Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Schatten und das Funkeln

Wenn ich daran zurückdenke, dann wird es mir klar, wie merkwürdig diese Freundschaft war. Erstens dieser Lloyd Inwood, hochgewachsen, schlank und gut gebaut, nervös und dunkel. Und zweitens Paul Tichlorne, schlank und gut gebaut, nervös und blond. Sie glichen sich in allem bis auf die Farbe. Lloyd war schwarz, Paul blond. Wenn das Blut ihnen in erregten Augenblicken zu Kopfe stieg, erhielt Lloyds Gesicht einen olivfarbenen Schein, das Pauls wurde purpurrot. Abgesehen von diesem Unterschied in Teint und Farbe glichen sie einander wie zwei Tropfen Wasser. Beide waren hochgespannt, stets zu außerordentlichen Anstrengungen und Strapazen geneigt und lebten immer unter Volldampf.

Aber diese Freundschaft umfaßte ein Trio, und der Dritte war klein, dick, untersetzt und faul, und dieser Dritte war, so ungern ich es gestehe, ich selbst. Paul und Lloyd waren offenbar dazu geboren, miteinander zu rivalisieren, ich dagegen, Frieden zu stiften. Wir wuchsen alle drei zusammen auf, und ich habe oft die heftigen Schläge hinnehmen müssen, die die beiden andern sich gegenseitig zugedacht hatten. Sie konkurrierten stets miteinander und versuchten sich zu überbieten, und wenn sie sich erst in einen Kampf eingelassen hatten, kannten weder ihre eifrigen Anstrengungen noch ihre Leidenschaften eine Grenze. Dieser starke Wetteifer herrschte sowohl in ihren Studien wie in ihrem Spiel. Lernte Paul einen Gesang des »Homer« auswendig, so lernte Lloyd zwei Gesänge, dann kam Paul mit dreien und Lloyd wieder mit vieren, bis sie beide das ganze Gedicht auswendig konnten. Ich erinnere mich eines Ereignisses, das eines Tages im Schwimmbassin stattfand – eines Ereignisses, das in trauriger Weise charakteristisch für ihre Neigung zu einem Kampf auf Leben und Tod war. Die Knaben belustigten sich zuweilen damit, bis auf den Grund eines drei Meter tiefen Teiches zu tauchen und sich an den Wurzeln unten festzuhalten, um zu sehen, wer am längsten unter Wasser bleiben konnte. Paul und Lloyd beschlossen nach gegenseitigen Anzapfungen zusammen zu tauchen. Als ich ihre harten, entschlossenen Gesichter im Wasser verschwinden sah, durch das sie schnell niedersanken, ahnte ich gleichsam, daß etwas Schreckliches geschehen würde. Die Sekunden vergingen, die Ringe im Wasser verschwanden, der Spiegel des Teiches wurde wieder glatt und ruhig, aber weder der dunkle noch der blonde Kopf tauchte wieder auf, um Atem zu schöpfen. Wir Zuschauer begannen ängstlich zu werden. Der von dem ausdauerndsten Knaben aufgestellte Zeitrekord war längst geschlagen, aber immer noch zeigte sich keiner von ihnen. Einige Luftblasen, die langsam zur Oberfläche emporquollen, zeigten, daß ihre Lungen sich von Luft entleerten, und einen Augenblick darauf stiegen auch keine Luftblasen mehr empor. Jede Minute erschien wie eine Ewigkeit, und schließlich stürzte ich mich ins Wasser, außerstande, die Spannung noch länger zu ertragen.

Ich fand sie auf dem Grunde, krampfhaft an die Wurzeln geklammert; ihre Köpfe waren nicht einen Fuß voneinander entfernt, und sie starrten sich gerade in die Augen. Sie litten schreckliche Qualen, wanden sich vor Pein bei ihrem freiwilligen Erstickungsversuch, aber keiner von ihnen wollte loslassen und sich für besiegt erklären. Ich versuchte, Pauls Hände von der Wurzel loszureißen, aber er leistete kräftigen Widerstand. Dann mußte ich selbst an die Oberfläche, um Luft zu schöpfen. Ich erklärte den anderen schnell die Situation, und ein Dutzend von ihnen tauchte hinunter und riß sie mit Gewalt los.

Als wir sie wieder auf dem Lande hatten, waren beide bewußtlos, und erst nachdem sie hin und her gerollt, geknetet und bearbeitet waren, kamen sie schließlich wieder zu sich. Sie wären ertrunken, wenn ihnen niemand zu Hilfe geeilt wäre.

Als Paul Tichlorne die Universität bezog, ließ er seine Umgebung verstehen, daß er sich auf die Nationalökonomie stürzen wollte. Lloyd Inwood, der gleichzeitig sein Studium begann, wählte dasselbe Fach. Aber Paul war sich die ganze Zeit im geheimen darüber klar gewesen, daß er sich tatsächlich auf Naturwissenschaft, speziell auf Chemie, legen wollte, und so sattelte er im letzten Augenblick um. Obwohl Lloyd schon seine Studienpläne für das kommende Jahr gemacht und die erste Vorlesung gehört hatte, folgte er doch augenblicklich Pauls Beispiel und begann Naturwissenschaft, speziell Chemie, zu studieren. Es dauerte nicht lange, so war dieser Wettstreit der allgemeine Unterhaltungsstoff an der Universität geworden. Sie spornten sich gegenseitig an und drangen tiefer in die Geheimnisse der Chemie ein, als Studenten je zuvor getan, so tief, daß sie, noch ehe sie ihr Examen gemacht hatten, tatsächlich jeden Professor der Chemie und jeden Professor ihrer Fakultät überhaupt übertrumpften, mit Ausnahme des alten Moss, des ersten Gelehrten der Fakultät, und selbst ihn übertrumpften sie und belehrten ihn mehr als einmal. Lloyds Entdeckung des »Todesbazillus« des Froschfisches schuf ihm und der Universität Weltruf, und Paul war ihm dicht auf den Fersen, indem es ihm glückte, in seinem Laboratorium Gelatinepräparate herzustellen, die amöbenhafte Lebensfunktionen aufwiesen, und indem er ferner durch seine verblüffenden Experimente mit einfachen Chlornatrium- und Magnesiumlösungen an niedrigen Formen der Meeresfauna neues Licht auf den Befruchtungsprozeß warf.

