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IV.

Es waren Judiths Ringe, auf die Hermann unwillkürlich seine Augen zuerst richtete, als sie nach einem langen Schlaf gegen Nachmittag in die Bibliothek trat, wo er saß.

Er sah die Ringe an, weil er einen Haltepunkt für die Augen haben mußte, denn wenn er Judith selber ansah, wußte er nicht, wo er beginnen sollte. Er konnte die einzelnen Züge nicht sammeln. Freilich kannte er das alles, ein und aus kannte er den reichen Fall ihres Haares und die Zeichnung über den Augen und die feingebogene Nase und die Oberlippe, die sich über den weißen Zähnen ein wenig in die Höhe zog, und er kannte ihren schlanken Hals und den Rücken, der sich geschmeidig über den feinen Hüften erhob, alles kannte er, weil er es sich sooft vorphantasiert hatte, und doch, doch war da etwas, was ihn jetzt verwirrte, wo er einen Menschen vor sich sah, eine Frau im Schein des Tageslichts, und deren Hände mit einem ruhigen Griff in den seinen ruhten.

Er fühlte sich verwirrt wie den vorhergehenden Abend, es war so unvorbereitet für ihn, daß sie dastand, sie selber, Judith, Judith mit ihrem duftenden Haar und der Wirklichkeit ihres starken Körpers.

Es war ihm, als blende es ihn, und er würde seine Augen geschlossen haben, als säße er in einem dunklen Zimmer, in das plötzlich Licht hineingebracht wurde, wenn nicht die Ringe dagewesen wären, die Ringe, die in seinen Phantasien über Judith nie mit dabei gewesen waren und die das einzige waren, was er nicht kannte.

Und er behielt Judiths Hände in den seinen und sagte lächelnd, während er die Ringe betrachtete:

»Die Ringe dort erzählen mir sonderbare Geschichten. Es sind ausländische Ringe, Weltdamenringe.«

Und er ließ seine Finger über sie hingleiten.

»Sieh, wie geheimnisvoll die weiße Perle ist. Kalt und vornehm hängt sie am Finger wie ein unergründlicher Tropfen, und der rote Rubin funkelt so verliebt zwischen den kleinen Diamanten, wie heißer Wein in einem geschliffenen Glase, und hier, hier sitzt der große Diamant als reiche, selbstbewußte Huldigung. Zeige deine Pracht der Sonne deiner Heimat«, sagte er und lachte ein wenig zu laut, weil er nur geredet hatte, um nicht zu schweigen.

»Jetzt bist du neugierig«, jagte Judith, und schob die Ringe zurecht. »Du denkst, daß jeder Ring seine Geschichte hat? Es ist hübsch von dir, daß du mich nicht für eine von denen hältst, die selber in die Juwelierläden gehen und sich Schmucksachen kaufen. Soll ich dir alle Geschichten erzählen?«

»Keine davon, sie gehen mich ja nichts an.«

»Und bist du nicht eifersüchtig?«

»Nein, nicht im allergeringsten.«

»Das ist doch sonderbar.«

Judith trat von ihm zurück. Das Schweigen bedrückte sie beide ein wenig. Dann kam der Diener, um zu melden, daß angerichtet sei.

Sie saßen lange bei Tische und ihre Unterhaltung wurde munter und leicht, weil der Wein, den sie tranken, fein und stark war.

Judith führte das Wort. Sie erkannte das Porzellan und die Glassachen wieder und fühlte sich traulich berührt dadurch, das Essen schmeckte ihr ganz anders als in den Hotels und Cafés, sie saß so gemütlich hier, wo kein Kellner hinter ihrem Stuhl lauerte.

Sie fand, daß es gut sei, hier zu sitzen und an das zu denken, was sie erlebt hatte, und sie erzählte von ihrem Leben in den Künstlerkreisen des Auslandes, und fast ohne daß sie darüber nachdachte, schimmerte ein wenig von der Geschichte der Ringe hindurch.

