Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

(Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.)

Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.

Klosterbruder.
Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch!
Es hat mir freilich noch von alledem
Nicht viel gelingen wollen, was er mir
So aufgetragen. Warum trägt er mir
Auch lauter solche Sachen auf? Ich mag
Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag
Mein Näschen nicht in alles stecken; mag
Mein Händchen nicht in allem haben. Bin
Ich darum aus der Welt geschieden, ich
Für mich; um mich für andre mit der Welt
Noch erst recht zu verwickeln?

Tempelherr (mit Hast auf ihn zukommend).
Guter Bruder!
Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon
Gesucht.

Klosterbruder. Mich, Herr?

Tempelherr. Ihr kennt mich schon nicht mehr?

Klosterbruder.
Doch, doch! Ich glaubte nur, daß ich den Herrn
In meinem Leben wieder nie zu sehn
Bekommen würde. Denn ich hofft' es zu
Dem lieben Gott. Der liebe Gott, der weiß,
Wie sauer mir der Antrag ward, den ich
Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiß,
Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch
Zu finden; weiß, wie sehr ich mich gefreut,
Im Innersten gefreut, daß Ihr so rund
Das alles, ohne viel Bedenken, von
Euch wies't, was einem Ritter nicht geziemt.
Nun kommt Ihr doch; nun hat's doch nachgewirkt!

Tempelherr.
Ihr wißt es schon, warum ich komme? Kaum
Weiß ich es selbst.

Klosterbruder. Ihr habt's nun überlegt;
Habt nun gefunden, daß der Patriarch
So unrecht doch nicht hat; daß Ehr' und Geld
Durch seinen Anschlag zu gewinnen; daß
Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel
Auch siebenmal gewesen wäre. Das,
Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen,
Und kommt, und tragt Euch wieder an. Ach Gott!

Tempelherr.
Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden.
Deswegen komm ich nicht; deswegen will
Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch,
Noch denk ich über jenen Punkt, wie ich
Gedacht, und wollt' um alles in der Welt
Die gute Meinung nicht verlieren, deren
Mich ein so grader, frommer, lieber Mann
Einmal gewürdiget. Ich komme bloß,
Den Patriarchen über eine Sache
Um Rat zu fragen ...

Klosterbruder. Ihr den Patriarchen?
Ein Ritter, einen Pfaffen?
(Sich schüchtern umsehend.)

Tempelherr. Ja; die Sach'
Ist ziemlich pfäffisch.

Klosterbruder. Gleichwohl fragt der Pfaffe
Den Ritter nie, die Sache sei auch noch
So ritterlich.

Tempelherr. Weil er das Vorrecht hat,
Sich zu vergehn; das unsereiner ihm
Nicht sehr beneidet. Freilich, wenn ich nur
Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn
Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte:
Was braucht' ich Euers Patriarchen? Aber
Gewisse Dinge will ich lieber schlecht,
Nach andrer Willen, machen; als allein
Nach meinem, gut. Zudem, ich seh nun wohl,
Religion ist auch Partei; und wer
Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt,
Hält, ohn' es selbst zu wissen, doch nur seiner
Die Stange. Weil das einmal nun so ist:
Wird's so wohl recht sein.

Klosterbruder. Dazu schweig ich lieber.
Denn ich versteh den Herrn nicht recht.

Tempelherr. Und doch!
(Laß sehn, warum mir eigentlich zu tun!
Um Machtspruch oder Rat? Um lautern, oder
Gelehrten Rat?) Ich dank Euch, Bruder; dank
Euch für den guten Wink. Was Patriarch?
Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch
Den Christen mehr im Patriarchen, als
Den Patriarchen in dem Christen fragen.
Die Sach' ist die ...

Klosterbruder. Nicht weiter, Herr, nicht weiter!
Wozu? Der Herr verkennt mich. Wer viel weiß,
Hat viel zu sorgen; und ich habe ja
Mich einer Sorge nur gelobt. O gut!
Hört! seht! Dort kömmt, zu meinem Glück, er selbst.
Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.

Zweiter Auftritt

Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.

Tempelherr.
Ich wich' ihm lieber aus. Wär' nicht mein Mann!
Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!
Und welcher Prunk!

Klosterbruder. Ihr solltet ihn erst sehn
Nach Hofe sich erheben. Itzo kömmt
Er nur von einem Kranken.

Tempelherr. Wie sich da
Nicht Saladin wird schämen müssen!

