Jack London
In den Wäldern des Nordens
Jack London

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Ligouns Tod

»Blut um Blut, Rang um Rang.«
                        Thlinket-Gesetz.

Höre jetzt von Ligouns Tod –«

Der Sprechende schwieg oder hielt vielmehr in seiner Erzählung inne und betrachtete mich mit verständnisinnigem Blick. Ich hielt die Flasche zwischen unsre Augen und das Feuer, zeigte mit dem Daumen, wieviel getrunken werden durfte, und schob sie ihm hin; denn war er nicht Palitlum, der Säufer? Viele Geschichten hatte er mir erzählt, und lange hatte ich darauf gewartet, daß dieser des Schreibens unkundige Schriftsteller von den Dingen sprechen sollte, die Ligoun betrafen; denn unter allen lebenden Menschen kannte er diese Dinge am besten.

Er lehnte den Kopf mit einem Grunzen zurück, das schnell in ein Gurgeln überging, und der Schatten eines riesigen menschlichen Körpers unter einer mächtigen, umgekehrten Flasche hüpfte und tanzte auf der Felswand hinter uns. Palitlum setzte den Flaschenhals mit einem zärtlichen Schmatzen vom Munde ab und guckte traurig in die geisterhafte Wölbung des Himmels hinauf, wo das blasse, weiße Licht des Sommernordlichtes spielte.

»Es ist seltsam«, sagte er. »Kalt wie Wasser und heiß wie Feuer. Dem, der es trinkt, gibt es Stärke, und dem, der es trinkt, nimmt es Stärke. Es macht alte Männer jung und junge alt. Den Mann, der müde ist, läßt es sich erheben und weitergehen, und den Mann, der nicht müde ist, beschwert es, daß er in Schlaf sinkt. Mein Bruder hatte ein Herz wie das eines Kaninchens, aber er trank davon, und sogleich tötete er vier seiner Feinde. Mein Vater war wie ein großer Wolf und zeigte allen Menschen die Zähne, und er trank davon und ward durch den Rücken geschossen, als er schnell fortlief. Es ist sehr seltsam.«

»Es ist ›Three Star‹ und besser als das Zeugs, mit dem sie euch dort unten die Bäuche vergiften«, antwortete ich und wies mit der Hand über die klaffende Schlucht von Finsternis abwärts, wo, tief unter uns, die Buchenfeuer schimmerten – kleine Flämmchen, die der Nacht Größe und Wirklichkeit verliehen.

Palitlum seufzte und schüttelte den Kopf. »Darum bin ich hier bei dir.«

Und er umfaßte die Flasche und mich mit einem Blick, der beredter war als Worte über den schamlosen Durst.

»Nein«, sagte ich und stellte die Flasche zwischen meine Knie. »Sprich nun von Ligoun. Über den ›Three Star‹ können wir später reden.«

»Es ist genug da, und ich bin nicht müde«, verteidigte er seine Sache dreist. »Laß es mich nur auf meinen Lippen fühlen, dann werde ich große Worte von Ligoun und seinen letzten Tagen sprechen.«

»Dem, der es trinkt, nimmt es die Stärke,« spottete ich, »und den Mann, der nicht müde ist, beschwert es, daß er in Schlaf sinkt.«

»Du bist klug«, antwortete er ohne Zorn und ohne Stolz. »Wie alle deine Brüder bist du klug. Ob du wachst oder schläfst, immer ist der ›Three Star‹ bei dir, und doch habe ich dich nie zu lange oder zu viel trinken sehen. Und unterdessen sammelst du das Gold, das in unsern Bergen ruht, und die Fische, die in unsern Seen schwimmen, und Palitlums Brüder graben das Gold für dich und fangen die Fische und werden froh, wenn du es in deiner Klugheit für richtig hältst, daß der ›Three Star‹ unsere Lippen befeuchtet.«

»Ich denke, ich sollte von Ligoun hören«, sagte ich ungeduldig. »Die Nacht wird nur kurz sein, und wir haben morgen eine beschwerliche Reise vor uns.« Ich gähnte und tat, als wollte ich mich erheben, aber Palitlum zeigte plötzlich Angst und begann schnell:

