Elisabeth Charlotte von Orléans
Briefe der Herzogin von Orléans
Elisabeth Charlotte von Orléans

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An Raugräfin Louise von der PfalzBibl. d. lit. Vereins, Bd. 132, Nr. 995.

Paris den 23 Februari 1719, ein ¼ auff 8 morgendts.

So lange ich meinen sohn von den vornehmbsten hir im landt gehast sehe, kan ich nicht in ruhen sein. Seindt sie bei ihm, so ist nichts souplers (geschmeidiger) undt voller protestationen. Von hir gehen sie in ihren assambleen, wo sie den teüffel von meinem sohn sagen undt allen möglichsten fleiß ahn[wenden], ihn von der gantzen weldt verhast zu machen, undt wen sie jemandts finden, so ihn auch hast, thut man ihnen taußendt caressen (Freundlichkeiten) undt versprechungen. Ahn dießer falschheit kan ich mich nicht gewehnen. Daß ängstet mich, den in den assambleen wünscht man allezeit meines sohnes todt. Ich fürchte alß, das einer sich einmahl im kopff setzen wirdt, eine starcke recompens zu bekommen, [und] einen verfluchten schlimmen streich thun wirdt. Gott lob, daß der carneval vorbey ist! den mein sohn fing wider an, gegen sein versprechen zum bal zu gehen. Ich bin persuadirt, daß er schon dahin wehre, wen unßer herr gott nicht frommen seelen vor ihm erhöret hette; bitte derowegen, liebe, continuiret, vor ihm zu betten! Ich glaube nicht, daß bößere undt falschere leütte in der weldt können gefunden werden, alß hir sein. Mein sohn ist zu betawern; er hatt die beste intentionen von der welt, liebt sein vatterlandt mehr, alß sein eygen leben, er hast niemandts, wolte gern alle menschen vergnügt sehen.

Er arbeydt tag undt [nacht] deßwegen, verschliest leben undt gesundtheit mitt undt alebenwollD.i. all eben wohl = gerade jetzt. will mans ihm nicht den geringsten danck wißen. Ihr könt die boßheit, so man gegen meinen sohn hatt, nicht begreiffen, weillen Ihr selber gutt undt nicht interessirt seidt undt nicht begreifft, daß man groß unrecht vor gelt thun kan.

Der printz von Hannover ist noch gar jung, umb zu heürahten, ist ja erst 12 jahr verwichen monat geworden. Die printzes, so man i[h]m destinirt [bestimmt], ist seyder dem verwichen October 13 jahr alt worden, würde also nahe bey zwey jahren alter, alß ihr herr, sein; aber daß schadt nichts, deß jetzigen landtgraffen von Cassel fraw mutter war 8 jahr älter, alß ihr herr. Mein gott! auß lieb heürahten macht die heürahten nicht [gut]. Ich habe hir etliche heürahten so gesehen, so gar übel außgeschlagen sein. Waß allein gutten ehen macht, ist, wen beyde personnen, so sich heürahten, raisonabel sein undt sich keine grillen in kopff setzen.

An DieselbeBibl. d. lit. Vereins Bd. 132, Nr. 1010.

Paris, sontag, den 16 April 1719, umb 7 morgendts.

... Ich dancke Eüch sehr, liebe Louise, vor alle Ewere gutte wünsche. Meine gesundtheit erhelt sich, gott seye danck, gar woll, unahngesehen meinen vie[l]fältigen sorgen undt chagrin, die sich täglich vermehren. Gutte sachen hören auff, aber gar böße selten. Liebe Louise, die welt wirdt alle tag ärger undt schlimmer undt boßhafftiger. Zu meiner Zeit sagte man in der Pfaltz daß sprichwordt nicht, wie jetzt undt wie Ihr es schreibt, daß, wens den leütten zu woll geht, so fangen sie waß ahn, sich zu verderben. Man sagt: »Wens der geiß zu wohl geht, so geht sie auffs eyß undt bricht ein bein.« Man sagt hir, daß man verspürt hatt, daß in allen regencen man sich so maußig gemacht hatt undt allezeit rebelliit hatt. Wo kein könig regirt, bildt sich ein jeder ein, er müsse regieren. Sie haben daß rebelliren ahngefangen vor deß königs todt, wie man auß allen den briffen sicht, so man in den rebellenkisten undt in deß spanischen abgesanten seine gefunden, also die enderung von müntz nicht dran schuldig. Mein sohn hatt den könig, wie er in den regence getretten, mitt zweymahl hunderttaußen[d] Millionen schulden gefunden. Er hatt wohl mittel suchen müssen, solche zu zahlen, hatt auch schon die helfft von dieser schult abgelegt. Solle man ihm nicht danck wißen, waß gemacht zu haben, so den popel nicht beschwehrt undt nur auff reichen fallen kan? Wo seindt in Frankreich die gutt meinenten vor ihren...? Außer mein sohn undt den comte de Thoulouse weiß ich kein eintzigen. Mein sohn thut sein bests wie daß sprichwort sagt, wie ein[e]r, der allein geicht. Vor interessirt kan man ihn woll nicht halten; den er hatt auff seine eygene pension alß regent renoncirt, dem könig keine zu große despence [Ausgabe] zu machen. Waß im überigen ist, habe ich wenig guts zu hoffen; den in Franckreich muß mehr forcht, alß lieb, sein undt die leütte zu recht .... Aber mein sohn ist zu gutt; er kans nicht über daß hertz bringen, sich förchten zu machen, undt daß wißn seine feinde nur zu woll. Den tag, wie er obligirt [worden], den jungen duc de Richelieu in die Bastille [zu schicken], war er betrübt, alß wen ihm selber ein unglück [begegnet wäre]. Undt dießen bößen buben solte er weniger beklagen; den der kleine schelm ihn gar offt ahn respect manquirt undt so von [ihm] undt seinen tochtern gesprochen, daß dieß allein ohne daß große verbrechen ahm staadt die Bastille meritirt hette. Aber da lacht mein sohn nur über, macht mich recht ungedultig mitt, vexirt mitt seiner 3ten dochter, daß dieß bürsch[ch]en sie lorgnirt, ahnstatt böß zu werden. Ich habe ihm doch meine meinung dichte drüber gesagt undt ihn beschambt gemacht. Niemandt schambt sich hir im landt, undanckbar zu sein; es ist, alß wen sie es in die wette theten, wer es ahm meisten sein könte. Wo es nöthig ist, muß man keine unruhe sparen; viel sachen seindt, so niemandts meinen sohn sagen will, drumb frag ich darnach, es ihm zu wißen thun können. Gott der almachtige erhöre Ewere gutte wünsche, liebe Louise, vor meinem sohn, wozu ich von hertzen amen sage undt lieber, alß waß mich selber betrifft! Von Moscau weiß ich kein wordt. Der Czaar muß voll geweßen sein, wie er dem armen mahler den kopff abgehauen hatt; den wen er nüchtern ist, solle er nichts mehr von der reüsischen barbar[e]y haben, aber wen er voll, kompts ihm wieder ahn...