Patriarch (indem er näherkommt, winkt dem Bruder). Hier!
Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will
Er?

Klosterbruder. Weiß nicht.

Patriarch (auf ihn zugehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten).
Nun, Herr Ritter! Sehr erfreut,
Den braven jungen Mann zu sehn! Ei, noch
So gar jung! Nun, mit Gottes Hilfe, daraus
Kann etwas werden.

Tempelherr. Mehr, ehrwürd'ger Herr,
Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch,
Was weniger.

Patriarch. Ich wünsche wenigstens,
Daß so ein frommer Ritter lange noch
Der lieben Christenheit, der Sache Gottes
Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge!
Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein
Die junge Tapferkeit dem reifen Rate
Des Alters folgen will! Womit wär' sonst
Dem Herrn zu dienen?

Tempelherr. Mit dem nämlichen,
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.

Patriarch.
Recht gern! Nur ist der Rat auch anzunehmen.

Tempelherr.
Doch blindlings nicht?

Patriarch. Wer sagt denn das? Ei freilich
Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
Zu brauchen unterlassen, wo sie hin-
Gehört. Gehört sie aber überall
Denn hin? O nein! Zum Beispiel: wenn uns Gott
Durch einen seiner Engel, ist zu sagen,
Durch einen Diener seines Worts, ein Mittel
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl
Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche,
Auf irgendeine ganz besondre Weise
Zu fördern, zu befestigen: wer darf
Sich da noch unterstehn, die Willkür des,
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft
Zu untersuchen? und das ewige
Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
Zu prüfen? Doch hiervon genug. Was ist
Es denn, worüber unsern Rat für itzt
Der Herr verlangt?

Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd'ger Vater,
Ein Jude hätt' ein einzig Kind, es sei
Ein Mädchen, das er mit der größten Sorgfalt
Zu allem Guten auferzogen, das
Er liebe mehr als seine Seele, das
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
Und nun würd' unsereinem hinterbracht,
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;
Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,
Gekauft, gestohlen, was Ihr wollt; man wisse,
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
Erzogen; lass' es nur als Jüdin und
Als seine Tochter so verharren: sagt,
Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl
Zu tun?

Patriarch. Mich schaudert! Doch zu allererst
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
Ein Faktum oder eine Hypothes'.
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
Nur bloß so dichtet, oder ob's geschehn,
Und fortfährt zu geschehn.

Tempelherr. Ich, glaubte, das
Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung
Bloß zu vernehmen.

Patriarch. Eins? Da seh' der Herr
Wie sich die stolze menschliche Vernunft
Im Geistlichen doch irren kann. Mitnichten!
Denn ist der vorgetragne Fall nur so
Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
Ich will den Herrn damit auf das Theater
Verwiesen haben, wo dergleichen pro
Et contra sich mit vielem Beifall könnte
Behandeln lassen. Hat der Herr mich aber
Nicht bloß mit einer theatral'schen Schnurre
Zum besten; ist der Fall ein Faktum; hätt'
Er sich wohl gar in unsrer Diözes',
In unsrer lieben Stadt Jerusalem
Ereignet: ja alsdann

Tempelherr. Und was alsdann?

Patriarch.
Dann wäre an dem Juden fördersamst
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
So einer Lastertat bestimmen.

Tempelherr. So?

Patriarch.
Und zwar bestimmen obbesagte Rechte
Dem Juden, welcher einen Christen zur
Apostasie verführt, den Scheiterhaufen,
Den Holzstoß

Tempelherr. So?

Patriarch. Und wieviel mehr dem Juden,
Der mit Gewalt ein armes Christenkind
Dem Bunde seiner Tauf' entreißt! Denn ist
Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?
Zu sagen: ausgenommen, was die Kirch'
An Kindern tut.

Tempelherr. Wenn aber nun das Kind,
Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?

Patriarch.
Tut nichts! der Jude wird verbrannt! Denn besser,
Es wäre hier im Elend umgekommen,
Als daß zu seinem ewigen Verderben
Es so gerettet ward. Zudem, was hat
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.

Tempelherr.
Auch trotz ihm, sollt' ich meinen, selig machen.

Patriarch.
Tut nichts! der Jude wird verbrannt.

Tempelherr. Das geht
Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger
Gelehrt, als der Vernunft genügt.

Patriarch. Tut nichts!
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär' allein
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
Zu werden! Was? ein Kind ohn' allen Glauben
Erwachsen lassen? Wie? die große Pflicht,
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?
Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter,
Euch selbst ...