»In Ligouns alten Tagen war es sein Wunsch, daß Friede herrschen sollte zwischen den Stämmen. Als junger Mann aber war er der erste aller Krieger und Häuptling über die Kriegshäuptlinge der Inseln und Pässe gewesen. Alle seine Tage hatte Kampf erfüllt. Er konnte mit mehr Narben von Knochen und Blei und Eisen prahlen, als irgendein Mann. Drei Frauen hatte er und mit jeder Frau zwei Söhne, und die Söhne, der älteste wie der jüngste, fielen alle im Kampfe an seiner Seite. Ruhelos wie ein Adler schweifte er weit umher – nach Norden bis Unalaska und an das Seichte Meer, nach Süden bis zu den Königin-Charlotte-Inseln. Ja, es hieß sogar, er wäre mit den Kakes nach dem fernen Puget Sund gezogen und hätte dort geholfen, ihre Brüder in ihren befestigten Häusern zu töten. Aber wie gesagt, in seinen alten Tagen wünschte er Frieden zwischen den Stämmen. Nicht, daß er furchtsam geworden wäre oder den Winkel hinterm Herde und den vollen Fleischtopf zu sehr geliebt hätte. Er tötete noch mit der wildesten Schlauheit und Blutgier, schnallte sich bei Hungersnot den Leib zusammen wie der Jüngste und trotzte den bitteren Meeren und der schwersten Reise wie der Stärkste. Aber wegen seiner vielen Taten und zur Strafe dafür holte ihn ein Kriegsschiff in dein Land, du Mann aus Boston, Haargesicht, und viele Jahre vergingen, bis er wiederkam, und ich war aufgewachsen und war etwas mehr als ein Knabe und etwas weniger als ein junger Mann. Und da Ligoun in seinem Alter kinderlos war, mochte er mich gern und schenkte mir von seiner Weisheit.

›Kämpfen ist gut, o Palitlum‹, sagte er. Doch nein, o Haargesicht, ich wurde damals noch nicht Palitlum genannt, ich hieß Olo, der Immer-Hungrige. Das Trinken kam später. ›Kämpfen ist gut,‹ sagte Ligoun, ›aber es ist töricht. Im Lande der Bostonmänner, das ich mit eigenen Augen sah, pflegen sie nicht miteinander zu kämpfen, und sie sind stark. Weshalb sie in ihrer Stärke gegen uns von den Inseln und Pässen gehen und wir wie Feuerrauch und Meeresnebel vor ihnen sind. Und deshalb sage ich, kämpfen ist gut, sehr gut, aber es ist auch töricht.‹ Und deshalb ließ Ligoun, obwohl er stets der erste unter den Kriegern war, seine Stimme immer am lautesten für den Frieden erklingen. Und als er sehr alt war, gab er, der größte der Häuptlinge und der reichste der Männer, einen Schmaus. Nie hatte es einen solchen Schmaus gegeben. Fünfhundert Kanus lagen in einer Reihe am Flußufer, und in jedem Kanu kamen nicht weniger als zehn Männer und Frauen. Acht Stämme waren da; vom ersten und ältesten Mann bis zum letzten und jüngsten Kind waren sie da. Und es kamen Männer von fernen Stämmen, große Wanderer und Pfadfinder, die von Ligouns Schmaus gehört hatten. Und volle sieben Tage hindurch füllten sie ihre Bäuche mit seinem Essen und Trinken. Achttausend Decken gab er ihnen, wie ich genau weiß, denn wer hätte sie gezählt und nach Rang und Stand ausgeteilt, wenn nicht ich? Und als alles vorbei war, war Ligoun ein armer Mann; aber sein Name lebte auf aller Menschen Lippen, und andere Häuptlinge knirschten mit den Zähnen vor Neid, weil er so groß war.

