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Treib.

Die ersten Eidgenossen.

Sag, Vater, was läuten die Glocken heut Nacht?
Dass nimmer der Stolze den Stillen verlacht.

Sag Vater, was gehen die Jauchzer durchs Land?
Weil immer ein Held noch den Drachen bestand.

Sag, Vater, was lodert am Berge im Wind?
Das heilige Feuer der Freiheit, mein Kind.

In grauer Vorzeit lebte um den grünen Bergsee der vier Waldstätte ein einsames Hirtenvolk. Es war aus ferner kalter Mitternacht in diese wilde Weltverlorenheit des Schneegebirgs, mit dem Schwert in der Faust, eingewandert und hatte sich hier für immer sesshaft gemacht.

Im Tale zu Schwyz unter den beiden Mythen, die einst die Hacken hiessen, zu Altdorf unter dem dräuenden Bannwald und zu Stans unter dem starken Turm des Stanzerhorns und zu Sarnen am stillversonnenen Sarnersee, hatte sich das fremde Volk niedergelassen. Erst sass es allüberall um den Bergsee auf seinen einsamen Höfen als ein kraftvolles, angriffiges, doch auch frohmütiges Hirtenvölklein. Aber auf den grünen Wassern des wunderlichen Sees und an seinen steinernen Wänden, begegneten sich die Jauchzer der Männer von Uri, Schwyz und Unterwalden immer wieder.

Denn nach und nach hatten sich die Hirten in drei Teile auseinander getan und aus dem Wandervolke, das die Häuptlinge Swyt und Schey einst ins Land geführt hatten, waren drei Hirtenstämme geworden. Friedlich lebten sie nebeneinander auf ihren Matten und Hochweiden und den sonnigen Tag verklärte das Geläute der Herdenglocken. Aber wo sie auch stunden, immer sahen sie vor sich und unter sich das nixengrüne Auge des Waldstättersees und ob sich die schneeigen Häupter der Bergesalten. Die Welt schien sie vergessen zu haben. Nur selten kam etwa ein einsamer Pilger an die Fähre zu Brunnen um über den wilden See und den stiebenden Steg am Gotthardgebirge, ins Welschland nach Rom zu wallfahren.

Aber die grossen Herren, Könige und Fürsten aller Art, die damals die Welt regierten, wussten doch von diesem abseitigen glücklichen Bergländchen. Ja, der heilige Vater in Rom hörte von ihm und als ihm das Hirtenvolk in einem Kriegshandel auf seinen Hilfruf gar tröstlichen Zuzug gebracht hatte, ehrte er es mit einem Banner.

Unter den Herren jener Zeiten waren aber die Herzoge von Oesterreich die nächsten Nachbaren der Leute der drei Länder. Zu gerne hätten diese Fürsten das gewehrige, glückhafte Volk und seine schöne Heimat unter ihre Herrschaft gebracht. Also versuchten sie alles, um zu diesem Ziele zu kommen. Und als es im guten nicht geraten wollte, beschloss eines Tages der österreichische Herzog Albrecht, der zugleich König des deutschen Reiches war, die eigenrichtigen, widerköpfigen Hirten mit Gewalt unterzukriegen und sie von ihrer Freiheitssucht, die man damals für ein gar schlimmes Uebel nahm, gründlich zu heilen. So setzte er ihnen denn Vögte ins Land, die daselbst die Stänker und Quälgeister spielen sollten, solange bis das Volk gut österreichisch zuweggeknetet und regierungsfromm sein würde.

Die Vögte, die er schickte, waren auch darnach, denn wie der Herr so der Knecht oder wie der Kopf so die Kappe. Bevor die Talleute zu Schwyz und Steinen recht wussten wie's gemeint war, hatten sie auf der Insel Schwanau, im Seespieglein von Lowerz einen Turm und Burgstall, auf dem, wie der Geier im Horst, ein Vogt hauste. In Küssnacht aber, auf einem anderen festen Schlosse, sass sein mächtiger Vetter, Hermann Gessler, als Landvogt und auf einem Hochrain bei Sarnen ob dem Kernwalde, der Burgvogt Beringer von Landenberg und auf der Burg Rotzberg in Nidwalden, der Wolfenschiessen, ein Edelknecht. Also waren die Leute der drei Länder bald übler dran als die Schafe unter Geierhorsten, denn es war für sie nicht einmal ein wachbarer Hund da, der den Uebermut und die Plagerei der Vögte von ihnen abzuhalten versucht hätte.

Wohl unternahmen es die Hirten bei Kaiser und König Albrecht die Bestätigung ihrer alten Freiheiten zu erlangen, aber wo man die Türe nicht aufzuschliessen gedenkt, ist bös anklopfen. Der Habsburger gab ihren Boten kaum rechten Bescheid und vertröstete sie auf besseres Wetter. Er war aber festen Willens, sie zu Hörigen seines österreichischen Hauses zu machen und wenn er sie klopfen müsste bis sie leerer seien als ein Knochen in der Bärenhöhle.

Da waren nun die guten Hirten schlimm dran, denn die Reichsvögte begannen es immer toller zu treiben.

Der Vogt auf der Insel Schwanau plagte besonders das Tal von Schwyz und Arth und war kein Weiberschürzlein vor ihm sicher. Damals lebte zu Arth unter den Flühen des Rigiberges eine absonderlich schöne Jungfrau, namens Gemma. Sie war so schön, dass die Blumen alle Farben verloren und grün wurden vor Neid, wenn sie an ihnen vorüberging. Und als der Landvogt auf Schwanau ihre blauen Augen gewahrte, kam ihm sein knisterndblaues Seelein katzgrau vor und eines Abends fing er sie und führte sie auf seine Burg. Aber sie wollte nichts von ihm wissen und pfiff auf seine Liebe. Da sperrte er sie ins Burgverliess unter die Schlangen und Kröten, wo sie elend hungerte und fror. Doch nun mochte sie ihn erst recht nicht und eines Tages stürzte sie sich vor seinen Augen durch ein Fensterlein in den See. Als nun ein Fischer sie mitten in den Seerosen tot auffand, verzweifelte er schier, denn Gemma war sein Schatz. Er bettete sie in seinen Nachen und stellte sie zu Arth am Sonntag vor der Kirche aus. Da entsetzte sich das Volk und schwur im Herzen dem Vogt eine blutige Wiedervergeltung. Aber der Vogt spottete seiner, da er die Faust im Sack nicht fürchtete.