In dem plan von Schwetzingen finde ich beßer den alten bau von meiner zeit, alß in der elevation,- war recht fro, die mühl wider zu sehen. Schwetzingen were beßer den frühling undt sommer zu bewohnen, alß Heydelberg; den man kan beßer dort spatziren im Ketzscher walt, welches ja eine recht schonne promenade ist, wo er noch stehet, undt baldt wirdt man viel gutte ertberen dort finden. Im kleinen weltgen zwischen Schwetzingen undt Heydelberg seindt auch gar gutte, aber zu Heydelberg ahn berg seindt die heydelberen ahm besten. Bey Paris seindt keine zu finden; man bringt mir alle auß Normandie, seindt aber nicht so gutt alß beu unß, viel kleiner, druckener und sawerer, alß in der Pfaltz. Der churfürst solte Friedrichtsburg wider bawen; daß würde ihm ja alle seine leütte wider logiren können, wo nicht in der festung, doch in der statt Manheim.

... In dießem morgen erfahre ich, daß die alte Maintenon vereckt ist, gestern zwischen 4 undt 5 abendts.Sie starb am 15. April 1719 zu St. Cyr. Es were ein groß glück geweßen, wen es vor etlich undt 30 jahren geschehen were.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 76.

Paris den 20. april 1719.

Mich deucht der Königin in Schweden [Ulrike Eleonore] regierung fengt nicht glücklich ahn, weilen es mit hencken, viertelen undt kopfen ahnfengt, also lauter tragedien. Mich deucht auch, daß es jetzt in allen ecken undt enden so wunderlich zugeht, daß man meinen solte, daß der jüngste tag nahe were.... wir haben vergangenen sambstag [15. April] eine fromme seele zu St. Cire verlohren, nehmblich die alte Maintenon; ein donnerwetter ist schuldig an ihrem todt, denn es hat ihr die rödtlen, so sie hatte, einschlagen machen, davon ist sie wie ein jung mensch gestorben. Sie hat vier jahre von ihrem alter verhehlt, sie gab sich nur 82 Jahr, undt war 86 alt. Were sie vor 20 jahren gestorben, hette es mich hertzlich erfreuet, aber nun ist es mir weder lieb noch leydt.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 78.

St. Clou den 11 may 1719.

... Der Maintenon ist nicht so sehr zu bewundern, alß daß sie wie ein jung mensch gestorben. Solte man sich in jener weit kenen, so wirdt in jener welt, wo alles gleich ist undt kein unterschiedt des standts, dieße dame zu wehlen haben, ob sie bey Louis XIV. oder den lahmen Scarron wird bleiben wollen. Solte der könig dort wißen, waß man ihm in dießer welt verhehlt, wirdt er sie dem Scarron guttwillig wider geben. Ihre niepce [Nichte; Duchesse de Noailles, geb. Aubigné] weiß das geld beßer ahnzuwenden, alß vor die böße seel ihrer tante beten zu laßen undt die pfaffen machen nichts mehr weiß.

An Prizessin Caroline von WalesAnekdoten am französischen Hofe Ludwigs XIV. und des Duc-Regent aus Briefen der Madame d'Orléans Charlotte Elisabeth, 1789.

9. September 1719.

Ein Mann so lange Jahre allezeit beim Könige gewesen, mit ihm bei der Maintenon alle Abend gearbeitet, also alles gehört hat, und mein guter Freund ist, hat mir gesagt, daß so lange die Zott ist am Leben gewesen, hätte er mir es nicht sagen wollen, aber seitdem sie todt, wolle er mir gestehen, daß der König eine rechte Freundschaft zu mir getragen, denn er hätte öfters mit seinen eigenen Ohren gehört, wie sie den König geplagt, und alles übels von mir gesprochen, um mich bey dem König verhaßt zu machen, aber der König hätte allezeit meine Parthey genommen, das wird gewesen seyn, was mir der König auf seinem Todbette gesagt: on a fait tout ce q'on a pû, pour que je vous haïsse M de mais ils n'ont pas réussi.Man hat alles getan, was man konnte, damit ich Sie hassen sollte, aber es ist ihnen nicht geglückt. Er setzte dazu, da8 er mich zu wohl gekannt hätte, um daß die Verläumdung hätte anhaften können. Die alte hatte eine so coupable Miene, wie mir der König das sagte, daß ich wohl nicht zweiflen konnte, daß es von ihr kam.

An Raugräfin Louise von der PfalzBibl. d. lit. Vereins, Bd. 132, Nr. 1070.

Sonntag, den 16 November 1719.