Und dann rief er, dessen Worte jetzt gewichtig waren, zum Frieden. Und er reiste zu allen Schmausen, Festen und Stammesversammlungen, um zum Frieden zu raten. Und so kam es, daß wir, Ligoun und ich, zusammen zu dem großen Fest reisten, das Niblack, der Häuptling der Flußindianer am Skoot, nicht weit von Stickeen, gab. Es war in Ligouns letzten Tagen, und er war sehr alt und dem Tode sehr nahe. Er hustete von dem kalten Wetter und dem Rauch des Lagers, und oft floß ihm das rote Blut aus dem Munde, so daß wir dachten, er würde auf der Stelle sterben.

›Nein,‹ sagte er einmal bei einer solchen Gelegenheit, ›es wäre besser, ich stürbe, wenn das Blut vom Messer flösse und es von Stahl klirrte und von Pulver röche und die Männer laut über das kalte Eisen und das schnelle Blei riefen.‹ So war es klar, o Haargesicht, daß es sein Herz noch nach Kampf gelüstete.

Es ist sehr weit vom Chilkat bis zum Skoot, und wir waren viele Tage in den Kanus. Und während die Männer sich über die Paddeln beugten, saß ich zu Ligouns Füßen und lernte das Gesetz. Es hätte wenig Zweck für mich, wenn ich das Gesetz aufsagte, o Haargesicht, denn ich bin mir wohl bewußt, daß du in dieser Beziehung gut Bescheid weißt. Aber ich spreche von dem Gesetz, das Blut um Blut und Rang um Rang heischt. Und Ligoun ging den Dingen auf den Grund und sagte:

›Aber dies sollst du wissen, o Olo, daß es nur wenig Ehre ist, einen Mann zu töten, der geringer ist als du selber. Töte stets einen Mann, der größer ist, und deine Ehre wird wachsen im Verhältnis zu seiner Größe. Tötest du aber von zwei Männern den Geringeren, so bedeckst du dich mit Schande, und selbst die Squaws werden sich über dich lustig machen. Wie ich sage: Friede ist gut; aber denke wohl daran, o Olo, mußt du töten, so töte nach dem Gesetz.‹

So ist die Sitte beim Thlinket-Volk«, beteuerte Palitlum entschuldigend.

Und ich gedachte der Revolverhelden und Bösewichter in meinem eigenen westlichen Lande und war nicht erstaunt über die Sitte des Thlinket-Volkes.

»Nach einiger Zeit«, fuhr Palitlum fort, »kamen wir zum Häuptling Niblack und den Skoots. Es war ein Fest, fast so groß wie Ligouns Schmaus. Da waren wir vom Chilkat und die Sitkas und Stickeens, die Nachbarn der Skoots, und die Wrangels und Hoonahs. Und es waren Leute da vom Sonnenuntergangsstamm und Tahkos von Port Houghton und deren Nachbarn, die Awsk vom Douglas-Kanal, Leute vom Naaßfluß und Tongas nördlich vom Dixon und Kakes von der Kupreanow genannten Insel. Dann waren Siwashs von Vancouver da, Cassiars von den Goldbergen, Teslin-Männer und sogar Sticks vom Yukonlande.

Es war eine mächtige Versammlung. Aber als Hauptsache sollte eine Zusammenkunft der Häuptlinge bei Niblack stattfinden, bei der alle Feindschaft in Quaß ertränkt wurde. Die Russen hatten uns gelehrt, Quaß zu bereiten, wie mein Vater mir erzählt hat, und er hatte es wieder von seinem Vater gehört. Aber diesem Quaß hatte Niblack eine Menge Dinge zugesetzt, wie zum Beispiel Zucker, Mehl, getrocknete Äpfel und Malz, so daß es ein Getränk für einen Mann war, stark und gut. Nicht so gut wie der ›Three Star‹, o Haargesicht, aber immerhin gut.