Tempelherr. Ehrwürd'ger Herr, das übrige,
Wenn Gott will, in der Beichte. (Will gehn.)

Patriarch. Was? mir nun
Nicht einmal Rede stehn? Den Bösewicht,
Den Juden mir nicht nennen? mir ihn nicht
Zur Stelle schaffen? O da weiß ich Rat!
Ich geh sogleich zum Sultan. Saladin,
Vermöge der Kapitulation,
Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen;
Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,
Die wir zu unsrer Allerheiligsten
Religion nur immer rechnen dürfen!
Gottlob! wir haben das Original.
Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir!
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie
Gefährlich selber für den Staat es ist,
Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande
Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn
Der Mensch nichts glauben darf. Hinweg! hinweg
Mit solchem Frevel! ...

Tempelherr. Schade, daß ich nicht
Den trefflichen Sermon mit beßrer Muße
Genießen kann! Ich bin zum Saladin
Gerufen.

Patriarch. Ja? Nun so Nun freilich Dann

Tempelherr.
Ich will den Sultan vorbereiten, wenn
Es Eurer Hochehrwürden so gefällt.

Patriarch.
Oh, oh! Ich weiß, der Herr hat Gnade funden
Vor Saladin! Ich bitte meiner nur
Im Besten bei ihm eingedenk zu sein.
Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.
Was ich zuviel tu, tu ich ihm. Das wolle
Doch ja der Herr erwägen! Und nicht wahr,
Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von
Dem Juden, war nur ein Problema? ist
Zu sagen

Tempelherr. Ein Problema. (Geht ab.)

Patriarch. (Dem ich tiefer
Doch auf den Grund zu kommen suchen muß.
Das wär' so wiederum ein Auftrag für
Den Bruder Bonafides.) Hier, mein Sohn!

(Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.)

Dritter Auftritt

(Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden nebeneinandergestellt werden.)

Saladin und bald darauf Sittah.

Saladin (der dazukömmt).
Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. Ist
Des Dings noch viel zurück?

Ein Sklave. Wohl noch die Hälfte.

Saladin.
So tragt das übrige zu Sittah. Und
Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich
Al-Hafi zu sich nehmen. Oder ob
Ich's nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier
Fällt mir es doch nur durch die Finger. Zwar
Man wird wohl endlich hart; und nun gewiß
Soll's Künste kosten, mir viel abzuzwacken.
Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten
Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn,
Wie's fertig wird! Die Spenden bei dem Grabe,
Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger
Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen!
Wenn nur

Sittah. Was soll nun das? Was soll das Geld
Bei mir?

Saladin. Mach dich davon bezahlt; und leg
Auf Vorrat, wenn was übrigbleibt.

Sittah. Ist Nathan
Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

Saladin. Er sucht
Ihn aller Orten.

Sittah. Sieh doch, was ich hier,
Indem mir so mein alt Geschmeide durch
Die Hände geht, gefunden.

(Ihm ein klein Gemälde zeigend.)

Saladin. Ha! mein Bruder!
Das ist er, ist er! War er! war er! ah!
Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich
So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir,
An deiner Seit' erst unternommen! Sittah,
Laß mir das Bild. Auch kenn ich's schon: er gab
Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,
Die eines Morgens ihn so ganz und gar
Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war
Der letzte, den er ausritt. Ah, ich ließ
Ihn reiten, und allein! Ah, Lilla starb
Vor Gram, und hat mir's nie vergeben, daß
Ich so allein ihn reiten lassen. Er
Blieb weg!

Sittah. Der arme Bruder!

Saladin. Laß nur gut
Sein! Einmal bleiben wir doch alle weg!
Zudem, wer weiß? Der Tod ist's nicht allein,
Der einem Jüngling seiner Art das Ziel
Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft
Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. Nun,
Sei wie ihm sei! Ich muß das Bild doch mit
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß
Doch sehn, wieviel mich meine Phantasie
Getäuscht.

Sittah. Nur darum bring ich's. Aber gib
Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das
Versteht ein weiblich Aug' am besten.

Saladin (zu einem Türsteher, der hereintritt).
Wer
Ist da? der Tempelherr? Er komm'!

Sittah. Euch nicht
Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht
Zu irren
(Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen.)

Saladin. Gut so! gut! (Und nun sein Ton!
Wie der wohl sein wird! Assads Ton
Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

Vierter Auftritt

Der Tempelherr und Saladin.