»Ich habe mich nie nach Hause gesehnt, ich habe hier ja im Grunde auch nichts zu schaffen. Seit meiner frühesten Jugend habe ich gehört, daß ich Künstlerin werden sollte, Vater sprach von nichts anderem, und deine Mutter, die einzige Mutter, die ich gekannt habe, sagte ja immer, es sei ein Glück für eine Frau, einen Beruf zu haben.«

»Nun ja, das ist es auch.«

»Aber trotzdem, Hermann, ist es so sonderbar, alle Leute aus den Konzerten nach Hause fahren zu sehen, nach ihrem eigenen Heim, wo sie sich wohl fühlen, nachdem sie sich amüsiert haben, wahrend man selber weiter hastet. Aber dann tröstet man sich ja. Zuweilen bedauere ich diese Damen, die da unten sitzen und in die Hände klatschen, wenn ich gesungen habe, – stell' es dir vor, sein ganzes Leben lang Zuhörer zu sein. Und immer dasselbe zu sehen, die vier Wände daheim, dieselben Pflichten jeden Tag und dieselben Umgebungen. Da oben auf dem Podium stehe ich ja doch hoch über ihnen allen. Aller Augen sind auf mich gerichtet. Und dann denken sie sich natürlich alles mögliche Romantische von mir.«

Sie standen vom Tische auf und setzten sich in das Wohnzimmer.

Judith rauchte ihre Zigarette, in die Polster des Sofas zurückgelehnt.

Wenn sie sprach, lauschte Hermann so wie am vergangenen Abend mehr ihrer Stimme als ihren Worten, und während es im Zimmer langsam dunkel wurde, huschten alle Erinnerungen in seinen Gedanken vorüber.

Judith erzählte von den Mäcenen rings umher in den Städten.

»Man erhält ja einen Einblick in manch eine wunderliche Häuslichkeit, mich hat aber noch nicht eine einzige verlockt. Die wahren Häuslichkeiten, die sieht man ja natürlich nicht, die erschließen sich nicht jedem Beliebigen. Man kommt nur in diese Gesellschaftshäuslichkeiten. Es gibt ja in allen Städten solche Warmhäuser für Künstler. Dann geht man in den Salons umher, läßt sich konversieren, und der Wirt und die Wirtin fühlen sich ja ungemein geehrt. Hinterher lacht man über sie, wenn man ihnen das überhaupt spendiert. Und dann kommen die jungen Frauen. Eine nach der anderen kommen sie, um ihren Kummer in unsere Busen auzuschütten. Sie müssen Luft haben, weißt du. Und wenn man nun den Vorzug hat, ihren Enttäuschungen oder ihrem Sehnen oder ihrer Hoffnung in seinem Gesang Luft zu machen, so müssen sie darüber reden. Sie finden, daß das romantisch und zugleich natürlich ist. Und einer fahrenden Künstlerin können sie ja hunderterlei sagen, was sie ihren Freundinnen niemals anvertrauen würden. Sie sehen mich aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder, es ist, als sprächen sie zu einem rinnenden Wasser. Ach ja, die jungen Frauen haben so viele Geheimnisse, und es sind dieselben in allen Städten. Zuweilen aber habe ich in einer solchen Gesellschaft wohl ein junges Mädchen gesehen, mit dem ich gern so recht traulich hätte plaudern mögen, ich kann mir kaum denken, daß es zu lauter Konversation geworden wäre. Es ist immer dasselbe, und es ist im Grunde langweilig.

Aber das Ganze währt wohl nur seine Zeit. Und was dann? Es ist sonderbar, daran zu denken, – nun ja, so große Eile hat es damit wohl noch nicht.«

»Du sollst nichts weiter als hier sitzen und ein Gefühl des Friedens haben«, sagte Hermann.

Judith saß am Klavier, und plötzlich suchte sie die zehnte Sonate heraus, leise spielte sie das Andante.

Hermann stand hinter ihrem Stuhl, und unwillkürlich sprach er fast flüsternd:

»Mutter, und du – jetzt, wo die eine hier sitzt, entbehre ich die andere um so heftiger. Wenn Mutter auch hier wäre, so wäre das erfüllt, wovon ich träumte, wenn ich hier allein umherging und in Gedanken mit euch redete. Und jetzt, jetzt finde ich nicht die Worte, die ich sagen will. Jeden Augenblick halte ich inne, weil mir ist, als hätte ich das alles schon einmal gesagt.«

Judith begann zu singen oder vielmehr, sie summte eine Melodie vor sich hin.

