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Erster Aufzug

Erster Auftritt

(Szene: Flur in Nathans Hause.)

Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

Daja.
Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,
Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

Nathan.
Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?
Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiß
Auch kein Geschäft, das merklich födert, das
So von der Hand sich schlagen läßt.

Daja.       O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus ...

Nathan.       Das brannte.
So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,
Daß ich nur alles schon vernommen habe!

Daja.
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

Nathan.
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
Gebaut; und ein bequemeres.

Daja.       Schon wahr! –
Doch Recha wär' bei einem Haare mit
Verbrannt.

Nathan.       Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –
Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt
Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!
Heraus nur! – Töte mich: und martre mich
Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.

Daja.       Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

Nathan.
Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!
O meine Recha!

Daja.       Eure? Eure Recha?

Nathan.
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte,
Dies Kind mein Kind zu nennen!

Daja.       Nennt Ihr alles,
Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte
Das Eure?

Nathan.       Nichts mit größerm! Alles, was
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank ich der Tugend.

Daja.       O wie teuer laßt
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!

Nathan.       In solcher Absicht?
In welcher?

Daja.       Mein Gewissen ...

Nathan.             Daja, laß
Vor allen Dingen dir erzählen ...

Daja.       Mein
Gewissen, sag ich ...

Nathan.       Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

Daja.
Was hilft's? Denn mein Gewissen, muß ich Euch
Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.

Nathan.
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.

Daja.       So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

Nathan.
Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

Daja.
Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
Und doch ...

Nathan.       Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,
Das willst du sagen?

Daja.       Was ich sagen will,
Das wißt Ihr besser.

Nathan.       Nun so schweig!

Daja.             Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –
Nicht kann, – komm' über Euch!

Nathan.       Komm' über mich! –
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,
Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn,
Daß ich gekommen bin?

Daja.       Das frag ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.

Nathan.       Armes Kind!
Was sind wir Menschen!

Daja.       Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschloßnem Aug', und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort' hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –
Was Wunder! ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

Nathan.       Bei ihm?
Bei welchem Ihm?

Daja.       Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.

Nathan.       Wer war das? wer? – Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? wer?

Daja.
Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.

Nathan.       Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!

Daja.       Ohn' ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

Nathan.
Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? weit mehr?

Daja.       Wie konnten wir?

Nathan.
Nicht? nicht?

Daja.       Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn' alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist
Verschwunden!

Nathan.       Nicht auf immer, will ich hoffen.

Daja.
Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.

Nathan.       Nun?

Daja.
Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goß so bittern Spott auf mich besonders ...

Nathan. Bis dadurch abgeschreckt ...

Daja.       Nichts weniger!
Ich trat ihn je den Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht
Noch gern ertragen! – Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist.
Ihr staunt? Ihr sinnt?

Nathan.       Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
Und doch so angezogen werden; – Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! –
Das letztere, verkenn ich Recha nicht,
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

Daja.       Allein so fromm,
So liebenswürdig!

Nathan.       Ist doch auch geschwärmt!

Daja.
Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutze sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud' und Christ und Muselmann
Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

Nathan.
Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –
Sodann such ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hienieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.

Daja.
Ihr unternehmet viel.

Nathan.       Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –
Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

Daja.
Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

Zweiter Auftritt

Recha und die Vorigen.

Recha.
So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
Die arme Recha, die indes verbrannte!
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

Nathan.
Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha.       Ihr mußtet über
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer
Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich
Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
Die ungetreuen Ström' hinüber. Er,
Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar
Auf seinem weißen Fittiche, mich durch
Das Feuer trüge –

Nathan.       (Weißem Fittiche!
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
Des Tempelherrn.)

Recha.       Er sichtbar, sichtbar mich
Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche
Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel
Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
Und meinen Engel.

Nathan.       Recha wär' es wert;
Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er
An ihr.

Recha (lächelnd).
      Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?
Dem Engel, oder Euch?

Nathan.       Doch hätt' auch nur
Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte
Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.

Recha.
Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;
Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,
Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb ihn ja.

Nathan.       Und er liebt dich; und tut
Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.

Recha.       Das hör ich gern.

Nathan.             Wie? weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte: sollt' es darum weniger
Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,
Daß uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.

Daja (zu Nathan).       Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?

