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Buchschmuck

Luigi Cherubini

Buchschmuck

Naturbegabung und Erziehung haben von jeher als die vornehmsten Bildungsfactoren des Menschen gegolten. Ob aber der Einen oder der Anderen der entscheidendere Antheil gebühre an der Entwicklung unsres Wesens und Charakters, darüber ist, den Forschungen unsrer ruhmreichsten Weltweisen zum Trotz, ein letztes Wort noch nicht gesprochen worden. Selbst die Erfahrung hat ihre gewichtige Stimme nicht in eine Wagschale gelegt; sie hat wechselnd zu Beider Gunsten gezeugt, auch wenn es scheint, als ob sie am vernehmlichsten rede, wo es gilt, der Natur ihre bedeutsamere Macht zu wahren. Vielleicht daß wir der Wahrheit am nächsten kommen, nehmen wir Beider Einfluß als einen begrenzten an, so daß es ihres gegenseitigen Ergänzens und gemeinsamen Wirkens bedarf zur Erzeugung wahrhaft harmonischen Menschenthums. Der strengen Zucht der Schule wird, vor allem auf künstlerischem Gebiet, Keiner jemals entrathen können, dem es Ernst ist um Erreichen der Meisterschaft. Ein vergebliches Bemühen der Erziehung hinwiederum aber wird es bleiben, etwas aus uns herauszubilden, was nicht als Anlage zuvor in uns hineingebildet worden durch die Hand der göttlichen Bildnerin Natur.

So ist auch das Künstlerleben, dem wir unsere Betrachtung gegenwärtig zuwenden, uns den Beweis nicht schuldig geblieben für die Nothwendigkeit beständiger Wechselwirkung natürlicher und erziehender, innerer und äußerer Einflüsse, die allein eine ebenmäßige Entfaltung der Individualität bedingt.

Ein reiches Maß ursprünglicher Begabung ward Luigi Cherubini in die Wiege gelegt, als er in einem bescheidenen Hause der Via Fiesolana zu Florenz am 14. September 1760 das Licht der Welt erblickte. Jahrzehnte lang schwebte über diesem Datum seiner Geburt ein seltsames Dunkel. Noch im Jahre 1809 bezeichnete Cherubini selbst, in einer biographischen Notiz für Choron's Dictionnaire historique des musiciens, den 8. September als seinen Geburtstag; ein Irrthum, der in allen Lebensbeschreibungen des Künstlers Aufnahme fand und sich bis auf unsere Tage fortpflanzte. Vergeblich berichtigte ihn der Meister später in der kurzen Autobiographie, die er dem erst nach seinem Tode von Bottée de Toulmon veröffentlichten Catalog seiner Werke voranstellte Notice des manuscrits autographes de la musique composée par feu M. L. C. Z. S. Cherubini. Paris, 1843. ; die französischen Biographen und selbst der zuverlässigste unter ihnen: der sonst so gewissenhafte Dieudonné Denne-Baron, beharrten bei der früheren Angabe und gefielen sich, behufs Widerlegung der späteren, in Verbreitung des Märchens, der große Künstler sei in einem so schwächlichen und gebrechlichen Zustand in's Leben getreten, daß ärztliche Vorsicht die heilige Taufhandlung um volle sechs Tage, nämlich bis zum 14. September zu verzögern gerathen fand. Um zweifellose Klarstellung der Frage hat sich indessen der Italiener Luigi Picchianti verdient gemacht, indem er in seinen » Notizie sulla vita e sulle opere di Luigi Cherubini« Mailand, Ricordi. 1843. uns von dem wörtlichen Inhalt des Geburts- und Taufscheines des großen Florentiners Kenntniß giebt. Dies amtliche Document, von dem uns eine Copie vorliegt, bestätigt die spätere Angabe Cherubini's und belehrt uns zugleich, daß er am Tage nach seiner Geburt, also am 15. September 1760, in der berühmten Basilika von San Giovan Battista in den Schos der katholischen Kirche aufgenommen ward.

Die Ehe seiner rechtschaffenen und gebildeten Eltern, Bartolommeo Cherubini und Verdiana geborene Bosi, war eine mit Kindern reich gesegnete. Neun Geschwister gingen Luigi, oder wie sein voller Name lautet, Luigi Carlo Zanobi Salvadore Maria, im Alter voran; zwei andere kamen später als er auf die Welt. Sie alle aber wurden von ihm überlebt, dem ein an Jahren und an künstlerischen Thaten ungewöhnlich reiches Dasein beschieden war.

Ein lebhafter, im Begreifen schneller Geist offenbarte sich schon in aller Frühe an dem Knaben, und die ihm eingeborene Neigung zur Musik that sich bald in entschiedener Weise kund. Die Vorsehung hatte es glücklich gefügt, daß die Verhältnisse im Elternhause die Entwickelung derselben nicht hemmten, sondern ihr vielmehr hülfreich entgegen kamen. Denn die Kunst, zu der es schon das Kindesherz mit Allgewalt zog, vom Vater sah er sie üben und zum Lebensberuf erwählt. Bartolommeo Cherubini, der Kapellmeister am Teatro della Pergola zu Florenz, übernahm es selbst, seinen Sohn so frühzeitig als möglich – in seinem sechsten Jahre – in die Geheimnisse der Tonkunst einzuweihen. Er that es mit aller Strenge und Pedanterie eines Musikers der guten alten Zeit und gleichwol mit solchem Erfolg, daß schon nach Verlauf dreier Jahre Luigi's Geschick im Solfeggiren, im Clavierspiel und der Begleitung mit beziffertem Baß rühmend anerkannt ward. Seine Fassungsgabe und sein musikalischer Instinct waren so eminent, daß er sich mit der Violine u. a. spielend vertraut machte. Ohne alle Anleitung brachte er es auf einer alten Geige, die sich bei seinem Vater vorfand, so weit, daß er eines Abends in dem von seinem Vater geleiteten Orchester, bei Abwesenheit eines Violinisten, dessen Part sofort übernahm und zur völligen Zufriedenheit des Dirigenten durchführte.

Als das Talent des Knaben eine hervorragendere Lehrkraft wünschenswerth machte, gewann man Bartolommeo Felici, den berühmtesten Meister der Compositionslehre in Toscana, und dessen Sohn Alessandro für seinen Unterricht im Contrapunkte; während zwei andere tüchtige Künstler, Pietro Bizarri und Giuseppe Castrucci, seine Fertigkeit im Gesang, wie Pianoforte- und Orgelspiel zu vervollständigen strebten. So treffliche Anleitung setzte Luigi mit dreizehn Jahren in den Stand, eine Missa solemnis für vier Stimmen und Orchester zu componiren, die nicht nur der Zufriedenheit seines Lehrers, sondern auch des Beifalls Aller, die sie hörten, theilhaftig ward.

Wol erscheint uns heutzutage ein solches Resultat siebenjähriger Studien kaum staunenerregend; doch gewinnt es an Werth in Anbetracht einer Zeit, da die Theorie der Kunst, im Verhältniß zu der ihr vorausgeeilten Praxis, noch im Argen lag und der Unterricht einer systematischen Vereinfachung entbehrte, die das Ergebniß erst fortgeschrittener Tage werden sollte. Italien, die Wiege der Kunst, ging allmälig ihres alten Ruhmes, die musikalische Hochschule für ganz Europa zu sein, verlustig. Die in den Conservatorien von Neapel eingeführten Verbesserungen kamen der Musikpflege des Landes im Ganzen nicht zu Gute, denn sie blieben specifisches Eigenthum dieser Stadt. Die Methode der Analyse aber war den Italienern, so vollkommene Modelle sie in der Praxis lieferten, unbekannt, und den Musikjünger jener Epoche beschwerte eine Masse von Regeln, deren jede, da sie nicht aus allgemeinen Principien, sondern aus besonderen Fällen hergeleitet worden, tausend Ausnahmen unterworfen war. Erst durch lange und mühsame Uebungen mußte er sich die Kenntniß all dieser complicirten Regeln und Ausnahmen erkaufen, und auf weiten Umwegen zur endlichen Herrschaft über das Tonmaterial gelangen. Theorie und Praxis gingen eben noch gesonderte Bahnen, und erst der frischen Berührung mit dem Leben bedurfte es, um den trocknen Vorrath des in der Schule Erlernten für den Gebrauch flüssig und fruchtbar zu machen.

Nicht ohne Berücksichtigung dessen vermögen wir die Leistungen Cherubini's, des Knaben, nach Verdienst zu schätzen. In der That fehlte es nicht an anerkennenden Stimmen, die, nachdem in den nächstfolgenden Jahren noch zwei weitere Messen und andere zahlreiche Kirchenstücke, eine Cantate, zwei Intermezzi für Gesellschaftstheater, ein Oratorium u. s. w. von ihm bekannt geworden, den Vater geneigt zu machen suchten, auf den Wunsch seines Sohnes einzugehen und ihn reisen zu lassen. Der jugendliche Componist trachtete darnach, sich auch in weiteren Kreisen seines Vaterlandes bekannt zu machen und in noch höherem Maße künstlerisch zu vervollkommnen. Indessen versagten die beschränkten Verhältnisse des Vaters die Verwirklichung eines solchen Wunsches, und sicherlich hätte derselbe unbefriedigt bleiben müssen, hätte sich nicht die Freigebigkeit des kunstsinnigen Großherzogs von Toscana in's Mittel geschlagen. Auf die seltene Begabung Luigi's aufmerksam geworden, gewährte ihm Pietro Leopoldo – der nachmalige deutsche Kaiser Leopold II. – eine Unterstützung, die es ihm ermöglichte, außerhalb Florenz, unter der Obhut eines bewährten Meisters die Vollendung seiner Ausbildung zu betreiben. Die Wahl fiel auf Giuseppe Sarti, der, nach langjährigen ruhmvollen Leistungen im Auslande, nun zurückgekehrt, der höchsten Autorität in seiner Heimat genoß. Zu ihm nach Bologna wandte sich, gegen Ende des Jahres 1777, Luigi, der mittlerweile zum Jüngling emporgewachsen und mit allen Erfordernissen einer allgemeinen Bildung ausgerüstet war. Er fand die bereitwilligste Aufnahme von Seite des Künstlers, der schnellen Blickes seine hohe Befähigung erkannte. »Der Rath und das Beispiel dieses großen Meisters hat mich im Contrapunkte und in der religiösen und dramatischen Tonkunst gebildet,« sagt Cherubini selbst, der bis an's Ende seiner Tage seinem Lehrer ein dankbares Gedächtniß bewahrte und später so völlig in seinem Sinne weiter lehrte, daß er in seinem » Cours de contrepoint et de fugue« Einiges die Fuge Betreffende den Werken Sarti's entlehnte.

Vier Jahre lang behielt ihn derselbe unter seiner Aufsicht und ließ ihn, nachdem er ihn in allen Zweigen des musikalischen Wissens befestigt, und vorzugsweise eine Reihe von vier-, fünf- und sechsstimmigen Antiphonien im Stil Palestrina's zu componiren übertragen, an den Bühnenarbeiten, die ihn selbst beschäftigten, theilnehmen. Die Opern: Achille in Sciro, Giulio Sabino und Il Siroe, welche für die besten Werke Sarti's gelten, sind unter Mitarbeiterschaft seines genialen Schülers entstanden, obgleich dessen Name ungenannt blieb.

Solchergestalt vorbereitet und mit Bühnenverhältnissen und Publicum frühzeitig vertraut geworden, wagte er, als sein Meister ihn dazu reif erklärte, seinen ersten selbständigen Schritt in die Welt: er folgte 1780 einem Rufe nach Alessandria, um seine erste dreiactige Oper »Quinto Fabio« zu schreiben und im Herbst dieses Jahres daselbst zur Aufführung zu bringen. Sie erwarb ihm einen ehrenvollen Erfolg und bahnte ihm den Weg zu weiteren Ruhmesthaten, wie er sich denn auf dramatischem Gebiet in erster Linie seinen großen Namen erringen sollte. Doch begab er sich noch einmal zu seinem Lehrer zurück, der inzwischen das Amt eines Domcapellmeisters in Mailand angetreten hatte. Bei ihm, der ihm mit wahrhaft väterlicher Neigung zugethan war, verweilte er – unterdessen noch eine unvollendete Oper für Venedig beginnend – bis 1782. Erst dann sah ihn seine Vaterstadt wieder.

Es war dies Jahr, wie der Catalog seiner Werke nachweist, eins der ergiebigsten im Leben des Künstlers; denn nicht allein für die Florentiner Bühne componirte er zwei Opern: » Armida« und » Messenzio«, auch die Eröffnung des neuen Theaters in Livorno ward mit einem Werke von ihm: » Adriano in Siria« gefeiert, während daneben noch eine Reihe kleinerer Stücke für Gesang, wie zehn zweistimmige Notturni, zwei Arien mit Orchester für die Sänger Crescentini und Babini, Duette u. a. geschaffen wurde. Dem folgten in den zwei nächsten Jahren eine Umarbeitung des Quinto Fabio für das Argentina-Theater in Rom, die Opera buffa: » Lo sposo di tre, marito di nessuna« für Venedig (1783) und die Opern: » Idalide« und » Alessandro nell' Indie« für Florenz und Mantua (1784).