Das Quaßfest war für die Häuptlinge und allein für die Häuptlinge, und es waren ihrer an zwanzig. Aber Ligoun war sehr alt und sehr groß, und es wurde daher gestattet, daß ich ihn begleitete, damit er sich auf meine Schulter stützen konnte, und damit ich ihm helfen konnte, wenn er sich setzte und wenn er aufstand. An der Tür von Niblacks Hause, das aus Baumstämmen erbaut und sehr groß war, legte jeder Häuptling, wie Sitte und Brauch es geboten, Speer oder Büchse und Messer ab. Denn du weißt, o Haargesicht, daß starker Trunk hitzig macht und alten Haß aufflammen läßt. Aber ich bemerkte, daß Ligoun zwei Messer bei sich hatte; das eine ließ er vor der Tür liegen, das andere steckte er unter seine Decke, so daß er es leicht fassen konnte. Die andern Häuptlinge taten dasselbe, und ich war besorgt, was geschehen würde. Die Häuptlinge setzten sich in einem großen Kreise rings im Raum. Ich stand neben Ligouns Ellbogen. In der Mitte stand das Quaßfaß und daneben ein Sklave, um das Getränk einzuschenken. Zuerst hielt Niblack eine Rede, scheinbar mit großer Freundschaft und vielen schönen Worten. Dann gab er ein Zeichen, und der Sklave füllte einen Becher mit Quaß und reichte ihn Ligoun, wie es sich ziemt, denn er hatte den höchsten Rang.

Ligoun leerte ihn bis auf den letzten Tropfen, und ich gab ihm meine Kraft, so daß er auf die Beine kommen und auch eine Rede halten konnte. Er hatte freundliche Worte für all die vielen Stämme, sprach von Niblacks Größe, daß er ein solches Fest gab, riet zum Frieden, wie er zu tun pflegte, und sagte schließlich, daß der Quaß ausgezeichnet sei. Hierauf trank Niblack, denn er war der nächste im Range nach Ligoun, und nach ihm ein Häuptling nach dem andern, alle in der richtigen Reihenfolge und Ordnung. Und jeder von ihnen sprach freundliche Worte, bis alle getrunken hatten, und alle sagten, daß der Quaß gut sei. Sagte ich alle? Nein, nicht alle, o Haargesicht. Denn der letzte von ihnen war ein magerer, katzenartiger Mann mit jungem Gesicht und schnellem, kühnem Blick, der mit finsterer Miene trank, auf den Boden spie und kein Wort sprach.

Nicht zu sagen, daß der Quaß gut sei, war eine Beleidigung, ihn auszuspeien, war schlimmer als eine Beleidigung. Und gerade das tat er. Er war bekannt als Häuptling der Sticks am Yukon, aber sonst wußte man nichts von ihm.

Wie gesagt, es war eine Beleidigung. Aber beachte es wohl, o Haargesicht, es war eine Beleidigung nicht gegen Niblack, den Festgeber, sondern gegen den Vornehmsten im Range, der mit ihnen im Kreise saß. Und das war Ligoun. Kein Laut war zu hören.

Alle Augen wandten sich auf Ligoun, um zu sehen, was er täte. Er rührte sich nicht. Seine welken Lippen zitterten nicht, um zu sprechen; weder bebten seine Nasenflügel, noch schloß sich sein Augenlid. Aber ich bemerkte, daß er blaß und grau aussah, wie ich es bei alten Männern an trüben Morgen gesehen habe, wenn Hungersnot herrschte, die Frauen jammerten und die Kinder wimmerten und es kein Fleisch gab und keine Aussicht auf Fleisch war. So wie die alten Männer dann aussahen, so sah Ligoun aus.

Nicht ein Laut war zu hören. Es war wie ein Kreis von Toten, aber jeder Häuptling fühlte unter seiner Decke nach, um sich zu vergewissern, und maß seine Nachbarn rechts und links von der Seite mit den Augen. Ich war ein halbwüchsiger Knabe; der Dinge, die ich gesehen hatte, waren nur wenige; doch ich wußte, daß dies einer der Augenblicke war, die man nur einmal in seinem ganzen Leben erlebt. Der Stick stand auf, während alle Augen sich auf ihn hefteten, und schritt quer durch den Raum, bis er vor Ligoun stand.

›Ich bin Opitsah, das Messer‹, sagte er.

Aber Ligoun sagte nichts, sah ihn auch nicht an, sondern starrte nur, ohne zu blinzeln, auf den Boden.

