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Doppelte Kriegslist.

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Unter dem Portale der Sophienkirche beobachtete Kaiser Andronikus seit mehreren Tagen so oft er das Heiligthum betrat, eine verschleierte weibliche Gestalt, die einen welken Lorbeerkranz in ihrer Hand hielt. Dies fiel ihm auf, und da sie auch unter der sie umgebenden Menge durch einen eigenen Anstand und eine würdige Haltung sich auszeichnete, so redete er sie einst an und sprach:

»Für wen bewahrst Du, seltsame Muse, den Kranz so lange Zeit, daß er darüber verdorren mußte?«

»Ich wand ihn«, entgegnete sie, »für denjenigen Feldherrn meines Kaisers, der siegreich über die Türken zurückkehren würde – ach vergebens! nur die trauervollen Nachrichten über unsere Niederlage betäuben die Gemüther mit Furcht und Sorge.«

Ueber diese Worte war Andronikus anfangs entrüstet – man konnte es wagen, ihn an das Unglück seiner Waffen zu erinnern, an die Unfähigkeit seiner Heerführer, an seine eigne Rathlosigkeit! – er war empört; als aber die kühne Rednerin 278 während des Sprechens ihren Schleier zurückschlug, so entwaffnete seinen Zorn der edle und bescheidene Ausdruck ihres Gesichtes, und da er überdies vermuthete, daß etwas besonderes unter diesem Vorgang und dieser Ansprache sich verberge, so forderte er sie auf, in den Palast zu kommen, und gab seinen Kämmerlingen Befehl, sie zu ihm zu führen.

Sie vernahm das mit sichtlicher Freude und wartete, bis der Gottesdienst beendet war, worauf sie, unter das Gefolge sich mengend, in den Palast gelangte und vor den Kaiser gebracht ward.

Hier befragt, wer sie sei, und welche Gründe sie zu einem so auffälligen Schritte bewogen hätten, gab sie zur Antwort: »Ich bin Angela, die Gemahlin des Senators und Patriciers Philotas, der Dir, mein hoher Herr, nicht unbekannt ist.«

»Wohl,« erwiderte der Kaiser, »kenn' ich ihn; mein Reich hat keinen treuern und gottesfürchtigeren Mann als ihn. Und was bringst Du mir von ihm? Geschah das, was mein Augenmerk auf Dich zog, mit seinem Willen und auf sein Geheiß?«

»Nein,« versetzte sie, »es war meine eigene Eingebung, und es kostete mich großen Entschluß, diese That auszuführen, zudringlich und vermessen vor Dir zu erscheinen; aber das Unglück des Vaterlandes bewog mich mit unwiderstehlicher Gewalt dazu. Oft nämlich hörte ich meinen Gatten die Noth beklagen, welche uns durch die Feinde zugefügt wird, und in seine schmerzlichen Ausrufe mischte sich zuweilen das stolze Wort, daß ihm es gelingen 279 würde, die Türken zu schlagen und Dein Reich von diesen Horden zu befreien.«

Der Kaiser lächelte und frug: »Weshalb bot mir Dein Gatte nicht selbst seinen Dienst an?«

»Weil es ihm unmöglich schien, Dich zu überzeugen, daß er, ein betagter Mann, der bisher nie ein Heer geführt hat, nun plötzlich sich an die Spitze der Truppen stellen und sie zum Siege führen könne.

›Ich würde nur Spott ernten,‹ sprach er oft zu mir, und wenn es mir nicht gelänge mein Versprechen zu erfüllen, nachdem man mir willfahrt hätte, so würde mich und uns alle zum Unglück noch unauslöschliche Schmach treffen.‹

Als ich ihn so bekümmert sah und zugleich seinen Eifer bemerkte und jugendlichen Muth aus seinen Augen blitzen sah, da erfüllte mich ein hohes Vertrauen, und ich entschloß mich, eine Gelegenheit zu suchen, um Dich zu bitten, meinem Gatten den Oberbefehl über das Heer zu geben, weil ich der festen Zuversicht bin, daß er mehr als die bisherigen Befehlshaber Gnade von Gott haben werde.«

Abermals schwebte ein Lächeln um den Mund des Kaisers, denn er kannte ja recht gut den Senator Philotas als einen wackern, aber alten und kränklichen Mann, der den größten Theil des Tages dem Besuch der Kirchen widmete und unter allen seinen Unterthanen der wenigst taugliche zur Kriegsführung schien. Und seine Gattin sollte sich dieser Ueberzeugung verschließen können? Sollte sie nicht vielmehr einsehen, daß die Anstrengungen 280 eines Feldzuges das Leben des Greises bedrohen müßten?