Tempelherr.
Ich, dein Gefangner, Sultan ...

Saladin. Mein Gefangner?
Wem ich das Leben schenke, werd ich dem
Nicht auch die Freiheit schenken?

Tempelherr. Was dir ziemt
Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
Vorauszusetzen. Aber, Sultan, Dank,
Besondern Dank dir für mein Leben zu
Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
Charakter nicht. Es steht in allen Fällen
Zu deinen Diensten wieder.

Saladin. Brauch es nur
Nicht wider mich! Zwar ein paar Hände mehr,
Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein
Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
Mir schwer. Ich habe mich mit dir in nichts
Betrogen, braver junger Mann! Du bist
Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
In welchem Ginnistan, von welcher guten
Div diese Blume fort und fort so frisch
Erhalten worden? Sich! ich könnte dich
Erinnern wollen, was wir dort und dort
Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
Dir zanken, daß du ein Geheimnis doch
Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir
Doch unterschlagen: Ja das könnt' ich; wenn
Ich dich nur säh', und nicht auch mich. Nun, mag's!
Von dieser süßen Träumerei ist immer
Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst
Ein Assad wieder blühen soll. Du bist
Es doch zufrieden, Ritter?

Tempelherr. Alles, was
Von dir mir kömmt, sei was es will das lag
Als Wunsch in meiner Seele.

Saladin. Laß uns das
Sogleich versuchen. Bliebst du wohl bei mir?
Um mir? Als Christ, als Muselmann: gleichviel!
Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;
Im Tulban, oder deinem Filze: wie
Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt,
Daß allen Bäumen eine Rinde wachse.

Tempelherr.
Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

Saladin.
Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst:
So wären wir ja halb schon richtig?

Tempelherr Ganz!

Saladin (ihm die Hand bietend).
Ein Wort?

Tempelherr (einschlagend).
Ein Mann! Hiermit empfange mehr
Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!

Saladin.
Zuviel Gewinn für einen Tag! zuviel!
Kam er nicht mit?

Tempelherr. Wer?

Saladin. Nathan.

Tempelherr (frostig). Nein. Ich kam
Allein.

Saladin. Welch eine Tat von dir! Und welch
Ein weises Glück, daß eine solche Tat
Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.

Tempelherr.
Ja, ja!

Saladin. So kalt? Nein, junger Mann! wenn Gott
Was Gutes durch uns tut, muß man so kalt
Nicht sein! selbst aus Bescheidenheit so kalt
Nicht scheinen wollen!

Tempelherr. Daß doch in der Welt
Ein jedes Ding so manche Seiten hat!
Von denen oft sich gar nicht denken läßt,
Wie sie zusammenpassen!

Saladin. Halte dich
Nur immer an die best', und preise Gott!
Der weiß, wie sie zusammenpassen. Aber,
Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann:
So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut
Mich mit dir halten müssen? Leider bin
Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die
Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.

Tempelherr.
Das schmerzt! Denn Argwohn ist so wenig sonst
Mein Fehler

Saladin. Nun, so sage doch, mit wem
Du's hast? Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?
Auf Nathan Argwohn? du? Erklär dich! sprich!
Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.

Tempelherr.
Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn
Allein mit mir

Saladin. Und über was?

Tempelherr. Daß mir
Geträumt, ein Jude könn' auch wohl ein Jude
Zu sein verlernen; daß mir wachend so
Geträumt.

Saladin. Heraus mit diesem wachen Traume!

Tempelherr.
Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was
Ich für sie tat, das tat ich, weil ich's tat.
Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn
Nicht säete, verschmäht' ich Tag für Tag,
Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater
War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;
Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir
Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht
Von heitern Fernen. Nun, ich lasse mich
Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich
Ein Mädchen ... Ah, ich muß mich schämen, Sultan!

Saladin.
Dich schämen? daß ein Judenmädchen auf
Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

Tempelherr.
Daß diesem Eindruck, auf das liebliche
Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz
So wenig Widerstand entgegensetzte!
Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer.
Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.

Saladin.
Verschmäht?

Tempelherr. Der weise Vater schlägt nun wohl
Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater
Muß aber doch sich erst erkunden, erst
Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das
Nicht auch? Erkundete, besann ich denn
Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie?
Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,
So weise, so bedächtig sein!

Saladin. Nun, nun!
So sieh doch einem Alten etwas nach!
Wie lange können seine Weigerungen
Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,
Daß du erst Jude werden sollst?

Tempelherr. Wer weiß!