Es geschah indessen in ihren Studententagen und zu einem Zeitpunkt, als sie bis über die Ohren in den Mysterien der organischen Chemie vergraben waren, daß Doris Van Benschoten in ihrem Leben auftauchte. Lloyd traf sie zuerst, aber Paul sorgte binnen vierundzwanzig Stunden dafür, daß auch er ihre Bekanntschaft machte. Selbstverständlich verliebten sich beide in sie, und sie wurde das einzige, was das Leben für sie beide lebenswert machte. Sie bewarben sich um sie mit derselben Glut und demselben Feuer, und ihr Kampf um sie wurde so heftig, daß fast alle Studenten begannen, Wetten bezüglich des Ausganges abzuschließen. Selbst der alte Moss ließ sich eines Tages, nachdem er Paul in seinem Laboratorium einen verblüffenden Versuch hatte ausführen sehen, verleiten, ein ganzes Monatsgehalt darauf zu halten, daß Paul der Bräutigam Doris Van Benschotens werden würde. Zuletzt löste sie das Problem auf ihre Weise und zur Zufriedenheit aller außer Paul und Lloyd. Nachdem sie sie eines Tages zusammen eingeladen hatte, sagte sie, daß es ihr tatsächlich ganz unmöglich sei, zwischen ihnen zu wählen, da sie sie beide gleich lieb hätte, und da es unglücklicherweise in den Vereinigten Staaten nicht erlaubt wäre, mehrere Männer zu haben, so sähe sie sich genötigt, auf die Ehre, einen von ihnen zu heiraten, zu verzichten.

Sie gaben sich in der Folge gegenseitig die Schuld an diesem bedauerlichen Resultat, und die Spannung zwischen ihnen wuchs.

Aber die Dinge spitzten sich immer mehr zu. Es geschah in meinem Hause, nachdem sie ihr Examen gemacht hatten und von der Bildfläche verschwunden waren, daß das Ende seinen Anfang nahm. Sie waren beide wohlhabend, brauchten daher keine Stellung anzunehmen und hatten auch keine Lust dazu. Meine Freundschaft und ihre gegenseitige Verbitterung waren es, die sie miteinander verbanden. Obwohl sie mich sehr oft besuchten, bemühten sie sich doch bei solchen Besuchen hartnäckig, einander auszuweichen, obwohl es, wie die Dinge nun einmal lagen, unvermeidlich war, daß sie sich trafen. An dem Tag, an den ich denke, war Paul Tichlorne den ganzen Morgen in eine soeben erschienene Nummer einer wissenschaftlichen Zeitschrift in meinem Arbeitszimmer vertieft. Dadurch hatte ich Zeit für mich gehabt und war draußen bei meinen Rosen beschäftigt gewesen, als Lloyd sich einfand. Ich beschnitt die Schlingrosen und band sie an der Gartenpforte auf, wobei ich den ganzen Mund voller Stifte hatte, und Lloyd folgte mir und half mir hin und wieder. Allmählich gerieten wir in eine Diskussion über die mystischen Unsichtbaren der Sage, diese merkwürdigen, ruhelosen Gestalten, von denen die Überlieferung uns soviel zu berichten weiß. Lloyd redete sich warm, sprach in seiner nervösen, stoßweisen Art und begann Betrachtungen über die Eigentümlichkeiten und Möglichkeiten der Unsichtbarkeit anzustellen. Ein völlig schwarzer Gegenstand würde sich, wie er behauptete, dem schärfsten Auge entziehen.

»Farbe ist ein Sinneseindruck«, sagte er, »ohne objektive Realität. Ohne Licht können wir weder die Farbe noch die Dinge selbst sehen. Alle Dinge sind im Dunkeln schwarz, und im Dunkeln ist es unmöglich, sie zu sehen. Wenn kein Licht auf sie fällt, wird auch kein Licht auf das Auge zurückgeworfen, das uns daher keine Bestätigung ihrer Existenz gibt.«

»Aber wir sehen doch im Tageslicht schwarze Dinge«, wandte ich ein.

»Sehr richtig«, fuhr er eifrig fort. »Und das kommt daher, daß sie nicht völlig schwarz sind. Wären sie völlig schwarz, absolut schwarz sozusagen, so könnten wir sie nicht sehen. Ja, wir würden sie nicht sehen, und wenn es im Licht von tausend Sonnen wäre. Und deshalb sage ich, daß man mit den richtigen Farbstoffen in der richtigen Mischung eine absolut schwarze Farbe erzeugen können müßte, die alles, was damit bestrichen würde, unsichtbar macht.«

»Das wäre eine merkwürdige Entdeckung«, sagte ich zurückhaltend; denn es erschien mir zu phantastisch, um etwas anderes zu sein als ein geistreicher Versuch.

»Merkwürdig –« Lloyd schlug mich auf die Schulter – »ja, das sollte ich meinen. Wenn ich mich selbst mit einer solchen Farbe anstreichen würde, mein Junge, dann könnte ich mir die Welt zu Füßen legen. Die Geheimnisse der Könige und der Höfe würden vor mir entschleiert, das Ränkespiel der Diplomaten und Politiker, die Manöver der Börsianer, die Pläne der Truste und Verbände. Ich könnte meine Hand am geheimsten Puls der Ereignisse halten und würde die größte Macht der Welt werden. Und ich –«, er hielt plötzlich inne, fügte aber gleich darauf hinzu: »Nun ja, ich habe mein Experiment begonnen und kann es dir ebensogut gleich erzählen: Ich stehe jetzt vor dem Ziel.«

Wir fuhren zusammen, denn von der Tür ertönte Lachen. Es war Paul Tichlorne, der mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen dort stand.