Dieser Zweifel stimmte ihn sehr ernst, und er glaubte ihn vor der Bittstellerin nicht verheimlichen zu dürfen. Sie antwortete sicher und unbefangen, daß sie glaube, die Gottesfurcht und Vaterlandsliebe ihres Gatten werde ihn alles überwinden lassen. Andere konnten wohl erliegen, Philotas nicht; ihn halte die Hand des Höchsten, er sei der von der Vorsehung Auserkorne.

»Warum,« fuhr sie in ihrem Eifer fort, »wurden die früheren Feldherrn, jüngere und bewährtere Krieger, geschlagen? Weil sie Sünder waren, weil irdischer Ehrgeiz sie beseelte!«

Sinnend betrachtete der Kaiser die begeisterte Rednerin; er versprach, einen so wichtigen Entschluß wie die Ernennung ihres Mannes reiflich zu erwägen und entließ sie mit dem Befehl, des nächsten Tages zur gleichen Stunde wieder vor ihm zu erscheinen.

Kaum hatte sie sich wegbegeben, als im Gemüthe des Andronikus ein Argwohn gegen die ächte Gesinnung Angelas Platz griff.

»Unmöglich!« sagte er sich, »unmöglich ist es im Ernst ihre Ueberzeugung, daß Philotas durch himmlischen Einfluß aus einem im Kriegswesen unerfahrenen und noch dazu betagten Manne ein rastloser, kühner und einsichtsvoller Feldherr werde. Und wenn es auch sie glaubt, wie kann sie wähnen, daß ich ein solches Wunder für möglich halte? Rechnet sie dabei auf Mitwirkung des Eindruckes, den ihre Schönheit auf 281 mich hervorbringen würde? Und was bestimmte sie zu dem Gesuche? Ihr Ehrgeiz? seiner? Schwerlich. Sollte sich nicht unter ihrem Vorschlage die, vielleicht ihr selbst nicht ganz bewußte Absicht verstecken, von den Fesseln befreit zu werden, die sie an das Leben eines strengen, wohl auch eifersüchtigen Greises binden?«

Wie reizend war sie, die schöne Heuchlerin! – wie süß war ihre Stimme, wie lebhaft ihr Blick, wie gefällig jede ihrer Bewegungen!

Wenn er sich ihr Bild zurückrief und ihren hinfälligen Gemahl sich dachte, wie leicht erklärlich war es da, daß sie sich sehnte, ihre Jugend nicht länger an das Alter gefesselt dahinschmachten zu lassen. Und zu ihm, dem Kaiser, war sie gekommen, ihn hatte sie gewissermaßen in stillschweigendem Einverständniß um ihre Befreiung gebeten, – lautete das nicht wie ein stummer Wink, eine heimliche Liebeserklärung?

Ueber die schwebende Angelegenheit befragte er die Astrologen und diese verhießen ihm einen doppelten Sieg. Was konnte anders damit gemeint sein, als was er sich erhoffte? –

Von sehr verschiedener Art waren die Zweifel, mit denen zu gleicher Zeit Angela rang. Die Frage, die der Kaiser an sie gerichtet, öffneten ihr die Augen über ihr Vorgehen. Sie hatte ohne Wissen ihres Mannes einen Schritt unternommen, wenn mit Erfolg, war es dann auch zum Guten?

282 Mit schwankenderem Muthe als Tags zuvor erschien sie im Palast und trat vor Andronikus, der sie nur noch reizender und lieblicher fand. Ein Anflug von Bekümmerniß dünkte ihm von der Sorge veranlaßt, ob ihrer Bitte auch entsprochen würde. Da er nun überhaupt den zweiten ihm verheißenen Sieg auf sie deutete, so nahm er nicht länger Anstand, ihr Gesuch zu gewähren.