›Du bist Ligoun‹, sagte Opitsah. ›Du hast viele Männer getötet. Ich bin noch am Leben.‹

Und immer noch sagte Ligoun nichts, aber er machte mir ein Zeichen, erhob sich mit meiner Hilfe und stand aufrecht auf seinen beiden Füßen. Er war wie eine alte Kiefer, nackt und grau, aber immer noch Frost und Sturm die Stirn bietend. Seine Augen blinzelten nicht, und wie er Opitsah nicht gehört zu haben schien, so schien er ihn auch nicht zu sehen.

Und Opitsah war wahnsinnig vor Wut und tanzte steifbeinig vor ihm, wie Männer tun, wenn sie einem anderen Schande bereiten wollen. Und Opitsah sang ein Lied von seiner eigenen und seines Volkes Größe, voll von schlimmen Worten über die Chilcats und Ligoun. Und während Opitsah tanzte und sang, warf er seine Decke ab und zog mit seinem Messer schimmernde Kreise vor Ligouns Gesicht. Und das Lied, das er sang, war das Messerlied.

Und sonst war nichts zu hören, nur der Gesang Opitsahs, und der Kreis der Häuptlinge war wie tot, nur daß das Blitzen des Messers glimmendes Feuer aus ihren Augen zu ziehen schien. Und auch Ligoun war ganz still. Wohl wußte er, daß er sterben sollte, aber er war unerschrocken. Und das Messer kreiste näher und immer näher vor seinem Gesicht, aber seine Augen blinzelten nicht, und er schwankte nicht nach rechts oder links, nicht hierhin und nicht dorthin.

Und Opitsah stieß mit dem Messer, so, zweimal in Ligouns Stirn, und das rote Blut schoß hervor. Und da gab Ligoun mir ein Zeichen, ihn mit meiner Jugend zu stützen, so daß er gehen könnte. Und er lachte mit großer Verachtung Opitsah, dem Messer, gerade ins Gesicht. Und er fegte Opitsah beiseite, wie man einen niedrig hängenden Zweig beiseitefegt und weitergeht.

Und ich erkannte und verstand, denn es war nur Schande, Opitsah vor den Augen von zwanzig großen Häuptlingen zu töten. Ich erinnerte mich des Gesetzes und wußte, daß Ligoun im Sinne hatte, nach dem Gesetz zu töten. Und wer war von gleich hohem Range wie er selbst, außer Niblack? Und auf Niblack schritt er zu, auf meinen Arm gestützt. Und an seinen anderen Arm klammerte Opitsah sich und stieß immer wieder zu, aber er war zu gering, als daß ein so großer Mann sich die Hände mit seinem Blute besudelt hätte. Und obwohl ihn Opitsahs Messer immer wieder traf, achtete Ligoun nicht darauf und zuckte nicht. Und auf diese Weise gingen wir drei quer durch den Raum, wo Niblack in seine Decke gehüllt saß und unser Kommen fürchtete.

Und jetzt flammte der alte Haß auf, und vergessener Groll ward wieder lebendig. Lamuk, ein Kake, hatte einen Bruder gehabt, der in dem heimtückischen Wasser des Stickeen ertrunken war, und die Stickeens hatten keine Decken für ihr heimtückisches Wasser bezahlt, wie es der Brauch war. Daher stieß Lamuk sein langes Messer dem Stickeen Klok-Kutz gerade ins Herz. Und Katchahook gedachte eines Streites, den das Naaßfluß-Volk mit den Tongas nördlich vom Dixon gehabt hatte, und er tötete den Häuptling der Tongas mit einer Pistole, die viel Lärm machte. Und der Blutdurst ergriff alle Männer im Kreise, und Häuptling tötete Häuptling oder wurde getötet, wie der Zufall es wollte. Und sie stachen und schossen auf Ligoun, denn der, der ihn tötete, mußte großen Ruhm gewinnen und unvergessen bleiben wegen dieser Tat. Und sie umzingelten ihn wie Wölfe einen Elch, aber es waren ihrer so viele, daß sie sich im Wege standen und sich gegenseitig töteten, um Platz zu bekommen. Und es herrschte große Verwirrung.

