Gotthold Ephraim Lessing
Minna von Barnhelm
Gotthold Ephraim Lessing

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4. Akt

1. Szene

Franziska. Sie können unmöglich satt sein, gnädiges Fräulein.

Fräulein. Meinst du, Franziska? Vielleicht, daß ich mich nicht hungrig niedersetzte.

Franziska. Wir hatten ausgemacht, seiner während der Mahlzeit nicht zu erwähnen. Aber wir hätten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu denken.

Fräulein. Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.

Franziska. Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen, und Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter trägt Kaffee auf.) Hier kömmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen machen kann. Der liebe melancholische Kaffee!

Fräulein. Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloß der Lektion nach, die ich ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?

Franziska. O ja; am besten aber wäre es, er ersparte sie uns.

Fraülein. Du wirst sehen, daß ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich jetzt mit allen Reichtümern verweigert, wird mich der ganzen Welt streitig machen, sobald er hört, daß ich unglücklich und verlassen bin.

Franziska (sehr ernsthaft). Und so was muß die feinste Eigenliebe unendlich kitzeln.

Fräulein. Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit, jetzt auf Eigenliebe. – Nun, laß mich nur, liebe Franziska. Du sollst mit deinem Wachtmeister auch machen können, was du willst.

Franziska. Mit meinem Wachtmeister?

Fräulein. Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig. – Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt hast, prophezeie ich dir deinen Mann.

2. Szene

Franziska. Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Türe gehend.)

Riccaut. Parbleu! Ik bin unriktig. – Mais non – Ik bin nit unriktig – C'est sa chambre –

Franziska. Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von Tellheim noch hier zu finden.

Riccaut. Iß so! – Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je cherche. Ou est-il?

Franziska. Er wohnt nicht mehr hier.

Riccaut. Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

Fräulein (die auf ihn zukömmt). Mein Herr.

Riccaut. Ah, Madame – Mademoiselle – Ihro Gnad verzeih –

Fräulein. Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung sehr natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir als einer Fremden, die nicht unterzukommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.

Raccaut. Ah, voila de ses politesses! C'est un tres galant-homme que ce Major!

Fräulein. Wo er indes hingezogen – wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu wissen.

Riccaut. Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j'en suis fache.

Fräulein. Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hier suchen.

Riccaut. Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad –

Fräulein. Franziska, wißt du es nicht?

Franziska. Nein, gnädiges Fräulein.

Riccaut. Ik hätt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine Nouvelle, davon er sehr frölik sein wird.

Fräulein. Ich bedauere um so viel mehr. – Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht erfährt, so erbiete ich mich, mein Herr –

Riccaut. Ik versteh. – Mademoiselle parle francais? Mais sans doute; telle que je la vois! – La demande etait bien impolie; vous me pardonnerez, Mademoiselle. –

Fräulein. Mein Herr –

Riccaut. Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?

Fräulein. Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt.

Riccaut. Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier. – Sachez donc, Mademoiselle – Ihro Gnad soll also wiß, daß ik komm von die Tafel bei der Minister – Minister von – Minister von – wie heiß der Minister da drauß? – in der lange Straß? – auf die breite Platz? –

Fräulein. Ich bin hier noch völlig unbekannt.

Riccaut. Nun, die Minister von der Kriegsdepartement. – Da haben ik zu Mittag gespeisen – ik speisen a l'ordinaire bei ihm – und da iß man gekommen reden auf der Major Tellheim; et le ministre m'a dit en confidence, car Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mysteres entre nous – Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Könik, und der Könik habe darauf resolvier, tout-a-fait en faveur du Major. – Monsieur, m'a dit Son Excellence, vous comprenez bien, que tout depend de la maniere, dont on fait envisager les choses au roi, et vous me connaissez. Cela fait un tres joli garcon que ce Tellheim, et ne sais-je pas que vous l'aimez? Les amis de mes amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au roi ce Tellheim, mais est-ce que l'on sert les rois pour rien? Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que ce soit le roi, qui en fasse, et non pas un honnete-homme de nous autres. Voila le principe, dont je ne me depars jamais. – Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, das iß ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coer bien place! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une Lettre de la main – eine Könikliken Handbrief, daß er heut infailliblement müsse bekommen einen.