Er gab ihr die Versicherung, daß er ganz in Uebereinstimmung mit ihrem Wunsche dem Senator die oberste Leitung des Krieges anvertrauen werde, sie aber möge ihm dies verschweigen, damit es den Anschein habe, als sei der Kaiser selbst auf den Gedanken gekommen, seinen Freund zum Heerführer zu ernennen.

»Ich danke Dir,« rief er aus, »daß Du meine Wahl auf ihn gelenkt hast, und um wie viel mehr wird er es Dir danken, wenn der Zeitpunkt gekommen sein wird, den wir beide herbeiwünschen!«

Frohen Herzens entfernte sich Angela, glücklich darüber, den höchsten Wunsch ihres Gatten in Erfüllung gehen zu seh'n, und sie sah ihn auch schon im Geiste als Sieger zurückkehren. Von den Gedanken des Herrschers, von der Empfindung, die sie in ihm wachgerufen, ahnte sie nichts; Andronikus hatte es für gut befunden, sich zu verbergen, er wollte dann erst seine wahre Gesinnung offenbaren, wenn Philotas entfernt wäre.

Dessen Ernennung zum Lenker der Kriegführung traf ein und fand den Wackeren gefaßt und bereit, der ihm auf 283erlegten Pflicht unverzüglich nachzukommen. Er hatte seinen Feldzugsplan längst entworfen, seine Absicht war, die Feinde sicher zu machen, sie, die durch Siege schon übermüthig geworden, ganz in das Gefühl ihrer Unüberwindlichkeit einzuwiegen, und sie zu trennen, seine Truppen indeß durch Hin- und Herzüge abzuhärten, durch kleine Scheinangriffe zu üben, sobald aber die günstige Gelegenheit erschien, mit vereinten Kräften über den Gegner herzufallen. Sogar die geringe Meinung, die man von seinen kriegerischen Fähigkeiten hatte, benützte er klüglich, er ließ die Nachricht verbreiten, daß ein alter Mann und Betbruder Feldherr der Byzantiner geworden sei, denn so hoffte er, seinen Zweck um so gewisser zu erreichen.

Während er nun Alles vorbereitete, um seine Pläne zu verwirklichen, und bereits ein Feldlager bezogen hatte, blieb seine Gattin allein in Constantinopel zurück und lebte so verborgen vor der Welt, daß man glauben konnte, sie wäre gar nicht in der Hauptstadt anwesend. Andronikus ließ sie – eigentlich nur ihr Haus – denn außer demselben war sie nicht sichtbar, aufs Genaueste überwachen, um sich zu vergewissern, ob sie nicht einem anderen Manne zu Lieb die Entfernung ihres Gatten angestrebt habe. Als man ihm aber berichtete, sie sei völlig einsam und von Niemandem besucht, so glaubte er nicht mehr zweifeln zu dürfen, daß ihre Neigung ihm gehöre, und daß sie erwarte, er werde ihr entgegenkommen.

284 Jung, unvermählt und gewöhnt, daß all' seinen Wünschen unterwürfig willfahrt werde, achtete er nichts; für ihn gab es nur eine Pflicht, die seiner Unterthanen, ihm zu gehorchen.

Als hätte er ihr Nachricht von ihrem Gatten zu bringen, trat er eines Abends plötzlich bei ihr ein, während sie als ächte Römerin gleich der Gattin des Collatinus, umringt von ihren Mägden am Spinnrocken saß. Ihre Ueberraschung legte er sich zu seinen Gunsten aus und versuchte, sobald er mit ihr allein war, erst in verhüllten Worten, dann mit unverhohlener Bewerbung ihre Treue zu erschüttern.