Es war, als sähe sie Hermann nicht, sie ging ganz auf in einer ruhigen und leidenschaftslosen Ausübung der Musik, – sie ruhte sich aus, wie sie so in der Dämmerung dasaß und Bruchstücke von Melodien vor sich hinsummte, alte Lieder und neue, alles, was ihr in den Sinn kam:

Hermann stellte sich an das Fenster und trommelte leise auf die Scheibe, wie er es zu tun pflegte, wenn er dastand und sich ausruhte oder an irgendein Dichterwerk dachte.

»Alles ist schon einmal geschehen«, sagte er. »Da ist ein alter Dichter, der dies alles vorempfunden und es in einem der französischen Ritterromane niedergeschrieben hat; ich entsinne mich gerade nicht mehr in welchem. Auch er hat dagesessen in der Dämmerstunde mit der, die er liebte, und sie hat ihm vorgesungen, so wie du mir jetzt.

La reine chante doucement,
La vois a corde à l'instrument,
Les mains sont beles, li lais bons,
Douce la vois et bas li tons.

Und Hermann erhob sich, trat an Judith heran und küßte sie auf die Stirn.

Sie schlang die Arme um seinen Kopf, preßte ihn an sich und sagte dann ganz leise, während ihr die Tränen unwillkürlich in die Augen traten:

»Hermann, was soll nur einmal hieraus werden?«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine es so, wie ich es sage. Was soll mit uns beiden werden? Komm, laß uns einmal ruhig miteinander reden.«

Judith setzte sich in das Ecksofa, Hermann blieb am Klavier stehen.

Judith strich sich übers Haar und sagte:

»Ich habe die Liebe vieler Männer gekannt, nie aber eine Liebe wie die deine. Das Schicksal hat mich mit vielen zusammengeführt, und ich habe mit meinem Willen und gegen meinen Willen die Liebesworte vieler Männer angehört. Du sollst es nicht für mehr nehmen, als es ist, und viel davon ist sehr wenig. Nun ja, das ist wahr, – nicht einmal daraus machst du dir etwas!?

Aber was bist du denn im Grunde für ein Mensch, Hermann!

Du hebst meine Hände zu der Sonne empor, und du läßt meine Hand ganz gleichgültig wieder herabfallen. Aber verstehst du denn nicht, daß ich dir entweder das Ganze erzählen muß, oder ich muß meiner Wege gehen.

Ich habe oft das häßlich empfunden, das darin lag, wenn die begehrlichen Augen eines Mannes auf mir ruhten. Ich habe erlebt, daß die Männer mir nachgespürt haben wie tolle Hunde, ich habe gehört, wie ihnen die Stimme überschnappte und gemerkt, wie sie ihre gierigen Gedanken unter forcierten Worten verbargen – ich habe auch das Schöne in der fast wortlosen Huldigung feiner Männer empfunden – nun ja, auf so einer Tournee geht es ja schnell auf und nieder, und in den Künstlerzimmern hinter der Konzerttribüne wimmelt es immer von Männern, – aber das, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt habe, das macht mich ganz unsicher und schmerzt mich im Grunde.

Du mußt mich nicht unterbrechen, Hermann, denn jetzt muß ich mich einmal ganz aussprechen um deinet- und auch um meinetwillen.

Wir haben über vieles gesprochen, aber jedes von uns hat im Grunde das Seine gedacht.

Willst du wissen, was ich heute gedacht habe?«

Judith erhob sich und ging mit ausgebreiteten Armen in dem dunklen Zimmer auf und nieder.

»Ich habe gedacht, dies sei eine trauliche Station auf dem Wege. Ich atmete frei in einer reineren Luft, als ich gewöhnt gewesen bin. Hier sind keine Proben, kein falscher Luxus, kein Reiseleben, kein Publikum. Hier ist Friede und Ruhe, hier sind gute Erinnerungen.«

»Nun ja, Judith, da siehst du doch –« Hermann machte einen Schritt auf sie zu. Sie standen jetzt ganz nahe nebeneinander.