»Du vergißt etwas, mein lieber Lloyd«, sagte er.

»Was vergesse ich?«

»Du vergißt«, fuhr Paul fort, »oh, du vergißt den Schatten.«

Ich sah, daß Lloyds Gesicht lang wurde, aber er antwortete spöttisch: »Ich kann mit einem Sonnenschirm gehen, mein Freund.« Dann wandte er sich plötzlich heftig zu ihm und sagte: »Jetzt will ich dir etwas sagen, Paul, steck deine Nase nicht in diese Sache, das rate ich dir.«

Eine ernstere Szene schien unvermeidlich, aber Paul lachte gutmütig. »Es fällt mir gar nicht ein, deine schmutzigen Farben anzurühren, aber selbst wenn du einen Erfolg hast, der deine kühnsten Erwartungen übertrifft, so wirst du doch nie um den Schatten herumkommen. Das ist unmöglich. Ich gedenke gerade den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Meiner Idee zufolge wird der Schatten ausgetilgt.«

»Durchsichtigkeit«, rief Lloyd sofort. »Aber die ist nicht zu erreichen.«

»O nein, natürlich nicht.« Paul zuckte die Achseln, wandte sich um und entfernte sich auf dem Rosenwege. So fing es an. Die beiden gingen mit ihrer bekannten heftigen Energie und mit einer Wut und Verbissenheit auf das Problem los, daß ich vor Angst zitterte, einer von ihnen möchte sein Ziel erreichen. Sie hatten beide unbegrenztes Vertrauen zu mir, und in den vielen langen Wochen, die die Experimente jetzt in Anspruch nahmen, machten sie mich zu ihrem Vertrauten, der ihr Theoretisieren anhören und ihren Darlegungen beiwohnen mußte. Nie gab ich dem einen durch ein Wort oder Zeichen auch nur den geringsten Wink von den Fortschritten des anderen, und sie achteten mich wegen meiner Verschwiegenheit.

Wenn Lloyd Inwood Leib und Seele durch lange ununterbrochene Arbeit so angestrengt hatte, daß er nicht weiter konnte, hatte er eine merkwürdige Art, sich zu erfrischen. Er besuchte Boxkämpfe. Zu einer dieser brutalen Vorstellungen hatte er mich mitgenommen, um mir von seinen letzten Ergebnissen zu erzählen, die seine Theorie auf eine schlagende Art und Weise bestätigten.

»Kannst du den Mann dort mit dem roten Backenbart sehen?« fragte er und zeigte über den Ring hinweg nach der fünften Bankreihe auf der anderen Seite. »Und kannst du den Mann sehen, der neben ihm sitzt, den mit dem weißen Hut? Nun, es ist gewissermaßen ein Zwischenraum zwischen ihnen, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete ich, »sie sitzen einen Platz auseinander. Der Zwischenplatz ist leer.«

Er beugte sich zu mir und sagte feierlich:

»Zwischen dem rotbärtigen Mann und dem mit dem weißen Hut sitzt Ben Wasson. Du hast mich von ihm reden hören. Er ist der tüchtigste Boxer seiner Gewichtsklasse im Lande. Außerdem ist er ein karibischer Neger. Vollblutneger. Der schwärzeste Neger in den Vereinigten Staaten. Er trägt einen schwarzen, zugeknöpften Überzieher. Ich sah ihn, als er hereinkam und sich auf den Platz drüben setzte. Sobald er sich gesetzt hatte, war er verschwunden. Paß gut auf, es ist möglich, daß er lächelt.«

Ich wäre am liebsten hinübergegangen, um die Bestätigung von Lloyds Behauptung zu erhalten, aber er hielt mich zurück.

»Warte«, sagte er.

Ich wartete und starrte hinüber, bis der Mann mit dem roten Backenbart den Kopf so drehte, als ob er sich an den leeren Platz wandte; im selben Augenblick sah ich auf dem leeren Platz das Weiße in einem rollenden Augenpaar und den weißen Halbmond zweier Zahnreihen, und in ebendiesem Augenblick konnte ich ein Negergesicht erkennen. Als aber das Lächeln verschwand, war er wieder unsichtbar geworden, und der Platz machte den Eindruck, als wäre er leer.

»Wäre er vollkommen schwarz, so könntest du neben ihm sitzen und ihn doch nicht sehen«, sagte Lloyd, und ich muß gestehen, daß dieses Beispiel mich beinahe überzeugte.

Ich besuchte von jetzt an oft Lloyds Laboratorium und fand ihn stets in den Versuch vertieft, das absolute Schwarz zu finden. Seine Versuche umfaßten alle Arten Farbstoffe, zum Beispiel Lampenruß, Teer, verkohlte Pflanzen, Ruß aus der Verbrennung von Ölen und Fettstoffen und verschiedene verkohlte tierische Substanzen.

