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Fünfter Aufzug

Wartburghof

Die Bühne ist durch einen großen, in der Mitte zu öffnenden Vorhang vorerst noch in zwei Teile geteilt. Allerlei Volk ( Handwerksgesell, die zwei Bürger und Gesinde, mit Bechern usw. vorüberlaufend, auch Burgknechte, mit Spießen) treiben sich diesseits hin und her, oft lauschend und einander zur Stille mahnend. Von links kommt der Krüppel; gleichzeitig tritt aus dem Vorhang, etwas erregt, Diethelm heraus. Hinter dem Vorhang hört man eine Stimme (Klingsor) gleichmäßig vortragen.

Erster Bürger

(mit vielen anderen auf Diethelm zu, aber alles gedämpft)

Nun, ist's zu Ende?!

Diethelm

(ernst)

Noch liest Meister Klingsor.

(Faßt stumm und grimmig, mit gepreßten Lippen, den Krüppel ins Auge, tritt vor ihn, Hände in die Hüfte stemmend)

Was will der Gaukler?!

Krüppel

(unbehaglich)

Schlechte Zeit für Krüppel!
Alles will Helden sehn – schwatzt nur von Helden –

Diethelm

(grimmig-dumpf)

Wagt dieser Schänder der Natur zu spaßen.
Mit einem Leiden, das mich elend macht
Mein Leben lang?!

(Zerbricht ihm die Krücken)

Fort! Oder der echte Krüppel
Schlägt nun den falschen Krüppel kurz und klein!

Krüppel

(unbehaglich, ohne komisch zu wirken)

Ich sag's ja: Schlechte Zeit für unsereins!

(Eilends ab)

Der Bischof

(tritt aus der Vorhang-Mitte heraus, Diethelm an den Schultern packend)

Mann, welch ein Lied! Die Felsen gehn umher
Und stampfen krachend durch die Urwald-Bäume!
Denn dieser Rüdeger von Bechlarn, Volker,
Der kühne Fiedler, die Burgunder-Kön'ge
Und dieser Tronjer Hagen – das sind Felsen!
Und ich – Heil mir, mein Gott, ich hab's erlebt:
Das ich ins Feuer warf, das fromme Lied,
Aus seiner Asche steigt es funkelnd auf!

(Zu den Andrängenden)

Hagen ist tot, ihr Leute! Und von wem?
Kriemhild erschlug den trotzigsten der Männer!
Ewig weiß niemand, wo der alte Rhein
Schlingkraut und Wogen übers Rheingold schiebt!

Erster aus dem Gefolge

(kommt heraus, gleichfalls in Bewegung)

Wer weiß das nicht, der Klingsor lesen hört?!
Hier, auf der Burg, hier, in dem Goldgesang
Der Nibelungen, habt ihr Hagens Schatz!

Zweiter aus dem Gefolge

(kommt heraus)

Ich will nicht weiter hören! Kriemhild tot!
Der alte Hildebrand, Herrn Dietrichs Recke,
Ergrimmte, daß ein Weib den Tronjer schlug!
Sprang zu – im Blut liegt Etzels rasend Weib!
Grauenhaft Sterben! Ganz Burgund ist hin!

Erster Bürger

Ein Pfaff nur lebt, sagt man –

Zweiter Bürger

Der konnte schwimmen!

Der Bischof

(ihm auf die Schulter klopfend)

Die Klerisei gedeiht, wenn Helden sterben!
Ihr seht's an mir!

(Geht wieder hinein)

Handwerksgesell

Und nun? Besteht er?

Erster aus dem Gefolge

Wer denn?

Handwerksgesell

Ofterdingen!

Zweiter aus dem Gefolge

Ach was, wer spricht von – Richtig! Dieses Lied
Entscheidet ja, ob Ofterdingen lebe!

Erster aus dem Gefolge

Leise! Schandbar ist das! Wem's jählings einfällt,
Der schämt sich unsres Herrn, der solchen Dichter
Mit Tod bedroht!

Zweiter Bürger

Und unser Herr: Was tut er?

(Hinter dem Vorhang brausende Heilrufe)

Walther

(stürzt heraus, freudig)

Der Landgraf hat den Sänger Ofterdingen
Umarmt! Noch vor dem Schiedsspruch! Alles Festvolk
Jubelt und ruft – –

(Vorhang geht auseinander: glänzende Versammlung)

Alles Volk

(über die ganze Bühne)

Landgraf Hermann, Heil!
Thüringer Blume, Landgraf Hermann, Heil!

