Jack London
In den Wäldern des Nordens
Jack London

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Die Krankheit des Einsamen Häuptlings

Diese Geschichte wurde mir von zwei alten Männern erzählt. Wir saßen im Rauch eines Moskitofeuers um die kühlste Tageszeit: Mitternacht, und während der Erzählung schlugen wir hin und wieder mit Eifer und Vergnügen nach den beflügelten Ungeheuern, die dem Rauche trotzten, um sich an unserer Haut zu letzen. Rechts, zwanzig Fuß unter uns, schlug der Yukon träge an das bröcklige Ufer, links, über dem rosenfarbenen Rande der niedrigen Hügel, glühte die schläfrige Sonne, die in dieser Nacht keinen Schlaf sah und auch in vielen folgenden Nächten keinen Schlaf sehen sollte.

Die alten Männer, die bei mir saßen und tapfer auf die Moskitos einschlugen, waren der Einsame Häuptling und Mutsak, einst Waffenbrüder und jetzt eingeschrumpfte Behältnisse für Überlieferungen und Geschehnisse der Vorzeit. Sie waren die Letzten ihres Geschlechtes und genossen keine Ehre unter den Jüngeren, die am äußersten Rande einer Minenzivilisation aufgewachsen waren. Wer kümmerte sich um Traditionen in einer Zeit, da man Geister beschwören konnte aus Whiskyflaschen, und Whiskyflaschen beschwören konnte aus gefügigen weißen Männern für einige Stunden Schweiß oder ein räudiges Fell? Welche Macht hatten die unheimlichen Beschwörungen und Masken-Mysterien des Schamanismus, wenn das lebende Wunder, das Dampfboot, jeden Tag den Yukon herauf und hinunter schnaufte, ein wirkliches feuerspeiendes Ungeheuer, das allen Naturgesetzen trotzte? Und welchen Wert hatte ererbtes Ansehen, wenn jetzt der, welcher das meiste Holz fällte oder am besten das Dampfboot mit dem Achterrad durch die Insellabyrinthe zu steuern verstand, die größte Rücksicht bei seinen Stammesgenossen fand?

Wahrlich, sie hatten zu lange gelebt, diese beiden alten Männer, der Einsame Häuptling und Mutsak: ihre bösen Tage waren gekommen, und bei der neuen Ordnung der Dinge hatten sie weder Ehre noch Heim. Also warteten sie traurig auf den Tod, und unterdessen erwärmten sich ihre Herzen für den fremden weißen Mann, der die Plage des Moskitofeuers mit ihnen teilte und ihren alten Geschichten aus den Tagen, ehe der Dampfer kam, willig Gehör schenkte.

»So wurde ein Mädchen für mich gewählt«, sagte der Einsame Häuptling. Seine schrille, pfeifende Stimme fiel hin und wieder plötzlich in einen heiseren, knirschenden Baß, um dann, wenn man sich gerade daran gewöhnt hatte, in einen dünnen Diskant zu springen, gewissermaßen abwechselndes Grillenzirpen und Ochsenfroschquaken.

»So wurde ein Mädchen für mich gewählt«, sagte er. »Denn mein Vater, Kask-ta-ka, der Otter, war zornig, weil ich nicht verlangend auf die Frauen sah. Er war ein alter Mann und der Häuptling seines Stammes. Ich war der letzte seiner Söhne, der noch am Leben war, und nur durch mich konnte er hoffen, sein Blut in kommenden, noch ungeborenen Geschlechtern fortpflanzen zu können. Aber du mußt wissen, weißer Mann, daß ich sehr krank war, und wenn weder Jagd noch Fischfang mir Freude machten und das Essen meinen Bauch nicht wärmte, warum sollte ich dann die Frauen freundlich anblicken oder mich zum Hochzeitsfest bereiten oder an das Plaudern von kleinen Kindern und die Plackerei mit ihnen denken?«

»Ja«, unterbrach Mutsak ihn. »Denn hatte der Einsame Häuptling nicht in den Armen eines großen Bären gekämpft, bis sein Kopf brach und das Blut ihm aus den Ohren lief?«