»Weißes Licht besteht aus sieben Grundfarben«, behauptete er. »Aber es ist selbst, in sich, unsichtbar. Nur indem es von Dingen zurückgeworfen wird, werden es selbst und die Dinge sichtbar. Aber nur der Teil, der zurückgeworfen wird, wird sichtbar. Hier ist zum Beispiel eine blaue Tabaksdose. Das weiße Licht fällt auf sie, und mit einer einzigen Ausnahme werden alle Farben, aus denen es selbst gebildet wird, absorbiert – Violett, Indigo, Grün, Gelb, Orange und Rot. Die einzige Ausnahme bildet Blau. Das wird nicht absorbiert, sondern zurückgeworfen. Die Tabaksdose macht auf uns daher den Eindruck, daß sie eine blaue Farbe hat. Wir sehen die anderen Farben nicht, weil sie absorbiert sind. Wir sehen nur das Blau. Aus demselben Grunde ist Gras grün. Die grüne Welle des weißen Lichtes wird zu unseren Augen zurückgeworfen ...«

»Und wenn wir unsere Häuser anstreichen, bestreichen wir sie nicht mit Farbe«, sagte er ein andermal. »Wir tun folgendes: Wir bestreichen sie mit gewissen Substanzen, die die Eigenschaft haben, von weißem Licht alle anderen Farben zu verschlucken außer der, in der unser Haus erscheinen soll. Wenn eine Substanz dem Auge alle Farben zurückwirft, fassen wir sie als weiß auf. Verschluckt sie alle Farben, so ist sie schwarz. Aber, wie ich sagte: Das absolute Schwarz haben wir noch nicht. Alle Farben werden noch nicht absorbiert. Das absolute Schwarz wird völlig unsichtbar sein. Sieh einmal her.«

Er zeigte auf eine Palette, die auf seinem Arbeitstisch lag. Sie war mit verschiedenen Tönungen schwarzer Farbstoffe bestrichen. Eine der Nuancen namentlich war es mir fast unmöglich zu sehen. Sie erzeugte gleichsam Nebelflecke vor meinen Augen. Ich rieb sie und starrte dieses Schwarz wieder an.

»Dies hier«, sagte er mit Nachdruck, »ist das schwärzeste Schwarz, das du oder ein anderer Sterblicher je gesehen hat. Aber warte nur, ich werde ein Schwarz machen, das so schwarz ist, daß kein Sterblicher imstande ist, es zu betrachten – und es zu sehen.«

Paul Tichlorne pflegte ich ebenso vertieft in das Studium der Polarisation des Lichts, der Abweichung und Interferenz, einfacher und doppelter Strahlenbrechung und aller möglichen merkwürdigen organischen Mischungen zu finden.

»Durchsichtigkeit: Darunter ist zu verstehen, daß ein Körper sich in einem solchen Zustand befindet oder eine solche Eigenschaft besitzt, daß alle Lichtstrahlen durch ihn hindurchgehen.« So definierte er mir den Begriff. »Und einen solchen Zustand, solche Eigenschaften suche ich zu finden. Lloyd macht immer wieder die Dummheit mit dem undurchsichtigen Schatten. Und das geht nicht. Aber ein durchsichtiger Körper wirft keinen Schatten und wirft auch keine Lichtwellen zurück. Das heißt, der vollkommen durchsichtige Körper. Ein solcher Körper wird daher, wenn man Seitenlicht vermeidet, nicht allein keinen Schatten werfen, sondern auch, da er kein Licht zurückwirft, unsichtbar sein.«

Ein andermal standen wir zusammen am Fenster. Paul war damit beschäftigt, eine Anzahl Linsen zu polieren, die in einer Reihe auf dem Fensterbrett standen. Plötzlich sagte er nach einer Pause: »Oh, ich habe eine Linse verloren. Steck den Kopf hinaus, Alter, und sieh, wo sie ist.«

Ich wollte sofort den Kopf hinausstecken, aber ein starker Stoß gegen die Stirn ließ mich zurückfahren. Ich rieb mir die schmerzende Stelle und sah Paul, der vergnügt und knabenhaft lachte, vorwurfsvoll an.

»Nun?« sagte er.

»Nun?« wiederholte ich.

»Warum siehst du nicht nach?« fragte er. Und ich sah nach. Ehe ich den Kopf hinausgesteckt hatte, hatten mir meine rein automatisch arbeitenden Sinne den Eindruck gegeben, daß nichts vor mir wäre und daß sich nichts zwischen mir und der Luft draußen befände, daß die Fensteröffnung ganz leer sei. Jetzt streckte ich die Hand aus und fühlte etwas Hartes, Kühles und Ebenes, das, wie mir mein Tastsinn früherer Erfahrung gemäß sagte, Glas war. Ich sah noch einmal nach, konnte aber nicht das geringste sehen.

»Weißer Quarzsand«, zählte Paul auf, »Natriumkarbonat, gelöschter Kalk, zerstoßenes Glas und Mangan-Superoxyd – da hast du die Bestandteile; es ist das feinste französische Spiegelglas, fabriziert von der großen St.-Gobain-Kompanie, die das feinste Spiegelglas in der Welt herstellt, dieses Stück ist das feinste, das sie je zustande gebracht hat. Es stellt das Lösegeld eines Königs dar. Aber sieh es einmal richtig an. Du kannst es nicht sehen. Du hattest keine Ahnung, daß es da war, ehe du dir den Kopf daran stießest. Na, mein Alter! Das ist nur eine Art Anschauungsunterricht. Gewisse an sich undurchsichtige Elemente sind derart zusammengemischt, daß als Endergebnis ein durchsichtiger Körper herauskommt. Aber das gehört zur anorganischen Chemie, wirst du einwenden. Sehr richtig. Wie ich aber hier auf meinen zwei Beinen stehe, wage ich zu behaupten, daß ich auf organischem Gebiet ebensoviel leisten kann wie auf anorganischem. Sieh!« Er hielt ein Reagenzglas zwischen mich und das Licht, und ich sah, daß es eine trübe oder schleimige Flüssigkeit enthielt. Er goß den Inhalt eines anderen Reagenzglases hinzu, und fast augenblicklich wurde es klar und funkelnd.