Landgraf

(setzt sich eben wieder hin)

Verzeiht mir, daß des Liedes Wucht und Größe
Mich hinriß, vorzugreifen Klingsors Wort!
Still sitz' ich wieder. Klingsor, sprecht das Urteil!

Klingsor

(ebenso wie bis fürstlichen Herrschaften auf einer erhöhten Fläche, hinter einem Pult stehend, auf dem ein Manuskript-Buch liegt)

»Vergleichbar Wolframs Lied von Parzival,«
So hieß die Forderung, »hat der Beklagte
Ein Lied zu bringen, alsdann sei er frei!«
Thüringer Volk, des Liedes Teile las ich
Und hab' mit einem Kreis erwählter Männer
Das ganze Werk geprüft. So sprech' ich Urteil:

Alle erheben sich. Laut)

Vergleichbar Wolframs Lied von Parzival
Ist dieses Lied fürwahr! Den alten Mären
Ist hier in klarem Wort und fester Strophe
Ein Geist gegeben, dieser Wartburg würdig
Und doch nicht untreu deutscher Heldensage.
Vergleichbar Wolframs Lied von Parzival,
Sag' ich zum drittenmal, ist dieses Lied.
Und der's gefunden hat in schweren Stunden,
Heinrich von Ofterdingen – ist nun frei!

(Großer, langanhaltender Beifall; freudige Bewegung)

Landgräfin

Dank, edler Klingsor!

Landgraf

Klingsor, Dank!

Walther

Dank, Klingsor!

Wolfram

(zu Mechthild)

So leg' ich meine Harfe hochbeglückt
Der schönsten Frau zu Füßen: Segnet sie!
Sie hat kein Totenlied gesungen!

Ofterdingen

(tritt vor, laut)

Hört mich!

(Es wird ruhiger. Er spricht herb und kühl)

Des Meisters Urteil weiß ich unbestechlich.
Die Sänger dieses Liedes sagen Dank.
Doch – dieses Heldenlied ist nicht mein Werk.

(Unruhe)

Ist nicht mein Werk. Der Sang wuchs wild im Walde,
Am Spielmannsfeuer, in Johannisnächten,
Wie wilde Blumen, von Gewittergüssen
Und roten Zauberblitzen übersegnet,
Im Schirm der Eichen und am Fuß der Felsen –
Dort hab' ich dieses herbe Kraut gepflückt.

(Tritt zu Diethelm, legt ihm den Arm um den Nacken. Diethelm küßt ergriffen seine Hände)

Spielleute, ein verachtet fahrend Volk,
Bewachten dieses Edelgut der Sage.
Nicht also mir dankt: Dank gebührt dem Volke!
Ich halte mich zum Volk, bleibt ihr dort oben!
Und Dank den Nibelungen, die dies Lied
Gelebt! Ich hab's nur schlecht und recht geformt.

(Unsicherheit und Unruhe)

Landgraf

Wie das? Verleugnet Ihr das Werk? Und soll
Der Sängerkampf von vorn beginnen?

Ofterdingen

(in wachsender Vertrutzung)

Landgraf,
Ich sage anders, als Herr Klingsor sagt:
Dies wildgewachsne Lied ist nicht vergleichbar
Dem kunstvoll-feinen Parzival des Wolfram,
Weil's ihn an Blut und Herbe übertrifft.
Ich spreche nicht aus Trotz, doch sprech' ich stolz,
Bewußt des Zwiespalts, der mich von Euch trennt.

Landgraf

Zwiespalt? Wenn Euch ein ganzes Volk umjauchzt?

Ofterdingen

Ich will, daß Ihr mir sagt: Auch ich hab' recht!

Landgraf

Bedarf es noch des Worts? Scholl nicht die Burg
Vom tausendfachen: Ja, auch Ihr habt recht?!