.... Wo daß ober thor ist, weiß ich woll, den ich habe gar offt [den weg] in deß herrn oberamptman von Heydelberg, deß herrn von Landaß, hauß [gemacht], so geraht unter dem thiergartten war; offt deß morgendts umb 4 bin ich nunder gangen durch den burgweg undt habe [mich] dort so voller kirschen gefreßen, daß ich nicht mehr gehen kundt; den sie seindt unvergleichlich beßer in deß Landaß gartten, alß in keinem ort in Heydelberg. Keinen großen platz habe ich nie dort gesehen; aber wo zu meiner zeit ein großer platz war, daß war auff der rechten seytten von der frantzößchen oder closter-kirch; da hatt man einen hundtsstall auß gemacht, war vor dießem der solmische hoff geweßen ....

Daß seindt aber alte geschichten. Umb wider auff Heydelberg zu kommen, so jammern mi[ch] die arme leütte so, undt einen holtzern tag predigen hören bey dem feüchten regenwetter, daß wirdt abscheüliche fluß undt husten geben undt schnupfen; daß wetter ist recht darnach itzunder. Die reiß von Schwetzingen nach Heydelberg ist kurtz. Ich glaube, ich konte dießen weg vom Spey[er-]thohr biß nach Schwetzingen gantz allein noch finden. Von Schwetzingen auß ließe ich Offtersheim undt Epelheim undt Blanckenstatt auff der lincken handt, fuhr erst durch ein flach felt, hernach in der mitten durch ein klein wältgen, darnach wieder ins flach felt bis ahns Speyer-thohr; daß [= dar] fahredt man bey deß schinders hauß vorbey, von dar bey dem spittahl, hernach bey dem quadischen hauß undt die lutterisch kirch, hernach zu endt der gaß threhet man auff die rechte handt, fahrt lengst dem graben bey Seckendorffs hauß vorbey, hernach bey deß Seyllers vatters hauß, deß ferbers, da threhet man bey der kelter auff [der] lincken handt umb; auff der lincken handt auch findt man St Anne kirch, darnach kompt man ahn den großen berg undt fährt nauß; man lest Bettendorff hauß auch auff der linken handt undt deß alten Marots hauß undt seinen laden; etlich heüßer hernach findt man den brunen, so zwey röhr hatt undt steht en face, hernach threhet man ein wenig auff der rechte handt; ahn dießem ort ist der berg ahm schwersten zu fahren. Auff der seytten war zu meiner zeit ein schildt mitt einer silbern schaffe-scheer; waß nun ist, weiß ich nicht. Darnach kompt man in einem lehren platz, wo man die statt sicht, undt auff der rechten handt ist deß gartners hauß, just wo der weg vom wolffbrunen ahnfangt. Hernach fährt [man] gegenüber den gartten im vorhoff, wo der kleine gartten. Darnach threhet man auff der lincken handt zur ziehbrücken, bey welchem zwey geharnischt mäner von stein stehen, undt oben drüber war ein mont wie eine kugel, so man im schloß undt draußen sahe, undt die schloßuhr war in einem viereckenden thurm drüber. Da segt Ihr, liebe Louise, wie ich mein Heydelberg noch so woll außwendig weiß. Es ist eine böße nation daß pfaffengeschlegt; der ist glücklich, so nichts mitt ihnen zu thun hatt. Ich bin froh, daß meine natürliche expression [Euch nicht misfällt]. Ich habe gutte hoffnung, daß es vor unßere gute, ehrliche Pfältzer woll gehen wirdt, weillen der keyßer selber vor sie ist. Mein sohn wirdt gar gewiß sich nicht in dieße Händel mischen. Ich glaube nicht, daß Churpfaltz undt mein sohn einander schreiben; den ich glaube, es ist difficultet [Schwierigkeit] wegen deß ceremonials. Dem seye aber, wie ihm wolle, so wolte ich mein kopff verwetten, daß mein sohn daß nicht geschriben hatt; daß ist der pfaffen rechtes krautt, ihren moglichsten fleiß zu thun, die leütte zu schrecken.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 91.

St. Cloud den 23. novembre 1719.

.... Alberoni,Kardinal und spanischer Staatsmann, der große Verfechter der Interessen des spanischen Bourbonen Philipp in Frankreich. so mehr das fewer alß das waßer verdint, wünsche ich ein salamandre zu werden? es ist woll ein verfluchter pfaff, der nichts alß alles übels ahnrichten kan. Es mag also auch gar woll sein, daß dieß saubere bürschgen es mit den pfaffen zu Heydelberg ahngestelt hat, die armen reformirten zu plagen; wenn selbige boßhafftige pfaffen ein wenig könten gezüchtiget werden, were es mir nicht leydt, sie hettens woll verdint; dem Churhauß hat es kein glück gebracht. Die Pfaltzgraffin von Sultzbach, der Churfürstin [Karl Philipps] fraw dochter, hat sich abermahl von einem printzen blessirt undt gar ein unglücklich kindtbett gehabt. Die pfaffen machen kurpfaltz weiß, Heydelberg seye dran schuldig, wirdt also die arme pfaltz wider quittiren; ob I.L. aber nach Neuburg oder nach Düsseldorf [gehen] werden, weiß ich nicht. Mir ist es vor die gutte pfaltz leydt; were ich Churfürst, blieb ich gern dort, denn es ist gar gutt dort wohnen, undt glaube [nicht], daß das landt zu Neuburg oder Düsseldorf schöner alß die liebe Unterpfaltz ist, aber wie das sprichwordt lautt:

»Einem jeden seine weiß gefelt,
Undt seinen dreck vor Weihrauch helt.«

Aber von waß poßirlichers zu reden, alß von dem unglück der armen pfaltz, so muß ich Mons. Harling verzehlen, wie narrisch die banque von Mons LawJohn Law af Lauriston, berüchtigt durch seine Finanzwirtschaft unter dem Regenten, die statt Besserung das Gegenteil brachte. hir alle Menschen macht, insonderheit die damen. Der interes ist abscheulich hoch in Franckreich gestiegen, weilen es den leutten den hirnkasten gantz verruckt, undt alles waß sie erdencken, umb mit mons. Law zu sprechen, ist gar zu poßirlich .... Man hört in der welt von nichts anderst reden, alß soumissionen, actionen, Missisippi undt rue de QuincampoiStraße, in der die betreffenden Bank- und Aktiengeschäfte abgewickelt wurden. ich bins so müde, daß ich es schir nicht mehr außstehen kan. Ich werde leyder übermorgen über 8 tag nach Paris, umb dort dießen winter zu bleiben. Kein ort in der welt ist mir so zuwider, alß Paris. Ich fürchte wir werden endtlich die pest dort bekommen; den es seindt gar zu viel leutte dort; die banque von mons. Law zicht von allen orten so viel leutte nach Paris, daß es ungläublich scheint; seyder 4 wochen sollen 250 tausend menschen mehr zu Paris sein, alß vorher geweßen. Gott gebe, daß unter dießer zahl sich keine Alberonisten und du Mainesche finden; gott stehe unß bey, wir habens hoch von nöhten.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 94.

Paris sontag den 17. december 1719.

... Er schreibt mir eine zeitung, so mich erfreuet: daß der apotheckerische fürst von Anhalt-DessauDer »alte Dessauer«, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, hatte sich 1698 mit Anna Luise Föse, der Tochter eines Apothekers, vermählt. nicht mehr bey dem König in Preußen sein wirdt. Wenn er undt der Czaar [Peter der Große] beysammen sein werden, wirdt man mit recht das alte teutsche sprichwordt sagen könen: »Gleich und gleich gesellt sich gern, sprach der teuffel zum Kohlenbrenner.« Dießer herr hat einen discours zu Turin gegen meinen sohn geführt, so ich noch auf dem magen undt nicht verdauet habe: mit welcher lust er meinem söhn eine pistolkugel durch den kopf jagen wolte. Der König von Sicillien wurde recht böß auf ihn, sagte ihm ins gesicht: er müste voll undt doll sein, umb so zu sprechen. Die apotheckerin, seine Gemahlin, wirdt sich gar woll zu der Czaarin hoff schicken, da ist nichts ahn verdorben. Ein solcher mensch wie der printz von Dessau kan woll keinen gutten raht geben, alß ahn löwen undt tigern undt Moscowitter, so nicht weniger wildt sein, alß er ist. Mich wundert, daß der verstorbene König in Preußen [Friedrich I.] gelitten hat, daß dießer sein wilder neveu mit seinem herrn sohn umbgangen ist, da kont er ja nichts gutts von lehrnen. Daß dießer dolle printz zum Czaar gehet, wundert mich gar nicht, man findet die ursach in der commedie von Corneille: » il est des noeuds secrets, il est des simpaties«Es gibt geheime Verknüpfungen, es gibt Zuneigungen. [Corneilles Tragödie, Rodogune, Akt I, Szene 7]; ich finde, daß sie viel simpatien haben: in grausamkeit undt im geringen heuraht. Es ist woll schadt, daß ein so alt hauß wie Anhalt durch ein so wildtes thier verschendt geworden ist; seine armen unterthanen jammern mich. Ich weiß nicht, ob ich mons. Harling schon geschrieben habe, daß mein enckel, Mad lle de Valois [Charlotte von Valois, vierte Tochter Philipps II. von Orléans], die braut mit dem erbprintzen von Modene [Franz III. von Modena] ist; wir erwarten nur die dispense vom papst, weilen sie im vierten gliedt verwandt sein. Wir haben gar nichts neues.

An Geheimerat HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 108.

St. Clou, den 9. Juni 1720.

.... Ich ehe gern ein gutt stück rindfleisch mit mustert [Mostrich], einen gutten hammelschlägel mit salat, gebrattene haaßen, aber keine caningen kan ich eßen, wie man es auch zurichten mag; ich kan auch keine von den gemästen hünern eßen, sonder nur junge hüner, summa lautter gutte undt gesundte speyßen. Ich laße mir oft auch teutsche eßen geben, einen haaßen- oder ganßenpfeffer, lungen, mußkraudt mit Hammelfleisch, kalbfleisch mit mageran [Majoran]. Aber hirmit genung von küchenzeug gesprochen, will nun gar große undt serieuse zeittungen sagen: vorgestern hat der garde des sceaux [Siegelbewahrer], Mons. Dargenson [Marc-René, Marquis d'Argenson] meinem sohn alle königliche sigel wider gebracht, weilen er vernohmen, mein sohn den cantzler wider berufen hette, indem er jetzt erst dießes cantzlers Dagueseaus [Henri François Daguesseau] unschuldt erfahren undt wie man ihn fälschlich mit so vielen umbständten angeklagt hatte. Dießer ist nun wider in seinen cantzlerstandt etablirt; hirzu kan man sagen, wie jungfer Colb unß alß pflegte zu sagen: »Kinder, glaubt mir, es geht nirgendts wunderlicher her, alß in der welt.« Gestern ist der premier president mit noch 3 andern von den vornehmbsten presidenten vom parlement zu meinem sohn kommen, umb mit ihm undt dem cantzler raht zu halten über alle die affairen von der banque undt müntz; waß aber resolvirt worden, werde ich nicht verzehlen, denn ich habe weder verstandt noch gedechtnuß genung, es woll zu expliciren, es wirdt aber baldt in druck kommen .... Ich fange wider ahn, ein wenig zu gehen, spatzirte gestern zu Madrit [Schloß Madrid im Nois de Boulogne] bey Mad lle se Chausseraye eine allée von 200 toisen lang undt war nicht zu müde. Dieße dame ist eine von meinen freüllen geweßen; sie hat gar viel verstandt undt gutten humor; ihr häußgen, so ihr der seel. Rönig geschenckt, ist klein, aber sauber und artig, ein hübsch höltzgen mit vielen alléen, ein klein paterre .... sie hat immen, sie hat tauben undt gar schöne kühe, also viel zu amusiren, denn ich liebe alle thier undt alles, waß landtzeug ist, gefällt mir beßer als die schönsten paläst undt alles waß man in stätten [hat], außer wenn BaronMichel Baron, unter Molières Leitung ein vortrefflicher Darsteller tragischer und komischer Rollen, war der Liebling des Pariser Publikums; er starb am 22. Dezember 1729. commedie spilt, daß ist, waß mir ahm besten zu Paris gefelt. Er hat unß am vergangenen mitwog le misanthrope [von Molière] gespilt: in der welt kan man nicht beßer spillen, alß er that, ist auch sehr approbiret worden .... Meine schwachheiten undt matt sein hat mich eben nicht so grittlich gemacht, alß all der desordre des billet de banque. In meinem sinn ist es beßer in Franckreich ein ackermann zu sein, alß regent, aufs wenigst ist man seines lebens sicherer undt bekompt nicht so viel feindt undt mißgünstige.