Hinfort verbreitet sich der Ruf des jungen Tonsetzers immer mehr. Seine Landsleute beginnen bereits ihn » il« Cherubini zu nennen, eine Auszeichnung, die der Italiener nur der Größe und Berühmtheit zu zollen pflegt. Der Indice teatrale von 1784 preist den süßen Reiz seiner Melodien und – Cherubini selbst erzählt dies in seinem Catalog – die Jesuiten von Florenz kennen kein bessres Mittel, die Menge in ihre Kirche zu ziehen, als ein aus Theilen seiner Opern zusammengesetztes Oratorium aufzuführen, das der Meister noch mit zwei neuen Chören vervollständigen mußte. Bis in's Ausland ist schon sein Name gedrungen, und von England, wo noch sein Lehrer Sarti in gutem Andenken stand, ergeht an dessen ehemaligen Schüler die Einladung, zwei Opern für das Theater des Königs zu componiren und die Direction der philharmonischen Concerte zu übernehmen. Dieser Aufforderung Folge leistend begiebt er sich im Herbst 1784 auf den Weg nach London. Hier schreibt er (1785 und 86) die Opern: » La finta principessa« und » Giulio Sabino« und macht besonders mit mehreren Arien und Duetten, die in verschiedene fremde Werke eingelegt wurden, viel Glück. Vom Publicum bewundert und ausgezeichnet, vom Prinzen von Wales (später Georg IV.), einem eifrigen Liebhaber der Musik, in seine intimsten Cirkel gezogen, fand Cherubini in London Alles, was dem Ehrgeiz eines Künstlers schmeicheln kann. Dagegen ging der Erfolg seiner zweiten Oper durch die Schuld ihrer Interpreten so gänzlich verloren, daß er, darüber verstimmt, noch vor Ablauf der Saison 1786 England verließ.

Nach der bella Firenze, in den Kreis der Seinen gedenkt er zurückzukehren; doch bei seiner Ankunft in Paris (im Juli 1786) weiß ihn ein Freund, den er sich gewonnen, als er die französische Hauptstadt zum ersten Male berührte, zu fesseln. Sein Landsmann und Kunstgenosse, der gefeierte Violinist Viotti, nöthigt ihn der Gast seines Hauses zu sein und versteht, den eigenthümlichen Zauber, den die Weltstadt an der Seine von jeher auf Fremde und Einheimische übte, auch auf ihn wirken zu lassen. Genug, Cherubini entscheidet sich endlich, sich dauernd hier niederzulassen. Die angesehenere Stellung, die der Künstler in Paris, im Vergleich zu Italien, einnahm, die schnellere Aussicht, hier zu Ruhm und Glück zu gelangen, waren wol nicht die letzten Gründe, die den Entschluß Cherubini's beförderten.

Dank Viotti's Fürsorge wurde er bald bekannt in seinem neuen Wohnort. Nicht nur mit den literarischen Notabilitäten von Paris: Marmontel, Florian etc. und den kunstsinnigen Frauen der hohen Aristokratie, wie Madame de Richelieu, Madame d'Etioles, Madame de Polignac, trat er in Verkehr; er ward auch bei Hofe vorgestellt, und Maria Antoinette wünschte in ihren Concerten zu Versailles seine Musik zu hören.

Zu nicht eben günstigem Zeitpunkte allerdings war Cherubini nach Frankreich gekommen. Seit patriotische Stimmen die französische Tonkunst zum Streit gegen die italienische aufgerufen, und Andere die Flamme des nationalen Kunst- und Kampfeifers begierig weiter schürten, war es um die friedliche Existenz der welschen Musik auf Frankreichs Boden geschehen. Die Spaltung der Parteien in Gluckisten und Piccinisten und deren erbitterte, oft selbst in blutige Händel ausartende Feindseligkeiten, sie zwangen schließlich die Pariser italienische Oper, der Uebermacht zu weichen und nach der eignen Heimat auszuwandern. Trotz alledem blieb der italienischen Kunst, vornehmlich unter den Gebildeten des Landes – wir erinnern an Rousseau – noch mancher Freund erhalten, und auch an dem neuen Gast aus dem Süden und seinen productiven und reproductiven Talenten fand man begreiflicherweise Wohlgefallen.

Zwei Jahre lebte Cherubini in Paris, inzwischen nur an einigen kleineren Gesangscompositionen arbeitend; da rief ihn die Aufforderung, für Turin ein Drama zu schaffen, nach Italien zurück. Derselben Gehör gebend, verfaßte er seine » Ifigenia in Aulide«, die letzte seiner Bühnenschöpfungen, die, gleich ihren Vorgängern, in dem damals so verbreiteten einfachen melodiösen Stil der neapolitanischen Schule gehalten war. Wie er dann seinem Vaterland Lebewohl sagte (1788), um ihm fortan für die Dauer seines ganzen Lebens fern zu bleiben und sich in Paris ein neues Heim zu gründen, so erfuhr auch sein künstlerisches Streben und Wirken eine völlige Erneuerung.

Noch waren die Tage, da Gluck die französische Oper um ihre unsterblichsten Kunstgebilde bereicherte, nicht in zeitliche Ferne gerückt und die Spuren seiner Gegenwart Allen lebendig. Schon war sein Schüler Méhul damit beschäftigt, die von ihm empfangenen Lehren an dem eignen Schaffen fruchtbar werden zu lassen, und Grétry hatte sich der Opéra comique bemächtigt. In diese große Zeit hinein trat Cherubini, und an dem erhabenen Vorbilde des deutschen Meisters durfte er sein Kunststreben läutern. Eine überraschende Erkenntniß ging ihm aus demselben auf. Er sah das gesungene Drama, das, jenseits der Alpen geboren und großgezogen, den Italienern mehr als jede andre Kunstform dankt, nun unter der Pflege andrer Völker zu ungeahnter Herrlichkeit emporgeblüht und das heimische Kunsterzeugniß durch das fremde in den Schatten gestellt. Er sah seinen Landsleuten die lang behauptete Herrschaft über die musikalische Bühne mit einem Male von Deutschen und Franzosen streitig gemacht. An den idealen Gebilden deutschen Geistes aber ward er inne, daß die lächelnde Grazie und Formenschöne, die melodische Redseligkeit der vaterländischen Oper nicht das letzte Ziel der Kunst, daß sie zu Edlerem berufen, als üppigem Sinnengenuß, daß der echte Künstler mehr sei denn ein bloser Zeitverkürzer: nämlich ein Hoherpriester, der des Allerheiligsten der Kunst walte.

Eine solche ernste Kunstauffassung fand in dem tiefen Ernst seines Gemüths ein Echo, und es erwachte in ihm das Verlangen, Besseres, Höheres zu leisten, denn bisher. Er war eine zu wahrhaftige Natur, um sich der durch Gluck laut gewordenen Forderung der Wahrheit des Ausdruckes zu entziehen und sie sich nicht selbst zum Gesetz zu erheben. Er war auch zu lange in die Schule Anderer gegangen, um sich nicht, trotz einer gewissen Starrheit des Charakters, jene künstlerische Gefügigkeit zu erwerben, die das als groß Erkannte willig auf sich wirken läßt und zu eigenem Nutzen zu verwerthen weiß.

Als erstes Zeugniß der veränderten Anschauungen und Bestrebungen Cherubini's ist seine erste französische Oper » Demophon« bemerkenswerth. Auf einen Text von Marmontel geschrieben, ward sie am 5. December 1788 in der Académie royale de musique aufgeführt, ohne besonderen Beifall und mehr als einige wenige Wiederholungen zu erzielen. Der Autor bemüht sich hier, der landesüblichen Manier ausdrucksvollerer Declamation Rechnung zu tragen. Doch mit wenig Glück sehen wir ihn anfangs die gewohnte Straße verlassen. Das Ganze hat ein steifes, gezwungenes, unendlich monotones Ansehen, und für die erlittene Einbuße an frischer, ursprünglicher Melodik suchen wir vergeblich nach irgend welcher Entschädigung, »Selbst die Harmonie,« sagt Fétis, »hat nichts Distinguirtes, und mit Mühe erkennt man in diesem schwachen Product die Arbeit eines Mannes, der wenig später gerechten Anspruch auf den Titel eines großen Meisters erheben durfte.«

Die französischen Berichterstatter stimmen überein in der Schilderung des ermüdenden Eindrucks des Werkes. Allerdings führen sie die Schuld dessen zum Theil auf das ganz uninteressante Textbuch und die Fremdheit des Componisten gegenüber der Landessprache zurück, die im Vergleich zu seiner Muttersprache so viel spröder und musikalischer Behandlung abgeneigter ist. Ohne Zweifel war »Demophon« mehr ein Product des Calcüls als der Inspiration; darüber kann uns weder der in Frankreich bis dahin ungewohnte Glanz der Instrumentation, noch die Noblesse des Stils, die Allem, was Cherubini schrieb, eignet, im Unklaren lassen. Und dennoch erblicken wir in ihm den Vorboten einer neuen Kunstschule in Frankreich.

Zwar verfolgte der Meister den hiermit betretenen Weg nicht augenblicklich weiter. Er kehrte noch einmal zur altgewohnten heimischen Weise zurück, da man für die in Paris neuerstehende italienische Oper seine Mitwirkung begehrte. Als nämlich Leonard, der Coiffeur der Königin Marie Antoinette, dank der Fürsprache derselben, im Jahre 1789 die Concession zur Eröffnung eines italienischen Operntheaters empfing und an Viotti einen erfahrenen Theilhaber seines Unternehmens gewann, dem es gelang, die besten Sangeskräfte der apenninischen Halbinsel anzuwerben, ward Cherubini mit der musikalischen Leitung der Anstalt betraut. Diese ward unter Protection des Grafen von Provence – des nachmaligen Ludwig XVIII. – als Théâtre de Monsieur, am 26. Januar 1789 im Saale der Tuilerien eröffnet. Die besten Werke von Anfossi, Paisiello, Cimarosa u. a. kamen daselbst mit hoher Vollkommenheit zur Darstellung, von Cherubini's Hand durch allerlei Einlagen mit immer frischen Reizmitteln ausgestattet. Binnen einem Zeitraum von drei und einem halben Jahre, während dessen das Unternehmen unter seiner Direction bestand, verfaßte er nicht weniger als dreiundvierzig derartiger scenischer Fragmente, von denen sich vorzugsweise das Quartett: » Cara, da voi dipende,« das in die Viagiatori felici eingelegt ward, und ein Terzett für Cimarosa's Italiana in Londra lange im Gedächtnis; der Hörer erhielten. Auch eine dreiactige Oper: » Marguerite d'Anjou,« für die gleiche Bühne bestimmt, beschäftigte ihn um diese Zeit, doch blieb dieselbe unvollendet.

Ein Vergleich zwischen diesen Arbeiten und dem »Demophon«, oder der nächsten französischen Oper Cherubini's läßt den Letzteren im Anwenden eines zwiefachen Stils beobachten. Er ist ein Andrer, wenn er für die italienische, ein Andrer, wenn er für die französische Bühne schreibt. Die Erfordernisse Beider wohl kennend, greift er dort über die Erfindungen Cimarosa's und Paisiello's nicht wesentlich hinaus, sondern begnügt sich, die gangbaren Formen mit dem Stempel seines Genius zu adeln; während er hier, im Anschluß an Glück, neue Bahnen zu eröffnen auserwählt ist. War sein großer deutscher Vorgänger dazu bestimmt, der französischen Opéra serieux, die vor ihm nicht viel mehr als ein end- und farbloses Recitativ gewesen, ihre eigentliche Form zu geben und sie namentlich ideell auszubauen, indem er zuerst Gestalten und Charaktere in sie hineinstellte, und dramatische Wahrheit, Zusammenhang zwischen Text und Ton zum unabweislichen Gesetz erhob: so knüpfte Cherubini nun an das von ihm Erreichte an. Als Musiker führte er weiter, was jener als Dramatiker begonnen. Als solcher höher begabt, vollendeter und tiefer gebildet, das gesammte künstlerische Material mit sicherer Hand bewältigend, erkannte er in der formellen Ausgestaltung des ihm überkommenen musikalischen Dramas die ihm vorbehaltene Aufgabe. Das von Gluck auf eine Stufe hoher Vollendung gebrachte Recitativ zwar ließ ihm nichts zu thun übrig; auch Arie und Chöre hatten bereits ihre feststehende Gestalt empfangen: er beschränkte sich, ihre formelle Grundlage hier und dort zu erweitern. Dagegen war, bei der wesentlich monologischen Haltung der Gluck'schen Oper, den Ensembles nur eine dürftige Stelle eingeräumt und das instrumentale wie harmonische Element insbesondere einer bedeutenden Vervollkommnung fähig. Hier setzte Cherubini seine Kräfte ein. Als vortrefflicher Instrumentalcomponist, wie sein Vaterland keinen zweiten hervorgebracht, sein Kunstwerk mit instrumentalem Glanz überströmend, dem Orchester, in seiner Berücksichtigung seiner Individualitäten, den wechselnden Reiz zartester und machtvollster Wirkungen verleihend, dabei die Stimme mit echt italienischer Meisterschaft behandelnd, und gleichzeitig durch neue harmonische und rhythmische Combinationen überraschend, ward er, indem er alle Hülfsmittel seiner Kunst der Entwicklung der Handlung dienstbar machte, für Frankreich zum Haupt einer neuen Schule, zum Schöpfer der sogenannten »Effectmusik«. Als solchen insbesondere betrachtet ihn sein zweites Vaterland, während er uns Deutschen vielmehr als Classiker und gleichzeitig als Ausgangspunkt der modernen eklektischen Richtung gilt. Die wundervolle Einheit zwischen Form und Inhalt in seinem Schaffen haben ihn zu Diesem, sein leichtes Aneignungstalent, der künstlerische Verkehr mit den verschiedenen Nationalitäten haben ihn zu Jenem gemacht.