Fräulein. Gewiß, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim höchst angenehm sein. Ich wünschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu können, der so viel Anteil an seinem Glücke nimmt –

Riccaut. Mein Namen wünscht Ihro Gnad? – Vous voyez en moi – Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la branche de Prensd'or. – Ihro Gnad? steh verwundert, mik aus so ein groß, groß Familie zu hören, qui est veritablement du sang Royal. – Il faut le dire; je suis sans doute le cadet le plus avantureux, que la maison a jamais eu. – Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Papstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den Staaten-General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiselle, que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-la! Hätte man mik gelaß im Dienst von den Staaten-General, so müßt ik nun sein aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar sein ein abgedankte Capitaine –

Fräulein. Das ist viel Unglück.

Riccaut. Qui, Mademoiselle, me voila reforme, et par-la mis sur le pave!

Fräulein. Ich beklage sehr.

Riccaut. Vous etes bien bonne, Mademoiselle. – Nein, man kenn sik hier nit auf den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir! Einen Mann, der sik nok dasu in diesem Dienst hat rouinir! – Ik haben dabei sugesetzt mehr als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je n'ai pas le sou, et me voila exactement vis-a-vis du rien. –

Fräulein. Es tut mir ungemein leid.

Riccaut. Vous etes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen: ein jeder Unglück schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Honnete-homme von mein Extraction kann anders haben für Ressource als das Spiel? Nun hab ik immer gespielen mit Glück, solang ik hatte nit vonnöten der Glück. Nun ik ihr hätte vonnöten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iß vergangen keine, wo sie mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi mes pontes se trouvaient certaines dames – Ik will niks weiter sag. Man muß sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir su geben revanche; mais – vous m'entendez, Mademoiselle. – Man muß erst wiß, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen –

Fräulein. Ich will nicht hoffen, mein Herr –

Riccaut. Vous etes bien bonne, Mademoiselle –

Fräulein (nimmt die Franziska beiseite). Franziska, der Mann dauert mich im Ernste. Ob er mir es wohl übelnehmen würde, wenn ich ihm etwas anböte?

Franziska. Der sieht mir nicht darnach aus.

Fräulein. Gut! – Mein Herr, ich höre – daß Sie spielen, daß Sie Bank machen; ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich – gleichfalls das Spiel sehr liebe –

Riccaut. Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment le jeu a la fureur.

Fräulein. Daß ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Mann wage, der – zu spielen weiß. – Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu gönnen?

Riccaut. Comment, Mademoiselle, vous voulez etre de moitie avec moi? De tout mon coeur.

Fräulein. Vors erste nur mit einer Kleinigkeit – (Geht und langt Geld aus ihrer Schatulle.)

Riccaut. Ah, Mademoiselle, que vous etes charmante! –

Fräulein. Hier habe ich, was ich ohnlängst gewonnen, nur zehn Pistolen – ich muß mich zwar schämen, so wenig –

Riccaut. Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)

Fräulein. Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist –

Riccaut. Jawohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafür interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf ein Dreiteil sollen sein – etwas mehr. Dok mit einer schöne Damen muß man es nehmen nit so genau. Ik gratulir mik, su kommen dadurk in liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence a bien augurer de ma fortune.

Fräulein. Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.

Riccaut. Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike Leut untereinander.

Fräulein. Wenn wir glücklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil schon bringen. Sind wir aber unglücklich –

Riccaut. So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?

Fräulein. Auf die Länge dürften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld daher ja wohl, mein Herr.

Riccaut. Wofür seh mik Ihro Gnad an? Für ein Einfalspinse? für ein dumme Teuf?

Fräulein. Verzeihen Sie mir –

Riccaut. Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-vous ce que cela veut dire? Ik bin von die Ausgelernt –

Fräulein. Aber doch wohl, mein Herr –

Riccaut. Je sais monter un coup –

Fräulein (verwundernd). Sollten Sie?

Riccaut. Je file la carte avec une adresse –

Fräulein. Nimmermehr!

