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Eine Odyssee des Nordens

Die Schlitten sangen ihr ewiges Klagelied, begleitet vom Knirschen der Geschirre und dem Läuten der Schellen des Leithundes; aber Männer und Hunde waren müde und gaben keinen Ton von sich. Es war eine schwere Fahrt durch den frischgefallenen Schnee, sie kamen weither, und die von steinharten Blöcken aus gefrorenen Elchhäuten schwer belasteten Kufen bissen sich mit fast menschlicher Hartnäckigkeit in der losen Oberfläche fest. Die Dunkelheit brach herein, aber es sollte heute kein Lager aufgeschlagen werden. Der Schnee fiel leise durch die ganz stille Luft, nicht in Flocken, sondern in winzigen, wunderbar geformten Eiskristallen. Es war warm – nur 10 Grad Fahrenheit unter Null –, und das galt den Männern für nichts. Meyers und Bettles hatten ihre Ohrenklappen hochgeschlagen, und Malemute Kid hatte sogar die Fausthandschuhe ausgezogen.

Die Hunde waren früh am Nachmittag ermattet gewesen, begannen sich aber jetzt wieder zu erholen. Die schlausten verrieten eine gewisse Unruhe – sie zerrten ungeduldig an den Strängen, schnauften und spitzten die Ohren. Sie ärgerten sich über ihre schlafferen Brüder und trieben sie, wenn sich die Gelegenheit bot, an, indem sie ihnen tückisch nach den Hinterbeinen schnappten. Jene, derart aufgemuntert und angespornt, halfen wieder die anderen antreiben. Endlich stieß der Leithund des ersten Schlittens ein Freudengeheul aus, streckte sich, daß sein Bauch fast den Schnee berührte, und warf sich eifrig ins Geschirr. Die andern folgten seinem Beispiel. Die Stränge strafften sich, die Schlitten schossen vorwärts, und die Männer klammerten sich an die Steuerstangen fest und zogen hastig die Füße hoch, damit sie nicht unter die Kufen kamen. Die Müdigkeit des Tages war wie weggeblasen, und sie feuerten die Hunde durch Zurufe an. In rasendem Galopp sausten sie durch die zunehmende Dunkelheit.

»Hü! Hü!« schrien die Männer abwechselnd, wenn ihre Schlitten vom Wege abkamen und sich wie Boote im Winde auf die Seite legten, daß sie nur auf einer Kufe liefen.

Dann kam der Endspurt, einige hundert Ellen weit, bis zu dem erleuchteten Pergamentfenster, das anheimelnd von der gemütlichen Hütte, dem prasselnden Yukonofen und den dampfenden Teetöpfen erzählte. Aber die Hütte war von Fremden besetzt. Sechzig heisere Mäuler kläfften herausfordernd im Chor, und ebenso viele zottige Körper stürzten sich Hals über Kopf auf die Hunde, die den ersten Schlitten zogen. Die Tür öffnete sich, ein Mann in dem scharlachroten Mantel der Nordwest-Polizei watete bis zu den Knien durch den Schnee zu den rasenden Tieren und übte ruhig und unparteiisch nach allen Seiten mit dem dicken Ende der Hundepeitsche Justiz. Dann drückten die Männer sich die Hände, und so wurde Malemute Kid in seiner eigenen Hütte von einem Fremden willkommen geheißen.

Stanley Prince, der ihn hätte empfangen sollen, und der die Verantwortung für den Yukonofen und den erwähnten heißen Tee trug, war durch seine Gäste ganz in Anspruch genommen. Es waren ungefähr ein Dutzend, und zwar eine so unbeschreibliche Bande, wie sie je der Königin bei der Handhabung der Gesetze und Austeilung ihrer Post behilflich gewesen waren. Obgleich sie vielen verschiedenen Rassen angehörten, hatte das gemeinsame Leben doch einen bestimmten Typ unter ihnen entwickelt, einen trockenen, kräftigen Typ mit gestählten Muskeln und sonnenverbrannten Gesichtern, lebensfroh, freimütig, helläugig und zuverlässig. Sie fuhren mit den Hunden der Königin, versetzten die Herzen ihrer Feinde in Angst und Schrecken, aßen ihre karge Kost, waren glücklich. Sie hatten das Leben kennengelernt, hatten Taten verrichtet und Romane erlebt, ohne daß sie sich dessen bewußt gewesen wären.

Sie fühlten sich vollkommen wie zu Hause. Zwei von ihnen waren in Malemute Kids Koje gekrochen, wo sie dieselben Lieder sangen, die ihre französischen Vorfahren gesungen hatten, als sie als erste nach dem Nordwesten gekommen waren und sich indianische Frauen dort genommen hatten. Bettles' Koje hatte eine ähnliche Einquartierung erhalten, und drei oder vier lustige Voyageurs wühlten mit den Zehen in den Decken, während sie zuhörten, wie einer der andern von der Zeit erzählte, als er in der Boodlebrigade unter Wolseley bei den Kämpfen vor Karthum gedient hatte. Und als er müde war, erzählte ein Cowboy von Höfen, von Königen, hohen Herren und Damen, die er gesehen hatte, als er mit Buffalo Bill durch die Hauptstädte Europas gezogen war. In einer Ecke saßen zwei Mischlinge, alte Kameraden von einem verlorenen Feldzuge, setzten Geschirr instand und erzählten von den Tagen, als der Aufruhr im Südwesten flammte und Louis Riel König war.

Rauhe Scherze flogen hin und her, und wilde Abenteuer zu Lande und zu Wasser wurden als etwas ganz Alltägliches erzählt, dessen man sich nur irgendeines lustigen oder merkwürdigen Umstandes halber erinnerte. Prince wurde mitgerissen von diesen ungekrönten Helden, die die Geschichte des Landes hatten werden sehen, und in deren Augen das Große, Romantische nur etwas ganz Alltägliches war, das nun einmal zum Leben gehörte. Er ließ seinen kostbaren Tabak mit verschwenderischer Verachtung die Runde machen, eingerostete Erinnerungen wurden dann gelöst und auch vergessene Odysseen ihm zu Ehren wieder ins Leben gerufen.

Als die Unterhaltung schließlich stockte, die Reisenden sich die letzte Pfeife stopften und die Schlafsäcke auseinanderrollten, wandte Prince sich an seine Kameraden, um Näheres zu erfahren.

»Nun, über den Cowboy weißt du ja Bescheid«, antwortete Malemute Kid, indem er seine Mokassins aufzuschnüren begann; »und es ist nicht schwer zu sehen, daß in den Adern seines Bettgenossen englisches Blut rollt. Die übrigen sind samt und sonders Nachkommen der Coureurs du bois mit Gott weiß wie vielerlei anderm Blut gemischt. Die beiden, die sich an die Tür gelegt haben, sind regelrechte Mischlinge oder Bois brulés. Der Kerl mit der Schärpe um den Leib – beachte seine Augenbrauen und die Form seiner Kiefer – zeigt klar und deutlich, daß sich ein Schotte in das verräucherte Zelt seiner Mutter verirrt hat. Und der hübsche Bursche dort, der sich den Mantel unter den Kopf legt, ist französisches Halbblut – du hast ihn sprechen hören; er kann die beiden Indianer, die sich neben ihn gelegt haben, nicht leiden. Du weißt: als die Mischlinge sich unter Riel erhoben, hielten die Vollindianer Frieden, und seitdem können sie sich nicht mehr ausstehen.«

»Aber was ist der mürrische Bursche am Ofen für einer? Ich möchte drauf schwören, daß er kein Englisch kann. Er hat den ganzen Abend nicht den Mund aufgemacht.«

»Da irrst du dich. Er spricht gut genug Englisch. Hast du seine Augen nicht gesehen, als er zuhörte? Ich sah sie. Aber er hat nicht das geringste mit den andern gemein. Als sie ihren Jargon sprachen, konntest du merken, daß er nichts verstand. Ich möchte selbst gern wissen, was für einer er ist. Laß uns sehen, es herauszubekommen!«

»Leg' ein paar Stücke Holz auf!« befahl Malemute Kid, indem er die Stimme hob und den Mann, von dem die Rede war, anblickte.

Er gehorchte augenblicklich.

»Hat irgendwo Disziplin gelernt«, meinte Prince leise.

Malemute Kid nickte, zog sich die Strümpfe aus und begab sich vorsichtig zwischen den Schlafenden hindurch zum Ofen. Dort hängte er seine nassen Strümpfe zwischen zwei Dutzend andere.

»Wann gedenkt ihr in Dawson zu sein?« fragte er prüfend.

Der Mann blickte ihn forschend an, ehe er antwortete. »Fünfundsiebzig Meilen, nicht wahr? In zwei Tagen vielleicht.«

Ein ganz leichter Akzent war eben zu spüren, aber er sprach glatt und ohne nach Worten zu suchen.

»Schon früher im Land gewesen?«

»Nein.«

»Nordwest-Territorium?«

»Ja.«

»Da geboren?«

»Nein.«

»Na, wo bist du denn her, zum Donnerwetter? Du bist keiner von denen da.« Malemute Kid zeigte auf die Hundekutscher mit einer Handbewegung, die sich auch auf die beiden Polizisten, die sich in Princes Koje gelegt hatten, erstreckte. »Wo bist du her? Ich habe früher schon mal Gesichter wie das deine gesehen, weiß nur nicht, wo.«

»Ich kenne dich«, antwortete der Mann gleichgültig und lenkte damit plötzlich den Strom von Malemute Kids Fragen ab.

»Woher? Mich je gesehen?«

»Nein; aber deinen Genossen, den Priester, Pastilik. Schon lange her. Ihn geben mich Proviant. Ich nicht bleiben lange. Du hören ihn reden über mich.«

»Ach, du bist der, der die Otternfelle für die Hunde verkaufte!«

Der Mann nickte, klopfte seine Pfeife aus, rollte sich in den Schlafsack und gab damit zu erkennen, daß er keine Lust zu weiterer Unterhaltung hatte. Malemute Kid blies die Tranlampe aus und kroch unter die Decke.

»Also, was ist er?«

»Weiß nicht – hat abgewinkt – schließt die Schale wie eine Auster. Aber er ist ein Bursche, der einen schon neugierig machen kann. Ich hab' von ihm gehört. Die ganze Küste redete vor acht Jahren über ihn. Eine Art Mysterium, weißt du. Er kam mitten im Winter vom Norden viele tausend Meilen weit irgendwoher an der Küste der Beringsee und hatte eine Eile, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Keiner hat je erfahren, wo er herkam; aber es muß weit gewesen sein. Es ging ihm dreckig, als er von den schwedischen Missionaren an der Golovinbucht Proviant kriegte und sich nach dem Weg nach Süden erkundigte. Das hörten wir später. Dann verließ er den Weg an der Küste und fuhr quer über den Norton-Sund. Schreckliches Wetter, Schneesturm und Gegenwind – aber er kam durch, wo Tausende ihr Leben gelassen hätten, verfehlte St. Michael und kam schließlich in Pastilik an. Hatte alle Hunde bis auf zwei verloren und war mehr tot als lebendig.