Ofterdingen

(mit geballten Fäusten, mit ausbrechendem Schmerz und Zorn)

Landgraf – wie furchtbar habt Ihr mich mißhandelt!
Es würgt in mir – es will und muß heraus!
Ich war ein sinnlos hitz'ger Tor, ich weiß,
Ihr aber – war's denn ritterlich, war's christlich,
Den leicht entflammten Sänger so zu strafen?
Ich habe Gott gebeten, daß er mir
Nur eine Träne sende, eine Träne,
Und mir die Starrheit von der Seele löse!
Qual ist mir Euer Lob! Spart Euren Beifall!
Denn Eure Stimmen, die mir Tod gedroht,
Sind nicht die würdigen, mein Werk zu loben!
Ich möcht' ein schuldlos Kinderstimmchen hören,

(Man sieht Irmgard aus den gestreuten Blumen einen Kranz flechten)

Von ihm gelobt sein und von ihm geliebt –
Und wie ein Kind mein Leben neu beginnen.
Doch seit ich unterm Mantel jener Frau
So würdelos gezittert, bin ich tot.
Seht an mein früh ergrautes Haar, ich bin's nicht,
Der dort im heißen Festsaal Feuer sprühte.
Das Leben habt Ihr mir gelassen, Landgraf:
Die Seele habt Ihr bis ins Mark getroffen!

Landgraf

(ernst und erschüttert)

Mein Sänger, Eure Worte treffen schwer.
Es fehlt nicht viel, so dreht das Spiel sich um,
Und Landgraf Hermann bittet um Verzeihung.
Doch, Freund, bedenkt: Auch Ihr habt scharf gestoßen

(mit einem Blick nach Mechthild)

Und eine Frau gekränkt, mehr als Ihr ahnt!
Es ist verschmerzt. Ihr seht heut', wie ich trachte,
Gerecht zu sein. Das Herz ist schöne Mitte
Des Menschentums: In meines Volkes Herzen
Hoff' ich zu thronen als ein »Mann der Mitte«.
Schwer ward auch uns dies Jahr. Ich hab' gelobt,
Ein Kloster zu erbaun, falls dieser Tag
Den reinen Thron mir nicht mit Blut befleckt.
Drum laßt den Freispruch gelten! Bleibt mein Gast,
Und scheidet spät mit unsrem Dank und Segen!

(Er winkt. Ein Edelknappe bringt auf einem Kissen einen goldenen Kranz zu Mechthild)

Mechthild

(nimmt den Kranz und tritt etwas vor)

Euch bietet Kuß und Krone eine, die
Tot ist der Welt wie Ihr. Mein Landgraf hat
Gnädig erlaubt, daß ich des Frauenklosters
Äbtissin sei. Ihr sanget schön von Liebe,
An deren letztem Ende Leiden steht:
Doch stärkste Liebe siegt auch über Leiden –
In Lieb' und Leide lächelnd grüß' ich Euch.
Ofterdingen

(ist verstehend einen Schritt zurückgetreten und streckt abwehrend und erschüttert die Hand aus; schweigt bewegungslos)

Mechthild

(nach einigem Warten, wendet sich ruhig zu Wolfram)

Zu Euch, Herr Wolfram! Kuß und Kranz sind Euer!

(Küßt ihn auf die Stirn, krönt ihn)

Weil Ihr den Eisenschmied im Lied bekämpft
Zu guter Stunde, mit Karfreitagsklang,
Freut sich ein Goldschmied und schickt diesen Kranz.
Kunstreich ist dieser Kranz wie Euer Lied,
Und wie dies Gold so lauter Euer Herz.
Ihr ziert Euch nicht, wenn reine Freude dankt.
Gott ist in Euch, Gott ehren wir in Euch,
Und wie ein Altar steht Ihr auf der Höhe.

(Zu Ofterdingen)

Euch aber, der Ihr in Erstarrung steht,
Euch weiß ich nichts mehr, was die Burg vermag.
Uns fehlt ein zweiter Goldkranz, auch ist machtlos
All unser Werben: – Kind, nun gehe du!
Bring' du ihm Kuß und Krone, Kind, und bitt' ihn,
Daß er von dir das Blumenkränzlein nehme!

(Führt Irmgard einige Schritte zu Ofterdingen)

Irmgard

(zaghaft, einen Blumenkranz in der Hand, kommt gegangen)

Es sind nur wilde Blumen, lieber Dichter –

Ofterdingen

(In tiefster Bewegung)

O Irmgard, kommst du noch einmal zu mir?!

(Läßt sich auf ein Knie nieder, sie krönt ihn und küßt seine Stirne. Er nimmt sie, laut aufjubelnd:
»Irmgard!« auf den Arm. Stürmischer, anhaltender Beifall. Er trägt das Kind
zum Thron, setzt es ab, fällt der Landgräfin zu Füßen und bricht in ein heftiges Schluchzen aus)

Nehmt mich zum zweitenmal in Euren Mantel!