Riccaut. Je fais sauter la coupe avec une dexterite –

Fräulein. Sie werden doch nicht, mein Herr? –

Riccaut. Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnez-moi un pigeonneau a plumer, et –

Fräulein. Falsch spielen? betrügen?

Riccaut. Comment, Mademoiselle? Vous appellez cela betrügen? Corriger la fortune, l'enchainer sous ses doigts, etre sur de son fait, das nenn die Deutsch betrügen? Betrügen! Oh, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak!

Fräulein. Nein, mein Herr, wenn Sie so denken –

Riccaut. Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie an, wie ik spiel? – Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit – Votre tres-humble, Mademoiselle, votre tres-humble – (Eilends ab.)

Fräulein (die ihm mit Erstaunen und Verdruß nachsieht). Ich wünsche das letzte, mein Herr, das letzte!

3. Szene

Franziska (erbittert). Kann ich noch reden? O schön! o schön!

Fräulein. Spotte nur; ich verdiene es. (Nach einem kleinen Nachdenken und gelassener.) Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.

Franziska. Vortrefflich! Da haben Sie etwas Allerliebstes getan, einen Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.

Fräulein. Es war einem Unglücklichen zugedacht.

Franziska. Und was das beste dabei ist: der Kerl hält Sie für seinesgleichen. – Oh, ich muß ihm nach und ihm das Geld wieder abnehmen. (Will fort.)

Fräulein. Franziska, laß den Kaffee nicht vollends kalt werden, schenk ein.

Franziska. Er muß es Ihnen wiedergeben; Sie haben spielen. Zehn Pistolen! Sie hörten ja, Fräulein, daß es ein Bettler war! (Das Fräulein schenkt indes selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den Mildtätigen, der den Bettler aus Großmut verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun mögen Sie es haben, Fräulein, wenn er Ihre Gabe, ich weiß nicht wofür, ansieht. – (Und reicht der Franziska eine Tasse.) Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht trinken. (Das Fräulein setzt sie wieder weg.) »Parbleu, Ihro Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst.« (In dem Tone des Franzosen.) Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen läßt.

Fräulein (kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Mädchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen? – Und sie sind doch auch Menschen. – Und öfters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen. – Man muß ihre gute Seite nur aufsuchen. – Ich bilde mir ein, dieser Franzose ist nichts als eitel. Aus bloßer Eitelkeit macht er sich zum falschen Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank ersparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, seine kleine Schulden bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so laß ihn Rekruten holen, wenn er will. – (Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg! – Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?

Franziska. Nein, gnädiges Fräulein, ich kann beides nicht, weder an einem schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die böse Seite aufsuchen.

Fräulein. Er kömmt doch ganz gewiß? –

Franziska. Er sollte wegbleiben! – Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?

Fräulein. Kömmst du da wieder hin? – Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es abgeredet haben! – Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und dann – Jetzt kömmt er wohl.

4. Szene

Franziska. Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.

Fräulein. Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?

Franziska. Gnädiges Fräulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt. – Ihre Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?

Werner (geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fräulein). Der Major von Tellheim läßt an das gnädige Fräulein von Barnhelm durch mich, den Wachtmeister Werner, seinen untertänigen Respekt vermelden und sagen, daß er sogleich hier sein werde.

Fräulein. Wo bleibt er denn?

Werner. Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei aus dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnädigen Fräulein den Vorfall zu rapportieren.

Fräulein. Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wünsche nur, daß der Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes möge zu sagen haben.

Werner. Das haben dergleichen Herren den Offizieren selten. – Haben Ihro Gnaden etwas zu befehlen? (Im Begriffe wieder zu gehen.)

Franziska. Nun, wo denn schon wieder hin, Herr Wachtmeister? Hätten wir denn nichts miteinander zu plaudern?

Werner (sachte zur Franziska und ernsthaft). Hier nicht, Frauenzimmerchen. Es ist wider den Respekt, wider die Subordination. – Gnädiges Fräulein –

Fräulein. Ich danke für Seine Bemühung, Herr Wachtmeister. – Es ist mir lieb gewesen, Ihn kennenzulernen. Franziska hat mir viel Gutes von Ihm gesagt. (Werner macht eine steife Verbeugung und geht ab.)