Alle die Besseren unter den späteren Tonsetzern jenseits des Rheins sind, nur mit dem durch ihre Individualität bedingten Unterschied, auf den Pfaden des italienischen Maestro weitergewandelt, der es verstand, ein Neuerer zu sein und doch am Alten festzuhalten. Méhul, Berton, Lesueur, Grétry, Spontini und seine Nachfolger haben sich mehr oder minder an Cherubini's künstlerischem Reichthum genährt und aus seinem Vorgange Vortheil gezogen. Das epochemachende Ereigniß aber, an das sich zunächst dieser revolutionäre Umschwung des französischen Musikdrama's knüpft, war die Erscheinung eines neuen Werkes von Cherubini: seiner »Lodoiska.«

Am 18. Juli 1791 erlebte diese so berühmt gewordene Schöpfung im Théâtre Feydeau ihre erste Aufführung. Selbst die Schrecken der französischen Revolution, inmitten deren sie an's Licht trat, vermochten ihre Wirkung nicht zu beeinträchtigen. Unnachahmlich verstand es namentlich die Interpretin der Hauptrolle, Madame Scio, die später auch bei Darstellung des Wasserträgers so Außerordentliches leistete, die Intentionen des Componisten zur Ausführung zu bringen. Genug, zweihundert Vorstellungen während des ersten Jahres und unzählige Wiederholungen, welche denselben auch später folgten, konnten das Interesse nicht erschöpfen, die allgemeine Bewunderung nicht ermüden. Siegreich ward die gefürchtete Rivalität eines gleichnamigen Werkes des beliebten Kreutzer aus dem Felde geschlagen; – um wie viele Jahrzehnte aber hat Cherubini's Lodoiska jene überlebt!

Und nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland wies man ihr eine Ehrenstelle unter den edelsten Kunstproducten an. Man spürte in ihr etwas von deutschem Geiste und innerster Blutsverwandtschaft, etwas, das an den Flügelschlag von Haydn's und Mozart's Genius erinnerte; wie ohnehin Beziehungen zu Letzterem – sei es zufolge natürlicher Wahlverwandtschaft, oder eines ähnlichen Bildungsganges, oder auch directer Beeinflussung – in Cherubini's gesammtem Schaffen offenkundig werden. Auf unsern vaterländischen Bühnen bürgerte sich Lodoiska ein, von unsern größten Meistern geschätzt und anerkannt. Carl Maria von Weber's hohe Würdigung derselben und ihres Schöpfers z. B. erhellt aus dem Aufsatz, den er, wie er dies bekanntlich in Prag und Dresden zu thun pflegte, zur Vorbereitung des Publikums der Aufführung vorausschickte (1817). Desgleichen aus brieflichen Aeußerungen, als er, gelegentlich der Inscenirung der Lodoiska in Berlin (1818), mit Composition einer Arie für die Milder beauftragt war, da die des Originals der Sängerin ungünstig lag. »Ehrfurchtsvoll und mit Liebe« ging er an die Arbeit, die, als op. 56 veröffentlicht, zu seinen besten dieser Art zählt. »Möge es mir gelungen sein, dem herrlichen Werke keinen Flecken gegeben zu haben, so bin ich hinlänglich belohnt,« sagt er selbst bescheiden in Bezug auf dieselbe.

Die politischen Ereignisse in Frankreich nahmen unterdessen eine immer verhängnißvollere Wendung. Die Straßen der Hauptstadt hallten wieder von patriotischen Gesängen revolutionären Inhalts und immer blutigere Gräuelscenen schauten sie mit an. Die Kunst feierte gezwungen. Nach der Gefangennehmung des Königs schlossen auch die Theater ihre Thüren. Zwar nur, um sie binnen Kurzem um so zahlreicher wieder aufzuthun; beschenkte doch die so freudig begrüßte Freiheit, die alle Privilegien überflüssig machte, Paris mit nicht weniger denn fünfundzwanzig Bühnen. Selbst das Unglück vermochte die eingeborene Vergnügungslust in dem französischen Volk nicht zu ertödten. »Morgens wurde guillotinirt und Abends konnte man keinen Platz im Theater haben.« Mit diesen Worten charakterisirte des Meisters Gattin, Ferdinand Hiller gegenüber die damalige Zeitlage.

Seine Eigenschaft als Director der italienischen Oper hatte Cherubini bisher am Herd der Revolution zurückgehalten. Nun sich diese aber im September 1792 auflöste, fehlten ihm die Mittel, um, gleich der Mehrzahl seiner Freunde, Frankreich zu verlassen. Auch fesselten ihn zarte Bande an dies Land: Cécile Tourette, die junge und schöne Tochter eines Musikers der königlichen Capelle, dieselbe, der er seine Arie l'amitié gewidmet (1792), gewann sein Herz, und gegen Ende des Jahres 1793 ward sie die Seine. Unruhen und Krieg, die bösen Gäste ihres Hochzeitfestes, blieben aber wenigstens ihrem häuslichen Herde fern. Ihr eheliches Glück blieb rein und unversehrt, vom Himmel behütet bis hinauf zu den äußersten Grenzen des Alters, die dem Menschen hienieden gesteckt sind. Die treue Genossin seiner arbeitsvollen Tage, die ihn mit liebevollster Fürsorge umgab und noch um einige Jahre überlebte, schenkte ihm drei Kinder, die die Freude seines Lebens waren, und deren jüngstgebornem, Signora Zenobia Rosellini in Pisa Sie ist die Wittwe des berühmten Archäologen Ippolito Rosellini, der, als Haupt einer toscanischen wissenschaftlichen Expedition zur Erforschung Aegyptens und Nubiens, sich mit der gleichzeitigen französischen unter Champollion vereinte, und die Resultate seiner Studien in werthvollen Schriften veröffentlicht hat., d. Verf. dieser Skizze die werthvollsten Mittheilungen über ihren großen Vater dankt.

In tiefer Zurückgezogenheit gab Cherubini sich dem Genusse seiner jungen Häuslichkeit hin, den Empfindungen, die ihn bewegten, in einer seiner edelsten Tondichtungen – der Oper »Elisa« – Ausdruck gebend. Er wollte in seiner Kunst die Welt des Entsetzens und Blutvergießens, die ihn umgab, vergessen. Allein gewaltsam ward er in dieselbe hineingezogen.

Es war in den Tagen wahnsinnigster Erregtheit – erzählte uns seine Tochter – als eine Horde Sanscülotten die Straßen durchzog, die Luft mit wüstem Gesang erfüllend. Plötzlich wandelte dies entmenschte Volk das Gelüste an, sich auch einmal an dem edlen Luxus der Vornehmen, der Kunst, zu ergötzen. Begierig griffen sie mehrere der namhaftesten Tonkünstler in ihren Häusern auf – darunter Méhul und den seit Kurzem erst verheirateten Cherubini – und zwangen sie, ihnen zu folgen und in ihre Lieder einzustimmen. Cherubini war kühn genug, sich bestimmt zu weigern, und schon drohte ein lautes Murmeln des Unwillens und der Ruf! »Nieder mit dem Royalisten!« ihm ernste Gefahr – da reichte einer seiner besonneneren Gefährten ihm eine Violine und überredete ihn, sich den Umständen zu fügen. Dies rettete ihm das Leben. Mit den »Carmagnolen«, dem Gewand der Republikaner, bekleidet, mußte er einen vollen Tag lang mit dem rohen Haufen umherziehen, auf seinem Instrument ihre Gesänge zu begleiten. Nicht einmal die Mittagsstunde brachte ihm Rast, und während man inmitten eines öffentlichen Platzes das unsaubre Bankett hielt, mußte er sammt seinen Genossen auf einem aus Fässern improvisirten Orchester seine Kunst zum Besten geben.

Damit noch nicht befriedigt, zwang man ihn auch, in die Nationalgarde einzutreten und derselben bei ihren grausamen Diensten, die Unschuld zu verhaften und an ihren Thüren Wache zu stehen, behülflich zu sein. Eine Reihe patriotischer Kompositionen, in den verschiedenen Epochen der Revolution entstanden, bezeugen, daß selbst seinem schöpferischen Talent ein Tribut abgefordert wurde. Im Herzen aber war er keineswegs Republikaner. Die Republik der Kunst war die einzige, der seine Sympathien angehörten und als deren Bürger er sich reich und beglückt fühlte. Hätte er in Wahrheit – wie von vielen Seiten versichert, von seiner Familie aber bestimmt in Abrede gestellt wird – an dem revolutionären Treiben Freude gefunden, er würde sich demselben nicht entzogen haben, wie er dies kurz vor seiner Verheiratung that. In der Karthause von Gaillon bei Rouen, dem Besitzthum des ihm befreundeten Architecten Louis, suchte er Zuflucht. Hier in der Stille schuf er eine Oper, » Kougourgi«, deren Schicksal es war, von ihrer Geburt an lebendig begraben zu werden. Angesichts der unseligen politischen Verhältnisse, und durch ein »stüpides Textbuch« von vornherein lebensunfähig, erlebte sie nicht eine einzige Aufführung.

Glücklicher war ein andres Werk des Meisters, das, der Ungunst der Zeiten trotzend, unter dem schon erwähnten Namen »Elisa, oder die Reise auf den St. Bernhard« am 13. December 1794 auf dem Theater Feydeau den Parisern vorgestellt ward. Die Introduction, ein Chor der Klosterbrüder, die unter Schneesturm auf eisigem Gefilde das Werk der Barmherzigkeit üben und dem verirrten Wandrer zu Hülfe eilen, wie eine Scene (im ersten Finale zwischen Florindo und dem Prior), während deren voller Dauer fast die Klosterglocke läutet – ein Motiv, das zu schönen klanglichen Effecten Veranlassung giebt – erregten insbesondere den Enthusiasmus der Franzosen und finden sich in allen Berichten anerkennend hervorgehoben. Den Freund Wagner'scher Principien wird es interessiren, daß er das Thema des erwähnten Chors (in G-moll) in einer späteren Scene, bei Wiederkehr der Klosterdiener, wiederaufgenommen sieht: also wol eine erste bescheidene Anwendung des sogenannten Leitmotivs, ein erster Versuch zu thematischer Einheit, wie sie in den musikalischen Bestrebungen moderner Tage eine so hervorragende Rolle spielt. Höchst wirksam ist namentlich die Scene, wo die Getrennten sich zwischen Abgründen wiederfinden und Elisa den Geliebten ruft.

Dürfen wir Fétis im Allgemeinen beipflichten, wenn er das Verschwinden des Werkes von der Bühne durch das »uninteressante und in einem lächerlichen Stil geschriebene« Textbuch begründet, so gerathen wir in entschiedenen Widerspruch zu ihm, wenn er dies auch auf die »Medea« ausdehnen will. Mag die Dichtung derselben immerhin für den französischen Geschmack zu ernsthaft und düster sein, wir Deutsche haben uns gewöhnt, diese erhabene Schöpfung als Muster einer Tragödie in Tönen zu betrachten. Was Cherubini mit »Lodoiska« begonnen, das krönt er mit seiner »Medea«. Den Platz in der Reihe der classischen Meister, den er sich mit jener erobert, er gewinnt ihn mit dieser zum dauernden, zum unsterblichen Eigenthum.

Aus den vereinigten Kunstbestrebungen dreier Völker ging unsere classische Oper als wundervolle Blüte hervor. Das Beste italienischer Kunst: stilistische Schönheit und Formenvollendung, vermählte sich mit deutscher Gedankentiefe und Innerlichkeit, und, um das Glück dieses Bundes zu vollenden, fügte der Franzose noch die Gabe dramatischer Lebendigkeit hinzu. Die Phantasie des Südländers, aus der ihm seine unversieglichen Melodienströme quellen; die Idealität des Germanen, die, sein Höhe und Tiefe umfassendes Streben versinnlichend, sich in Ausbildung der Harmonik und des Instrumentalen genug thut; die leichte Beweglichkeit des Franzosen, wie sie sich in seiner Vorliebe für scharfe Rhythmen ausprägt: sie waren die Factoren, die das classische Kunstwerk erzeugten. So gehen in der Einheit der Classicität die Vielheiten der Nationalität unter, die, eine jede selbständig, sich ihre eigene Oper bildeten.