Nathan.       Laß mich! – Meiner Recha wär'
Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, daß Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? daß je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

Recha.
Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben
War das kein Tempelherr; er schien es nur. –
Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?

Nathan.       Sieh! wie sinnreich.
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
Von dir, daß er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja.
Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,
Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –
So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,
Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan.
Ei, Daja! Warum wäre denn das so
Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht –
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? – Warum hätte Saladin,
Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?
Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche?
Ei freilich, weise Daja, wär's für dich
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja.
Ihr spottet.

Nathan.       Weil du meiner spottest. – Doch
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha.       Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre
Nicht gern.

Nathan.       Vielmehr, du läßt dich gern belehren.
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
Der Rücken einer Nase, so vielmehr
Als so geführet; Augenbraunen, die
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
So oder so sich schlängeln; eine Linie,
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal,
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
Gesicht: – und du entkommst dem Feu'r, in Asien!
Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk?
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja.
Was schadet's – Nathan, wenn ich sprechen darf –
Bei alledem, von einem Engel lieber
Als einem Menschen sich gerettet denken?
Fühlt man der ersten unbegreiflichen
Ursache seiner Rettung nicht sich so
Viel näher?

Nathan.       Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –
Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. –
Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –
Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das
Dich rettete, – es sei ein Engel oder
Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun? –
Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich
Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger
Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja.
Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
Allein er wollte ja, bedurfte ja
So völlig nichts; war in sich, mit sich so
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
Sein können.

Recha.       Endlich, als er gar verschwand ...

Nathan.
Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen
Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja.
Das nun wohl nicht.

Nathan.       Nicht, Daja? nicht? – Da sieh
Nun was es schad't! – Grausame Schwärmerinnen!
Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! ...

Recha.
Krank!

Daja.       Krank! Er wird doch nicht!

Recha.             Welch kalter Schauer
Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

Nathan.       Er ist
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha.       Krank! krank!

Daja.
Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan.
Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld
Sich Freunde zu besolden.

Recha.       Ah, mein Vater!

Nathan.
Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach',
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha.
Wo? wo?

Nathan.       Er, der für eine, die er nie
Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch
Ins Feu'r sich stürzte ...

Daja.       Nathan, schonet ihrer!

Nathan.
Der, was er rettete, nicht näher kennen,
Nicht weiter sehen mocht', – um ihm den Dank
Zu sparen ...

Daja.       Schonet ihrer, Nathan!

Nathan.             Weiter
Auch nicht zu sehn verlangt', – es wäre denn,
Daß er zum zweitenmal es retten sollte –
Denn g'nug, es ist ein Mensch ...

Daja.       Hört auf, und seht!

Nathan.
Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts
Als das Bewußtsein dieser Tat!

Daja.       Hört auf!
Ihr tötet sie!

Nathan.       Und du hast ihn getötet! –
Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank:
Nicht einmal krank!

Recha.       Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

Nathan.
Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,
Wieviel andächtig schwärmen leichter, als
Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt –
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha.       Ah,
Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch
Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann
Auch wohl verreist nur sein? –

Nathan.       Geht! – Allerdings. –
Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt Ihr ihn?

Daja.       Ha! Euer Derwisch.

Nathan.
Wer?

Daja.       Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan.
Al-Hafi? das Al-Hafi?

Daja.       Itzt des Sultans
Schatzmeister.

Nathan.       Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder?
Er ist's! – wahrhaftig, ist's! – kömmt auf uns zu.
Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

Dritter Auftritt

Nathan und der Derwisch.

Derwisch.
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

Nathan.
Bist du's? Bist du es nicht? – In dieser Pracht,
Ein Derwisch! ...

Derwisch.       Nun? warum denn nicht? Läßt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

Nathan.
Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll'
Aus sich nichts machen lassen.

Derwisch.       Beim Propheten
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muß –

Nathan.       Muß! Derwisch! – Derwisch muß?
Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?
Was müßt' er denn?

Derwisch.       Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.

Nathan.
Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich
Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

Derwisch.
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

Nathan.
Trotzdem, was du geworden!

Derwisch.       Könnt' ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?

Nathan.       Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
Im Staat, ist nur dein Kleid.