»Oder hier«, er suchte mit schnellen, hastigen Bewegungen unter den vor ihm aufgestellten Reagenzgläsern und verwandelte eine weiße Lösung in eine weinfarbene, eine hellgelbe Flüssigkeit in eine dunkelbraune. Er tauchte ein Stück Lackmuspapier in eine Säure, es wurde augenblicklich rot. Und nachdem er sie mit einer alkalischen Flüssigkeit getränkt hatte, wurde es ebenso schnell blau.

»Das Lackmuspapier ist immer noch dasselbe Lackmuspapier«, sagte er in einem formellen, dozierenden Vorlesungston. »Ich habe es nicht in etwas anderes verwandelt. Aber was habe ich denn getan? Ich habe nur die innere Ordnung seiner Moleküle verändert. Während zuerst alle Farben mit Ausnahme von Rot vom Licht aufgesaugt wurden, hat sich der Bau seiner Moleküle jetzt so verändert, daß es alle Farben mit Ausnahme von Blau absorbiert. Und so geht es ins Unendliche fort. Sieh, jetzt will ich folgendes tun.« Er machte eine kurze Pause. »Ich will eben die Reagenzen suchen – ja, und finden –, die auf den lebenden Organismus so wirken, daß sie molekulare Veränderungen hervorrufen ähnlich denen, deren Zeuge du soeben gewesen bist. Aber diese Reagenzen, die ich finden werde und die ich im übrigen schon gefunden habe, werden den lebenden Körper nicht in einen blauen, roten oder schwarzen, sondern in einen durchsichtigen verwandeln. Alles Licht wird geradeswegs hindurchgehen. Er wird unsichtbar werden. Er wird keinen Schatten werfen.«

Einige Wochen später ging ich eines Tages mit Paul auf die Jagd. Er hatte mir schon lange versprochen, daß ich das Vergnügen haben sollte, mit einem wunderbaren Hund zu jagen. – Tatsächlich dem wunderbarsten Hund, mit dem ich je gejagt hätte, das versicherte er mir jedenfalls, und er versicherte es mir so lange, bis meine Neugier rege war.

An dem erwähnten Morgen aber war ich enttäuscht, denn es war kein Hund zu sehen.

»Nirgends zu sehen«, sagte Paul unbesorgt, und wir begannen über die Felder zu streifen.

Ich konnte an diesem Morgen nicht begreifen, was mir fehlte, aber ich hatte das Gefühl, daß eine ernste Krankheit bei mir ausbrechen sollte. Meine Nerven waren schwer angegriffen, und meine Sinne schienen, nach den Streichen zu urteilen, die sie mir spielten, durchzugehen. Hin und wieder hörte ich ein leises Rascheln von Gras, das beiseite gedrängt wurde, und einmal an einer Stelle, wo der Boden steinig war, das Trippeln von Füßen.

»Hast du etwas gehört, Paul?« fragte ich einmal.

Aber er schüttelte den Kopf und ging ruhig weiter. Als ich über einen Zaun kletterte, hörte ich einen Hund leise und ungeduldig, offenbar nur einen Schritt von mir, winseln; als ich mich aber umblickte, konnte ich absolut nichts sehen. Matt und zitternd warf ich mich zu Boden.

»Paul«, sagte ich. »Wir müssen lieber heimgehen. Ich fürchte, daß ich krank werde.«

»Unsinn, Alter«, antwortete er. »Die Sonne ist dir zu Kopf gestiegen wie Wein. Es wird schon vorübergehen, es ist ja herrliches Wetter.«

Als wir einen schmalen Pfad passierten, der durch ein Pappelgehölz führte, streifte etwas meine Beine, so daß ich stolperte und fast gefallen wäre. Mit plötzlicher Angst blickte ich Paul an.

»Was gibt es?« fragte er. »Fällst du über deine eigenen Füße?«

Ich schwieg und trottete weiter, obwohl ich sehr verwirrt und ganz sicher war, daß irgendeine heftige, mystische Krankheit meine Nerven angegriffen hätte. Bis jetzt waren meine Augen nicht angegriffen gewesen; als wir aber aufs Feld hinauskamen, versagten auch sie. Merkwürdige Funken von verschiedener Farbe und wie mit einem Regenbogenschimmer kamen und schwanden auf dem Wege vor mir. Es gelang mir jedoch, mich zu beherrschen, bis die vielfarbigen Funken einmal ganze zwanzig Sekunden ununterbrochen vor mir tanzten und blitzten. Da setzte ich mich schwach und zitternd nieder.

»Jetzt ist es aus mit mir«, stöhnte ich und hielt mir die Hände vor die Augen. »Meine Augen sind angegriffen, Paul, bring mich nach Hause.«

Aber Paul lachte lange und laut. »Was habe ich dir gesagt? Der wunderbarste Hund, nicht wahr? Nun, was meinst du jetzt?«

Er wandte sich von mir ab und pfiff. Da hörte ich das Tappen von Füßen, das Schnaufen eines erhitzten Tieres und das unverkennbare Bellen eines Hundes. Im selben Augenblick bückte sich Paul und streichelte scheinbar den leeren Raum.

»Komm! Gib mir deine Hand.« Und er rieb mit meiner Hand über die kalte Schnauze und die Kiefer eines Hundes. Es war ganz zweifellos ein Hund, nach der Form und dem glatten, kurzhaarigen Fell zu urteilen ein Pointer.

Ich gewann schnell meine gute Laune und meine Selbstbeherrschung wieder. Paul legte dem Hund ein Halsband an und band ihm ein Taschentuch an den Schwanz. Und einen Augenblick später hatten wir den merkwürdigen Anblick, ein leeres Halsband und ein flatterndes Taschentuch wild über die Felder laufen zu sehen. Es war höchst eigentümlich, wie Halsband und Taschentuch ein Völkchen Wachteln zwischen einer Gruppe weißer Akazien am Boden festnagelte und unerschütterlich stillstand, bis wir die Wachteln geschossen hatten. Hin und wieder gingen von dem Hunde die vielfarbenen Funken aus, die ich erwähnt habe. Das sei das einzige, erklärte Paul, das er nicht vorausgesehen habe. Er zweifelte, ob es sich überwinden ließe.