Auch in der »Medea« sehen wir dies natürliche Erbtheil des Italieners mit dem an deutschen und französischen Vorbildern Erlernten gemeinschaftlich wirksam; die Spuren cisalpinischer Abstammung verbergen sich fast sorgfältig. Wir begegnen wahrhaft deutscher Empfindungsart und Gründlichkeit des Wissens, deutschem Ernst und deutscher Keuschheit, die die südliche Phantasieglut in Schranken hält und streng darauf achtet, daß der Strom der Begeisterung und Leidenschaft nicht die Ufer der Schönheit überflute, die das ästhetische Gewissen des Künstlers bewacht. Sein Wahrheitssinn leitet den Meister allenthalben und lehrt ihm, was von jeher die gefahrvollste Klippe für den dramatischen Tondichter bildet: die Verschmelzung des dramatischen Elementes mit dem rein musikalischen, in seltener Weise zu vollbringen. Klar und scharf finden sich die Situationen und Charaktere gezeichnet, voll so lebendiger Unmittelbarkeit, daß wir uns mitten in und unter dieselben hineingestellt glauben. Die Mannigfaltigkeit im Einzelnen tritt jedoch der Einheit des Ganzen nirgends zu nahe. Im Gegentheil hebt Carl Maria von Weber es als eine Eigenthümlichkeit hervor, daß Cherubini der Melodie des Ganzen die einzelne des Sängers hintansetze, mehr der Forderung des Franzosen nach sprachgemäßer Declamation, als der des Italieners nach gefühlvoller Cantilene gerecht werdend; ja Hiller spricht geradezu die Meinung aus, daß »der Mangel an concreten Melodien den schwachen Punkt im musikalischen Naturell« des großen Künstlers bilde. Ein tiefdurchdachter innerer Zusammenhang aber waltet in Allem, und die in glühendem Colorit ausgeführten Bilder ordnen sich harmonisch dem Totaleffect der Grundstimmung unter. Groß und breit sind die Contouren des Werkes angelegt. Der harmonische Reichthum insbesondere ist bewundernswerth; die instrumentalen Mittel sind feinsinnig gewählt. Wir erinnern an die wuchtvolle Wirkung des Streichorchesters im Duett in E-moll zwischen Medea und Jason, an die charakteristische Verwendung einzelner Soloinstrumente, besonders Fagott und Oboe, anderwärts. Die Orchestereinleitungen sind meisterlich vorbereitend; Ensembles und Chöre greifen effectvoll ein und erhöhen die dramatische Lebendigkeit. Von einzelnen Arien etc. ragen die der Medea in F-dur, ein zweites Duett zwischen ihr und Jason in D-moll, ihre Scene mit Kreon und die Schlußscene des zweiten Actes hervor. Der ganze dritte Act, während dessen die Titelheldin die Bühne nicht verläßt und sich der Kampf zwischen Eifersucht und Mutterliebe, in dem die Rache Siegerin ist, vor unsern Augen abspielt, ist von überwältigender Größe.

Freilich fordert die »Medea« eine Darstellungskraft obersten Ranges, soll sie den mit monumentaler Plastik entworfenen Charakter in all seiner dämonischen Macht verlebendigen; und es scheint, als ob sich in Deutschland mehr denn in Frankreich die rechte Begeisterung für diese Rolle fand. Denn während die Oper, die am 13. März 1797 auf dem Theater Feydeau Paris zum ersten Male ausgeführt wurde, ihren unvergänglichen Schönheiten zum Trotz, in ihrem Heimatlande nur ein kurzes Dasein lebte, bereitete man ihr in unserem Vaterlande da, wo sie gehört ward, eine Aufnahme, wie sie einem Werke gebührt, dem wir neben »Don Juan« und »Fidelio« und Gluck's großen Schöpfungen eine nächste Stelle anweisen. In Wien, wo man sie seit 1800 kannte, hatte sie, einem Briefe Cherubini's an die Milder (die Wiener Medea) von 1812 zufolge, einen »brillanten Succeß.« Auch in Berlin, in Cassel, Weimar, Prag würdigte man sie längst und noch in unseren Tagen feierte sie nach jahrzehntelanger Ruhe in Frankfurt a/M. (1855), in Leipzig (1869), Karlsruhe (1873) und Wien (1880) eine erfolgreiche Auferstehung. Franz Lachner hat den ehemals gesprochenen, für heutigen Gebrauch unzulänglichen Dialog in Recitative umgewandelt, die sich stilvoll und edel dem großen Rahmen einfügen. Möchte das Werk in dieser den modernen Ansprüchen angemessenen Gestalt auf den besten deutschen Bühnen heimisch werden!

Dieser großartigsten Schöpfung Cherubini's folgte wenig später eine andere, die ihn nicht minder als jene unsterblich machte. Nur einige Producte ephemeren Werthes, die einactigen Opern: » L'hôtellerie portugaise« (1798), » La punition« und » La prisonnière« (1789), welche Letztere er in Gemeinschaft mit Boieldieu schrieb, trennen die »Medea« von dem »Wasserträger«, oder » Les deux journées«, unter welchem Namen die Oper am 16. Januar 1800 im Theater Feydeau zur Aufführung gelangte. In andrer Weise aber als dort offenbart hier Cherubini seine Größe. Entfaltete er in der Medea, dem Stoff voll antiker Leidenschaft und dämonischer Gewalt, seine düstersten tragischen Schwingen, so galt es hier, zu sonnigerem Fluge in die freundlichen Regionen der heiteren Oper die Flügel zu heben. Naiven, lächelnden Antlitzes schaut uns nun dieselbe Muse an, die dort unsere bängste Mitleidenschaft rege machte, und aus dem Zauberkreis uralter Mythe treten wir in die schlichte Alltagswelt ein. Doch bemächtigt sich diese nicht minder denn jene unsrer Sympathien. Der Stoff ist ein reinmenschlicher, wie er dem wechselnden Geschmack der Zeiten trotzt; der scenische Bau des Dramas durchaus kunstgerecht, einfach und natürlich sich entwickelnd und dabei zu gleicher Zeit spannend und ergreifend. Solch mustergültigem Libretto verband der Componist seine classische Musik. Das Monologische des Recitativs und der Arie erscheint hier nahezu aufgehoben. Eine Romanze, eine Arie, ein Duett und ein paar kurze Melodramen ausgenommen, baut sich das Ganze nur aus Ensemblestücken und Chören auf, die sich in den prachtvollen Finales zu höchster Wirkung gipfeln.

Als man bei der ersten Aufführung der Oper bis zum Finale des ersten Actes gekommen, kannte der Enthusiasmus der Zuhörer keine Grenzen mehr und von Beifallsrufen hallte das ganze Theater wieder. Kaum war der Vorhang gefallen, so erstiegen die Schüler des Conservatoriums, von Liebe und Bewunderung für ihren Meister getrieben, das Orchester, ihm jubelnd ihre Glückwünsche darzubringen. Und selbst Grétry, der nur an seiner eigenen Musik Wohlgefallen hatte, stellte sich an die Spitze der besten Tonkünstler, die Paris damals beherbergte, und legte dem Componisten des Wasserträgers seine Huldigungen zu Füßen.

So berichtet Luigi Picchianti, der erwähnte italienische Biograph, dem sammt unserem andern hauptsächlichsten Gewährsmann, dem vorgedachten Dieudonné Denne-Baron – dem Verfasser von » Cherubini, sa vie, ses travaux« Paris, Heugel. 1862. – von der Tochter Cherubini's unter allen seinen Biographen das Lob größter Zuverlässigkeit zuerkannt wird. Wir erfahren weiter, daß zweihundert Vorstellungen des neuen Werkes nicht hinreichten, das Entzücken der Pariser an demselben abzuschwächen. Wie schon neun Jahre früher bei Lodoiska, so erfreute sich Cherubini auch hier wiederum eines wahrhaft populären Erfolges. Und doch sagt uns Fétis, daß, von dem Standpunkt der damaligen Zeit aus, die tieferen Schönheiten der Oper unverstanden blieben und bleiben mußten. Was der Componist von geistvollen harmonischen Combinationen, von rhythmischen und melodischen Feinheiten, von instrumentalem Detail Neues und Ungewöhnliches darin niedergelegt, das ward in Frankreich keineswegs nach Verdienst gewürdigt. Ob man sich auch am Ganzen als Solchem ergötzte, bis zur Erkenntniß des Werthes der Arbeit im Einzelnen stiegen nur Wenige hinab. Anders war dies in Deutschland. Dem deutschen Sinn steht harmonische Vertiefung weniger fern, als dem französischen; denn mehr als andere Völker hat sich das unsere um den Ausbau der Harmonie, dieses einen Grundsteins der Tonkunst, verdient gemacht. Und haben nicht schon unsere alten Händel und Bach die Geheimnisse dieser Wissenschaft tiefer ergründet und sinnreicher verwerthet, als all' ihre Zeitgenossen und Viele, die nach ihnen kamen? Die Gewohnheit der Deutschen, nach dem Grund aller Dinge zu fragen, in die Tiefe des Gedankens hinabzutauchen, ist von jeher auch dem, was Fremdländisches zu uns herübertrat, zu Gute gekommen, und oftmals hat es bei uns eine gerechtere Schätzung erfahren, als da, wo es zuerst an's Licht getreten. So brachte man bei uns, wo durch Haydn's und Mozart's Thaten der Musikverstand indessen wesentlich gefördert worden war, auch dem Werke Cherubini's, dieses größten Harmonikers unter seinen Zeitgenossen, von vornherein ein tiefgehenderes Verständnis; entgegen, als dies von Seiten unserer überrheinischen Nachbarn geschah. Der »Wasserträger« erwarb sich das Bürgerrecht auf den besten Bühnen unseres Vaterlandes, und unsere ersten Componisten erkannten in ihm ausnahmslos das Vorbild einer nach Form und Inhalt gleich vollendeten Oper. Es wird erzählt, daß Beethoven die Partitur desselben stets auf seinem Schreibtisch liegen hatte, und Mendelssohn will aus dem »Fidelio« allenthalben die Einwirkung des »Wasserträgers« und Cherubinischer Ausdrucksweise überhaupt heraussehen und -hören. Daß unser erhabenster deutscher Tonschöpfer in dem großen Italiener den ersten dramatischen Componisten seiner Zeit verehrte und »seine Werke über alle andere theatralische schätzte«, hat er wenigstens selber in einem Briefe an ihn ausgesprochen, darin es u. a. lautet: »Ich bin entzückt, so oft ich ein neues Werk von Ihnen vernehme und nehme größeren Antheil daran, als an meinen eigenen; kurz, ich ehre und liebe Sie«, und » Vous resterez toujours celui de mes contemporains, que je l'estime le plus.« Ein ähnliches Urtheil fällte zwanzig Jahr später (1840) Robert Schumann, als er hervorhob, daß es wol an der Zeit wäre, den noch zu wenig gekannten und geschätzten großen Mann und Meister wieder mehr hervorzusuchen, der zu Beethoven's Lebzeiten gewiß der zweite Meister der neueren Tonkunst, nach dessen Tode aber als der erste der lebenden zu betrachten sei. Er vergleicht den »seinen, gelehrten, interessanten Italiener in seiner strengen Abgeschlossenheit und Charakterstärke« Italiens größtem Sohne: Dante. Den »Wasserträger« bezeichnet er anderswo (in seinem Theaterbüchlein) als »geistreiche meisterliche Oper.« Auch Spohr bekennt in seinen »Briefen aus Paris«, durch ihn den ersten Impuls zur Composition empfangen zu haben, und Carl Maria von Weber nennt ihn »göttliche Musik.« »Alles ist auf's Effektvollste berechnet,« sagt er, »alle Musikstücke sind so an ihrer Stelle, daß man keins weglassen und keins dazuthun kann. Lieblicher Reichthum von Melodie, kräftige Declamation und eine Alles ergreifende Wahrheit in Auffassung der Situation, ewig neu, ewig gern gesehen und erhalten.« Desgleichen äußert Moritz Hauptmann in einem seiner neuerlich durch Hiller veröffentlichten Briefe: »Was ein Satz, wie die ersten Tacte der Ouverture zum »Wasserträger« für einen damaligen jungen Musiker für einen Reiz haben mußte, davon kann sich ein jetziger, nachdem der Schatz Gemeingut geworden, keinen Begriff mehr machen. Ich, in meinen damaligen Dresdener ganz italienischen Umgebungen, habe die heißesten Thränen dabei vergossen; Mozart war in den Hintergrund getreten.« Und Ferdinand Hiller sagt (»Musikalisches und Persönliches«, Leipzig, 1876) in Bezug auf eben diese Ouverture im Verein mit der Einleitung und den Zwischenactsmusiken zu Medea: »Cherubini hat in jenen Stücken Beethoven und Weber, Schumann und Wagner geahnt.«

Während sich seine deutschen Kunstgenossen also in seinem Preise vereinigen und der Ruhm seines Namens Europa erfüllte, war Cherubini an der Stätte seines Wirkens ein äußerlich nichts weniger als glänzendes Los bescheert. Wol hatte man ihn bei Gründung des Conservatoire de musique, im August 1795, zu einem der fünf Inspektoren ernannt, welche sammt dem Director, Sarrette die Anstalt leiteten – eine Ehre, die er mit Gossec, Grétry, Méhul und Lesueur theilte–, allein der materielle Ertrag dieser Stellung war bescheiden und reichte selbst für so mäßige Ansprüche wie die seinen kaum aus. Als seine Familie sich mehrte, trat das Gespenst der Sorge in sein Haus, und sein natürlicher Hang zu ernster, ja düstrer Lebensanschauung gewann Nahrung. Von äußerst nervöser Organisation, wie er war, nahm seine Reizbarkeit zu in dem Grade, als er sich bewußt wurde, daß unter Bonaparte's Regiment wenig oder nichts für ihn zu hoffen, seine und der Seinen Lage mithin nahezu aussichtslos und unverbesserlich sei. Nicht ohne Verstimmung sah er zu, wie Er, der die Geschichte Frankreichs lenkte, auf das Haupt fast aller mitlebenden Berühmtheiten Gunstbezeugungen häufte, und nur seiner so gänzlich zu vergessen schien. Und nicht blos Gleichgültigkeit, sondern entschiedene Abneigung wol war es, was Napoleon's Handlungsweise gegen den Künstler bestimmte. Wenigstens haben die dem Letzteren Nahestehenden die Spuren dessen bereits von der ersten Begegnung der beiden großen Männer ableiten zu sollen geglaubt. Als nämlich Bonaparte von dem italienischen Feldzug ruhmbedeckt nach Paris zurückkehrte, beschloß man auch im Conservatorium, ihn gebührend zu feiern. Man wählte zu diesem Zweck außer einem ihm von Paisiello gewidmeten Marsch, den er aus Italien mitgebracht, eine Cantate und einen marche funèbre, die Cherubini für das Leichenbegängniß des General Hoche componirt hatte. Nach beendigter Aufführung näherte sich Bonaparte Cherubini und, ohne seiner Musik nur im Geringsten Erwähnung zu thun, erging er sich in Lobpreisungen Paisiello's und Zingarelli's, die er als die ersten Componisten bezeichnete. »Ich lasse mir Paisiello noch gefallen,« murmelte Cherubini leise, »aber Zingarelli! –«