»Er hatte solche Eile, daß Vater Roubeau ihn verproviantieren mußte, aber Hunde konnte er ihm nicht verschaffen, denn er wartete selbst auf meine Rückkehr, um wegkommen zu können. Unser Odysseus war indessen zu klug, um ohne Hunde zu reisen, und so lungerte er mehrere Tage mißmutig herum. Auf seinem Schlitten hatte er ein Bündel der schönsten Otternfelle, Seeottern, weißt du, die ihr Gewicht in Gold wert sind. In Pastilik wohnte ein alter Shylock von einem russischen Händler, der so viel Hunde hatte, daß er sie am liebsten ersäuft hätte. Na, sie schacherten nicht lange, als aber der merkwürdige Mensch weiter nach Süden jagte, hatte er ein Gespann, das sich sehen lassen konnte. Der Shylock seinerseits hatte die Otternfelle. Ich sah sie, sie waren prachtvoll. Wir berechneten, daß die Hunde ihm mindestens fünfhundert Dollar das Stück eingebracht hatten. Und glaub' ja nicht, daß der merkwürdige Mensch nicht wußte, was Seeottern wert waren; er war irgendein Indianer, aber das bißchen, was er redete, zeigte, daß er unter Weißen gelebt hatte.

»Als die See eisfrei wurde, hörten wir von der Nunivakinsel, daß er dort Proviant eingenommen hätte. Dann verloren wir seine Spur, und dies ist das erste, was ich seit acht Jahren von ihm höre. Aber wo kam der Mensch her? Und was hatte er dort getan? Und warum war er fortgereist? Er ist Indianer, ist Gott weiß wo gewesen und hat Disziplin gelernt, was für einen Indianer ungewöhnlich ist. Wieder ein Nordlandrätsel, das du lösen magst, Prince.«

»Danke ergebenst, aber ich habe schon genügend«, erwiderte er.

Malemute Kid schnarchte schon; aber der junge Mineningenieur lag mit offenen Augen da und starrte in die dichte Finsternis, wartete, daß sich die seltsame Erregung, die ihm in allen Adern pochte, legen sollte, und als er endlich eingeschlafen war, arbeitete sein Hirn weiter, und nun wanderte auch er durch das weiße Unbekannte, kämpfte sich mit den Hunden über die unendlichen Wege und sah Männer als Männer leben, arbeiten und sterben.

*

Am nächsten Morgen brachen die Hundetreiber und Polizisten mehrere Stunden vor Tagesanbruch nach Dawson auf. Aber die Mächte, die über die Interessen Ihrer Majestät wachen und das Schicksal ihres geringsten Geschöpfes lenken, ließen ihren Postboten nur wenig Ruhe; eine Woche darauf zeigten sie sich wieder am Stuart, schwer mit Briefen für Salt Water beladen. Nur ihre Hunde waren durch frische ersetzt worden, aber das waren ja auch Hunde.

Die Männer hatten erwartet, daß sie sich mehrere Tage Ruhe gönnen könnten. Außerdem war dies Klondike ja ein neuer Teil des Nordlandes, und sie hätten wohl gern ein wenig von der goldenen Stadt gesehen, wo der Goldstaub wie Wasser floß und in den Tanzlokalen Spiel und Gesang nie aufhörten. Aber sie trockneten ihre Strümpfe und rauchten ihre Abendpfeifen fast mit demselben Behagen wie bei ihrem letzten Besuch, obwohl dieser oder jener aufsässige Geist noch daran denken mochte, zu desertieren und über die unbekannten Berge nach Osten und dann durch das Mackenzie-Tal nach den Schauplätzen ihrer alten Tage im Chippewyan-Land zu gelangen. Zwei oder drei beschlossen sogar, nach Beendigung ihrer Dienstzeit auf diesem Wege heimzukehren, und begannen sofort, diesbezügliche Pläne zu schmieden, wobei sie von dem halsbrecherischen Vorhaben ungefähr sprachen wie ein Städter von seinem nächsten Sonntagsausflug in den Wald.

Der mit den Otternfellen schien von einer inneren Unruhe gepackt zu sein, obwohl er sich nur wenig für die Diskussion interessierte. Schließlich zog er Malemute Kid beiseite und redete eine Weile leise auf ihn ein. Prince blickte neugierig zu ihnen hinüber, und die Sache wurde ihm noch rätselhafter, als sie ihre Mützen und Fausthandschuhe nahmen und hinausgingen. Als sie wiederkamen, stellte Malemute Kid seine Goldwage auf den Tisch, wog sechzig Unzen ab und tat sie in den Beutel des merkwürdigen Menschen. Dann schloß sich der erste Hundetreiber der Beratung an, und es wurden gewisse Vereinbarungen mit ihm getroffen. Am nächsten Tage zog die Gesellschaft weiter den Fluß hinauf; aber der Mann mit den Otternfellen erhielt mehrere Pfund Proviant und kehrte in der Richtung nach Dawson um.

»Ich wußte nicht, was ich machen sollte«, antwortete Malemute Kid auf Princes Frage. »Der arme Kerl wollte aus irgendeinem Grunde den Dienst quittieren – wenigstens schien ihm sehr darum zu tun zu sein, obwohl er nicht damit herausrücken wollte, was los war. Du weißt, es ist ganz wie in der Armee; er hat sich auf zwei Jahre verpflichtet, und die einzige Möglichkeit, freizukommen, ist, daß er sich loskauft. Er konnte nicht desertieren und dann hier in der Gegend bleiben, und er war eben darauf versessen, hierzubleiben. Er habe seinen Entschluß gefaßt, sagte er, als er nach Dawson gekommen sei. Aber dort habe er keinen Bekannten getroffen, er besitze nicht einen Cent, und ich sei der einzige Mensch, mit dem er zwei Worte gesprochen habe. So sprach er denn mit dem Vizegouverneur und traf seine Vereinbarung mit ihm für den Fall, daß er das Geld von mir bekommen könnte – leihweise, weißt du. Sagte, er wolle es mir im Laufe eines Jahres abzahlen und mich, wenn ich es wünschte, auf die Fährte nach einem großen Reichtum setzen. Hatte es nie gesehen, wußte aber, daß es großer Reichtum war.

»Und da! Ja, als er mich draußen hatte, weinte er fast. Bat und flehte. Warf sich vor mir in den Schnee, bis ich ihn wieder hochzog. Schwatzte dummes Zeug wie ein Verrückter. Schwor, es sei ein Ziel, auf das er seit Jahren lossteuerte, und er könne es nicht ertragen, wenn es jetzt schief ginge. Ich fragte ihn, was für ein Ziel das sei, aber er wollte es nicht sagen. Er fürchtete, sie könnten den Einfall haben, ihn auf dem zweiten Teil der Reise abzusetzen, und dann bekäme er Dawson zwei Jahre lang nicht zu sehen, und es wäre zu spät. Nie in meinem Leben habe ich einen Menschen gesehen, der so auf etwas versessen war. Und als ich ihm sagte, daß ich ihm das Geld geben wollte, mußte ich ihn wieder aus dem Schnee ziehen. Ich sagte ihm, er könnte es als meinen Anteil an dem Unternehmen ansehen. Aber glaubst du, daß er darauf einging! Nein. Er schwor, er wolle mir alles geben, was er fände, mich reich machen wie einen Geizhals in seinen Träumen, und lauter solches Zeugs. Ein Mann, der sein Leben und seine Zeit wagt, wo ein anderer nur sein Geld wagt, findet es gewöhnlich hart genug, wenn er die Hälfte von dem, was er findet, abgeben soll. Aber hier steckt etwas anderes dahinter, Prince; merk' dir, was ich sage. Wir werden noch von ihm zu hören bekommen im Lande –«

»Und wenn nicht?«

»Dann wird mein besseres Ich einen tüchtigen Stoß bekommen, und ich werde um einige sechzig Unzen ärmer sein.«

*

Die kalte Jahreszeit mit den langen Nächten war gekommen, und die Sonne begann ihr altes Spiel an der südlichen Schneelinie, ehe man etwas von Malemute Kids Anteil hörte. Da hielt an einem rauhen Morgen Anfang Januar ein Zug schwerbeladener Hundeschlitten vor seiner Hütte am Stuart. Der Mann mit den Otternfellen war da, und mit ihm kam ein Mann, wie die Götter ihn jetzt fast zu erschaffen vergessen haben. Wo immer von Draufgängertum die Rede war, wo immer man Geld für nichts rechnete, da wurde der Name Axel Gundersons genannt, und wenn die Leute abends am Lagerfeuer saßen und von Kraft und Entschlossenheit redeten, da fiel sicher auch sein Name. Und wenn die Unterhaltung einschlief, so flammte sie wieder auf, sobald die Frau erwähnt wurde, die sein Geschick teilte.

Wie gesagt: als die Götter Axel Gunderson erschufen, hatten sie sich erinnert, was sie in alten Zeiten vermocht, und ihn so erschaffen, wie die Männer waren, als die Erde jung war. Volle sieben Fuß ragte er empor in seiner malerischen Kleidung, die ihn als einen Eldorado-König bezeichnete. Brust, Hals und Kleider waren die eines Riesen, und um diese dreihundert Pfund Knochen und Muskeln tragen zu können, waren seine Schneeschuhe auch reichlich drei Fuß länger als die anderer Männer. Großzügig, mit buschigen Brauen, gewaltigen Kiefern und scharfen Augen vom blassesten Blau war sein Gesicht, das von einem Manne erzählte, der kein Gebot als das eigene kannte. Wie gelbe Seide von der Farbe reifen Korns umgab das bereifte Haar sein Gesicht und fiel ihm bis auf den Bärenpelz. Wie er jetzt an der Spitze der Hunde auf den schmalen Weg zur Hütte einbog, erinnerte etwas an ihm an die See; und er schlug mit dem dicken Ende der Hundepeitsche an Malemute Kids Tür wie ein nordischer Seeräuber auf einem Zuge nach Süden an das Burgtor gedonnert haben mag, um eingelassen zu werden.

