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Phantasie und Technik

»Ohne Hände gibt es keine Maler, und ohne brauchbare, keine gute.«
Rumohr.

Kaiser Wilhelm ließ als junger Prinz von irgendeinem Hofmaler sein Bildnis malen und als er es besah, fragte er den Professor: Habe ich denn so große Augen? und auf die Antwort des Malers, dass er die Augen von Königl. Hoheit so groß sähe, erwiderte der Prinz: Dann begreife ich nicht, daß Sie Maler geworden sind.

Die Phantasie ist immer Voraussetzung, und ebenso wenig zu beweisen, wie daß 2 x 2 = 4 ist. Die ästhetische Betrachtung kann nur ergründen wollen, wie sich die Form für das Werk unter der Hand des Künstlers gestaltet, nicht aber den Prozeß, der in seinem Kopfe vorausgeht. Jeder Künstler, ob er Maler, Musiker oder Dichter ist, muß von der Anschauung ausgehen: Die Vision, die äußere wie die innere, ist das Primäre, und aus der Wiedergabe der Vision geht erst der Gedanke hervor. Der Schriftsteller aber will seinem Gedanken Ausdruck geben, der Gedanke ist also das Primäre und die Form das Sekundäre. Natürlich ist ein Bild, das der Maler aus der Natur konzipiert und nach der Natur malt, deshalb noch nicht gut, aber ein Bild, das aus der Idee entstanden, kann nicht gut sein.

Denn in aller Kunst muß sich aus der Form erst der Gedanke entwickeln. Die Form des Gedankens muß dem Dichter schon vorschweben, ehe der Gedanke selbst erscheint (Lichtenberg), um wie viel mehr in der bildenden Kunst und in der Musik, wo Form und Gedanke identisch sind.

Als der Jenenser Student Goethen fragte, wie er zu seinem Stile gelangt wäre, antwortete er: Ich habe die Dinge auf mich wirken lassen. Tizian oder Tintoretto, Rembrandt und Franz Hals, Velasquez und Manet hätten dieselbe Antwort geben können auf die Frage, wie sie zu ihrer Malerei gelangt wären. Daß der Künstler in irgendeinem xbeliebigen Modell den Kaiser Augustus oder Napoleon sieht, ist das Werk seiner Phantasie und ebenso unerforschlich wie das psychische Moment im menschlichen Zeugungsprozeß; aber wie wir den physiologischen Prozeß zu ergründen versuchen dürfen, so können wir nachforschen, wie der Künstler seine Phantasie gleichsam materialisiert durch seine Technik und in ihr. Technik heißt hier natürlich nicht das Handwerksmäßige, das jeder Künstler selbstverständlich gelernt haben muß, sondern Technik bedeutet hier das Ausdrucksmittel der Phantasie. Die Technik projiziert die künstlerische Phantasie auf die Bildfläche und diese Projektion ist die Kunst.

Die Griechen hatten für Kunst und Handwerk nur das eine Wort ae technae: Beide sind desselben Ursprungs. Wehe der Kunst, die ihres Ursprungs vergißt! Die von der Malerei verlangt, was nur Poesie oder Musik zu leisten vermögen. Wie der Dichter für das Wort, der Musiker für den Ton, so muß der Maler für sein Ausdrucksmittel erfinden. Man vergleiche eine Silberstiftzeichnung Rembrandts mit einer seiner in Sepia lavierten Zeichnungen: wie er jedem Material durch diese adäquate Behandlung gerade die höchste Wirkung entlockt. Der Meister verlangt nicht vom Stifte, was nur der Pinsel hergibt oder umgekehrt.

Aber wie sich aus dem Affen nie der Mensch entwickeln kann, obgleich beide derselben Abstammung sind, so kann nie aus dem vollendetsten Handwerker der Künstler werden ohne den göttlichen Funken der Phantasie. Das Genie ist notwendige Voraussetzung jedes Kunstwerkes; aber dieses kann sich nur auf handwerklicher Basis gestalten. Künstler und Handwerker prozedieren gleicherweise, einer wie der andere will nur sein Handwerk bestmöglich ausüben. Ist aber der Handwerker nebenbei noch ein Phidias oder ein Raffael, so wird aus seinem Handwerk – ihm natürlich unbewußt – das ideale Kunstwerk. Ideal in dem Sinne, daß sich der Künstler in seinem Werke vollendet. Ein objektives Ideal ist eine contradictio in adjecto: Wären Phidias oder Raffael das Ideal an sich, so könnten es Rembrandt und Velasquez nicht auch sein.