Derwisch.       Das auch geehrt
Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich
An Eurem Hofe?

Nathan.       Derwisch; weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

Derwisch.       Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!
Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin
Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei –
Ihm worden.

Nathan.       Du? – bei ihm?

Derwisch.             Versteht:
Des kleinern Schatzes, – denn des größern wartet
Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

Nathan.
Sein Haus ist groß.

Derwisch.       Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

Nathan.
Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

Derwisch.
Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber
Zum Bettler werden.

Nathan.       Brav! – So mein ich's eben.

Derwisch.
Er ist's auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen –

Nathan.       Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.

Derwisch.       Getroffen!

Nathan.
Ich kenne das!

Derwisch.       Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
Noch zehnmal weniger.

Nathan.       O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!

Derwisch.       Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
Euch ab.

Nathan.       Was bringt dir deine Stelle?

Derwisch.             Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
– Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist,
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

Nathan.
Auch Zins vom Zins der Zinsen?

Derwisch.       Freilich!

Nathan.             Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

Derwisch.
Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.

Nathan.       Wahrlich? Wie
Denn so? wieso denn?

Derwisch.       Daß Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; daß
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –
Ihr schüttelt?

Nathan.       Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt's zu unterscheiden. – Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der – dem –

Derwisch.       Erriet ich's nicht? Daß Ihr doch immer
So gut als klug, so klug als weise seid! –
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt's in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

Nathan.
Dir ähnlich g'nug!

Derwisch.       Und Schach mit ihnen spiele.

Nathan.
Dein höchstes Gut!

Derwisch.       Denkt nur, was mich verführte! –
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler
In einen armen Reichen zu verwandeln?

Nathan.
Das nun wohl nicht.

Derwisch.       Weit etwas Abgeschmackters!
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt –

Nathan.
Der war?

Derwisch.       »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
Zumute sei; ein Bettler habe nur
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
Erkundigte so ungestüm sich erst
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß
Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch
Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
Die ihre klar und still empfangnen Wasser
So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« –
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!
Ich eines Gecken Geck!

Nathan.       Gemach, mein Derwisch,
Gemach!

Derwisch.       Ei was! – Es wär' nicht Geckerei,
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?
Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,
Und nicht des Höchsten immer volle Hand
Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei ...

Nathan.
Genug! hör auf!

Derwisch.       Laßt meiner Geckerei
Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
Die gute Seite dennoch auszuspüren,
Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
An dieser Geckerei zu nehmen? He?
Das nicht?

Nathan.       Al-Hafi, mache, daß du bald
In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,
Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
Zu sein verlernen.

Derwisch.       Recht, das fürcht ich auch.
Lebt wohl!

Nathan.       So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.
Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –
Daß er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –
Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
Daß er ihn kennt.

Vierter Auftritt

Daja eilig herbei. Nathan.

Daja.       O Nathan, Nathan!

Nathan.             Nun?
Was gibt's?

Daja.       Er läßt sich wieder sehn! Er läßt
Sich wieder sehn!

Nathan.       Wer, Daja? wer?

Daja.             Er! Er!

Nathan.
Er? Er? – Wann läßt sich der nicht sehn! – Ja so,
Nur euer Er heißt er. – Das sollt' er nicht!
Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht! –

Daja.
Er wandelt untern Palmen wieder auf
Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.

Nathan.
Sie essend? – und als Tempelherr?

Daja.       Was quält
Ihr mich? – Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter
Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt
Ihm unverrückt. Sie läßt Euch bitten, – Euch
Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
Ob er hinauf geht oder weiter ab
Sich schlägt. O eilt!

Nathan.       So wie ich vom Kamele
Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du
Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft.
Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus
In meinem Absein nicht betreten wollen;
Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst
Ihn laden läßt. Geh, sag, ich laß ihn bitten,
Ihn herzlich bitten ...

Daja.       All umsonst! Er kömmt
Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

Nathan.
So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten;
Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.

(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

Fünfter Auftritt

Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.

Tempelherr.
Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh,
Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, ...
Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

Klosterbruder.
Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.

Tempelherr.
Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!
Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts –

Klosterbruder.       Und doch
Recht warmen Dank! Gott geb' Euch tausendfach,
Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille
Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch
Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar
Nicht nachgeschickt.