Der Landenberg zu Sarnen trieb's nicht besser, nur anders. Er war geizig und immer auf dem Sprung nach Beute, wie die Spinne im Netz. Also suchte er die Bauern auf jede Weise zu berauben, indem er mit Bussen und Strafen über sie kam wie die Wespen über die teigen Birnen. Einst trieb er's soweit, dass er einem wohlhabenden Hirten, namens Heinrich an der Halden in Melchtal, seine zwei besten Zugochsen wegnehmen lassen wollte. Aber dasmal hatte er den unrechten Finger verbunden. Arnold, der Sohn des Bauers, traf einen seiner Knechte also auf die raubgierige Hand, dass er ihm einen Finger abschlug. Der Landvogt aber ward, als er dies vernahm, fuchsteufelswild und als er den flüchtigen Sohn Arnold nicht erwischen konnte, liess er seinem alten Vater die Augen ausstechen. Da wurde das Volk von Unterwalden von einer unbändigen Wut erfüllt. Der Kessel kochte also, dass der Deckel zu hüpfen begann, aber noch übersott es nicht, denn der Vogt wachte über den Herd.

Waren diese Vögte erprobte Landplager, so war der Landvogt Gessler zu Küssnacht doch ihr Meister und ein Erztyrann. Er pflegte zu sagen, er wolle die eckigen Bauernschädel so platt auswalzen, dass man sie für Schweinsleder nehmen und damit die Hosen der Schlossknechte plätzen könne. Dieser harte Mann duldete keinen Widerspruch, geschweige Widerstand. Um die Länder ganz mit des Königs Geierhorsten zu überziehen, beschloss er, auch im Lande Uri eine Burg erbauen zu lassen und zwar hatte er eine Feste im Auge, die ihren Fuss in der Hölle und ihr Haupt in den Wolken haben sollte. Also zwang er die Urner, selber die Steine zu diesem Bau zu ziehen, den er voll Uebermut schon Zwing-Uri nannte. Gar noch liess er am Feste des hl. Jakob zu Altdorf eine Stange mit einem Herrenhut aufrichten und jedermann musste vor ihm das Knie beugen. Wehe allen, die sich dessen weigern würden! Sogerne die Hirten die Stange in den Grunderdsboden hineingetrieben hätten, dass sie auf der anderen Seite wieder herausgefahren wäre, mussten sie sich doch in alles schicken und gar noch den Mund halten, als hinge ihnen ein Schlösslein dran.

In jenen Tagen ritt der Landvogt Gessler einmal durchs sonnenvolle Tal von Schwyz. Als er nun gen Steinen kam, allwo der Landammann Werner Stauffacher vor seinem neuen Hause sass, hielt er mit seinem Tross an und fragte den Bauern, der sich ehrerbietig erhoben hatte, wem dieses schöne Haus gehöre. Der Stauffacher, der den Vogt und seine Tücken wohl kannte, antwortete bescheidentlich: «Herr, es ist des Kaisers Haus und Eures und mein Lehen.» Jedoch Gessler sagte kalt und bösartig: «Ich bin an meines Herrn Albrecht Statt Regent im Lande und will nicht, dass die Bauern Häuser bauen ohne meine Bewilligung. Ich werde fürderhin nicht mehr dulden, dass ihr also frei lebt als wäret ihr eure eignen Herrn; ich werd's euch künftig zu wehren wissen.» Damit verritt er gen Küssnacht.

Diese harte Rede wurmte den starken und aufrechten Schwyzer und als ihm seine hochgemute Frau, die des Vogtes Rede hinter dem Küchenscheiblein erlauscht hatte, ernstlich zuredete, er solle sich das doch nicht gefallen lassen und lieber dafür tätig sein, dass die drei Länder sich endlich zusammentun und die heimischen Nester vor diesen Habichten sichern, machte er sich auf und segelte über den Urnersee nach Altdorf. Und es war als hätte der Urner Landammann Walter Fürst nur auf ihn gewartet. Er nahm ihn freudig auf, ging herzhaft auf seine Reden ein. Als nun auch noch Arnold von Melchtal, der im Hause sich versteckt hielt, zu den zwei wackern Männern stund und hoch und heilig beteuerte, dass in Unterwalden alles zum Losschlagen bereit sei, gelobten sie alle Drei mit feierlichem Handschlag, den unerträglichen Bahn der Habsburger zu brechen und dem Lande die alte Freiheit zurückzugewinnen. Sie erinnerten sich ihres Bundesbriefes vom Jahre 1291, der heute noch im Turm zu Schwyz zu sehen ist und kamen überein, sie wollten in den drei Ländern Umschau nach mutigen Bergleuten halten, die, hau's oder stech's, mit ihnen gingen. Unter den Abstürzen des Seelisberges gab es ein weltabgeschiedenes kleines Gelände, das Rütli geheissen. Auf seiner stillen Matte wollten sie, jeder mit zehn Genossen, wieder zusammenkommen, in finsterer Nacht.

Es war am sechsten Wintermonat, in einer kühlen Nacht, da kollerten und schieferten die Steine von den Abhängen des Seelisberges seewärts. Sonst war kein Laut zu vernehmen als das unheimliche Puhuen der Nachteule.