Jedes Kunstwerk ist ideal und real zugleich, insofern der Künstler vom sinnlichen Natureindruck ausgeht, also ist die Bezeichnung von idealistischer oder realistischer Kunst ein Pleonasmus: mit ihrer Qualität hat weder die eine noch die andere etwas zu tun. Sie können höchstens das Stoffliche bezeichnen, wie man etwa das bürgerliche Schauspiel vom historischen unterscheidet. Aber auch der rückständigste Professor wird nicht »Maria Stuart« oder die »Jungfrau von Orleans«, weil sie historische Dramen sind, dem bloß bürgerlichen Schauspiel »Kabale und Liebe« vorziehen wollen.

Mein verstorbener Freund Jettel pflegte jedem, der ihn besuchte – und welcher deutsche Maler, der im letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts nach Paris kam, hat ihn nicht besucht! – die Geschichte von dem Wiener Akademiedirektor zu erzählen, wie der Meisterschüler den Karton zu seinem ersten Bilde »Luther schlägt die Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg« zeichnet. Nach monatelangem Korrigieren und Andern ist endlich der Karton fertig, und die Komposition wird auf die Leinwand gepaust: Luther schwingt den Hammer, während die Menge ihm begeistert zujauchzt. Als der Direktor zur Korrektur kommt, lobt er die Komposition, aber er meint, dass es der Erhabenheit des weltgeschichtlichen Moments nicht angemessen sei, daß Luther eigenhändig den Hammer schwinge. Das müsse einer seiner Jünger tun. Dem braven Schüler leuchtet es ein, und die Komposition wird demgemäß verändert: Während Luther die Menge haranguiert, schwingt der Nächststehende den Hammer; als der Meister wieder kommt, billigt er die Änderung, aber er meint, daß nicht der Luther Nächststehende, sondern dessen Nachbar die Thesen anschlagen müsse, um nicht die Aufmerksamkeit des Beschauers von der Gestalt Luthers, der doch die Hauptperson im Bilde sei, abzulenken. So geht's durch ein viertel oder ein halbes Jahr weiter, bei jedem Besuche im Atelier des Schülers meint der Direktor, daß der Nächste den Hammer schwingen müsse, bis alle der Reihe nach den Hammer geschwungen haben und der Direktor zu dem Schlüsse kommt, daß in der furchtbaren Erregung des weltgeschichtlichen Moments Luther den Hammer selbst in die Hand nehmen und die Thesen eigenhändig anschlagen würde.

Alles in der Kunst ist Qualität, und die Qualität des Kunstwerkes hängt von dem Quantum von Phantasie, die es erzeugte, ab, denn nur die von der Phantasie erzeugte Form ist lebendig. Aber die Phantasie erfindet nicht die Form – denn die ist von Anbeginn der Kunst vorhanden, wie in der Poesie das Wort und in der Musik der Ton, sondern den Ausdruck für die Form, das heißt die Technik. Nicht die Form ist das Originelle, sondern die künstlerische Originalität beruht darin, wie die Phantasie zur Form geworden ist. Jeder Künstler, auch der größte, übernimmt die traditionellen Formen seiner Zeit und seiner Umgebung. Die frühen Raffaels oder Rembrandts gleichen den Bildern ihrer Meister (so sehr, daß man sie für die ihrer Meister angesprochen hat). Sie suchen nicht etwa neue Ausdrucksformen, das heißt eine neue Technik, sondern ihre neue Technik ergibt sich aus ihrer künstlerischen Individualität. Hieraus ergibt sich der neue Stil eines jeden Meisters.

In der Musik heißt Virtuose, wer die fremde Komposition vorzutragen imstande ist. Mit demselben Rechte könnte man die Maler, die keine originelle Ausdrucksweise besitzen, Virtuosen nennen, nur kann man leider nicht so leicht wie in der Musik den Komponisten vom Virtuosen in der bildenden Kunst trennen, wo die Erfindung die Ausführung ist. Die Fagerolles, die nur reproduzierende Künstler sind, gelten oft sogar mehr als die Claude, die sie kopieren.