Aber Ligoun ging langsam, ohne Eile, als hätte er noch viele Jahre vor sich, so sicher schien er seiner Beute. Und wie er ging, trafen ihn Messer, und er war rot von Blut. Und obwohl niemand nach mir zielte, der ich ein reiner Knabe war, so fanden die Messer mich doch, und die heißen Kugeln brannten mich. Und immer noch lehnte sich Ligoun auf meine Jugend, und Opitsah stieß nach ihm, und wir drei schritten vorwärts. Und als wir vor Niblack standen, fürchtete er sich und bedeckte sich den Kopf mit seiner Decke. Die Skoots waren immer Feiglinge. Goolzug und Kadishan, der eine ein Fischesser, der andere ein Fleischtöter, gingen aufeinander los, um der Ehre ihrer Stämme willen. Und sie rasten wie toll umher, und während ihres Kampfes prallten sie gegen Opitsahs Knie, daß er zu Boden geworfen und unter ihre Füße getreten wurde. Und ein Messer, das durch die Luft zischte, traf Skulpin von den Sitkas in den Hals:, er schlug blind mit den Armen um sich, wankte und riß mich im Fallen mit. Und als ich am Boden lag, sah ich, wie Ligoun sich über Niblack beugte, ihm die Decke vom Kopfe zog und sein Gesicht gegen das Licht drehte, und Ligoun hatte keine Eile. Da sein eigenes Blut ihn blendete, strich er es sich mit dem Handrücken aus den Augen, damit er sah und seiner Sache sicher war. Dann zog er ihm das Messer quer durch die Kehle, und dann stand Ligoun aufrecht da, sang sein Totenlied und schwankte leise vor sich zurück. Und Skulpin, der mich zu Boden gerissen hatte, schoß von der Stelle aus, wo er lag, mit einer Pistole, und Ligoun wankte und fiel wie eine alte Kiefer im Sturm.«

Palitlum schwieg. Seine düster glühenden Augen waren auf das Feuer geheftet.

»Und du, Palitlum?« fragte ich. »Und du?«

»Ich? Ich gedachte des Gesetzes, und ich tötete Opitsah, das Messer, und das war gut. Und ich zog Ligouns eigenes Messer aus Niblacks Kehle und tötete Skulpin. Und da Ligoun tot war, brauchte er meine Jugend nicht mehr, und ich stieß um mich mit seinem Messer und wählte die Vornehmsten, die noch übrig waren.«

Palitlum suchte unter seinem Hemd, zog eine perlenverzierte Scheide und aus der Scheide ein Messer hervor. Es war ein selbstverfertigtes Messer, roh aus einer Säge hergestellt.

»Ligouns Messer?« fragte ich, und Palitlum nickte. »Und für Ligouns Messer«, sagte ich, »will ich dir zehn Flaschen ›Three Star‹ geben.«

Aber Palitlum sah mich langsam an. »Haargesicht, ich bin schwach wie Wasser und leicht wie ein Weib. Ich habe meinen Bauch besudelt mit Quaß und Hooch und ›Three Star‹. Meine Augen sind schlaff, meine Ohren haben ihre Schärfe verloren, und meine Kraft ist zu Fett geworden. Und ich bin ohne Ehre heute und werde Palitlum, der Säufer, genannt. Dennoch gewann ich Ehre beim Schmause Niblacks am Skoot, und die Erinnerung hieran wie die Erinnerung an Ligoun ist mir teuer. Und wenn du selbst das Meer zu ›Three Star‹ verwandelst und sagtest, ich sollte alles für das Messer haben, so würde ich doch das Messer behalten. Ich bin Palitlum, der Säufer, aber einmal war ich Olo, der Immer-Hungrige, der Ligoun mit seiner Jugend stützte!«

»Du bist ein großer Mann, Palitlum,« sagte ich, »und ich ehre dich.«

»Der ›Three Star‹ zwischen deinen Knien sei mein für die Geschichte, die ich dir erzählt habe«, sagte er. Und als ich auf die Felswand hinter uns blickte, sah ich dem Schatten eines riesigen menschlichen Körpers unter dem einer mächtigen umgekehrten Flasche.

 


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