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Das Ringspiel.

Die Goldfackeln der Abendsonne warfen – wie Herbstesrosen – mitten durch mattviolette Flockenwölkchen glitzernde Edelsteine auf die Blätter einiger alter Bäume, die, noch feucht vom Gewittersturm, den Rasenplatz umkränzten. Der Garten lag zwischen den efeubewachsenen Mauern zweier Häuser in diesem stillen Stadtteile von Paris; ein Gitter mit vergoldeten Spitzen trennte ihn von der Straße. Die wenigen Leute, die dort vorbeikamen, konnten am Ende des Gartens das Wohnhaus sehen mit seiner hübschen Fassade und der unter der Markise im Halbschatten liegenden Freitreppe.

Da, auf dem Rasen, einsam im Abendleuchten, warfen drei blonde Kinder ihre Reifen – vierzehn, zwölf und zehn Jahre – o Blütenunschuld! – Eulalie, Bertrande und Cäcilie Rousselin, ein wenig drollig in ihren schwarzen Kleidchen. Lachend vor Lust – – und in tiefer Trauer – – das ist ihr Alter! – werfen sie sich mit den leichten Mahagonistäben die roten, goldumwundenen Ringe zu.

Ja, die schöne Frau Rousselin hatte ihren verstorbenen Gatten geliebt – der übrigens im Handel mit Kunstbroncen ein hübsches Vermögen erworben hatte – und die zärtliche und verführerische Hausfrau, diese Perle eines guten Bürgers, hatte sich nun hierhin mit ihren Töchterchen seit den zehneinhalb Monaten ihrer Witwenschaft, die ihr eine Ewigkeit dünkten, zurückgezogen.

In der Tat, nie war ihr Mann ihr so »ernsthaft« vorgekommen, seitdem er nun tot war. Das hatte ihn in den tränenden Augen der schönen Witwe verklärt. So fand sie in ihrer traurigen Zärtlichkeit ein Vergnügen daran, alle vierzehn Tage mit ihren drei kleinen Mädchen zum Kirchhof zu gehen, um an den weißen Mauern, die sie vorsorglich von oben bis unten mit Nägeln hatte versehen lassen, große Kränze aufzuhängen. Auf diesen Kränzen las man in Perlenbuchstaben »Meinem lieben Väterchen« oder »Meinem teuersten Gatten«. Manchmal bei besondern Gelegenheiten ging sie allein zum Friedhof, und hing dann mit schwermütigem, unbeschreiblichem Lächeln einen andern Kranz auf, der die Worte trug: »Denke daran!« Ja, selbst gegenüber Verstorbenen haben die Frauen noch Zärtlichkeiten, die die rohere Phantasie des Mannes nie verstehen kann, – für die aber die Toten gewiß nicht unempfindlich sind.

Trotzdem hatte die schöne Frau Rousselin, als tüchtige Hausfrau, bei der das Gefühl nicht die Berechnung ausschloß, schon nach den ersten drei Monaten herausbekommen, wie teuer ihr diese Kränze, die sie einzeln kaufte, kamen, und wie schnell sie verwelkten. Als sie daher in der Zeitung eine Annonce las, die künstliche Totenkränze anpries – hoch modern! galvanisierte! unzerstörbar! – da hatte sie sich gleich ein paar Dutzend davon gekauft, die sie kühl im Keller aufbewahrte und von denen sie alle vierzehn Tage einige dem teueren Verstorbenen brachte.

Die drei Kinder, deren goldene Locken auf den schwarzen Blusen hin und her hüpften, hörten plötzlich auf zu spielen, denn in der offenen Türe erschien ihre schöne, ernste Mama, ganz in schwarz und bleich in ihrer Verlassenheit. Sie hielt drei von den neuen Kränzen in der Hand, die sie, wie um den feierlichen Eindruck ihrer Worte noch zu erhöhen, auf den Gartentisch legte.

»Nun sammelt euch ein wenig, Fräuleinchen! Ihr habt genug gespielt: vergeßt ihr denn, daß wir morgen gehen werden zu dem, der nicht mehr ist?«

Gewiß, daß man ihr aufs Wort gehorchen würde, trat die schöne Frau Rousselin wieder ins Haus, jedenfalls um in der Einsamkeit ihres Zimmers noch mehr ihren stillen Träumen nachgehen zu können.

Eulalie, Bertrande und Cäcilie Rousselin, deren fröhliches Gelächter eben noch wie Vogelgezwitscher zum Himmel geflogen war, traten still und nachdenklich an den Tisch heran.

– »Ja, es ist wahr – armer Papa!« sprach leise und träumerisch Eulalie, die hübsche Älteste. Sie nahm einen Kranz und las zerstreut: »Meinem heißgeliebten Gatten«.

»Wir hatten ihn so lieb!« seufzte Bertrande, die mit den Blauaugen, in denen Tränen glänzten. Und achtsam nahm sie einen zweiten Kranz und blickte auf die Inschrift: »Meinem teuern Väterchen!«

»Aber gewiß! Sehr lieb!« rief Cäcilie, die Jüngste, und noch glühend vom Spiel nahm sie den dritten Kranz – »Gedenke mein!« – und warf ihn, wie um ihre Worte zu bekräftigen, hoch in die Luft.

Glücklicherweise fing ihn die Älteste, die noch ihren Stab in der Hand hielt, wieder auf. Der Kranz drehte sich um den Stab, flog – dank einer unwillkürlichen Bewegung Eulaliens – wieder in die Höhe und wurde nun von Bertrande aufgefangen. Wieder flog er auf – Gedenke mein! – und kreuzte sich in der Luft mit dem »Meinem teuren Väterchen« und dem »Meinem heißgeliebten Gatten«, die Cäcilie, gegen ihren Willen, auch in die Luft hatte werfen müssen. Und so kam's, daß einen Augenblick später die drei unschuldigen Kinder wieder auf dem Rasenplatz waren und sich statt der Reifen die Kränze zuwarfen – träumerisch, in den letzten Strahlen der Abendsonne.


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