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Gelegenheitsprosa

Lebensschatten

Drama in vier Aufzügen und einem Vorspiel von J. Jacobsthal und Ernst Epstein

Selten hat mich etwas so sehr gerührt wie die Schmierenaufführung des Schauerdramas: Lebensschatten, die ich neulich im Theatersaal der Königl. akadem. Hochschule für Musik erleben durfte.

Ich will versuchen, das »Drama« zu schildern. Es beginnt mit einem Ende, dem sogenannten »Vorspiel»: Asta, die todkranke Tochter des Muskel- und Gewaltsmenschen Eisen ... (Eisen!) ... Eisenring und seiner schwächlichen Frau Eva, muß wohl sterben, ehe noch das Vorspiel aus ist. So leid es allen tut. Asta verschwindet zu diesem Zweck aus der quatschigen, grünen Bühnenstube, gestützt auf die alte Amme Kathuschka. Ein unglaublich überflüssiger alter Nathan – ein pathologisch guter, jüdelnder Menschenfreund –, Frau Eva und der selbstverständliche Arzt Doktor Normann (mit edlem unheilverkündenden Mienenspiel) reden inzwischen gefühlerisch allerlei über die allgemein bekannte Tatsache des Sterbens. Zu meinem Glück kommt Ämmchen Kathuschka bald schreiend und stürzend wieder auf die Bühne, weil die arme Asta – o ahnendes Publikum! – jetzt wirklich mausetot ist. Ein Aufseufzen der Erleichterung in dem Zuschauerraum ... Ein schwindsüchtiger Schrei der Mama, hinterher das übliche verhaltene Stöhnen ... Ein Hinausgehen des Normann und des Nathan, dabei jenes Achselzucken, das da sagt: ach, wie traurig ist doch das Dasein! Seht ihr's. Und herein kommt Robert Eisenring, Vertreter der Kraft & Gesundheit. Er war lange fern (in den Krallen eines anderen Weibes), da er keinen Sinn für Familie und Lebensschatten zu haben scheint. Eva verhehlt ihm den Tod Astas keineswegs. Ein innerer Kampf tobt in ihm. Dann will er mit seiner Frau ein »neues Leben« (so nennt er das) beginnen. Die schwächliche Eva hat umgehend einen Wutanfall. Sie quietscht überschnappend, sie hasse ihn schon lange (geballte Fäuste!). Er habe sie bisher schlecht behandelt. Jetzt wolle sie nichts mehr von ihm wissen. Sie tritt heroisch ab. Eisenring aber spricht einen Monolog: – – Tochter tot – – Frau weg – – Schicksal, verwünschtes – – Ein Eisenring – – läßt sich nicht unterkriegen von Lebensschatten – – nie – – niemals – – Man sieht noch, wie er in ein neues Leben steigt. Da schließt sich sanft der blutrote Vorhang.

Dies war das Vorspiel. Nach der Pause (zehn Jahre später) ist der Eisenring nicht mehr Athlet, sondern ein reicher Kaufmann. Er hat einen leichtsinnigen Freund Hans und eine leichtfertige Braut Meta, die im zweiten Aufzug schon seine Frau ist. Im dritten Aufzug kommt ein mehrjähriges Kind Ruth hinzu, dessen Mutter Meta, dessen Vater eigentlich (heimlich) Hans ist. Hans hat außerdem bedeutende Unterschlagungen in dem Geschäft Eisenrings gemacht. Deshalb ist der reiche Eisenring im letzten Aufzug wieder ziemlich arm. Man merkt deutlich, daß die Lebensschatten jetzt auch über ihn gekommen sind. Er ist wohl schwer rückenmarkleidend, ahnt alles. Er überrascht den ruchlosen Hans mit der Meta. Die Katastrophe folgt auf dem Fuße: Eisenring enterbt Meta, läßt den Hans ins Gefängnis bringen, dann fällt er tot (Herzschlag) auf eine Chaiselongue. Die Enterbte will sich jetzt auch entleiben. (Das Publikum nimmt die Geschichte schon lange komisch. Es hätte sicher einen vergnüglichen Skandal gegeben, wenn die unglückliche Meta Wort gehalten hätte.) Aber ein Redakteur spricht zu ihr ungefähr die weisen Worte: Nicht durch voreiligen Tod sühnt man, sondern durch langes und edles Leben. Wollen Sie? ... Meta und das »intellektuelle« Publikum jubeln: ja – –! Und der sanfte Blutrote schließt sich endgültig. »Lebensschatten« ist ein trostlos schlechtes Theaterstück. Trotzdem war ich ergriffen wie bei einem Ibsendrama. Noch nirgends offenbarte sich mir so deutlich und rein die Kommistragödie vom (dichterischen) Dilettantismus. Ich mußte immer daran denken, daß alle die schalen beschränkten Schwafeleien, die dummen tolpatschigen Geschehnisse, die pappigen Kolportagegestalten aus der selben heilig schmerzlichen Himmelssehnsucht geschaffen sind wie Goethes oder Rilkes unsterbliche Werke. Ich habe dem winzigen Herrn J. Jacobsthal, so oft er sich, halb betäubt von seiner plötzlichen Wichtigkeit, unter vielen linkischen Verbeugungen an die Rampe schieben ließ, von Herzen zugeklatscht, weil ich kundtun wollte, daß ich (zwar keinen Dichter) einen von Tod und Dasein gequälten Menschen grüße. So einer ist gewaltig höher zu schätzen als sein besser angezogenes, tantiges, beschaulich grinsendes Publikum. Und sein Stück – das unmögliche – ist mir hundertmal lieber als ein unverschämt routiniertes Nichts des Herrn Dreyer oder des Herrn Philippi.