Saladin.
Wer weiß? der diesen Nathan besser kennt.

Tempelherr.
Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen,
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
Doch seine Macht nicht über uns. Es sind
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

Saladin.
Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ...

Tempelherr.
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
Für den erträglichern zu halten ...

Saladin. Mag
Wohl sein! Doch Nathan...,

Tempelherr. Dem allein
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem
Allein ...

Saladin. Gut! Aber Nathan! Nathans Los
Ist diese Schwachheit nicht.

Tempelherr. So dacht' ich auch! ...
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
So ein gemeiner Jude wäre, daß
Er Christenkinder zu bekommen suche,
Um sie als Juden aufzuziehn: wie dann?

Saladin.
Wer sagt ihm so was nach?

Tempelherr. Das Mädchen selbst,
Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung
Er gern mir zu bezahlen schiene, was
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben:
Dies Mädchen selbst ist seine Tochter nicht;
Ist ein verzettelt Christenkind.

Saladin. Das er
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

Tempelherr (heftig).
Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf
Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

Saladin (ernst).
Sei ruhig, Christ!

Tempelherr. Was? ruhig Christ? Wenn Jud'
Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann
Bestehen: soll allein der Christ den Christen
Nicht machen dürfen?

Saladin (noch ernster). Ruhig, Christ!

Tempelherr (gelassen). Ich fühle
Des Vorwurfs ganze Last, die Saladin
In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,
Wie Assad, Assad sich an meiner Stelle
Hierbei genommen hätte!

Saladin. Nicht viel besser!
Vermutlich ganz so brausend! Doch, wer hat
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
Mit einem Worte zu bestechen? Freilich
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden.
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
Muß keiner mit dem andern hadern. Laß
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm
Zu rächen, mir so nahe legen würde!
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
Zum Trotz ein Christ!

Tempelherr. Bald wär's damit zu spät!
Doch dank der Blutbegier des Patriarchen,
Des Werkzeug mir zu werden graute!

Saladin. Wie?
Du kamst zum Patriarchen eher, als
Zu mir?

Tempelherr. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
Der Unentschlossenheit! Verzeih! Du wirst
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
Nichts mehr in mir erkennen wollen.

Saladin. Wär'
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
Bei mir dir wenig schaden. Aber geh!
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
Und bring ihn her. Ich muß euch doch zusammen
Verständigen. Wär' um das Mädchen dir
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
Auch soll es Nathan schon empfinden, daß
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
Erziehen dürfen! Geh!

(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.)

Fünfter Auftritt

Saladin und Sittah.

Sittah. Ganz sonderbar!

Saladin.
Gelt, Sittah? Muß mein Assad nicht ein braver,
Ein schöner junger Mann gewesen sein?

Sittah.
Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde
Der Tempelherr vielmehr gesessen! Aber
Wie hast du doch vergessen können dich
Nach seinen Eltern zu erkundigen?

Saladin.
Und insbesondre wohl nach seiner Mutter?
Ob seine Mutter hierzulande nie
Gewesen sei? Nicht wahr?

Sittah. Das machst du gut!

Saladin.
Oh, möglicher wär' nichts! Denn Assad war
Bei hübschen Christendamen so willkommen,
Auf hübsche Christendamen so erpicht,
Daß einmal gar die Rede ging Nun, nun;
Man spricht nicht gern davon. Genug; ich hab
Ihn wieder! will mit allen seinen Fehlern,
Mit allen Launen seines weichen Herzens
Ihn wieder haben! Oh! das Mädchen muß
Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?

Sittah. Ihm geben?
Ihm lassen!

Saladin. Allerdings! Was hätte Nathan,
Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht
Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt,
Tritt einzig in die Rechte des, der ihr
Es gab.

Sittah. Wie also, Saladin? wenn du
Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur
Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich
Entzögest?

Saladin. Täte das wohl not?

Sittah. Not nun
Wohl eben nicht! Die liebe Neubegier
Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben.
Denn von gewissen Männern mag ich gar
Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was
Sie für ein Mädchen lieben können.

Saladin. Nun,
So schick und laß sie holen.

Sittah. Darf ich, Bruder?

Saladin.
Nur schone Nathans! Nathan muß durchaus
Nicht glauben, daß man mit Gewalt ihn von
Ihr trennen wolle.

Sittah. Sorge nicht.

Saladin. Und ich,
Ich muß schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

Sechster Auftritt

(Szene: die offne Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.)