Der Einsame Häuptling nickte eifrig. »Mutsak spricht die Wahrheit. In der Zeit, die folgte, war mein Kopf gut und doch nicht gut. Denn wenn auch das Fleisch heilte und die Wunde verging, so war ich doch innerlich krank. Wenn ich ging, zitterten die Beine unter mir, und wenn ich ins Licht sah, füllten sich meine Augen mit Tränen. Und wenn ich meine Augen öffnete, lief die Welt um mich herum, und wenn ich meine Augen schloß, lief es innen in meinem Kopfe herum, und alles, was ich je gesehen, lief in meinem Kopfe herum. Und über meinen Augen war ein großer Schmerz, als ob immer etwas Schweres auf mir lag, oder als ob eine Schnur straffgezogen wurde und sehr weh tat, und meine Sprache war langsam, und ich wartete lange, daß jedes einzelne Wort richtig auf meine Zunge käme. Und wenn ich nicht lange wartete, so kam ein Strom von allen möglichen Worten, und meine Zunge sprach Torheiten. Ich war sehr krank, und als mein Vater, der Otter, mir das Mädchen Kasaan brachte –«

»Sie war jung und stark und eine Tochter meiner Schwester«, schob Mutsak ein. »Breithüftig, gut um Kinder zu gebären, war Kasaan, und sie hatte schlanke Beine und war schnellfüßig. Sie machte bessere Mokassins als irgendeins der jungen Mädchen, und die Rindenstricke, die sie flocht, waren die stärksten. Und sie hatte ein Lächeln in ihren Augen und ein Lachen auf ihren Lippen, und ihr Gemüt war nicht hitzig, und sie wußte gut, daß Männer das Gesetz geben und daß Frauen stets gehorchen.«

»Wie gesagt, ich war sehr krank«, fuhr der Einsame Häuptling fort. »Und als mir mein Vater, der Otter, das Mädchen Kasaan brachte, sagte ich, sie sollten lieber daran denken, mich zu begraben, als mich zu verheiraten. Worauf das Antlitz meines Vaters schwarz vor Zorn wurde, und er sagte, ich solle es haben, wie ich wünsche, und wenn ich auch noch am Leben sei, so solle ich mich doch wie ein Toter zum Tode bereiten –«

»Was nicht der Brauch unseres Volkes ist, weißer Mann«, erklärte Mutsak. »Denn du mußt wissen, daß das, was mit dem Einsamen Häuptling geschah, nur mit toten Männern getan zu werden pflegt. Aber der Otter war sehr zornig.«

»Ja«, sagte der Einsame Häuptling. »Mein Vater, der Otter, war ein Mann von wenig Worten, aber schnell im Handeln. Und er befahl dem Volke, sich vor der Hütte zu versammeln, in der ich lag. Und als sie versammelt waren, befahl er ihnen, um seinen Sohn zu trauern, der tot sei –«

»Und vor der Hütte sangen sie den Totensang – O-o-o-o-o-o-haa-ha-a-ich-klu-kluk-ich-klu-kluk«, jammerte Mutsak in so vorzüglicher Nachahmung, daß alle Stränge meines Rückgrats sich vor Mitgefühl krümmten und wanden.

»Und in der Hütte«, fuhr der Einsame Häuptling fort, »schwärzte meine Mutter ihr Gesicht mit Ruß, streute Asche auf ihr Haupt und trauerte um mich wie um einen, der bereits tot war; denn so hatte mein Vater es befohlen. Daher trauerte Okiakuta, meine Mutter, mit viel Lärm, schlug sich an die Brust und riß sich das Haar aus, und dasselbe taten Hooniak, meine Schwester, und auch Seenatah, die Schwester meiner Mutter, und der Lärm, den sie machten, tat mir sehr weh in meinem Kopfe, und ich fühlte, daß ich sehr bald sterben mußte.