Sie, die nun sah, welch unselige Flammen ihre aufopfernde That zur Folge gehabt habe, erröthete und zitterte. Unmuth und Beschämung erfüllten sie; sie wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, sie bat nur, seines Ansehens und ihres Rufes vor der Welt zu schonen, und in ihrer Verwirrung, um rasch eine Ausflucht zu finden, ließ sie sich das Wort entschlüpfen, daß sie in den nächsten Tagen ein einsames Landgut beziehen werde, wo sie ohne Furcht vor Nachrede ihn empfangen könne, nur jetzt möge er sie verlassen.

»Und wirst Du mir gewähren, Dich dort zu finden, Dich mein zu nennen, dort wo keine Furcht vor Nachrede Dich beunruhigen kann?«

»Du befiehlst,« antwortete sie demüthig, »wir sind Alle Dein und haben keinen anderen Schutz als Deine Großmuth!« –

Andronikus anfangs betroffen ließ sich durch 285 ihre Gründe und ihre ehrerbietige Zurückhaltung bestimmen und schied, heftiger als vorher von Liebe zu ihr entbrannt.

»Deshalb also,« rief sie schmerzlich aus, als er sich entfernt hatte, deshalb hat er meine Bitte gewährt, um mich allein zu finden! Der Abscheuliche! und mich wähnte er willfährig! Welche Kränkung! Was soll ich nun thun? Alles meinem Gatten entdecken? Und dann? hieße das nicht alles vereiteln, seine Thätigkeit hemmen? Darf ich aber schweigen – schweigen und zaudern und den Schein auf mich laden, als wäre ich schwach genug, ein verruchtes Ansinnen nicht augenblicklich und mit aller Bestimmtheit zurückzuweisen?«

Sinnend, das Haupt bis auf den Schooß herabgebeugt, saß sie lange Zeit, da fiel ihr das Versprechen ein, seinen Besuch auf ihrem Landsitze entgegenzunehmen. Sie raste, preßte beide Hände vor die Stirn und blickte starr zu Boden, als suche sie nach einem rettenden Gedanken.

»O! was hab' ich gethan,« brach sie klagend aus, »ich habe an mir selbst einen Verrath begangen, wie eine Thörin habe ich gesprochen!«

In dieser schrecklichen, an Verzweiflung grenzenden Gemüthsstimmung erschien ihr wie ein Bote des Himmels Kunde von ihrem Gatten. Er schrieb:

»Glücklich geht Alles von Statten, wir werden, hoff' ich, die Türken schlagen; nur Eines ist noch höchst wünschenswerth, es begehrt das Heer den Kaiser in seiner Mitte, es verlangt, ihn im Kampfe 286 hervorleuchten zu sehn. Wenn Du ihn selbst oder durch Andere hiezu bewegen könntest! Versuch' es, wage den kühnen Schritt ihn selbst darum zu bitten!«

Jetzt kam ihr ein Entschluß: sie rief ihre Diener und gab Befehl, alles zur Abreise in Bereitschaft zu setzen.

»Ich werde mich rächen,« sagte sie zu sich, »Andronikus, erfahre, was Treue heißt!«

Schon am dritten Tage nach seinem Besuche ließ sie ihn wissen, daß sie auf ihr Landgut gereist sei und seine Ankunft dort erwarte.

Staunend über ein so rasches Gelingen, aber mit freudiger Ungeduld machte sich Andronikus auf, ihr dahin zu folgen; aber der Diener mußte die Botschaft übel ausgerichtet haben, denn als er an die bezeichnete Villa kam, war es nicht die rechte, vielmehr wurde er von da nach einer andern gewiesen, die noch einige Stunden weit entfernt lag. Trotz der einbrechenden Dunkelheit, trotzdem, daß man bei Fortsetzung der Reise sich Gegenden näherte, die zuweilen schon von herumstreifenden Banden der Feinde unsicher gemacht wurden, bestand der Kaiser doch darauf, nach kurzer Rast wieder aufzubrechen. Er spornte sein Pferd, und seine Begleiter folgten ihm.

Als sie bei Tagesanbruch sich dem Landgute näherten, das in einem anmuthigen Thale vor ihnen lag, gewahrten sie auf dem Kamm des ihnen gegenüberliegenden Höhenzuges eine Schaar Türken halten, und als sie das Thal hinunterritten, stürzten ihnen Leute aus der Villa entgegen und klagten mit wildem 287 Jammer, daß die Besitzung von einer Streifschaar Moslemin soeben überfallen und ihre Herrin von ihnen mit fortgeschleppt worden sei.