Nathan und Daja.

Daja. Oh, alles herrlich! alles auserlesen!
Oh, alles wie nur Ihr es geben könnt.
Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken
Gemacht? Was kostet er? Das nenn ich noch
Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt
Es besser.

Nathan. Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

Daja.
Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,
Als Ihr ihn kauftet. Aber wahrlich, Nathan,
Der und kein andrer muß es sein! Er ist
Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund;
Ein Bild der Unschuld: und die goldnen Ströme,
Die allerorten diesen Grund durchschlängeln;
Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!

Nathan.
Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid
Sinnbilderst du mir so gelehrt? Bist du
Denn Braut?

Daja. Ich?

Nathan. Nun wer denn?

Daja. Ich? lieber Gott!

Nathan.
Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn?
Das alles ist ja dein, und keiner andern.

Daja.
Ist mein? Soll mein sein? Ist für Recha nicht?

Nathan.
Was ich für Recha mitgebracht, das liegt
In einem andern Ballen. Mach! nimm weg!
Trag deine Siebensachen fort!

Daja. Versucher!
Nein, wären es die Kostbarkeiten auch
Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir
Vorher nicht schwört, von dieser einzigen
Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel
Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.

Nathan.
Gebrauch? von was? Gelegenheit? wozu?

Daja.
O stellt Euch nicht so fremd! Mit kurzen Worten!
Der Tempelherr liebt Recha: gebt sie ihm,
So hat doch einmal Eure Sünde, die
Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende.
So kömmt das Mädchen wieder unter Christen;
Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was
Sie ward: und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten,
Was wir Euch nicht genug verdanken können,
Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt
Gesammelt.

Nathan. Doch die alte Leier wieder?
Mit einer neuen Saite nur bezogen,
Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.

Daja. Wieso?

Nathan.
Mir wär' der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt'
Ich Recha mehr als einem in der Welt.
Allein ... Nun, habe nur Geduld.

Daja. Geduld?
Geduld ist Eure alte Leier nun
Wohl nicht?

Nathan. Nur wenig Tage noch Geduld! ...
Sieh doch! Wer kömmt denn dort?
Ein Klosterbruder?
Geh, frag ihn was er will.

Daja. Was wird er wollen?

(Sie geht auf ihn zu und fragt.)

Nathan.
So gib! und eh' er bittet. (Wüßt' ich nur
Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne
Die Ursach' meiner Neugier ihm zu sagen!
Denn wenn ich sie ihm sag', und der Verdacht
Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst
Den Vater auf das Spiel gesetzt.) Was ist's?

Daja.
Er will Euch sprechen.

Nathan. Nun, so laß ihn kommen;
Und geh indes.

Siebenter Auftritt

Nathan und der Klosterbruder.

Nathan. (Ich bliebe Rechas Vater
Doch gar zu gern! Zwar kann ich's denn nicht bleiben,
Auch wenn ich aufhör, es zu heißen? Ihr,
Ihr selbst werd ich's doch immer auch noch heißen,
Wenn sie erkennt, wie gern ich's wäre.) Geh!
Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder?

Klosterbruder.
Nicht eben viel. Ich freue mich, Herr Nathan,
Euch annoch wohl zu sehn.

Nathan. So kennt Ihr mich?

Klosterbruder.
Je nu; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem
Ja Euern Namen in die Hand gedrückt.
Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.

Nathan (nach seinem Beutel langend).
Kommt, Bruder, kommt; ich frisch ihn auf.

Klosterbruder. Habt Dank!
Ich würd' es Ärmern stehlen; nehme nichts.
Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig
Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn
Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand
Etwas gelegt zu haben, was nicht zu
Verachten war.

Nathan. Verzeiht! Ich schäme mich
Sagt, was? und nehmt zur Buße siebenfach
Den Wert desselben von mir an.

Klosterbruder. Hört doch
Vor allen Dingen, wie ich selber nur
Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand
Erinnert worden.

Nathan. Mir vertrautes Pfand?

Klosterbruder.
Vor kurzem saß ich noch als Eremit
Auf Quarantana, unweit Jericho.
Da kam arabisch Raubgesindel, brach
Mein Gotteshäuschen ab und meine Zelle
Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam
Ich noch und floh hierher zum Patriarchen,
Um mir ein ander Plätzchen auszubitten,
Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit
Bis an mein selig Ende dienen könne.