Prince entblößte seine frauenhaften Arme und begann den Schwarzbrotteig zu kneten, wobei er manchen Seitenblick auf die drei Gäste warf – aber es waren auch Gäste, wie sie vielleicht nur einmal in einem Menschenalter unter einem Dache zusammenkommen. Der merkwürdige Mensch, dem Malemute Kid den Namen Odysseus gegeben hatte, hielt ihn immer noch in seinem Bann. Aber sein Hauptinteresse galt doch Axel Gunderson und dessen Frau. Sie war von der Reise etwas mitgenommen, denn sie hatte seit der Zeit, als ihr Mann zu Reichtum gekommen war, ein verwöhntes Leben in warmen behaglichen Wohnungen gelebt, und sie war müde. Sie ruhte an seiner breiten Brust, wie eine zarte Blume sich an eine Mauer lehnt, während sie zögernd Malemute Kid auf seine gutmütigen Scherze antwortete und Princes Blut seltsam pochen ließ, wenn ein Blick aus ihren tiefen, schwarzen Augen ihn zufällig streifte. Denn Prince war ein Mann, und ein gesunder und kräftiger dazu, und er hatte seit vielen Monaten kaum eine Frau gesehen. Allerdings war sie älter als er und Indianerin. Aber sie war anders als alle eingeborenen Frauen, die er je gesehen hatte. Sie war bereist – war unter anderm in seinem Lande gewesen, wie er aus der Unterhaltung erfuhr. Und sie kannte die meisten Dinge, die Frauen seiner eigenen Rasse kannten, und vieles dazu, dessen Kenntnis man von ihnen nicht erwarten konnte. Sie verstand es, eine Mahlzeit aus an der Sonne getrocknetem Fisch und ein Bett im Schnee zu bereiten; und dabei peinigte sie sie doch mit aufreibenden Einzelheiten von Diners mit vielen Gängen und brachte für einen Augenblick ihre Seelen in Aufruhr, indem sie die Namen von Gerichten nannte, die sie in alten Zeiten gekannt, jetzt aber fast vergessen hatten. Sie kannte Elch, Bär und den kleinen Blaufuchs sowie das Leben der wilden Seetiere im Norden; sie wußte von Wäldern und Flüssen, was man von ihnen wissen konnte; was man aus der Fährte von Männern, Vögeln und Tieren in der feinen Schneekruste lesen konnte, das las sie wie aus einem offenen Buche, und doch sah Prince Anerkennung in ihren Augen, als sie die »Gesetze des Lagers« las. Diese Gesetze waren von dem unersättlichen Bettles zu einer Zeit, als sein Blut heiß wallte, verfaßt worden, und die Bestimmungen zeichneten sich namentlich durch ihren einfachen, treffenden Humor aus. Prince pflegte sie stets nach der Wand umzudrehen, ehe Damen kamen; aber wer konnte ahnen, daß diese Eingeborene –? Nun, jetzt war es zu spät.

Das also war die Frau Axel Gundersons, sie, deren Name und Ruf zusammen mit dem ihres Gatten durch das ganze Nordland gegangen war. Bei Tisch neckte Malemute Kid sie mit der Sicherheit eines alten Freundes, und Prince fiel in den Ton ein, sobald er über die erste Verlegenheit der neuen Bekanntschaft hinweggekommen war. Aber sie hielt sich ausgezeichnet in dem ungleichen Kampf, während ihr Mann sich, weniger sicher im Wortstreit, darauf beschränkte, zu applaudieren. Er war sehr stolz auf sie. Alles, was er tat, jeder seiner Blicke erzählte, wieviel sie für ihn bedeutete. Der Mann mit den Otternfellen aß schweigend, in dem lustigen Kampfe vergessen, und erhob sich lange, ehe die andern fertig waren, um zu den Hunden hinauszugehen. Und doch allzufrüh nahmen seine Reisegefährten Handschuhe und Parkas und folgten ihm.

Seit vielen Tagen hatte es nicht geschneit, und der Schlitten glitt auf dem harten Yukonwege so leicht dahin, als wäre es blankes Eis gewesen. Odysseus führte den ersten Schlitten; mit dem zweiten kamen Prince und Axel Gundersons Frau, während Malemute Kid und der gelbhaarige Riese den dritten lenkten.

»Es ist die reine Spekulation, Kid«, sagte er; »aber ich glaube daran. Er ist nie dagewesen, macht aber einen guten Eindruck und hat eine Karte, von der ich schon vor vielen Jahren, als ich im Kootenay-Lande war, hörte. Ich hätte dich gern mitgenommen; aber er ist ein merkwürdiger Gesell, und er schwur direkt, daß er die ganze Sache aufgeben würde, wenn noch jemand hineingezogen würde. Wenn ich aber wiederkomme, erhältst du den ersten Wink, und ich stecke dir einen Claim gleich neben meinem ab und gebe dir außerdem die Hälfte von den Bauplätzen.

»Nein, nein«, rief er, als der andere ihn unterbrechen wollte. »Ich will die Sache durchführen, und dazu brauche ich zwei Köpfe. Wenn es geht, wie es soll, nun, warum soll es nicht ein zweites Cripple Creek werden, Mann; hörst du? Ein zweites Cripple Creek! Da ist Quarz, weißt du, kein Sand, der ausgewaschen werden muß, und wenn wir die Geschichte richtig anfangen, kriegen wir das Ganze – Millionen über Millionen. Ich habe früher schon von dem Platz gehört, und du auch. Wir werden eine Stadt bauen – Tausende von Arbeitern – gute Wasserwege – Dampferlinien – große Frachtschiffe – Dampfer mit geringem Tiefgang für die Hauptroute – und vielleicht müssen wir an eine Eisenbahn denken – Sägemühlen – elektrische Lichtanlage – eigenes Bankwesen – Handelsgesellschaften – Syndikate. Nicht wahr? Wenn du nur den Mund hältst, bis ich wiederkomme.«

Die Schlitten kamen an eine Stelle, wo der Weg die Mündung des Stuart kreuzte. Es war ein unendliches Eis- und Schneemeer, dessen unermeßliche Fläche sich im unbekannten Osten verlor. Die Schneeschuhe wurden von den Schlitten genommen. Axel Gunderson drückte ihm zum Abschied die Hand und ging voraus; seine großen Schneeschuhe versanken gut einen halben Fuß tief in der dünnen weichen Oberfläche und stampften den Schnee so fest, daß die Hunde nicht einsinken konnten. Seine Frau ging hinter dem letzten Schlitten und zeigte bald, daß sie langjährige Übung in der Handhabung des unbequemen Fußzeugs hatte. Die Stille wurde von ihren heiteren Abschiedsgrüßen durchbrochen, die Hunde heulten, der mit den Otternfellen gab einem widerspenstigen Hunde einen Peitschenhieb. Eine Stunde darauf sah der Zug wie ein schwarzer Bleistift aus, der in langer gerader Linie über einen mächtigen Foliobogen kroch.

 

Viele Wochen später waren Malemute Kid und Prince eines Abends damit beschäftigt, Schachaufgaben nach der ausgerissenen Seite einer alten Zeitschrift zu lösen. Kid war soeben von seinen Bonanza-Besitzungen heimgekehrt und gönnte sich eine kurze Ruhepause vor Beginn einer langen Elchjagd. Prince war auch fast den ganzen Winter fortgewesen und hatte sich nach der friedlichen Ruhe in der Hütte gesehnt.

»Setz' den Springer dazwischen und melde Schach. Nein, das geht nicht! Sieh, der nächste Zug –«

»Was hast du davon, wenn du den Bauern zwei Felder vorsetzt? Er muß schräg schlagen, und wenn der Läufer dann aus dem Wege ist –«

»Aber warte mal! Dann gibt es hier eine Lücke –«

»Nein, er ist gedeckt. Mach' weiter. Du wirst sehen, es hilft.«

Es war sehr interessant. Zweimal wurde an die Tür geklopft, ehe Malemute Kid »Herein!« rief. Die Tür sprang auf. Etwas wankte herein. Prince sah nur einen Schimmer davon und sprang auf. Das Entsetzen in seinen Augen ließ Malemute Kid sich umdrehen, und auch er war bestürzt, obwohl er schon manches Schlimme gesehen hatte. Das Ding wankte blind auf sie zu. Prince zog sich zurück, bis er den Nagel erreichte, an dem sein »Smith and Wesson« hing.

»Herrgott! Was ist das?« flüsterte er Malemute Kid zu.

»Weiß nicht. Sieht aus wie ein Fall von viel Kälte und wenig Essen«, antwortete Malemute Kid, indem er sich nach der entgegengesetzten Seite zurückzog.

»Paß auf, vielleicht ist er verrückt«, warnte er, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

Das Ding näherte sich dem Tische. Die klare Flamme der Tranlampe fing seinen Blick. Das erheiterte es, und es brachte einige unheimliche, schnarrende Töne hervor, die Lustigkeit bedeuten sollten. Dann aber warf er sich – denn es war ein Mann – plötzlich vor, zerrte an seinen Lederhosen und begann ein Lied zu singen, wie Seeleute tun, wenn sie am Gangspill arbeiten und die See ihnen in die Ohren heult:

»Yan–kee kam den Fluß herunter.
Zieh! Du Räuberbande! Zieh!
Kennt ihr den Kaptän, ihr Jungens?
Zieh! Du Räuberbande! Zieh!
Jon–a–than Jones von Süd-Caho–li–in–a,
Zieh! Du Räuber – –«

Er brach plötzlich ab, wankte knurrend wie ein Wolf zum Speiseschrank, und ehe sie dazwischentreten konnten, zerriß er mit den Zähnen ein Stück rohen Speck. Malemute Kid rang schwer mit ihm; aber seine Wahnsinnsstärke verließ den Mann ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, und ermattet ließ er seine Beute fahren. Sie nahmen ihn zwischen sich und setzten ihn auf einen Stuhl, wo er, mit dem Körper halb über dem Tische liegend, zusammensank. Eine kleine Dosis Whisky kräftigte ihn soweit, daß er einen Löffel in die Zuckerdose tauchen konnte, die Malemute Kid vor ihm hingestellt hatte. Als sein Hunger einigermaßen gestillt war, reichte Prince ihm schaudernd einen Becher dünne Fleischbrühe.

Die Augen des Geschöpfes glühten in einem düsteren Feuer, das bei jedem Bissen aufflammte und wieder erlosch. Es war nur sehr wenig Haut in seinem Gesicht, das eingesunken und ausgezehrt war und nur wenig Ähnlichkeit mit menschlichen Zügen hatte.

Kälte und Frost hatten sich tief eingefressen, jeder neue Frost hatte seinen Schorf über einer halbgeheilten älteren Narbe hinterlassen. Diese trockene, harte Oberfläche war von dunkler, blutiger Farbe und von tiefen zackigen Rissen gefurcht, aus denen das bloße rote Fleisch hervorsah. Seine Pelzkleidung war schmutzig und zerlumpt, und die Haare waren an einer Seite abgesengt, so daß man sehen konnte, wo er am Feuer gelegen hatte. Malemute Kid zeigte auf eine Stelle, wo das gegerbte Leder Stück bei Stück in Streifen geschnitten war – das grausige Zeugnis des Hungers.

»Wer – bist – du?« fragte Kid langsam und deutlich.

Der Mann hörte nicht.

»Wo kommst du her?«

»Yan–kee kam den Fluß herunter«, lautete die Antwort mit zitternder Stimme.

»Zweifellos ist der Ärmste den Fluß heruntergekommen«, sagte Malemute Kid und schüttelte ihn, um etwas Verständliches aus ihm herauszubringen. Aber der Mann jammerte bei der Berührung auf und griff sich im Schmerz mit der Hand an die Seite. Er erhob sich langsam und lehnte sich halb über den Tisch.