Seit diesem Augenblick versäumte Bonaparte keine Gelegenheit, ihn diesen Vorzug empfinden zu lassen. Als, nach dem Attentat vom 24. December 1800, der erste Consul die Deputationen der verschiedenen Körperschaften empfing und auch das Conservatorium die seinige sandte, erschien mit ihr Cherubini in den Tuilerien. Wenige Tage später ward er zum Diner entboten. Im Laufe desselben brachte Napoleon wieder das Gespräch auf seine italienischen Lieblinge. »Ich liebe Paisiello's Musik sehr«, rief er aus: »sie ist sanft und beruhigend. Sie haben viel Talent, aber Ihre Begleitungen sind zu stark.« »Bürger Consul, ich habe mich dem Geschmack der Franzosen angepaßt«, entgegnete Cherubini. » Paese che vai, usanza che trovi (andre Länder, andre Sitten), sagt das italienische Sprüchwort.«

– »Ihre Musik ist zu geräuschvoll,« fuhr Bonaparte fort; »sprechen Sie mir von der Paisiello's; sie wiegt mich sanft ein.«

– »Ich verstehe, Sie wollen Musik, die sie nicht verhindert, an Staatsgeschäfte zu denken!« Mit dieser Erwiderung machte der Künstler der Unterhaltung ein Ende. Sie sollte seine Ungnade für immer besiegeln.

So lange Napoleon an der Spitze von Frankreich stand vergönnte er Cherubini nicht das geringste Zeichen seiner Teilnahme und Anerkennung. Er berief Paisiello zur Leitung seiner Capelle, und als dieser, des Lebens in Frankreich bald überdrüssig, sich schon nach zwei Jahren nach seiner neapolitanischen Heimat zurücksehnte, wurde Zingarelli, und, da derselbe ablehnte, zunächst Méhul zu seinem Nachfolger bestimmt. Mit Cherubini eng befreundet, aber wagte dieser kaum die Bitte, das Amt mit Letzterem theilen zu dürfen, als sofort Lesueur statt seiner zum kaiserlichen Capellmeister erhoben wurde. Die Direction der kaiserlichen Schauspiele und Hofconcerte ward in Paer's Hände gelegt, und als Repräsentanten der Tonkunst in dem 1795 begründeten Institut de France erkor man Cherubini's Collegen Gossec, Méhul und Grétry. Einzig für Cherubim schien der allmächtige Herrscher von Frankreich kein Amt mehr übrig zu haben.

Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner und raubte ihm eine Zeit lang alle Lust am Schaffen. Seit seiner Oper » Epicure«, die er bald nach dem Wasserträger, gemeinsam mit Méhul geschrieben, bis 1803 schuf er nichts von Bedeutung. Um das Maß äußerer Unbill und Widerwärtigkeiten zu vollenden, fügte es das Mißgeschick des Künstlers noch überdem, daß auch die nächsten Bühnenarbeiten, zu denen er sich wieder aufraffte, fast spurlos vorübergingen. Die Oper » Anacréon ou l'amour fugitif«, die außer der berühmt gewordenen Ouvertüre mehrere Nummern von großer Schönheit enthält, wie das Ballet » Achille à Scyros,« begegneten bei ihrer Aufführung (am 4. October 1803 und am 18. December 1804) einer Aufnahme, die einem Mißerfolg sehr ähnlich sah. Um so freudiger durfte Cherubini es unter den obwaltenden Umstanden begrüßen, als von Wien aus das vortheilhafte Anerbieten an ihn erging, für das dortige Kärthnerthor-Theater eine Oper zu schreiben. Mit seiner Gemahlin und seiner jüngsten Tochter machte er sich denn auch am 26. Juni 1805 auf den Weg nach der deutschen Kaiserstadt, eine bereits begonnene Oper » Les arrêts« daheim zurücklassend.

Kaum in Wien angelangt, beeilte er sich, Haydn, dem Patriarchen der Musik, seine Huldigungen darzubringen. Er ward auf's Wärmste aufgenommen, und bald knüpfte sich zwischen beiden Meistern ein inniges Freundschaftsband, das sich auch in der Folge fortsetzte. Als ein Geschenk von hohem Werth und eine besondere Zierde seiner reichen, noch jetzt vollständig erhaltenen Autographensammlung schätzte Cherubini das Manuscript einer Symphonie, das Haydn ihm verliehen, und als der Letztere starb (1809) widmete er seinem Andenken eine Cantate, die er im Conservatorium aufführen ließ. Die Composition entstand bereits 1805, als Pariser Zeitungen die Nachricht von Haydn's Tod verbreiteten, wie denn der vermeintlich Gestorbene auch durch ein Traueramt mit Aufführung von Mozart's Requiem gefeiert wurde. Als Haydn dies hörte, sagte er in seiner gemüthlichen Weise: »Wenn ich nur die Feier gewußt hätte, ich wäre selbst hingereist, um die Messe in eigner Person zu dirigiren.« Bei seinen Lebzeiten hatte er die Aufforderung, dem alten Meister seinen »Wasserträger« zu widmen, abgewiesen, weil er noch nichts geschrieben habe, was eines solchen Künstlers würdig sei. Auch mit Beethoven trat er in Verkehr; doch behielten ihre Beziehungen immer einen mehr künstlerischen als intimen Charakter. Schindler, der bekannte Biograph Beethoven's, behauptet sogar, daß Cherubini sich diesem gegenüber ablehnend verhalten und jegliche Aeußerung über ihn mit dem Refrain begleitet habe: » mais il était toujours brusque.« Im Widerspruch hierzu schreibt seine Tochter: »sie hegten Beide für einander die höchste Bewunderung«, und Denne-Baron erzählt, daß als einmal eine Composition von ihm neben einer Beethoven's aufgeführt wurde, er auslief: »Neben ihm werde ich wie ein kleiner Junge erscheinen!«

Zunächst gab Cherubini die Vorbereitung von »Wasserträger« und »Lodoiska« viel zu thun. Schon anfangs August leitete er die Aufführung des Ersteren, vom Publicum mit Begeisterung empfangen. Er führte mancherlei Verbesserungen in den Tempi ein, z. B. eine Verlangsamung des Allegro in der Ouvertüre, was, nach einem Bericht der Allgemeinen Musikzeitung, dem Ganzen sehr zum Vortheil gereichte. Zur Lodoiska componirte er zwei Entr'acte und eine Arie für Mad. Campi, dann überließ er sich der Beschäftigung mit seinem neuen Werk: »Faniska«. Die Partitur desselben war bereits beendet, als der politische Himmel sich plötzlich verdüsterte und unversehens der Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich ausbrach. Mit Blitzesschnelle war Napoleon mit seinem Heer in der Nähe Wiens und erzwang sich mit dem Sieg von Austerlitz den den Feind demüthigenden Pester Frieden.

In Wien hörte er kaum von Cherubini's Anwesenheit, als er denselben zu sich befahl. »Da Sie hier find, Monsieur Cherubini«, sagte er zu ihm, »werden wir zusammen Musik machen. Sie dirigiren meine Concerte.« Der Künstler leitete in der That eine Reihe musikalischer Soiréen, die der französische Kaiser theils in Wien, theils in Schönbrunn veranstaltete. Eine jede derselben gab Veranlassung zu neuen musikalischen Discussionen, die besonders Napoleon's Lieblingsthema, die italienische Musik, berührten, ohne daß es hierin zwischen Beiden zu irgend welcher Einigung gekommen wäre. Im Uebrigen zeigte sich der Kaiser Cherubini zu jener Zeit geneigter denn jemals; er belohnte ihn reichlich für seine Leistungen und forderte ihn sogar auf, nach Frankreich zurückzukehren. Als dies aber wenige Monate später wirklich geschah, war – in Folge der Intriguen Paer's, laut Signora Rosellini – jene flüchtige Wandlung zu Gunsten des Meisters verrauscht und vergessen.

Am 25. Februar 1806 erschien »Faniska« auf dem Kärnthnerthor-Theater, in Gegenwart Kaiser Franz II. und seines ganzen Hofes. Auch dieser neuen Arbeit bereitete die deutsche Stadt ein freudiges Willkommen, obgleich sie an Werth hinter »Medea« und sogar auch »Lodoiska« zurückstand, und Weber meint, daß ihr Schöpfer »dem verweichlichten Wiener Geschmack« darin all zu viele Zugeständnisse gemacht habe. Haydn drückte ihn gerührt an seine Brust und nannte ihn seinen lieben Sohn, und alle übrigen Künstler Wiens wetteiferten ihn zu feiern. Cherubini genoß vieler Sympathien in Wien, selbst zum Schaden Beethoven's und seines »Fidelio«. Zu seinem Nachtheil nur hinderten ihn die politischen Verhältnisse, dieselben des Weiteren auszubeuten. Das kriegerische Mißgeschick Oesterreichs war theatralischen Unternehmungen selbstverständlich nicht günstig. Demzufolge ward das Engagement, das den Componisten noch zu ferneren Leistungen verpflichtete, gebrochen, und frühzeitiger, als er gehofft, verließ er am 9. März einen Ort, wo er eine so gerechte und wohlthuende Würdigung seines Genius gefunden.

Drei Wochen später war er wieder in Paris. Das Conservatorium feierte seine Wiederkehr mit einem Festactus, während dessen verschiedene Stücke aus seinen Opern aufgeführt wurden. Laute Jubelausbrüche begleiteten seinen Eintritt in den Saal. Nur gereichte leider diese Demonstration von Meistern und Schülern der Anstalt gegen die kaiserliche Ungnade dem Gefeierten selbst mehr zum Schaden als zum Nutzen. Er mußte für den Ruhm seiner Erfolge im Auslande daheim büßen. Wie schwer aber die Ungunst von oben auf ihm lastete, darüber giebt uns ein Blick in den Catalog seiner Werke Aufklärung. Ein paar Fragmente vom Umfange weniger Seiten sind Alles, was er während der Jahre 1806 und 1807 und der ersten Hälfte 1808 geschaffen. So gänzlich entzog er sich der Kunst, der er sich doch mit Leib und Seele zu eigen gegeben, und der er, nach den Worten seiner Tochter, »einen wahren Cultus« widmete. Ein Anfall gesteigerter Nervosität, wie er ihn schon einige Jahre früher heimgesucht, wiederholte sich in verschlimmertem Maße, Finstere Melancholie hielt seinen Geist umfangen und peinigte ihn mit dem Gedanken, daß er an der Grenze seiner künstlerischen Laufbahn angekommen sei und dem Schaffen entsagen müsse. Unter dem Einflusse dieser Ueberzeugung wies er die Dichtung der »Vestalin« zurück, der Spontini später mit so glänzendem Erfolg ihre musikalische Gestalt verlieh. Studien im Zeichnen und Aquarellmalen, darin er eine gewisse Vollkommenheit erreichte, füllten nun seine Zeit aus, und die Ausführung seltsam phantastischer Figuren, zu denen ihm Spielkarten als Material dienten, bildete, wunderlich genug, oft seine ausschließliche Beschäftigung. Auch Physik und Botanik trieb er. Täglich sah man ihn den berühmten Desfontaines auf seinen botanischen Exkursionen begleiten, von denen er erst am späten Abend zurückkehrte. Dann classificirte er die gesammelten Pflanzen und legte ein Herbarium an, das er in der Folge vermehrte und das, als ein wehmüthiges Andenken an jene Periode seines Lebens, noch jetzt, sammt der erwähnten Autographensammlung, von seiner Familie aufbewahrt wird.

Indessen äußerte diese Beschäftigung wenigstens für seine Gesundheit heilsame Folgen, sodaß er sich im Sommer 1808 fähig fühlte, seinen Freund und Schüler Auber nach Schloß Chimay zu begleiten, woselbst Beide für längere Zeit die Gäste des Fürsten dieses Namens wurden. Diese Reise, die in der Hoffnung unternommen wurde, einem Kranken Genesung und einem Naturfreunde Abwechselung und botanische Ausbeute zu verschaffen, hatte das ungeahnt glückliche Resultat, daß sie den großen Meister seiner Kunst zurückgab und ihm eine neue Bahn eröffnete, auf der sich sein Genie in neuer Glorie offenbarte.