Die Schauspieler waren nicht Dilettanten, sondern mittelmäßige und schlechte Schauspieler. Die meisten kommen von der Schmiere, andere gehen erst zur Schmiere. Ich könnte noch manches über die Darstellung und die Regie (die aus lauter Fehlern bestanden) sagen, aber die Einzelheiten haben für den Leser kaum Interesse. Und schließlich ist Schiller und Sudermann leichter zu spielen als J. Jacobsthal. Dann noch: Der unfähigste, wüsteste Schmierenschauspieler hat – so behaupte ich ... und will es hier nicht beweisen – tieferen menschlichen Wert als ein Krämer, ein Beamter und vielleicht ein praktischer Rechtsanwalt.

Retter des Theaters

Die Theater sollten aufhören, den Kinos Konkurrenz zu machen. Sie erreichen dadurch – freut euch, Theaterfreunde – das Gegenteil von dem, was sie wollen: sie krepieren.

Am besten erhalten sich diejenigen Theaterbetriebe, die dem Kino nicht das geringste einräumen: weder in der Auswahl der Stücke Konzessionen machen, noch in dem Rahmen. Dies ist erklärlich. Was die Kinos – nachgebend den Instinkten der Menge – bieten, werden die Theater in derselben Masse und Fülle niemals produzieren können, gebunden an ihre Schranken. Das Publikum bemerkt kopfschüttelnd das hilflose Bemühen. Und läuft in die Kinos. Denn was das Publikum an das Theater fesseln sollte: die Kunst, wird zumeist schandhaft vernachlässigt. (Wie wenn Filzhutfabrikanten den Einfall hätten, zu einer Zeit, wo allgemein Strohhüte getragen werden, Filzhüte in Form und Farbe von Strohhüten auf den Markt zu bringen.)

*

Bevor die Kinos kamen, waren die vielen »Theater« minderen Ranges die bei weitem größere Gefahr des Theaters. Charakteristischerweise sind durch die Kinos Institute dieser Art am meisten bedroht. Einige werden durch die Geschicklichkeit ihrer Direktoren oder durch andere Zufälle noch eine Weile erhalten bleiben. Unzweifelhaft ist das »Aussterben« der minderwertigen Theaterbetriebe binnen kurzer Zeit. Das Publikum, das an derlei Geschmack fand, hat im Kino erheblich üppigeren Ersatz: Mord und Totschlag in Hülle und Fülle. Komik bis zum Platzen. Fett aufgemachte Rührung. Und der Kinomime mit seinen faustdicken Unterstreichungen – etwa in einer tragischen, bunt kolorierten Ehebruchsgeschichte (in historischen Trachten) – übertrifft den Schmieren-Hamlet bedeutend an herzergreifender Wirkung.

Die Theater, die sich erhalten wollen, sind gezwungen, sich wieder auf sich zu besinnen. Die Direktoren müssen reine Schauspielkunst pflegen. Die Schauspieler – im Gegensatz zu den »Filmern«, besser »Kinistern« oder »Kinikern« –, um ihren Ruf zu wahren, alle Mätzchen und Scherze fallen lassen. Das Publikum, das trotz der Kinos in die Theater geht, ist anspruchsvoll und läßt sich nichts vormachen.

*

Es können nicht genug Kinos entstehen. Ich würde kulturpolizeilich verordnen, daß in jeder Straße ein halbes Dutzend aufgemacht werde.

Je mehr die Menschen sich in die Kinos stürzen, desto eher wird ein Teil des Schwindels überdrüssig werden. Von den Hunderttausenden, die Kinos bevölkern, werden jährlich einige Hundert sich wieder zum Theater bekehren.

Die Zahl der Theater wird in Zukunft geringer sein, aber ihre Qualität durchschnittlich unverhältnismäßig besser. Die unfähigen Direktoren, Dramaturgen, sonstigen Krachleute, die bisher am Theater schmarotzten, werden im Kinobetrieb einen geeigneteren Ort für ihre Fähigkeiten entdecken. Die vielen mittelmäßigen und schlechten Schauspieler, die jetzt noch allerorten die Preise drücken und den Weg versperren, können vorzügliche Kiniker werden. Ein talentierter Schuster wird künftig nicht in die Theaterschule, sondern in die Kinoschule gehen. Lispeler, Schiefe, Bucklige, Stumme, ähnliche Defizitmimiker werden ihre persönliche Note leichter und glücklicher am Kino austoben können.

(Das Kino der unbegrenzten Möglichkeiten ...)

Aber – das Theater wird, dank dem Kino freigeworden von hemmendem Ballast und ungünstigen Einflüssen, zurückkehren müssen: zur heiligen Schauspielkunst.

Randbemerkung

Lacht nur. Euer Lachen ist uns Antrieb ... Schreit. Euer Schreien ist uns Heiterkeit ... Heult ... Heult ...

Überseht uns. Wir sind doch da, ihr Erschütterten – dreimal da ... Und stark. Und jubelnd.

Wir wissen unsern Sieg, deshalb singen wir euern Untergang.

Wir kommen über euch, Lieblinge: Morgen schon. Heute schon.

Wehrt euch, aber unsere Schwerter sind jung.

Sagt wehe, wehe. Denn wir schlagen euch alle ein wenig tot, Lieblinge ...

Das wird aber ein fröhliches Leichenfest werden. Huhu – – Ha ... ha ... ha – – –


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