»Sie bilden eine große Familie«, sagte er, »diese Sonnenhunde, Windhunde, Regenbögen, Sonnenhöfe und Nebensonnen. Sie entstehen durch Lichtbrechung in Mineral- und Eiskristallen, Nebel, Regen, Wassertropfen; tausend andere Dinge sind die Ursache, und ich fürchte, daß sie der Preis sind, den ich für die Durchsichtigkeit bezahlen muß. Lloyds Schatten habe ich vermieden, aber nur, um mir den Kopf an dem regenbogenartigen Funkeln einzustoßen.«

Einige Tage später schlug mir beim Eintritt in Pauls Laboratorium ein entsetzlicher Gestank entgegen. Er war so überwältigend, daß seine Quelle leicht zu entdecken war – nämlich eine auf der Türschwelle liegende, faulende Masse, die in ihren Konturen an einen Hund erinnerte.

Paul war sehr verblüfft, als er meinen Fund untersuchte. Es war sein unsichtbarer Hund oder vielmehr das, was einmal sein unsichtbarer Hund gewesen war, denn jetzt war er vollkommen sichtbar. Vor einigen Minuten war er noch lustig umhergesprungen, ohne daß ihm das geringste fehlte. Bei eingehender Untersuchung zeigte sich, daß seine Hirnschale durch einen starken Schlag zertrümmert war. Es war schon merkwürdig genug, daß der Hund getötet war, ganz unerklärlich aber, daß er so schnell in Verwesung übergegangen war. »Die Reagenzen, die ich ihm einspritzte, waren ganz unschädlich«, erklärte Paul. »Aber sie waren wirksam, und es scheint ja, daß sie nach dem Tode die augenblickliche Auflösung bewirken. Merkwürdig! Sehr merkwürdig! Nun, es gilt also nur, nicht zu sterben. Solange man am Leben ist, sind sie unschädlich. Aber ich möchte doch wissen, wer dem Tier den Kopf zerschmettert hat.«

Dieses Rätsel wurde indessen gelöst, als das Dienstmädchen mit der Nachricht kam, daß Gaffer Bedshaw am selben Morgen, vor nicht mehr als einer Stunde, irrsinnig geworden wäre, einen Tobsuchtsanfall gehabt hätte und jetzt mit Riemen gefesselt in der Jägerhütte läge, wo er von einem Kampf mit einer riesigen wilden Bestie phantasierte, der er auf Paul Tichlornes Wiese begegnet wäre. Er behauptete, daß das Geschöpf, welcher Art es nun auch sein mochte, unsichtbar war, was er mit eigenen Augen gesehen hätte. Seine weinende Frau und seine Töchter hatten, als er es erzählte, den Kopf geschüttelt, was ihn nur noch wütender gemacht hatte, so daß der Gärtner und der Kutscher die Riemen noch ein Loch enger schnallen mußten.

Während Paul Tichlorne so mit entschiedenem Erfolg das Problem der Unsichtbarkeit gelöst hatte, war Lloyd auch nicht faul gewesen. Er hatte nach mir geschickt – ich sollte zu ihm kommen und sehen, wie es ihm ging; deshalb begab ich mich eines Tages zu ihm. Sein Laboratorium lag an einer entlegenen Stelle mitten in dem ihm gehörenden großen Grundstücke. Es war in einer ansprechenden kleinen Lichtung erbaut, auf allen Seiten von dichtem Wald umgeben, und man gelangte auf einem wilden, verschlungenen Pfad dorthin. Aber ich war den Pfad so oft gegangen, daß ich jeden Zoll von ihm kannte. Man denke sich daher mein Erstaunen, als ich die Lichtung erreichte und das Laboratorium nicht sah. Das originelle Haus mit seinem roten Sandsteinkamin war fort. Es sah aus, als hätte es nie dort gestanden. Man sah keine Ruine, keine Reste von Baumaterialien, nichts war zu sehen.

Ich ging zu der Stelle, wo sich das Laboratorium einst befand. »Hier ungefähr«, sagte ich bei mir, »sollte die Treppe zur Tür hinaufführen.« Kaum waren die Worte meinem Munde entflohen, als ich mit dem Fuß an irgendein Hindernis stieß, vornüberfiel und mir den Kopf an etwas stieß, das in hohem Maße den Eindruck einer Tür machte. So streckte ich die Hand aus. Es war wirklich eine Tür. Ich erreichte die Klinke und drückte sie nieder. Und im selben Augenblick, als die Tür sich nach innen öffnete, lag das ganze Innere des Laboratoriums vor mir. Nachdem ich Lloyd begrüßt hatte, schloß ich die Tür wieder von außen und ging ein paar Schritte rücklings den Weg hinab. Ich konnte nicht das geringste von dem Hause sehen. Als ich wiederkam und die Tür öffnete, wurden die Möbel und jede Einzelheit im Innern des Hauses plötzlich wieder sichtbar. Dieser plötzliche Übergang von einem leeren Raum zu Licht, Form und Farbe war tatsächlich verblüffend.