Judith rief aus:

»Aber hierbleiben – niemals. Hierbleiben, so wie du es haben willst – niemals. Was willst du von mir! Weshalb hast du mich hierher gebracht?«

»Weil ich dich liebe!«

»Tust du das wirklich?«

»Zweifelst du daran?«

»Ja und nein.«

»Was für eine Liebe ist das, die du mir bietest? Eine Ritterwache vor meiner Tür? Genügt dir das?«

Sie standen einen Augenblick schweigend da, aber sie konnten es an ihrem Atem hören, wie erregt sie waren.

»Dann laß uns nur Licht anzünden,« sagte Judith heftig, »damit wir uns sehen können.«

»Wir wollen in die Bibliothek hinübergehen, dort ist angezündet.«

Auf dem Tisch in der Bibliothek brannte eine Lampe. Judith setzte sich auf den Schreibtischstuhl, Hermann ging vor den Regalen auf und nieder.

»Judith, du hast gewiß vollkommen recht, so zu sprechen, wie du es tust. Du fragst, ob ich dich liebe; ich hätte dir diese Frage schon längst unmöglich machen müssen. Ich habe dir kein Wort von alledem sagen können, was ich dir sagen wollte, und meine Liebkosungen haben's dir auch nicht sagen können. Aber das, was in mir vorgeht, das verstehst du nicht, und ich kann es wohl auch nicht erklären, denn wie soll man ein Leben in wenigen Worten ausdrücken können?

Könnte ich von den Regalen all die Stimmungen herunternehmen, die mich hier erfüllt haben, so leicht wie ich das Buch nehme, so könnte ich es erklären.«

Hermann stand da, ein Buch in der Hand und öffnete und schloß es mechanisch.

»Begreifst du nicht, daß man entsetzt vor der Wirklichkeit zurückweichen kann?

Als ich gestern abend mit dir hier stand, und heute, wo ich mit dir in diesen Stuben gelebt habe, da hätten wir das schönste Fest unseres Lebens feiern müssen.

Aber es trat etwas zwischen uns, etwas, durch das ich erst hindurch mußte. Das waren alle die Stunden, das ganze Leben, das ich mit dir in meinen Gedanken gelebt habe.«

»Alle die Verse?« sagte Judith spöttisch.

»Ja, alle die Verse.« Hermann wiederholte es schmerzlich.

»Die goldene Nacht, die du nie gelebt hast.«

Judith lachte hart.

Hermann trat an sie heran und sagte schwerfällig und mühselig:

»Warum verspottest du mich? Es ist so leicht, sich hierüber lustig zu machen. Warum willst du schlecht gegen mich sein? Meinst du etwa, daß ich nicht auch Sinne habe wie andere Männer? Glaubst du nicht, daß es in dieser Nacht Augenblicke gegeben hat, wo ich vor deiner Tür stand und meine Hand ausstreckte, um zu dir hineinzugehen?

Meine Hand ward gelähmt. Ich blieb auf der Schwelle stehen und vermochte keinen Schritt aus dem Traum in die Wirklichkeit zu tun. Ich konnte den Traum nicht wieder erkennen. Jetzt solltest du für mich das Weib sein und nichts weiter. Jetzt sollte der Tag kommen nach der langen Nacht. Aber die Nacht wollte nicht weichen, es war unmöglich, mich von der Erinnerung an dich loszureißen, von der Erinnerung, die wohl aus deiner Gestalt, deinen Worten, deinem ganzen Wesen herausgewachsen war, die aber doch nicht du warst, nicht das Weib, dessen Atemzug ich hinter meiner Tür hörte.

Und ich fühlte, wie du mir entschwandest, in immer weitere Ferne, um dich hinter der Erinnerung zu verbergen.«

»Dann liebst du mich also doch nicht?«

Judith sagte das leise und gleichsam, um sich selbst zu beruhigen.

»Ich liebe die Erinnerung an dich«, sagte Hermann und preßte die Hände gegen seine Augen.