An die Raugräfin Louise von der PfalzBibl. d. lit. Vereins, Bd. 144, Nr. 1148.

St. Clou den 15 Augusti 1720, umb 10 uhr nachmittags

Die Parißer leüte seindt die besten leütte von der welt; wen daß parlement sie nicht auffgewickelt [aufgewiegelt] hette, hetten sie sich ihr leben nicht entpört. Ach, [die] armen leütte haben mich recht touchirt; den sie haben nur gegen monsieur Laws undt nicht gegen meinen sohn geschriehen; undt wie ich in der statt durch den pöpel fuhr, gaben sie mir lautter benedictionen, haben mich so touchirt, daß ich schir geweint hette. Es ist kein wunder, daß man mein sohn nicht so sehr, alß mi[c]h, liebt; daß thun seine feinde, so ihn vor einen gottloßen menschen außschreyen undt vor einen bößen man, da er doch in der that der beste mensch von der welt ist undt nur gar zu gutt. Waß ich auch von Monsieur Laws sisteme habe rühmen hören, so habe ich es nicht allein nicht verstanden, sondern auch allezeit fest geglaubt, daß es kein gutt endt nehmen könte. Ich kan kein blat vors maul nehmen; ich habe es meinem sohn blatt heraußgesagt; aber er sagt, ich judicire übel davon, weillen ich kein begreiffen könte, hatt es mir außlegen [wollen], aber je mehr man mir davon spricht, je weniger kan ich es begreiffen. Daß man einem auff den Blocksberg wünscht, ist ein alt teütsch sprichwordt; ich habe aber nie gewust, wo der Blocksberg eygendt[lich] ist. Ich bin aber die sachen so müde, daß ich von waß anderst reden will. Weniger unruhe kan mir woll kommen, wen es gottes will were, aber freüden, liebe Louise, die können mir nicht kommen; dancke Eüch doch, mir solches zu wünschen. Ich habe hir kein wordt davon gehört, daß ein frantzöscher envoye [Gesandter] in die Pfaltz geschickt worden, glaube es also nicht, will es doch meinen sohn morgen fragen. In dießer jahrszeit undt wen es zum herbst geht, gibt es ordinarie kranckheit; ich aber habe dieße lufft nie schlim gefunden, bin mein leben nicht krank dort geweßen. I.G. s. der churfürst hatt Manheim woll hertzlich lieb gehabt, mein bruder s. aber hatt Heydelberg lieber. Ich scheüe die Hitze nicht, drumb war ich gern zu Manheim. Es were mir leydt, wen daß schloß zu Manheim nicht außgebaut [würde]. wir seindt ja gar offt im sommer dort geweßen.

An DieselbeBibl. d. lit. Vereins, Bd. 157, Nr. 1225.

St. Clou den 3 May 1721.

Ihr werdet durch mein schreiben von vor 8 tagen ersehen haben, wie daß man mir vergangenen sonntag wider den grünen safft hatt schlucken machen, so mich wider starck purgirt undt abgematt hatt. Seyder gestern fange ich wider ahn, mitt beßerm apetit zu [essen] undt nicht mehr so großen widerwillen zu der speiße habe. Ich eße mein leben keine frantzösche ragoust, finde es ein unsauber undt widerlich geschmir, habe mich mein leben nicht dran gewohnen können. Monsieur le Dauphin pere undt sein sohn, der duc de Berry, haben die ragoust noch mehr verdorben; den sie aßen es nicht, es muste dan handtvoll saltz drin sein, daß einen der halß davon brante. Ich glaube, daß daß abscheüliche versaltzen undt verpfeffert gefreß, so sie alle tag in menge gehen, ursach ahn ihrem kurtzen leben geweßen. Seyder 8 tagen haben wir daß heßlichste wetter von der welt, immer kalter windt undt regen, auch so, daß wider feüer in allen caminen hatt müßen gemacht werden. Ich habe in den 10 tagen, so ich hir bin, noch nicht ein eintzig[mal] konnen in den gartten fahren, den es regnet continuirlich; ich bin diß wetter woll hertzlich müde.