»Na, was meinst du dazu?« fragte Lloyd und drückte mir die Hand. »Ich habe gestern nachmittag das Haus ein paarmal mit absolutem Schwarz angestrichen, um die Wirkung zu sehen. Was macht dein Kopf? Du hast ihn dir tüchtig gestoßen, glaube ich.« »Ach, es ist nicht der Rede wert«, unterbrach er meine Glückwünsche. »Ich habe noch etwas viel Besseres für dich.«

Während er drauflosschwatzte, begann er sich zu entkleiden, und als er schließlich nackt vor mir stand, gab er mir einen Farbtopf und einen Pinsel in die Hand und sagte: »Bitte, bestreiche mich einmal damit.«

Es war ein öliger, schellackartiger Stoff, der sich schnell und leicht auf der Haut verstreichen ließ und augenblicklich trocknete.

»Das ist nur eine Vorsichtsmaßregel«, erklärte er, als ich fertig war; »jetzt wollen wir den richtigen, den eigentlichen Stoff nehmen.«

Ich bückte mich und nahm einen anderen Farbtopf, auf den er wies. Ich guckte hinein, konnte aber nichts sehen.

»Der ist leer«, sagte ich.

»Steck deinen Finger hinein.«

Das tat ich und hatte das Gefühl, in einer kühlen Flüssigkeit zu rühren. Als ich die Hand zurückzog, sah ich auf meinen Zeigefinger, den Finger, den ich in den Topf gesteckt hatte. Aber der Finger war verschwunden. Ich bewegte ihn und wußte, daß ich ihn bewegte, da ich spüren konnte, wie die Muskeln abwechselnd sich spannten und erschlafften. Aber sehen konnte ich es nicht. Es sah ganz aus, als wäre mir ein Finger abgeschnitten worden; ich konnte keinen Gesichtseindruck von ihm erhalten, ehe ich ihn ins Licht hielt und sah, daß sein Schatten sich deutlich auf dem Fußboden abzeichnete.

Lloyd lachte still: »Jetzt streiche mich an, aber halte die Augen dabei offen.«

Ich tauchte den Pinsel in den scheinbar leeren Topf und führte einen langen Pinselstrich über seine Brust. Das lebende Fleisch verschwand unter dem Pinsel. Ich überstrich sein rechtes Bein, und er verwandelte sich in einen Einbeinigen, der allen Gesetzen der Schwere spottete. Und so bestrich ich nacheinander Glied auf Glied, und Lloyd Inwood wurde zum reinen Nichts. Es war ein unheimliches Erlebnis, und ich war froh, als schließlich nichts mehr zu sehen war als seine brennend schwarzen Augen, die scheinbar frei in der Luft schwebten.

»Für die habe ich eine raffinierte und dabei unschädliche Lösung. Eine feine Dusche mit einer kleinen Spritze, und hast du nicht gesehen, existiere ich nicht mehr.«

Als das rasch und gewandt besorgt war, sagte er: »Jetzt gehe ich ein bißchen umher, und du wirst mir deine Eindrücke erzählen.«

»Zunächst kann ich dich nicht sehen«, sagte ich und konnte sein frohes Lachen irgendwo im leeren Raum hören. »Selbstverständlich«, fuhr ich fort, »kannst du dich deinem eigenen Schatten nicht entziehen. Aber das war ja auch nicht zu erwarten. Wenn du zwischen mich und einen anderen Gegenstand gleitest, verschwindet der Gegenstand, aber sein Verschwinden ist so merkwürdig und unverständlich, daß ich gleichsam das Gefühl habe, alles zerflösse vor meinen Augen. Wenn du dich schnell bewegst, tanzen mir gleichsam eine Reihe verwirrender Nebelflecke vor den Augen. Das Gefühl, daß alles durcheinanderläuft und verwischt wird, ermüdet meine Augen und macht mir den Kopf schwer.«

»Hast du sonst irgendwie den Eindruck, daß ich da bin?« fragte er.

»Ja und nein«, antwortete ich. »Wenn du in meiner Nähe bist, überkommt mich ein Gefühl, das mich an feuchte Speicher, finstere Grüfte und tiefe Minenschächte erinnert. Und wie ein Seemann in dunklen Nächten den Nebel vom Lande spüren kann, so glaube ich die Atmosphäre deines Körpers zu spüren. Aber das alles ist nur sehr vage und unhandgreiflich.«

Wir sprachen an dem letzten Morgen in seinem Laboratorium lange miteinander, und als ich gehen wollte, legte er nervös seine unsichtbare Hand in die meine und sagte: »Jetzt werde ich mir die Welt erobern!« Ich hatte nicht den Mut, ihm zu erzählen, daß auch Paul Tichlorne das Problem erfolgreich gelöst hatte.

Zu Hause fand ich eine Mitteilung von Paul vor, in der er mich ersuchte, gleich zu ihm zu kommen; es war gegen zwölf Uhr mittags, als ich auf meinem Rad auf dem Fahrweg dahinsauste. Paul rief mich von dem Tennisplatz aus an, und ich stieg ab und ging hin. Aber der Tennisplatz war leer. Während ich noch mit offenem Munde dastand, traf mich ein Tennisball am Arm, und als ich mich umdrehte, sauste ein zweiter an meinem Ohr vorbei. Obwohl ich meinen Angreifer nicht sehen konnte, sausten mir die Bälle aus dem leeren Raum entgegen, ich wurde förmlich bombardiert. Als aber die Bälle, die schon nach mir geworfen waren, von neuem gegen mich geworfen wurden, verstand ich die Situation. Ich ergriff einen Schläger, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich einen Augenblick ein regenbogenartiges Funkeln, das bald kam und bald wieder verschwand, über den Platz schießen. Ich zielte danach, und als ich mit dem Schläger ein Dutzend kräftige Bälle gemacht hatte, hörte ich Pauls Stimme:

»Genug! Genug! Au! Au! Halt! Vergiß nicht, du triffst ja meine bloße Haut! Au! Au! Es ist gut! Es ist gut! Ich wollte dir nur meine Verwandlung zeigen«, sagte er kläglich, und ich hatte das Gefühl, daß er sich die schmerzenden Stellen rieb.