5. Szene

Fräulein. Das ist dein Wachtmeister, Franziska?

Franziska. Wegen des spöttischen Tones habe ich nicht Zeit, dieses dein nochmals aufzumutzen. – – Ja, gnädiges Fräulein, das ist mein Wachtmeister. Sie finden ihn ohne Zweifel ein wenig steif und hölzern. Jetzt kam er mir fast auch so vor. Aber ich merke wohl, er glaubte, vor Ihro Gnaden auf die Parade ziehen zu müssen. Und wenn die Soldaten paradieren – ja freilich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen als Männer. Sie sollten ihn hingegen nur sehn und hören, wenn er sich selbst gelassen ist.

Fräulein. Das müßte ich denn wohl!

Franziska. Er wird noch auf dem Saale sein. Darf ich nicht gehn und ein wenig mit ihm plaudern?

Fräulein. Ich versage dir ungern dieses Vergnügen. Du mußt hierbleiben, Franziska. Du muß bei unserer Unterredung gegenwärtig sein! – Es fällt mir noch etwas bei. (Sie zieht ihren Ring vom Finger.) Da, nimm meinen Ring, verwahre ihn, und gib mir des Majors seinen dafür.

Franziska. Warum das?

Fräulein (indem Franziska den andern Ring holt). Recht weiß ich es selbst nicht, aber mich dünkt, ich sehe so etwas voraus, wo ich ihn brauchen könnte. – Man pocht – Geschwind gib her! (Sie steckt ihn an.) Er ist's!

6. Szene

Tellheim. Gnädiges Fräulein, Sie werden mein Verweilen entschuldigen –

Fräulein. Oh, Herr Major, so gar militärisch wollen wir es miteinander nicht nehmen. Sie sind ja da! Und ein Vergnügen erwarten, ist auch ein Vergnügen. – Nun? (indem sie ihm lächelnd ins Gesicht sieht) lieber Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?

Tellheim. Jawohl, Kinder, gnädiges Fräulein; Kinder, die sich sperren, wo sie gelassen folgen sollten.

Fräulein. Wir wollen ausfahren, lieber Major – die Stadt ein wenig zu besehen –, und hernach meinem Oheim entgegen.

Tellheim. Wie?

Fräulein. Sehen Sie, auch das Wichtigste haben wir einander noch nicht sagen können. Ja, er trifft noch heut hier ein. Ein Zufall ist schuld, daß ich einen Tag früher ohne ihn angekommen bin.

Tellheim. Der Graf von Bruchsall? Ist er zurück?

Fräulein. Die Unruhen des Krieges verscheuchten ihn nach Italien; der Friede hat ihn wieder zurückgebracht. – Machen Sie sich keine Gedanken, Tellheim. Besorgten wir schon ehemals das stärkste Hindernis unsrer Verbindung von seiner Seite –

Tellheim. Unserer Verbindung?

Fräulein. Er ist Ihr Freund. Er hat von zu vielen zu viel Gutes von Ihnen gehört, um es nicht zu sein. Er brennet, den Mann von Antlitz zu kennen, den seine einzige Erbin gewählt hat. Er kömmt als Oheim, als Vormund, als Vater, mich Ihnen zu übergeben.

Tellheim. Ah, Fräulein, warum haben Sie meinen Brief nicht gelesen? Warum haben Sie ihn nicht lesen wollen?

Fräulein. Ihren Brief? Ja, ich erinnere mich, Sie schickten mir einen. Wie war es denn mit diesem Briefe, Franziska? Haben wir ihn gelesen, oder haben wir ihn nicht gelesen? Was schrieben Sie mir denn, lieber Tellheim? –

Tellheim. Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.

Fräulein. Das ist, ein ehrliches Mädchen, die Sie liebt, nicht sitzen zu lassen. Freilich befiehlt das die Ehre. Gewiß, ich hätte den Brief lesen sollen. Aber was ich nicht gelesen habe, das höre ich ja.