Während Cherubini's Aufenthalt in Chimay nämlich kamen die Musikfreunde der Stadt eines Tages auf den Gedanken, das Fest der heiligen Cäcilie durch die Aufführung einer Messe zu begehen. Da sich aber die dazu nöthige Musik nicht vorfand, ersuchten sie Cherubini eine solche zu componiren. Ein kurzes: »Nein, das geht nicht!« wurde ihnen zur Antwort und schnitt alle weiteren Bitten ab. Am andern Morgen jedoch sah man ihn, statt seinen gewohnten botanischen Ausflug vorzunehmen, gedankenvollen Aussehens im Park umher wandeln. Die Fürstin befahl, ihn nicht zu stören. Als man sich Abends im Salon versammelte, nahm Jeder seinen gewöhnlichen Platz ein und Niemand schien sich um den Künstler zu kümmern, der, wie allabendlich, sich an einem kleinen Tische niederließ, darauf er sein Herbarium zu ordnen Pflegte und wo sich heute, wie von ungefähr, ein Heft mit Notenpapier vorfand. Alsbald ergriff er dasselbe, durchzog es mit den großen Tactstrichen einer Partitur und begann stillschweigend zu schreiben, ohne sich dem Clavier zu nähern. Die Anwesenheit Anderer störte ihn nie; selbst inmitten der lebhaftesten Gesellschaft war er im Stande zu componiren, ganz nur in seine Kunst versenkt. Während der nächsten drei Tage verließ er sein Zimmer nicht vor der Mittagsstunde. Am vierten Tage endlich rief er Auber an's Pianoforte und legte ihm die Partitur eines Kyrie für drei Stimmen und Orchester vor. Er übertrug die Sopranpartie einer anwesenden Dame, bat den Fürsten den Baß zu singen und übernahm selbst den Tenor; so gingen sie unverzüglich an die Ausführung.

Nur mit Mühe vermochten die Anwesenden den Ausbruch ihrer Bewunderung bis zum Ende des Stückes zurückzuhalten; dann bestürmten sie den, dem sie dasselbe dankten, die begonnene Arbeit fortzuführen. Wirklich war auch, bevor der Cäcilientag gekommen, noch ein Gloria beendet und konnte sammt dem Kyrie am 22. November in der Kirche zu Chimay zur Erbauung Aller aufgeführt werden. Mit bewundernswerther Kunst hatte der Componist es verstanden, sein Werk den beschränkten Kräften anzupassen, die ihm in Chimay zur Verfügung standen. Da sich kein Alt vorfand, mußte er sich mit drei Stimmen begnügen; auch das Orchester gestattete ihm nur ein Streichquartett, eine Flöte, ein Fagot, zwei Klarinetten und zwei Hörner zu verwenden. Und doch bildeten dies Kyrie und Gloria die ersten Theile der nachmals so berühmt gewordenen F-dur-Messe.

Neugestärkt und frischeren Muthes nach Paris zurückgekehrt, ergänzte Cherubini im Laufe der ersten Monate des Jahres 1809 die noch fehlenden Sätze und brachte das vollständige Werk im März, im Hôtel des Fürsten von Chimay, zum ersten Male zu Gehör. Die hervorragendsten Musiker wirkten dabei mit und alle Celebritäten von Paris fanden sich gegenwärtig. »Ich vergesse nie die Wirkung, die dies herrliche Werk mit solchen Interpreten hervorbrachte«, sagt Fétis und fügt hinzu: »In der Vereinigung der strengen Schönheit der Fuge und des Contrapunktes mit dramatischem Charakter und dem Reichthum der Instrumentaleffecte ist Cherubini's Genie hier ohne Gleichen.« Im Hereinziehen eines dramatischen Elementes, in einem lebendigeren Ausdruck des Wortsinns, einer brillanteren Verwerthung aller künstlerischen Mittel liegen auch vornehmlich die Neuerungen dieses Meisters auf dem Gebiete der Kirchenmusik inbegriffen. Nicht mehr wie Palestrina und die anderen Meister der alten römischen Schule aus jener reinen, überschwenglichen Gottbegeisterung heraus, wie sie das Mittelalter erfüllte; auch nicht wie Händel und Bach, voll protestantisch schlichter aber fester Glaubensinnigkeit, konnten die später kommenden Musiker des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ihren künstlerischen Kirchendienst verrichten. Die Aufklärungsbestrebungen hatten die Festen des alten Glaubensgebäudes erschüttert, und die Frömmigkeit begann sich aus der Welt zu flüchten. Naturgemäß schritt auch die Kirchencomposition an Ausdehnung und innerer Kraft gegen frühere Perioden zurück. Menschlich-persönliche Empfindungen und außerkirchliche Vorstellungen vermischten sich mit der Lauterkeit des Gottesbegriffs, das confessionelle Gepräge trat mehr zurück; die Kunst diente nicht allein mehr dem Cultus der Religion, sondern auch dem des Schönen. So hatten die Deutschen Haydn und Mozart ihre Messen und Hymnen geschaffen, so schuf auch Cherubini in Frankreich die seinen. Die Einen gestalteten nur naiver, der Andere reflectirter; aber ein Jeder schuf mehr aus seinem künstlerischen als aus streng religiösem Bedürfniß heraus. »Er war in Sachen der Religion kein Mystiker«, sagt seine Tochter. »Er faßte sie frei und genial, nicht nach den absoluten Ideen der katholischen Kirche. Das Wirken der genannten deutschen Meister bildete die Basis, auf der er, seine Principien verfolgend, weiterbaute. Aehnliche, nur noch stolzere, erhabenere Bahnen ging später Ludwig van Beethoven, als er die Welt mit seiner Missa solemnis beschenkte. Die Dramatik des Wortes, der er zu so wundervollem Ausdruck verhalf, hatte auch Cherubini erfolgreich angestrebt, und es mag wol sein, daß Beethoven sich aus dessen Kirchencompositionen in der That »manches ad notam genommen«, wie er dies – laut Seyfried Beethoven's Studien im Generalbaß u. s. w. Wien, 1832. – vom Requiem ausdrücklich sagt.

Seltsam bleibt es, daß Cherubini, trotz seiner dramatischen Tendenzen, der scenische Instinct so völlig abging. Wäre dem nicht so gewesen, so hätten ihm sicherlich nicht so häufige Mißgriffe bezüglich der Textbücher seiner Opern begegnen können, als dies tatsächlich geschah. Seine französischen Biographen machen fast durchgehends die unzulänglichen Dichtungen, deren er sich bediente, für den zweifelhaften oder verfehlten Effect der Mehrzahl seiner Bühnenarbeiten verantwortlich, und in der That sind von sechsundzwanzig Opern, die Cherubini selbständig vollendete, nur jene zwei – »Medea« und »Wasserträger« – auf die Nachwelt gekommen, bei denen eine angemessene Dichtung seine Darstellungskraft belebte. Mit vollem Recht auch sagt sein Landsmann Emilio Cianchi in seinem » Cenno analitico sopra de due giornate« Ein in den Acten des Regio Istituto musicale di Firenze publicirter Vortrag. in Uebereinstimmung mit Fétis, daß über der Neigung des Musikers, seine Ideen durch die Kunst einer bewundernswerthen Factur auszuspinnen, die Anforderung der Handlung bisweilen vergessen und die scenische Wirkung verabsäumt ward. Hieran auch scheiterte der Erfolg der 1810 componirten komischen Oper » Le crescendo« und der der »Abenceragen«, die am 6. April 1813 in der Opéra, zum ersten Male dargestellt wurden. Die feurig-ritterliche Ouverture der Letzteren, die in Deutschland längst als eine der beliebtesten Concertnummern und, besonders in der Ausführung der Violinpassagen, als ein Probestück für's Orchester gilt; die großartigen Chöre (wir erinnern an die Gerichtsscene und das folgende Finale) und einige Arien von seltener Schönheit waren nicht im Stande, das französische Publicum für das mangelnde Interesse der Handlung schadlos zu halten. Dagegen gewann eine italienische Oper » Pigmalione«, die Cherubini schon 1809 auf die dringenden Bitten seiner Freunde und als einen letzten Versuch, sich die Gunst des Kaisers zu erwerben, geschrieben hatte, sogar das vorübergehende Wohlgefallen Napoleon's. Aber eben nur das vorübergehende. Crescentini's geniale Vermittelung der Hauptrolle hatte ihn gerührt und für das Werk selber lebhaft interessirt. Als jedoch der Autor in Folge dessen ihm die Partitur desselben zu dediciren wagte, würdigte er ihn keines Wortes des Dankes oder der Anerkennung. Erst nachdem Napoleon, nach seinem Sturz vom französischen Throne und Wiedereinsetzung der legitimen Herrscherfamilie, für die kurze Frist der »Hundert Tage« sein Regiment noch einmal aufgerichtet, erwies er sich, merkwürdig genug, dem so arg vernachlässigten Künstler ein einziges und letztes Mal gnädig, indem er ihn zum Ritter der Ehrenlegion ernannte. Freilich, belehrt uns Denne-Baron, galt diese Auszeichnung nicht dem Componisten, sondern dem Capitän des Musikchors der Nationalgarde, als welcher er für letzteres einige Märsche verfaßt hatte.

Besser verstanden Bonaparte's Nachfolger, die Bourbonen, Cherubini's Bedeutung zu schätzen. Zwar brachte ihm die Aufhebung des Conservatoriums, die bald nach Ludwig's XVIII. Regierungsantritt ausgesprochen wurde, den Verlust seiner Stellung und seines einzigen Einkommens; doch empfing er nach der erfolgten Reorganisation der Anstalt, die unter dem Namen Ecole royale de musique im April 1816 wieder erstand, sein altes Amt nicht allein zurück, sondern wurde zugleich, als Erbe Martini's und Genosse Lesueur's, zum Generalintendanten der Musik des Königs berufen und in den Stand eines Ritters vom heiligen Michael erhoben. Als die Mitgliederzahl der musikalischen Section der Académie des beaux arts von drei auf sechs erhöht werden sollte, ward Cherubini auch der Ehre theilhaftig, in dieselbe aufgenommen zu werden.

Inzwischen war man auch im Auslande nicht müßig, dem Meister die hohe Anerkennung, deren er überall genoß, durch die That zu bezeugen. Die namhaftesten Academien Europa's ernannten ihn zu ihrem Mitglied, und Italien und England bewarben sich um seine Arbeiten. Die Rücksicht auf seine schwache Gesundheit zwar nöthigte ihn, den vortheilhaften Antrag, eine Oper für Neapel zu schreiben (1813), auszuschlagen; dafür entschloß er sich später, die Einladung der philharmonischen Gesellschaft in London, eine für dieselbe componirte Symphonie und Ouvertüre persönlich zu dirigiren, anzunehmen. (Die Symphonie hatte allerdings wenig Glück und wurde späterhin von ihm zu seinem zweiten Quartett umgewandelt.) Vom Februar bis zum Juli 1815 war er in Folge dessen von Paris entfernt und brachte eine Hymne an den Frühling und einige englische Arien als Ausbeute seines Londoner Aufenthaltes mit heim.

Mit » Bayard à Mézières«, einem allegorischen Gelegenheitsstück, das unter Mitwirkung von Boieldieu, Catel und Nicolo geschaffen und am 12. Februar 1814 in der Opéra comique aufgeführt wurde, nahm Cherubini für längere Zeit von der dramatischen Muse Abschied, um sich fast ausschließlich der religiösen zuzuwenden. Eine außerordentlich reiche Anzahl der verschiedensten Kirchenstücke hat er im Laufe der Zeit für die Capellen Ludwig's XVIII. und Carl's X. geschrieben. Der Gottesdienst der königlichen Capelle bestand in der Regel nur aus einer stillen Messe, und da die Dauer der dieselbe begleitenden Musik die der heiligen Handlung nicht überschreiten sollte, ward meist nur eine Kyrie oder sonstiger kurzer Satz nebst einer Motette, und nur in den seltensten Fällen eine vollständige Messe aufgeführt. Daher entstanden die vielen einzelnen kurzen Stücke, wie Kyrie's, Agnus Dei's, Motetten, Psalmen, Hymnen etc., die Cherubini's Catalog anzeigt, die aber nur zum Theil durch den Druck veröffentlicht wurden. Zusammengestellt würden sie mehr als fünf ganze Messen bilden. Am berühmtesten unter seinen Werken religiösen Genres sind, außer der erwähnten Messe in F, das kleine wunderschöne Ave Maria für Sopran (in F), seine zwei Requiems und die Messe geworden, die er für Carl's X. Krönung componirte. Das erste Requiem (in C-moll), das für zwei Soprane, Tenor und Baß mit Orchester gesetzt und dem Gedächtniß Ludwig's XVI. gewidmet ist (es ward am 21. Januar 1816 in der Basilika von St. Denis aufgeführt), hat sogar demjenigen Mozart's den Rang streitig gemacht. Auch Beethoven scheint es über jenes gestellt zu haben; wenigstens erklärt er sich in der erwähnten Aeußerung gegen Seyfried mit Cherubini's Auffassung »ganz einverstanden«, während er Mozart's mit keiner Sylbe gedenkt.