Landgräfin

Ein Kind hat Euch gekrönt! Die Engel Gottes
Gehn um im Wartburghofe! Grollt nicht länger!

Wolfram

Ich will den Kranz nicht tragen, wenn Ihr grollt!

Ofterdingen

(aufspringend)

Tragt ihn, Herr Wolfram! Mir laßt meinen Kranz!
Mir laßt die wilden Blumen, mir den Kuß
Von diesem reinen Kinde, mir die Tränen – –
O Mechthild! Frau Äbtissin! Hab' ich denn
Der frohen Burg solch schmerzlich Leid gefügt,
Und trieb ich Euch ins Kloster, süße Frau?!

(Zu allen)

Ich hab' euch lieb, euch alle, darum haßt' ich!
Ich wollte gern auf euren Höhen stehn
Und dennoch treu sein diesem Volk der Tiefe – –

(Zum Volk)

O Volk, ich bin dir treu! Denn deine Kraft
Hält heute Einzug auf der Herrenhöhe,
Und seht, am Tor hat uns ein Kind begrüßt! ...

(Küßt Mechthilds Kleid)

Mechthild

(legt ihm die Hand auf das Haupt)

Ich danke Gott, daß ich Euch endlich schaue
In diesem schwer errungnen Siegeskranz.
Gebet hat Macht, glaubt mir, in alle Fernen:

(Innig)

Mein still Gebet wird ewig um dich sein.

(Sie legt seine Hand in die Hand Wolframs und schließt die Hände der beiden Sänger segnend zusammen; dann geht sie rasch und bewegt davon. Alles ist während dieses symbolischen Vorgangs sehr ernst geworden)

Klingsor

(feierlich nähertretend)

So stehn denn zwei Bekränzte, ehdem Feinde,
Goldkranz und wilde Blumen, hold versöhnt!
Kämpft nicht, ihr Meister! Beide habt ihr recht!
Ob du dies Lied geschaffen oder nur
Als Gold entdeckt – nicht dies ist hier die Frage,
Nicht dies dein Sieg: Dein Sieg ist größer, Heinrich,
Und hier ist mehr als nur ein Sängerfest!

(Zu allem Volk)

Freunde, Deutschland hat Raum für alle beide,
Und – wo bleibt Walther von der Vogelweide?

(Winkt ihm)

Walther

(steht eine Stufe tiefer, reicht Wolfram und Ofterdingen die Hände hinauf)

Laßt Walther eine Stufe tiefer stehen!

Wolfram

Herauf, mein Walther!

Ofterdingen

Walther, kommt herauf!

Walther

(zu Ofterdingen)

Ich war verzagt, daß mir die Fahrt zu Klingsor
So übel ausgeschlagen: Aber heute
Bin ich das seligste der Menschenkinder!

(Schalkhaft)

Durch mich gelang das Fest – doch niemand krönt mich?!

(Die Landgräfin erhebt sich und steckt ihm eine Rose an die Brust. Beifall. Er küßt ihr die Hand und stellt sich zwischen Wolfram und Ofterdingen auf gleiche Höhe)

Landgraf

(in die Mitte tretend, zu allen, auf die drei Sänger weisend: alle haben sich erhoben)

Sagt an, ob Klingsor schlecht beraten sei:
Hat Deutschland Raum für die bekränzten Drei?
Für Weisheit – und für Heldenkraft,
Für Zucht und Maß – für Leidenschaft,
Für Parzival – für Nibelungenmord:
Und auch für Walthers fröhlich-ernstes Wort?

(Lebhafter Beifall)

So sei der Sängerkampf ein Sänger frieden!
Gebt Zeichen, daß die Sonntagsglocken läuten!
Ein Musizieren und Schalmeien sei
Rund um die Burg, in ganz Thüringerland!
Ihr alle bleibt mir Gäste, bis das letzte
Wildbret verzehrt ist und kein Fuder Wein
Im wohlgefüllten Keller übrig blieb!

(Die Glocken beginnen zu läuten; Musik hebt leise an)

Noch leben wir! Wir werden ewig leben
Im Angedenken frommer, freier Menschen!
Ja, durch Jahrzehnte, durch Jahrhunderte,
Am Winterfeuer und im Sommerlied –
Soll man mit Wonne singen, wie schwerer Groll und Gram
An diesem Wartburg-Festtag ein wunderschönes Ende nahm!

(Vorhang)

Ende des »Heinrich von Ofterdingen«


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