»Sie lachte mich aus – so – mit Haß in den Augen; und sie – wollte – nicht kommen –«

Seine Stimme erlosch, und er wollte hintenüberfallen, als Malemute Kid ihn am Handgelenk packte und rief: »Wer? Wer wollte nicht kommen?«

»Sie, Unga. Sie lachte und stach nach mir, so und so. Und dann –«

»Ja?«

»Und dann –«

»Was dann?«

»Dann lag er sehr still im Schnee, lange. Er liegt – noch – im – Schnee.«

Die beiden Männer sahen sich unschlüssig an.

»Wer liegt im Schnee?«

»Sie, Unga. Sie sah mich an mit Haß in den Augen, und dann –«

»Ja, ja.«

»Und dann nahm sie das Messer, so; und einmal, zweimal – sie war schwach. Ich kam sehr langsam weiter. Und da ist viel Gold. Sehr viel Gold.«

»Wo ist Unga?« Malemute Kid wußte nur, daß sie vielleicht eine Meile von hier sterbend liegen konnte. Er schüttelte den Mann heftig und wiederholte immer wieder: »Wo ist Unga? Wer ist Unga?«

»Sie – liegt – im – Schnee.«

»Weiter!« Kid preßte ihm heftig das Handgelenk.

»Da – wollte – ich – im – Schnee – bleiben – aber – ich – hatte – eine – Schuld – zu – bezahlen – es – war – schwer – ich – hatte – eine – Schuld – zu – bezahlen – eine Schuld – zu – bezahlen – ich – hatte –« Der stammelnde Wortstrom stockte, während er in die Tasche griff und einen Hirschlederbeutel herausholte. »Eine – Schuld – zu – bezahlen – . Fünf – Pfund – Gold – Mal – e – mute – Kid – Ich –« Der Kopf sank ermattet auf den Tisch, und Malemute Kid konnte ihn nicht wieder heben.

»Es ist Odysseus«, sagte er ruhig und warf den Beutel mit dem Goldstaub auf den Tisch. »Ich glaube, mit Axel Gunderson und seiner Frau ist es aus. Faß an, wir wollen ihn in die Koje tragen. Er ist Indianer; er kommt schon durch und wird uns dann die Geschichte erzählen.«

Als sie ihm das Zeug vom Leibe schnitten, sahen sie nahe der rechten Brust zwei frische scharfumrandete Messerstiche.

 

Ich will von den Dingen, die geschehen sind, auf meine eigene Weise sprechen; aber ihr werdet verstehen. Ich will mit dem Anfang beginnen und von mir und der Frau, und hinterher von dem Mann erzählen.«

Der Ofen zog den Mann mit den Otternfellen an, wie er Leute anzieht, die des Feuers beraubt gewesen sind und fürchten, daß diese Gabe der Götter ihnen jederzeit wieder genommen werden könnte. Malemute Kid stocherte die Flamme in der Tranlampe hoch und stellte sie so, daß ihr Schein auf das Gesicht des Erzählers fiel. Prince warf sich auf den Rand des Bettes und leistete ihnen Gesellschaft.

»Ich bin Naaß, ein Häuptling und der Sohn eines Häuptlings, geboren zwischen einem Sonnenuntergang und einem Sonnenaufgang auf den dunklen Wellen im Oomiak meines Vaters. Eine ganze Nacht stritten die Männer an den Paddeln, und die Frauen warfen die Wellen hinaus, die über uns hinwegschlugen, und wir kämpften mit dem Sturme. Der salzige Schaum gefror auf der Brust meiner Mutter, bis ihr Atem mit dem Sturm erlosch. Aber ich – ich hob meine Stimme mit Wind und Sturm und lebte.

»Wir wohnten auf Akatan –«

»Wo?« fragte Malemute Kid.

»Auf Akatan, einer der Aleuten; Akatan, jenseits Chigniks, jenseits Kardalaks, jenseits Unimaks. Wie gesagt, wir wohnten auf Akatan, das mitten im Meere, am Rande der Welt liegt. Wir jagten und fischten auf dem salzigen Meer Fische, Robben und Ottern, und unsere Hütten drängten sich Seite an Seite auf dem schmalen Felsstreif zwischen dem Waldrand und dem gelben Strande, wo unsere Kajaks lagen. Wir waren nicht viele, und die Welt war sehr klein. Es gab andere Länder im Osten – Inseln wie Akatan; daher glaubten wir, daß die ganze Welt aus Inseln bestände, und machten uns weiter keine Gedanken darüber.

Ich war anders als mein Volk. Im Sande des Strandes standen gebogene Spanten und von den Wogen gekrümmte Planken eines solchen Bootes, wie mein Volk es nie gebaut hatte. Ich weiß noch, daß an der Stelle der Insel, von wo aus man in drei Richtungen den Ozean überblickte, eine Kiefer stand, wie sie sonst nie dort wächst, glatt, gerade und hoch. Es hieß, daß zwei Männer in dem Boot, das jetzt zerschlagen auf dem Strande lag, vom Meere gekommen waren. Sie waren weiß wie ihr und schwach wie die kleinen Kinder, wenn die Robben fortgegangen sind und die Jäger mit leeren Händen heimkommen. Ich weiß diese Dinge von den alten Männern und den alten Frauen, denen ihre Väter und Mütter sie erzählt hatten. Diesen merkwürdigen weißen Männern gefielen unsere Gebräuche anfangs nicht, aber sie wurden stark durch die Fische, die sie aßen, und den Tran und wurden übermütig. Und sie bauten sich jeder eine Hütte und nahmen sich die besten unserer Frauen. Und es kamen Kinder. So wurde der geboren, der der Vater des Vaters meines Vaters werden sollte. Wie gesagt: ich war anders als mein Volk; denn in mir habe ich das starke flammende Blut der weißen Männer, die vom Meere kamen. Es heißt, daß wir andere Gesetze hatten, ehe diese Männer kamen, aber sie waren wild und streitlustig und kämpften mit unsern Männern, bis keiner mehr mit ihnen zu kämpfen wagte. Da machten sie sich zu Häuptlingen, schafften unsere alten Gesetze ab und gaben uns neue, nach denen der Mann der Sohn seines Vaters und nicht der seiner Mutter war, wie wir es bis dahin gewohnt waren. Sie befahlen auch, daß der erstgeborene Sohn alles haben sollte, was früher seinem Vater gehört hatte, und daß die andern Brüder und Schwestern sich behelfen mußten, wie sie konnten. Und auch andere Gesetze gaben sie uns. Sie zeigten uns neue Wege, den Fisch zu fangen und den Bären zu töten, von dem es viele in unsern Wäldern gab, und sie lehrten uns Vorräte für die Hungerzeiten aufzuspeichern. Und diese Dinge waren gut.

Als sie aber Häuptlinge geworden waren, und es keinen Mann mehr gab, der ihrem Zorn zu begegnen wagte, da kämpften diese fremden weißen Männer miteinander. Und der eine, dessen Blut in mir ist, schleuderte seinen Robbenspieß, daß er den Körper des andern um Armeslänge durchfuhr. Ihre Kinder und Kindeskinder nahmen den Kampf auf, es herrschte großer Haß unter ihnen, und manche dunkle Tat wurde begangen, bis auf meine Zeit, so daß von jeder Familie immer nur einer lebte, um das Blut fortzupflanzen. Von meinem Blut war ich der einzige. Von denen des andern Mannes gab es nur ein Mädchen, das bei seiner Mutter lebte: Unga. Ihr Vater und der meine kehrten eines Nachts nicht vom Fischfang zurück; später aber trieben sie bei Hochwasser an die Küste, und sie hielten sich eng umschlungen.

Die Leute wunderten sich darüber wegen des alten Hasses zwischen unsern Häusern; und die alten Männer schüttelten die Köpfe und sagten, daß der Kampf fortgesetzt werden würde, wenn sie und ich Kinder bekämen. Das erzählten sie mir als Knabe, bis ich es glaubte und in Unga eine Feindin sah, die die Mutter von Kindern werden sollte, welche mit den meinen kämpften. Tag um Tag dachte ich an diese Dinge, und als ich ein Jüngling wurde, fragte ich, warum es so sein müßte. Und sie antworteten: Wir wissen nicht anders, als daß deine Eltern so taten. Und ich dachte darüber nach, warum die, die kommen sollten, die Kämpfe jener kämpfen sollten, die gegangen waren, und ich konnte keine Gerechtigkeit darin sehen. Aber die Leute sagten, es müsse so sein; und ich war ja nur ein Knabe.

Und sie sagten, ich müßte eilen, daß mein Blut älter und stärker als das ihre würde. Das war leicht, denn ich war Häuptling, und das Volk sah auf zu mir wegen der Gesetze und Taten meiner Väter und wegen meines Reichtums. Jede Jungfrau wäre gern zu mir gekommen; aber ich fand keine, die nach meinem Sinn war. Und die alten Männer und die Mütter der jungen Mädchen forderten mich auf, mich zu beeilen, denn schon damals boten die Jäger Ungas Mutter große Geschenke, und wenn ihre Kinder früher als die meinen stark wurden, dann mußten die meinen sicher sterben.

Aber ich fand keine Jungfrau, bis ich eines Abends vom Fischfang heimkehrte. Die Sonne stand niedrig und schien mir plötzlich in die Augen. Der Wind war frisch, und die Kajaks zogen durch die weißen Wogen. Plötzlich kam Ungas Kajak hinter mir her, und sie sah mich an. Ihr schwarzes Haar flatterte wie eine Nachtwolke, und ihre Wangen waren naß von Meerschaum. Wie gesagt, die Sonne schien mir gerade in die Augen, und ich war ein Knabe. Wie es zugehen mochte, weiß ich nicht, aber plötzlich war mir klar, daß dies die Botschaft zwischen Mann und Weib war. Wie sie dahinschoß, sah sie sich zwischen zwei Ruderschlägen um – wie nur Unga sehen konnte –, und wieder fühlte ich, daß dies die Botschaft zwischen Mann und Weib war. Die Leute riefen laut, als wir den trägen Oomiaks nachsausten und sie bald weit hinter uns ließen. Aber sie ruderte schnell, und mein Herz war wie ein schwellendes Segel, und ich kam ihr nicht näher. Der Wind frischte auf, die See wurde weiß, und springend wie Robben schossen wir auf dem goldenen Pfad der Sonne über das Wasser.«

Naaß hatte sich vorgebeugt, daß er nur noch halb auf seinem Stuhle saß, in der Haltung eines Mannes, der mit der Paddel rudert, als erlebte er die Fahrt von neuem. Irgendwo jenseits des Ofens sah er den schleudernden Kajak und Ungas flatterndes Haar. Die Stimme des Sturmes klang in seinem Ohr, und das Salz biß frisch in seinen Nasenlöchern.