Wolte gott, ich könte Eüch noch ein mahl in meinem leben hir zu St. Clou ambrassiren! daß würde mir eine rechte freüde sein. Ich bin in allem, auch in eßen undt druncken, noch gantz teütsch, wie ich all mein leben geweßen. Man kan hir keine gutte pfanen-kuchen machen, milch undt butter seindt nicht so gutt, alß beu unß, haben keinen süßen geschmack, seindt wie waßer; die Kreütter seindt auch nicht so gutt hir, aIß bey unß, die erde ist nicht fett, sondern zu leicht undt sandig, daß macht die kreütter, auch daß graß, ohne starcke undt daß vieh, so es ist [ißt], kan also keine gutte milch geben, noch die butter gutt werden, noch die pfanen-kuchen. Auch haben die frantzosche koche den rechten griff nicht dazu, wie gern wolte ich den pfanen-kuchen von Ewer cammer-magtgen eßen! Daß solte mir besser schmecken, altz alles, roatz meine köche machen.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 127

St. Clou den 22 Juni 1721

...Ich kan nicht begreiffen, wer auf der post vor eine lust nehmen kan, alle meine brieffe paarweiß zu schicken, aber der marquis de TorcyJean Baptiste Tolbert, Marquis de T., Staatsminister und Suritendant der Post. in gewohnheit allezeit, alles ahm schlimbsten vor mich zu thun. Zu unßers seel. König zeitten that er seinen möglichen fleiß, mich mit dem König zu brouilliren [auseinanderzubringen], brachte I.M. meine brieffe falsch vor, aber das hat gott lob nicht reussirt, hat nur die schande davon getragen. Im ahnfang hat er mich verfolgt der alten Maintenon zu gefahlen undt nun zergt (quält) er mich, weilen er woll dencken kan, daß ich ihn woll kenne undt nichts von ihm halte; er agirt (spielt) den devoten undt ist nur ein heuchler in folio undt gar ein böser teuffel. Aber hirmit genung von dem eloge vom kleinen Torcy ... Mons. arling hat es seinen eygenen schreiben zu dancken undt seinem lustigen, desinteressirten humor, daß man ihn so sehr in Englandt gerümbt [wohl die Prinzessin von Wales], ich thue nichts dazu, undt wie die heylge schrifft in dem osalmen sagt: »Recht muß doch allezeit recht bleiben undt dem werden alle hertzen zufallen« ... Ich finde alles in Teutschlandt so verendert seyder die 50 jahr, daß ich in Franckreich bin, daß es mir wie eine andere welt vorkompt. Ich habe brieff gesehen, so man an die fraw von Rathsamshaußen geschrieben, so ich mühe habe zu verstehen. Zu meiner zeit fandt man woll geschrieben, wenn die phraßen in kurtzem begriff undt man viel in wenig wortten sagte, nun aber findt man schön, wenn man viel wörtter daher setzt, so nichts bedeutten. Das ist mir unleydtlich, aber gottlob alle die, womit ich correspondire, haben dieße widerliche mode nicht ahngenohmen; ich hette nicht antwortten können, aber gottlob sie sprechen noch alle mein teutsch, antworte also kecklich....

Wenn man jung ist, findt man alles gutt, aber wenn man alt wirdt, lernt man die welt beßer kenen undt sicht, daß »nicht alles golt ist, waß glentzt«; das macht einen scheü undt mißtrauisch, undt nicht ohne ursach. Also macht man nicht so leicht kundtschaft mehr undt fürcht alß etwas falsches zu finden, wie auch mir gar zu offt geschicht. Ich fürchte schmertzen so erschrecklich, daß mir der todt nichts dagegen zu rechnen ist. Ich were nicht gutt gewehen, eine märtyrin zu werden, denn es hette mit ein absonderlich miracle gemüst, umb die schmertzen außstehen zu können, die man die martyrer hat außstehen machen. Drumb beklage ich auch mehr alß alle andere die, so schmertzen leyden.... Das dolle und leichtfertige leben zu Paris wirdt alle tag ärger, so daß, wenn es donnert, mir angst wirdt vor Paris. Drey damen von qualitet haben waß abscheuliches gethan: sie seindt den Turcken biß nach Paris gefolgt, haben das ambassadeurs sohn zu sich gezogen, ihn voll und doll gesoffen undt 2 tag nach einander in dem labyrinth mit dem großbartigen Kerl zu thun gehabt. Nun sie sich hiran gewöhnen, glaube ich, daß kein capuciner mehr sicher vor dießen damen sein wirdt. Das wirdt den christinnen undt damen von qualitet einen schönen ruhm in Constantinopel geben.

An Raugräfin Louise von der PfalzBibl. d. lit. Vereins, Bd. 157, Nr. 1247.

St Clou den 24 Julli 1721.

... Meine gesundtheit ist, gott seye danck, nun gar perfect, habe gestern ein gantz stündgen zu Madrit zu fuß spatzirt, ohne mich zu setzen, noch zu schnauffen, noch müde zu werden. Ich schlaff woll, ich eße woll undt nichts thut mir wehe, alß die knie, kan also sagen, daß ich in perfecter gesundtheit bin. Aber bey alten weibern, wie ich bin, wehrt die gesundtheit nicht allezeit gar lang. Aber waß will man thun? Unßer herrgot, wie unßere lieb s. churfürstin alß pflegt zu sagen, wirdt nichts neües vor mir machen; ich muß folgen, wie der allmächtige die jahren undt zeitten ordonnirt hatt, undt nur gott dancken, daß es so woll noch geht bißher. Wie ich noch jung war, bin ich lange jahren geweßen, daß mir gar nichts gefehlt hatt; daß habe ich der jagt zu dancken gehabt, negst gott hatt es mich bey so langen jahren gesundt erhalten. Exercitzien ist eine gesundte sach; ich habe 30 jahr zu pferdt undt 10 jahr in caleschen gejagt. So lang Monsieur s. gelebt, habe ich geritten undt seyder deß königs todt alles, waß jagten heist, abgesagt, aber seyder dem 3 gar große kranckheitten außgestanden; daß hatt mich glauben machen, daß mich daß jagen in gesundtheit in meinen jungen jahren erhalten hatte.