Tempelherr.       Doch aber nachgeschickt?

Klosterbruder.
Ja; aus dem Kloster.

Tempelherr.       Wo ich eben jetzt
Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

Klosterbruder.
Die Tische waren schon besetzt; komm' aber
Der Herr nur wieder mit zurück.

Tempelherr.       Wozu?
Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen:
Allein was tut's? Die Datteln sind ja reif.

Klosterbruder.
Nehm' sich der Herr in acht' mit dieser Frucht.
Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft
Die Milz; macht melancholisches Geblüt.

Tempelherr.
Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? –
Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr
Mir doch nicht nachgeschickt?

Klosterbruder.       O nein! – Ich soll
Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn
Euch fühlen.

Tempelherr.       Und das sagt Ihr mir so selbst?

Klosterbruder.
Warum nicht?

Tempelherr.       (Ein verschmitzter Bruder!) – Hat
Das Kloster Euresgleichen mehr?

Klosterbruder.       Weiß nicht.
Ich muß gehorchen, lieber Herr.

Tempelherr.       Und da
Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?

Klosterbruder.
Wär's sonst gehorchen, lieber Herr?

Tempelherr.       (Daß doch
Die Einfalt immer Recht behält!) – Ihr dürft
Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern
Genauer kennen möchte? – Daß Ihr's selbst
Nicht seid, will ich wohl schwören.

Klosterbruder.       Ziemte mir's?
Und frommte mir's?

Tempelherr.       Wem ziemt und frommt es denn,
Daß er so neubegierig ist? Wem denn?

Klosterbruder.
Dem Patriarchen; muß ich glauben. – Denn
Der sandte mich Euch nach.

Tempelherr.       Der Patriarch?
Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel
Nicht besser?

Klosterbruder.       Kenn ja ich's!

Tempelherr.       Nun, Bruder? nun? –
Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. –
Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,
Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde
Wir gern erstiegen hätten, um sodann
Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu:
Selbzwanzigster gefangen und allein
Vom Saladin begnadiget: so weiß
Der Patriarch, was er zu wissen braucht;
Mehr, als er braucht.

Klosterbruder.       Wohl aber schwerlich mehr,
Als er schon weiß. – Er wüßt' auch gern, warum
Der Herr vom Saladin begnadigt worden;
Er ganz allein.

Tempelherr.       Weiß ich das selber? – Schon
Den Hals entblößt, kniet' ich auf meinem Mantel,
Den Streich erwartend: als mich schärfer Saladin
Ins Auge faßt, mir näher springt, und winkt.
Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will
Ihm danken; seh sein Aug' in Tränen: stumm
Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. – Wie
Nun das zusammenhängt, enträtsle sich
Der Patriarche selbst.

Klosterbruder.       Er schließt daraus,
Daß Gott zu großen, großen Dingen Euch
Müss' aufbehalten haben.

Tempelherr.       Ja, zu großen!
Ein Judenmädchen aus dem Feu'r zu retten;
Auf Sinai neugier'ge Pilger zu
Geleiten; und dergleichen mehr.

Klosterbruder.       Wird schon
Noch kommen! – Ist inzwischen auch nicht übel. –
Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits
Weit wicht'gere Geschäfte für den Herrn.

Tempelherr.
So? meint Ihr, Bruder? – Hat er gar Euch schon
Was merken lassen?

Klosterbruder.       Ei, Jawohl! – Ich soll
Den Herrn nur erst ergründen, ob er so
Der Mann wohl ist.

Tempelherr.       Nun ja; ergründet nur!
(Ich will doch sehn, wie der ergründet!) – Nun?

Klosterbruder.
Das Kürzste wird wohl sein, daß ich dem Herrn
Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch
Eröffne.

Tempelherr.       Wohl!

Klosterbruder.             Er hätte durch den Herrn
Ein Briefchen gern bestellt.

Tempelherr.       Durch mich? Ich bin
Kein Bote. – Das, das wäre das Geschäft,
Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen
Dem Feu'r entreißen?