»Aber sie erreichte die Küste und lief lachend über den Sand nach dem Hause ihrer Mutter. Und ein großer Gedanke kam in der Nacht zu mir – ein Gedanke würdig dessen, der Häuptling war über das ganze Volk von Akatan. Als der Mond aufgegangen war, ging ich zum Hause ihrer Mutter und betrachtete die Gaben Yash-Nooshs, die vor der Tür aufgehäuft waren – die Gaben Yash-Nooshs, eines tüchtigen Jägers, der Vater der Kinder Ungas werden wollte. Andere junge Männer hatten alles, was sie besaßen, dort aufgestapelt und wiedergeholt, und jeder junge Mann hatte seinen Haufen größer als den der andern gemacht. Und ich lachte Mond und Sterne an und ging in mein eigenes Haus, wo all mein Reichtum lag. Und ich ging viele Male hin und her, bis mein Haufen um soviel mal größer als der Yash-Nooshs war, wie Finger an einer Hand sind. Da waren Fische, die an der Sonne getrocknet und geräuchert waren; vierzig Felle von Pelzrobben und halb so viele von Ohrenrobben, und jedes Fell war am Maul geschlossen und dickbäuchig von Öl. Und zehn Felle von Bären, die ich getötet hatte, als sie im Frühjahr aus dem Walde gekommen waren. Da waren Perlen und Decken und scharlachfarbenes Tuch, das ich von Leuten eingetauscht hatte, die weiter im Osten wohnten. Und ich sah den Haufen und lachte. Denn ich war Häuptling auf Akatan, und mein Reichtum war größer als der aller meiner jungen Männer, und meine Vorfahren hatten große Taten ausgeführt und Gesetze gegeben und für alle Zeiten ihren Namen in den Mund des Volkes gelegt.

Und als der Morgen kam, ging ich zum Strand hinunter und blickte aus den Augenwinkeln nach dem Hause von Ungas Mutter. Meine Gaben lagen immer noch unberührt da. Und die Frauen lächelten und scherzten miteinander. Ich wunderte mich, denn noch nie war ein solches Gebot gemacht worden, und in der Nacht vermehrte ich den Haufen und legte einen Kajak aus wohlgegerbter Haut daneben, der noch nie auf dem Wasser geschwommen war. Aber am nächsten Morgen war es noch da, so daß alle Männer und Frauen darüber lachten. Ungas Mutter war schlau, und ich war zornig über die Schande, die vor den Augen meines Volkes über mich gekommen war. In der Nacht tat ich so viel hinzu, daß es ein großer Haufen wurde, und zog meinen Oomiak auf den Strand, der den Wert von zwanzig Kajaks hatte. Und am nächsten Morgen war kein Haufe da.

Dann traf ich die Vorbereitungen zur Hochzeit, und das Volk, das zunächst im Osten wohnte, kam wegen des Hochzeitsmahls und des Potlachs. Unga war vier Sonnen älter als ich nach der Weise, wie wir unsere Jahre rechnen. Ich war nur ein Knabe, aber das tat nichts, denn ich war Häuptling und der Sohn eines Häuptlings.

Aber ein Schiff zeigte seine Segel auf der Fläche des Ozeans, und wie der Wind wehte, wurde es größer. Seine Speigatten spien das klare Wasser aus, und die Männer arbeiteten geschäftig an den Pumpen. Vorn stand ein mächtiger Mann, er maß die Tiefe des Wassers und gab Befehle mit einer Stimme wie Donner. Seine Augen hatten die blaßblaue Farbe tiefen Wassers, und sein Kopf trug eine Mähne wie die eines Seelöwen. Sein Haar war gelb wie das Stroh der Ernte im Süden oder wie die Manilaseile, die die Seeleute flechten.

In den letzten Jahren hatten wir in der Ferne Schiffe gesehen, dies aber war das erste, das an die Küste Akatans kam. Das Fest wurde unterbrochen, die Frauen und Kinder flohen in die Häuser, wir Männer aber spannten unsere Bogen und warteten, die Spieße in den Händen. Als aber der Steven des Schiffes den Strand berührte, kümmerten sich die fremden Männer nicht um uns, sie hatten genug mit sich selber zu tun. Als die Ebbe kam, kielholten sie den Schoner und flickten ein großes Loch in seinem Boden. Da kamen die Frauen wieder herausgeschlichen, und das Fest wurde fortgesetzt.

Als die Flut kam, warpten die Seefahrer den Schoner in tiefes Wasser und mischten sich dann unter uns. Sie brachten Geschenke und waren freundlich, und ich ließ Platz für sie machen, und da mein Herz weit war, gab ich ihnen Geschenke wie allen andern Gästen; denn es war mein Hochzeitstag, und ich war Häuptling auf Akatan. Und er, der eine Mähne wie ein Seelöwe hatte, war da, und so groß und stark war er, daß man erwartete, die Erde unter seinen Schritten zittern zu sehen. Er kreuzte die Arme und sah viel und scharf auf Unga. Und er blieb, bis die Sonne verschwand und die Sterne hervorkamen. Da ging er zu seinem Schiff hinunter. Ich aber nahm Unga bei der Hand und führte sie in mein eigenes Haus. Und es gab Singen und viel Lachen, und die Frauen scherzten, wie Frauen bei solchen Gelegenheiten tun. Aber wir machten uns keine Sorgen. Da ließ das Volk uns allein und ging heim.

Der letzte Lärm war verschollen, als der Häuptling der Seefahrer in meine Tür trat. Und er hatte schwarze Flaschen bei sich, und wir tranken und wurden lustig. Denkt daran, daß ich nur ein Knabe war und mein ganzes Leben am Rande der Welt verbracht hatte. Mein Blut wurde zu Feuer und mein Herz so leicht wie der Schaum, der aus der Brandung auf die Klippen fliegt. Unga saß schweigend mit offenen Augen auf den Fellen im Winkel und schien bange zu sein. Und er, der die Mähne des Seelöwen hatte, sah sie scharf und lange an. Dann kamen seine Männer mit Mengen von Gaben, und er häufte so viel Reichtum vor mir auf, wie in ganz Akatan nicht war. Da waren Büchsen, große und kleine, Pulver, Kugeln und Zündhütchen, blanke Beile und Messer aus Stahl und kunstfertige Geräte und seltsame Dinge, wie ich sie noch nie gesehen. Als er mir Zeichen machte, daß das alles mein sei, dachte ich, er sei ein großer Mann in seiner Freigebigkeit. Aber da machte er mir auch Zeichen, daß Unga mit ihm auf sein Schiff gehen sollte, versteht ihr? Unga sollte auf sein Schiff mit ihm gehen. Das Blut meines Vaters flammte plötzlich heiß, und ich schickte mich an, ihn mit meinem Spieß zu durchbohren; aber der Geist der Flaschen hatte das Leben aus meinem Arm gestohlen, und er packte mich am Hals und schlug meinen Kopf gegen die Wand des Hauses. Und da war ich schwach wie ein neugeborenes Kind, und meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Unga schlug und schrie und klammerte sich mit ihren Händen an die Dinge im Hause, bis alles um uns fiel, als er sie zur Tür schleppte. Da nahm er sie in seine großen Arme, und als sie an seinem gelben Haar riß und zerrte, lachte er wie der große Robbenbulle in der Paarungszeit.

Ich kroch an den Strand und rief meine Leute; aber sie fürchteten sich. Nur Yash-Noosh war ein Mann, und ihm schlugen sie mit einem Ruder auf den Kopf, bis er mit dem Gesicht im Sande lag und sich nicht regte. Und singend heißten sie die Segel, und das Schiff fuhr vor dem Winde fort.

Mein Volk sagte, es sei gut, denn jetzt würde es keine Blutrache mehr auf Akatan geben; aber ich sagte kein Wort, wartete bis zur nächsten Vollmondzeit, legte Fleisch und Öl in meinen Kajak und fuhr nach Osten. Ich sah viele Inseln und viele Völker, und ich, der ich am Rande der Welt gelebt hatte, sah, daß sie sehr groß war. Ich sprach mit Zeichen; aber sie hatten keinen Schoner und keinen Mann mit einer Mähne wie ein Seelöwe gesehen, und sie zeigten stets nach Osten. Ich schlief an seltsamen Orten, aß sehr merkwürdige Dinge und sah wunderbare Gesichter. Viele lachten, denn sie glaubten, ich sei schwachköpfig. Zuweilen aber wandten alte Männer mein Gesicht gegen das Licht und segneten mich, und die Augen der jungen Frauen wurden milde, wenn sie mich nach dem fremden Schiff und nach Unga und dem Seefahrer ausfragten.

Und so kam ich durch rauhe Seen und schwere Stürme nach Unalaska. Da lagen zwei Schoner; aber keiner war der, den ich suchte. Ich ging weiter nach Osten, aber die Welt wurde größer, und weder auf den Inseln noch in Unamok wußte jemand von dem Schiff. Und so kam ich eines Tages an ein felsiges Land, wo Männer große Löcher in den Berg gruben. Und dort war ein Schoner, aber nicht der meine, und den belasteten Männer mit den ausgegrabenen Felsstücken. Das fand ich kindisch, denn die ganze Welt war ja aus Felsen gemacht; aber sie gaben mir zu essen und ließen mich arbeiten. Als der Schoner tief genug im Wasser lag, gab der Kapitän mir Geld und sagte, ich könne gehen; aber ich fragte, welchen Weg er ginge, und er wies nach Süden. Ich machte ihm Zeichen, daß ich mit ihm gehen wolle; zuerst lachte er, da er aber Männer brauchte, nahm er mich an Bord. So lernte ich, auf ihre Art zu reden, Segel zu heißen und bei plötzlichen Windstößen zu reffen und am Rade zu stehen. Aber das war mir nicht fremd, denn das Blut meiner Väter war das von Seefahrern.

Ich hatte gedacht, es sei leicht, den zu finden, den ich suchte, wenn ich erst zu seinem eigenen Volke gekommen wäre; als wir aber eines Tages Land in Sicht bekamen und durch eine schmale Fahrrinne von der See in einen Hafen gelangten, dachte ich wohl, so viele Schoner zu sehen, wie Finger an meinen Händen waren, aber meilenweit lagen die Schiffe, dicht gedrängt wie viele kleine Fische, an den Kais, und als ich unter sie ging, um nach einem Manne mit einer Mähne wie ein Seelöwe zu fragen, lachten sie und antworteten mir in vielen Sprachen. Und ich merkte, daß sie in den fernsten Teilen der Welt zu Hause waren.

Ich ging in die Stadt, um das Gesicht jedes Mannes zu sehen, aber sie waren wie Fische, wenn sie in dichten Scharen über die Bänke ziehen, und ich konnte sie nicht zählen. Und der Lärm drang so lange auf mich ein, bis ich nicht mehr hören konnte und mir der Kopf von dem Getümmel schwindelte. Ich ging immer weiter durch Länder, die im warmen Sonnenschein sangen, wo die Ernte reich auf den Feldern lag und wo es große Städte gab voller Männer, die wie Frauen lebten mit falschen Worten im Munde und mit Herzen, die schwarz von Golddurst waren. Und unterdessen jagte und fischte mein Volk auf Akatan und war glücklich in dem Gedanken, daß die Welt klein sei.