Nathan.
Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht
Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

Klosterbruder.
Sogleich, Herr Nathan. Nun, der Patriarch
Versprach mir eine Siedelei auf Tabor,
Sobald als eine leer; und hieß inzwischen
Im Kloster mich als Laienbruder bleiben.
Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange
Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn
Der Patriarch braucht mich zu allerlei,
Wovor ich großen Ekel habe. Zum
Exempel:

Nathan. Macht, ich bitt Euch!

Klosterbruder. Nun, es kömmt!
Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt:
Es lebe hier herum ein Jude, der
Ein Christenkind als seine Tochter sich
Erzöge.

Nathan. Wie? (Betroffen.)

Klosterbruder. Hört mich nur aus! Indem
Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks,
Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und
Gewaltig sich ob eines solchen Frevels
Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider
Den heil'gen Geist bedünkt; das ist, die Sünde,
Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt,
Nur daß wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen,
Worin sie eigentlich besteht: da wacht
Mit einmal mein Gewissen auf; und mir
Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten
Zu dieser unverzeihlich großen Sünde
Gelegenheit gegeben haben. Sagt:
Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren
Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?

Nathan.
Wie das? Nun freilich allerdings

Klosterbruder. Ei, seht
Mich doch recht an! Der Reitknecht, der bin ich.

Nathan.
Seid ihr?

Klosterbruder. Der Herr, von welchem ich's Euch brachte,
War ist mir recht ein Herr von Filnek. Wolf
Von Filnek!

Nathan. Richtig!

Klosterbruder. Weil die Mutter kurz
Vorher gestorben war; und sich der Vater
Nach mein ich Gazza plötzlich werfen mußte,
Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte:
So sandt' er's Euch. Und traf ich Euch damit
Nicht in Darun?

Nathan. Ganz recht!

Klosterbruder. Es wär' kein Wunder,
Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe
Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem
Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient.
Er blieb bald drauf bei Askalon: und war
Wohl sonst ein lieber Herr.

Nathan. Ja wohl! Ja wohl!
Dem ich so viel, so viel zu danken habe!
Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!

Klosterbruder.
O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens
Euch um so lieber angenommen haben.

Nathan.
Das könnt Ihr denken.

Klosterbruder. Nun, wo ist es denn?
Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben?
Laßt's lieber nicht gestorben sein! Wenn sonst
Nur niemand um die Sache weiß: so hat
Es gute Wege.

Nathan. Hat es?

Klosterbruder. Traut mir, Nathan!
Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,
Das ich zu tun vermeine, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weiten nicht das Gute. War ja wohl
Natürlich; wenn das Christentöchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden sollte:
Daß Ihr's als Euer eigen Töchterchen
Erzögt. Das hättet Ihr mit aller Lieb'
Und Treue nun getan, und müßtet so
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
Als Christin auferziehen lassen: aber
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,
In solchen Jahren mehr, als Christentum.
Zum Christentume hat's noch immer Zeit.
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
So blieb's vor Gottes Augen, was es war.
Und ist denn nicht das ganze Christentum
Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft
Geärgert, hat mir Tränen g'nug gekostet,
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.

Nathan.
Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein,
Wenn Haß und Gleisnerei sich gegen mich
Erheben sollten, wegen einer Tat
Ah, wegen einer Tat! Nur Ihr, Ihr sollt
Sie wissen! Nehmt sie aber mit ins Grab!
Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,
Sie jemand andern zu erzählen. Euch
Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt
Allein erzähl ich sie. Weil die allein
Versteht, was sich der gottergebne Mensch
Für Taten abgewinnen kann.

Klosterbruder. Ihr seid
Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

Nathan.
Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruders Hause,
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen.

Klosterbruder. Allgerechter!

Nathan. Als
Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint.
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß zugeschworen

Klosterbruder. Ach! Ich glaub's Euch wohl!

Nathan.
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast,
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!« Ich stand! und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will! Indem stiegt Ihr
Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind,
In Euern Mantel eingehüllt. Was Ihr
Mir damals sagtet; was ich Euch: hab ich
Vergessen. Soviel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trug's auf mein Lager, küßt' es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!

Klosterbruder. Nathan! Nathan!
Ihr seid ein Christ! Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein beßrer Christ war nie!

Nathan. Wohl uns! Denn was
Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir
Zum Juden! Aber laßt uns länger nicht
Einander nur erweichen. Hier braucht's Tat!
Und ob mich siebenfache Liebe schon
Bald an dies einz'ge fremde Mädchen band,
Ob der Gedanke mich schon tötet, daß
Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs neue
Verlieren soll: wenn sie von meinen Händen
Die Vorsicht wieder fodert, ich gehorche!