Man hatt mir schon gesagt, daß unßere gutte Teütschen sich greülich verdorben undt den gutten alten teütschen glauben gantz absagen sambt allen tugenden, so die alten Teütschen beseßen, undt sich aller laster der frembten nationen ergeben. Daß kan mich recht verdrießen; einem Teütschen steht es viel übeller ahn, falsch, boßhafft undt desbauchirt zu sein, den sie seindt nicht dazu geborn, es geht ihnen zu grob an; theten also beßer, sich bey dem gutten alten teütschen brauch zu halten, ehrlich undt auffrichtig zu sein, wie sie vor dießem geweßen. Die pest nimbt, gott lob, wider ab in Provence; daß macht die leütte nicht fromer undt, waß zu verwundern [ist], daß man in dem spital von Thulon 18 personen hatt zusamen geben müßen, weillen sie in mitten von der pest leichtfertig gelebt haben. Meines sohns docktor, so vorgeben, daß die schlime kranckheit nicht ahnsteckt, sagt nun, er hette es gesagt, weillen er verspürt, daß die große forcht, so man vor die pest hatt, daß geblüht verdirbt undt die leütte also mehr capable macht, die krankheit zu bekommen, alß wen sie sich nicht förchten. Daß kan noch woll hingehen, hatt sich also woll bey seinem herrn entschuldigt. Ich bin woll Ewerer Meinung, daß, so baldt man die religion auff politique gründet oder mischt, wie der lutterische pfarher thut, der mitt Eüch gesprochen, liebe Louise, daß, die solches thun, keine gutte religion haben undt baldt ohne religion sein werden. Ihr habt also groß recht gehabt, liebe Louise, dießen politischen pfaffen zu filtzen, die pest zu wünschen, welches nie alß eine nothwendigkeit, sondern alß eine straff gottes von einem pfarher solle ahngesehen werden. Ich darff ahn die leüte nicht gedencken, so man erschiest, sie jammern mich; jedoch so ist es nöthig, umb gantz Franckreich zu salviren, daß man so severe ist. Es solle Eüch nicht verdrießen, liebe Louise, zu fühlen, daß Ihr barmhertzig gegen Ewere negsten seydt, den daß ist ja tugendthafft. Ich finde, daß graff Degenfeldt undt seine gemahlin groß recht haben, sich in Hollandt eine zeit lang auffzuhalten. Hollandt ist ahngenehm in meinem sin; Amsterdam ist auch der mühe woll wehrt, daß man es sicht. Gehen sie von Utrecht nach Geißenheim, weiß ich ihren weg woll; den es woll der selbige sein wirdt, so man mich geführt. Von Utrecht gingen wir nach Nimwegen, von Nimwegen nach Clef (Cleve), von Clef nach Santen (Xanten), von Santen nach Cöln, von Cöln nach Bacherach, wo mich J.G.s. unßer Herr vatter undt bruder abholten, blieben ein par tag zu Bacherach, besahen Ober-Weßel undt fuhren den Rhein herunder [hinauf] biß nach Bingen undt hernach nach Franckenthal; wo wir lang blieben. Ich weiß nicht, ob ichs mich noch recht erinere; den in 8, in 59 jahren kan man woll was vergeßen. Utrecht ist mir noch allezeit lieb, den ich mich gar woll dort divertirt habe. Daß ist gewiß, daß, wer Hollandt gesehen, findt Teütschlandt schmutzig; aber umb Teutschlandt sauber undt ahngenehm [zu finden], müste man durch Franckreich; den nichts ist stinckender, noch sauischer, alß man zu Paris ist. Ich liebe ein schön naturel mehr, alß alle ornement undt magnificentzen von der welt ...

Ahn ortern, wo man die geister glaubt, sicht man allezeit; wie ahn cassellischen hoff; ahn unßerm hoff, da man sie nicht geglaubt undt auch nie nichts gesehen, also besteht es viel in der einbildung. Hir im landt würde man es vor ein affront halten, wen man sagen solte, daß jemandts zu from wehre, buben zu lieben; von geheürathe weiber macht man sich eine ehre undt hatt es gar keine scheü. Von der h. schrifft wißen wenig leütte hir undt es seindt noch weniger, die es glauben, noch wißen wollen. Ich gestehe, daß, ob ich zwar daß glück nicht habe, so gotsfür[c]htig zu sein, alß ich sein solte, so gestehe ich doch, daß [ich] ein recht abscheüen vor dieße gottloßigkeit habe. Gott wolle sie bekehren! Es ist mir leydt, daß Ihr keine historger mehr von gespenstern hort, den ich hore sie recht gern. Hir hört man von keine, eben so wenig alß bey unß zu Heydelberg. So lang ich zu Heydelberg geweßen, hab ich auch nie keine romans geleßen, aber seyder ich hir bin, habe ich dieße zeit wider eingebracht; den es ist kein[e]r, wo ich nicht geleßen, hab Astrée,Astrée, Schäferroman von Honoré d'Urfé. Cleopattre,Cléopâtre, Roman von Gautier de Costes. Clelie,Clélie, Histor. Roman von M. de Scudéry. Cassandre,Roman von La Calprenède. PolixandreErschien Paris 1637. (dießen hatten mir I.G. unßer Herr vatter s. erlaubt zu leßen) undt gar viel ander kleine romans. Tarcis et Celie,Paris 1665. Lissandre et Caliste,Paris 1665 von Henry Daudiguier; von Philipp u. Zesen ins Deutsche übertragen. Caloandro,Italienischer Roman von J.A. Marini; ins Französische übersetzt von M. de Scudéry. Endimion, Amadis (aber in dießem bin ich nicht weytter kommen, alß ahn 17 tome, undt es seindt 24), le roman des roman[s], Theagene et Cariclee;Théagène et Chariclée, eine der Übersetzungen der historieae aethiopicae des Heliodor, von J. Amyot übersetzt. daß ist zu Fontainebleau, ins königs cabinet de l'oval[e] zu Fointainebleau, gemahlt, gibt also große curiositet. Apropo von Fontainebleau, mein enckel ist gestern hin, mitt seinem oncle, dem conte de Thoulouse, undt deß königs hunden zu jagen; solle biß sambstag widerkommen. Gott gebe, daß er sich den halß nicht bricht! Den wer daß jagen nicht gewohnt ist, kan braff burzelbaum dort machen; doch bin ich weniger dort gefahlen, alß in dießen gegenden. Ich glaube, daß es ist, weillen ich den ort so hertzlich lieb hatte, daß mir nie nichts übels, noch wiederliches dort begegnet ist, sondern habe mi[c]h beßer dort divertirt, alß ahn keinem andern ort in gantz Franckreich. Fontainebleau, daß schloß, sicht gantz teütsch auß mitt seinen großen gallerien, sällen undt erckern. Aber hirmitt genung hirvon, es macht mir daß hertz schwer, wie auch ahn I.G.s. unßern herrn vattern zu gedencken. Adieu, liebe Louiße! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt versichere Eüch, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.