Tellheim. Ja, Sie sollen es hören –

Fräulein. Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hören. Es versteht sich von selbst. Sie könnten eines so häßlichen Streiches fähig sein, daß Sie mich nun nicht wollten? Wissen Sie, daß ich auf Zeit meines Lebens beschimpft wäre? Meine Landsmänninnen würden mit Fingern auf mich weisen. – »Das ist sie«, würde es heißen, »das ist das Fräulein von Barnhelm, die sich einbildete, weil sie reich sei, den wackern Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Männer für Geld zu haben wären!« So würde es heißen: denn meine Landsmänninnen sind alle neidisch auf mich. Daß ich reich bin, können sie nicht leugnen; aber davon wollen sie nichts wissen, daß ich auch sonst noch ein ziemlich gutes Mädchen bin, das seines Mannes wert ist. Nicht wahr, Tellheim?

Tellheim. Ja, ja, gnädiges Fräulein, daran erkenne ich Ihr Landsmanninnen. Sie werden Ihnen einen abgedankten, an seiner Ehre gekränkten Offizier, einen Krüppel, einen Bettler, trefflich beneiden.

Fräulein. Und das alles wären Sie? Ich hörte so was, wenn ich mich nicht irre, schon heute vormittage. Da ist Böses und Gutes untereinander. Lassen Sie uns doch jedes näher beleuchten. – Verabschiedet sind Sie? So höre ich. Ich glaubte, Ihr Regiment sei bloß untergesteckt worden. Wie ist es gekommen, daß man einen Mann von Ihren Verdiensten nicht beibehalten?

Tellheim. Es ist gekommen, wie es kommen müssen. Die Großen haben sich überzeugt, daß ein Soldat aus Neigung für sie ganz wenig, aus Pflicht nicht viel mehr, aber alles seiner eignen Ehre wegen tut. Was können sie ihm also schuldig zu sein glauben? Der Friede hat ihnen mehrere meinesgleichen entbehrlich gemacht, und am Ende ist ihnen niemand unentbehrlich.

Fräulein. Sie sprechen, wie ein Mann sprechen muß, dem die Großen hinwiederum sehr entbehrlich sind. Und niemals waren sie es mehr als jetzt. Ich sage den Großen meinen großen Dank, daß sie ihre Ansprüche auf einen Mann haben fahren lassen, den ich doch nur sehr ungern mit ihnen geteilet hätte. – Ich bin Ihre Gebieterin, Tellheim; Sie brauchen weiter keinen Herrn. – Sie verabschiedet zu finden, das Glück hätte ich mir kaum träumen lassen! – Doch Sie sind nicht bloß verabschiedet: Sie sind noch mehr. Was sind Sie noch mehr? Ein Krüppel: sagten Sie? Nun (indem sie ihn von oben bis unten betrachtet), der Krüppel ist doch noch ziemlich ganz und gerade; scheinet doch noch ziemlich gesund und stark. – Lieber Tellheim, wenn Sie auf den Verlust Ihrer gesunden Gliedmaßen betteln zu gehen denken: so prophezeie ich Ihnen voraus, daß Sie vor den wenigsten Türen etwas bekommen werden; ausgenommen vor den Türen der gutherzigen Mädchen wie ich.

Tellheim. Jetzt höre ich nur das mutwillige Mädchen, liebe Minna.

Fräulein. Und ich höre in Ihrem Verweise nur das Liebe Minna – Ich will nicht mehr mutwillig sein. Denn ich besinne mich, daß Sie allerdings ein kleiner Krüppel sind. Ein Schuß hat Ihnen den rechten Arm ein wenig gelähmt. – Doch alles wohl überlegt: so ist auch das so schlimm nicht. Um soviel sichrer bin ich vor Ihren Schlägen.

Tellheim. Fräulein!

Fräulein. Sie wollen sagen: Aber Sie um soviel weniger vor meinen. Nun, nun, lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen.

Tellheim. Sie wollen lachen, mein Fräulein. Ich beklage nur, daß ich nicht mitlachen kann.