Andronikus befahl, den Feind zu verfolgen. Er selbst stellte sich an die Spitze. Welche Wonne für ihn lag in dem Gedanken, die schöne Frau von ihren Bedrängern zu befreien, die Gerettete in seine Arme zu schließen! Vor seinen Augen schwebte die Angst und Verzweiflung der von ihm so geliebten Gattin seines Freundes und Feldherrn, dessen er kaum noch gedachte.

Philotas aber hatte bereits in mehreren kleinen Gefechten einige Vortheile über die Feinde davongetragen und das Glück begünstigte ihn. Er selbst schien gekräftigt und verjüngt durch die Anstrengungen, denen er sich umerzog und durch die Erfolge, die er gewann. Es lag sogar etwas kriegerisch Drohendes in der Erscheinung des Greises mit dem langen, weißen Barte und den um das strenge Antlitz wehenden Silberlocken, wenn er auf seinem reich geschmückten Streitrosse gleich den orientalischen Fürsten die Reihen entlang ritt, und mit den Adleraugen unter buschigen Brauen die Schaaren musterte. Reitergeschwader mit phantastischem Helmschmuck und fliegenden Purpurmänteln, Fußvolk in geschuppten Panzern mit langen und kurzen Speeren zogen vor ihm auf, blonde Kaukasier und schwarze Söhne des heißen Afrika, zu allen erdenklichen Kampfarten Gerüstete befanden sich in Aufstellung.

Wie gesagt, das Glück begünstigte ihn auf ungeahnte Weise. Die Nachlässigkeit und der an Wahn 288sinn grenzende Uebermuth der Türken, die in dem alten gebrechlichen Manne nur einen verächtlichen Gegner sahen, wurde von ihm aufs beste zu seinem Vortheil benützt. Keiner ihrer Fehler entging seiner Wachsamkeit, ihm selbst keine Spanne Zeit, und so gelang es ihm auch, sie zu einem Raubzuge zu verlocken, indem er scheinbar eine Zufuhr für sein Lager durch Kundschafter an sie verrathen und zugleich das Gerücht verbreiten ließ, es wären dabei die kostbaren Schätze des Kaisers. –

Die Türken trennten also ihre Macht, indem ein Theil des Heeres abging, die Zufuhr aufzuheben. So glückte es ihm, mit vollen Streitkräften über sie herzufallen, die mit der Beute Beschäftigten zu zerstreuen und niederzuhauen. Ohne Verzug rückte er nach diesem Sieg gegen die andere Hälfte des feindlichen Heeres, ehe diese noch Zeit hatte, sich zu sammeln.

Es war aber am Vorabend des Entscheidungstages, daß der Kaiser auf Verfolgung jener Räuber war, in deren Mitte er Angela fortgeführt sah. Er hatte die Schaar bereits soweit eingeholt, daß er die Gefangene unter ihnen erblicken konnte, und dieser Anblick verschärfte seinen Eifer und den seiner Begleitung.

Eben waren sie am Eingang eines Dorfes angekommen, und verloren die Räuber aus den Augen, weil diese hier durch Mauern und Bäume gedeckt den Verfolgern entschwanden und ihnen Hindernisse in den Weg legten, wodurch sie Vorsprung gewannen. Andronikus ließ sich indeß nicht aufhalten. Er setzte spornstreichs über 289 die Verhaue und jagte durch die Gassen des kleinen Dorfes. Aber umsonst hoffte er, am Ausgange des Ortes die Spur der Fliehenden wieder aufnehmen zu können. In dem weiten Felde, das vor ihm lag, nachdem er die letzten Häuser hinter sich hatte, war nichts zu entdecken; er wandte sein Pferd zurück, er durchsuchte jeden Hofraum, jeden Garten mit seinen Getreuen – umsonst, die Flüchtigen waren verschwunden, wie in die Erde versunken.