Aber doch, jetzt liessen sich auch vorsichtige Schritte hören und nun kam's wie Geisterschatten aus den jähen Wäldern auf die einsame Rütliwiese und da stunden auf einmal im schwachen Sternenschein, eine kleine Schar Hirten. Es waren der junge Arnold von Melchtal, und der greise Keller von Sarnen, mit ihren Landleuten. Sie verhielten sich läubleinstill und zündeten nur ein geringes Feuerlein an.

Der Mond war mittlerweile über die Berge herauf gestiegen. Und als er nun wie eine goldene Kegelkugel ruhig auf der sternenbestreuten Milchstrasse lag und sich im dunklen Bergsee spiegelte, kam um die Nase im See ein Nauen geschwommen. Bald gischtete und plätscherte es am Strand und jetzt stiegen Hirten ans Land. Es waren die Schwyzer mit ihrem Landammann Werner Stauffacher und den Altlandammännern Konrad Hunn und Konrad ab Yberg. Kaum hatten sich die Männer auf der stillen Matte recht bewillkommnet, kam es ihnen vor, es wandle ein Umgang armer Seelen aus den schroffen Bergwäldern herab, denn ein Flämmchen kam hinter dem andern die Hänge herunter. Aber sie wussten wohl, wer hinter den Lichtlein stecken möchte. Bald schritt denn auch der Landammann von Uri, Walter Fürst, auf die Wiese und mit ihm zehn Talleute, unter ihnen auch zwei hochangesehene Landeshäupter, Werner von Attinghausen und der Maier von Silenen. Sie hatten aber auch das grosse Heerhorn, den Uristier, bei sich.

Ueber den Bergen taten die Sterne ihre lautlosen goldenen Trittlein. Mit Verwundrung blinkten und zwinkerten sie auf die dreiunddreissig Hirten hinunter, die sich auf der Waldwiese unter dem Seelisberg immer näher zusammengelassen hatten. Diese aber hielten ihren grossen Ratschlag. Sie beredeten sich gar wohl und machten aus, wie man die Vögte nun einmal bodigen und das Land befreien könnte.

Und die Wellen des Bergsees gingen um das stille Gelände und auch aus ihnen schauten goldene Sterne nach den Hirten. Vielleicht waren es aber auch die Augen verschwiegener, wunderfitziger Wasserfrauen.

Aber auf einmal ward es laut. Die Hirten hatten sich völlig zusammengetan. Sie hoben die Hände himmelan und schwuren den Bund ewiger Treue. Sie schwuren sich, nie von einander zu lassen in aller Not und Gefahr, Gott mehr zu fürchten als alle Menschenmacht, und lieber den Tod zu ertragen als noch weiter das Sklavenjoch. Den Aufstand aber gegen die Gewalt der Landvögte setzten sie auf den folgenden Neujahrstag an.

Alsdann schlugen sie ihre Waffen zusammen und gingen still auseinander.

Als aber die Schwyzer in ihrem Nauen vom Land abstiessen, rief's ihnen von den nahen, lebendig gewordenen Abstürzen des Seelisberg zu: «Mit Gott und Glück!» und da war es als käme fernher vom Axenberg das leise Echo: Mit Glück!

Jetzt tauchten aus der vergehenden Nacht die morgenrötlichen Häupter der beiden Mythen.

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Tell rettet Baumgarten

Der Tell.

Es war ein schöner, glanzlauterer Tag. Ueber die Dächer zu Altdorf schien die Morgensonne und in den Dorfbrunnen spiegelte sich das weisse Haupt des Urirotstockes und der Himmel, der heut so knisterndblau war als hätten ihn die Engelein für einen besonderen Feiertag frisch angestrichen.

Aber irgendwo, hoch oben, da wo die finstern Tannenkämme in den Himmel hineintrotzten, war etwas wie ein heimliches Gemurmel, als hielten dort betende Geisterzüge einen ewigen Umgang. Und schwer drückend hing der Bannwald ob dem besonnten Land.

So still's jedoch im Dorfe war, unter der alten breitästigen Linde auf dem Hauptplalze ging's gar lebhaft zu. Dort machten sich die Dorfkinder eine lustige Lebtung. Sie umtollten die lange Stange auf der ein Herrenhut mit einer Pfauenfeder steckte. Die zwei Hutknechte, die dabei Wache stunden, hatten es nicht gut. Die Altdorfer Jungen und Mägdelein trieben mit ihnen ihr übermütiges Spiel. Bald gingen sie im Gänsemarsch an der Stange vorüber, dabei das Knie beugend und aber zugleich das geschwinde Zünglein herausstreckend und gleich wieder tanzten sie einen tollen Ringelreihen um den Hut, dass es den Wächtern sturm ward in den Köpfen als hockten sie auf einer himmelanschnellenden Schaukel. Also wurden die beiden Knechte immer aufgeregter. Es war ihnen schon gründlich verleidet, diese Stange zu betreuen, da sie nur dazu vom Landvogt Gessler schien aufgerichtet worden zu sein, um der Urner Jugend eine aussergewöhnliche Kirchweih und Kurzweil zu schaffen. Den ganzen Morgen schon waren sie nun hinter dem übermütigen Kleinvolk her, aber immer wieder wurden sie die Herumgegängelten und Gefoppten.