Fräulein. Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruß. Der Beweis liegt vor uns. Ihre lachende Freundin beurteilet Ihre Umstände weit richtiger als Sie selbst. Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an Ihrer Ehre gekränkt; weil Sie einen Schuß in dem Arme haben, machen Sie sich zu einem Krüppel. Ist das so recht? Ist das keine Übertreibung? Und ist es meine Einrichtung, daß alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, daß auch dieser ebensowenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweimal, dreimal Ihre Equipage verloren haben; bei dem oder jenem Bankier werden einige Kapitale jetzt mitschwinden; Sie werden diesen und jenen Vorschuß, den Sie im Dienste getan, keine Hoffnung haben wiederzuerhalten: aber sind Sie darum ein Bettler? Wenn Ihnen auch nichts übriggeblieben ist, als was mein Oheim für Sie mitbringt –

Tellheim. Ihr Oheim, gnädiges Fräulein, wird für mich nichts mitbringen.

Fräulein. Nichts als die zweitausend Pistolen, die Sie unsern Ständen so großmütig vorschossen.

Tellheim. Hätten Sie doch nur meinen Brief gelesen, gnädiges Fräulein!

Fräulein. Nun ja, ich habe ihn gelesen. Aber was ich über diesen Punkt darin gelesen, ist mir ein wahres Rätsel. Unmöglich kann man Ihnen aus einer edlen Handlung ein Verbrechen machen wollen. – Erklären Sie mir doch, lieber Major –

Tellheim. Sie erinnern sich, gnädiges Fräulein, daß ich Ordre hatte, in den Ämtern Ihrer Gegend die Kontribution mit der äußersten Strenge bar beizutreiben. Ich wollte mir diese Strenge ersparen und schoß die fehlende Summe selbst vor. –

Fräulein. Jawohl erinnere ich mich. – Ich liebte Sie um dieser Tat willen, ohne Sie noch gesehen zu haben.

Tellheim. Die Stände gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich bei Zeichnung des Friedens unter die zu ratihabierende Schulden eintragen lassen. Der Wechsel ward für gültig erkannt, aber mir ward das Eigentum desselben streitig gemacht. Man zog spöttisch das Maul, als ich versicherte, die Valute bar hergegeben zu haben. Man erklärte ihn für eine Bestechung, für das Gratial der Stände, weil ich so bald mit ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich nur im äußersten Notfalle zu begnügen Vollmacht hatte. So kam der Wechsel aus meinen Händen, und wenn er bezahlt wird, wird er sicherlich nicht an mich bezahlt. – Hierdurch, mein Fräulein, halte ich meine Ehre für gekränkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert haben würde, wenn ich ihn nicht bekommen hätte. – Sie sind ernsthaft, mein Fräulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Ich lache ja.

Fräulein. Oh, ersticken Sie dieses Lachen, Tellheim! Ich beschwöre Sie! Es ist das schreckliche Lachen des Menschenhasses! Nein, Sie sind der Mann nicht, den eine gute Tat reuen kann, weil sie üble Folgen für ihn hat. Nein, unmöglich können diese üble Folgen dauren! Die Wahrheit muß an den Tag kommen. Das Zeugnis meines Oheims, aller unsrer Stände –

Tellheim. Ihres Oheims! Ihrer Stände! Ha, Ha, ha!

Fräulein. Ihr Lachen tötet mich, Tellheim! Wenn Sie an Tugend und Vorsicht glauben, Tellheim, so lachen Sie so nicht! Ich habe nie fürchterlicher fluchen hören, als Sie lachen. – Und lassen Sie uns das Schlimmste setzen! Wenn man Sie hier durchaus verkennen will: so kann man Sie bei uns nicht verkennen. Nein, wir können, wir werden Sie nicht verkennen, Tellheim. Und wenn unsere Stände die geringste Empfindung von Ehre haben, so weiß ich, was sie tun müssen. Doch ich bin nicht klug: was wäre das nötig? Bilden Sie sich ein, Tellheim, Sie hätten die zweitausend Pistolen an einem wilden Abende verloren. Der König war eine unglückliche Karte für Sie: die Dame (auf sich weisend) wird Ihnen desto günstiger sein. – Die Vorsicht, glauben Sie mir, hält den ehrlichen Mann immer schadlos; und öfters schon im voraus. Die Tat, die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen sollte, erwarb mich Ihnen. Ohne diese Tat würde ich nie begierig gewesen sein, Sie kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in die erste Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloß Ihrentwegen. Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben – ich liebte Sie schon! – in dem festen Vorsatze, Sie zu besitzen, wenn ich Sie auch so schwarz und häßlich finden sollte als den Mohr von Venedig. Sie sind so schwarz und häßlich nicht; auch so eifersüchtig werden Sie nicht sein. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel Ähnliches mit ihm! Oh, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten! – Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim! (Der indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine Stelle gesehen.) Woran denken Sie? Sie hören mich nicht?