Dagegen traf noch, während er seine Nachforschungen anstellte, unerwartet von anderer Seite her eine Abtheilung des byzantinischen Heeres in dem Dorfe ein, die auf Kundschaft ausgeschickt war und zur Nachhut gehörte. Auch sie hatten nichts von den Verfolgten gesehen, brachten dagegen die Botschaft, daß Philotas mit der Hauptmacht ganz in der Nähe seine Anordnungen zur entscheidenden Schlacht treffe.

Nun war nichts anderes zu thun, als die ohnehin zwecklose Verfolgung aufzugeben, und sich dem Heere des byzantinischen Feldherrn anzuschließen. Mit Schmerz zwar entschloß sich Andronikus dazu, doch überwog bald die Kampflust in ihm und der stolze Gedanke, daß er durch seine Anwesenheit die Krieger ermuthigen und seinem Feldherrn zum Siege verhelfen werde. Es lag vielleicht eine Anwandlung von Reue dabei zu Grunde, das Bewußtsein, daß er gegen letzteren etwas gut zu machen, daß er eine Beschämung zu tilgen, eine Scharte auszuwetzen habe. Konnte er 290 ihm gestehen, welcher Beweggrund ihn so unvermuthet zum Heere gebracht, sollte er ihm die Gefangennahme seiner Gattin verschweigen – verschweigen, wie er dazu kam, davon zu wissen, oder durch welche Unwahrheit sollte er beides verdecken?

Glücklicherweise blieb ihm keine Zeit zu längerer Erwägung, die Truppen begrüßten ihn mit jubelndem Zuruf, der Feldherr legte ihm den Schlachtplan vor und gleich darauf gaben die Trompeten auch schon das Zeichen zum Angriff. Philotas brachte durch seine geschickte Führung den Türken eine vollständige Niederlage bei; der Kaiser zeichnete sich durch persönliche Tapferkeit aus und war oft in den vordersten Reihen der Kämpfer zu sehen. Es schien, als ob er im Treffen noch die Verfolgung fortsetze und diejenige sich erringen wolle, die ihm als der schönste Siegespreis gegolten hätte.

So kam es, daß er von seinem Ungestüm zu weit geführt, durch einen Pfeilschuß, wenn auch nur leicht, verwundet wurde. Er ließ sich jedoch nicht vor Beendigung des Kampfes zurückbringen; erst als der Sieg vollständig entschieden war, kam er mit Philotas von einigen seiner Tapfern getragen aus dem Schlachtfelde zurück. Nun war es an der Zeit, dem Freunde zu bekennen. Schmerzlich wandte er sich ihm zu und ergriff seine Hand.

»Nicht meine Wunde brennt so heftig,« sprach er, da die besorgte Miene des Getreuen seine Theilnahme verrieth, »und nicht die Freude des Sieges ist so groß, daß ich mich über einen Verlust trösten 291 könnte, der größer als beides ist. Ach erwarte, das Bitterste zu vernehmen. Deine Gattin Angela ist auf Eurem Landsitze von den Ungläubigen geraubt worden, und, wie ich befürchte, wurde sie von ihnen in der Wuth über die Niederlage getödtet; denn das ist die scheußliche Sitte jener Barbaren.«

»O Himmel!« schrie Philotas, »so ward sie als Opfer des Sieges gefordert, wahrscheinlich wollte sie uns entgegeneilen, unheilvoller, verfluchter Tag! Doch laßt uns nicht lästern, noch verzagen, noch die Früchte unseres Sieges eher genießen, als bis wir sie gefunden, befreit oder gerächt haben.«

Andronikus nickte ihm zu. Den traurigen Ausgang, den seine verderbliche Neigung genommen, mußte er sich zuschreiben. Welches Unheil hatte er über denjenigen gebracht, der für ihn so Großes gethan. Wie bereute er jetzt seine frevelhafte Liebe! Wie gelobte er sich, ihr zu entsagen – der Unglücklichen! wenn sie noch lebte!

Philotas hatte indessen nicht gezögert, aus den am meisten verschont gebliebenen Kriegern eine Cohorte zu bilden und mit ihnen die Aufsuchung seiner Gattin zu unternehmen.