Klosterbruder.       Muß doch wohl! Denn – sagt
Der Patriarch – an diesem Briefchen sei
Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.
Dies Briefchen wohl bestellt zu haben, – sagt
Der Patriarch, – werd einst im Himmel Gott
Mit einer ganz besondern Krone lohnen.
Und dieser Krone, – sagt der Patriarch,
Sei niemand würd'ger, als mein Herr.

Tempelherr.       Als ich?

Klosterbruder.
Denn diese Krone zu verdienen, – sagt
Der Patriarch, – sei schwerlich jemand auch
Geschickter, als mein Herr.

Tempelherr.       Als ich?

Klosterbruder.             Er sei
Hier frei; könn' überall sich hier besehn;
Versteh', wie eine Stadt zu stürmen und
Zu schirmen; könne, – sagt der Patriarch, –
Die Stärk' und Schwäche der von Saladin
Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer
Am besten schätzen, sie am deutlichsten
Den Streitern Gottes, – sagt der Patriarch, –
Beschreiben.

Tempelherr.       Guter Bruder, wenn ich doch
Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.

Klosterbruder.
Ja den, – den weiß ich nun wohl nicht so recht.
Das Briefchen aber ist an König Philipp. –
Der Patriarch ... Ich hab mich oft gewundert,
Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz
Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet
Von Dingen dieser Welt zu sein herab
Sich lassen kann. Es muß ihm sauer werden.

Tempelherr.
Nun dann? der Patriarch?

Klosterbruder.       Weiß ganz genau,
Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,
Von welcher Seite Saladin, im Fall
Es völlig wieder losgeht, seinen Feldzug
Eröffnen wird.

Tempelherr.       Das weiß er?

Klosterbruder.             Ja, und möcht'
Es gern dem König Philipp wissen lassen:
Damit der ungefähr ermessen könne,
Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um
Mit Saladin den Waffenstillestand,
Den Euer Orden schon so brav gebrochen,
Es koste was es wolle, wiederher-
Zustellen.

Tempelherr.       Welch ein Patriarch! – Ja so!
Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem
Gemeinen Boten; will mich – zum Spion.
Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder,
Soviel Ihr mich ergründen können, wär'
Das meine Sache nicht. – Ich müsse mich
Noch als Gefangenen betrachten; und
Der Tempelherren einziger Beruf
Sei mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht
Kundschafterei zu treiben.

Klosterbruder.       Dacht' ich's doch! –
Will's auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln. –
Zwar kömmt das Beste noch. – Der Patriarch
Hiernächst hat ausgegattert, wie die Feste
Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt,
In der die ungeheuern Summen stecken,
Mit welchen Saladins vorsicht'ger Vater
Das Heer besoldet, und die Zurüstungen
Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt
Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen
Nach dieser Feste sich, nur kaum begleitet. –
Ihr merkt doch?

Tempelherr.       Nimmermehr!

Klosterbruder.             Was wäre da
Wohl leichter, als des Saladins sich zu
Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? –
Ihr schaudert? – O es haben schon ein paar
Gottsfürcht'ge Maroniten sich erboten,
Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,
Das Stück zu wagen.

Tempelherr.       Und der Patriarch
Hätt' auch zu diesem wackern Manne mich
Ersehn?

Klosterbruder.       Er glaubt, daß König Philipp wohl
Von Ptolemais aus die Hand hierzu
Am besten bieten könne.

Tempelherr.       Mir? mir, Bruder?
Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört,
Was für Verbindlichkeit dem Saladin
Ich habe?

Klosterbruder.       Wohl hab ich's gehört.

Tempelherr.             Und doch?

Klosterbruder.
Ja, – meint der Patriarch, – das wär' schon gut:
Gott aber und der Orden ...

Tempelherr.       Ändern nichts!
Gebieten mir kein Bubenstück!

Klosterbruder.       Gewiß nicht! –
Nur, – meint der Patriarch, – sei Bubenstück
Vor Menschen, nicht auch Bubenstück vor Gott.

Tempelherr.
Ich wär' dem Saladin mein Leben schuldig:
Und raubt' ihm seines?

Klosterbruder.       Pfui! – Doch bliebe, – meint
Der Patriarch, – noch immer Saladin
Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
Zu sein, kein Recht erwerben könne.