Müde und verärgert stunden sie unter dem Hute, denn endlich hatten sich die Altdorfer Kinder zu einem andern Zeitvertreibe davon gemacht. Die Waffenknechte schämten sich ihres Amtes. Sie konnten nicht recht verstehen, warum ihr gestrenger Herr gerade mit diesem Hute den Gehorsam seiner Untertanen prüfen wollte. So mutwillig es die Kinder mit ihnen getrieben hatten, so unablässig sie vor der Stange herumknixten, so hatten doch ausser ihnen nur wackelköpfige Greise und bösblickende Weiber dem Hute die verlangte Ehrung erwiesen. Die Männer drückten sich wie sie nur konnten, durch alle Seitengassen um die Stange herum. Konnte aber das Mannsvolk den Weg daran vorbei doch nicht vermeiden, so liess es sich schwerfällig, murrend aufs Knie nieder. Jeder aber erhob sich darnach immer als müsste er nun mit einer Lawine auf dem Rücken auf stehen.

Verdrossen, gähnend und in die Bärte hineinfluchend, stunden die Wächter unter dem Herrenhute.

Da hörten sie aussergewöhnlich feste Schritte in der Gasse, die von Bürgten herabkommt. Sie schauten auf und nun gewahrten sie einen hochgewachsenen Mann, der in klappernden Holzschuhen, die Armbrust auf dem Hirthemd, auf den Hauptplatz einbog. An der Hand aber hatte er ein blondlockiges Büblein.

«Aha», sagte ein Hutknecht, «da kommt wieder so ein milchschnäuziger Schächentaler Bauer.»

«Ja,» gab der andre halblaut zurück, «den kenne ich; es ist der Tell von Bürglen; der gerühmteste Schütze und Gemsjäger im Lande Uri.»

Er verstummte, denn der Tell, der laut mit seinem Knaben redete, kam schweren Schrittes geradewegs auf die Stange zu und ging starren Ganges, ruhig zu dem dräuhenden Bannwald aufschauend, an den Wächtern vorbei.

Vor Ueberraschung knickten die Knechte fast selber in die Knie und glotzten mit grossen Augen auf den gewaltigen Mann und sein Söhnlein.

«Halt, steh, im Namen unseres Herrn des Landvogtes, steh!» brüllten jetzt die Wächter und versperrten dem Hirten mit ihren langen Spiessen den Weg.

Verwundert schaute der Tell auf die beiden Schergen. Was sie denn von ihm wollen, fragte er. «Spiele dich doch nicht auf den Dummen heraus», fuhr ihn ein Knecht an, «du wirst das Gebot, das im ganzen Lande bekannt ist, wohl auch kennen, dass man vor diesem Hute als wäre es der Kaiser und König selbst, das Knie beugen muss.»

«Ich nicht,» sagte kurz der Schütze, «ich kniee vor Gott und sonst vor niemand.»

Er packte ihre Spiesse und zog und rüttelte die Waffenknechte also hin und her, dass ihnen die Seelen im Leibe herumschossen wie frischgefangene Bergfinken im Käfig. Er wäre mit ihnen wohl fertig geworden, aber sie lärmten um Hilfe. Andere Hutknechte eilten herbei, jetzt aber auch einige beherzte Männer des Dorfes. Ein wilder Faustkampf wollte anheben, da liess sich Pferdegetrampp hören und eine Stimme rief aus einer Gasse: «Platz für unsern Herrn, den Landvogt!»

Da ritt auch schon der Landvogt Gessler, mit grossem bewaffnetem Gefolge, auf die Stange zu. Nun liessen sich die Streitenden auseinander und jetzt hielt der Landvogt hoch zu Ross vor dem Schützen Tell, der völlig ruhig wie ein Steinmann auf der sturmumbrausten Bergfirst, die Armbrust in der Faust, dastund.

«Was geht hier vor?» wollte der Vogt wissen.

«Herr,» lärmte einer der Knechte auf, «der Bauer hat dem Hute den Respeckt nicht erwiesen!»

«Bist du nicht der Tell von Bürglen?» fragte der Landvogt, «der Schütze Tell?»

«Ja, Herr.»

«Bist du nicht der Frevler, der dem Mörder des Untervogts Wolfenschiessen auf Rotzberg im Sturm über den See davonhalf?» Er sah mit bösen Augen auf den Hirten herab. «So sag denn, warum verweigerst du des Königs Hut die schuldige Ehrfurcht?»

«Herr,» antwortete der Tell, «es geschah nur aus Unverstand.»

Aber der Landvogt freute sich insgeheim soviel er vermochte, dass er diesen Wildschützen, den widerhaarigsten, aufrechtesten Mann im Lande Uri, nun in den Fängen hatte, denn er fürchtete und hasste ihn und sein Ansehen. Also schaute er ihn eine Weile an und besann sich wie er ihn so recht ins innerste Herz treffen und zu Grunde richten könnte. Und alsdann fragte er ihn schier sanftstimmig: «Sag an, Teil, hast du Kinder?»

«Ja, Herr, ihrer zwei.»

«Und sag, welches von ihnen liebst du am meisten?»

«O Herr,» machte der Hirte, dem Unheil schwante, «es sind mir beide gleich liebe Kinder.»

Nun hatte der Landvogt aber den kleinen Walter Tell erspäht, denn das Büblein stund zwischen seinem Vater und dem Grossvater Walter Fürst und sah mit grossen Augen zu ihm auf. Schier freundlich lächelnd redete jetzt der Gessler weiter: «Tell, du bist ein Schütze wie's keinen zweiten gibt; das weiss ich und das ganze Land. Nun aber sollst du heut einen Schuss tun, wie ihn noch keiner getan und den dir auch nie keiner nachmachen wird. Gib nur acht, dass er dir wohlgerät. Es gilt dein Leben. Und nun denn, Meisterschütze, du sollst einen Apfel vom Kopfe deines Kindes schiessen.»

Entsetzt schrien die Leute auf. Die Frauen aber rangen die Hände und die Männer bekreuzten sich. Auch der Tell ward bleich wie eine Kirchenmauer im Wetterleuchten. Doch ermannte er sich Und sagte: «Ihr spasst Herr; so grausam ist kein Luchs. Glaubt Ihr an Gott und den jüngsten Tag? Schlagt mich tot meinetwegen, aber den Schuss tu ich nicht.»