Und die Ältesten des Stammes sammelten sich um mein Lager und sprachen über die Wanderung, die meine Seele unternehmen sollte. Der eine sprach von den endlosen dichten Wäldern, in denen die verirrten Seelen wandern und weinen, und wo auch ich vielleicht umherirren würde, ohne je das Ende zu sehen. Und ein anderer sprach von den großen, reißenden, schlimmen Flüssen, wo böse Geister schreien und ihre formlosen Arme ausstrecken, um einen an den Haaren hinunterzuziehen. Für diese Flüsse, sagten alle, müsse man mir ein Kanu geben. Und wieder ein anderer sprach von Stürmen, dergleichen kein lebender Mensch je gesehen, da die Sterne vom Himmel regnen und viele breite Spalten in der Erde klaffen und alle Gewässer im Herzen der Erde aus- und einstürzen. Worauf die, die bei mir saßen, die Arme hoben und laut jammerten; und die draußen hörten es und jammerten noch lauter. Und wie ich für sie tot war, so war ich tot in meinem eigenen Sinn. Ich wußte nicht, wann und wie, aber ich wußte sicher, daß ich gestorben war. Und Okiakuta, meine Mutter, legte meine Parka aus Eichhörnchenfell neben mich. Und sie legte meine Parka aus Renntierfell neben mich und meinen Regenmantel aus Robbendarm und meine Schlechtwetter-Kamikker, damit meine Seele auf der langen Wanderung warm und trocken bliebe. Man sprach von einem steilen, dicht mit Dornengestrüpp bewachsenen Hügel, und sie holte schwere Mokassins, um den Weg leicht für meine Füße zu machen.

Und als die Ältesten von den großen Tieren sprachen, die ich fällen müsse, legten die jungen Männer neben mich meinen stärksten Bogen und meine geradesten Pfeile, mein Wurfholz, meinen Speer und mein Messer. Und als die Ältesten von der Finsternis und der Stille des großen Raumes sprachen, den meine Seele durchwandern müsse, jammerte meine Mutter noch lauter und streute sich noch mehr Asche aufs Haupt.

Und das Mädchen Kasaan schlich sich furchtsam und still herein und legte einen kleinen Beutel auf die Dinge, die ich mit auf die Reise nehmen sollte. Und in dem kleinen Beutel waren, wie ich wußte, Feuerstein und Stahl und gut getrockneter Feuerschwamm für die Feuer, die meine Seele entzünden sollten. Und die Decken wurden gewählt, in die ich eingehüllt werden sollte. Und die Sklaven wurden ausgesucht, die getötet werden sollten, damit meine Seele Gesellschaft hätte. Es waren ihrer sieben, denn mein Vater war reich und mächtig, und es war nur billig, daß ich, sein Sohn, ein geziemendes Begräbnis erhielt. Diese Sklaven waren kriegsgefangene Mukumuks, die weiter abwärts am Yukon wohnen. Am nächsten Tage sollte Skolka, der Schamane, sie einen nach dem andern töten, daß ihre Seelen sich zusammen mit der meinen auf die Wanderung durch das Unbekannte begeben konnten. Unter anderm sollten sie mein Kanu tragen, bis wir an den großen, reißenden, schlimmen Fluß kamen. Und da ich dann keinen Platz für sie hatte und ihre Aufgabe erfüllt war, sollten sie mich nicht weiter begleiten, sondern zurückbleiben und ewig in den finsteren endlosen Wäldern heulen.

Und als ich meine feinen, warmen Kleider und meine Decken und Waffen betrachtete und an die sieben Sklaven dachte, die getötet werden sollten, fühlte ich Stolz über mein Begräbnis und wußte, daß viele mich beneiden würden. Und die ganze Zeit saß mein Vater, der Otter, schweigend und finster da. Und den ganzen Tag und die ganze Nacht sang mein Volk mein Totenlied und schlug auf die Trommeln, bis es mir vorkam, als wäre ich tausendmal gestorben.