Aber der Blick von Ungas Augen, als sie vom Fischen heimkam, begleitete mich stets, und ich wußte, daß ich sie finden würde, wenn die Zeit gekommen war. Sie wanderte durch stille Gassen in der Abenddämmerung oder lockte mich über die fruchtbaren, von Morgentau feuchten Felder, und es war ein Versprechen in ihren Augen, wie nur Unga es geben konnte.

So wanderte ich durch tausend Städte. Manche Menschen waren freundlich und gaben mir zu essen, andere lachten und wieder andere verfluchten mich. Aber ich hielt meine Zunge im Zaum, ging merkwürdige Wege und sah seltsame Dinge. Zuweilen arbeitete ich, ich, ein Häuptling und der Sohn eines Häuptlings, für Männer – Männer, die roh sprachen, hart wie Eisen waren und aus dem Schweiß und dem Kummer ihrer Kameraden Gold schmiedeten. Aber noch hörte ich kein Wort von denen, die ich suchte, bis ich wieder zur See zurückkehrte wie eine Robbe zu den Paarungsplätzen. Aber es war ein anderer Hafen in einem andern Lande, das im Norden lag. Und dort hörte ich von dem gelbhaarigen Seefahrer und erfuhr, daß er Robbenjäger war und sich gerade jetzt weit fort auf dem Ozean befände.

So fuhr ich denn auf einem Robbenschoner mit den faulen Siwashs und folgte seinem spurlosen Pfad nach Norden, wo die Jagd damals im Gange war. Und wir waren Monate voller Mühsal fort, sprachen manche Flotte an und hörten viel von den wilden Taten dessen, den ich suchte; nicht ein einziges Mal aber kamen wir ihm auf dem Meere nahe. Wir fuhren nach Norden bis zu den Pribyloffs, töteten die Robben herdenweise am Strande und schafften ihre warmen Körper an Bord, bis unsere Speigatten von Speck und Blut troffen und kein Mann an Deck stehen konnte. Da wurden wir von einem langsamen Dampfer gejagt, der mit großen Kanonen auf uns schoß. Aber wir setzten Segel, bis die Seen über Deck spülten und es rein wuschen, und verloren uns im Nebel.

Es heißt, daß gerade zu der Zeit, als wir mit Furcht im Herzen flohen, der gelbhaarige Seefahrer nach den Pribyloffs kam und die Faktorei überfiel. Ein Teil von seinen Leuten hielt die Angestellten der Kompanie, während die andern zehntausend frische Felle aus dem Salzhaus holten. Ich sage, es heißt so, aber ich glaube es, denn während ich die Küsten entlang reiste, ohne ihm zu begegnen, hallten die nordischen Meere wider von den Erzählungen seiner Verwegenheit und seines Mutes, bis die drei Nationen, die dort Land besaßen, mit ihren Schiffen Jagd auf ihn machten. Und ich hörte von Unga, denn die Kapitäne sangen laut ihr Loblied, und sie war immer bei ihm. Sie hätte die Bräuche seines Volkes gelernt, sagten sie, und sie sei glücklich. Aber ich wußte es besser – ich wußte, daß ihr Herz sich nach ihrem eigenen Volke an der gelben Küste Akatans sehnte.

Dann, nach langer Zeit, kam ich zu dem Hafen zurück, der mit der See durch eine schmale Fahrrinne verbunden ist, und dort erfuhr ich, daß er quer über den großen Ozean gefahren war, um Robben auf der Ostseite des warmen Landes zu jagen, das sich vom Russischen Meer südwärts erstreckt. Ich, der ich Seemann geworden war, fuhr mit Männern seiner eigenen Rasse auf Robbenjagd und folgte ihm. Und in diesem neuen Land waren wenige Schiffe; aber wir hingen uns an die Robbenherden und jagten sie das ganze Frühjahr hindurch nordwärts. Und als die Robbenkühe, die schwer von Jungen waren, über die russische Grenze gingen, wurden unsere Männer ängstlich und knurrten. Denn es gab viel Nebel, und täglich verloren wir Leute in den Booten. Sie wollten nicht mehr arbeiten, und so wandte der Kapitän das Schiff dorthin, wo wir hergekommen waren. Aber ich wußte, daß der gelbhaarige Seefahrer unerschrocken war und die Robbenherden bis zu den russischen Inseln jagen würde, wohin nur wenige Männer gingen. So nahm ich denn in der Finsternis der Nacht, als der Ausguckmann auf dem Vordeck schlief, ein Boot und fuhr allein nach dem warmen langen Land. Und ich reiste südwärts, um die wilden kühnen Männer an der Yeddo-Bucht zu treffen. Und die Mädchen von Yoshiwara waren klein und blank wie Stahl und schön anzusehen, aber ich konnte nicht bleiben, denn ich wußte, daß Unga auf dem schaukelnden Deck bei den Paarungsplätzen im Norden trieb.

Die Männer an der Yeddo-Bucht waren von allen Enden der Erde zusammengekommen, und sie kannten weder Gott noch Heim. Sie fuhren unter japanischer Flagge. Mit ihnen ging ich nach den reichen Küsten der Kupferinseln, wo wir viele Felle einsalzten. Und in diesem schweigenden Meer sahen wir niemand, bis wir aufbrechen wollten. Da hob eines Tages ein starker Wind den Nebel, und gerade auf uns zu steuerte ein Schoner, und dicht hinter ihm drohten die finsteren Kanonenmündungen eines russischen Kriegsschiffes. Wir flohen quer im Winde, aber der Schoner kam immer näher und legte drei Fuß zurück, wenn wir nur zwei machten. Und auf der Brücke stand der Mann, der die Mähne des Seelöwen hatte, und er lachte, stark und übermütig, wie er war, und setzte Segel, daß die Reling unter Wasser lag. Und Unga war da – ich erkannte sie im ersten Augenblick –, als aber die Kanonen über das Meer zu reden begannen, schickte er sie nach unten. Wie gesagt, drei Fuß, wenn wir zwei machten, bis wir jedesmal, wenn das Schiff in die See tauchte, sein Ruder sich grün aus dem Wasser heben sahen – und ich legte das Ruder um und erschöpfte meine Seele in Flüchen, während ich dem russischen Schiff den Rücken kehrte. Denn wir wußten, daß er vor uns laufen wollte, so daß er entschlüpfte, während wir gefangen wurden. Sie schossen unsere Masten herunter, daß wir in den Wind drehten wie eine verwundete Möwe; er aber verschwand hinter der Kimmung – er und Unga.

Was konnten wir tun? Die frischen Felle sprachen deutlich genug. So nahmen sie uns denn mit in einen russischen Hafen und später in ein ödes einsames Land, wo sie uns Salz in den Minen graben ließen. Und einige starben – und andere starben nicht.«

Naaß schlug die Decke von seiner Schulter zurück und entblößte das zernarbte und zerrissene Fleisch, das die unverkennbaren Spuren der Knute trug. Prince deckte ihm schnell die Decke wieder über, denn es war kein schöner Anblick.

»Es war eine traurige Zeit dort, und manchmal liefen Leute fort nach Süden; aber sie kamen stets wieder. Darum gingen wir nach Norden, wir, die wir von der Yeddo-Bucht gekommen waren. Wir standen nachts auf und nahmen der Wache die Gewehre weg. Und das Land war sehr groß und hatte Ebenen voller Moore und großer Wälder. Und die Kälte kam mit viel Schnee auf der Erde, und keiner kannte den Weg. Monate voll Mühsal reisten wir durch den endlosen Wald – ich erinnere mich jetzt nicht mehr daran, denn es gab wenig Nahrung, und oft legten wir uns nieder, um zu sterben. Zuletzt aber erreichten wir das kalte Meer, und da waren nur noch drei am Leben, um es zu sehen. Einer von uns war als Kapitän von Yeddo gefahren, und er wußte, wie die großen Länder beieinander lagen, und wußte, wo die Stelle war, von der aus man von einem Lande nach dem andern über das Eis gehen konnte. Und er führte uns – ich weiß nicht, es war so lange –, bis wir noch zwei waren. Als wir hinkamen, trafen wir fünf Männer des Volkes, das in diesem Lande lebt, und sie hatten Hunde und Felle, während wir sehr arm waren. Wir kämpften im Schnee, bis sie starben, und der Kapitän starb, und die Hunde und Felle gehörten mir. Da ging ich über das Eis, das aufgebrochen war, und einmal geriet ich ins Treiben, bis eine westliche Brise mich an die Küste brachte. Und dann die Golovin-Bucht, Pastilik und der Priester. Dann südwärts, südwärts, nach den warmen Ländern, wo ich zuerst gewandert war.

Aber die See brachte nichts mehr ein, und wer auf Robbenjagd ging, hatte wenig Verdienst und großes Risiko. Die Flotte zerstreute sich, und Kapitäne und Mannschaften wußten nichts von dem, den ich suchte. Da ging ich fort vom Ozean, dem immer ruhelosen, und kam in die Länder, wo Bäume, Häuser und Berge stets auf einer Stelle bleiben und sich nie bewegen. Ich reiste weit und lernte viele Dinge, sogar, wie man schreibt und aus Büchern liest. Und es war gut, daß ich das tat, denn mir fiel ein, daß Unga ja diese Dinge kennen mußte, und daß eines Tages, wenn die Zeit gekommen war – wir – ihr versteht, wenn die Zeit gekommen war ...

So trieb ich denn umher, wie die kleinen Fische, die ein Segel im Winde setzen, aber nicht steuern können. Aber meine Augen und meine Ohren waren stets offen, und ich kam mit Männern zusammen, die viel reisten, denn ich wußte, daß sie den, den ich suchte, nur einmal gesehen zu haben brauchten, um sich seiner zu erinnern. Schließlich kam ein Mann geradeswegs aus den Bergen, und er hatte Steine bei sich, die das reine Gold in erbsengroßen Stücken enthielten; er hatte von ihnen gehört, er hatte sie getroffen, er kannte sie. Sie wären reich, sagte er, und lebten an einem Ort, wo sie das Gold aus dem Boden zögen.

Es war ein wildes Land und sehr weit fort; aber nach einer langen Wanderung erreichte ich das Lager, das zwischen den Bergen verborgen lag, wo die Leute Tag und Nacht fern vom Licht der Sonne arbeiteten. Noch war die Zeit nicht gekommen. Ich lauschte, was die Leute sagten. Er sei fortgereist – sie seien fortgereist – nach England wurde gesagt, um Leute mit viel Geld zu überreden, sich zu vereinigen und Gesellschaften zu gründen. Ich sah das Haus, in dem sie gewohnt hatten; es war eher ein Palast, wie man sie in den alten Ländern sieht. Bei Nacht kroch ich durch ein Fenster, um zu sehen, wie er zu ihr war. Ich ging von Zimmer zu Zimmer und dachte, so müßten wohl Könige und Königinnen wohnen, es war alles sehr gut. Und alle sagten, daß er sie wie eine Königin behandle, und viele wollten wissen, von welchem Volke sie wäre, denn es floß anderes Blut in ihren Adern, und sie war nicht wie die Frauen von Akatan sonst, und niemand erkannte sie für das, was sie war. Und sie war eine Königin, ich aber war ein Häuptling und der Sohn eines Häuptlings, und ich hatte einen unermeßlichen Preis in Fellen und Booten und Perlen für sie bezahlt.