»Ach!« rief ihm Andronikus zu, »daß ich nicht theilnehmen, nichts dazu beitragen kann, diejenige zu retten, der ich Deine Ernennung zum Feldherrn und somit den Erfolg dieses Tages zu danken habe!«

»Meiner Gattin?« rief Philotas erstaunt aus.

292 »Ja, ihr,« antwortete der Kaiser, »sie lenkte meine Wahl auf Dich, sie bewog mich, das Heil des Staates Deinem Muthe, Deiner Klugheit anzuvertrauen.«

»Wahrlich,« rief Philotas aus, »denn sie nur wußte, was ich litt! Ach, daß sie nun verloren ist und wir der Engelgleichen nicht mehr begegnen sollen! Wer möchte da nicht wie die Alten an den Neid der Götter glauben, an ein grausames Verhängniß, das mit tückischer Schadenfreude im Augenblick, wo wir das Herrlichste errungen glauben, uns den tödlichsten Stoß versetzt!«

»Vertraue auf Gott, dem Du, Frommer stets vertrautest, und der Dich so wunderbar zum Sieg geführt hat!« tröstete ihn Andronikus.

»Ja, Du hast Recht, mein Kaiser,« erhob sich Philotas, »vorwärts, wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben!«

Mit diesen Worten war er eben im Begriffe, sich von seinem Herrscher zu verabschieden – da drang ihm vom Lager her, dem er sich genähert hatte, ein wilder Lärm und ein Geschrei entgegen, als wäre unter den siegestrunkenen Truppen ein Zwist ausgebrochen. Bald sah man sie auch die Zeltgassen hervorstürmen, die einen mit Palmzweigen bewehrt, die andern aber trugen in ihrer Mitte auf den Schilden den Gegenstand ihrer bacchantischen Aufregung, indem sie riefen: »Sie ist es! Sie ist da! Sie selbst!«

Und wie eine Siegesgöttin ganz von den 293 Zweigen umhüllt brachten sie die Gattin des Philotas ihm entgegen. Auch er und der Kaiser stimmten nun in den Ruf mit ein: »Sie ist es!«

Angela entwand sich der stürmischen Huldigung, neigte mit heiterer Stirn sich vor Andronikus und umarmte ihren Gatten. Dann wieder gegen den Kaiser sich wendend, sprach sie:

»Verzeihe die Kriegslist, daß durch scheinbare Gefangenschaft Deine hochherzige Großmuth hierher gelenkt ward! Nimmer wäre dieser Tag für uns Alle so glorreich geworden, wenn nicht Deine Anwesenheit den Sieg herbeigeführt hätte.«

»Wie,« rief Andronikus, »hatten denn nicht die Barbaren, wie ich doch mit eigenen Augen sah, Dich gefangen?«

»Es waren meine Diener,« gab sie zur Antwort, »die ich mit feindlichen Rüstungen und Abzeichen bekleidete, um Dich zu täuschen und hierher zu bringen für unser aller Wohl.«

»Und wie gelang es Dir, mich zu täuschen, nachdem ich schon nahe daran war, Euch Alle gefangen zu nehmen?«

»Ehe Ihr die Gebäude erreichen und durchsuchen konntet, waren wir schon von der Reihe der Unsrigen aufgenommen, jenen Truppen, die Dir entgegenkamen und Dich bewogen, sogleich ins Treffen zu eilen. Unsere Verkleidung hatten wir schnell abgeworfen und statt dessen Abzeichen der Unsrigen erhalten und angenommen! – So verlief Alles gut. Lasse Dir nun den Lorbeer, den Du 294 kennst, der indeß wieder in frisch grünenden Zweigen ausschlug, zu Füßen legen als Angedenken einer doppelten Kriegslist und eines doppelten Sieges!«

Dabei ließ sie sich vor ihm nieder, der ihr frohen Muthes über die größte Ueberwindung, zu der sie ihm verholfen, die Hand reichte, indeß Philotas mit dankendem Aufblick gen Himmel die Treueste der Frauen in seine Arme schloß.


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