Am Morgen aber erhob mein Vater sich und ergriff das Wort. Er sei zeit seines Lebens ein Mann des Kampfes gewesen, wie das Volk wohl wisse, sagte er. Und das Volk wisse auch, daß es größere Ehre sei, kämpfend in der Schlacht zu sterben als auf den weichen Fellen am Feuer. Und da ich doch sterben solle, sei es das beste, wenn ich gegen die Mukumuks zöge und getötet würde. Dadurch würde ich Ehre und Häuptlingsrang in der letzten Wohnung der Toten gewinnen, und die Ehre würde zurückfallen auf meinen Vater, den Otter. Daher befehle er, daß ein Heer sich bereitmachen und den Fluß hinabziehen solle. Und wenn wir zu den Mukumuks kämen, solle ich allein vortreten, sie zum Kampf herausfordern und so getötet werden.«

»Nein, aber höre, o weißer Mann!« rief Mutsak, der sich nicht länger haben konnte. »Skolka, der Schamane, flüsterte in jener Nacht lange dem Otter ins Ohr, und er war es, der veranlaßte, daß der Einsame Häuptling ausgesandt wurde, um zu sterben. Denn da der Otter alt und der Einsame Häuptling der letzte seiner Söhne war, wünschte Skolka, selbst Häuptling zu werden. Und als sie einen Tag und eine Nacht soviel Lärm gemacht hatten, und der Einsame Häuptling immer noch am Leben war, wurde Skolka besorgt, daß er nicht stürbe. Und so war es Skolkas Rat mit schönen Worten von Ehre und Taten, der durch den Mund des Otters sprach.«

»Ja«, antwortete der Einsame Häuptling. »Ich wußte gut, daß es Skolkas Werk war, aber ich kümmerte mich nicht darum, denn ich war sehr krank. Ich hatte kein Herz für den Zorn und keinen Bauch für große Worte, und ich machte mir nicht viel daraus, was geschah, ich sehnte mich nur nach dem Tode, und daß alles überstanden wäre. Also, weißer Mann, ward das Heer bereitgemacht. Es war keiner von den erprobten Kriegern oder den schlauen und weisen Ältesten – es waren nur fünfmal zwanzig junge Männer, die noch nicht viel Kampf gesehen hatten. Und das ganze Dorf versammelte sich am Ufer, um uns fortziehen zu sehen. Und wir zogen fort unter großem Jubel und Liedern zu meinem Preise. Selbst du, weißer Mann, würdest dich freuen beim Anblick eines jungen Mannes, der in den Kampf zieht – selbst wenn er zum Tode verurteilt wäre.

So zogen wir fort, fünfmal zwanzig junge Männer, und Mutsak war auch dabei, denn er war auch jung und unerprobt. Und auf Befehl meines Vaters, des Otters, wurde mein Kanu mit der einen Seite an Mutsaks Kanu und mit der andern an Kannakuts Kanu festgebunden. So wurde meine Kraft mit der Ruderarbeit verschont, so daß ich mich trotz meiner Krankheit bis zum Ende tapfer zeigen konnte. Und so zogen wir den Fluß hinab.

Ich will dich nicht ermüden mit einer Erzählung der Fahrt, die nicht lang war. Ein kurzes Stück oberhalb des Dorfes der Mukumuks stießen wir auf zwei ihrer Krieger in Kanus, die bei unserm Anblick flohen. Worauf mein Kanu dem Befehl meines Vaters gemäß losgeworfen wurde, so daß ich allein auf sie zutrieb. Es war auch nach seinem Befehl, daß die jungen Männer zurückbleiben und mich sterben sehen sollten, damit sie umkehren und erzählen konnten, wie ich gestorben sei. Das hatten mein Vater, der Otter, und Skolka, der Schamane, ihnen sehr genau erklärt und mit strenger Strafe gedroht, wenn sie nicht gehorchten.

Ich tauchte mein Paddel ein und rief den fliehenden Kriegern Hohnworte nach. Und die schlimmen Dinge, die ich rief, ließ sie zornig den Kopf wenden, und da sahen sie, daß die jungen Männer zurückblieben und ich allein näher kam. Als die beiden Krieger sich daher in sicherem Abstand befanden, trennten sich ihre Kanus, und sie warteten jeder auf einer Seite, daß ich zwischen sie käme. Und zwischen sie kam ich mit Speeren in der Hand und sang den Kriegsgesang meines Volkes. Jeder von ihnen schleuderte einen Speer nach mir, aber ich bückte mich, und die Speere pfiffen über mich hinweg, ohne mir zu schaden. Und als wir dann alle drei dicht aneinander waren, warf ich meinen Speer nach dem Mann zu meiner Rechten und traf ihn in die Kehle, daß er hintenüber ins Wasser stürzte.