Tempelherr.       Freund?
An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden;
Zum undankbaren Schurken?

Klosterbruder.       Allerdings! –
Zwar, – meint der Patriarch, – des Dankes sei
Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns
Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.
Und da verlauten wolle, – meint der Patriarch, –
Daß Euch nur darum Saladin begnadet,
Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen
So was von seinem Bruder eingeleuchtet ...

Tempelherr.
Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? –
Ah! wäre das gewiß! Ah, Saladin! –
Wie? die Natur hätt' auch nur einen Zug
Von mir in deines Bruders Form gebildet:
Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
Was dem entspräche, könnt' ich unterdrücken,
Um einem Patriarchen zu gefallen? –
Natur, so leugst du nicht! So widerspricht
Sich Gott in seinen Werken nicht! – Geht, Bruder!
Erregt mir meine Galle nicht! – Geht! geht!

Klosterbruder.
Ich geh; und geh vergnügter, als ich kam.
Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

Sechster Auftritt

Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weiten beobachtet hatte und sich nun ihm nähert.

Daja.
Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in
Der besten Laun' ihn nicht. – Doch muß ich mein
Paket nur wagen.

Tempelherr.       Nun, vortrefflich! – Lügt
Das Sprichwort wohl: daß Mönch und Weib, und Weib
Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?
Er wirft mich heut aus einer in die andre.

Daja.
Was seh ich? – Edler Ritter, Euch? – Gott Dank!
Gott tausend Dank! – Wo habt Ihr denn
Die ganze Zeit gesteckt? – Ihr seid doch wohl
Nicht krank gewesen?

Tempelherr.       Nein.

Daja.             Gesund doch?

Tempelherr.                   Ja.

Daja.
Wir waren Euertwegen wahrlich ganz
Bekümmert.

Tempelherr.       So?

Daja.             Ihr wart gewiß verreist?

Tempelherr.
Erraten!

Daja.       Und kamt heut erst wieder?

Tempelherr.             Gestern.

Daja.
Auch Rechas Vater ist heut angekommen.
Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

Tempelherr.       Was?

Daja.
Warum sie Euch so öfters bitten lassen.
Ihr Vater ladet Euch nun selber bald
Aufs dringlichste. Er kömmt von Babylon.
Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,
Und allem, was an edeln Spezereien,
An Steinen und an Stoffen, Indien
Und Persien und Syrien, gar Sina,
Kostbares nur gewähren.

Tempelherr.       Kaufe nichts.

Daja.
Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
Doch daß es ihn den Weisen Nathan nennt
Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft
Gewundert.

Tempelherr.       Seinem Volk ist reich und weise
Vielleicht das Nämliche.

Daja.       Vor allen aber
Hätt's ihn den Guten nennen müssen. Denn
Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.
Als er erfuhr, wieviel Euch Recha schuldig:
Was hätt', in diesem Augenblicke, nicht
Er alles Euch getan, gegeben!

Tempelherr.       Ei!

Daja.
Versucht's und kommt und seht!

Tempelherr.       Was denn? wie schnell
Ein Augenblick vorüber ist?

Daja.       Hätt' ich,
Wenn er so gut nicht wär', es mir so lange
Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa,
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen,
Daß ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd', um da
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht
In Kaiser Friedrichs Heere –

Tempelherr.       Von Geburt
Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward,
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
In einem Flusse zu ersaufen. – Weib!
Wievielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
Hört Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?

Daja.
Verfolgen! lieber Gott!

Tempelherr.       Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht'
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht;
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich mich vorher erkund – und brennen lasse,
Was brennt.

Daja.       Bewahre Gott!

Tempelherr.             Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch laßt
Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele; wenn es je
Da war.

Daja.       Doch Eures ist aus ihrer nicht.

Tempelherr.
Was soll's nun aber da? was soll's?

Daja.       Wer weiß!
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.

Tempelherr.
Doch selten etwas Bessers. (Er geht.)

Daja.       Wartet doch!
Was eilt Ihr?

Tempelherr.       Weib, macht mir die Palmen nicht
Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.

Daja.
So geh, du deutscher Bär! so geh! – Und doch
Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.

(Sie geht ihm von weiten nach.)


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