Ein paar Minuten darauf begannen wir Tennis zu spielen – ich war meinerseits stark im Nachteil, da ich keine Ahnung hatte, wo er sich befand, außer wenn die Winkel zwischen ihm, der Sonne und mir im rechten Verhältnis zueinander standen. War das der Fall, so kam das Funkeln, sonst nichts. Aber die Funken waren strahlender als ein Regenbogen – vom reinsten Blau, dem zartesten Violett, dem klarsten Gelb und aus allen dazwischenliegenden Schattierungen und dabei von der funkelnden Lichtstärke des Diamanten, blendend und spielend.

Als wir aber mitten im Spiel waren, fühlte ich plötzlich einen Kälteschauer, der mich an tiefe Minenschächte und finstere Grüfte erinnerte, einen Kälteschauer, genau wie ich ihn am Morgen gefühlt hatte. Im nächsten Augenblick sah ich einen Ball in der Nähe des Netzes mitten in der Luft und in der Leere zurückspringen, während gleichzeitig Paul Tichlorne ein Dutzend Schritte entfernt in den Farben des Regenbogens funkelte. Er konnte es also nicht sein, der den Ball zurückgeworfen hatte: Eine furchtbare Angst überkam mich, denn mir ging plötzlich auf, daß Lloyd Inwood auf dem Tennisplatz aufgetaucht war. Um Gewißheit zu haben, spähte ich nach seinem Schatten aus, und richtig, da war er, ein formloser Fleck, der sich, dem Umfang seines Körpers entsprechend (die Sonne stand hoch), über den Platz bewegte. Mir fiel die Drohung ein, die er ausgestoßen hatte, und ich war überzeugt, daß der Wettstreit all dieser vielen Jahre jetzt in einem unheimlichen Kampf gipfeln würde.

Ich rief Paul eine Warnung zu und hörte ein Knurren wie von einem wilden Tiere und als Antwort ein gleiches Knurren von der andern Seite. Ich sah, wie der dunkle Schattenfleck sich schnell über den Tennisplatz bewegte, und wie ein vielfarbiges Funkeln mit derselben Schnelligkeit ihm entgegeneilte. Im nächsten Augenblick waren der Schatten und das Funkeln aneinandergeraten, und ich hörte das Geräusch von Schlägen, die ich weder austeilen noch empfangen sah.

Das Netz fiel vor meinen entsetzten Augen zu Boden. Ich sprang zu den Kämpfenden hin und rief:

»Um Gottes willen!«

Aber ihre verschlungenen Körper stießen gegen mein Knie, und ich wurde umgeworfen.

»Bleib weg, Alter!« hörte ich Lloyds Stimme irgendwoher aus dem leeren Raum rufen. Und gleich darauf hörte ich Pauls Stimme: »Ja, wir haben genug von deinem Friedenstiften.«

Aus dem Klang ihrer Stimmen konnte ich hören, daß sie sich losgelassen hatten. Ich war mir nicht klar darüber, wo Paul sich befand, und ging daher auf den Schatten zu, welcher angab, wo Lloyd stand. Plötzlich aber erhielt ich von der andern Seite einen lähmenden Kinnhaken und hörte Paul wütend schreien: »Willst du jetzt endlich machen, daß du wegkommst!«

Fast im selben Augenblick gingen sie wieder aufeinander los; ihre heftigen Schläge, ihr Stöhnen und Schnaufen sowie die Schnelligkeit, mit der sowohl das Funkeln wie der Schatten sich bewegten, erzählten deutlich, welch ein Kampf auf Leben und Tod dort tobte.

Ich rief um Hilfe, und Gaffer Bedshaw kam auf den Tennisplatz gestürzt. Als er sich näherte, konnte ich sehen, daß er mich so merkwürdig anstarrte, aber er stieß mit den Kämpfenden zusammen und wurde kopfüber zu Boden geschleudert. Er stieß einen verzweifelten Schrei aus und rief: »O Gott, ich habe ihn!« Dann sprang er auf und stürzte wie ein Wahnsinniger davon.

Ich konnte nichts tun, saß nur verzaubert und machtlos da und beobachtete den Kampf. Die Mittagssonne warf ihre blendenden Strahlen auf den leeren Tennisplatz. Und er war wirklich leer. Das einzige, was ich sehen konnte, war der Schattenfleck und das regenbogenartige Funkeln, ferner der Staub, der von den unsichtbaren Füßen aufgewirbelt, die Erde, die unter den stampfenden Füßen aufgewühlt, und das Stahldrahtnetz, das ein- oder zweimal tief ausgebeult wurde, wenn ihre Körper dagegenschlugen. Das war alles, und nach einiger Zeit hörte auch das auf. Es war kein Funkeln mehr zu sehen, und der Schatten war lang und still geworden; mir fielen plötzlich ihre harten, verzerrten Knabengesichter ein, wie sie sich damals auf dem Grunde des kalten, tiefen Teichs an die Wurzeln geklammert hatten.

Man fand mich eine Stunde später. Der Dienerschaft kam etwas von dem Geschehenen zu Ohren, und sie verließ das Tichlornesche Haus. Gaffer Bedshaw überwand nie seinen zweiten Schrecken und lebt jetzt unheilbar geisteskrank in einer Anstalt. Das Geheimnis der wunderbaren Entdeckungen Pauls und Lloyds ging mit ihnen ins Grab, und ihre Laboratorien wurden von den trauernden Hinterbliebenen niedergerissen. Was mich betrifft, so kümmere ich mich nicht mehr um chemische Untersuchungen, und wissenschaftliche Probleme dürfen in meinem Hause nie erwähnt werden. Ich bin zu meinen Rosen zurückgekehrt. Die Farben der Natur sind mir gut genug.


 << zurück weiter >>