Das Volk begann immer drohender zu murren; wie Dolche stachen aller Augen auf den Landvogt. Aber dieser ward dadurch nur finsterer. Immer wieder blickte er prüfend nach der alten Dorf linde und plötzlich sagte er laut: «Bringt einen Apfel her!» Und zu Tell gewandt: «Du tust den Schuss oder es ist mit dir und deinem Buben aus.»

Die Trossknechte aber hatten, auf einen heimlichen Wink des Landvogtes, den Knaben Walter schon an den Lindenbaum gestellt. Und alsbald lag auf seinem lichten Scheitel auch schon ein Apfel. «Vater,» rief das Büblein gar laut, «Vater, schiess nur herzhaft, es fürchtet mir nichts!»

Jetzt warfen sich die Frauen und Kinder vor dem Vogte auf die Knie und aus den wildblickenden Talleuten heraus trat der greise Walter Fürst haut vor Gessler hin und begann ihm mit mächtiger Stimme ins Gewissen zu reden. Der Tell aber war, wie vor den Kopf geschlagen, auf ein Knie gesunken. Aber als er die stahlharten Augen des Landvogtes gierig auf seinem Gesichte nach Jammer und Schmerz werden sah, fing er an die Armbrust hin und herzuwiegen und mit einem Male nahm er zwei Pfeile unter dem Hirthemd hervor und barg den einen in den Göller. Doch jetzt bog auch der greise Landammann Walter Fürst die Knie vor dem Tyrannen und er und andre angesehene Männer beschworen den Vogt, er möge doch dieses Ungeheuerliche, Unerhörte nicht verlangen.

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Fahrt zum Bundesschwur.

«Der Apfel! Der Apfel ist gefallen, der Apfel ist gefallen!» kreischte eine Stimme auf.

Da ward es totenstill. Er war als habe jemand gerufen, das Tor des Himmels ist offen und der ewige Richter steht auf seiner Schwelle.

Dann schrie es hundertfältig auf, aber alles überhöhte eine jauchzende Frauenstimme : «Das Büblein lebt, das Büblein lebt!»

Ein wildes, freudentolles Aufjauchzen erfüllte Berg und Tal. Der kleine Walter aber lag am Herzen seines bebenden Vaters, der noch wie betäubt auf einem Knie war, die Armbrust in der Faust. Während der greise Walter Fürst mit den Leuten den Vogt anflehte, hatte er den Schuss gewagt.

Jetzt reichte ein Hutknecht dem Gessler, der sein Erstaunen nicht zu verbergen vermochte, den Apfel herauf. «Bei Gott», redete er vor sich hin, «der Apfel ist mitten durchgeschossen. Das war ein Meisterschuss, ich muss ihn loben.» Dann aber blinzelte er mit giftig kugelnden Aeuglein auf den Schützen nieder, der immer wieder sein Kind in die Arme schloss und nun sagte er gar vernehmlich: «Hör, Tell, warum denn hast du den zweiten Pfeil in den Göller gesteckt: Ich will es wissen. Sag's nur ohne Scheu ; es soll dir nichts am Leben geschehen.»

Da sah ihn der Tell wie im Traume an, aber unversehens sprang er auf und stellte sich steckengrad vor den Landvogt, ihm den Pfeil gar nahe unter die Nase haltend: «So sei's denn,» rief er, «ich will Euch die Wahrheit gründlich sagen. Herr! Hätte ich mein liebes Kind getroffen, Euch hätte ich sicher nicht gefehlt.»

Erbleichend blickte der Landvogt in Tells Augen, die ihn ansahen wie der aufgepeitschte Bergsee im Gewitter. Es dauerte eine Weile bis er Farbe und Stimme wieder fand. Aber alsdann sagte er schweren Tones: «Ich habe dir das Leben zugesichert, Meisterschütze, so will ich's halten. Ich will dir aber die Armbrust abnehmen, da mir dein böser Sinn nun kund ist. Und ich will dich dahin bringen, wo dich weder Sonne noch Mond mehr bescheinen können. Nehmt ihn fest!»

Die Waffenknechte warfen sich auf den Teil und banden ihn also, dass er keine Hand mehr rühren konnte. Darnach schleppten sie ihn, unter dem Weinen seines Bübleins und unter dem Jammern des Weibervolkes und den Verwünschungen und Drohungen der Männer, nach der Fähre in Flüelen. Von dort aus wollte ihn der Landvogt nach seiner Burg Küssnacht führen lassen.

Als man nun den Schützen Tell im Herrenschiff hatte und sich auch der Landvogt Gessler darin befand, stiess es vom Ufer ab. Voll schwerverhaltener Wut mussten es die Landsleute davonschwimmen sehen und sie taten keinen Schritt vom Strand weg, solange sie das rote Dach des Nauen zu gewahren vermochten.

Aber hoch oben, in den Wäldern, ward das Murren lauter und es sah aus als wollten die Berge und Firnen zu fliegen anfangen, denn allüberall begannen aus ihren Gipfeln und Kämmen mächtige weisse Federn herauszuwachsen und sich nach und nach über den ganzen Himmel auszubreiten. Und im ganzen Land ward es stiller als im Beinhaus an der Kirchweih. Und doch war es als ginge auf einmal ein seltsames Rauschen hoch oben in den Lüften wie ein Riesenstrom.

Der Tell lag hilflos, festgeschnürt im Schiff unter den höhnenden Waffenträgern. Mit heissen Augen schaute er nach dem gespenstig aufscheinenden Bristenstock und in die ganze wundersame Heimatwelt und mit heissern nach der neben ihm liegenden Armbrust.