In knapperem Rahmen als der deutsche Meister hat der Italiener sein Werk geformt. Wenn Jener die Einteilung des Ganzen nach der musikalischen Anordnung bestimmt, ordnet er das Musikalisch-Stoffliche mehr dem Gedanklichen unter und lehnt sich mehr an die in der gewöhnlichen Messe gebräuchliche Gruppirung an. In höherem Grade als Mozart läßt er, seiner Tendenz getreu, das dramatische Princip vorwalten. Ein Grundton düsterer Klage und Todesahnung durchzittert das Ganze; dunkel, hoffnungslos und todestraurig, wie letzte Seufzer, wie gefrorne Thränen, vergangenem Glücke nachgeweint, greifen die Tone an unser Herz und mahnen uns an das Ende alles Irdischen, an die Todeserstarrung, die diesem blühenden Leben folgt. Abschied vom Dasein, von der Liebe, von Allem, was Glück heißt hienieden, liegt vor allem im Agnus Dei ausgesprochen; hier athmet dumpfe Trostlosigkeit und die Seele schmachtet nach Erlösung. Im lux eterna luceat eis leuchtet ein augenblicklicher Hoffnungsstrahl empor, aber er erstirbt in dem mystischen Dunkel eines wundersam wirkenden Orgelpunktes, und mit einer bangen, zaghaften, nicht mit einer zuversichtlichen Bitte, die der himmlischen Erhörung gewiß ist, verstummt Alles.

Mit schlichteren Mitteln hat Cherubini zwanzig Jahre später (1836) sein zweites Requiem auferbaut, das er für seine eigene Todtenfeier bestimmte. Man hatte, als sein erstes bei Boieldieu's Leichenbegängniß aufgeführt wurde, ihm vorgeworfen, daß die Mitwirkung des weiblichen Chores unkirchlich sei. »Wohlan, ich werde eins für mich selber machen, dem sie nichts vorzuwerfen haben sollen!« hatte er halb ärgerlich, halb spöttisch erwidert. Nun begab er sich in der That der Mitwirkung der Frauenstimmen und stellte nur Männerchor und Orchester zusammen. Dadurch erhält das Ganze eine noch düstrere, eintönigere Färbung; es ist, als schauten wir in unendliche Grabestiefen. Nach Anlage und Ausführung ist es minder groß geartet als das frühere Werk, und die Phantasie des greisen Componisten erscheint begreiflicherweise weniger ergiebig.

Ein helleres, wiewol feierlich bewegtes Ansehen trägt die Messe in A, die am 29. Mai 1825, bei der Krönungsfeier Carl's X. in der Kathedrale zu Rheims zur Aufführung kam. In Frankreich weist man derselben den ersten Platz unter allen gleichartigen Werken des Meisters an – ein Urtheil, das zu unterschreiben wir Deutsche uns immerhin bedenken würden. Das feierliche Gepräge, das die Veranlassung forderte, nimmt oft einen weltlicheren Charakter an, als es sich mit deutschen Begriffen von strenger Kirchlichkeit vertragen will. Im Einzelnen nicht im Ganzen betrachtet, möchten wir andern seiner Messen (wir besitzen außer seinen beiden Todtenmessen noch elf complete), wie der in C-dur, den Vorzug geben. Aber auch nur im Einzelnen. Dem schönen Kyrie und Gloria der Letzteren z. B. folgt ein schwaches Credo, und in dem fast opernhaft gehaltenen Offertorium kommt mehr als dienlich der Italiener zum Vorschein und ergeht sich so behaglich in weichlich süßer Cantilene, als ob er sich für die sonstige Zurückhaltung einmal entschädigen wolle.

Als die Krönungsmesse – deren Credo und namentlich das Incarnatus bis zum sepultus est wir den übrigen Sätzen voranstellen – in einem der Säle der Menus-Plaisirs in Paris wiederholt wurde, ward ein Ruf allgemeiner Bewunderung laut. »Ihre Messe ist reines Gold!« rief der dabei gegenwärtige Hummel dem Componisten zu. Er, der wie bekannt, das Gold leidenschaftlich liebte, hatte damit wol den Gipfel seiner Begeisterung ausgedrückt.

Carl X. belohnte den Künstler, indem er ihn zum Officier der Ehrenlegion ernannte.

Seine äußeren Verhältnisse hatten währenddessen eine glückliche Wandlung erfahren. Als der bisherige Director des Conservatoriums, Perne, im Januar 1822 die erbetene Entlassung von seinem Amte empfing, hatte die Anstalt von ihrem unter Sarrette erworbenen Ruhme ein Beträchtliches eingebüßt. Die augenfälligen Mängel in der Organisation derselben (seit 1816), die ihren Verfall verschuldet hatten, bestimmten den Minister des königlichen Hauses, Marquis de Lauriston, eine wesentliche Veränderung herbeizuführen. Er glaubte dieselbe keinen besseren Händen als denen Cherubini's anvertrauen zu können, und an ihn, den langjährigen Inspector und Professor der königlichen Musikschule, ging nun am 1. April 1822 ihre Leitung über. Nahezu zwei Jahrzehnte war es ihm, dem Zweiundsechzigjährigen, noch vergönnt, sein gewichtiges Amt zu verwalten und segensreich zu wirken auch für kommende Generationen. Er war nicht allein einer der größten Componisten, er war auch einer der einflußreichsten Lehrer, die jemals existirt, und ein tieferes Studium der Musik hat er in Paris eigentlich erst begründet. Die bedeutendsten Tonkünstler, die das neue Frankreich hervorgebracht, gingen aus seiner Schule hervor. Er unterrichtete Boieldieu und Auber und bestimmte den Letzteren, wie bekanntlich auch Felix Mendelssohn, sich der musikalischen Laufbahn zu widmen; selbst Spontini soll von seinen Nachschlagen bei Instrumentation der »Vestalin« Vortheil gezogen haben. Er ließ Halévy, von dessen zwölftem Jahre an, seinen väterlichen Schutz angedeihen, und dieser veröffentlichte, so lange Cherubini lebte, nichts, was er nicht vorher durchgesehen hatte. Auch Carafa, Fétis und viele Andere waren seine Schüler.

Die scrupulöseste Pflichttreue, methodischer Geist, tiefes Wissen und ein Ordnungssinn, der der Pedanterie nahe verwandt war und – wie Hiller sagt – nur durch eine gewisse Grazie der Ausübung verhindert wurde, sich mit dieser zu identificiren: sie machten ihn vorzugsweise zum Lehrer geschickt. Voll nie ermüdenden Eifers, pünktlich und gewissenhaft, streng in seinen Anforderungen an sich und Andere, erwartete er die Eigenschaften, die ihn zierten, auch von Lehrern und Schülern, und energisch rügte er, wenn man diesen Grundsätzen zuwiderhandelte. Man erzählt, daß er selbst den Minister Lauriston, als dieser gelegentlich einer Preisvertheilung einmal auf sich warten ließ, mit den Worten begrüßte: »Sie kommen sehr spät, Monseigneur!«

Den zahlreichen Tugenden, die er für seine Stellung mitbrachte, ging nur die Eine ab: milde Freundlichkeit, die das Gehorchen leicht macht und dem Befehlen seine Schärfe nimmt. Jener tief ernste, fast feierlich schwermüthige Zug, der durch sein Schassen geht, lag auch seinem Wesen aufgeprägt, und die Gabe, den Verkehr mit den seiner Autorität Unterworfenen leicht und anmuthig zu gestalten, gebrach ihm gänzlich. Von Natur äußerst reizbar und von schwacher Gesundheit, war er leicht heftig und ungeduldig, mehr zum Versagen als zum Gewähren geneigt. »Fast immer wurden die Bitten, die man an ihn richtete, abweisend empfangen; oft noch bevor er wußte, um was es sich handle, entschlüpfte ein instinctives »Nein!« seinen Lippen!« So hören wir Fétis, der, als Zögling und später Lehrer der Anstalt, in langjähriger Verbindung mit ihm stand, und seine eigene Tochter bestätigt: »Er hatte immer ein »Nein!« in Bereitschaft.« Nur unermüdlich wiederholten Bitten gegenüber pflegte er sich nachgiebiger zu erweisen, sodaß in Bezug hierauf Boieldieu einst scherzhaft äußerte: »Wie schade, lieber Cherubini, daß Ihre zweite Antwort nie vor der ersten kommt! Das wäre eine Wohlthat für Alle, die mit Ihnen zu thun haben!« Ein solches unerbittliches Nein verschloß Franz Liszt, dem Knaben, den heißbegehrten Einlaß in die Hallen des weltberühmten Conservatoriums, ohne Rücksicht auf ein Genie, dessen Triumphe bald die aller Andern verdunkeln sollten. Diese harte Unbeugsamkeit übte auch auf Hector Berlioz ihre finstere Macht; dennoch wagte er derselben Trotz zu bieten, sich aller Pietät für den alternden Meister entschlagend. Die unleugbaren Verdienste, die dieser sich um die Pariser Musikschule erworben und die ihm trotz seiner Eigentümlichkeiten die dankbare Liebe so Vieler eingetragen haben, die seine Belehrung genossen, hat Berlioz mehr als billig aus den Augen gesetzt, als er noch nach seinem Tode an Cherubini Rache nahm und in seinen Memoiren eine carikirte Schilderung desselben veröffentlichen ließ. Zu fremdartig und gegensätzlich verhielten sich Beider Naturen zu einander, als daß sie sich gegenseitig zu begreifen und zu würdigen vermochten. Dem Einen waren revolutionäre Kunsttendenzen, dem Andern pedantischer Schematismus und trockne Regelmäßigkeit ein Gräuel. Persönliche Gereiztheit kam hinzu und ließ die Empfindungen des heißblütigen Jünglings in Haß, die des Greises in Verachtung ausarten. »Er achtete Berlioz nicht«, schreibt Signora Rosellini; wiewol sie ihren Vater sehr bestimmt gegen die Annahme verwahrt, daß er allen neuen Erscheinungen in der Musik feindlich gegenüber getreten sei, und vielmehr feinen intimen Verkehr mit Méhul, Boieldieu, Rossini u. a. hervorhebt. Wie richtig er den Ersteren z. B. zu beurtheilen verstand, geht aus einer ausführlichen Kritik seiner Werke hervor, zu der er von der Akademie beauftragt war, und die neben wärmster Anerkennung den Stempel größter Unparteilichkeit trägt. Nicht minder giebt die Dedication der Pariser Partitur der Medea seiner Wertschätzung für den älteren Kunstgenossen Ausdruck. » Reçois, mon ami« – so lautet sie wörtlich – » des mains de l'amitie l'hommage, qu'elle se plait á donner á l'artiste distingué. Ton nom placé á la tête de cet ouvrage lui prêtera un mérite qu'il n'a pas, celui de paraitre digne de t'avoir été dédié, et ce titre va lui sevir d'appui. Puissent nos deux noms reunis attester partout le sentiment tendre, qui nous lie, et la consideration, que j'ai pour le vrai talent

Seinen Freunden, deren er viele und sehr hervorragende besaß, war er der treueste Freund, und einem ausgebreiteten geselligen Kreise war sein Haus geöffnet. Aufrichtigkeit gegen Hoch und Niedrig, wahrhafte Unabhängigkeit des Charakters erscheinen als die hervorstechendsten Grundzüge seines Wesens. Neid und Mißgunst lagen seiner vornehmen Natur fern. Er war so bescheiden, daß er sich allen persönlichen Huldigungen entzog, und wo er das Talent erkannte und nicht die seiner Natur gesetzten Schranken seinem Verständniß hemmend in den Weg traten, ließ er es auch an Anerkennung nicht fehlen. Absichtlich war er nie ungerecht; nur war ihm, neben nervöser Ungleichheit der Stimmung, ein eigenthümlicher Sarkasmus eigen, der seine Conversation oftmals mit beißenden Redewendungen würzte. »Ich brauche nicht zu wissen, wie man es nicht machen soll!« erwiderte er auf eine Aufforderung, die Symphonie eines jungen Componisten (es war Berlioz) anzuhören, und als er einst der Generalprobe einer Oper seines Schülers Halévy beiwohnte und nach dem zweiten Acte derselben der Autor in der Hoffnung, ein aufmunterndes Wort zu vernehmen, mit der Frage zu ihm trat: »Nun, theurer Meister, sagen Sie mir nichts?« da entgegnete er: »Was zum Teufel, willst Du, daß ich Dir sage? Ich höre Dir bereits zwei Stunden zu und Du hast mir noch nichts gesagt!«

Anläßlich der D-dur-Fuge in Beethoven's Missa solemnis äußerte Berlioz einmal zu einem Bekannten: »Ich liebe die Fuge nicht!« »Natürlich,« fiel Cherubini, der es hörte, in's Wort, »die Fuge liebt Sie auch nicht!«

Dem gelehrten Contrapunktisten, der in seinem für das Conservatorium verfaßten: » Cours de contre-point et de fugue« die Fuge als »die Basis der Komposition« bezeichnet, mußte eine solche Aeußerung freilich als arge Ketzerei erscheinen. Er leitete seine Ueberzeugung eben aus der Erfahrung ab, und wenn er in jenem selben Werk seinen Schülern anempfiehlt, »die Schöpfungen der classischen Meister nicht nur zu lesen, sondern auch so viel als thunlich mit Aufmerksamkeit und Nachdenken zu copiren«, so ist er ihnen auch hierin mit seinem Beispiel vorangegangen. Unter Cherubini's Nachlaß finden sich viele Bände Marcello'scher Psalmen, Jomelli'scher, Clari'scher, Lotti'scher, Palestrina'scher, Händel'scher Werke, die er, nicht im Beginn, sondern auf der Höhe seiner künstlerischen Laufbahn stehend, eigenhändig mit der ihn stets charakterisirenden Sorgfalt abgeschrieben hat. Die Summe ihrer Seitenzahlen beläuft sich auf 3166! Als seine Frau ihn fragte, warum er sich diese Bücher nicht lieber kaufe, antwortete er: »Was versteht Ihr Weiber davon? Als ob man nicht immer zu lernen suchen müßte!« So war er selbst bis in's Alter ein Muster eifrigster Lernbegier.