Aber warum so viel Worte? Ich war Seemann und kannte die Wege der Schiffe auf dem Meere. Ich folgte ihnen nach England und kam nach andern Ländern. Zuweilen hörte ich Leute von ihnen reden, und zuweilen las ich von ihnen; aber dennoch konnte ich sie nie erreichen, denn sie hatten viel Geld und reisten schnell, und ich war ein armer Mann. Da aber kam Unglück über sie, und ihr Reichtum schwand eines Tages wie ein Rauchstreifen. Die Zeitungen waren damals voll davon; dann aber redete man nicht mehr davon, und ich wußte, daß sie dorthin zurückgekehrt waren, wo sie mehr Gold aus dem Boden holen konnten.

Als sie jetzt arm geworden, waren sie von der Welt verschwunden; und so wanderte ich nun von Lager zu Lager, ganz nach Norden bis ins Kootenay-Land, wo ich ihre erkaltete Fährte fand. Sie waren dort gewesen und wieder fortgegangen, einige sagten den einen Weg, andere den andern, und wieder andere sagten, sie seien nach dem Yukon-Lande gegangen. Und ich ging diesen Weg, und ich ging jenen; immer reiste ich von Ort zu Ort, bis mir schien, daß ich müde werden mußte von der Welt, die so groß war. Aber in Kootenay machte ich eine lange mühselige Reise mit einem Eingeborenen aus dem Nordwestlande, der sich zum Sterben niederlegte, als die Hungersnot über uns kam. Er war auf einem unbekannten Wege über die Berge im Yukon-Land gewesen, und als er merkte, daß seine Stunde gekommen war, gab er mir eine Karte und das Geheimnis eines Ortes, wo, wie er bei seinen Göttern schwor, viel Gold sein sollte.

Kurz darauf begann alle Welt nach Norden zu ziehen. Ich war ein armer Mann; ich verkaufte mich als Hundetreiber. Das übrige wißt ihr. Ich traf ihn und sie in Dawson. Sie erkannte mich nicht, denn ich war damals nur ein Knabe gewesen, und ihr Leben war reich gewesen, so daß sie nicht Zeit hatte, sich eines Mannes zu erinnern, der einen unermeßlichen Preis für sie bezahlt hatte.

Und dann? Du kauftest mich von meinem Dienst los. Ich kehrte zurück, um alles auf meine eigene Art zurechtzulegen, denn ich hatte sehr lange gewartet, und jetzt, da meine Hand über ihm war, eilte es nicht. Wie gesagt, ich gedachte es auf meine eigene Art und Weise zu tun. Denn ich überdachte alles, was ich in meinem Leben gesehen und gelitten hatte, und dachte an die Kälte und die Hungersnot in dem unendlichen Wald am Russischen Meer. Wie ihr wißt, führte ich ihn nach Osten, wo viele hingegangen, aber wenige zurückgekehrt sind. Ich führte sie bis zu der Stelle, wo die Knochen und Flüche der Männer auf dem Golde liegen, das nicht ihnen gehören sollte.

Es war weit, und der Weg ungebahnt. Unserer Hunde waren viele, und sie fraßen viel; und unsere Schlitten konnten nicht so viel tragen, wie bis zum Kommen des Frühlings nötig war. Wir mußten zurück sein, ehe der Fluß eisfrei war. Hier und dort legten wir Depots an, damit unsere Schlitten leichter wurden und wir auf dem Rückwege keinen Hunger zu fürchten hatten. Bei McQuestion waren drei Männer, und in ihrer Nähe bauten wir uns ein Versteck; dasselbe taten wir in Mayo, wo zwölf Pellys, die vom Süden über die Wasserscheide gekommen waren, ein Jagdlager errichtet hatten. Dann, als wir weiter nach Osten kamen, sahen wir nur noch den schlafenden Fluß, den unbeweglichen Wald und das weiße Schweigen des Nordlandes. Wie gesagt, es war weit, und der Weg ungebahnt. Zuweilen machten wir an einem ganzen Tage nicht mehr als acht oder zehn Meilen, und nachts schliefen wir wie die Toten. Und nie ahnten sie, daß ich Naaß, der Häuptling von Akatan, war, der Unrecht ahndete.

Wir errichteten jetzt kleinere Depots, und nachts war es ein leichtes, auf dem gebahnten Wege zurückzugehen und sie in einer Weise zu zerstören, daß man die Vielfraße für die Diebe halten mußte. Dann gibt es Stellen, wo der Fluß Gefälle hat und das Wasser unruhig ist; hier staut sich das Eis und wird von unten weggefressen. An einer solchen Stelle brach der Schlitten, den ich fuhr, mit den Hunden ein; und er sowohl wie Unga hielten es für einen unglücklichen Zufall und nicht mehr. Und der Schlitten hatte viel Nahrungsmittel getragen, und die Hunde waren die stärksten gewesen. Aber er lachte, denn er war stark vor Leben, und gab den Hunden, die noch übrig waren, nur wenig zu fressen, bis wir sie einen nach dem andern vom Geschirr losschnitten und ihren Kameraden zu fressen gaben. Wir kämen leicht wieder heim, meinte er, wenn wir uns ohne Hunde und Schlitten von einem Depot zum andern durchäßen; und das war richtig, denn wir hatten nur sehr wenig Proviant, und der letzte Hund starb in den Strängen an dem Abend, als wir das Gold, die Knochen und die Flüche der Männer erreichten.

Um zu der Stelle im Herzen der großen Berge – und die Karte sprach die Wahrheit – zu gelangen, hieben wir Stufen in das Eis an der Felswand. Wir schauten nach einem Tal drüben aus, aber dort war kein Tal, der Schnee breitete sich über alles, eben wie große Ernteflächen, und hier und dort hoben gewaltige Berge ihre weißen Häupter bis zu den Sternen. Und mitten auf dieser seltsamen Ebene, die ein Tal hätte sein sollen, fielen Erde und Schnee senkrecht zum Herzen der Erde ab. Wären wir nicht Seemänner gewesen, so hätte uns bei diesem Anblick geschwindelt; aber wir standen am Rande des Abgrunds und spähten nach einer Möglichkeit aus, um hinab zu gelangen. Und auf einer Seite, aber nur dort, fiel die Wand schräg ab, so daß sie wie ein Schiffsdeck in einer kräftigen Brise lag. Ich weiß nicht, warum es so sein mußte, aber es war so. ›Das ist der Höllenrachen,‹ sagte er, ›laßt uns hinuntergehen.‹ Und wir gingen.

Auf dem Grunde hatte irgend jemand aus Holzklötzen, die er von oben hinuntergeworfen hatte, eine Hütte erbaut. Es war eine sehr alte Hütte, denn Männer waren hier zu verschiedenen Zeiten allein gestorben, und auf den Birkenrindenstücken, die dort lagen, lasen wir ihre letzten Worte und Flüche. Einer war am Skorbut gestorben; einem andern hatte sein Kamerad seinen letzten Proviant und sein Pulver gestohlen und sich dann davongemacht; einem dritten hatte ein Grisly-Bär übel mitgespielt; ein vierter war auf die Jagd gegangen und verhungert – und so weiter, und sie hatten das Gold nicht verlassen können und waren, jeder auf seine Weise, hier gestorben. Und das unnütze Gold, das sie gesammelt hatten, lag wie ein Traum auf dem Boden der Hütte ausgestreut.

Aber dieser Mann, den ich so weit geführt hatte, hatte eine feste Seele und einen klaren Kopf. ›Wir haben nichts zu essen,‹ sagte er, ›und wir wollen nur das Gold sehen und finden, wo es herkommt. Und wieviel dort sein mag. Dann wollen wir schnell weggehen, ehe es uns in die Augen sticht und uns den Verstand stiehlt. Wenn wir es so machen, können wir später mit mehr Proviant wiederkommen und alles in Besitz nehmen.‹ So sahen wir denn die große Ader, die durch die Wand der Grube ging, wie eine richtige Ader es tun soll; und wir maßen sie und folgten ihr von oben nach unten, teilten die Mine ein und schalmten die Bäume an, um unser Besitzrecht zu bezeichnen. Dann kletterten wir mit Knien, die uns vor Hunger und Krankheit zitterten, und mit Herzen, die uns bis in den Hals hinaufschlugen, zum letztenmal den mächtigen Fels hinauf und machten uns auf den Heimweg.

Das letzte Stück trugen wir Unga zwischen uns, und wir fielen oft, aber schließlich erreichten wir das Depot. Und seht, dort war kein Proviant. Ich hatte meine Sache gut gemacht, denn er glaubte, die Vielfräße hätten es getan, und er verfluchte sie und seine Götter in einem Atemzug. Aber Unga war tapfer und lächelte und legte ihre Hand in die seine, so daß ich mich abwenden mußte, um mich zu beherrschen. ›Wir wollen uns bis morgen am Feuer ausruhen,‹ sagte sie, ›und wir werden Kräfte aus unsern Mokassins gewinnen.‹ So schnitten wir denn den obersten Teil unserer Mokassins in Streifen und kochten sie die halbe Nacht, um sie kauen und verschlingen zu können. Und am Morgen besprachen wir unsere Aussichten. Bis zum nächsten Depot waren es fünf Tagemärsche. Wir konnten es nicht erreichen, wir mußten Wild finden.

›Wir wollen weitergehen und jagen‹, sagte er.

›Ja,‹ sagte ich, ›wir wollen weitergehen und jagen.‹

Und er bestimmte, daß Unga beim Feuer bleiben und ihre Kräfte schonen sollte. Und wir gingen weiter, er, um Elche zu jagen, ich zu dem Depot, das ich heimlich errichtet hatte. Aber ich aß nur wenig, damit ich ihnen nicht zu stark erschien. Und als er nachts zum Lager zurückkehrte, fiel er oft hin. Und ich tat auch, als ob ich sehr schwach wäre, und stolperte über meine Schneeschuhe, als ob jeder Schritt mein letzter sein könnte. Und wir stärkten uns mit unsern Mokassins.