Da schoss auf [*]einmal ein mächtiger Geier aus heiterm Himmel seewärts als würde er herabgeschleudert. Aber seinen wilden Schrei verschlang ein anderer gellender Pfiff und jetzt fasste es das Schiff wie mit hundert unsichtbaren Fängen. Sein rotes Dach zerfetzte; es begann zu tanzen und der Pfeifer stürzte von den Felsen und blies seine gellende, jauchzende Weise in die aufspringenden Wasser. Der Föhn war im Land.

Jetzt brach ein Heulen, Tosen und Pfeifen los als ob die Hölle obenaufgeschwungen hätte. Die Federn am Himmel wuchsen sich zu Riesenvögeln aus und die Riesenvögel taten sich zu einem schwarzen Schwarm zusammen und also hingen sie über dem aufgehetzten rasenden See, der verzweifelt seine flatternden Fluten, wie ein ungeheurer Fisch seine Flossen, an den Felsenabstürzen zu beiden Seiten heraufpeitschte und das Herrenschiff auf seinem Rücken wütend auf und abschleuderte.

Herr und Gefolge im Nauen waren jetzt zerknirscht und gebetsreif geworden. Mit Ach und Weh versuchten die Knechte an den Rudern dem Föhn zu widerstehen und aus dem tollen Wirbel den graden Weg zu finden. Sie fluchten und herrjeselten, aber was sie auch taten, der pfeifende, urwilde Tanzmusikant packte den Nauen plötzlich und trieb ihn unwiderstehlich gegen die Felsennasen der gäben Axenberghänge. Der Landvogt ward weiss wie die zerschäumenden Krausschöpfe der Wogen, den nun war ja wohl die Pforte der Hölle nicht mehr weit. Er hörte schon das Totenglöcklein auf Seelisberg wimmern und vergönnte dem windvertragenen Geier ob dem See ein jegliches Federlein.

«Herr», lärmte jetzt eine Stimme aus den Knechten, «so kann's nicht weitergehen. Wenn wir das Schiff nicht vom Axenberg wegzuhalten vermögen, sind wir verloren. Es wäre aber ein Mann im Nauen, der uns wohl retten könnte, denn keiner führt das Ruder wie er; es ist der Tell.»

Der Landvogt, in dessen Augen Hass und Todesangst geisterten, nickte, finster schweigend. Und alsobald stand der bäumige Tell am Steuer. Mit aller Macht zwang er das Schiff um die vorstehenden Schroffen des Axenberges und also kam's in etwas ruhigeres Fahrwasser. Aber war es bisher wie von einem Wasserfall herumgeschleudert worden, so schoss es nun dahin wie auf einem Hochwasserstrom. Doch der starke Mann ersah die vorspringende Platte, die einsam als ein dürftiges Gelände aus den Axenfelsen vorspringt.

Und als er nun das Schiff an die Platte herangezwungen hatte, packte er plötzlich seine Armbrust und sprang mit Macht ans Bord, den Nauen in die wilde Flut zurückstossend. Und da war er auch schon im Bergwald verschwunden.

Nun wären der Vogt und seine Leute doch noch des Todes gewesen, aber da stürzte mit einem Male ein Regen vom Himmel und der Föhn machte sich davon. Mit Not landete alsdann nach langem das Herrenschiff an der Hab zu Brunnen, von wo aus Gessler nach seiner Burg Küssnacht zu verreiten gedachte.

Der wegkundige Schütze Tell aber stieg von Sisikon über die Hochweiden bei Morschach und obwohl er ein strenges Tagwerk hinter sich hatte und einen langen Weg, gab er doch nicht nach, bis er nach Arth kam, wo er den Pfad nach Küssnacht einschlug.

Es ging gen Abend. Zu Küssnacht im Dorf läutete eben die Vesperglocke. Zu dieser Zeit endlich ritt der Landvogt Gessler todmüde unter das Baumgewölbe der hohlen Gasse vor Küssnacht ein. Ingrimmig sann er darüber nach, wie er den Tell erwischen und ihn und seine Familie verderben könnte. Er wollte fürchterliche Rache nehmen.

«O, o, Jesus und Maria!» kreischte er plötzlich auf und fuhr mit der Hand in der Luft herum. Ein Pfeil stak in seinem Herzen. Und in Verzweiflung, keuchend stöhnte er: «Das ist Tells Geschoss!»

Jetzt tat sich das Unterholz unter den Donnereichen auf, ein Hirthemd zeigte sich in den Stauden und ein grimmiges Gesicht: «Ja,» rief eine mächtige Stimme, «ich bin's. Du kennst den Schützen, suche keinen andern!»

Aber als die Waffenknechte sich von ihrem Schrecken erholten und in den Busch einbrachen, war vom Tell keine Spur mehr zu finden und wie sie in die hohle Gasse zurückkehrten, lag der Landvogt Gessler tot im Weg, den Pfeil in der Brust.

Wer aber heute ins Land Uri wandert, findet da wo das Tellbüblein unter der Linde seinem Vater so tapfer Stand hielt, den Schützen Tell, von einem Meister in Erz geformt, wie er, die Armbrust auf dem Rücken, mit seinem Knaben zu Tal steigt.

Der Tell bin ich; ein Schütz von Gottesgnaden.
Was tat ich denn? Der Freiheit weiterpfaden.
Es schritten vor mir her schon tausend Tellen;
Und hunderttausend folgen meinen Spuren,
Für Millionenscharen armer Seelen
Das Paradies der Freiheit zu bestellen.

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Tell mit dem Knaben.

Im Tagen der Freiheit.

Es war am Neujahrsmorgen, im Jahre des Heils 1308. Da sassen die Vögte noch warm und weich in ihren Burgstuben am Ofen, assen fett und tranken gut und liessen es draussen getrosten Mutes Stein und Bein gefrieren.