Außer dem erwähnten »Cursus in Contrapunkt und Fuge« Deutsch von Fr. Stöpel. Leipzig, 1835. – dessen Text sein Schüler Halévy nach seinem Unterricht zusammenstellte – schrieb Cherubini für das Conservatorium noch mehr als hundert Solfeggien, sowie eine Anzahl Stücke für Orgel, Clavier, Klarinette, Horn, Fagott, Violine etc. Das Wohl der seiner Führung übertragenen Anstalt immer mit all' seinen Kräften fördernd, hatte er sich auch der Unterstützung der besten Meister versichert. Lesueur, Berton, Boieldieu, Reicha, Fétis, Ponchard, Blangini, Bordogni, Adam, Kreutzer, Baillot, Levasseur und viele Andere trugen dazu bei, den Glanz zu erhöhen, den sein Name über die Schule ausstrahlte. Mancherlei verdienstliche Einrichtungen, die durch ihn herbeigeführt wurden, erwarben derselben neuen Ruhm und ihm vermehrten Dank. Darunter die öffentlichen Unterhaltungen, in denen sich die Schüler alljährlich hören ließen, vor allem aber die Gründung der » Société des concerts du conservatoire«, welche bekanntlich bald europäischen Ruf erlangte und, wie Berlioz sagt, »in der Welt kaum ihres Gleichen hat.«

Die erste Idee, die früheren und gegenwärtigen Zöglinge und Professoren des Conservatoriums zu einem Orchester zu vereinigen, das bekannte und unbekannte Tonschöpfungen zur Aufführung bringen sollte, gehörte Habeneck an. Cherubini bildete nur den Plan des Weiteren aus und setzte ihn in's Werk, als er von dem das Departement der schönen Künste verwaltenden Vicomte La Rochefoucauld nicht allein die Erlaubniß, sondern auch die Zusicherung einer Beisteuer zu den Kosten des Unternehmens empfangen hatte. So konnte die Gesellschaft, die sich mit Cherubini als Präsidenten und Habeneck als Orchesterdirigenten constituirte, am 9. März 1828 mit ihrem ersten Concert im großen Saale des Conservatoriums debütiren.

Man hatte sich die Aufgabe gestellt, vorzugsweise die Werke Beethoven's, die bis dahin nur fragmentarisch auf dem Programm der » Concerts spirituels« erschienen waren, in Frankreich einzuführen, und begann dem getreu mit der Eroica, um ihr nach und nach alle Symphonien, Concerte, Chorwerke und Messen des Meisters folgen zu lassen. Vier Jahre nach Gründung dieser Concerte (im Februar 1832) schrieb der in Paris anwesende Felix Mendelssohn über dieselben an Zelter: »Es ist das Vollkommenste, was man in Frankreich hören kann; aber es ist auch die vollkommenste Ausführung, die man irgend sonst hört. Von einem Wanken, einem Fehler, der leisesten Uneinigkeit ist nie die Rede; es ist das genaueste Ensemble, das man jetzt in der Welt hören kann; kurz, das Orchester wird nicht von einzelnen Musikern, sondern von einer Gesellschaft gebildet.«

Der großartige Erfolg dieses Unternehmens war begreiflicherweise auch für die Schüler der Anstalt von belebender Wirkung: erregte unter ihnen den Gedanken sogenannter » Concerts d'émulation« an, darin sie ihre Erstlingsversuche in der Composition dem Urtheil des Publicums unterbreiteten. Sechs Jahre lang erhielt sich diese sehr nützliche Institution, die durch Cherubini's besonderes Wohlwollen begünstigt wurde.

Siebzig Jahre alt, ward der unermüdet thätige Künstler durch die Julirevolution 1830 des einen seiner Aemter ledig. Die Aufhebung der Capelle Carl's X. ließ auch ihn und Lesueur ihrer Stellung als Intendanten und Componisten derselben verlustig gehen. Doch war Cherubini weit entfernt, hierin eine Mahnung zu erblicken, sich nunmehr von Ausübung der Kunst, der er von früher Jugend an gedient, zurückzuziehen. Er ließ sich sogar verführen, der Bühne, die sich ihm doch vorwiegend undankbar erwiesen, seine alternde Kraft zu weihen. Der kirchlichen Kunst hatte er sich mit Vorliebe ergeben, weil er, wie er zu sagen pflegte, sich hier sicher fühlte vor den Angriffen des Publicums, die einem jeden seiner neuen Dramen begegneten. Zu Concessionen aber mochte er sich nie herbeilassen, und nimmer buhlte er um Popularität, wie er seine Kunst zu keiner Zeit der Speculation dienstbar machte. Nun wagte er sich dennoch wiederum auf den lang verlassenen Kampfplatz. Seit dem Fall der »Abenceragen« und » Bayard à Mézières« hatte er nur in dem für die Taufe des Herzogs von Bordeaux (1. Mai 1821) componirten Gelegenheitsstück » Blanche de Provence« den Gaben Berton's, Boieldieu's, Kreutzers und Paer's die seine vereinigt. Sein schöner Chor für weibliche Stimmen » Dors, noble enfant« hat allein die Oper überlebt und wird noch jetzt in Frankreich und Deutschland gern in Concerten gehört.

Nach einer abermaligen Pause von zehn Jahren (1831) entschloß er sich, dem Collectivwerke einiger Componisten » La marquise de Brinvilliers« eine Introduction seiner Arbeit beizufügen. Zwei Jahre später aber, am 22. Juli 1833, veröffentlichte er in der Académie royale de musique endlich wieder ein größeres selbständiges Werk: » Ali Baba, ou les quarante voleurs«, eine Oper in vier Acten mit Prolog. Seine Freunde hatten die alte Oper » Koukourgi« die, wie erwähnt, niemals zur Darstellung gekommen war, neu zu beleben gewünscht und ihm zu diesem Zweck ein Libretto von Scribe und Mélesville über ein Märchen aus »Tausend und eine Nacht« verschafft. Der Componist aber nahm nur einige wenige Stücke aus dem früheren Werke herüber und schuf eine neue Partitur, deren Originalmanuscript nicht weniger denn tausend Seiten zählt. Als das Erzeugniß eines dreiundsiebzigjährigen Greises ist die Oper bewundernswerth. Die ursprüngliche Frische der Jugend natürlich erscheint abgestreift und eine gewisse Schwerfälligkeit der Factur, die Cherubini ohnehin kennzeichnet, hat überhand genommen. Finden sich schon in den meisten seiner früheren Arbeiten trockenere Tactreihen, Stellen, wo nur der Verstand gearbeitet, so ist dies im Laufe der Zeit selbstverständlich nicht anders geworden. Das bezeugen auch die Compositionen für Kammermusik, welche er noch in den letzten Jahren seines Lebens schrieb. Das erste Quartett ( Es-dur), das schon von 1814 stammt, ist seinen jüngeren Geschwistern an Lebensunmittelbarkeit und Gedankenanmuth bei Weitem überlegen. Das Scherzo und Finale besonders, welches letztere Schumann einem Diamanten vergleicht, der nach allen Seiten Funken wirft, wirken eigenthümlich und anziehend. In den fünf späteren (von 1834-37) aber gemahnt uns gar Vieles leer und kleinlich, und vornehmlich in den Passagen, den endlosen Scalen und Trillern, mit denen sie sich verbrämt finden, überaus veraltet.

Ein Streichquintett, das er nach den Quartetten componirte, ward im Winter 1838 in Gegenwart mehrerer Künstler in seinem Hause aufgeführt. Lebhafte Rührung bemächtigte sich Aller beim Anhören des Werkes, dessen Autor nahe an achtzig Jahre zählte. Im Uebrigen füllen eine Reihe Solfeggien für die Prüfungen und Concourse des Konservatoriums und eine Ariette für ein Album, wie er deren unzählige geschrieben, die schöpferische Thätigkeit seiner letzten Jahre aus. Mit einem dreistimmigen Canon, welchen er seinem Freunde Ingres, der ihn treffend ähnlich porträtirt hatte, voll Dankbarkeit widmete, beschloß er dieselbe in den ersten Januartagen 1842 für immer. Er hatte nie geruht in seinem langen Leben, seit er als dreizehnjähriger Knabe zuerst die Feder in die Hand genommen. Kein Genre seiner Kunst war ihm fremd geblieben; denn wenn er auch auf dem Felde der dramatischen und der Kirchenmusik seine größten Lorbeeren gewonnen, so bekunden doch seine Ouvertüren, die noch gegenwärtig die Zierde aller Concertrepertoire bilden, seine souveräne Herrschaft auch als reiner Instrumentalcomponist. Gewiß, die Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit seines Genius, über die erst ein Einblick in den von ihm verfaßten, mehrfach erwähnten Catalog ein Urtheil gewahrt, hatte nur in dem gewissenhaften Fleiße der Ausarbeitung, der musterhaften Vollendung jeglicher seiner Leistungen ihres Gleichen. Wohl durfte er nun feiern!

Vier Wochen später, am 4. Februar, forderte er, in Folge einiger Verdrießlichkeiten mit der Verwaltung, seine Entlassung als Director des Conservatoriums, dem er siebenundvierzig Jahre in treuester Hingebung gedient hatte. Er empfing dieselbe und sah seinen Freund und Schüler Auber zu seinem Nachfolger ernannt, sich selbst aber durch die Gnade Louis Philipp's zum Commandeur der Ehrenlegion erhoben. Er war der erste Tonkünstler, der dieser Auszeichnung theilhaftig ward.

Nicht lange jedoch überlebte er den Abschied von der geliebten Anstalt. Seine ohnehin schwachen Kräfte, die nur der starke Wille seines Geistes bisher beherrscht, verließen ihn nun mit erschreckender Raschheit, und in der sechsten Morgenstunde des 15. März war er an der Marke seiner Tage angekommen. Mit der ihm eigenen überwältigenden Willenskraft versuchte er selbst dem Tode Trotz zu bieten. » Je ne veux pas mourir«, rief er wiederholt noch im letzten schweren Kampfe aus. Und dennoch hatte er das Maß irdischen Daseins und Vermögens voll und ganz ausgelebt; ihm waren sieben Jahrzehnte künstlerischen Wirkens inmitten der glorreichsten Epoche der Tonkunst vergönnt gewesen. Zu Rameau's Lebzeiten noch ward er geboren und lange nach Beethoven erst schwieg sein Mund – nun ging er als der Erste unter den mitlebenden Kunstgenossen, unter Ruhm und Ehren heim.

Mit vielem Pomp feierte man vier Tage nach seinem Hinscheiden Luigi Cherubini's Leichenbegängniß. Mehr denn dreitausend Personen begleiteten ihn auf seinem letzten Wege; der Marsch, den er für General Hoche, das Requiem, das er für sich selbst geschrieben, erklangen an dem Sarkophag, der seine irdische Hülle barg. Ein Monument mit seinem Bildniß, das die Pariser Künstler ihm errichteten, bezeichnet nun die Stelle, wo er auf dem Père-Lachaise den letzten Schlummer schläft, und eine Straße der französischen Weltstadt trägt seinen Namen, um sein Gedächtniß allezeit lebendig zu erhalten.

Auch Italien, obwol es seinen großen Sohn mehr dem Namen als dem Wirken nach kennt, hat hinter seinem zweiten Vaterlande nicht zurückbleiben wollen und ihm siebenundzwanzig Jahre nach seinem Tode in Santa Croce, dem florentinischen Pantheon, ein stolzes, von Fantacchiotti modellirtes Denkmal auferbaut.

Deutschland hat nichts dem Aehnliches gethan. Es hat nirgendwo ein äußeres Erinnerungszeichen an den großen Meister aufgestellt. Aber es hat seinen Namen den strahlendsten Sternen angereiht, die an unserm Kunsthimmel glänzen, und sich unlängst den Schatz zu eigen gewonnen, den seine Familie in den Manuskripten Cherubini's, einer in ihrer Art einzigen Sammlung, die vieles noch Unveröffentlichte enthält, aufbewahrte Die Königl. Bibliothek zu Berlin.. Seinem Sohn war es nicht beschieden, das begonnene Werk der Veröffentlichung zu Ende zu führen – die Vorsehung hat ihn inmitten desselben abberufen. So kennt die Welt nicht einmal dem Namen nach den größten Theil der ihr von Cherubini hinterlassenen Gaben. Wenn aber auch Er nur der Kunst zur Ehre geschaffen, nach echter Künstlerart es verschmähend, die ihm verliehene Gottesgabe zu irdischem Vortheil auszubeuten, so ward es der Nachwelt nicht minder zur Pflicht, die große Erbschaft anzutreten. Fürwahr, es war eine Aufgabe, deutschen Namens würdig, das Vermächtniß des großen Todten für Gegenwart und Zukunft lebendig zu machen!


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