Aber Meister ist nur, der seine eigenen Gedanken in eigener Sprache auszudrücken imstande ist. Daher haben die geborenen großen Maler, je älter sie wurden, desto schöner gemalt. Nicht etwa, dass ihre Hand mit den Jahren geschickter wurde, im Gegenteil; sie werfen die Geschicklichkeit des Handgelenks, die den Jüngling freut und über die mangelnde Originalität hinwegtäuscht, mit Verachtung von sich und zwar so, daß noch ein Karl Justi in seinem Pamphlet gegen die Moderne die Alterswerke eines Rembrandt oder Franz Hals senil nennen konnte. Der Meister ist der Überwinder der Technik. Man vergleiche auf Rembrandts Anatomie im Haag den Leichnam mit dem Stück auf der leider angebrannten Anatomie des Dr. Deisman in Amsterdam, wie die Technik sich vereinfacht hat, wie jedes Detail unterdrückt wird. Wir sehen nur noch das Wesentliche, den Typus des Kadavers und – schaudern, wie wenn wir plötzlich vor einer Leiche stehen. Wohl sehen wir im Haag einen der schönsten Rembrandts, aber der 26 jährige macht noch Malerei, die freilich wunderbar herrlich ist. Aber 25 Jahre später malt Rembrandt nicht mehr ein Bild, sondern seine Seele auf die Leinwand. Genau dasselbe bei Franz Hals: in Haarlem kann man vor den Doelenstücken seine Entwicklung während eines halben Jahrhunderts von Stufe zu Stufe verfolgen, vom Rubensschüler, der die Technik seines Meisters sklavisch kopiert, bis zum 80 jährigen Meister, der in den zwei Bildern der Vorsteher und der Vorsteherinnen eines Waisenhauses das höchste und schönste leistet, was die Malerei hervorgebracht hat. In diesen »senilen« Werken ist allerdings nichts mehr von Technik zu merken, denn jeder Pinselstrich und jeder Farbfleck ist Leben geworden. Wie der Kopf des greisen Mommsen ganz durchgeistigt schien, nur noch Seele, so ist in den beiden Altersschöpfungen von Hals nichts Materielles mehr: der Geist hat die Technik vernichtet.

Dasselbe Phänomen bei Tizian. Zwischen der Dornenkrönung in Paris und der in München liegen rund 30 Jahre: die Komposition ist absolut dieselbe geblieben, aber aus der Malerei ist Leben geworden. Nur die Phantasie kann dieses Wunder bewirkt haben: sie hat die Technik vergeistigt. Oder mit anderen Worten: aus dem Maler, der die Natur nachahmt, wird der Künstler, der ein Neues schafft, das heißt: der Künstler, der eine neue Technik schafft.

Jede neue Kunst ist also letzten Endes neue Technik. Man vergleiche das Hohe Lied mit einem lyrischen Gedicht Goethes oder den ägyptischen Dorfschulzen im Museum in Kairo mit einer Bronze Rodins: obgleich 5000 Jahre dazwischen liegen, das Ringen des menschlichen Geistes nach demselben Ausdruck. Nur mit verschiedenen Mitteln, d. h. mit veränderter Technik.

Sein Talent hat der Künstler vom lieben Gott: Was er aber daraus macht mittelst seiner Technik, das ist seine Kunst. Daher ist es nicht etwa öde Fachsimpelei à la Tessman, sondern der gesundeste Instinkt, wenn der Künstler sich Zeit seines Lebens nur mit der Technik beschäftigt. Für ihn ist die Technik die Kunst. »Lieber Junge, die überraschenden Wirkungen, welche viele nur dem Naturgenie zuschreiben, erzielt man oft ganz leicht durch richtige Anwendung und Auflösung der Septimenakkorde.« Was für Beethoven Technik ist, erscheint uns als Ausfluß seines Genies und zwar ganz folgerichtig, denn die Technik ist ja Ausfluß des Genies oder sollte es wenigstens sein. Bei Rodin spiegelt sich die ganze Welt in der Oberfläche des Kunstwerkes.

Die Technik fängt erst an, künstlerisch zu werden, wo sie persönlich wird, daher kann man nur das Handwerksmäßige, das Kunstgewerbliche an ihr lehren und lernen. Daher gibt es keine Technik kat exochean. Raffael malt wie Perugino, Franz Hals wie Rubens und Rembrandt wie sein Lehrer Lastmann, solange sie Schüler waren. Als aber Raffael er geworden, malt er raffaelisch wie Hals halsisch und wie Rembrandt rembrandtisch malten, sobald sie Hals und Rembrandt geworden. Es ist durchaus zu verstehn, daß die jungen Leute heutzutage Cezanne oder van Gogh nachahmen: ihr Fehler beruht nur darin, daß sie die Hieroglyphe ihres Vorbildes kopieren, ohne zu wissen, was sie bedeutet, wie die Mönche im Mittelalter die griechischen und lateinischen Texte abschrieben, ohne sie zu verstehen. –

Der bekannte Gehirnanatom Edinger berichtet den merkwürdigen Fall, daß ein Schreiner nach einer Verletzung der Gehirnrinde wieder völlig genesen war, nur die Funktion des Hobelns war ihm durch seine Erkrankung abhanden gekommen: Hand und Herz gehören nun mal in der Malerei zusammen und die Vorstellung vom Raffael ohne Hände ist nicht nur wider die Natur, sondern wider die Kunst. Denn im Künstler löst erst die Form die Idee aus.


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