Aber obschon ihnen gewiss nichts zu einem freudenreichen Leben mangelte, war ihnen doch nicht mehr recht wohl im Lande. Denn seit Tell, den niemand aufzufinden vermochte, den mächtigen Landvogt Gessler erschossen hatte, wurde das Ding, das einem in der Brust etwa so unruhig und rechthaberisch tiken, ja pochen kann, das Gewissen, immer lauter und eigenrichtiger unter den Wämsern der kleinen Tyrannen, denn die Angst hatte sich heimlich zu ihm ins Herz gemacht und hetzte es nun alleweil auf. So sahen die Vögte denn keineswegs mit heitern Stirnen die Wintersonne des neuen Jahres im Lande aufgehen.

Sie hatten auch allen Grund zur Unruhe, denn der Lenker der Zeiten hatte den Zeiger an der Uhr ihrer Herrlichkeit auf die zwölfte Stunde rücken lassen.

Der Untervogt zu Schwanau, der leichtlebige Vetter des toten Gessler, machte eben das Fensterlädlein auf, denn es wollte ihm scheinen, die Sonne gehe heute blutrot auf. Wie aber die kalte Luft ins Gemach strömte, gewahrte er zu seiner Verwunderung auf dem Wildispitz und auf der Hackeneck zwei gewaltige Feuer himmelangehen und irgendwo war ein seltsames, ungewohntes Hornen als ginge noch der brüllende Urochs um.

Da sah er über das vereiste Lowerzerseelein eine grosse Schar Männer auf seine Inselburg losrücken. Jetzt merkte er, dass das Horn in ihrer Mitte tutete und an einem Aufblitzen ob ihren Köpfen erkannte er, dass die Talleute von Schwyz, von der Muota und der Enden, dasmal nicht zum zehntenzahlen kamen. Nun ging ihm das Gewissen in der Brust wie das Rädlein beim Messerschmied, denn die Todesangst trillte es. Auf einmal glaubte er das bleiche Angesicht der Gemma von Arth unter dem Eise des Seeleins zu erblicken und um seine Augen ging's wie ein Mückenwirbel. Aber als er sich hinter den Ofen flüchtete und sich besinnen wollte, was das eigentlich für Mücken seien, die ihm vor den Augen herumwirbelten, waren plötzlich wirbelnde Fäuste daraus geworden, angriffige Schwyzerfäuste, die ihn handlich vom schön angewärmten Ofenbänklein nahmen und ihn alsdann zum gleichen Fenster hinaus den Sprung ins Wasser tun liessen, durch das die arme Gemma sich gestürzt hatte. Er geriet aber keineswegs wie einst sie, in die Seerosen, sondern auf hartes Eis. Und also vergingen ihm die Mücken und das geleitige Rädlein in seiner Brust machte für immer Feierabend.

Dem stolzen Landvogt zu Sarnen, dem Landenberg, erging's derweilen auch nicht am glimpflichsten, obwohl er auf einer Feste sass, die keine Gewalt einzunehmen vermochte. Aber der hochmütige Herr kannte die Leute ob dem Kemwalde noch lange nicht, sonst hätte er sich besser vorgesehen. So klar und heiterfarbig ihre Augen sind, so hinterhältig sind sie gleichwohl, denn was nicht in den Augen ist, kann unter den Wimpern sein. Und wo auf der offenen Weide lauter Schafe grasen, können das Lüchslein und das Füchslein im Walde lauern. Kurzum, obschon der gestrenge Herr Tyrann; auch ab und zu sein banges Stündlein hatte, auf seiner festen Burg wenigstens fühlte er sich wie in Abrahams Schoss und dachte: Ihr könnt mir alle miteinander die Mauern hinaufsteigen, wenn ihr könnt.

Gut denn. Als er sich nun am Neujahrsmorgen genugsam am Ofen gewärmt und darnach in eine schwere Wintergewandung eingepelzt hatte, also dass er aussah wie eine Fischotter, verliess er mit dem Tross seiner Knechte das Schloss, um ins Dorf Sarnen hinunter zur Frühmesse zu reiten, wobei er jedoch nicht vergass, sich und seine Gefolgschaft wohl zu bewaffnen.

Kaum war er ausserhalb seiner Feste, so sah er die Talleute den Rain hinaufkommen und mit Vergnügen bemerkte er, dass sie vorhatten, die schuldigen Abgaben wie bisan, ja noch Geschenke dazu, ins Schloss zu tragen. Das freute ihn mächtig. Denn zum ersten fiel dadurch die heimliche Furcht vor den Untertanen so ziemlich von ihm ab und zum andern gedächte er sich an den glatten Ziegen und wohlgepolsterten Schafen, an den dickbäuchigen Ballen weissen Zigers und den lachenden Butterstöcken, die ihm die zweidutzend Talmänner so schön ins Haus trugen, nicht übel zu erholen.

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Tell springt aus dem Nachen.

Als ihm nun die Hirten, die mit ihren langen Stöcken das Viehzeug antrieben, auf dem Burgweg begegneten, begrüsste er sie fast freundlich und hiess sie nur ruhig ins Schloss gehen. Dort möchten sie seiner warten; er wolle dasmal ein Trünklein auf ein glückhaftes neues Jahr mit ihnen tun, da sie ihm so üppig den Tisch deckten. So machten sie sich denn, schier demütig, an ihm und seinem Bubentross vorbei schlosswärts. Er aber ritt zur Kirche und lachte in sich hinein über die gutmütigen Schafsgesichter, die sie an ihn hingemacht hatten. Wie hatte er sich denn je einmal vor diesem Volk ängstigen können.