Er war ein großer Mann. Seine Seele hielt seinen Körper bis zum letzten Augenblick aufrecht. Und keine Klage kam über seine Lippen, außer um Ungas willen. Am nächsten Tage folgte ich ihm, damit ich sein Ende nicht verfehlte. Und er legte sich oft nieder, um auszuruhen. In dieser Nacht wäre es fast mit ihm ausgewesen; am Morgen aber fluchte er mit schwacher Stimme und ging wieder fort. Er war wie ein Betrunkener, und ich dachte oft, daß er fertig wäre; aber er hatte die Kraft des Starken, und seine Seele war die eines Riesen, denn er trug seinen Körper den ganzen mühseligen Tag. Und er schoß zwei Schneehühner, wollte sie aber nicht essen. Er brauchte kein Feuer; sie bedeuteten das Leben; aber er dachte nur an Unga und kehrte zum Lager zurück. Er ging nicht mehr, sondern kroch auf Händen und Füßen durch den Schnee. Ich trat nahe zu ihm und las den Tod in seinen Augen. Selbst jetzt war es noch nicht zu spät, von den Schneehühnern zu essen. Er warf die Büchse fort und trug die Vögel wie ein Hund im Munde. Ich schritt aufrecht neben ihm. Und in den Augenblicken, wenn er sich ausruhte, sah er mich an und wunderte sich, daß ich so stark war. Ich konnte es sehen, obwohl er nicht mehr sprach; und obwohl seine Lippen sich bewegten, brachte er doch kein Wort heraus. Wie gesagt, er war ein großer Mann, und mein Herz sprach für Milde; aber ich las in meinem Leben und erinnerte mich der Kälte und des Hungers in dem endlosen Wald am Russischen Meere. Und dazu war Unga mein, und ich hatte einen unermeßlichen Preis in Fellen, Booten und Perlen für sie bezahlt.

Und so kamen wir durch den weißen Wald, dessen Schweigen schwer wie feuchter Nebel auf uns lag. Und die Geister der Vergangenheit erfüllten die Luft um uns her; und ich sah den gelben Strand von Akatan und die Kajaks, die vom Fischfang heimkamen, und die Häuser am Rande des Waldes. Und die Männer waren da, die sich zu Häuptlingen gemacht hatten, die Gesetzgeber, deren Blut ich trug, und deren Blut auch durch das Ungas mit mir verbunden war. Ja, und Yash-Noosh wanderte mit mir, nassen Sand im Haar und in der Hand noch den Kriegsspeer haltend, der zerbrach, als er auf ihn fiel. Und ich wußte, daß die Zeit gekommen war, und sah das Versprechen in Ungas Augen.

Wie gesagt, so kamen wir durch den Wald, bis wir den Geruch vom Lagerrauch spürten. Da beugte ich mich über ihn und riß ihm die Schneehühner aus dem Munde. Er drehte sich auf die Seite und blieb liegen; und Verwunderung stieg in seine Augen, und die Hand, die zu unterst war, glitt langsam zu dem Messer an seiner Hüfte. Aber ich nahm es ihm fort und lächelte dicht vor seinem Gesicht. Selbst jetzt verstand er noch nichts. Da tat ich, als tränke ich aus schwarzen Flaschen, als errichtete ich hoch über dem Schnee einen Haufen von Gütern und als geschähen alle die Dinge jetzt, die an meinem Hochzeitsabend geschehen waren. Ich sprach kein Wort, aber er verstand. Noch war er unerschrocken. Um seine Lippen lagen Spott und kalter Zorn, und mit seinem Wissen erhielt er neue Kraft. Der Weg war nicht weit, aber der Schnee war tief, und er schleppte sich sehr langsam vorwärts. Als er einmal lange still dalag, drehte ich ihn um und blickte ihm in die Augen. Und zuweilen sah es aus, als könne er nicht weiter, und zuweilen schien er zu sterben. Als ich ihn aber losließ, schleppte er sich weiter. So kamen wir zum Feuer. Sofort war Unga neben ihm. Seine Lippen bewegten sich lautlos; dann zeigte er auf mich, damit Unga verstünde. Und hierauf lag er im Schnee, sehr still, sehr lange. Und noch jetzt liegt er im Schnee.

Ich sagte kein Wort, ehe ich die Schneehühner gekocht hatte. Dann sprach ich sie an in ihrer eigenen Sprache, die sie seit vielen Jahren nicht gehört hatte. Sie fuhr hoch, ihre Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen, und sie fragte, wer ich sei, und wo ich diese Sprache gelernt hätte.

›Ich bin Naaß‹, sagte ich.

›Du?‹ sagte sie. ›Du?‹ Und sie kroch dicht zu mir, daß sie mich sehen konnte.

›Ja‹, antwortete ich; ›ich bin Naaß, der Häuptling von Akatan, der letzte meines Blutes, wie du die letzte des deinen bist.‹

Und sie lachte. Bei allem, was ich je gesehen, bei allen Taten, die ich verrichtet habe – laßt mich nie wieder ein solches Lachen hören. Es goß Frost in meine Seele, wie ich hier im weißen Schweigen saß, allein mit dem Tode und mit dieser Frau, die lachte. ›Komm‹, sagte ich, denn ich glaubte, sie wäre irre. ›Iß und laß uns weiter kommen. Es ist ein weiter Weg von hier nach Akatan.‹

Aber sie grub ihr Gesicht in seine gelbe Mähne und lachte, daß es klang, als ob alles über uns zusammenstürzte. Ich hatte geglaubt, daß sie bei meinem Anblick außer sich vor Freude und eifrig sein würde, zu den Erinnerungen der alten Zeit zurückzukehren; dies aber schien mir seltsam.

›Komm!‹ rief ich und packte sie an der Hand. ›Der Weg ist weit und dunkel. Laß uns eilen.‹

›Wohin?‹ fragte sie, indem sie sich aufsetzte und innehielt in ihrer seltsamen Lustigkeit.

›Nach Akatan‹, antwortete ich und spähte ihr ins Gesicht, um zu sehen, wie es sich bei dem Gedanken erhellte. Aber es war, als erhärteten ihre Lippen in Spott und kaltem Zorn.

›Ja‹, sagte sie. ›Wir wollen Hand in Hand nach Akatan gehen, du und ich. Und wir wollen in den schmutzigen Hütten leben und Fisch und Tran essen und eine Brut in die Welt setzen – eine Brut, auf die wir bis ans Ende unserer Tage stolz sind. Wir wollen sehr glücklich sein und die Welt vergessen. Es ist gut, herrlich. Komm, laß uns eilen. Laß uns zurück nach Akatan gehen.‹

Und sie ließ die Hand durch sein gelbes Haar gleiten und lächelte auf eine Art, die nicht gut war, und es war kein Versprechen in ihren Augen.

Ich saß schweigend da und wunderte mich über die Seltsamkeit des Weibes. Ich dachte an die Nacht, da er sie von mir fortschleppte und sie schrie und an seinem Haar zerrte – diesem Haar, mit dem sie jetzt spielte, und das sie nicht verlassen wollte. Dann erinnerte ich mich des Preises, den ich für sie bezahlt, und der langen Jahre, die ich gewartet hatte; und ich packte sie und schleppte sie fort, wie er getan. Und sie wehrte sich, gerade wie an jenem Abend, und kämpfte wie eine Katze für ihr Junges; und als das Feuer zwischen uns und dem Manne lag, ließ ich sie los, und sie setzte sich nieder und lauschte. Und ich erzählte ihr von allem, was dazwischen lag, von allem, was mir auf den fremden Meeren begegnet war, und was ich in fremden Ländern getan hatte; von meiner mühseligen Suche, von den Jahren des Hungers und dem Versprechen, das von Anfang an mein gewesen war. Ja, ich erzählte ihr alles von dem, was an jenem Tage zwischen dem Mann und mir vorgefallen war, bis zu den noch jungen Tagen. Und wie ich so sprach, sah ich das Versprechen in ihren Augen wachsen, voll und groß, wie der Anbruch der Morgenröte. Und ich las in ihnen Mitleid, die Zärtlichkeit und Liebe eines Weibes und Ungas Herz und Seele. Und ich wurde wieder zum Jüngling, denn der Blick war der Blick Ungas, wie sie damals lachend über den Strand nach dem Hause ihrer Mutter gelaufen war. Die quälende Unruhe, Hunger und Warten waren fort. Die Stunde war gekommen. Ich fühlte den Ruf ihrer Brust, und mir war, als sollte ich mein Haupt dort bergen und vergessen. Sie öffnete mir ihre Arme, und ich näherte mich ihr. Da flammte plötzlich der Haß in ihren Augen auf, ihre Hand suchte meinen Gürtel. Und einmal, zweimal stach sie mich mit dem Messer.

›Hund!‹ fauchte sie und schleuderte mich in den Schnee. ›Schwein!‹ Und dann lachte sie, daß das Schweigen brach, und ging zu ihrem Toten zurück.

Wie gesagt, einmal und zweimal stach sie mich; aber sie war vom Hunger geschwächt, und es war nicht bestimmt, daß ich sterben sollte. Aber ich wäre doch am liebsten dort geblieben und hätte meine Augen zum letzten langen Schlaf geschlossen bei denen, deren Leben das meine gekreuzt und meine Füße auf unbekannte Pfade gelenkt hatte. Aber es lag noch eine Schuld auf mir, die mir keine Ruhe ließ.

Und der Weg war lang, die Kälte bitter, und es gab nur wenig Nahrung. Die Pellys hatten keinen Elch gefunden und mein Depot geraubt. Und ebenso hatten die drei weißen Männer getan; aber sie lagen, als ich vorbeikam, dürr und tot in ihren Hütten. Dann weiß ich nichts mehr, bis ich hierher kam und Essen und Feuer – viel Feuer fand.«

Als er geendet hatte, kroch er mit einem gierigen Ausdruck am Herd zusammen. Lange spielten die flackernden Schatten der Tranlampe seltsam und unheimlich auf der Wand.

»Aber Unga!« rief Prince, dem die Szene deutlich vor Augen stand.

»Unga? Sie wollte nicht von den Schneehühnern essen. Sie lag über ihm, die Arme um seinen Hals geschlungen und das Gesicht tief in seinem gelben Haar verborgen. Ich zog sie näher zum Feuer, daß sie die Kälte nicht fühlte, aber sie kroch auf die andere Seite. Und ich errichtete dort ein Feuer. Das nutzte jedoch sehr wenig, denn sie wollte nichts essen. Und so liegen sie noch dort im Schnee.«

»Und du?« fragte Malemute Kid.

»Ich weiß nicht. Aber Akatan ist klein, und ich habe nicht viel Lust, wieder dorthin zu gehen und am Rande der Welt zu leben. Das Leben bietet nur wenig Freude. Ich kann nach Constantine gehen, und man wird mich in Eisen legen, und eines Tages werden sie ein Seil strammen, und ich werde einen guten Schlaf tun. Und doch – nein; ich weiß nicht.«

»Aber Kid,« wandte Prince ein, »das ist ja Mord.«

»Still!« befahl Malemute Kid. »Es gibt Dinge, die größer als unsere Weisheit sind und jenseits unserer Gerechtigkeit liegen. Wir können nicht sagen, was recht und unrecht dabei ist, und es kommt uns nicht zu, zu richten.«

Naaß kroch noch näher ans Feuer. Es war ein großes Schweigen, und jeder der drei Männer sah viele Bilder kommen und gehen.


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