chiraz. Im Hintergrunde gewähren die Türen, deren Bogen gleichsam aus Stalaktit ausgezackt zu sein scheinen, einen Blick in eine begrenzte Ferne, wo es bereits dunkelt. Und über diesem allen liegt der beunruhigende Reiz des Verfalls, des Geheimnisvollen, des Abenteuerlichen. Und in den süßen Hauch der Rosen mischt sich der unbestimmte Duft der Haremessenzen, mit denen alle Stoffe durchtränkt sind . . .

Schnell will ich meine Leute und mein Gepäck herbeiholen, während der gute Kerl seinen Herrn benachrichtigt, daß der Handel zu jedem beliebigen Preis geschlossen ist. Für mich, den durchreisenden Fremden, ist es ja ein ungeahnter Zeitvertreib, ein solches Haus zu bewohnen, das in einer Stadt wie Ispahan, umgeben von den Ruinen, in Schweigen gehüllt, daliegt!

Aber ach! Bald höre ich in der Straße jemanden hinter mir herlaufen; es ist der brave Alte, der mir ganz bestürzt zuruft: Der Herr in Geldverlegenheit lehnt das Anerbieten mit Entrüstung ab. »Christen!« – hat er geantwortet, »nicht für tausend Tomans den Tag; sie sollen sich scheren, nach Djoulfa oder zum Teufel!«

Es ist halb zwei Uhr. Wir sind mit jedem beliebigen Lager zufrieden, wenn wir uns nur im Schatten ausruhen und zu einem Ende kommen können.

In einem Hause armer Leute, über einem Hof, wo zerlumpte Kinder herumwimmeln, will uns eine alte Frau ein Hundeloch vermieten, vier aus Stampferde errichtete Mauern und ein Dach aus Zweigen, weiter nichts; zuerst aber muß sie bei ihrem Vater die Erlaubnis einholen, und das ist äußerst umständlich, denn der Greis ist schon kindisch, ist blind und taub, und unendlich lange dauert es, bis man ihm erst ins eine, dann ins andere Ohr die ganze Geschichte hineingetutet hat.

Kaum hatten wir uns dort oben zur Ruhe hingelegt, als ein ohrenbetäubender Lärm zu uns hinaufdrängt und uns stört: Der Hof ist voller Leute, ebenso die Straße; und wir sehen die alte Frau schluchzend in der Menge stehen, die auf sie einschreit und mit Fäusten droht.

– Was bedeutet dies? fragt man sie, sie beherbergt Christen! Heraus mit dem Geld! Heraus mit ihrem Gepäck, sofort hinaus mit ihnen!

– Nein, diesmal weichen wir nicht!

Ich lasse meine Tür verrammeln und der Menge durch einen Herold mitteilen, daß ich weit eher bereit wäre, alle Schrecken einer Belagerung zu ertragen, als hinabzugehen; und dann stellen mein französischer Diener und ich uns ans Fenster und lassen unsere Revolver blitzen, – nachdem wir sie zuvor entladen hatten, um allen etwaigen Unglücksfällen vorzubeugen.


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