»Und auch die nicht, jetzt nicht mehr, jetzt nicht, wo ich dich wiedergesehen habe, ohne dich zu gewinnen. Jetzt ist das Bild zerschlagen.«

»Ich hätte dir nicht folgen sollen«, sagte Judith. »Es wäre besser für dich gewesen, wenn du mich nie wiedergesehen hättest. Und hätte ich das geahnt, so wäre ich auch gereist. Aber du warst ein anderer, als du mich gestern abend einen Augenblick erobertest. Es war ja ein Märchen, flüchtig und lächelnd, und ein Märchen an dem Ort, der mir der liebste auf der Welt ist. Das alles fuhr mir durch den Kopf – ich dachte nicht und überlegte nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, das Leben nicht zu ernsthaft zu nehmen, Hermann, man lernt das so leicht, wenn man dahingewirbelt wird. Aber du mußt mir glauben, wenn ich sage, daß ich oft an dich dachte, als an etwas von dem, was mir bliebe, wenn alles andere vorbei ist, auch ich habe eine schmerzliche Erfahrung in diesen Stunden gemacht. Es hätte ganz anders sein können. Und ich kann nicht sagen, ob du oder ich die größte Schuld haben, ich, die ich dir folgte, oder du, der du riefst.«

»Ach, niemand hat wohl die Schuld«, sagte Hermann. »Das Leben ist so, es fordert, daß man handelt, daß man sofort und wild handelt. Es forderte von dir, daß du reisen solltest, und ich konnte die Forderung nicht erfüllen, die es an mich stellte: mein ganzes Wesen darauf einzusetzen, dich zurückzuhalten. So war der wichtige Moment für mein Glück verpaßt, vielleicht auch für das deine; ich liebte dich so innig, und dein Herz ist ja doch auch bei mir. Aber wenn der Augenblick vorübergesaust ist, so stehen wir mit leeren Händen da. Denn die Liebe, die man einmal empfunden hat, die kann man nicht wieder empfinden, das weiß ich jetzt. Die Liebe erträgt das nicht. Es ist, als wolle man ihr siegreiches Wesen kränken, und da wendet sie sich verhüllten Hauptes von uns. Eine Wiederholung ist unmöglich. Ich fühle es in diesem Augenblick, wenn man eine Frau so glühend liebt, daß man seine ganze Existenz auf das eine setzen muß, sie zu besitzen, so muß man siegen ober, fallen, und nach dem Fall gibt es keinen Sieg, denn man kann nur einmal lieben.«

Er stand vor Judith. Seine Augen ruhten in den ihren. Müde stützte sie ihren Kopf auf ihre Hand.

»Laß mich reisen, Hermann, und sieh dich nicht nach mir um. Vergiß mich, wenn du kannst. Sieh aber auch zu, ob du dich nicht von all diesem hier losreißen kannst. Ich glaube, hier liegt dein Unglück. Diese Bibliothek, diese Bücher, das ganze Haus – das ist dein Unglück. Sie haben dir deine Männlichkeit gestohlen, dich zu Tode geklemmt. Verse hast du geschrieben, Bücher hast du gelesen – wozu? Zu wessen Freude? Du saßest im Bücherstaub bis über die Ohren und grübelst über das nach, was du Erinnerungen nanntest. Warum suchtest du mich nicht auf, mich, die dich hätte erlösen können? Warum wurde ich nicht ein Mensch für dich, statt eines törichten Traumes? Ich mache mir nichts aus all deinen Versen und Erinnerungen, ich will geliebt werden als die, die ich bin. Noch gestern abend war es Zeit – da war der große Liebesaugenblick, von dem du sprachst, für mich gekommen. Gestern abend wäre ich die Deine gewesen, alle meine Gedanken und Wünsche verlangten nach dir. Der Augenblick hätte Glanz über mein ganzes Leben geworfen.

So aber hieltest du Ritterwacht über meiner Ehre.«

Es war ganz still im Zimmer. Hermann ergriff Judiths Hand und küßte sie langsam und schmerzlich.

Sie fühlten beide, daß nicht mehr Worte zu sagen waren, und aß sie nun den großen Abschied voneinander nahmen.

Um sie her lag die alle Bibliothek, Hermanns tote Stadt. Finsternis herrschte in ihren Straßen, Schweigen brütete über ihr.

Plötzlich ward die Stille unterbrochen. Die Haustürglocke ertönte mit schnellen, gellenden Schlägen. Eine Tür wurde geöffnet, Fußtritte erschallten auf der Diele.

Hermann und Judith stoben auseinander, Judith mit einem Schrei. Es klopfte an der Tür.

Und ehe Hermann noch »herein« gesagt halte, stand Finsen in der Bibliothek.


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