Tellheim (zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fräulein: wie kam der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate? –

Fräulein (erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim? – Nun ist es Zeit, daß wir abbrechen. – Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.) – Franziska, laß den Wagen vorfahren.

Tellheim (der sich von dem Fräulein losreißt und der Franziska nachgeht). Nein, Franziska, ich kann nicht die Ehre haben, das Fräulein zu begleiten. – Mein Fräulein, lassen Sie mir noch heute meinen gesunden Verstand, und beurlauben Sie mich. Sie sind auf dem besten Wege, mich darum zu bringen. Ich stemme mich, soviel ich kann. – Aber weil ich noch bei Verstande bin: so hören Sie, mein Fräulein, was ich fest beschlossen habe, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll. – Wenn nicht noch ein glücklicher Wurf für mich im Spiele ist, wenn sich das Blatt nicht völlig wendet, wenn –

Fräulein. Ich muß Ihnen ins Wort fallen, Herr Major. – Das hätten wir ihm gleich sagen sollen, Franziska. Du erinnerst mich auch an gar nichts. – Unser Gespräch würde ganz anders gefallen sein, Tellheim, wenn ich mit der guten Nachricht angefangen hätte, die Ihnen der Chevalier de la Marliniere nur eben zu bringen kam.

Tellheim. Der Chevalier de la Marliniere? Wer ist das?

Franziska. Es mag ein ganz guter Mann sein, Herr Major, bis auf –

Fräulein. Schweig, Franziska! – Gleichfalls ein verabschiedeter Offizier, der aus holländischen Diensten –

Tellheim. Ha! der Leutnant Riccaut!

Fräulein. Er versicherte, daß er Ihr Freund sei.

Tellheim. Ich versichere, daß ich seiner nicht bin.

Fräulein. Und daß ihm, ich weiß nicht welcher Minister, vertrauet habe, Ihre Sache sei dem glücklichsten Ausgange nahe. Es müsse ein königliches Handschreiben an Sie unterwegens sein –

Tellheim. Wie kämen Riccaut und ein Minister zusammen? – Etwas zwar muß in meiner Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklärte mir der Kriegszahlmeister, daß der König alles niedergeschlagen habe, was wider mich urgieret worden, und daß ich mein schriftlich gegebenes Ehrenwort, nicht eher von hier zu gehen, als bis man mich völlig entladen habe, wieder zurücknehmen könne. – Das wird es aber auch alles sein. Man wird mich wollen laufen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht laufen. Eher soll mich hier das äußerste Elend vor den Augen meiner Verleumder verzehren –

Fräulein. Hartnäckiger Mann!

Tellheim. Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre –

Fräulein. Die Ehre eines Mannes wie Sie –

Tellheim (hitzig). Nein, mein Fräulein, Sie werden von allen Dingen recht gut urteilen können, nur hierüber nicht. Die Ehre ist nicht die Stimme unsers Gewissen, nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen – –

Fräulein. Nein, nein, ich weiß wohl. – Die Ehre ist – die Ehre.

Tellheim. Kurz, mein Fräulein – Sie haben mich nicht ausreden lassen. – Ich wollte sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthält, wenn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich, mein Fräulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert zu sein. Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit –

Fräulein. Und das ist Ihr Ernst, Herr Major? – (Indem sie ihm plötzlich den Rücken wendet.) Franziska!

Tellheim. Werden Sie nicht ungehalten, mein Fräulein –

Fräulein (beiseite zur Franziska). Jetzt wäre es Zeit! Was rätst du mir, Franziska? –

Franziska. Ich rate nichts. Aber freilich macht er es Ihnen ein wenig zu bunt. –

Tellheim (der sie zu unterbrechen kömmt). Sie sind ungehalten, mein Fräulein –

Fräulein (höhnisch). Ich? im geringsten nicht.