Groß war meine Überraschung, denn ich hatte einen Mann getötet. Ich wandte mich gegen den zur Linken und ruderte kräftig, um dem Tode Angesicht zu Angesicht zu begegnen; aber der zweite und letzte Speer des Mannes traf nur das Fleisch an meiner Schulter. Dann war ich über ihm und warf nicht, sondern bohrte ihm die Spitze in die Brust und bohrte mit beiden Händen nach. Und während ich so aus aller Kraft arbeitete, schlug er mich mit seinem Paddel über den Kopf, einmal und zweimal. Noch als die Speerspitze ihm zum Rücken hinausdrang, schlug er mich über den Kopf. Es war wie ein Blitz, wie ein helles Licht, und ich fühlte, wie etwas in meinem Kopf mit einem Ruck nachgab. Und der Druck verschwand, und das Band, das meine Stirn so fest zusammengeschnürt hatte, riß. Eine große Freude kam über mich, mein Herz sang vor Glück. Das ist der Tod, dachte ich, und daher fand ich, daß der Tod sehr gut sei. Und dann sah ich die beiden leeren Kanus und wußte, daß ich nicht tot, sondern wieder gesund geworden war. Die Schläge, die der Mann mir auf den Kopf gegeben, hatten mich gesund gemacht. Ich wußte, daß ich getötet hatte, und der Geschmack des Blutes machte mich grimmig, ich trieb mein Paddel dem Yukon in den Busen und zwang mein Kanu dem Dorfe der Mukumuks zu. Die jungen Leute hinter mir stießen ein lautes Geschrei aus. Ich sah über die Schulter zurück und sah, wie das Wasser unter ihren Paddeln schäumte –«

»Ja, es schäumte weiß unter unsern Paddeln«, sagte Mutsak. »Denn wir dachten an das Gebot des Otters und Skolkas, daß wir mit eigenen Augen sehen sollten, wie der Einsame Häuptling sterbe. Einer der jungen Männer der Mukumuks, der draußen war, um nach einer Lachsschlinge zu sehen, erblickte den Einsamen Häuptling, der mit fünfmal zwanzig Mann hinter sich daherkam. Und der junge Mann floh in seinem Kanu bis ans Dorf, um Lärm zu schlagen. Aber der Einsame Häuptling eilte ihm nach. Und als der junge Mann gerade beim Dorfe an Land sprang, erhob sich der Einsame Häuptling in seinem Kanu und tat einen gewaltigen Wurf. Und der Speer fuhr gerade über den Hüften durch den Leib des jungen Mannes, daß er vornüber fiel. Worauf der Einsame Häuptling mit der Kriegskeule in der Hand ans Ufer sprang und, einen lauten Kriegsruf auf den Lippen, ins Dorf stürzte. Und der erste Mann, auf den er stieß, war Itwilie, der Häuptling der Mukumuks, und der Einsame Häuptling traf ihn mit seiner Kriegskeule auf den Kopf, daß er tot zu Boden fiel. Und aus Furcht, daß wir nicht sähen, wie er sterbe, sprangen wir fünfmal zwanzig jungen Männer auch an Land und folgten dem Einsamen Häuptling ins Dorf. Aber die Mukumuks verstanden uns nicht und glaubten, wir kämen, um zu kämpfen, und daher sangen ihre Bogensehnen, und ihre Pfeile zischten zwischen uns. Worauf wir vergaßen, was wir zu tun hatten, und mit unsern Speeren und Keulen über sie herfielen. Und da sie nicht vorbereitet waren, gab es ein großes Gemetzel – –«

»Mit meinen eigenen Händen tötete ich ihren Schamanen«, erklärte der Einsame Häuptling, und sein welkes altes Antlitz arbeitete bei der Erinnerung an jenen längst entschwundenen Tag. »Mit meinen eigenen Händen tötete ich ihn. Und jedesmal, wenn ich einem Manne von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, dachte ich: Jetzt kommt der Tod. Und jedesmal fällte ich den Mann, und der Tod kam nicht. Es war, als ob der Atem des Lebens stark in meinen Nüstern war und ich nicht sterben konnte.«