Es kam aber ein Bischen anders als er's im Kopf hatte. Nämlich, wie nun die Leute von Obwalden im Schloss waren, steckten sie die Stecheisen, die sie unter den Hirthemden verborgen gehalten hatten, auf ihre Stöcke und überrumpelten die Torwache. Einer aber blies gar mächtig ins Horn und jetzt liefen aus dem Unterholz dreissig weitere Mannsleute heraus und in die Burg. Also wurde sie gar leicht genommen.

Wie nun der Landvogt Beringer von Landenberg aus der Kirche zu Sarnen trat, sah er ein mächtiges Feuer aus seiner Burg aufgehen und zugleich hörte er ein wildes Brüllen. Da er aber einfach eine Feuersbrunst vermutete, machte er sich mit seinen Leuten eilig gen die Burg hinauf. Aber bald genug merkte er, was dasmal seinen wohlgeheizten Ofen bis übers Dach hinaus hatte überlaufen lassen. Das Landvolk, das neben ihm in der Kirche doch so taubeneinfältig der Messe angewohnt hatte, war fluchend hinter ihm her und aus der Burg liefen ihm gar die Hirten, aber dasmal mit Wolfsgesichtern, entgegen. Und als man ihn gar schön in der Mitte hatte, wie zwischen zwei scharf zähmgen Wollkarten, machte das Volk Miene, ihm mit seinen frischgeschälten Knütteln die Pelzkappe gründlich auszuklopfen. Aber als er gar jämmerlich um sein Leben wimmerte, hockten ihn die Obwaldner wieder auf sein schwarzes Ross und also liessen sie ihn davon reiten, nachdem er auf den Knieen geschworen, nie mehr ins Land zu kommen.

Die Leute in dem Kernwalde erwiesen sich aber diesmal nicht weniger einfällig und bedachtsam, wenn schon sie sonst schüssiger sind als die Obwaldner. Item. Auf dem Rotzberg in Nidwalden, wo ein böser Untervogt herrschte, diente eine bildschöne Magd. Sie war so schön, dass sie nie in den Spiegel sehen konnte, ohne in sich selber verliebt zu werden. Diese Magd nun hatte einen gradaufgeschossenen Liebsten, der beim Bundesschwur im Rütli auch dabei gewesen war.

Wie nun die Neujahrsnacht hereinbrach, versteckte sich der Bursche mit zwanzig gutaufgelegten, dürfigen Genossen bei der Burg. Er hatte mit der schönen Magd seit einiger Zeit also zusammenzukommen verstanden, dass sie ihm allnächtlich eine Strickleiter herablassen musste, auf der er dann wie ein Eichhörnchen ins Tannendolder zu ihr in die schlafende Burg hinaufkletterte. Und da sie auch ein Weltshexlein war und nicht bloss wie landesbräuchlich ihr Gesicht mit Butter, sondern auch ihre Gedanken mit Schläue zu wichsen verstund, so konnten sie sich gar herrlich und unbemerkt zusammenfinden.

Als nun in der finstern Winternacht die frierenden Füchse ums Schloss bellten, denn sie liefen alle barfuss, kam die Strickleiter wie eine Schlange, die aber ein anderes Schlänglein festhielt, an der Burgmauer heruntergeglitten. Im Hui hing der Bursche dran und im Hui war er auch oben, denn die Liebe hat einen doppelten Schritt. Und kaum war er oben und kaum hatte er angefangen seiner Liebsten ein glückhaftiges neues Jahr anzuwünschen, so stiegen seine Genossen hinterrücks nach und bevor das Mägdlein donnern hörte, hatte es den Blitz schon im Gädelein. Aber weil ihr gerade der Mund ihres Schatzes das Plaudermäulchen mit seinen Küssen verschloss, konnte sie doch nicht um Hilfe rufen. Also ward flugs der Untervogt mit all seinen Knechten und Hörigen gefangen und bald lällte ein gewaltiges Feuer aus der Burg und beleuchtete weitum das aufhorchende Land.

Zu gleicher Zeit ungefähr als die Schwyzer gegen die Insel Schwanau übers Eis und die Obwaldner dem Sarner Geier in den Horst liefen, hatten auch die Urner saubern Tisch gemacht. Das Heerhorn von Uri, der Uristier, brüllte mächtig durchs Land. Und bevor die Firnen ihre abendroten Ueberzüglein zu Altdorf in die Brunnen und in die Wassergeltlein der Mägde zu tauchen vermochten, war auch das Land Uri befreit und die noch nicht ausgebaute Feste Zwing-Uri so hergerichtet, dass kein Häslein sich darein mehr hätte verbergen mögen.

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Hohle Gasse.

Die ganze Neujahrsnacht hindurch gingen nun überall auf den Höhen und Bergen Freuden- und Siegesfeuer auf und zeigten allem Volk um den See der vier Waldstätte und seiner Seitentäler, ja aller Welt, den jungen Tag der Freiheit an.

So war denn die Befreiung, die man am ersten August des Jahres 1291 feierlich verbrieft und im Rütli in stiller Nacht beschworen hatte, glorreich begonnen.

Und alljährlich flammen nun, wie in jener Nacht unserer Urahnen, am 1. August die Freudenfeuer von Berg zu Berg, durchs ganze liebe Schweizerland, zum Zeichen, dass wir das heilige Feuer auf den Leuchttürmen der Freiheit nie erlöschen lassen wollen.

Wohlan, am Bundesfeiertage
Will ich die Farben, die ich trage,
Das Schweizerbanner stolz entfalten.
Trüg ich's allein, ich wollt es halten,
Getreu der Freiheitssucht der Alten.
Und führt dies Zeichen nicht zum Himmel,
So zeigt's doch in dem Weltgetümmel
Ein Plätzlein guten, sichern Standes;
Bis unter allen Völkerfarben
Aufgeh'n der Freiheit gold'ne Garben
Des einen Erdenvaterlandes.

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