Klosterbruder.
Nun vollends! Eben das bedacht' ich mich
So viel, Euch anzuraten! Und so hat's
Euch Euer guter Geist schon angeraten!

Nathan.
Nur muß der erste beste mir sie nicht
Entreißen wollen!

Klosterbruder. Nein, gewiß nicht!

Nathan. Wer
Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich,
Muß frühere zum mind'sten haben

Klosterbruder. Freilich!

Nathan.
Die ihm Natur und Blut erteilen.

Klosterbruder. So
Mein ich es auch!

Nathan. Drum nennt mir nur geschwind
Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm,
Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt.-
Ihm will ich sie nicht vorenthalten Sie,
Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde
Zu sein erschaffen und erzogen ward.
Ich hoff, Ihr wißt von diesem Euern Herrn
Und dem Geschlechte dessen, mehr als ich.

Klosterbruder.
Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! Denn
Ihr habt ja schon gehört, daß ich nur gar
Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.

Nathan. Wißt
Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts
Die Mutter war? War sie nicht eine Stauffin?

Klosterbruder.
Wohl möglich! Ja, mich dünkt.

Nathan. Hieß nicht ihr Bruder
Conrad von Stauffen? und war Tempelherr?

Klosterbruder.
Wenn mich's nicht trügt. Doch halt! Da fällt mir ein,
Daß ich vom sel'gen Herrn ein Büchelchen
Noch hab. Ich zog's ihm aus dem Busen, als
Wir ihn bei Askalon verscharrten.

Nathan. Nun?

Klosterbruder.
Es sind Gebete drin. Wir nennen's ein
Brevier. Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch
Ja wohl noch brauchen. Ich nun freilich nicht
Ich kann nicht lesen

Nathan. Tut nichts! Nur zur Sache.

Klosterbruder.
In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten,
Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn
Selbsteigner Hand, die Angehörigen
Von ihm und ihr geschrieben.

Nathan. O erwünscht!
Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind!
Ich bin bereit mit Gold es aufzuwiegen;
Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!

Klosterbruder. Recht gern!
Es ist Arabisch aber, was der Herr
Hineingeschrieben. (Ab.)

Nathan. Einerlei! Nur her!
Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten,
Und einen solchen Eidam mir damit
Erkaufen könnte! Schwerlich wohl! Nun, fall'
Es aus, wie's will! Wer mag es aber denn
Gewesen sein, der bei dem Patriarchen
So etwas angebracht? Das muß ich doch
Zu fragen nicht vergessen. Wenn es gar
Von Daja käme?

Achter Auftritt

Daja und Nathan.

Daja (eilig und verlegen).
Denkt doch, Nathan!

Nathan. Nun?

Daja.
Das arme Kind erschrak wohl recht darüber!
Da schickt ...

Nathan. Der Patriarch?

Daja. Des Sultans Schwester,
Prinzessin Sittah ...

Nathan. Nicht der Patriarch?

Daja.
Nein, Sittah! Hört Ihr nicht! Prinzessin Sittah
Schickt her, und läßt sie zu sich holen?

Nathan. Wen?
Läßt Recha holen? Sittah läßt sie holen?
Nun; wenn sie Sittah holen läßt, und nicht
Der Patriarch ...

Daja. Wie kommt Ihr denn auf den?

Nathan.
So hast du kürzlich nichts von ihm gehört?
Gewiß nicht? Auch ihm nichts gesteckt?

Daja. Ich? ihm?

Nathan.
Wo sind die Boten?

Daja. Vorn.

Nathan. Ich will sie doch
Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! Wenn nur
Vom Patriarchen nichts dahintersteckt. (Ab.)

Daja.
Und ich ich fürchte ganz was anders noch.
Was gilt's? die einzige vermeinte Tochter
So eines reichen Juden wär' auch wohl
Für einen Muselmann nicht übel? Hui,
Der Tempelherr ist drum. Ist drum: wenn ich
Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht
Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist!
Getrost! Laß mich den ersten Augenblick,
Den ich allein sie habe, dazu brauchen!
Und der wird sein vielleicht nun eben, wenn
Ich sie begleite. So ein erster Wink
Kann unterwegens wenigstens nicht schaden.
Ja, ja! Nur zu! Itzt oder nie! Nur zu! (Ihm nach.)


 << zurück weiter >>