Tellheim. Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fräulein –

Fräulein (noch in diesem Tone). O gewiß, es wäre mein Unglück! – Und sehen Sie, Herr Major, ich will Ihr Unglück auch nicht. – Mann muß ganz uneigennützig lieben. – Ebensogut, daß ich nicht offenherziger gewesen bin! Vielleicht würde mir Ihr Mitleid gewähret haben, was mir Ihre Liebe versagt. – (Indem sie den Ring langsam vom Finger zieht.)

Tellheim. Was meinen Sie damit, Fräulein?

Fräulein. Nein, keines muß das andere weder glücklicher noch unglücklicher machen. So will es die wahre Liebe! Ich glaube Ihnen, Herr Major; und Sie haben zuviel Ehre, als daß Sie die Liebe verkennen sollten.

Tellheim. Spotten Sie, mein Fräulein?

Fräulein. Hier! Nehmen Sie den Ring wieder zurück, mit dem Sie mir Ihre Treue verpflichtet. (Überreicht ihm den Ring.) Es sei drum! Wir wollen einander nicht gekannt haben!

Tellheim. Was höre ich?

Fräulein. Und das befremdet Sie? – Nehmen Sie, mein Herr. – Sie haben sich doch wohl nicht bloß gezieret?

Tellheim (indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt). Gott! So kann Minna sprechen! –

Fräulein. Sie können der Meinige in einem Falle nicht sein: ich kann die Ihrige in keinem sein. Ihr Unglück ist wahrscheinlich; meines ist gewiß. – Leben Sie wohl! (Will fort.)

Tellheim. Wohin, liebste Minna?

Fräulein. Mein Herr, Sie beschimpfen mich jetzt mit dieser vertraulichen Benennung.

Tellheim. Was ist Ihnen, mein Fräulein? Wohin?

Fräulein. Lassen Sie mich. – Meine Tränen vor Ihnen zu verbergen, Verräter! (Geht ab.)

7. Szene

Tellheim. Ihre Tränen? Und ich sollte sie lassen? (Will ihr nach.)

Franziska (die ihn zurückhält). Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?

Tellheim. Ihr Unglück? Sprach sie nicht von Unglück?

Franziska. Nun freilich, das Unglück, Sie zu verlieren, nachdem –

Tellheim. Nachdem? was nachdem? Hierhinter steckt mehr. Was ist es, Franziska? Rede, sprich –

Franziska. Nachdem sie, wollte ich sagen – Ihnen so vieles aufgeopfert.

Tellheim. Mir aufgeopfert?

Franziska. Hören Sie nur kurz. – Es ist für Sie recht gut, Herr Major, daß Sie auf diese Art von ihr losgekommen sind. – Warum soll ich es Ihnen nicht sagen? Es kann doch länger kein Geheimnis bleiben. – Wir sind entflohen! – Der Graf von Bruchsall hat das Fräulein enterbt, weil sie keinen Mann von seiner Hand annehmen wollte. Alles verließ, alles verachtete sie hierauf. Was sollten wir tun? Wir entschlossen uns, denjenigen aufzusuchen, dem wir –

Tellheim. Ich habe genug! – Komm, ich muß mich zu ihren Füßen werfen.

Franziska. Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr und danken Ihrem guten Geschicke –

Tellheim. Elende! für wen hältst du mich? – Nein, liebe Franziska, der Rat kam nicht aus deinem Herzen. Vergib meinem Unwillen!

Franziska. Halten Sie mich nicht länger auf. Ich muß sehen, was sie macht. Wie leicht könnte ihr etwas zugestoßen sein. – Gehen Sie! Kommen Sie lieber wieder, wenn Sie wiederkommen wollen. (Geht dem Fräulein nach.)

8. Szene

Tellheim. Aber, Franziska! – Oh, ich erwarte euch hier! – Nein, das ist dringender! – Wenn sie Ernst sieht, kann mir ihre Vergebung nicht entstehen. – Nun brauch ich dich, ehrlicher Werner! – Nein, Minna, ich bin kein Verräter! (Eilends ab.)


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