Elisabeth Charlotte.

An Geheimerat von HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 132.

St. Clou den 2. october 1721.

... Ich muß dießen morgen nach Paris, mich mit meinem sohn undt seiner gemahlin zu erfreuen über die froliche bottschaft, so die vergangen montag entpfangen, nehmblich einen courir vom König in Spanien, welcher von meinem sohn seine dochter [Louise Elisabeth, Mademoiselle de Montpensier, geb. 1790] begehrt vor seinen elsten sohn, den printzen des Asturies [Ludwig, Prinz von Asturien; 15. Januar 1724 König von Spanien]. Es wird zwey junge eheleutte geben [vermählt am 20. Jan. 1722], denn der printz ist den 25. augusti erst 14 jahr alt worden undt Mad lle de Monpensier wirdt den zukünftigen 11. december erst 12 jahr alt werden. Dieß alles findt ich gutt undt schön, wenn es nur nicht zu viel visitten undt complementen nach sich zög, des man sich nicht mehr zu behelfen weiß. Es geht aber hirin, wie das frantzösch sprichtwordt sagt: » Il faut avoir les charges avec les benefices.».Ohne Fleiß kein Preis! Unßere junge braut hat noch keinen nahmen, sie ist zwar getauft, aber die ceremonie, wo man den nahmen gibt, ist noch nicht geschehen; der König undt ich werden dieße ceremonie halten. Ehe Mad lle de Monpensier ihre reiße ahnfengt, wirdt sie also mit 3 sacramenten versehen werden: der tauf, communion undt confirmation; daß ist doch etwas rares.... Ich befinde mich nun gottlob gar woll, aber große stercke finden sich in meinem alter nicht mehr, kan doch noch woll ein stündtgen spatziren. Ich vernehme mit freüden, daß mein lieber petit neveu à la mode de Bretagne, printzFriederich [Ludwig, geb. 1707 als Sohn des Erbprinzen Georg (II.) August von Hannover, ging 1728 nach England], noch gott sey danck so woll ist, daß I.L. reißen, reiten undt jagen können; gott erhalte ihn lange jahre. Es ist hir weit von kälte, denn seyder 14 tagen ist es wärmer, alß es in den hundtstagen geweßen; das soll auch machen, daß der wenig wein, so man haben wirdt, gar gutt soll werden. Die pest ist nun zu Avignon durch den geitz des legaten, der, umb geldt zu gewinnen (denn er geitzig ist wie alle römische pfaffen sein) wollfeile waren hat von örtern kommen laßen, wo die pest war, undt sie theuer verkauft undt dadurch leyder die pest in die stadt geführt. Er meritirte woll, erbarmlich dran zu sterben.... Mons. Law wirdt woll in Hollandt gehen, aber ich glaube nicht, daß er nach Englandt darf, ist dort zu schwartz ahngeschriben. Aber es schlegt 7, ich muß noch ahn unßere Raugräffin schreiben, ehe ich mich ahnziehen kan.

An Geheimerat v. HarlingBodemann, Geheimrat Harling Nr. 157.

St. Clou den 3. october 1722.

Mons. von Harling. Seyder vorgestern, daß ich ihm geschrieben, ist gar keine verenderung bey mir vorgangen; es mag gehen, wie gott will, so preparire ich mich zu meiner reiß nach Rheims; waß drauß werden wirdt, »sal de tidt lehren«. Ich schickt ihm hirbey einen brief von seinem neveu undt versichere, daß, in welchem standt ich auch sein mag, ich allezeit sein undt bleiben werde Mons. von Harling wahre freundin.

An madame Louise, raugräffin zu Pfalz, a FranckforthBibl. d. lit. Vereins, Bd. 157, Nr. 1376.

St Clou, sambstag, den 28 November 1722

Hertzallerliebe Louise, Ihr werdet heütte gar einen kurtzen brieff von mir bekomen. Den erstlich so bin ich übeller, alß nie, habe dieße gantze nacht kein aug zugethan; den gestern morgen haben wir auff einmahl unßere arme marechalckin [de Clérembault] verlohren, war vorgestern noch bey mir. Kein schlag hatt sie gerührt, aber sie hatt nicht mehr erwermen konnen, sie solle ihren magen zu sehr mit aigre de cedre [Zedernsäure] erfrischt haben. Es ist mir woll von grundt der seelen leydt, den es war eine dame von großem verstandt undt gedechtnuß undt war sehr gelehrt, aber sie ließ es sich nie mercken, man hörte sie von nichts gelehrts, man frage sie than [denn]. Sie hatt ihren älsten bruder sohn zum erben eingesetzt. Ob es zwar nichts rares ist, eine person zu 88 jaren sterben zu sehen, so ist es doch schmerzhafft, eine gutte freündin zu verliehr[e]n, mitt welcher man 51 jahr gelebt hatt. Aber last mich enden, liebe Louise! Ich bin gar zu kranck, umb heütte waß mehres zu sagen können, liebe Louise, alß daß, daß in welchen ellenden stand ich auch sein mag, so werde ich, biß daß der garauß mitt mir kommen wirdt, werde ich Eüch, liebe Louise, von hertzen lieb behalten.

Elisabeth Charlotte.


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