»Und wir folgten dem Einsamen Häuptling durch das ganze Dorf und wieder zurück«, fuhr Mutsak fort. »Wie ein Rudel Wölfe, bis es keine Mukumuks mehr gab, die kämpfen wollten. Und dann machten wir fünfmal zwanzig Männer und doppelt so viele Frauen und zahllose Kinder zu Sklaven, steckten alle Häuser und Hütten in Brand, äscherten sie ein, und dann zogen wir fort. Und das war das Ende der Mukumuks.«

»Und das war das Ende der Mukumuks«, wiederholte der Einsame Häuptling triumphierend. »Und als wir in unser eigenes Dorf zurückkehrten, staunte das Volk über die Beute und die Sklaven, die wir mitbrachten, und noch mehr staunten sie, daß ich noch am Leben war. Und mein Vater, der Otter, bebte vor Freude. Denn er war ein alter Mann und ich der letzte seiner Söhne. All die erfahrenen Krieger kamen, bis das ganze Volk versammelt war. Da erhob ich mich; mit einer Stimme wie Donnerrollen befahl ich Skolka, dem Schamanen, vorzutreten –«

»Ja, weißer Mann,« rief Mutsak. »Mit einer Stimme wie Donnerrollen, daß allen die Knie bebten.«

»Und als Skolka vortrat,« fuhr der Einsame Häuptling fort, »sagte ich, es sei nicht gut, daß die bösen Geister, die jenseits des Grabes warteten, enttäuscht würden, und daher meinte ich, es sei richtig, daß Skolkas Seele ausziehe in das Unbekannte, wo sie zweifellos ewig in den finsteren, endlosen Wäldern heulen müsse. Und dann tötete ich ihn, wie er dastand, vor den Augen des ganzen Volkes. Ich, der Einsame Häuptling, tötete mit eigener Hand Skolka, den Schamanen, vor den Augen des ganzen Volkes. Und als sich Murren erhob, rief ich laut –«

»Mit einer Stimme wie Donnerrollen«, half Mutsak.

»Ja, mit einer Stimme wie Donnerrollen rief ich: ›Siehe, o Volk! Ich bin der Einsame Häuptling, der Skolka, den falschen Schamanen, getötet hat! Ich bin der einzige unter den Menschen, der durch das Tor des Todes geschritten und wieder zurückgekehrt ist. Ich bin größer als Skolka, der Schamane. Ich bin größer als alle Schamanen. Und ich bin ein größerer Häuptling als mein Vater, der Otter. Tagein, tagaus hat er mit den Mukumuks gekämpft, und seht, ich habe sie alle an einem einzigen Tage gefällt. Wie mit einem Hauch habe ich sie gefällt. Und weil mein Vater, der Otter, alt, und Skolka, der Schamane, tot ist, daher will ich dir, mein Volk, sowohl Häuptling wie Schamane sein. Und wenn ein Mann meinen Worten widersprechen will, so möge er vortreten!‹

Ich wartete, aber keiner trat vor. Da rief ich: ›Hei! Ich habe Blut geschmeckt! Bringt mir jetzt Fleisch, denn ich bin hungrig, öffnet die Vorräte, reißt die Fischständer nieder und laßt uns einen großen Schmaus halten. Laßt uns fröhlich sein und singen, nicht von Begräbnis, sondern von Hochzeit. Und bringt das Mädchen Kasaan zu mir. Das Mädchen Kasaan, das die Mutter der Kinder des Einsamen Häuptlings werden soll!‹

Und bei meinen Worten weinte mein Vater, der Otter, wie ein Weib und schlang seine Arme um meine Knie. Und von diesem Tage an war ich sowohl Häuptling wie Schamane. Und alle Männer bezeigten mir Gehorsam.«

»Bis das Dampfboot kam«, flüsterte Mutsak.

»Ja«, sagte der Einsame Häuptling. »Bis das Dampfboot kam.«

 


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